Er war ein Großer und ein Großzügiger. Ein Fotograf, der Celebrities mit den gleichen Kameraaugen betrachtete, Alltagsmenschen und Tiere. Sein Filter war die Zugewandtheit, das Geld, um nicht zu sagen, Vermögen machte der Magnum-Künstler mit großartigen Auftrags-Aufnahmen, meist in „seiner“ Farbe, aber er war gleichermaßen gern einfach nur mit seiner Leica unterwegs und fotografierte, was kam. Vorbei ging. Oder da war. Für diese Aufnahmen wurde er im Grunde berühmter als für die Auftragswerke. Und natürlich die von John F. Kennedy und die zarten Bilder von Marilyn Monroe.
„Ich bin ein Taxifahrer, jeder kann mitfahren“, lautete sein Credo. Sein Humor. Er hat alles fotografiert, auch Militärlager. Aber nie Krieg. Dabei war es der Kriegsreporter Robert Capa, mit Henri Cartier-Bresson und weiteren, Gründungsmitglied von Magnum, der ihn 1953 offiziell einlud, Mitglied in der bedeutendsten Fotoagentur zu werden. Später agierte Erwitt dann lange als Präsident.
Sein zärtlicher Blick auf die Kuriositäten des Daseins, voller Humor, nie albern. Manches erst auf den zweiten Blick. Der Hund, der hinter der Küsten-Prozession von elf Frauen in Tracht hinterhertrottet. Die Internatsschüler in hochgekrempelten Anzughosen zwischen lauter Badenenden, der Mann mit Stock und Mappe, der in Krakau auf der Straße einer Frau im Kittelkleid galant die Hand küsst. Die beiden kurvigen Frauen mit gewelltem Haar und in Rosa, die untergehakt plaudernd, flott eine Straße überqueren.
Der Mann im Halbdunkel auf dem Dach mit Zigarette in die Hand gedreht, wie Bauarbeiter es oft machen, im Hintergrund ein rauchender Schlot. Die Liegestühle auf der Wiese, auf dem einen ein Bikini, auf dem anderen eine Soutane ordentlich wie zum Trocknen gelegt, daneben im Gras zwischen den Narzissen (!) „The Mail“ mit der Schlagzeile „Child in Sex-Kidnap“ – es gibt tausende von Aufnahmen, die fotografisches Archiv und Zeitdokumentation sind, Museumsware, aber auch wie Literatur zu lesen sind.
2010 traf ich ihn zum ersten Mal, in Mailand. Eine in vieler Hinsicht besondere Begegnung. In Italien war der Sohn russischer Emigranten, in Paris geboren, aufgewachsen, bis er 1939 als Elfjähriger mit seiner Familie in die sichereren USA zog. Er war seinerzeit nach Mailand gekommen, um ein Buch zu präsentieren, das er für Tod’s fotografiert hat, coole Italiener, aber auch Hunde, selbstverständlich, wie einen Terrier mit den berühmten Gommino-Noppenschuhen der italienischen Luxusmarke. Sein Faible für Hunde und Situationskomik war ein beherrschendes Sujet seines Oeuvre. Wieso Hunde? „Sie sind freundlich, stellen keine Fragen und wollen keine Abzüge.“ Was ist mit Katzen? „Ich toleriere sie.“ Erwitt war ein warmherziger, charmanter Mann. Bei seinen Antworten wusste man nie, ob er einfach die Humorfähigkeit seines Gegenübers testen wolle. In jedem Fall war er unterhaltsam. Wie seine Bilder, die einen nie kaltlassen, oft zum Lächeln bringen. Wenn nicht sogar Lachen. Und manchmal bleibt es einem auch im Hals stecken.
Sein Leben war nicht immer einfach. Aber er blieb stets versöhnlich. Und er hatte eine große Familie, Enkelkinder, viel Liebe. Es gibt viel zu erinnern von Elliott Erwitt. Auch die Feststellung: „Ich schaue lieber auf die schönen Seiten als die schlechten. Ist das falsch?“