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Weinland Frankreich Rotwein

Balancewunder aus Finesse und Kraft

In Saint-Émilion machen Gasthöfe und Weinbars mit sogenannten Nasenschildern auf sich aufmerksam In Saint-Émilion machen Gasthöfe und Weinbars mit sogenannten Nasenschildern auf sich aufmerksam
In Saint-Émilion machen Gasthöfe und Weinbars mit sogenannten Nasenschildern auf sich aufmerksam
Winzer und Händler frohlocken: Das Weinjahr 2015 war im Bordelais optimal. Was jetzt in den Kellern liegt, bezeugt in allen Qualitätsstufen den besonderen Geschmack der Region.

Ständig klingelt das Telefon. „Das geht jetzt bis heute Abend so weiter,“ sagt Stephan Neipperg, „dann ist alles verkauft.“ Neipperg trägt einen akkuraten Schnurrbart und Fliege. Ein Mann alter Schule und dabei sehr herzlich. Böse Zungen würden vielleicht sagen, er kann es sich leisten.

Der Winzer, gebürtig in Württemberg, ist Inhaber des Château Canon de Gaffelière im Saint-Émilion, einem der besten Herkunftsgebiete, eingestuft als Grand Cru. Am Morgen hat Neipperg seine Verkaufspreise für den Jahrgang 2015 bekannt gegeben. Die Ernte war sehr gut, sein Wein ist „rund dreißig Prozent teurer als letztes Jahr“. Trotzdem wird der Jahrgang am Ende des Tages ausverkauft sein – an Genießer rund um den Globus. Die klassifizierten Crus wie jener von Neipperg machen nicht einmal fünf Prozent der gesamten Bordeaux-Produktion aus. Die Güte im weltweit größten zusammenhängenden Anbaugebiet für Qualitätswein aber ist grundsätzlich hoch. Hier kann man eigentlich überall guten Wein machen. Deshalb steht auch in nicht so berühmten Appellationen wie den Côte de Bordeaux auf fast jedem grünen Hügel ein kleines Märchen-Château mit manikürten Gartenflächen und tiefem Keller. Und doch haben es die Kleinen auch in einem Spitzenjahr schwer.

Der Sommer war heiß und ohne Regen. In dieser Zeit, in der aus den Blüten Trauben werden, sind Licht und Wärme wichtig. Zwei Monate regnete es fast nicht, gerade zur richtigen Zeit setzte dann Regen ein. Bei der Ernte war es dann wieder trocken. Das ist noch wichtiger, denn Nässe kann alles verderben. Alles in allem verlief der Jahrgang also ziemlich optimal, und das ist in Bordeaux nicht selbstverständlich. Für Rotwein ist die Region relativ kühl, deshalb gibt es bei jedem Jahrgang Schwankungen. Die man an den spekulativen Preisen der klassifizierten Grands Crus gut ablesen kann.

Wenn du einen Jahrgang wie 2015 hast, kannst du jeden Wein verkaufen, auch die AOCs und Supérieurs
Stéphanie Gregoire, Exportmanagerin in Bordeaux

„Wenn du einen Jahrgang wie 2015 hast, kannst du jeden Wein verkaufen“, erklärt Stéphanie Gregoire, „auch die AOCs und Supérieurs.“ Gregoire meint damit die ganz normalen Qualitäten. Und sie weiß, wovon sie redet. Die Exportmanagerin arbeitet für Millésima, ein Handelshaus, das mit Spitzen-Bordeaux jährlich 32 Millionen Euro umsetzt. Auch außerhalb der berühmten Lagen sind die geologischen Gegebenheiten gut – durchlässige Kalkböden, in denen sich wenig Nässe staut, die den Weinen aber ihrem unwiderstehlich mineralischen Touch geben. Von Natur aus sind Bordeaux-Weine nicht wuchtig, sondern leben von einer Balance zwischen Kraft und Finesse. 2015 haben sie viel Aroma und Frucht, sind aber nie zu füllig. Eben klassisch Bordeaux. Nach gutem Witterungsverlauf sind sie außerdem schon sehr bald trinkbar.

In den kühlen Nächten von 2015 aber blieb die Säure erhalten

Ihre Reifefähigkeit ist ein entscheidender Vorteil. Jahrgänge, die jung unangenehm tanninbitter schmecken, können nach Jahrzehnten traumhaft gut sein. In Jahren, in denen die Weine schon jung angenehm weich sind, ist es oft konträr. Beispiel 2003, der erste Jahrgang des Jahrtausends Extremhitze. Die Trauben entwickelten viel Zucker und bauten Säure ab. Die ist aber für die Alterung wesentlich und fehlt heute vielen früh vergreisten 2003ern. In den kühlen Nächten von 2015 aber blieb die Säure erhalten. So kann man erraten, dass die Weine auch in zehn Jahren noch gut sind. „Etwas einfachere Weine würde ich in vier, fünf Jahren trinken“, sinniert Neipperg, „oder sofort.“ In der Tat sind die 2015er – wenn sie im nächsten Jahr abgefüllt werden – schon trinkreif. Durchaus selten im Bordelais.

Philippe Castel macht mit viel Akribie aus „Randlagen“ wertige Weine
Philippe Castel macht mit viel Akribie aus „Randlagen“ wertige Weine

Wie Qualität auch ohne eine Spitzenklassifizierung entsteht, zeigt Philippe Castel, Leiter eines Firmenimperiums, dass mehrere Milliarden Euro Umsatz macht. „Bodenuntersuchungen lassen tief in das Potenzial eines unbekannten Weinbergs blicken“, sagt der 51-Jährige, der gezielt Châteaux in weniger prominenten Lagen kauft. Nach gründlicher wissenschaftlicher Analyse legt er mit dem Önologen Hubert de Bouärd die sinnvollsten Schritte zur Bodenbearbeitung fest. Sein Château Montlabert etwa liegt nur etwas außerhalb von Saint-Émilion mit so berühmten Namen wie Cheval Blanc. Das Gelände ist flach, das bedeutet viel Wasser. „Deshalb haben wir als erstes eine Entwässerungsanlage gebaut.“

Wo man es sich leisten kann, wird per Hand geerntet

Mit vielen Einzelschritten schafft Castel Weine, die erstaunlich nah an die ganz großen herankommen. „Ich könnte auch Grands Crus kaufen“, meint Castel, „aber langfristige Investitionen reizen mich mehr.“ Er gibt jedoch zu, dass seine Nischeninvestitionen teuer sind und wenig Gewinn bringen. Für Einzelwinzer wäre so etwas nicht machbar. Sie erzielen mit ihren Trauben Preise von 1,20 bis 1,30 Euro pro Liter. Früher haben viele vor der Zeit gelesen, weil sie Regen und Pilzbefall fürchteten. Wer dann noch das Meistmögliche aus den Trauben herauspresst, bekommt bittere Tannine, die sich nie mehr in den Wein integrieren. Dort aber, wo man es sich leisten kann, wird hingegen per Hand geerntet, jede minderwertige Traube aussortiert und schonend gepresst.

Neipperg jedenfalls ist so überzeugt von der hiesigen Qualität, dass er nebenbei gut gemachte Grundweine von Winzern aus der Region aufkauft und zu Preisen anbietet, die man sich schon als BAföG-Empfänger leisten kann. Und selbst ein Bordeaux von Castel ist unter 20 Euro zu haben. Auch aus dem perfekten Jahr 2015. Denn im Gegensatz zu den Grands Crus ist bei Weinen ohne Klassifikation eines sicher: Die Preise bleiben auch in guten Jahren stabil.

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