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Deutschland Überlastete Ärzte

So will Lauterbach die Notfall-Versorgung umwälzen

Redakteurin Innenpolitik
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
Quelle: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld
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Die Notaufnahmen sind in der Krise. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant deshalb eine weitreichende Reform. Doch Ärztevertreter kritisieren, das Vorhaben sei kaum umsetzbar – man habe schließlich keine „Reserveärzteschaft im Kühlschrank“.

Stundenlanges Warten, überfüllte Gänge, Personalmangel: Deutsche Notaufnahmen sind am Limit. Seit Jahren ist offensichtlich, dass es eine grundlegende Reform braucht, um die Kliniken zu entlasten und Patienten besser zu versorgen.

Schon die damaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Jens Spahn (beide CDU) versuchten das System umzustrukturieren, scheiterten jedoch beide daran, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Nun will es Karl Lauterbach (SPD) probieren. Der Bundesgesundheitsminister hat einen Referentenentwurf vorgelegt, der für Patienten deutliche Veränderungen bedeuten würde – und mancherorts auf scharfe Kritik stößt.

Im Kern geht es bei dem Plan um Folgendes: Die Notrufnummer 112 soll mit der 116117, der Hotline der Kassenärztlichen Vereinigungen, im Hintergrund zusammengelegt werden. Die beiden Nummern bleiben zwar für die Patienten erhalten, können aber untereinander Anrufer weiterleiten. Das Ziel: Meldet sich bei der 112 ein Patient, der keinen lebensbedrohlichen Notfall hat, wird er direkt an den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst verwiesen – statt unnötigerweise vom Rettungswagen abgeholt zu werden.

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Aktuell ist es noch so, dass Patienten, die bei der 116117 anrufen, oft in langen Warteschleifen feststecken. Daher soll es für die Erreichbarkeit künftig gesetzliche Vorgaben geben: Rund um die Uhr müssen 75 Prozent der Anrufer innerhalb von drei Minuten durchgestellt werden, 95 Prozent innerhalb von zehn Minuten. Kommt der Patient dran, gibt es in der Regel drei Optionen: Er führt ein Gespräch mit einem Beratungsarzt, der bei Bedarf auch eine Videokamera einschalten kann. Gibt es darüber hinaus Behandlungsbedarf, wird der Patient von einem Arzt oder Sanitäter zu Hause besucht – oder an ein sogenanntes Integriertes Notfallzentrum (INZ) verwiesen.

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Die Zentren sind ein neues Konstrukt und sollen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses sowie einer Notarztpraxis bestehen, die direkt neben der Klinik angesiedelt ist. An einem gemeinsamen Tresen soll je nach Dringlichkeit entschieden werden, ob der Patient in der Notaufnahme oder in der Arztpraxis behandelt wird. Dieses Verfahren gilt auch für diejenigen, die unangekündigt in der Notaufnahme auftauchen – allerdings mit einem Nachteil. Sie sollen bei gleicher medizinischer Behandlungsdringlichkeit nachrangig gegenüber denjenigen behandelt werden, die vorher über die 116117 in die Notaufnahme vermittelt wurden, heißt es in Lauterbachs Entwurf.

Ziel des Gesetzes ist es vor allem, die Patientenströme besser zu steuern und nur noch diejenigen in der Notaufnahme zu versorgen, bei denen es medizinisch tatsächlich notwendig ist. Dies würde dem Gesundheitsministerium zufolge ab 2028 der gesetzlichen Krankenversicherung jährlich knapp eine Milliarde Euro einsparen. Ob diese Summe realistisch ist, wird maßgeblich von der Umsetzung des Gesetzes abhängen.

Skepsis bei Ärzten, Union vermutet politisches Kalkül

Ärztevertreter warnen, dass viele der neuen Aufgaben, mit denen sie beauftragt werden sollen, kaum umsetzbar seien. Dazu gehöre etwa die Einrichtung eines flächendeckenden Fahrdienstes rund um die Uhr parallel zur Regelversorgung. „Welche Kolleginnen und Kollegen – mal abgesehen von den enormen Aufwänden – sollen diese Dienste stemmen?“, sagt Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. „Wir haben ja nicht eine Reserveärzteschaft im Kühlschrank.“ Hinzu kämen ein Übermaß an zusätzlicher Bürokratie, eine unzureichende und zu vage gehaltene Refinanzierung sowie unrealistische Fristen, so Gassen.

Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, zeigt sich offen für Anpassungen. „Ob es Ressourcen für 24/7-Hausbesuche, Telemedizin und Notfallpraxen in den Abendstunden gibt, ist sehr fraglich. Eine Reform kann nicht auf Voraussetzungen basieren, die nicht erfüllbar sind“, sagt Ullmann WELT. „Deshalb müssen wir das Gespräch mit der Ärzteschaft suchen, um zu evaluieren, was leistbar ist und was nicht – gerade auch im Hinblick auf die anstehenden Verrentungen bei den Ärztinnen und Ärzten.“

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Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, weist die Kritik zurück. „Die Annahme, dass der gleiche Arzt, der eine Hausarztpraxis führt, jetzt zusätzlich im Notfallzentrum oder in der Gesundheitsleitstelle arbeiten oder nachts Hausbesuche abstatten soll, ist falsch“. Ärzte, die sich für den Bereitschaftsdienst bereit erklärten, seien längst oft haupt- oder nebenberuflich angestellt Allgemein- und Notfallmediziner. „Ich nehme wahr, dass viele jüngere Ärztinnen und Ärzte großes Interesse haben, solche Dienste in der Akut- und Notfallmedizin zu übernehmen“, so Dahmen.

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Änderungsbedarf am Gesetz gebe es hingegen an anderer Stelle: bei den Öffnungszeiten der integrierten Notfallzentren. Diese lauten aktuell: Montag, Dienstag und Donnerstag von 18 bis 21 Uhr, Mittwoch und Freitag von 14 bis 21 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen von 9 bis 21 Uhr. „Diese Uhrzeiten kann sich kein Mensch merken, wir brauchen jeden Tag die gleichen Öffnungszeiten, und das möglichst bundeseinheitlich“, fordert Dahmen. Weder die Art der Notrufnummer noch die Uhrzeit dürften künftig darüber entscheiden, ob der Patient zielgerichtet Hilfe bekommt.

Außerdem sei es dringend notwendig, in das Gesetz auch Neuregelungen zum Rettungsdienst aufzunehmen, so der Grüne. Lauterbach hatte ursprünglich ein eigenes Gesetz zum Rettungsdienst angekündigt, ist nun aber offenbar aus Zeitgründen von dem Vorhaben abgerückt. Stattdessen soll das Thema in die Notfallreform im Zuge des parlamentarischen Verfahrens einfließen. „Die Reform der Notfallversorgung kann nur dann Wirkung entfalten, wenn wir auch grundlegende Änderungen beim Rettungsdienst umsetzen“, mahnt Dahmen.

Tino Sorge (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, vermutet hinter der Entscheidung, kein eigenes Gesetz zum Rettungsdienst vorzulegen, ein Kalkül des Gesundheitsministers: „Durch die Hintertür soll das Vorhaben in die Notfallreform integriert werden. Das ist nicht nur ein gesetzgeberisches Chaos mit Ansage, sondern eine neuerliche Kampfansage an die Länder.“ Die Zuständigkeit der Länder für das Rettungswesen sei im Grundgesetz verankert. Werde Lauterbach die Reform nicht mit ihnen gemeinsam entwickeln, drohe ein weiterer Konflikt wie bei der Krankenhausreform.

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Bemerkenswert: Mancherorts sehen auch Ärzte Lauterbachs Pläne skeptisch, die selbst in Notaufnahmen arbeiten – und eigentlich durch das Gesetz entlastet werden sollen. „Es ist ein Irrglaube der Politik, unser Hauptproblem sei die reine Anzahl der fußläufigen, leicht erkrankten Patienten“, sagt etwa Matthias Klein, Leiter der Zentralen Notaufnahmen am LMU-Klinikum in München. Ungefähr drei Viertel der Patienten, die fußläufig die Notaufnahme erreichten, seien vorher bereits mit einem Arzt in Kontakt gewesen oder kämen mit einer Überweisung. Banale Beschwerden, die auf den ersten Blick als solche zu identifizieren seien, gebe es eher selten. „Eine Arztpraxis neben unserer Notaufnahme zu eröffnen, wäre aufwendig und teuer, würde uns aber nicht signifikant entlasten“, sagt Klein.

Das Kernproblem liege ganz woanders. „Der Grund, warum wir überfüllt sind und lange Wartezeiten haben, ist der Engpass an Ressourcen im stationären Bereich, meist bedingt durch ein Fehlen von Pflegekräften“, sagt Klein. Schwer kranke Patienten könnten teilweise nicht zügig von der Notaufnahme auf die Normal- oder Intensivstation weiter verlegt werden, weil dort alle Betten belegt seien. Dies liege auch an anderen Kliniken, die wegen fehlender Kapazitäten für die Verlegung von Notfällen nicht mehr wie früher zur Verfügung stünden und teilweise nachts ihre Notaufnahmen schließen würden. An diesem Grundproblem, so Klein, werde Lauterbachs neue Reform nichts ändern.

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