Der 29. Mai 1453 zählt zu den historischen Daten, die eine Epochenwende markieren. Dabei war das Reich, dessen Metropole an diesem Tag fiel, nur noch ein winziger Fleck auf der Landkarte, waren seine Macht und sein Wohlstand bereits seit mehreren Generationen verflogen. Aber die Stadt war Konstantinopel, seit mehr als tausend Jahren Sitz des römischen Kaisertums und Zentrum der orthodoxen Christenheit. Mit ihrer Eroberung manifestierte der osmanische Sultan Mehmed II. seinen imperialen Anspruch. Von da an sollten der Nahe Osten und weite Teile des Balkan über Jahrhunderte hinweg von einem islamischen Weltreich beherrscht werden.
Im Grunde war es ein Wunder, dass das Byzantinische Kaiserreich sich überhaupt bis 1453 hatte halten können. Denn von der Eroberung Konstantinopels durch die Ritter des Vierten Kreuzzuges 1204 hatte sich Ostrom nie mehr erholt. Zwar gelang den Byzantinern 1261 die Rückgewinnung der Hauptstadt und damit der strategisch wichtigen Position am Bosporus. Aber die Handelsmächte Europas, allen voran Venedig und Genua, konnten sich so viele Pfründe sichern, dass Byzanz kaum noch in der Lage war, sich gegen die wachsende Macht der Türken in Anatolien und der Bulgaren und Serben auf dem Balkan zu behaupten.
Ende des 14. Jahrhunderts hatten die Sultane aus dem Hause Osman bereits weite Teile der Region unter ihrer Herrschaft vereint. Mit dem Bau der Festung Anadolu Hisari 1393/94 auf der kleinasiatischen Seite des Bosporus kontrollierten sie die Meerenge an ihrer engsten Stelle. Byzanz wurde damals von dem turko-mongolischen Heerführer Timur Lenk gerettet, der 1402 bei Ankara die osmanische Militärmacht vernichtete. Aber der Befreiungsschlag reichte nicht aus, um die alte Macht des Kaiserreiches zu restaurieren.
Stattdessen etablierten sich auf der Peloponnes und um Trapezunt Herrschaften, die nur noch lose mit Konstantinopel verbunden waren. Das galt auch für den Stadtteil Pera am gegenüberliegenden Ufer des Goldenen Horns, der 1273 den Genuesen überlassen worden war. Wie dramatisch die Lage war, bewies die Übergabe des wichtigen Thessaloniki an Venedig, um es vor einer Eroberung zu sichern. Es nützte nichts. 1430 fiel die zweitgrößte Stadt des Reiches an die Osmanen.
Da vom einstigen Reichtum von Byzanz nur noch blasse Erinnerungen geblieben waren, besaß Kaiser Konstantin XI. nur noch ein Mittel, um die Mächte Europas für ein Bündnis und damit substanzielle Unterstützung zu gewinnen: eine Union mit der römisch-katholischen Kirche, was unter den gegebenen Umständen auf eine Unterstellung unter Rom hinauslaufen musste. Der Vertrag, der auf dem Konzil von Ferrara und Florenz 1438–1445 zustande kam, gab sich denn auch wenig Mühe, den Triumph des Papstes zu kaschieren.
Die Macht des Kaisers reichte kaum aus, den Patriarchen von Konstantinopel und seine Bischöfe zur Annahme zu bringen, geschweige denn seine Untertanen. Und die orthodoxen Fürsten Osteuropas fühlten sich düpiert. Der einzige greifbare Gewinn war der Kreuzzug eines polnisch-ungarischen Heeres, das allerdings Ende 1444 bei Warna von den Türken aufgerieben wurde. Von da an beschäftigten sich die christlichen Mächte wieder mit ihren eigenen Streitigkeiten. Byzanz musste seinen letzten Kampf allein austragen.
Der Gegner war Mehmed II. Nachdem er sich im Kampf um die Thronfolge durchgesetzt hatte, schloss er mit Ungarn und Venedig Friedensverträge. Dann zog er seine Armee bei Edirne zusammen. Als mitentscheidend sollte sich das Angebot eines ungarischen Geschützgießer namens Urban erweisen. Der hatte zuvor Konstantin seine Dienste angeboten, war aber wegen seiner hohen Soldforderungen abgewiesen worden. Mehmed, der ein gebildeter Mann war und sich sehr für Technik interessierte, nahm dagegen an. Denn Urban entwickelte den Plan, mit großkalibrigen Geschützen Breschen in die mächtigen Mauern Konstantinopels zu schlagen.
Sein Meisterstück verfügte über ein Bronzerohr von sechs bis acht Meter Länge und 20 Zentimeter Dicke und soll zwölf Zentner schwere Kugeln abgefeuert haben. 15 Ochsenpaare und 700 Mann Begleitpersonal schleppten das Ungetüm von Adrianopel bis vor die Landmauern Konstantinopels. 68 weitere Geschütze mit kleineren Kalibern folgten, außerdem 20.000 Baschi-Bazuks – Irreguläre aus allen möglichen Ländern, die die Beute lockte – sowie 80.000 türkische Krieger, deren Kern die 12.000 Janitscharen bildeten, hoch trainierte Kriegssklaven, die sich zwangsweise aus Kindern christlicher Untertanen rekrutierten und zu fanatischen Moslems erzogen worden waren. Hinzu kam eine Flotte aus mehr als hundert Schiffen.
Dagegen konnte Konstantin nur 6000 griechische Kämpfer aufbieten. Da Venezianer und Genuesen angesichts der Bedrohung ihre Rivalitäten beilegten und einige hundert Mann aus Italien und Spanien eintrafen, kamen 3000 Ausländer hinzu (einige hundert Italiener setzten sich allerdings noch rechtzeitig ab). Während Papst Nikolaus V. auf Hilfsappelle setzte, schleppten sich konkrete Verhandlungen mit Venedig und Genua dahin, weil noch alte Schulden im Raum standen. Auch fürchteten die beiden Seemächte um ihre guten Handelsbeziehungen in die Levante.
Als Mehmed am 5. April 1453 vor Konstantinopel eintraf, standen ihm auf den Mauern gerade einmal 7000 Mann gegenüber. Aber diese kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, sodass erste Angriffe abgeschlagen werden konnten. Auch Versuche der Türken, mit Gräben unter den Mauern diese zum Einsturz zu bringen, scheiterten an der Aufmerksamkeit der Verteidiger.
Nachdem am 20. April vier Schiffe mit Nachschub die türkische Blockade durchbrochen und Pera erreicht hatten, entwarf Mehmed einen spektakulären Plan. Um die Kontrolle über das Goldene Horn zu gewinnen, ließ er in den Hügeln über Pera „bergaufwärts einen Graben anlegen, der mit Balken ausgeschlagen und dick mit Fett eingeschmiert war“, beschrieb ein türkischer Chronist das Unternehmen: „Als man die Windsegel hochgezogen hatte, glitten 30 Schiffe eins nach dem anderen wie über Wasser hinweg, bei Fahnenschwingen und Trommelwirbel, die Kanonen feuerten.“
Damit gewann Mehmed die Kontrolle über das Goldene Horn. Da in der Stadt die Nahrungsmittel knapp wurden, nahm Konstantin Verhandlungen mit dem Sultan auf, brach sie jedoch ab, weil dieser auf der kampflosen Übergabe beharrte. Aber auch im türkischen Lager drückten wachsende Verluste und Versorgungsprobleme auf die Moral. In einem Kriegsrat wurde daher ein letzter großer Sturmangriff für den 29. Mai beschlossen.
Den Verteidigern blieben die Vorbereitungen nicht verborgen. Nach einem gemeinsamen Gottesdienst begaben sie sich auf ihre Posten. Gegen zwei Uhr in der Früh begann der Angriff auf die sturmreif geschossenen Mauerabschnitte. Die erste Welle bildeten die Baschi-Bazuks. Hinter ihnen hatte Mehmed „eine Reihe Militärpolizisten aufgestellt, die mit Peitschenhieben und Streitkolben bewaffnet waren und Befehl hatten, sie anzutreiben“, erklärte der britische Byzantinist Steven Runciman in seinem Standardwerk „Die Eroberung von Konstantinopel 1453“. Dennoch wurden die Irregulären zurückgeschlagen.
Den erschöpften Verteidigern gelang es auch, die zweite Welle, bestehend aus regulären türkischen Kriegern, unter großen Mühen zurückzuwerfen. Auch an den Seemauern stockten die Angriffe. Dann schickte Mehmed seine Janitscharen nach vorn. Ein Zufall brachte die Entscheidung. Der Genuese Giovanni Giustiniani, der die Verteidigung am Nordabschnitt der Landmauer führte, wurde schwer verwundet. Während seine Leute ihn nach hinten trugen, blieb eine kleine Ausfallpforte im Bereich des Blachernen-Palast, die Kerkoporta, unbewacht. Durch sie gelangten einige Dutzend Janitscharen in die Stadt. Ihr Triumphgeschrei spornte die Kameraden jenseits der Mauern an, denen die kaiserlichen Truppen nichts mehr entgegenzusetzen hatten.
Einigen überladenen Schiffen gelang im folgenden Chaos die Flucht. Konstantin XI. soll sich seiner purpurnen Insignien entledigt haben. Er fiel im Kampf, sein Leichnam wurde nicht gefunden. „Köpfe trieben im Bosporus wie ,Melonen in einem Kanal’“, schreibt der britische Historiker Simon Sebag Montefiore. Drei Tage überließ der Sultan seinen Leuten die Stadt zum Plündern und Morden, dann nahm er Besitz von ihr.
Das war das Ende des Römischen Reiches. Unter Mehmed und seinen Nachfolgern, vor allem Selim I. und Süleyman I., wurde Konstantinopel das Zentrum eines Weltreichs, das Europa über Jahrhunderte in die Defensive zwang. Vieles vom intellektuellen Erbe Byzanz’ gelangte mit Flüchtlingen in den Westen und gab der Renaissance Auftrieb, die der Neuzeit Bahn brach. Ostroms kirchlicher Erbe aber wurde Moskau, das seine Großfürsten und Zaren zum „Dritten Rom“ proklamierten.