Sie sind auch im Winter keine Stubenhocker. Wer in der kalten Jahreszeit die schwedische Hauptstadt besucht, staunt: Ständig sind die Stockholmer draußen aktiv, und das bei eisigen Temperaturen. Erst radelt ein Mann mit einem Snowboard im Rucksack durch die Straßen. Dann läuft ein anderer, ebenfalls mit Board im Arm, zur U-Bahn. Auch Schlittschuhfahren ist ein regelrechter Volkssport.
Stockholmer zelebrieren ihren Freiluftspaß in und um die Stadt herum auch im tiefsten Winter, wenn es eisig ist und früh dunkel wird. Das schwedische Wort „Friluftsliv“ lässt sich mit „Draußen sein“ übersetzen: die Freude an Outdoor-Aktivitäten, und das bei jedem Wetter.
Da bietet Stockholm, am Schärengarten gelegen, von Kanälen durchzogen und von Seen umgeben, gute Bedingungen. Die meisten Aktivitäten sind mit Bus, Straßenbahn und U-Bahn erreichbar. Wer einen Städtetrip mit Wintersport verbinden will, ist in Stockholm richtig.
„Wir gehen auch paddeln, wenn es minus 15 Grad Celsius sind“, sagt Theresa Kroh. Es beginnt zu schneien, als die Stockholmer Paddel-Wintertouristen ihr Kajak zum Steg mitten im Schärengarten auf Räsero tragen. Sie leitet das Grüppchen, das in drei Booten sitzt und durch eine Art Gelee aus Eisbröckchen fährt. Gegen die Kälte muss man sich wappnen, die einen Zwiebel-Look der besonderen Art erfordert: Trockenanzug, Schwimmweste, zwei Paar Handschuhe – innen aus Fleece, außen aus Gummi – und Gummistiefel. Ein wasserabweisender Schlapphut über der Mütze gegen schmelzende Schneeflocken. Ein Spritzrock, der im Kajak über die Sitzöffnung gespannt wird.
Winter-Paddeln im Schärengarten
Im Boot wird es den Gästen schnell warm. Denn man hat ordentlich zu tun: Im sulzigen Wasser erfordert das Paddeln Kraft, erst recht, wenn sich an manchen Stellen eine dünne Eisdecke gebildet hat: Dann muss man gegenhalten, sonst sitzt das Boot fest. Theresa Kroh zeigt, wie sie ihr Kajak aus dem Eis manövriert. Das Paddel, ganz dicht am Bootsrumpf geführt, wird zum Eispickel, mit einem Wumms das Eis senkrecht durchstoßen. Das ist anstrengend. Wie ein kleiner Eisbrecher knirscht sich das Kajak durch die dünne Eisdecke. Sobald die Boote offenes Wasser erreichen, gibt es einen Schub.
Es fühlt sich an, als hätte jemand die Handbremse abrupt gelöst. Vorbei gleiten die Boote an eisigen Ufern, gesäumt von erstarrtem Schilf. Dessen Ähren leuchten weiß, hier hat sich Schnee gesammelt. Wo das Festland ist, lässt sich im verschneiten Schärengarten, der aus rund 30.000 Inseln besteht, kaum erkennen. Ein ganz besonderes Naturerlebnis.
Dass das Kanu-Center den Betrieb das ganze Jahr über im Schärengarten aufrechterhalten kann, liegt nicht unbedingt am Klimawandel, sondern vor allem an freundlichen Nachbarn. Es ist mehr als 50 Jahre her, dass der Stockholmer Schärengarten das letzte Mal komplett zugefroren war. Bildet sich vor dem Ufer der Schäre doch einmal zu viel Eis, bricht ein Nachbar von der Insel gegenüber kleine Fahrrinnen auf.
Nach der Rückkehr geht es zum Aufwärmen in die Sauna am Bootssteg. Wer will, kann anschließend in die eiskalte Ostsee zum Abhärten. Und Angler gehen auch bei eisigen Temperaturen fischen. Wie etwa die Schären-Bewohner Helen und Bo Lundgren, die unweit vom Kanu-Center, auch bei klirrender Kälte, dick eingepackt, mit Touristen Meerforellen angeln – mal vom Boot aus und mal an Löchern, die sie ins Eis bohren.
Eislaufen und Wracktauchen
Mitten in Stockholm liegt der Kungsträdgården (Königsgarten), der schönste öffentliche Park der Stadt. Von November bis März verwandelt er sich in eine Eisbahn, die von Einheimischen und Touristen gleichermaßen genutzt wird. Denn hier wird täglich bis 21 Uhr geskatet, und das auch noch gratis. Für Touristen praktisch: Schlittschuhe kann man sich hier auch gegen eine geringe Gebühr leihen.
Sobald aber die Temperaturen schon länger unter dem Gefrierpunkt liegen und die Eisdecke dick genug ist, geht es in Stockholm aufs Natureis. Das kilometerlange Langstrecken-Eislaufen auf Seen und Kanälen wird Långfärdsskridskor genannt. Im Süden der Stadt, nur eine knappe Stunde mit Bus und Bahn von der zentralen U-Bahn-Station Slussen entfernt, gibt es geführte Touren über die mäandernden Seen Magelungen oder Drevviken, sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene.
Auch Gunilla Kühner, Stadtführerin in Stockholm und passionierte Wintersportlerin, war diesen Winter schon Skaten auf dem Eis. Sie empfiehlt Touristen ein weiteres Abenteuer: Eistauchen. Im Winter, sagt sie, sei nämlich die Sichtweite unter Wasser besser als sonst, was an der fehlenden Trübung durch Algen oder Schwebstoffe liegt. Zwar sei es kalt, doch je weiter man abtaucht, desto mehr relativiert sich der Unterschied zwischen Luft- und Wassertemperatur: „Die Bodentemperatur ist zu allen Jahreszeiten gleich kalt.“
Nahe Stockholm bieten inzwischen mehrere Tauchbasen bei Dalarö solche winterlichen Tauchgänge zum dortigen Unterwasserpark an: mit mehr als 30 historischen Wracks, von Fischerbooten bis zum Dreimaster aus dem 17. Jahrhundert. Zwar friert in kalten Wintern die Ostsee normalerweise um Dalarö zu, doch weil Eisbrecher und Fähren immer zu den Inseln unterwegs sind, gibt es genug offene Stellen.
Snowboarden und Alpin-Ski
Das ziemlich ebene Stockholm hat sich sogar einen eigenen Skiberg gebaut, den Hammarbybacken. Er ist mittlerweile ein winterliches Wahrzeichen der Stadt: ein weißer Buckel im Stadtteil Björkhagen, gut erreichbar mit der Straßenbahn. Zugegeben, er ist eher ein Hügel als ein Berg.
„Eigentlich war er eine Müllkippe“, sagt Olivia Walten vom Berglift-Betreiber Skistar. Verklappt wurde hier einst, was von Großbauprojekten in der Nähe übrig blieb. Heute ist der einstige Schutthaufen Hammarbybacken immerhin 93,5 Meter hoch.
Stockholms alpiner Gipfel versteckt sich hinter Hochhäusern. „Das ist ja komisch, wo soll man hier denn Ski fahren“, ruft ein Kind in Wintersportsachen nach dem Aussteigen aus der Straßenbahn. Erst hinter der nächsten Ecke taucht der urbane Skibuckel mit seinen Pisten dann auf.
Bis zur Spitze führt ein Schlepplift. Oben angekommen liegt Stockholm zu Füßen, Hochhäuser und Kanäle statt Alpenpanorama. Je nach Können dauert es ein bis zwei Minuten, und schon ist man wieder im „Tal“. Doch unterschätzen sollte man das urbane Mini-Skigebiet mit seinen immerhin vier Pisten, davon zwei sehr leichte, trotzdem nicht. Ohne gewisse Grundkenntnisse geht auch hier nichts – wie gerade eine Reisegruppe aus Malta unter Beweis stellt, die sich Ausrüstung geliehen hat und ohne Anleitung zum allerersten Mal auf Skiern steht.
Ein Teilnehmer der Gruppe hat bereits Probleme, es auf den Zauberteppich zu schaffen. Kurz darauf steht er mit gekreuzten Skiern auf dem Förderband, nur um nach einigen Metern das Gleichgewicht zu verlieren und umzukippen. Weit besser machen es einige Höhenmeter weiter oben ein paar Kinder einer Freestyle-Snowboard-Klasse: Pimpf um Pimpf zwirbelt an einer Schanze durch die Luft.
Stockholmer kommen zum After-Work-Skifahren auf den Berg, die Pisten sind werktags erst ab 15 Uhr geöffnet. Dafür kann man dann bis 21 Uhr bei Flutlicht wedeln. Am Wochenende wird von neun bis 17 Uhr gefahren. Dann sind Touristen in der Mehrheit, die staunen, mitten im flachen Stockholm Alpin-Ski fahren zu können.
Tipps und Informationen
Wie kommt man hin?
Mit dem Flugzeug: Nonstop zum Beispiel von Frankfurt nach Stockholm, etwa mit Lufthansa oder Scandinavian Airlines, von Berlin auch mit Easyjet oder Eurowings. Mit dem Nachtzug: Von Deutschland aus gibt es zwei Nachtzugverbindungen. Die schwedische Staatsbahn SJ setzt zwischen Stockholm und Hamburg sowie Berlin einen Euronight ein. Es gibt unter anderem Sechser-Liegeabteile oder Schlafabteile für zwei Personen (sj.se). Alternativ fährt der private Nachtzug Snälltåget zwischen Berlin, Hamburg, Kopenhagen, Malmö und Stockholm. Für Kurzentschlossene zwischen Weihnachten und erster Januarwoche 2024, anschließend wieder regulär zwischen Ostern und Herbst (snalltaget.se).
Wo wohnt man gut?
Dank der nautischen Sammlerexponate ist das „Collector’s Victory Hotel“ in der Altstadt fast ein kleines Schifffahrtsmuseum, das Doppelzimmer inklusive Frühstück kostet zum Beispiel im Januar ab umgerechnet 184 Euro, (victoryhotel.se). Zentral gelegen ist das „Hotel Frantz“ nahe der Bahnstation Slussen, von wo aus etwa der Hammerbybacken in 20 Minuten zu erreichen ist. Das Doppelzimmer mit Frühstück kostet im Januar ab 170 Euro pro Nacht (hotelfrantz.se).
Wintersport
Winterpaddeln: zum Beispiel beim Skärgårdens Kanotcenter in Resarö, erreichbar mit U-Bahn T14 und Bus 670. Dreistündige Kajak-Touren ab 115 Euro pro Person, das anschließende Saunieren mit Bad in der Ostsee kostet 18 Euro (kanotcenter.com). Tauchen: Ein Bootstrip mit zwei Tauchgängen im Dalarö-Unterwasserpark kostet bei Captain Baltic umgerechnet 115 Euro, hinzu kommen 90 Euro fürs Equipment (vrakdykarpensionatet.se); ähnliche Preise ruft Dykcharter auf (dykcharter.se). Skifahren: Das Tagesticket am Hammarbybacken kostet für Erwachsene umgerechnet etwa 26,40 Euro, eine komplette Ski- und Snowboardausrüstung kann auch vorab reserviert werden, ab 24,40 Euro pro Tag (skistar.com). Kostenlos Schlittschuhlaufen kann man in Kungsträdgården, eine Stunde Schlittschuhverleih kostet umgerechnet 9 Euro (motionera.stockholm). Angeln: Ein vierstündiger Angeltrip mit zum Beispiel Catch & Relax kostet umgerechnet etwa 520 Euro für vier Personen (catchrelax.se).
Weitere Infos
visitsweden.de, visitstockholm.com
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit Sweden. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit