Romain Iltis hat sich was ausgedacht. Also findet der Aperitif nicht im eleganten Speiseraum des Zwei-Sterne-Restaurants „Villa René Lalique“ statt, sondern im Untergeschoss. Welches man sich nicht als romantischen, mit Spinnweben verhangenen Keller vorstellen darf, sondern als ein auf Hochglanz getrimmtes Heiligtum des Weines.
Unzählige gestapelte Originalholzkisten feinsten Bordeaux und anderer Edelweine sind hier zu bewundern, aber am langen Tisch in der Mitte stehen drei Flaschen von der Elsässer Weinstraße.
Schließlich befindet sich das Restaurant im nördlichen Elsass, eine gute halbe Autostunde von Straßburg entfernt, da will Sommelier Iltis die Klasse des heimischen Winzertums darstellen. Einen Schluck Muscat reicht er, grandiosen Gewürztraminer, eleganten Pinot gris. Alles, wie es sich gehört, aus Lalique-Gläsern.
Erwacht aus dem Dornröschenschlaf
Niemand könnte der „Villa René Lalique“ vorwerfen, dass sie nicht ausgiebig die Vorzüge der Region zeige. Und doch ist das Etablissement binnen weniger Jahre eines der weltoffensten Restaurants geworden, die Frankreich zu bieten hat.
Man merkt es, sobald man in den Park am Rande von Wingen-sur-Moder hineinfährt. Die alte Villa des Glaskünstlers und Fabrikanten René Lalique, die Jahrzehnte im Dornröschenschlaf lag, wurde vor ein paar Jahren renoviert, erweitert, ausgeschmückt.
Der Schweizer Investor Silvio Denz, zuvor schon an feinen Weinen und Weingütern interessiert, hatte Lalique übernommen und sich entschieden, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Eine von außen einsehbare Küche ließ er bauen, von Stararchitekt Mario Botta den gläsernen Restaurantpavillon errichten und den Weinkeller gestalten.
Man setzt auf höchste Eleganz
Luxus, wohin man blickt. Mögen andere davon reden, dass die Tischdecken in der Gastronomie abgeschafft gehörten oder man auch in Jeans und Pullover zum Essen gehen solle, so setzt die „Villa Lalique“ auf höchste Eleganz. Was freilich nicht bedeutet, dass Anzug, Krawatte und Abendkleid verpflichtend wären. Aber wenn nicht hier, wo dann?
Die Eleganz sprach sich herum. War ja auch logisch, denn Jean-Georges Klein, der Küchenchef, hatte bereits im „L’Arnsbourg“ im nahen Baerenthal drei Sterne geholt. Denz, Lalique und Klein: eine Traumkonstellation. Als zwei Jahre später die Meldung an die Presse ging, dass ein neuer Chef de Cuisine angeworben sei, hoben die Kritiker folglich erstaunt die Augenbrauen. Doch Paul Stradner, der Neue, war kein Ersatz für Klein, sondern eine Ergänzung, Teil der fortan kochenden Doppelspitze.
„Mich hat das Gesamtpaket überzeugt“, erklärt Stradner, der zuvor im „Brenners“ in Baden-Baden für Zufriedenheit bei Gästen und Kritikern sorgte. Klein kannte er schon von einer Station in Baerenthal, nun aber wurden die Rollen neu festgelegt. Zunächst würde der Senior an der Spitze strahlen, dann sollten beide auf Augenhöhe agieren. In diesem Jahr steht Stradner erstmals vorn, während es Klein – soeben 70 geworden – im Hintergrund ruhiger angehen lässt.
Ein Österreicher plaudert auf Französisch
Diese Konstellation ist höchst ungewöhnlich in der französischen Top-Gastronomie, ergibt aber Sinn. 330 bis 360 Couverts müssen schließlich pro Woche in der „Villa René Lalique“ bearbeitet werden – jedenfalls in normalen Zeiten, wenn nicht Lockdowns und Ausgangssperren das Geschäft verhageln.
Stradner macht nun auch die Honneurs, geht zum Ende des Essens von Tisch zu Tisch, plaudert auf Französisch. Die Sprache musste er erst lernen, gibt der gebürtige Österreicher zu. Bei dieser Gelegenheit erzählt er auch gern vom Konzept der Küche, das regionale Finesse mit Weltläufigkeit verknüpft.
Das Wild stammt von einem spezialisierten Unternehmen aus Ingwiller, die Schnecken von Züchterin Marie-Antoinette Christ, der Käse vom berühmten Bernard Antony. Kaviar und bretonischer Hummer, Haselnüsse aus dem Piemont und mexikanische Vanille stehen aber auch auf der Karte.
Luxus mit Persönlichkeit
„In einem Luxusrestaurant dürfen auch Luxusprodukte nicht fehlen“, sagt Paul Stradner. Lalique-Glaswaren gingen und gehen ja auch in alle Welt. Weshalb Sommelier Romain Iltis neben Elsässern und großen roten Bordeaux auch zahlreiche US-amerikanische Spitzen eingelagert hat.
Zum Dessert freilich sollte es entweder eine Elsässer Beerenauslese oder ein Sauternes von Château Lafaurie-Peyraguey sein. Letzterer wird nicht zufällig aus der exklusiv hergestellten Lalique-Flasche ausgeschenkt, sondern deshalb, weil er ebenfalls zum Besitz von Multiinvestor Silvio Denz gehört.
Fast logisch, dass vor zwei Jahren auch auf Schloss Lafaurie-Peyraguey, in einer gemütlichen Bordelaiser Gemeinde namens Bommes, ein Restaurant eröffnete, ähnlich elegant und weltläufig wie die „Villa René Lalique“. Küchenchef Jérôme Schilling kocht aufwendig, die Gästezimmer stehen ihren Elsässer Pendants nicht nach, der erste Michelinstern kam im Nu. Luxus mit Persönlichkeit scheint Zukunft zu haben.