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Mika Sosna

Ein Leben für den großen Wurf

Von Jörn Arfs
Veröffentlicht am 17.06.2024Lesedauer: 7 Minuten
Diskus-Toptalent Mika Sosna, fotografiert auf der Jahnkampfbahn, der Leichtathletiksportstätte im Hamburger Stadtteil Winterhude
Diskus-Toptalent Mika SosnaQuelle: Bertold Fabricius

Ein Bänderriss warf ihn 2023 weit zurück, jetzt hat Mika Sosna nach einem grandiosen Comeback das Ziel Olympia wieder fest im Blick: Der 21-jährige Diskuswerfer ist Hamburgs größte Leichtathletik-Hoffnung für Paris, auch wenn es zuletzt bei der EM nur mäßig lief.

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Ramona war einfach zu attraktiv. Die Kleinstadt im US-amerikanischen Bundesstaat Oklahoma verfügt über eine reine Wurfanlage, angenehme Temperaturen und oft stramme Winde – und ist somit für Werfer optimal. Die Hoffnung auf rekordverdächtige Weiten ist nirgendwo größer als hier. Mika Sosna hatte bei den „Oklahoma Throws Series“, die hier Station machen, ohnehin nicht sehr viel zu verlieren: Er war im vergangenen Jahr böse umgeknickt und musste auf die ganze Saison im vorolympischen Jahr verzichten. Genauso wie auf die Deutschen Winterwurfmeisterschaften Ende Februar im kalten Halle, die in sein mühsames Aufbautraining fielen, das Verletzungsrisiko wäre noch zu hoch gewesen war. Also wurde im April Ramona zum Hoffnungsort.

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Auf sein verschworenes Hamburger Betreuer-Team um Trainer Juri Minor, das ihn während der schweren Zeit immer wieder aufgebaut hatte, musste der heute 21-Jäjhrige bei seinem Trip in den „Wilden Westen“ der USA ebenfalls verzichten: „Unser Budget reichte gerade mal für einen Kurztrip im Alleingang“, erzählt Sosna. Aber er wusste, dass er nicht mehr viele Versuche haben würde, seinen großen Traum von Olympia zu erfüllen und dafür die hohe Norm von 67,20 Meter bis zum 30. Juni zu übertreffen.

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Der „Single-Flirt mit Ramona“ führte zu einem Happy End, das für ihn „auch jetzt noch unvorstellbar“ ist: Die äußeren Rahmenbedingungen in den USA waren perfekt, kein Wettkampf in den Annalen des Diskuswerfens war bis dahin hochklassiger, und Mika Sosnas Zimmernachbar, der Litauer Mykolas Alekna, löschte mit sagenhaften 74,35 Metern sogar den ältesten Weltrekord der Leichtathletik-Geschichte aus: die Fabelweite von 74,05 Metern, aufgestellt 1986 von dem Ostdeutschen Jürgen Schult.

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Mika Sosna war nicht nur stolzer Augenzeuge dieses jetzt schon legendären Sport-Spektakels, sondern auch einer ihrer Hauptdarsteller: Gleich im ersten Wurf packte er „ein Riesenpfund“ aus, übertraf mit 68,96 Metern seine persönliche Bestleistung um mehr als drei und die Olympia-Norm um fast zwei Meter. Jetzt muss er nur noch hoffen, dass seine deutschen Konkurrenten nicht in größer Zahl noch weiter werfen, drei Startplätze gibt es in Paris.

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Deutschlands Jugend-Leichtathlet des Jahres 2020 hält aber auch so schon jetzt zwei inoffizielle Weltrekorde: Noch niemand warf die Diskusscheibe mit 19 Jahren jemals weiter und keiner konnte eine derartige Weite in der Altersklasse U23 erzielen. „Der Muskelaufbau dauert bei einem Diskuswerfer viele Jahre, und deshalb entfaltet er seine volle Kraft normalerweise erst mit etwa 27 Jahren“, erklärt der fast zwei Meter große und 120 Kilo schwere Hüne – er ist also schon früh sehr weit.

Früher musste sich Sosna angesichts seines muskelbepackten Körpers häufiger anhören, das sei doch „nur durch dopen“ zu schaffen. Das ließ er jedoch nach eigener Aussage schnell an sich abprallen, außerdem habe er sich mit seinem Image als „Riesen-Teddybär“ eigentlich immer ganz wohl gefühlt. Er sei „dopingfrei“, beteuert das Diskus-Toptalent, im Übrigen sei das deutsche Dopingsystem kaum zu überlisten: „Nirgendwo sonst werden unangemeldet so oft Blut- und Urinproben genommen.“ Er wünschte, es wäre weltweit genauso. Aber tatsächlich gebe es immer noch Werfer im Ausland, die bis heute kein einziges Mal von ihren Verbänden überprüft worden seien. „Da fühlt man sich ehrlich gesagt ein bisschen veräppelt“, sagt er.

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Der bis zu zwei Kilo schwere Diskus wurde Sosna (Schuhgröße 52) gewissermaßen in die Wiege gelegt: Sein Großvater Vaclav errang 2022 die Senioren-Weltmeisterschaft in dieser Disziplin, seine Mutter gehörte zu den Spitzenwerferinnen in der Tschechoslowakei. Mika Sosna begann als Zehnjähriger beim HSV mit Leichtathletik, wechselte 2018 zur TSG Bergedorf, wo er sich ganz auf die runde Scheibe konzentrierte. Am Diskuswerfen liebt er vor allem das vielfältige Training: „Sprünge, Sprints, Kraft und Würfe gehören dazu.“

Nur ein Privileg gab es

Für seine sportlichen Ziele bringt Mika Sosna viele Opfer. „Ich verzichte bewusst auf einen großen Teil des normalen Lebens“, bekennt der Koloss mit dem sonnigen Gemüt. Partys, Alkohol und Urlaubsreisen blieben vorerst ausgespart. Sein wöchentlicher Alltag sah in den vergangenen Jahren „etwas anders“ aus: 5.40 Uhr aufstehen, ab 7.30 Uhr zwei Stunden Training in der Jahn-Kampfbahn im Stadtpark oder der Alsterdorfer Leichtathletik-Trainingshalle, von 10 bis 16 Uhr Unterricht in der Eliteschule des Sports Alter Teichweg, dann nochmal drei Stunden Abendtraining. Sonnabends gab es nur eine Trainingseinheit, am Sonntag wurde geruht. Einziges Privileg war die Verlängerung der Schulzeit: In einer sogenannten „Strecker-Klasse“ an der Sportschule ließ man ihm für das 2022 bestandene Abitur 14 Jahre Zeit.

Wie zielstrebig und ehrgeizig er ist, verriet der immer sehr locker wirkende Sosna, als er vor zwei Jahren nach der errungenen U20-Vizeweltmeisterschaft dennoch mit seiner Performance etwas unzufrieden war und von „einem eigenen kleinen Tief“ sprach. Mika sei eben „ein echter Zwilling im Sternzeichen“, erklärt seine Mutter Michaela Sosnova. Einer, der neben seinem offenen und ansteckend lebensfrohen Wesen im Training sehr akribisch und fokussiert ständig neue Methoden und Wurf-Geräte ausprobiere und auf Videos die Wurftechniken auch einiger legendärer deutscher Diskus-Koryphäen wie dem Hamburger Rolf Danneberg, Jürgen Schult oder Lars Riedel analysiere.

Bis zum Ende der Schule sei sie für ihn gleichzeitig „Supporterin, Köchin, Ärztin, Physiotherapeutin, Psychologin, Trainerin und Trainingspartnerin“ gewesen. Viele Jahre hätten sie und sein Trainer Mika oft im Grenzbereich ihrer zeitlichen und monetären Möglichkeiten betreut, sagt die alleinerziehende Mutter, die mit ihren drei Söhnen auf der Uhlenhorst lebt. „Aber jetzt ernten wir die Früchte, und das macht uns stolz!“

Aktiv bei der Bundeswehr

Auch der gemeinsame Olympiastützpunkt Hamburg und Schleswig-Holstein (OSP) mit 250 geförderten Bundeskaderathleten hat das Riesen-Potenzial des Hamburger Hoffnungsträgers für Olympia erkannt und unterstützt ihn bei seinem oft nicht einfachen Spagat zwischen sportlicher und beruflicher Laufbahn. Seit Herbst 2023 ist Sosna bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr mit Standort in Berlin, nach dem Sommer will er ein Fernstudium in Sportwissenschaft oder Sportmanagement beginnen. Daneben findet er genügend Zeit und Zeiten für das Training in der Jahnkampfbahn und in der Alsterdorfer Leichtathletikhalle. „Wir freuen uns sehr, dass Mika unsere umfangreichen Serviceleistungen wie Ernährungsberatung, Krafttraining und Physiotherapie nutzt“, betont OSP-Stützpunktleiterin Ingrid Unkelbach.

Den zahlreichen verlockenden Angeboten von US-amerikanischen Colleges oder den großen leichtathletischen Wurf- und Stoß-Zentren in Deutschland hat Mika Sosna bislang widerstanden. Die Begründung des gebürtigen Hamburgers: „Ich verändere ungern mein Umfeld, und wer gibt mir die Garantie, dass es an einem Bundesstützpunkt bessere Erfolgschancen für mich gibt?“

„Er ist eine Naturgewalt“

Der Spaß kommt bei Sonnyboy Sosna jedenfalls im derzeitigen Umfeld selten zu kurz. Besonders dann nicht, wenn er auf die anderen beiden fast gleichaltrigen deutschen Hoffnungsträger im Diskuswurf trifft, den Frankfurter U20-Weltmeister Marius Karges und Steven Richter aus dem Erzgebirge. Es sei schon „ziemlich cool, als Trio im XXL-Format bei großen Wettkämpfen aufzutreten“. „Dann verdecken wir den anderen schon mal die Sonne und es wird schnell dunkel“, sagt Sosna augenzwinkernd.

Sein Freund und Konkurrent Marius Karges bezeichnet Mika als „positiv Verrückten, der für seinen Sport sterben würde“. „Im Diskusring ist er mit seiner Explosivität eine Naturgewalt“, habe ihn ihr gemeinsamer Bundes-Nachwuchstrainer einmal treffend beschrieben. Kleiner Nachteil: Wegen seiner enormen Schnellkraft ist er berühmt für seine ungültigen Versuche und auch anfällig für Verletzungen. Sosnas sportliches Vorbild ist der eigenwillige Cottbuser Diskus-Olympiasieger Robert Harting. „Ich bin auch jemand, der sich nicht verbiegen lässt und immer sagt, was er denkt“, sagt er.

„Mika hat das Zeug zu einer Olympischen Medaille“, ist sein Trainer Juri Minor überzeugt, der selbst einmal Juniorenmeister in der damaligen UDSSR gewesen ist. Bei seinem ersten ganz großen Event, den Leichtathletik-Europameisterschaften in Rom am vergangenen Wochenende, musste der Youngster allerdings noch ein wenig Lehrgeld zahlen, er verpasste das Finale der letzten acht. Mit seiner neuen Bestmarke vom April hätte er bei der EM jedoch sogar auf dem Siegertreppchen gestanden. Und ein weiteres gutes Omen könnte vielleicht sein zusätzlicher Trainer sein, der ihn inzwischen bei Bundeskader-Lehrgängen und Wettkämpfen betreut: Torsten Lönnfors führte Robert Harting 2012 zur olympischen Goldmedaille.