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Vitamin G Nr. 5 – für Health Professionals mit Weitblick

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Für Health Professionals mit Weitblick

VOM ERINNERN UND VERGESSEN

Wie Eltern Dr. Google nutzen

Hebammen bauen Hemmschwellen ab

NR. 5 NOVEMBER 2018

G


INHALT

DOSSIER:

FÜR DIE BEWOHNER 10 ACHTSAMKEIT UND SICH SELBST

ERINNERN/VERGESSEN Health Professionals unterstützen, wenn das Gedächtnis nach und nach verloren geht. Sie helfen, wenn Fähigkeiten nach einem Unfall plötzlich weg sind. Und sie bieten Hand, wenn schreckliche Erlebnisse nicht mehr vergessen werden können.

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Wer Menschen mit Demenz pflegt oder thera­ peutisch begleitet, muss Geduld und Kreativität mitbringen. Das zeigt der Besuch auf einer Demenzstation.

DAS GEDÄCHTNIS DER GENE 14 Umwelteinflüsse während der Schwangerschaft können sich beim Kind auf genetischer Ebene auswirken.

«SO MERKE ICH, 16 DASS ICH NICHT NUTZLOS BIN»

Viele Flüchtlinge sind traumatisiert. Mit Ergo­therapie lernen sie, wieder handlungs­fähig zu werden.

WESHALB WIR VERGESSEN MÜSSEN 22 Erinnerungen prägen unsere Persönlichkeit,

sind aber auch trügerisch, sagt Neuropsychologe Lutz Jäncke.

SPEKTRUM

FORSCHUNG

WEITERBILDUNG

4 News aus dem Departement

33 Je früher, desto besser

MEINUNG

Je eher Morbus Bechterew diagnostiziert wird, desto besser kann die Rückenwirbeler­ krankung behandelt werden.

Gesundheit

5 Ambulante Pflege hat ihren Preis

Daniela Händler-Schuster über die Sparpläne des Bundesrats im 28 Wie Mütter und Väter Dr. Google nutzen ambulanten Bereich. Bei Fragen zur Gesundheit des eigenen Kindes sind digitale Ratgeber eine wichtige Infor­ I M P O R T R ÄT mationsquelle für Eltern. 6 Gegen die Grabenkämpfe Emanuel Feusi leitet am De­ partement Gesundheit die Fach­ stelle für Interprofes­sionelle Lehre und Praxis.

TITELSEITE UND FOTOSTRECKE IM DOSSIER: «Das Bild zeigt meine Oma in den frühen 1930erJahren zwischen zwei Freundinnen. Es ist mein liebstes Erin­nerungsfoto von ihr. Meine Oma war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich habe von ihr gelernt, Dinge mit Humor anzu­gehen; ihren gesunden Menschenverstand hat sie der ganzen Familie mitgegeben. Sie ist fast 100 Jahre alt geworden.» Kerstin Jüngling, Dozentin und Fachbereichsleitung «Kommunikation und Transformation», Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Prävention

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STUDIUM 30 Angehende Hebammen

hinterfragen ihre Haltung

Bachelorstudentinnen über- denken Vorurteile gegenüber lesbischen, suchtkranken oder behinderten Frauen, die ein Kind erwarten.

K ARRIERE 32 Neuland Doktorat Teilnehmende des Doktorat­programms «Care and Rehabi­ litation Sciences» im Porträt.

G E W U S S T W I E!

34 Am Besten am Handgelenk Wie der Puls manuell gemessen wird und was man dabei über seine Qualität erfährt.

35 A G E N DA CAMPUS 36


EDITORIAL

«MÄNGISCH BRUCHTS NUR EN NUSSGIPFEL»

«Erinnerungen entziehen sich unserer Kontrolle»

I

ch gehe an einem Laden vorbei, aus dem es verführerisch duftet. Plötzlich blitzt sie auf, die Erinnerung: Ich finde mich wieder bei Oma auf dem ge­ blümten Sofa, während sie die warmen Nussgipfel aus dem Ofen holt. Der Geruch des Gebäcks lässt mir noch heute das Wasser im Mund zusammenlaufen, das Bild der fülligen, beschürzten Frau wohli­ ge Wärme durch den Bauch strömen. Allein der Biss in ein unscheinbares Sandküchlein, eine Madeleine, löst bei dem Protagonisten in Marcel Prousts Roman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» eine Flut von Erinnerungen aus, die in sie­ ben Bänden entfaltet werden.

Wie sein Vater hingegen nach und nach sein Gedächtnis verliert, hat der Österrei­ cher Arno Geiger unter dem Titel «Der alte König in seinem Exil» verdichtet: «Ich habe mir hier die Hände gewaschen», sagte der Vater einmal. «War das erlaubt?» «Ja, das ist dein Haus und dein Waschbecken.» Er schaute mich erstaunt an, lächelte verlegen und sagte: «Meine Güte, hoffentlich vergesse ich das nicht wieder!» Erinnerungen und ihr Verlust entzie­ hen sich viel mehr unserer Kontrolle, als uns lieb ist. So wie wir in schönen Erinne­ rungen schwelgen, so erliegen wir auch dem Sog böser Erlebnisse. Zu vergessen kann manchmal segens­ reicher sein als zu erinnern. Facetten von Erinnern und Ver­ gessen tauchen auch im Berufs­ alltag von Health Professionals auf: Diese begegnen manch alter Königin oder altem König auf dem Weg ins Exil. In die­ ser Ausgabe zeigen wir, wie Gesundheits­ fachleute Menschen unterstützen, mit dem Vergessen zu leben oder Vergessenes zu­ rückzuholen. Aber auch dabei, schlimme Erlebnisse zu verarbeiten. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch lange an diese Ausgabe des «Vitamin G».

Andreas Gerber-Grote

Direktor Departement Gesundheit

Sie haben die Möglichkeit, ausgewählte Beiträge online zu lesen und zu diskutieren: blog.zhaw.ch/vitamin-g

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SPEKTRUM

DAS EINSA MKEITS - BUCH

SNF- FORSCHUNGSPROJEKT

ONLINE- PL AT TFORM RHEUM AFIT

EINSAME MENSCHEN NICHT ALLEINE LASSEN

NACKENSCHMERZEN VERHINDERN

ÜBUNGSVIDEOS GEGEN RHEUMA

Einsamkeit ist gemäss Studien so schädlich wie Alkoholmissbrauch oder der Konsum von täglich 15 Zigaretten. Der deutsche Sachbuchautor und Pädagoge Thomas Hax-Schoppenhorst nimmt sich des Themas deshalb in «Das Einsamkeits-Buch» an. Das interdisziplinäre Praxishandbuch für Health Professionals stellt das Phänomen umfassend dar. Es liefert eine gesellschafts­ politische Analyse und beleuchtet die Einsamkeit aus medizinischer, psycho­ logischer, pflege- und sozialwissenschaftlicher sowie theolo­gischer Sicht. Das Handbuch will Gesundheitsfach­ leute für das Thema sensibilisieren und ihnen Wege aufzeigen, wie sie bei ihrer Arbeit ein­same Menschen ver­ stehen und unterstützen können. Drei Beiträge stammen aus der Feder von André Fringer, Co-Leiter des Master­ studiengangs Pflege und der Forschungs­ stelle Pflegewissenschaft am Departement Gesundheit.

Wer oft und lange am Computer sitzt, kennt ihn womöglich: einen verspannten und schmerzenden Nacken. Ins­besondere bei Büroangestellten sind unspezifische Nackenbeschwerden weit verbreitet, wie verschiedene Studien gezeigt haben. Wissenschaftlich hingegen noch wenig erforscht ist, welche Massnahmen am Arbeitsplatz geeignet sind, um Nackenschmerzen zu verhindern oder zu lindern. Dieser Forschungslücke nimmt sich ab nächstem Jahr ein Team von Schweizer Wissenschaftlern unter der Leitung des Departements Gesundheit der ZHAW an: Direkt am Arbeitsplatz von Studienteilnehmenden wird untersucht, mit welchen Interventionen Nackenschmerzen verhindert oder gelindert werden können und dadurch auch die Arbeitsproduktivität erhöht werden kann. Mehrere Partner sind am Projekt beteiligt: die Forschungsstellen für Gesundheitswissenschaften und für Physio­ therapie am Departement Gesundheit, das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, die Fachhochschule der italienischen Schweiz sowie die Ab­ teilung Arbeits- und Organisations­ psychologie des Instituts für Psychologie der Universität Bern. Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit rund 500 000 Franken vollumfänglich finanziert.

Rückenschmerzen und rheumatische Erkrankungen gehören zu den am weitesten verbreiteten Volkskrankheiten in der Schweiz. Mit «Rheumafit» hat die Schweizerische Vereinigung Morbus Bechterew in Kooperation mit der ZHAW eine Online-Plattform mit Trainings­ videos ins Leben gerufen. Diese ermöglicht es Menschen mit Morbus Bechterew oder einer anderen rheumatischen Erkrankung, Übungen selbständig zuhause durchzuführen. Die Übungsprogramme sind in Zusammenarbeit mit Karin Niedermann, Leiterin MSc Physiotherapie am Departement Gesundheit, entwickelt worden.

Das Einsamkeits-Buch Wie Gesundheitsberufe einsame Menschen verstehen, unterstützen und integrieren können Thomas HaxSchoppenhorst (Hrsg.) Hogrefe Göttingen 2018.

GESUNDHEIT VON KINDERN UND JUGENDLICHEN

ERGOTHERAPIE MIT FLÜCHTLINGS­KINDERN In der Schweiz leben derzeit rund 18 000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche als Asylsuchende oder vor­läufig Auf­ genommene. Die Folgen von Kriegsund Fluchterfahrungen sowie das Eingewöhnen in eine neue Kultur können diese jungen Menschen an der Teilhabe am Schulalltag und in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. In einem kürzlich gestarteten Forschungsprojekt untersucht das ZHAW-Institut für Ergotherapie deshalb, ob und wie ergothera­ peutische Massnahmen die schulische Partizipa­tion und die Lebensqualität 4

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von Flüchtlingskindern steigern können. Ge­plant ist, bei Kindern und Jugend­lichen mit Kriegs- und/oder Fluchterfah­ run­gen die zwei Faktoren vor und nach einer ergotherapeutischen Intervention zu untersuchen. Ziel des Projekts ist, Mach­barkeit und Nutzen von Ergotherapie bei jungen Menschen mit Fluchtund Kriegserfahrung im schulischen Kontext zu evaluieren. Langfristig will das Projekt dazu beitragen, durch die Er­höhung von Teilhabe und Lebens­ qualität kostenauf­wen­­digen Folge­ schäden vorzubeugen.

rheumafit.ch

ENTSCHEIDUNGSHILFE FÜR DEN ALLTAG

ETHIK FÜR MEDIZI­NISCHE BERUFE Ethische Fragen sind im Gesundheitswesen allgegenwärtig und gewinnen auch in der Ausbildung an Bedeutung. Allerdings ist es nicht so einfach, das theo­ retische Wissen zur Ethik in der Praxis umzusetzen. Hier schaffen Physiothe­ rapie-Dozentin Muriel Keller von der ZHAW und Ivo Wallimann-Helmer vom Ethik-Zentrum der Universität Zürich Abhilfe. Ihr Buch unterstützt Health Professionals in der Entscheidungsfindung bei ethischen Fragestellungen. Dafür haben sie ein Analyseraster für Einzelfälle entwickelt, das eine praxis­ taugliche Reflexionshilfe bietet.

Ethik für medizinische Berufe Muriel Keller, Ivo Wallimann-Helmer Versus Zürich, 2018.


MEINUNG

PHYSIOTHERAPIE, PFLEGE & HEBA MME

EIN NEUES KONZEPT FÜR DREI MASTER

Das Departement Gesundheit entwickelt seine Masterstudiengänge Hebamme, Pflege und Physiotherapie weiter. Dahinter steht die Aufhebung der Koopera­ tionsstudiengänge mit den Fachhochschulen Bern und St. Gallen. Die drei Schulen haben sich darauf geeinigt, die Zusammen­arbeit per 30. Juni 2019 zu beenden. Dieser Schritt erlaubt der ZHAW, die Masterstudiengänge inhaltlich zu schärfen sowie flexibler an Entwicklungen im Gesundheitswesen anzupassen. Die Neuausrichtung stärkt insbesondere die interprofessionelle Ausrichtung und die Nutzung interner Synergien. Die drei Berufsgruppen Hebamme, Pflege und Physiotherapie haben über die berufsspezifischen Anforde­ rungen hinaus einen ähnlichen Bedarf an weiterführenden Kompetenzen. So werden die Grundlagen für die Rolle als Advanced Practicioner, also zu Auf­ gaben, die über das traditionelle Tätigkeitsgebiet hinausgehen, künftig in gemeinsamen interprofessionellen Modulen vermittelt. Dazu ge­hören zum Beispiel Gesundheitspolitik, Pharma­ kologie oder die Kommunikation. Die interprofessionellen Lehrsettings stärken die Verständigung und die Kooperation zwischen den Professionen, was in der klinischen wie auch in der wissenschaftlichen Arbeit zunehmend wichtiger wird. Darüber hinaus erhalten die Studierenden der drei Master­stu­diengänge gemeinsam Unterricht in Forschungsmethoden. Diese werden mittels «blended learning» umgesetzt. Dabei werden verstärkt Online-Lehrund -Lernmethoden mit den traditio­ nellen Vorlesungen, Seminaren und Tuto­rials gemischt. Der international aus­gerichtete Master in Ergotherapie ist von dieser Revision nicht betroffen. zhaw.ch/gesundheit/master/

DANIELA HÄNDLER-SCHUSTER Professorin für gemeindenahe, integrierte Pflege

AMBUL ANTE PFLEGE HAT IHREN PREIS

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ie spitalexterne Pflege ist derjenige Bereich des Gesundheitswesens, der in den Industrieländern am stärksten wächst. Die Gründe sind einerseits die vermehrte Betreuung von Klientinnen und Klienten zu Hause, andererseits die aufgrund der demografischen Entwicklung wachsende Anzahl älterer Personen. Die Lebenserwartung steigt und mit ihr auch das Risiko, im All­tag mit einer oder mehreren chronischen Erkrankungen zurechtkommen zu müssen. Im Zuge dessen ist mit steigenden Kosten im ambulanten Sektor zu rechnen. Es gilt, die Angebote nicht nur quantitativ anzupassen, sondern auch qualitativ. Ambulante Versorgung kann nicht bloss heissen, Hilfe im Haushalt sicherzustellen. Sie bedeutet auch, Klientinnen und Klienten in sozial, psychisch und somatisch oftmals komplexen Si­tua­ tionen eine sichere, fachlich kompetente und zuverlässige Pflege anbieten zu können. Bereits heute ist die ambulante Betreuung und Pflege hochspezialisiert und zeitaufwendig. Es ist deshalb ernsthaft zu hinterfragen, ob der Ansatz der Kostenneutralität

und die damit verbundene Kürzung der Krankenkassenbeiträge an den ambulanten Sektor, wie sie vom Bundesrat vorgeschlagen wurde, zielführend sind. Trotz diverser Angebote in verschiedenen Bereichen wie zum Beispiel Haushalt, Betreuung, spezialisierte Pflege, Pallia­tive Care oder Beratung ist der Sektor noch sehr wenig auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet. Und er ist bereits heute unter anderem aufgrund der tiefen Pflegepauschalen knapp finanziert. Eine Anpassung dieser Pauschalen wäre im Hinblick auf den tatsächlichen Pflegeaufwand längst fällig. Umso mehr ist nun von Bedeutung, dass der Bundesrat den ange­kündigten runden Tisch baldmöglichst einberuft, die Pflegepauschalen anpasst und die Restfinanzierung durch die Kantone klärt. Es sollte für die Schweiz in Zukunft möglich sein, dass Personen mit einem Unterstützungs- und häufig komplexen Pflegebedarf kompetente und sichere Pflege zu Hause erhalten. //

blog.zhaw.ch/vitamin-g

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RUBRIK

Vom Maschinenmechaniker zum Pflege­ fachmann: Wegen einer Allergie auf Metalle und Kühlmittel wechselte Emanuel Feusi in jungen Jahren den Beruf.

GEGEN DIE GRABENKÄMPFE Zwischen den verschiedenen Berufs­ gruppen am Spitalbett kommt es häufig zu Reibereien. Wie das Departement Gesund­heit das Verständnis füreinander bereits während des Studiums fördert, erklärt Emanuel Feusi, Fachstellen­leiter für Interprofes­sio­nelle Lehre und Praxis. VO N A N D R E A S Ö L D I

B

ei einem Patienten, der am Knie operiert wurde, wird eine Pflege­ fachfrau wohl vor allem auf eine gute Wundheilung fokussieren. Aufgabe des Physiotherapeuten ist es der­ weil, die Funktion des Gelenks zu verbes­ sern, während sich die Ergotherapeutin dafür interessiert, wie sich die Beeinträch­ tigung im Alltag auswirkt. «Vertreter ver­ schiedener Gesundheitsberufe haben ihre je eigenen Blickwinkel und Vorgehenswei­ sen», sagt Emanuel Feusi. Dies könne bei

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der Zusammenarbeit zu Irritationen füh­ ren. Sein Auftrag ist es, das Verständnis für­einander bereits während der Ausbil­ dung zu fördern. «Die Studierenden sollen erkennen, dass andere Gesundheitsfach­ leute genauso kompetent sind, aber eine andere Aufgabe wahrnehmen», erklärt der Leiter der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis am Departement Ge­ sundheit. Der gelernte Pflegefachmann kam 2007 an die ZHAW. Zuvor hatte er als Praxis­

ausbildner am Triemlispital in Zürich ge­ arbeitet und an der Krankenpflegeschule Zürich unterrichtet. «Die Schulen der ver­ schiedenen Gesundheitsberufe hatten da­ mals kaum Berührungspunkte», erinnert sich der 58-Jährige. Mit der Ansiedlung von fünf Bachelorstudiengängen unter dem Dach des Departements Gesundheit seien die Voraussetzungen für eine Verständi­ gung bedeutend besser. Etwa ein Sechstel der Ausbildung erfolgt heute berufsüber­ greifend. «Am Anfang ging es vor allem darum, Synergien zu nutzen», sagt Feusi. Unterdessen reichen die Ziele darüber hinaus: Angehende Pflegefachpersonen, Phy­­sio- und Ergotherapeutinnen, Hebam­ men sowie neu auch Gesundheitsfördere­ rinnen und -förderer sollen nicht nur mit­ einander, sondern auch übereinander und voneinander lernen. Bereits ab dem ersten Semester setzen sich die Studierenden gemeinsam mit Kommunikation und wissenschaftlichem Arbeiten auseinander. Ein Höhepunkt der interprofessionellen Ausbildung ist stets das vierwöchige Modul im Januar, bei dem


RUBRIK

sämtliche Studierende im fünften Semes­ ter plus zahlreiche ausländische Gäste zu­ sammenkommen. Rund 500 Personen widmen sich herausfordernden Situa­tio­ nen der Berufspraxis sowie Themen der Zusammenarbeit. Zum Beispiel üben pro­ fessionell gemischte Gruppen, wie man Personen begegnet, die sich in einer emo­tionalen Ausnahmesituation befinden S­chau­spielerinnen simulieren Frauen, die ein Kind verloren haben, oder Personen, die soeben mit einer schwerwiegen­den Diagnose konfrontiert wurden. Die Organisation der Riesenveranstaltung sei äusserst anspruchsvoll, sagt Feusi. Gespräche bringen kein Geld Er selbst ist in den Unterrichtszimmern nur gelegentlich anzutreffen. Seine Aufga­ be ist die Koordination und Entwicklung der interprofessionellen Lehr- und Lern­ angebote auf Bachelorstufe. Hilfreich ist ihm dabei unter anderem ein Nachdip­ lomstudium in Management und Gesund­ heitsökonomie. «Die zahlreichen involvier­ ten Fachpersonen im Gesundheitswesen sowie falsche Finanzierungsanreize sind einer zielgerichteten Behandlung oft nicht förderlich», ist Feusi bewusst ge­worden. Zum Beispiel würden Ärzte und Gesund­ heitsfachleute viel zu selten miteinander telefonieren, um die Behandlung ab­ zu­ stimmen, weil mündliche Absprachen nicht entschädigt werden. «An den Schnittstellen der Be­ treuungs- und Behand­ lungskette entstehen häu­ fig Fehler», weiss Feusi und verweist auf Stu­dien aus den USA, die Kom­ plikationen und so­ gar Todesfälle aufgrund von Kommunikationsdefizi­ ten nachgewiesen haben. Den Handlungsbedarf hat nun auch das Bundesamt für Gesundheit erkannt. Um die Effizienz der Zusammenarbeit zu stei­ gern, hat es dem Departement Gesundheit einen Forschungsauftrag erteilt. Das Ziel ist, Kompetenzen zu definieren, die eine gute Zusammenarbeit ermöglichen, und diese in der Ausbildung zu fördern. Dazu gehören etwa Respekt füreinander, Offen­ heit sowie Kommunikations- und Reflexi­ onsfähigkeit.

Anästhesiepfleger die praktische Arbeit am Krankenbett noch sehr präsent. Er sei immer gern mit Menschen in Kontakt ge­ wesen, sagt Feusi. Auf die Idee, eine Pfle­ geausbildung zu machen, kam er aber erst, als er gegen Ende seiner Lehre zum Ma­ schinenmechaniker eine massive Allergie auf Metalle und Kühlmittel entwickelte. «Während eines Praktikums im Spital hat mich die Begeisterung für diesen Beruf ge­ packt», erzählt der heutige Fachstellen­ leiter. Im Laufe seiner rund zehn Jahre Pflegeerfahrung erlebte er selbst, was es heisst, mit anderen Berufsgruppen zusam­ menzuarbeiten. Im Alltag komme es im­ mer wieder zu kleinen Machtdemonstra­ tionen untereinander, besonders zwischen Ärzten und Pflegenden. Er selbst habe ein­ mal eine unerfahrene Assistenzärztin auf der Anästhesie in praktische Techniken wie Infusionen legen und Intubieren ein­ geführt. Später, als sie Oberärztin war, habe sie ihm vorschreiben wollen, wie er vorzugehen habe, erinnert sich Feusi. «Ich war konsterniert.» Um auch die angehenden Ärztinnen und Ärzte für eine bessere Zusammen­ arbeit zu gewinnen, steht das Departe­ ment Gesundheit deshalb in Kontakt mit der Medizinischen Fakultät der Univer­ sität Zürich. Feusi ist zuversichtlich: «Wir stossen zunehmend auf offene Ohren.» Ein wichtiges Pilotprojekt in diesem Zu­ sammenhang ist die Zürcher Interprofessio­ nelle Ausbildungsstation (ZIPAS) am Universitäts­ spital Zürich. Dort über­ nehmen Studierende un­ ter­schied­licher Gesund­ heitsberufe und Bildungs­ stufen unter Su­pervi­sion gemeinsam die Verant­ wortung für Pa­ tienten. Die Idee lehnt sich an die bereits beste­ henden Health Universities skandinavi­ scher Länder an, wo Studierende aller Ge­ sundheitsberufe einen beachtlichen Teil der Ausbildung gemeinsam absolvieren.

«An den Schnitt­s tellen der Betreuungsund Behandlungskette entstehen häufig Fehler.»

Unbeliebt, aber lehrreich Auch das Departement Gesundheit will das Modell der Health Universities Schritt für Schritt verwirklichen und den Unter­ richt immer stärker überprofessionell ge­ stalten. Feusi ist sich bewusst, dass die Auch die Ärzte einbinden Studierenden den Ansatz oft etwas müh­ Obwohl er heute vorwiegend mit Compu­ sam finden; einerseits aufgrund der ter und Telefon hantiert statt mit Blut­ unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, druckgerät und Spritze, ist dem früheren anderseits bedeuten interprofessionelle

Gruppenarbeiten stets einen organisatori­ schen Aufwand wegen der anders gestalte­ ten Stundenpläne, die das Abstimmen der Termine verkomplizieren. «Die Schwierig­ keiten bilden ziemlich genau die spätere Situation in der Praxis ab», lacht Feusi. Während frisch Diplomierte die interpro­ fessionellen Elemente bei Absolventenbe­ fragungen eher kritisch beurteilen, fallen die Bewertungen mit zunehmender Berufs­ erfahrung positiver aus. Die Überwindung von Gräben zwi­ schen den Berufsgruppen sei elementar, um die künftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen zu meistern, ist Ema­ nuel Feusi überzeugt. «Mit der alternden Gesellschaft und zunehmendem Fach­ kräftemangel müssen wir Leerläufe unbe­ dingt vermeiden.» //

EMANUEL FEUSI Dipl. Pflegefachmann HF Kantonsspital Aarau; Universitätsspital Zürich Anästhesiepfleger/ Betriebs­ausbildner Stadtspital Triemli Zürich Berufsschullehrer, Teamleiter/ Ausbildungsverantwortlicher Krankenpflegeschule Zürich Leiter Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis; Stv. Leiter Institut für Gesundheitswissenschaften am Departement Gesundheit

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«Neben meiner Tätigkeit als Forscher an der ZHAW bin ich leidenschaftlicher Musiker. Das liegt nicht zuletzt an dieser Gitarre: Mein Vater hat sie mir geschenkt, als ich zwölf Jahre alt war. Damals wollte ich unbedingt «Suzanne» von Leonard Cohen lernen. Damit ich die Gitarre als Links­händer überhaupt spielen konnte, musste mein Vater zu­erst die Saiten umspannen. Inzwischen ist sie kaputt. Aber ich möchte sie nicht weg­werfen – sie ist ein wichtiges Erinnerungs­stück.» Dominik Robin, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften


DOSSIER|ERINNERN/VERGESSEN

E R I N N E R N/ VERGESSEN Es reicht ein Bild, ein Geruch, ein Lied – und schon sind sie da, die Erinnerungen. Sie erfreuen uns meistens, quälen uns manchmal, prägen uns in jedem Fall. Doch was ist, wenn Erinnerungen verschwinden? Oder aber so stark werden, dass sie uns lähmen? Dieses Dossier befasst sich mit verschiedenen ­Seiten des Erinnerns und Vergessens. Und es zeigt auf, wie Gesundheitsfachleute Menschen unterstützen, denen eine Demenz oder eine Hirnverletzung die Erinnerungen genommen hat. Oder ein traumatisches Erlebnis die Fähigkeit, zu vergessen.

Auf den ganzseitigen Porträts zum Dossierthema zeigen Studierende und Mitarbeitende des Departements Gesundheit ihre liebsten Erinnerungsstücke und erzählen, welche Geschichte dahintersteckt. Ein Video mit diesen und weiteren Porträtierten finden Sie online.

zhaw.ch/gesundheit/vitamin-g

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DOSSIER|ERINNERN/VERGESSEN

ACHTSA MKEIT FÜR DIE BEWOHNER UND SICH SELBST Wer Menschen mit Demenz pflegt oder therapeutisch begleitet, muss viel Geduld und Kreativität mitbringen. Am KZU Kompetenzzentrum Pflege und Gesundheit in Embrach arbeiten Fachleute verschiedener Disziplinen Hand in Hand. VO N E V E L I N E RU TZ

Am KZU Kompetenzzentrum in Embrach gibt es für Menschen mit Demenz eine Vielzahl an Therapien. Wann immer möglich, werden sie zudem in tägliche Verrichtungen eingebunden.

A

n den Tischen im Schatten trinken Bewohnerinnen und Bewohner gerade ihren Kaffee. Eine Rutschbahn, ein Klettergerüst und Bobbycars in allen Farben deuten darauf hin, dass im Garten des KZU Kompetenzzentrums Pflege und Gesundheit in Embrach gleich noch mehr Betrieb herrschen wird. Nach dem Mittagsschlaf wird es auch die Kinder der betriebseigenen Kindertagesstätte «Froschkönig» nach draussen ziehen. «Hier finden wertvolle Begegnungen statt», sagt Daniela Frehner, Leiterin der stationären Physio- und Ergotherapie. Diese liessen sich therapeutisch nutzen. Eine Frau habe kürzlich ein Kind in einem hüfthohen Spielauto herumgeschoben; gemeinsame «Spaziergänge» auf dem unebenen Gelände machten allen Beteiligten Freude. «Wir integrieren unsere Arbeit in den Alltag und arbeiten eng mit dem Pflegepersonal zusammen», sagt die erfahrene Therapeutin. So sitzen alle Bewohnerinnen und Bewohner, die an der Kaffeerunde teilnehmen, auf einem normalen

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Gartenstuhl. Viele mussten dafür aus einem Rollstuhl aufstehen und sich wieder hinsetzen. Sie haben sich dadurch zusätzlich bewegt. Mit einer Demenzbetroffenen, die verbale Informationen nicht mehr gut umsetzten kann, pflückte Daniela Frehner kürzlich Blumen. Erst sammelten die beiden Frauen hoch gewachsene Exemplare, schliesslich bückten sie sich bis zu den Gänseblümchen hinunter. Sie machten mehrere Dutzend Kniebeugen, ohne sich dies bewusst vor Augen zu führen. Mit vergleichbaren physiotherapeutischen Übungen hätte die Bewegungsfachfrau kaum denselben Erfolg gehabt. A N G E B O T E W E R D E N KO M B I N I E R T

Auf dem Rundgang durch die Abteilungen mit insgesamt rund 120 Plätzen betont Daniela Frehner die interprofessionelle Zusammenarbeit. «Wir stimmen verschiedene Therapieangebote individuell ab», sagt sie und verweist auf die


DOSSIER|ERINNERN/VERGESSEN

breite Palette von Physio-, Ergo-, Aktivierungs-, Musik-, Kunst- und Gestaltungstherapie. In Gesprächen diskutieren Vertreter der unterschiedlichen Disziplinen über Ressourcen, Ziele sowie Fördermassnahmen. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden so weit als möglich in tägliche Verrichtungen einbezogen; der Wäscheständer auf einem der Balkone zeugt davon. Sie haben zudem die Möglichkeit, ihrem teils stark ausgeprägten Bewegungsbedürfnis in geschütztem Rahmen nachzugehen. Auf den Wohngruppen stehen Ergometer; einige Korridore sind als Endlosschleife angelegt und laden mit Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Die Architektur ist zurückhaltend: Die warmen Farbtöne der Wände und der dunkle Boden vermitteln Sicherheit.

tenden des KZU regelmässig mit den Angehörigen aus. Diese sind Experten für ihre Liebsten und auf den Abteilungen sowieso stets willkommen. Besonders komplexe Situationen thematisieren die medizinischen Fachleute in der Ethikgruppe. Sie diskutieren beispielsweise darüber, ob jemand in seinem Bestreben, ohne Hilfe zu gehen, gestärkt werden soll, obwohl er sich dabei verletzen könnte. Gemeinsam wägen sie die Prinzipien «Respekt vor der Autonomie» sowie «Fürsorge» gegeneinander ab und gelangen zu einem breit abgestützten Entscheid. «Das ist enorm hilfreich und entlastend», so Physiotherapeu­tin Frehner. // blog.zhaw.ch/vitamin-g

AU FM E R K S A M K E I T AU F S H I E R U N D J E T Z T L E N K E N

Marlies Petrig, Leiterin Health Care Services, beschreibt die Arbeit mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, als äusserst anspruchsvoll. «Die Betroffenen merken sofort, wenn man mit den Gedanken an einem anderen Ort ist – sie brauchen Konstanz und Ruhe.» Die Mitarbeitenden müssten nicht nur über viel Empathie und Geduld, sondern auch über eine hohe Fachlichkeit verfügen. So stelle es beispielsweise eine Herausforderung dar, bei einer Person, die sich nicht mehr mitteilen könne, Schmerzen einzuschätzen. «Menschen mit Demenz sind stark vom Personal abhängig», sagt die CoGeschäftsführerin weiter. Sie achtet bei der Rekrutierung daher auf einen hohen Grad an Integrität. Daneben legt sie Wert auf gute Deutschkenntnisse, da Demenzerkrankte ihre sprachlichen Fähigkeiten einbüssen. Was das Krankheitsbild für Pflege und Betreuung bedeutet, wird den Mitarbeitenden auch in internen Schulungen vermittelt. Sie lernen etwa, wie sie reagieren können, wenn Betroffene in ihrer eigenen Welt sind; wenn eine Frau beispielsweise darauf wartet, dass sie von ihrem verstorbenen Mann abgeholt wird. Eine Bezugsperson könnte in diesem Fall sagen: «So, Sie warten auf ihren Mann. Ihr Mann hat immer viel gearbeitet, nicht wahr? Schauen Sie, wir haben ebenfalls noch viel zu erledigen. Putzen wir doch zusammen den Tisch.» So wird das Erleben der Bewohnerin ernst genommen und ihre Aufmerksamkeit wird sanft auf das Hier und Jetzt gelenkt. Fachleute sprechen von Validieren. M I T AG G R E S S I O N E N U M G E H E N

«Es kann zu Situationen kommen, die einen stark herausfordern», sagt Daniela Frehner, die am Institut für Physiotherapie der ZHAW Geriatrie lehrt. Im Umgang mit Nähe und Distanz brauche es eine professionelle Haltung, aber ebenso Achtsamkeit und Fürsorge für sich selbst. Fühlen sich Demenzbetroffene unverstanden oder überfordert, können sie mit Aggressionen reagieren. «Zieht sich die Betreuungsperson etwas zurück, reduziert sie das Tempo und wird das Umfeld ruhiger gestaltet, entspannt sich die Situation häufig.» Reagiere jemand herausfordernd, habe dies immer einen Grund, gibt Marlies Petrig zu bedenken. Diesen gelte es aufzuspüren. «Man muss äusserst aufmerksam sein.» Um möglichst viel über die Biografie und die Vorlieben der Bewohnerinnen und Bewohner zu wissen, tauschen sich die Mitarbei-

DAS VERGESSEN KOMMT SCHLEICHEND Demenz ist eigentlich ein Oberbegriff für mehrere Er­kran­kungen. In rund 50 Prozent der Fälle handelt es sich um eine Alzheimer-Krankheit und in etwa 25 Prozent um eine vasku­läre, also gefässbedingte, Demenz. Misch­formen machen den Rest aus. Gemäss der Schweize­rischen Alzheimer­vereinigung lebten 2014 rund 113 000 Betroffene in der Schweiz. Jährlich erkran­ ken rund 27 000 Menschen neu an einer Demenz. Eine Erkrankung beginnt meist schleichend. Sie ent­wickelt sich über mehrere Jahre und zeigt sich unter anderem in einem fortschreitenden Gedächtnisverlust. Die Betrof­ fenen büssen Fähigkeiten etwa in der Handlungs- und Planungskompetenz ein. Ihre Lernfähigkeit nimmt ab, sie machen Fehler beim Sprechen und Rechnen und sind im Sehen, Hören sowie Tasten zunehmend ein­ geschränkt. Die Krankheit kann auch die Persönlichkeitsstruktur verändern und dazu führen, dass jemand seine Angehörigen nicht mehr erkennt. Demenz führt meist zu einer schweren Pflegebedürftigkeit. Mehr als die Hälfte der Betroffenen in der Schweiz wird dabei durch Angehörige zu Hause betreut. «Das Verant­ wortungsgefühl ist in Familien gene­rell hoch», sagt Daniela Händler-Schuster, Profes­sorin für gemeindenahe, integrierte Pflege an der ZHAW. Als belastend beschreibt sie, dass sich Erkrankte in ihrer Lebensweise, ihrem Verhalten und ihrer Kommunikation häufig verändern. Diese Fremdheit verunsichere Angehörige und stimme sie traurig. Hinzu kämen manchmal ein Be­wegungsdrang und Aggressionen. «Das kann An­gehörige überfordern und dazu führen, dass sie sich schämen», so Daniela Händler-Schuster. Wer sich um eine Person mit Demenz kümmere, sei oft rund um die Uhr eingebunden. Dies könne zu Isolation und Einsamkeit führen. Umso wichtiger seien Unter­stützungs- und Entlastungsan­ge­bote in Beratung sowie Pflege. alz.ch

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DOSSIER|ERINNERN/VERGESSEN

«ICH HABE ZWEI LEBEN GEFÜHRT» Eva Geiser hat sich sieben Jahre lang um ihre Mutter gekümmert, die an Demenz erkrankt war. Immer mit dem Gefühl, nicht genug zu tun. Geholfen hat ihr der Austausch mit anderen betreuenden Angehörigen. VO N E V E L I N E RU TZ

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Der Zustand ihrer Mutter verschlechterte sich stetig. Das Gedächtnis liess die Demenzkranke zunehmend im Stich, sie schaffte es nicht mehr, den Alltag zu organisieren. Hatte sie einen guten Moment, rea­lisierte sie, dass sie ohne die Hilfe der Tochter aufgeschmissen wäre. «Alleine hätte ich nicht hierher gefunden», sagte sie einmal nach einer Autofahrt. Und als sie eine Generalvollmacht unterschrieb, meinte sie, «nun bin ich dir ausgeliefert», und lachte.

DAU E R N D P R Ä S E N T Z U S E I N , B E L A S T E T s begann mit Terminen, die sich ihre Mutter nicht Eva Geiser nahm der einst umtriebigen und geselligen Frau mehr merken konnte. Einmal schreckte sie aus dem immer mehr ab; sie traf viele Entscheide allein. Das Gefühl, Mittagsschlaf auf, als Handwerker an der Türe klin24 Stunden am Tag für jemanden verantwortlich zu sein, zehrgelten. Ein anderes Mal war ihr ein Notizzettel ein te an ihren Kräften. Als sie schliesslich mit einer schweren Rätsel, auf dem sie eine Zeit festgehalten hatte. «Dabei hatte Grippe im Bett lag, realisierte sie, sie einmal ein gutes Gedächtnis, dass es so nicht weitergehen konnsie kannte alle Namen und Telete. «Ein Schlüsselerlebnis», sagt fonnummern», erzählt Eva Geiser. sie im Rückblick. Nach einem Jahr Kurz nach ihrer Pensionierung Wartezeit erhielt sie die Nachricht, stellte die Winterthurerin bei ihdass im nahen Altersheim ein rer Mutter erste Anzeichen einer Zimmer frei werde. Kurz vor WeihDemenz fest. Ihr älterer Bruder, nachten konnte ihre inzwischen der im Elternhaus sein Atelier ge94-jährige Mutter einziehen. habt hatte, war eben gestorben. Sie lebte sich gut ein. Ihre MöIhre Mutter trauerte und brauchte bel gaben ihr das Gefühl, in einem im Alltag zunehmend Hilfe. heimeligen «Stübli» zu sein, wie Nach einem Spitalaufenthalt sie es aus dem Elternhaus kannte. begann Eva Geiser, die damals Die Zimmerzahl konnte sie sich 88-Jährige zum Einkaufen zu fahdank einer Eselsbrücke merken. ren, sie täglich anzurufen und an Wenig anfangen konnte sie mit eidie Medikamente gegen den Blutner alten Freundin, die im gleihochdruck zu erinnern. Hinzu kachen Altersheim lebte und ebenmen administrative Aufgaben. Die falls an Demenz litt. Deren VerTochter erledigte die Rechnungen, halten befremdete sie. Dafür er­füllte die Steuererklärung aus. zählte sie viel von ihrer abenteu«Ich führte zwei Leben», sagt sie. erlichen Hochzeitsreise, die sie «Mein eigenes und das meiner nach Südamerika geführt hatte. Mutter.» Dabei habe sie stets ein Vor allem die Pumaspuren, die sie schlechtes Gewissen geplagt. «Ich Eva Geiser war in der Betreuung ihrer Mutter lange auf sich allein gestellt. eines Morgens neben ihrem Zelt habe mir vorgeworfen, ich könnte entdeckt hatte, erwähnte sie gerne. mehr tun.» Nach 15 Monaten im Heim starb sie infolge einer Lungenentzündung nur einen Tag vor ihrem 95. Geburtstag. ANDEREN GEHT ES ÄHNLICH Ihre Mutter habe einen guten Lebensabend gehabt, sagt Eva Geiser informierte sich in Zeitungen, im Internet und Eva Geiser beim Gespräch an ihrem Esstisch. Drei Jahre sind beim Hausarzt. Sie traf in einer Gruppe andere betreuende seit dem Tod vergangen. Nun hat die 74-Jährige wieder Kraft Angehörige und tauschte sich mit einer Nachbarin aus, die und Zeit für eigene Interessen. Für die Malerei etwa, die sie sich um ihren Vater kümmerte. «Da habe ich gesehen, dass schon oft auf Reisen geführt hat. Die Betreuung habe sie zuich mit meiner Situation nicht allein bin.» In der Betreuung weilen überfordert, sagt sie. Zentral sei unter anderem, nicht ihrer an Demenz erkrankten Mutter war die ehemalige Apoam guten Willen eines an Demenz erkrankten Menschen zu thekerin allerdings lange auf sich gestellt. Es waren keine zweifeln. Zu vielem sei er schlicht nicht mehr fähig. BetroffeVerwandten da, die sie ab und zu hätten ablösen können. Sie nen Angehörigen rät sie, sich möglichst früh zu vernetzen und musste sich selbst organisieren. Für die tägliche KörperpfleEntlastung zu organisieren. Und: Sie dürften keine Perfektion ge engagierte sie die Spitex. Daneben konnte sie auf die Unanstreben. «Irgendwann habe ich mir gesagt, ich mache, was terstützung einer Raumpflegerin und eines Gärtners zählen. ich kann. Sollte dies nicht reichen, ist es Schicksal.» //

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«Ich organisiere an meinem Ge­burtstag jeweils eine Motto­party. Das Motto im letz­ten Jahr war: Das Leben ist schön, man muss es nur durch die richtige Brille betrachten. Eine Freundin hat mir diese selbst ge­bastelte Brille mitge­­bracht – mit einem Zebra, weil ich diese Tiere so mag. Die Brille ist ein Erinnerungsstück an diesen schönen Abend: Es waren meine Familie und meine Freunde zu Besuch, wir hatten ein tolles Fest.» Caroline Suter, Bachelorstudentin Hebamme, 7. Semester


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DAS GEDÄCHTNIS DER GENE Von unseren Eltern erben wir mehr als nur ihre Gene. Eine Mutter kann auch körperlichen oder psychischen Stress, den sie während der Schwangerschaft erlebt, an ihr Kind weitergeben. Dafür verantwortlich sind epigenetische Prägungen. VO N M I C H A E L BAC H M A N N

Subtile Veränderungen der Erbsubstanz: Die Epigenetik wirkt an der Oberfläche des DNA-Strangs.

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m Zweiten Weltkrieg blockierten die Nazis sämtliche Transporte von Nahrungsmitteln in die Nieder­lande. So litten im Winter 1944 über 4,5 Millionen Menschen Hunger – darunter Tausende von schwangeren Frauen. Sie mussten mit weniger als 800 Kilokalorien pro Tag durchkommen. Das ist nicht einmal ein Drittel des Tagesbedarfs einer Schwangeren. Dieser Mangel hinterliess Spuren bei den ungeborenen Babys. Die meisten von ihnen waren bei der Geburt zu klein und zu leicht. Und heute, im Erwachsenenalter, leiden sie auffällig häufiger an gesundheitlichen Beschwerden als ihre Geschwister, die vor oder nach ihnen zur Welt kamen, etwa an Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselkrankheiten. Das zeigen mehrere Untersuchungen internationaler Forschungsgruppen. Ein Ergebnis aber liess die Wissenschaftler besonders aufhorchen: Brachten die Kinder des Hungerwinters später selber Babys zur Welt, waren auch diese untergewichtig – ungeachtet der Zeit des heutigen Überflusses. Fast schien es, als hätten die Grossmütter das Leid des Weltkriegs über zwei Generationen hinweg an ihre Enkel weitervererbt. DIABETES ALS FOLGE EINES STUR MS

Der Schluss ist nicht ganz falsch. Allerdings erfolgte die Vererbung dieses Traumas nicht direkt über das Erbgut. Vielmehr 14

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fanden Wissenschaftler bei den Kindern des Hungerwinters subtile chemische Veränderungen an der Oberfläche der Erbsubstanz: Bei bestimmten Genen fehlten sogenannte Methylierungen, wie eine Studie holländischer und amerikanischer Biologen aus dem Jahr 2008 zeigt. Diese Methylierungen bestehen aus wenigen Kohlen­stoff- und Wasserstoffatomen, die sich an den DNAStrang anheften. Je nachdem, an welchen Stellen und mit welcher Häufigkeit das geschieht, werden einzelne Gene ein- oder ausgeschaltet. Die Summe dieser chemischen Veränderungen des Erbguts bezeichnet man als Epigenom (siehe Box). In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder Aufsehen erregende Studien, aus denen hervorgeht, dass Mütter ihren Kindern tatsächlich gewisse epigenetische Prägungen weitergeben können. Wiederholt wurde gezeigt, dass sich nicht nur lebensbedrohliche Mangelernährung im Epigenom der Kinder niederschlägt, sondern auch Stress. Das «Project Ice Storm» beispielsweise untersucht kanadische Kinder, die im Januar 1998 im Bauch ihrer Mütter heranwuchsen. Zu dieser Zeit fegten mehrere Stürme über Quebec und bedeckten die Stromleitungen mit einer dicken Eisschicht. Drei Millionen Menschen mussten ohne Strom auskommen – und zwar während sechs Wochen. Für die damals schwangeren Frauen ein grosser Stress, dessen Folgen ihre Kinder heute, zwanzig Jahre später, spüren: Sie leiden deutlich häufiger an Übergewicht, Diabetes, Asthma und Autismus als Kinder anderer Jahrgänge. Und auch bei diesen Kindern findet man ein verändertes epigenetisches Muster. R I S I KO FA K T O R E N W E R D E N Z U W E N I G E R FA S S T

Wie viel Stress braucht es denn, damit sich das epigenetische Muster eines Kindes während der Schwangerschaft dauerhaft verändert? «Das ist schwierig zu fassen», sagt Susanne Grylka, stellvertretende Leiterin der Forschungsstelle Hebammenwissenschaften am Departement Gesundheit der ZHAW. «Die Schwangerschaft bringt ein gewisses Stress­


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level einfach mit sich.» Das gelte vor allem für jene Frauen, die zum ersten Mal Mutter werden. «Oft verändert sich mit der bevorstehenden Geburt ihr gesamtes Leben», sagt Grylka, die 26 Jahre als praktizierende Hebamme gearbeitet hat. Etwa durch den Umzug in eine grössere Wohnung, knappere finanzielle Verhältnisse oder die veränderte Be­ ziehung zum Mann. «Das alleine ist aber keine Katastrophe für das Kind», sagt Grylka. Erst wenn sich der Stress über längere Zeit akkumuliere oder wenn schwere äussere Einflüsse wie während des Hungerwinters oder des Eissturmes hinzukämen, könne er sich negativ auf das Kind auswirken. Zudem empfindet nicht jede Frau dieselben Situationen als Stress. «Für die einen Frauen sind die körperlichen Veränderungen während der Schwangerschaft sehr schön – für andere dagegen sehr belastend», sagt die Forscherin. Die meisten werdenden Mütter bräuchten aber keine häufigeren Schwangerschaftskontrollen. Die körperlichen Risikofaktoren würden heute bereits gut überwacht.

Hatten die Gross­ mütter das Leid des Weltkriegs über zwei Generationen hinweg an ihre Enkel weitervererbt?

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Um aber psychische Belastungen und Stress zu erkennen, bräuchte es entweder die Anwendung spezieller Fragebögen oder vertiefte Gespräche. «Dafür reichen die durchschnittlich 15 Minuten Konsultationszeit pro Frau in den ärztlichen Schwangerschaftskontrollen aber schlicht nicht aus», sagt Grylka. «Eine Schwangerschaftsvorsorge durch Hebammen böte diesbezüglich Vorteile.» Denn die Hebammen können sich während einer Schwangerschaftsbegleitung deutlich mehr Zeit für die Frauen nehmen. Dieses Angebot könne noch stärker genutzt werden, sagt Grylka. «Neben den mit der Schwangerschaft verbundenen medizinischen Themen kämen so auch der emotionale Zustand und das Wohlbefinden der Frauen nicht zu kurz». //

Das 5. Winterthurer Hebammensymposium «Epigenetik – Mama ist an allem schuld?» Was die Erkenntnisse der Epigenetik für die Ausbildung und den Berufsalltag bedeuten, erfahren Interessierte am 5. Winterthurer Hebammen­sym­posium, das vom Institut für Hebammen des Departements Gesundheit organisiert wird. Samstag, 19. Januar 2019 zhaw.ch/hebammensymposium

ZELLEN IGNORIEREN EINEN TEIL DES ERBGUTS Der menschliche Körper besteht aus einer Vielzahl spe­ zialisierter Zelltypen: Nervenzellen, Hautzellen, Leberzellen, Muskelzellen und viele weitere. Das Aussehen und die Funktionsweise all dieser Zellen sind völlig verschieden – und trotzdem tragen alle genau dasselbe Erbgut (Genom) in sich. Wie können sie sich mit derselben Information so verschieden entwickeln? Das Geheimnis liegt darin, dass jeder Zelltyp nur bestimmte Gene beachtet, andere Ab­schnitte des Genoms aber komplett ignoriert. Man kann sich das Genom als ein Buch vorstellen, aus dem Herz­ muskelzellen nur das Kapitel über das Herz lesen und

Nervenzellen nur jenes über das Gehirn. Unter Epigenetik versteht man die Mechanismen, die dazu führen, dass Gene von einer Zelle stärker oder schwächer abgelesen werden. Verantwortlich dafür, welche Kapitel des Buches oder eben Gene für die verschiedenen Zelltypen sichtbar sind, ist das Epigenom. Dieses kann von einer Zelle auf ihre Nach­ kommen weitervererbt werden. Aus diesem Grund wird aus einer Nervenzelle nicht plötzlich eine Muskelzelle. Wie genau diese Vererbung passiert, ist noch nicht restlos geklärt. Sicher ist, dass es Enzyme gibt, die epigenetische Merkmale gezielt an der DNA anbringen oder entfernen können.

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«SO MERKE ICH, DASS ICH NICHT NUTZLOS BIN» Viele Flüchtlinge sind durch Krieg und Folter traumatisiert. Ergotherapie soll ihnen helfen, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren und wieder handlungsfähig zu werden. Ein Einblick in die Praxis Ergopunkt des Schweizerischen Roten Kreuzes in Bern. VO N S USA N N E W E N G E R

Gartenarbeit als Therapie: Bei der Praxis Ergopunkt verarbeiten Flüchtlinge und Asylsuchende ihre Traumata.

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elle, freundliche Atmosphäre, Regale voller Materialien und Werkzeug, mittendrin ein gros­ser Tisch: Das ist das Atelier der Praxis Ergopunkt unweit des Bahnhofs Bern. Hier behandelt das sechsköpfige Ergotherapie-Team in der Regel Menschen mit Handverletzungen, Rheuma oder nach einem Schlaganfall. An diesem Spätsommernachmittag jedoch sitzt Psychiatrie-Patientin Frau T. am Tisch. Die 31jährige Asylbewerberin stammt aus dem Iran. Sie wirkt zart und stark zugleich. Vor ihr rattert eine «Bernina». Angeleitet von Praxisleiterin Irene Schmid, näht Frau T. an einer Stoffdecke, weich und schön. Das Muster hat sie selbst entworfen. «Ich kann die Decke später mit nach Hause nehmen», sagt sie in gutem Deutsch, «sie wird mir im Winter warm geben.»

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Nach Hause: Das ist im Fall von Frau T. eine Asyl-Kollektivunterkunft, in der sie mit ihrem Vater ein Zimmer teilt. Die Tochter schaut zu ihm, er hat Operationen hinter sich. Vor sieben Jahren flüchteten die beiden in die Schweiz, «aus politischen Gründen», wie sie sagt. Ihre Asylgesuche wurden abgelehnt, sie leben jetzt von Nothilfe, rechtlich bleibt ein letzter Hoffnungsschimmer. Die Situation ist nicht einfach, umso mehr, als Frau T. mit gesundheitlichen Problemen kämpft. Bei ihr wurde eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, zudem leidet sie an Depressionen. «Meine Gedanken drehen sich im Kreis», erzählt sie, «hundertmal lese ich im Buch die gleiche Seite.» Frau T. ist beim Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) in psychiatrischer Behandlung. Sie hat auch schon Klinikaufenthalte hinter sich.


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G E G E N DA S G R Ü B E L N

Vierzig bis fünfzig Prozent aller Asylsuchenden und Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten in der Schweiz weisen nach Schätzungen von Fachleuten Trauma-Folgeerkrankungen auf. «Die Menschen, die zu uns in die Therapie kommen, haben Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme oder andere vegetative Stressreaktionen wie Schwitzen, Unruhe oder Interesselosigkeit», sagt Praxisleiterin Schmid. Oft klagten sie über Schmerzen und neigten zu exzessivem Grübeln. Doch bis die Traumafolgen als solche erkannt werden, vergeht meist viel Zeit. Die Mehrheit der Betroffenen schweigt über das Unerträgliche. Manche spalten es gar ab, ein Vorgang, den die Medizin Dissoziation nennt. Auch Frau T. will oder kann nicht über die Erlebnisse sprechen, die sie erschüttert haben. Für Irene Schmid ist das gar nicht unbedingt nötig. «Ich muss nicht alles im Detail wissen», sagt die erfahrene Fachfrau. Seit zwei Jahren kommt die Iranerin zu ihr in die ärztlich verordnete Ergotherapie. Der wöchentliche Termin gibt der jungen Frau Struktur und ergänzt die Psychotherapie laut Schmid «auf praktische und handlungsorientierte Weise». Traumatisierte Menschen hätten Kontrollverlust und Ohnmacht erlebt: «Sie sollen wieder Vertrauen in ihre Handlungskompetenz erlangen.» WIEDER FREUDE SPÜREN

Erreicht wird dies unter anderem durch gestalterische Tätigkeiten. Frau T. machte schon Collagen, häkelte wollene Schalen, wob einen Teppich und fertigte ein Etui an. «Es tut gut, mit den Händen etwas herzustellen», sagt sie, «so merke ich, dass ich kein nutzloser Mensch bin.» Sie arbeitet ausschliesslich mit Materialien, die sie taktil und optisch als angenehm empfindet. Dies herauszufinden, sei jeweils schon ein erster kleiner Erfolg, stellt Schmid fest: «Die Menschen lernen, im Hier und Jetzt zu sein, wieder Freude zu spüren.» In der ersten Phase der Therapie geht es laut Schmid darum, Vertrauen und Stabilität zu erzeugen. In der nächsten

Phase folgt der Bezug zum Alltag. Die Ergotherapeutin half beispielsweise einem Flüchtling in seiner Küche dabei, gesund kochen zu lernen. Er hatte ausgeprägte körperliche Schamgefühle, ebenfalls ein Symptom der Belastungsstörung. «V E R L E T Z L I C H E G R U P P E »

Ergotherapie für traumatisierte Geflüchtete wird beim SRK Bern-Mittelland seit 2015 angeboten, mehr als 30 Personen aus der Türkei, Somalia, Afghanistan, Syrien und Iran haben sie seither in Anspruch genommen. Neben Einzeltherapien, wie Frau T. sie besucht, gibt es Gruppentherapien. Die Teilnehmenden sind – gemeinsam mit Schweizerinnen und Schweizern – gärtnerisch oder handwerklich tätig. Reichen die Deutschkenntnisse der Migranten nicht aus, wird ein Dolmetscher beigezogen. Irene Schmid arbeitet schon seit zwanzig Jahren als Ergotherapeutin. Die Erweiterung ihrer Klientel um Psychiatriepatienten entspricht ihr sehr: «Traumatisierte Flüchtlinge sind eine besonders verletzliche Gruppe, für die ich mich einsetzen will.» Je früher Traumafolgestörungen therapiert würden, desto eher träten Erfolge ein. Das schaffe eine Voraussetzung für Integration, unterstreicht Schmid. Zusätzlich zum vorhandenen ergotherapeutischen Fachwissen eignet sich das Ergopunkt-Team mit SRK-Materialien transkulturelle Kompetenz an. Irene Schmid sieht bei Frau T. Fortschritte, hält sie für stabiler als zu Beginn der Therapie. Der Klientin selbst fällt es schwerer, die Wirkung einzuschätzen. Sie antwortet differenziert, sichtlich bemüht, dem Gegenstand gerecht zu werden. In der Ergotherapie komme sie zur Ruhe, sagt sie: «Für einen Moment vergesse ich die Sorgen.» Doch der unsichere Aufenthaltsstatus setzt ihr enorm zu. Sie möchte sich in der Schweiz ein Leben aufbauen. In Teheran, vor der Flucht, hatte sie Pläne, Zahnmedizin zu studieren. Nun vergehen die Jahre. Solange ihre Situation nicht geklärt sei, sagt Frau T., «werde ich nicht heil.» // blog.zhaw.ch/vitamin-g

LERNEN, MIT ANGST UND STRESS UMZUGEHEN «Ergo-Psycho-Edukationsgruppe»: Der etwas sperrige Begriff bezeichnet eine spezielle Form der Arbeit mit trauma­tisierten Migrantinnen und Migranten, wie sie vom Schwei­zerischen Roten Kreuz Bern-Mittelland angeboten wird. Die Teilnehmenden – alle in psychiatrischer Behandlung beim SRK-Ambulatorium für Folter- und Kriegs­opfer – erhalten in dieser Gruppe Informationen zum Thema Gesundheit und zum Einfluss bestimmter Handlungen auf das eigene Befinden. Die ärztliche Psychotherapeutin Anna Hirschi vermittelt ihnen Wissen über die Posttraumatische Belastungsstörung sowie den Umgang mit Schmerzen, Angst und Stress. Gleichzeitig kommt an den Gruppen­sitzungen Chantal Sauvin zum Einsatz, Ergotherapeutin der Praxis Ergopunkt. «Wir bieten den Teilnehmenden an, das Wissen aktiv in Handlungen um­zu­

setzen», sagt sie. Sauvin erwarb 2017 ihr Diplom und absolviert nun das CAS Best Practice in Ergotherapie – Psychiatrie an der ZHAW. Das gemeinsame Ge­stalten, Backen und Spielen wirke nicht nur entspannend, es verschaffe den Patienten auch Erfah­rungen von Selbstwirksamkeit und soziale Kontakte. Im Frühling wurde die Therapiegruppe zum ersten Mal durchgeführt, als Pilotprojekt mit acht Männern aus der Türkei. Als Herausforderung an den neun Sitzungen erwies sich, trotz Dolmetscher, die Sprache. Anfang 2019 soll, mit kleineren Anpassungen, eine zweite Gruppe starten. Chantal Sauvin ist vom ganzheitl­ichen Ansatz überzeugt. Auch die Rück­mel­dungen der Patienten seien mehrheitlich positiv aus­ge­ fallen, sagt sie. So berichtete ein Teilnehmer, bei der Arbeit mit Ton «geht alles Schlechte weg, wie in die Erde hinein».

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DIE ERINNERUNG STECKT IM KÖRPER FEST Psychische Traumata gehen oft mit körper­ lichen Beschwerden einher. Mit Physio­ therapie lassen sich diese be­handeln, was jedoch keine einfache Aufgabe ist, wie ZHAWDozentin Brigitte Fiechter Lienert weiss. Sie hat jahrelang mit traumatisierten Flücht­ lingen und Asylsuchenden gearbeitet. VO N TO B I A S H Ä N N I

1 8 Jahre lang war Herr A. in Gefängnissen in Bosnien inhaftiert. 18 Jahre, in denen der Kosovare mit Schlägen auf den ganzen Körper gefoltert wurde, unter unmenschlichen Bedingungen lebte, auf nackten Betonböden, mit toten Mitgefangenen, in Dunkelheit. 18 Jahre, die tiefe Wunden hinterlassen haben, in der Seele, aber auch am Körper von Herrn A. Nach seiner Flucht in die Schweiz hatte der heute zweifache Vater chronische Schmerzen in Nacken und Kiefer, am Rücken, in den Knien und den Füssen. Wie Herr A. leiden viele Asylsuchende und Flüchtlinge, die traumatische Erlebnisse wie Krieg, sexuelle Gewalt oder Folter durchgemacht haben, unter körperlichen Beschwerden. Mögliche Ursachen und Entstehungsmechanismen dafür gibt es viele: Schmerzen etwa können ihren Ursprung in einer vom Trauma unabhängigen Krankheit haben, durch körperliche Misshandlungen verursacht oder Symptome eines psychischen Traumas sein. Oftmals überlagern sich verschiedene physische, psychische und psychosoziale Aspekte auch. «Die Vielzahl möglicher Ursachen sind eine der Herausforderungen in der Behandlung traumatisierter Flüchtlinge», sagt Physiotherapeutin Brigitte Fiechter Lienert. Die Dozentin am Departement Gesundheit weiss, wovon sie spricht: Sie hat am Ambulatorium für Folterund Kriegsopfer (AFK) am Universitätsspital Zürich seit dessen Eröffnung 2004 im interdisziplinären Team mitgearbeitet. Dort kommen neben Psychotherapie auch körperorientierte Ansätze wie Bewegungs- und Physiotherapie zum Einsatz. Bis 2016 arbeitete Fiechter Lienert am AFK mit traumatisierten Menschen. Einer ihrer Patienten war Herr A., dessen Fall sie in «Trauma – Flucht – Asyl» beschreibt, einem interdisziplinären Handbuch für die Beratung, Betreuung und Behandlung im Asyl- und Flüchtlingswesen. «Herr A. war schon Jahre in der Schweiz, bevor er im AFK in die Therapie kam», erinnert sie sich. Dass ein Trauma über längere Zeit gar nicht erkannt werde, sei nicht ungewöhnlich. Ausserhalb spezialisierter Institutionen wie dem AFK, etwa bei Hausärzten, komme bei somatischen Beschwerden oft eine rein kör­per­orientierte Behandlung zum Einsatz, ohne das zugrunde liegende psychi­

sche Leiden miteinzubeziehen. Das liegt auch daran, dass ein Trauma bei Flüchtlingen und Asylsuchenden nicht immer einfach zu erkennen ist. «Psychische Erkrankungen sind in einigen Kulturen stark stigmatisiert.» Die Betroffenen würden sich für ihr Leiden schämen. Auch seien ihnen die bei uns verwendeten Diagnosen und Krankheitsmodelle oftmals fremd. Hinzu kommt die Angst, mit einer Therapie die seelischen Wunden aufzureissen: «Sie fürchten sich davor, die schrecklichen Erlebnisse nochmals zu durchleben. Deshalb sprechen sie nicht darüber.» Ein Verhalten, das durchaus nachvollziehbar ist. Denn die Erinnerung an traumatische Erlebnisse kann eine Wechselwirkung in Gang setzen, indem sie bestehende Schmerzen oder andere körperliche Symptome verstärkt, die wiederum die Erinnerung auslösen. «Der Fokus in der Physiotherapie liegt unter anderem darin, dass Betroffene den Zusammenhang zwischen Trauma und körperlichen Beschwerden erkennen», sagt Brigitte Fiechter Lienert. ARBEIT IN KLEINEN SCHRITTEN

Psychische Traumata können eine Vielzahl körperlicher Folgen haben, etwa chronische Schmerzen, muskuläre Verspannungen oder ständige Unruhe. Häufig ist den Betroffenen auch der eigene Körper fremd. Die Behandlung der Beschwerden erfolgt beispielsweise mit Beweglichkeits- und Entspannungsübungen, Ausdauertraining, oder Atemübungen. Die Interventionen sollen die Schmerzen reduzieren und die Beweglichkeit verbessern, die Be­ troffenen aber auch dazu befähigen, die eigenen Ressourcen in der aktuellen Lebenssituation einzusetzen. «Es geht darum, das Vertrauen in den eigenen Körper wieder zu erlangen und die Selbständigkeit zu stärken», sagt Fiechter Lienert. Das geschieht meist in kleinen Schritten, die Therapie kann sich über Jahre hinziehen. «Oft müssen die Flüchtlinge zuerst lernen, die Komplexität ihrer Beschwerden zu erkennen. Das braucht Vertrauen, Verständnis und Geduld.» Wesentlich dafür seien eine transparente und empathische Haltung sowie die Übereinstimmung von ver­ baler und nonverbaler Kommunikation. «In der ersten Sitzung war häufig eine Übersetzerin dabei, um eine optimale Verständigung zu erzielen», schildert Brigitte Fiechter Lienert ihre Arbeit am AFK. Dadurch hätten von Anfang an gemeinsam Ziele festgelegt und Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden können. Sämtliche Stolpersteine konnten jedoch nicht immer beseitigt werden. So bezeichnet Fiechter Lienert die kulturellen Unterschiede – etwa im Ge­ sundheitsverständ­ nis – als eine der grössten Herausforderun­gen in der Physiotherapie mit Asylsuchenden und Flüchtlingen. «Diese Unterschiede haben die Arbeit am AFK teilweise schwierig gemacht. Es war aber auch eine bereichernde Erfahrung.» //

«In einigen Kulturen sind psychische Erkrankungen stark stigmatisiert.»

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Ich habe das Poesiealbum zum zehnten Geburtstag von meinem Vater erhalten. Es bedeutet mir sehr viel, weil ich als Kind zwei Mal umgezogen bin, einmal davon aus Deutschland in die Schweiz. Da stecken viele Erinnerungen drin: an Be­kannte und Verwandte, Schulkolleginnen und -kollegen, aber auch Lehrerinnen und Lehrer aus jener Zeit. Ich nehme es ab und zu hervor, wenn ich an jemanden denke, der sich darin verewigt hat. Zum Beispiel meine Grosseltern, die nicht mehr leben. Diana Schmidli-Waser, Assistentin, Forschungsstelle Pflegewissenschaften


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WENN DIE AUTOBAHNEN IM KOPF VERSCHÜT TET SIND Eine Hirnverletzung führt bei Betroffenen oft zum Verlust kognitiver und motorischer Fähigkeiten. Das Wissen, wie alltägliche Aktivitäten und Bewegungen durchgeführt werden, ist vergessen. Mit Ergo- und Physiotherapie in der Neurologie lassen sich verloren­gegangene Fähigkeiten zurückholen – oder zumindest kompensieren. VO N TO B I A S H Ä N N I

Daniel Gubser übt im Neurotraining kognitive Fähigkeiten, die seit einem Schädel-Hirn-Trauma eingeschränkt sind.

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aniel Gubser verlegt an diesem Vormittag Tramgleise. Bedächtig legt er Holzplättchen um Holzplättchen mit aufgemalten Linien auf ein Brett, um die darauf platzierten Haltestellen zu verbinden. Sein schmales, bärtiges Gesicht verschwindet unter der Dächlikappe, während er sich über das Brett beugt – der 30-Jährige macht einen hochkonzentrierten Eindruck. Trotzdem unterlaufen ihm immer wieder Fehler. Mal läuft die Linie am Rand des Bretts ins Leere, mal legt er eine Tramkurve verkehrt herum ab. «Funktioniert das so?», fragt ihn Tanja Schwarzer dann jeweils mit ruhiger Stimme und hilft ihm, den Fehler zu korrigieren. Die Ergotherapeutin und ZHAWAbsolventin ist Fachverantwortliche Neurotraining am Rehazentrum Valens, das im gleichnamigen Weiler abgelegen im St. Galler Taminatal liegt und zu den Klinken Valens ge-

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hört. Daniel Gubser ist vor mehreren Monaten hierher in die Rehabilitation gekommen. Der junge Mann, der eigentlich anders heisst, erlitt bei einem Sturz mit dem Velo ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Seither leidet er unter kognitiven Funktionsstörungen, wie sie bei Hirnverletzungen häufig auftreten: Er hat Defizite in der Konzentration und Aufmerksamkeit. Seine Exekutivfunktionen – die Fähigkeit, Handlungen zu planen sowie strukturiert und zielorientiert durchzuführen – sind stark eingeschränkt; ebenso sein räumliches Vorstellungsvermögen – was die Fehler erklärt, die Daniel Gubser bei der Übung mit den Tramgleisen macht. «Hirnverletzungen führen dazu, dass Betroffene nicht mehr auf kognitive Ressourcen zugreifen können», sagt Juliane Ebert, Teamleiterin Therapien Neurologie am Rehazentrum Valens. Die neurologischen Verbindungen im Gehirn seien verschüttet und von «Autobahnen zu Trampelpfaden» geworden. Zuvor alltägliche Handlungen und Aktivitäten wie Einkaufen oder Zähneputzen können Betroffene nicht mehr ausführen, das Gehirn hat die dafür notwendigen ko­gnitiven Fähigkeiten sozusagen vergessen. Auch die Fähigkeit, neues Wissen und Informationen aufzunehmen und abzuspeichern, ist bei Hirnverletzungen oftmals gestört – bedingt durch eine verminderte Lern- und Gedächtnisleistung, aber auch aufgrund von Aufmerksamkeitsstörungen. «Aufmerksamkeit und Gedächtnis hängen stark zusammen», erklärt Juliane Ebert. «Wer ständig den Faden verliert, kann sich kaum etwas merken.» Auch Daniel Gubser hat wegen Defiziten in der Aufmerksamkeit und beim Kurzzeitgedächtnis grosse Mühe, sich neue Informationen zu merken. An diesem Tag erinnert er sich allerdings an einen Grossteil der Haltestellen, als ihn Tanja Schwarzer nach der Übung mit den Tramlinien danach fragt. «Heute konnte er sich gut konzentrieren», sagt Schwarzer nach dem Abschluss der Übungen. A L LTÄG L I C H E S I M G E S C H Ü T Z T E N R A H M E N Ü B E N

Das Neurotraining – kognitives Training durch Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten – ist in Valens wichtiger Bestandteil der Rehabilitation bei Hirnverletzungen. Ziel des Trainings ist es, mithilfe verschiedener Übungen gestörte


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Hirnfunktionen wiederherzustellen – beim Verlegen der Tramlinien etwa das räumliche Vorstellungsvermögen und die Problemlösungsfähigkeit. Das Training wurde in den 1970er-Jahren von der Ergotherapeutin Verena Schweizer und der Neuropsychologin Marlène Kohenhof in Valens entwickelt. Damals «fehlte es im deutschsprachigen Raum weitgehend an geeignetem Therapiematerial», um Patienten mit kognitiven Funktionsstörungen wieder in den Alltag einzugliedern, wie es in der inzwischen fünften Auflage des Standardwerks «Neurotraining» heisst. Seither ist das Training laufend angepasst worden. «Das Grundkonzept ist das gleiche wie damals, doch die Übungen wurden ergänzt, erweitert und optimiert», erklärt Susanne Wachter-Müller, die in den letzten Jahren das Neurotraining zusammen mit Verena Schweizer weiterentwickelt hat. Bis im Frühling war Wachter-Müller in Valens für das Neurotraining verantwortlich, am Departement Gesundheit ist sie die Fachexpertin des «CAS Best Practice Ergotherapie in der Neurologie» und unterrichtet dort auch. Wie andere ergotherapeutische Konzepte zielt das Neuro­ training darauf ab, dem Patienten frühere Aktivitäten im Alltag wieder zu ermöglichen. Für Menschen mit einer Hirnschädigung ist das Wiedererlernen dieser Handlungen unter realen Bedingungen vor allem zu Beginn der Rehabilitation häufig nicht möglich – etwa, weil zahllose Reize oder unvorhersehbare Ereignisse das verletzte Hirn überfordern. Eine solche Überforderung kann laut Susanne Wachter-Müller zu einer Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten führen. «Mit dem Neurotraining werden die für den Alltag nötigen Fähigkeiten deshalb in einem geschützten Rahmen geübt», erläutert sie. Die Übertragung in den Alltag erfolgt danach Schritt für Schritt: Auf das im Neurotraining geübte Zuordnen von Produkten zu verschiedenen Läden folgt etwa zu einem späteren Zeitpunkt der Einkauf im Shoppingzentrum. Wann immer möglich, werden die Übungen an den beruflichen und privaten Alltag sowie an die Vorlieben und Hobbys der Patienten angepasst. Im Fall von Daniel Gubser sind dies unter anderem Autos und Computer. Und so trainiert er in einer der Übungen, Autoteile einem Links-rechtsRaster zuzuordnen, in einer anderen, auf Google nach bestimmten Fahrzeugen zu suchen. «Wenn wir die Emotionen der Patienten wecken können, erhöht das die Moti­va­ tion», sagt Susanne Wachter-Müller. Und es helfe, der Antriebs- und Teilnahmslosigkeit sowie der Verunsicherung zu begegnen, die mit einer Hirnverletzung oftmals einhergehen. Zentral ist in diesem Zusammenhang auch der anfängliche Fokus auf vergleichsweise noch gut erhaltene Fertigkeiten der Patienten. Dies gibt den Betroffenen neues Selbstvertrauen.

zentrum in Valens. Normalerweise sorgt dieses unbewusste Gedächtnis dafür, dass Bewegungen und Handlungen automatisiert und ohne viel Nachdenken ablaufen – zum Beispiel das Laufen. Nach einer Hirnverletzung ist dieses Wissen weg, die Bewegungen müssen wieder erlernt werden. Als Daniel Gubser nach seinem Velounfall ins Rehazentrum Valens kam, war er zunächst auf einen Rollstuhl angewiesen. Inzwischen kann er wieder gehen – allerdings tritt er dabei mit dem rechten Fuss nur mit den Zehenspitzen auf. «In der Physiotherapie zeigen wir ihm durch ständige Wiederholung den richtigen Bewegungsablauf und die korrekte Haltung von Fuss, Knie und Bein auf», erklärt Kool. Neben der Repetition der Bewegungen durch den Patienten wird in der Therapie versucht, diese auch über andere Kanäle zu vermitteln: beispielsweise mit Videos. Die motorische Gesundung steht und fällt mit jener der kognitiven Fähigkeiten, sagt Kool. Wer sich nach einer Hirnverletzung kognitiv wieder erhole, könne körperliche Einschränkungen zudem besser kompensieren. Das oberste Ziel nach einer Hirnverletzung – den Betroffenen ein möglichst selbständiges Leben zu ermöglichen – kann trotz intensiver Rehabilitation nicht immer erreicht werden. Auch dem Neurotraining sind hier Grenzen gesetzt. «Es kann zum Beispiel sein, dass gewisse Gedächtnisfunk­ tionen nicht mehr zurückgeholt werden können», sagt Ergotherapeutin Susanne Wachter-Müller. Dann brauche es Kompensationslösungen oder die Unterstützung durch Angehörige oder Fachpersonen. Auch bei Daniel Gubser ist die Rückkehr in ein gänzlich selbständiges Leben derzeit eher unwahrscheinlich. Obwohl der 30-Jährige in Valens grosse Fortschritte gemacht hat, wieder gehen und sprechen, sich selbständig waschen und anziehen kann, wird er vermutlich nach dem Ende der Rehabilitation in einer betreuten Wohngemeinschaft leben. //

«Wer ständig den Faden verliert, kann sich nichts merken.»

NICHT ALLES L ÄSST SICH ZURÜCKHOLEN

Neben kognitiven Störungen haben Hirnverletzungen in vielen Fällen auch körperliche Beeinträchtigungen zur Folge. «Bei motorischen Störungen kann ein Patient nicht mehr auf sein prozedurales Gedächtnis zurückgreifen», erklärt Jan Kool, Physiotherapeut und Forschungsleitender am Reha-

ergo-neurotraining.ch

HIRNVERLETZUNGEN KOMMEN HÄUFIG VOR Jedes Jahr erleiden rund 22 000 Personen in der Schweiz eine Hirnverletzung, über 130 000 Personen leben hierzulande mit einer Hirnschädigung. Diese Zahlen nennt die Patientenorganisation Fragile Suisse, die Menschen mit Hirnverletzung und ihre Ange­hörigen unterstützt, auf ihrer Website. Zu den häufigsten Ursachen für eine Hirnschädigung gehören unter anderem Schlaganfälle, Hirnblutungen oder Schädel-Hirn-Traumata. fragile.ch

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WESHALB WIR VERGESSEN MÜSSEN Erinnerungen bestimmen den grössten Teil unserer Persönlichkeit, sagt Neuropsychologe Lutz Jäncke. Im Interview erklärt er, weshalb wir ihnen trotzdem nicht trauen können. Und weshalb es gut ist, dass unser Gehirn nicht jede Information speichert. VO N M A LO LO K ESS L E R

Sich an alles zu erinnern, wäre eine Katastrophe, sagt Neuropsychologe Lutz Jäncke.

Lutz Jäncke, wie gut erinnern Sie sich an Ihren aller­ ersten Kuss? Lutz Jäncke: Eigentlich erinnere ich mich ganz gut. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es wirklich der erste Kuss war, an den ich mich erinnere. Auf jeden Fall war es einer, der für mich sehr bleibend gewesen ist. Wovon hängt es ab, ob etwas als Erinnerung im Ge­ dächtnis bleibt oder nicht? Ist ein Ereignis sehr stark mit Emotionen verbunden, können wir es besser im Gehirn ablegen. Erstmalige Ereignisse bleiben uns auch gut. Und Ereignisse, die wir in bestimmten Konstellationen erleben. Ein Beispiel ist der Urlaub: Während wir uns im Alltag sehr automatisch durch unsere Städte bewegen, ohne Einzelheiten wahrzunehmen, sind wir im Urlaub befreit. Der Stress fällt von uns ab, wir können uns auf das vermeintlich Nebensächliche konzentrieren. In solchen 22

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Momenten ist das Gehirn willens und auch in der Lage, detaillierte Informationen wahrzunehmen. Wir verweben diese Informationen – Gerüche, Farben, Einzelheiten – zu einer detaillierten Geschichte. Und das ist das Stichwort: Das Gehirn speichert Geschichten am besten. Welche Bedeutung haben Erinnerungen für uns? Sie sind essenziell. Wir sind das, was wir über uns erinnern. Der grösste Teil unserer Persönlichkeit entsteht durch Erinnerungen. Was heisst das für Menschen, die unter Amnesie lei­ den oder an einer Demenz? Das verändert die Persönlichkeit. Zwar bleibt das Temperament, also ob jemand extrovertiert oder introvertiert ist. Aber die Person weiss nicht mehr, wann sie sich wo wie verhalten hat oder wie andere Personen auf sie reagiert haben.


DOSSIER|ERINNERN/VERGESSEN

Menschen mit einer Demenz fehlt der Zugang zu diesen Erinnerungen, die relevant für die Persönlichkeit sind. Wie weit erinnert sich ein gesunder Mensch zurück? An die ersten vier Jahre unseres Lebens erinnern wir uns gar nicht. Dennoch sind sie wichtig, denn wir haben ein bewusstes und ein unbewusstes Gedächtnis. Im Unbewussten werden in den ersten vier Jahren Erfahrungen abgespeichert, von denen wir gar nicht wissen, dass sie da sind. Diese Erfahrungen beziehen sich vor allem auf Sicherheit und Bindung und bestimmen den Grossteil der späteren emotionalen Persönlichkeit. Sie waren bei der Erinnerung an den ersten Kuss un­ sicher. Können wir unseren Erinnerungen trauen? Nein, auf keinen Fall! Wir sind Weltmeister im Interpretieren. Wir speichern Informationen aus der Vergangenheit nicht ab wie ein Computer. Wir rekonstruieren sie jedes Mal, wenn wir uns erinnern. Dabei passiert Folgendes: Wir holen ganz wenige Informationen hervor, die wir wirklich abgespeichert haben. Diese werden von anderen und neuen Informationen beeinflusst, geraten unter Beschuss, werden verändert. Wir denken immer, wir wären gute Erinnerer, aber das sind wir nicht. Das ist ein Riesenproblem bei Zeugenaussagen. Da sind Menschen überzeugt davon, etwas gesehen zu haben, obwohl sie es gar nicht gesehen haben können. Es gibt sogar Fälle, in denen Menschen zugeben und glauben, eine Straftat begangen zu haben, die sie nicht begangen haben. Kurz: Dem menschlichen Gedächtnis würde ich im Hinblick auf die Erinnerung nicht viel zutrauen.

Das ist ein spannendes Thema. Ich bin momentan auf der Schiene, zu glauben, dass die moderne Welt für uns gar nicht gut ist. Unser Gehirn ist auf die Digitalisierung nicht vorbereitet. Es kann nicht so viele Informationen aufnehmen, wie heute auf uns einprasseln. Es kann nicht filtern und es speichert einfach, was am lautesten gegackert wird. Das ist gefährlich. Kann es sich nicht anpassen und lernen, das zu spei­ chern, was wirklich wichtig ist? Sie würden jetzt vielleicht gerne hören, dass wir einen Bullshit-Detektor entwickeln werden. Das wäre schön, aber das glaube ich nicht. Weil wir eigentlich, um es einmal salopp auszudrücken, «blöd» sind. Das Gehirn ist so konstruiert, dass es nicht weiss, was gut und was schlecht ist. Wären wir wirklich schlau, hätten wir keine Umweltverschmutzung, keine Kriege, keine Hungersnöte. Wir machen auch gerne das, was wir besonders gut können. Was mehr Mühe kostet, das meiden wir wie der Teufel das Weihwasser. Das Gehirn ist eigentlich recht unvernünftig und bequem.

«Geschichten speichert das Gehirn am besten.»

Das ist ernüchternd. Da bin ich mir nicht sicher. Vielleicht für unsere Gesellschaft, ja. Aber ich bin der Meinung, wir sollten nicht zu sehr über die Vergangenheit nachdenken. Das kann dazu führen, dass man Dinge erinnert, die man nicht erlebt hat, was wiederum Probleme verursachen kann. Wieso ist das Vergessen wichtig? Es ist nicht nur wichtig – ich sage manchmal sogar, dass das Vergessen wichtiger ist als das Erinnern. Nur schon, wenn man sich vorstellt, man müsste sich an alles erinnern, was man im Leben erlebt hat, das wäre eine Katastrophe! Das würde die Kapazität des Gehirns masslos überschreiten. Auch unser Verhalten würde inadäquat. Denn das Gehirn ist dafür konstruiert, das abzuspeichern, was es wiederholt und mit hoher Wichtigkeit präsentiert bekommen hat. Damit wir wissen, wie wir uns verhalten müssen, darf das Gehirn nur das erinnern, was in unserem sozialen Kontext von überlebenswichtiger Bedeutung ist. Nicht den ganzen anderen Schrott. Würde es den auch speichern, wüssten wir gar nicht, wie wir uns verhalten sollen. Durch die Digitalisierung sind wir heute mit viel mehr Informationen konfrontiert als früher. Wie beeinflusst das unser Gehirn?

Aber es gibt ja durchaus Menschen, die einen inneren Drang verspüren, sich weiterzuentwickeln, zu lernen. Richtig, die gibt es. Aber sie sind nicht in der Mehrheit. Zwar steckt die Neugierde in allen Menschen drin, aber auch die Bequemlichkeit. Die beiden führen einen steten Kampf. Leider Gottes ist es so, dass viele der Bequemlichkeit erliegen und die fantastische Kraft der Neugierde nicht nutzen. Wird die Gehirnleistung automatisch schlechter, je älter man wird? Sie muss nicht per se schlechter werden, nein. Auch im Alter kann man noch eine ganze Menge aus dem Gehirn rausholen. Selbst dann, wenn anatomische Degenerationen eintreten. Wir stellen fest, dass das Gehirn das kompensiert. Die älteren Leute heutzutage sind fit. Aber es hängt davon ab, was man tut. Man muss das Gehirn fordern, ein Musikinstrument oder eine Sprache lernen. Use it or lose it. Sie sind jetzt 61 Jahre alt, was machen Sie für Ihr Gehirn? Ich arbeite. Und bin momentan froh, wenn ich überhaupt einmal vernünftig schlafen kann. //

Lutz Jäncke ist Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. Er be­schäftigt sich ins­besondere mit der Plasti­zität des menschlichen Gehirns und gehört zu den weltweit meistzitierten Wissenschaftlern. Der 61-Jährige ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Zürich.

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«Diese beiden Hunde, Hexi und Waldi, sind über 50 Jahre alt. Den grossen habe ich von meinem Götti geschenkt be­kommen, als ich ein Jahr alt war. Als Kind habe ich mit ihnen gespielt, später hatte ich sie bei mir im Bett. Jetzt schauen sie zuhause von einem Regal in mein Arbeits­zimmer. Ich verbinde mit ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Ich muss manchmal lächeln, wenn ich an ihnen vorbeigehe. Dass sie so mitge­nommen aussehen, rührt mich.» Andreas Gerber-Grote, Direktor Departement Gesundheit


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MIT BEWEGUNG, SCHLAF UND HERZ DAS GEDÄCHTNIS TRAINIEREN Wo sind meine Schlüssel? Was wollte ich in der Küche machen? Wie heisst schon wieder die nette Nachbarin? Wohl allen Menschen spielt die Erinnerung zwischendurch einen Streich. Damit das nicht zu oft passiert, braucht unser Gehirn ähnlich wie unsere Muskeln regelmässiges Training. Hier einige Tipps und Tricks für eine bessere Gedächtnisleistung. VO N U R S I N A H U L M A N N

NÜSSE UND WEIN

MIT DER UNGEWOHNTEN HAND Z ÄHNE PUTZEN

Eine gesunde und ausgewogene Ernährung leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass der Gehirnstoffwechsel gut funktioniert. Das Gehirn kann nicht, wie zum Beispiel die Leber, von Vorräten profitieren. Es ist auf die stete Versorgung mit Nährstoffen aus dem Blut angewiesen. Darum sind regelmässige und ausgewogene Mahlzeiten wichtig. Brokkoli, Nüsse, Beeren, aber auch der moderate Konsum von dunkler Schokolade, Kaffee und Rotwein sollen laut Studien das Gedächtnis unterstützen. Allerdings gibt es keine Nahrungsmittel, die alleine besonders «schlau» machen. Wie bei einem Mosaik braucht es für eine gesunde Ernährung und damit ein fittes Gehirn verschiedenene Nahrungsmittel – ein einzelnes alleine reicht dafür nicht. Ebenso wichtig wie das Essen ist, genügend zu trinken. Unser Gehirn ist das wasserreichste Organ unseres Körpers, es besteht zu 75 Prozent aus Wasser.

Wer immer den gleichen Weg geht, muss nicht mehr denken. Deshalb versuchen Sie doch mal, mit der ungewohnten Hand die Zähne zu putzen, in einem unbekannten Supermarkt einzukaufen oder die Vornamen ihrer Freunde rückwärts auszusprechen. Dadurch entstehen neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen – das Hirn wird fit gehalten.

HÜPFEN UND JONGLIEREN

Gedächtnistraining sollte Freude machen. Nicht umsonst heisst «auswendig lernen» auf Französisch «apprendre par cœur» und auf Englisch «learn by heart». Etwas Gelerntes bleibt besser im Kopf, wenn das Herz daran hängt. Denn das Gedächtnis arbeitet nicht nur rational, sondern auch emotional. Es braucht Gefühlsreize, um in Schwung zu bleiben.

Unsere Gehirn- und Körperhälften sind übers Kreuz miteinander verbunden. Die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperseite und umgekehrt. Bewegung hilft, die beiden Hälften stärker zu verbinden. Zudem wird bei körperlicher Betätigung das Gehirn besser durchblutet und es werden neue Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen gebildet. Körperliche Aktivität und regelmässige Bewegung verbessern die geistige Leistungsfähigkeit. Kinder lernen in Bewegung besser. Zum Beispiel merken sie sich Wörter leichter, wenn sie dazu balancieren, rechnen geht einfacher, wenn dazu gehüpft wird. Vor oder während dem Lernen zu jonglieren, hilft, Wörter, Zahlen und Inhalte zu merken. Doch auch Erwachsenen tut Bewegung beim Lernen gut. Schon Aristoteles und seine Schüler schlenderten beim Philosophieren durch die Wandelhallen Athens. Bewegung unterstützt die Konzentration und damit die Aufnahme neuer Informationen.

DIE SINNE SCHÄRFEN

S C H L A F E N D DA S G E DÄC H T N I S F Ö R D E R N

Wie riecht schon wieder Oregano? Was raschelt da nachts im Garten? Wie viele orange Sachen sehe ich auf dem Weg zur Arbeit? Eine bewusste Wahrnehmung fördert die Aufmerksamkeit und damit die Aufnahme von Informationen. Vieles im Alltag scheint uns jedoch so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr genau hinschauen und – hören, riechen und schmecken. Diese mangelnde Aufmerksamkeit führt zu Vergesslichkeit.

Genügend Schlaf ist der Schlüssel zu einem guten Gedächtnis. Denn während wir schlafen, ist unser Gehirn äusserst aktiv. Neuronale Aktivitäten, die während des Lernens sichtbar sind, treten in ähnlicher Form beim Schlafen auf. Wissenschaftler vermuten, dass über diesen Mechanismus Erlebnisse erst verfestigt und dann ins Langzeitgedächtnis übertragen werden. Unwichtiges wird dabei aussortiert. Unbestritten ist, dass mit wenig Schlaf die Konzentration abnimmt. //

MIT DEM HER ZEN LERNEN

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DOSSIER|ERINNERN/VERGESSEN

NUR NOCH KURZ DIE MAILS CHECKEN Viele Menschen können ihre Arbeit am Feierabend oder in den Ferien nicht vergessen. Das liegt insbesondere an der ständigen Erreichbarkeit durch die E-Mail-Kommunikation. Doch die Festplatte Hirn muss zwischendurch geleert werden, um produktiv zu sein. VO N TO B I A S H Ä N N I

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er Ausflug in den Kletterpark könn­ te Spass machen. Die Brätelpause während dem Wandern und das Wasserskifahren auch. Doch ir­ gendwie ist ständig dieser Schreibtisch im Weg. Die Protagonisten in den Kurzfilmen und auf den Plakaten der Präventionskampa­ gne «ausschalten – auftanken» können ihre Freizeit nicht recht geniessen. Sie sind in Ge­ danken ständig bei der Arbeit – versinnbild­ licht durch den Bürotisch, den sie um die Hüf­ te tragen. «Freizeit ist besser ohne Büro» lautet die Botschaft der Kampagne, die der Schweizerische Versicherungsver­ band (SVV) seit diesem Sommer im Web und auf Plakatwän­ den vermittelt. Doch Freizeit sei immer mehr Arbeit, schreibt der Verband auf der Kampagnen-Website. Er möchte mit seinem Engagement primär auf die Unfallgefahr hinweisen, wenn man «mit dem Kopf immer ein bisschen im Büro ist». W E R N I C H T A B S C H A LT E N K A N N, I S T E RS C H Ö P F T E R

Doch haben berufstätige Menschen tatsächlich immer mehr Mühe damit, am Feierabend abzuschalten und die Arbeit für ein paar Stunden zu vergessen? Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht. Zuletzt veröf­ fentlichte etwa diesen September die deutsche Akad Hoch­ schule die Studie «Arbeitswelten im Wandel 2018», für die rund 1200 berufstätige Personen an einer Online-Umfrage teilgenommen haben. Zwei Drittel der Studienteilnehmer gaben an, geschäftliche Mails schon mal am Sonntag, am Abend oder in den Ferien bearbeitet zu haben. Die Ergeb­ nisse der Studie ähneln denen anderer Untersuchungen. So zeigte 2016 eine vom deutschen Meinungsforschungsinstitut YouGov durchgeführte Umfrage, dass rund drei Viertel der Befragten in der Freizeit berufliche Telefonate oder E-Mails beantworten. Die Verschmelzung von Arbeits- und Freizeit kann sich gemäss einer im letzten Dezember von der Universität Zü­ rich im «Journal of Business and Psychology» publizierten Studie negativ auf das Wohlbefinden auswirken. Eine dafür unter der Leitung der Psychologin Ariane Wepfer durchge­ führte Befragung von knapp 2000 Personen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigte: Teilnehmende, die keine 26

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klare Grenze zwischen Beruf und Privat­ leben ziehen, berichteten öfters über Er­ schöpfung und hatten grössere Mühe, sich im Alltag zu entspannen. Psychologin Wepfer kommt in einer Medienmitteilung zur Stu­ die zum Schluss, dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit so gezogen werden muss, dass das Wohlbefinden – und damit auch die Produktivität und Kreativität im Arbeits­ alltag – nicht negativ beeinträchtigt wird. Ein entsprechender Wandel der Unterneh­ menspolitik und -kultur könne den Angestellten dabei helfen, diese Grenze zu ziehen. M A I L S F R E S S E N E I N E N F Ü N F T E L D E R A R B E I T SZ E I T

Wie die Unternehmenskultur und -politik die «Grenzzie­ hung» fördern kann, zeigt sich am Beispiel der E-Mail-Kom­ munikation, die als ein wichtiger Treiber der Verschmelzung von Arbeit und Freizeit gilt. So gibt es inzwischen Unterneh­ men, die den E-Mail-Verkehr regulieren: Die Angestellten von VW beispielsweise können zwischen 18 und 6 Uhr sowie am Wochenende keine Mails mehr versenden oder empfan­ gen – ausgenommen von dieser Sperre sind Führungskräfte. Die Kommunikation via E-Mail kann aber nicht nur ausserhalb des, sondern auch im Büro zur Belastung werden. So zeigte die Umfrage der Akad Hochschule, dass die Teil­ nehmenden durchschnittlich 17,4 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Bearbeitung von E-Mails verwenden. Mehr als die Hälfte fühlte sich von der permanenten Erreichbarkeit per Mail belastet – bei der letzten Durchführung der Studie 2013 waren es noch rund 40 Prozent. Auch am Departement Ge­ sundheit der ZHAW ergab die Mitarbeitendenbefragung 2016, dass E-Mails eine Last sein können. Die Fachstelle Betrieb­ liches Gesundheitsmanagement hat deshalb mit der Kom­ munikationstelle und unter Einbezug interner Fokusgruppen einen Leitfaden mit Empfehlungen für den zweckdienlichen Einsatz von E-Mails entwickelt. So soll zum Beispiel die CCFunktion so wenig wie möglich eingesetzt oder die automa­ tische Abwesenheitsmeldung eingerichtet werden. Und für die Beantwortung von Mails ohne Deadline sollen sich die Empfänger bis zu zwei Tage Zeit nehmen können. Arbeitstage, wohlgemerkt. //


«Seit ich 16 Jahre alt bin, trage ich diese Halskette immer auf mir. Auf der

Vorder­­seite des Anhängers ist mein Sternzeichen, der Schütze, auf der Rückseite mein Name eingraviert. Sie bedeutet mir sehr viel: Sie ist Glücksbringer und Erinnerungsstück in einem. Ich habe sie zur Konfirmation von meiner Gotte erhalten, zu der ich heute nicht mehr so viel Kontakt habe. Die Kette erinnert mich immer an die Zeit mit ihr, aber auch an meine Jugend.» Matthias Rüegsegger, Bachelorstudent Physiotherapie, 3. Semester


FORSCHUNG

WIE MÜTTER UND VÄTER DR. GOOGLE NUTZEN Für Eltern, die Fragen zur Gesundheit ihres Kindes haben, ist das Internet eine wichtige Informationsquelle. Bisher ist das Verhalten von Schweizer Müttern und Vätern in der digitalen Welt jedoch kaum erforscht. Das Projekt «Digitale Elternratgeber» der ZHAW-Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften will Licht ins Dunkel bringen. VO N J U L I A D R AT VA

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ei einem Kratzen im Hals, einer geröteten Stelle am Oberarm oder einem Zwicken im Rücken ist er nur ein Handgriff entfernt: Doktor Google. Unzählige Websites, Apps und soziale Netzwerke bieten Rat bei Gesundheitsfragen. Sie können für Erleichterung sorgen – oder aber das Gefühl erwecken, an einer ganzen Reihe schwerwiegender Krankheiten zu leiden. Eine Vielzahl an digitalen Ratgebern gibt es auch für Eltern, die sich über die Gesundheit und Entwicklung ihres Kindes informieren wollen. Die bisherige

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Forschung zeigt, dass das Internet als Informationsquelle für Eltern enorm an Bedeutung gewonnen hat. Zusammen mit deren Nutzung ist auch das Angebot an digitalen Ratgebern, insbesondere an Onlineportalen, rasant gewachsen. Die Informationsflut im Netz kann die Eltern verunsichern Diese Entwicklung hat einerseits das Potenzial, im Sinne eines «Empowerment» die Gesundheitskompetenz der Eltern zu steigern und ihnen eine aktive Rolle in der Entscheidungsfindung zu ermöglichen.

Dies könnte letztlich auch das Gesundheitswesen entlasten. Anderseits kann die Informationsflut in der digitalen Welt Eltern verunsichern. Ausserdem erfordert es eine hohe Gesundheits- und Medienkompetenz, um die Zuverlässigkeit der Inhalte korrekt einzuschätzen. Welche digitalen Informationsquellen Eltern nutzen und zu welchen Themen sie diese konsultieren, ist bislang kaum erforscht. Auch weiss man wenig darüber, wie sich dies auf die Beziehung zwischen Eltern und Arzt auswirkt. Zwar gibt es vereinzelte Studien aus angelsächsischen


FORSCHUNG

Eltern, die sich über die Gesundheit ihres Kindes schlau machen möchten, finden online zahllose Informationsplattformen.

Ländern, den Niederlanden und Norwegen. Aufgrund kultureller Unterschiede ist jedoch fraglich, ob sich deren Ergebnisse auf den deutschsprachigen Raum respektive auf die Schweiz übertragen lassen. Um mehr über das Informationsbedürfnis und -verhalten von Eltern herauszufinden, hat die ZHAW-Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften das Projekt «Digitale Elternratgeber» durchgeführt, finanziert durch den Käthe-Zingg-Schwichtenberg-Fonds  der Schweizerischen Akademie der Me­dizi­ni­ schen Wissenschaften. Rund 750 deutschsprachige Eltern von Kindern im Alter zwischen 0 und 24 Monaten im Raum Zürich haben dazu einen Onlinefrage­bogen ausgefüllt. Zudem wurden Eltern und Ärzte interviewt.

Die einen verweisen auf Ratgeber oder setzen diese sogar direkt im Gespräch mit den Eltern ein, andere verzichten gänzlich auf «digitale Laieninformationen» und informieren sich selbst ausschliesslich auf Kanälen für ein medizinisches Fachpublikum. Aufgrund der vorliegenden Forschungsergebnisse sind nun weitere Projekte geplant. So ist unter anderem vorgesehen, die Ergebnisse in verschiedenen Sprachregionen und Kulturen zu überprüfen und das Potenzial digitaler Medien zur Stärkung der Gesundheitskompetenz von Müttern und Vätern weiter zu untersuchen. Als Folge des von den Eltern geäus­ serten Wunsches nach mehr Orientierungshilfe wird zudem mit der Schweizerischen Gesellschaft für Pädia­ trie ein Konzept erarbeitet, um Eltern verlässliche digitale Informationen zur Verfügung zu stellen und ihre Gesundheitskompetenz zu fördern. //

Digitale Ratgeber haben das Poten­z ial, die Gesundheits­ kompetenz der Eltern zu steigern.

Eltern vertrauen digitalen Ratgebern nicht blind Das Projekt hat gezeigt, dass bei den befragten Eltern der direkte Kontakt, beispielsweise das Gespräch mit Hausarzt oder mit Bekannten, nach wie vor die wichtigste Informationsquelle darstellt (siehe Grafik). Vermehrt werden aber auch digitale Medien konsultiert, insbesondere Onlinepor­ tale. Die Eltern nutzen digitale Ratgeber zudem eher, wenn es um allgemeine Gesundheits- und Entwicklungsfragen, etwa zur Hygiene oder Ernährung ihres kleinen Kindes geht. Wird beim Kind hingegen ein gesundheitliches Problem vermutet, informieren sie sich deutlich weniger über digitale Kanäle. Ein Grossteil der Teilnehmenden äusserte zudem eine gesunde Portion Skepsis im Umgang mit digitalen Quellen. Einen wesentlichen Einfluss der Nutzung digitaler Informationen auf die Beziehung zwischen Eltern und Arzt konnte die Studie nicht feststellen. Allerdings wünschen sich viele der befragten Eltern mehr ärztliche Orientierungshilfe im digitalen Informationsdschungel – etwa in Form von Hinweisen, welche Websites vertrauenswürdig sind. Hier gibt es bei der Ärzteschaft jedoch grosse Unterschiede, was den Wissensstand über und die Nutzung von digitalen Ratgebern angeht.

DIGITALE ELTERNRATGEBER Nutzung und Einfluss auf die Arzt-Eltern-Interaktion in der pädiatrischen Vorsorge Leitung Julia Dratva Team Sibylle Juvalta, Isabel Baumann, Dominik Robin und Susanne Stronski Huwiler Projektdauer 1. Oktober 2017 – 30. Juni 2018 Finanzierung Käthe-Zingg-SchwichtenbergFonds/Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissen­ schaften (SAMW)

blog.zhaw.ch/vitamin-g

Wo sich Eltern informieren 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 %

Digitale Medien

Printmedien

Direkte Kontakte

Anteil an Eltern, die digitale Medien, Printmedien oder direkte Kontakte häufig bis sehr häufig als Informationsquellen nutzen. Quelle: Forschungsstelle Gesundheitswissenschaften, ZHAW

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STUDIUM

ANGEHENDE HEBAMMEN HINTERFRAGEN IHRE HALTUNG Lesbische, suchtkranke oder behinderte Frauen, die ein Kind erwarten, haben besondere Bedürfnisse. In der Unterrichtseinheit «Besondere Schwangerschaften und Familien» bauen Bachelorstudierende Hemmschwellen in der Arbeit mit diesen Gruppen ab. VO N A N D R E A S Ö L D I

ter, die drogenabhängig sind oder ihr Kind zur Adoption freigeben wollen, aber auch Paare, die dank der Reproduktionsmedizin ein Kind erwarten. Damit angehende He­ bammen auf solche Situationen gut vorbereitet sind, besuchen sie am Departement Gesundheit im sechsten Semester des Bachelorstudiengangs die Unterrichtseinheit «Besondere Schwangerschaften und Familien». Dieses Jahr wurde die Veranstaltung für den Lehrpreis vorgeschlagen, den die ZHAW jährlich vergibt, und schaffte es unter die zehn Finalisten (siehe Zweittext). «Es freut mich besonders, dass es Studierende waren, die diesen Unterricht nominiert haben», sagt Dozentin Ilke Hasler, welche die Lehreinheit entwickelt hat. Seit der ersten Durchführung vor acht Jahren hat sie das Konzept aufgrund von Rückmeldungen stetig angepasst. Im September konnte sie es am Best-TeachingTag der ZHAW in Wädenswil vorstellen.

etwa eine Frau, die erst nach zahlrei­ ­chen reproduktionsmedizinischen Anläufen schwanger geworden war, von den körperlichen Strapazen und dem emotionalen Auf und Ab: vom Hoffen auf Erfolg und von den vielen Enttäuschungen, wenn dann doch die Menstruation einsetzte. Begleitet von einer Fachperson der Sucht­ hilfe, stellen sich Frauen, die Alkohol oder andere Drogen konsumieren, den Fragen der Studierenden. Andere legen dar, wie­so sie sich dazu entschieden haben, ihr Kind zur Adoption freizugeben. «Die Studierenden erkennen, dass das keines­ wegs ‹Rabenmütter› sind, sondern oft sehr verantwortungsbewusste Frauen», erklärt Ilke Hasler. Neben dem emotionalen Aspekt lernen die angehenden Hebammen ein breites interprofessionelles Unterstützungsangebot kennen. «Die Atmosphäre ist stets sehr offen und berührend», erzählt Hasler. Selbstverständlich gelte die Schweigepflicht. «Die Studierenden dürfen auch sehr persönliche Fragen stellen.» Den Abschluss bildet jeweils ein Plenum, bei dem sich alle nochmals über die gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse austauschen. «Wir verlangen nicht, dass jemand seine Haltung ändert», betont die  Modulverantwortliche. Doch für ein professionelles Arbeiten sei es unumgänglich, dass man sich seiner Einstellung bewusst sei und reflektiert damit umgehe. Dennoch: Über drei Viertel der Teilnehmerinnen gaben bei der Evaluation des Unterrichts an, dass sie ihre Haltung in einem oder mehreren Punkten geändert hätten.

«Die Atmosphäre ist stets sehr offen und berührend.»

Im Unterricht lernen die Studierenden auch ein breites Unterstützungsangebot kennen – zum Beispiel für Mütter mit einer Behinderung.

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utter, Vater und zwei Kinder: Wenn von einer Familie die Rede ist, haben immer noch die meisten dieses Bild im Kopf. Doch im Berufsalltag haben es Hebammen immer öfter mit ganz anderen Familienmodellen zu tun. Sie treffen zum Beispiel auf lesbische Paare oder auf schwangere Frauen mit einer Behinderung. Sie betreuen werdende Müt-

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Viele ändern ihre Haltung Ganz am Anfang steht stets die Auseinandersetzung mit Stereotypen und der eigenen Haltung. Anhand von Bildern, Videosequenzen und Gruppengesprächen werden sich die Studierenden ihrer Ein­stel­lung bewusst und reflektieren sie. Im Selbststudium suchen sie nach Literatur zu den verschiedenen Themen – von Studien und Fachbüchern über Trivialliteratur bis zu Zeitschriften. In einem zweiten Teil kommt es zu direkten Begegnungen mit betroffenen Men­schen sowie Fachpersonen. So er­zählt

Sich trauen, offen zu fragen Die meisten dieser Themen seien eigentlich nicht neu, sagt Ilke Hasler. Doch früher habe man in der Ausbildung kaum darüber gesprochen. Sogenannte Regenbogenfamilien seien in der Gesellschaft erst in den letzten Jahren sichtbarer geworden. Die Reproduktionsmedizin macht rasan­te Fortschritte und wird viel häufiger in Anspruch genommen. Und die Forschung


STUDIUM

bringt neue Erkenntnisse hervor, die auch Frauen im Rollstuhl oder mit anderen Behinderungen eine Schwangerschaft oder gar eine natürliche Geburt ermöglichen. Der Unterricht greift fünf Themenbereiche auf. Die persönliche Konfrontation und Auseinandersetzung soll aber die Voraussetzung schaffen, dass sich Hebammen später auch bei der Begegnung mit anderen vulnerablen Menschen flexibel und reflektiert verhalten können. Weitere Gruppen mit speziellen Bedürfnissen sind etwa Menschen mit psychischen Problemen oder Migrationshintergrund. Weil Letzteres ein so breites Themenfeld ist, wird es in einem anderen Modul separat aufgegriffen. «Ich bin im Laufe dieses Unterrichts viel offener geworden gegenüber anderen Familienformen», sagt Sarah Willi, die den Bachelorstudiengang diesen Sommer abgeschlossen hat. Zudem habe sie Hemmschwellen abbauen können: «Ich traue mich nun viel eher, Frauen und ihre An­ gehörigen direkt nach ihren Bedürfnissen zu fragen.» //

Diese beiden homosexuellen Paare taten sich zusammen, um Kinder auf die Welt zu bringen. Eine der Frauen teilte ihre Erfahrungen mit den angehenden Hebammen.

GUTE CHANCEN AUF DEN LEHRPREIS 2018

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ie ZHAW vergibt jedes Jahr einen Preis für beispielhafte Gestaltung des Lehr- und Lernangebots. Dabei stehen immer wieder andere Aspekte im Vordergrund. 2018 liegt der Fokus auf Transformationen in der Lehre. Der Begriff beschreibt einerseits Veränderungen persönlicher Art, die Studierende im Laufe des Studiums erleben; anderseits meint er die fortlaufenden Anpassungen des Unterrichts an die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Transformative Bildung soll Studierende zum Reflektieren über ihre Kennt­ nisse und die Entwicklung ihres Berufes bringen. Die erworbenen Kompetenzen be­fähigen sie, ihr Fach- und Methodenwissen in der Praxis zielführend anzuwenden. Die Jury setzt sich aus Vertretern verschiedener Fachbereiche zusammen, darunter auch zwei Studierende. Sie gibt eine Empfehlung zuhanden des Rektors ab, der Ende Jahr die Sieger bestimmt. Die ersten drei Plätze sind mit 5000, 3000 und 2000 Franken dotiert. Vom Departement Gesundheit haben es neben «Besondere Schwangerschaften und Familien» drei

weitere Projekte unter die zehn Finalisten mit der Kostenentwicklung im Gesunddes diesjährigen Lehrpreises geschafft: heitswesen auseinander und gehen der Frage nach, wie die limitierten RessourErgotherapie: Betätigung in neuen cen möglichst zielgerichtet zum Nutzen Berufsfeldern ermöglichen der Patienten eingesetzt werden können. Seit 2013 widmet sich eine Projektwerk- Sie lernen Methoden für die Analyse von statt im dritten Semester des Bachelorstu- Kosten und Effektivität kennen und werdiengangs potenziellen Berufsfeldern für den befähigt, einen kritischen Diskurs Ergo­therapeuten. Infrage kommen etwa mit Akteuren des Gesundheitswesens zu prä­ven­­ti­ve Interventionen bei chronischen führen. Er­­krankungen oder die Unterstützung von Bevölkerungsgruppen, die in ihrer Betäti- Pflege: Mit unheilbar kranken gung eingeschränkt sind – zum Beispiel Menschen umgehen lernen Migrantinnen und Migranten oder Men- Das Modul Palliative Care für Diplomierte schen mit psychischen Problemen. Anhand ist Teil des berufsbegleitenden Bachelorselbst gewählter Praxisprojekte dringen studiengangs für diplomierte Pflegefachdie Studierenden in Bereiche vor, die nicht personen. Anhand realitätsnaher Simuladem klassischen Bild der Ergotherapie ent- tionen treffen Studierende auf Patienten sprechen, und erhalten die Chance, etwas mit einer tödlichen Krankheit und deren zu prägen, das der Zeit voraus ist. Angehörigen. Nach einem Reflexionsprozess erhalten sie in erneuten, ähnlichen Physiotherapie: Methoden Simulationen die Gelegenheit, alternative für ökonomische Evaluationen Herangehensweisen auszuprobieren. Ein Das fünftägige Modul im Rahmen des wichtiger Aspekt dabei ist die ZusammenMasterstudiengangs Physiotherapie wid- arbeit mit verschiedenen Berufsgruppen, met sich den ökonomischen Gesichtspunk- die in der Palliativpflege von grösster Beten des Berufes. Studierende setzen sich deutung ist. //

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KARRIERE

NEULAND DOKTORAT Das von der ZHAW und der Universität Zürich entwickelte Doktoratsprogramm «Care and Rehabilitation Sciences» schliesst eine Lücke in der Akademisierung der Gesundheitsberufe. Es ermöglicht Health Professionals mit einem Fachhochschulmaster seit diesem Jahr, in der Schweiz zu promo­vieren. Zu den ersten Teilnehmenden gehören die Hebamme Vanessa Leutenegger und der Physio­therapeut Fabian Pfeiffer. Hier erzählen sie, weshalb sie sich für diesen Weg entschieden haben.

Vanessa Leutenegger Dipl. Hebamme, MSc in Nursing, wissenschaftl. Mitarbeiterin am Institut für Hebammen

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zu früher zu wenig praxisorientiert wäre. Das war zu Beginn hin und wieder schwie­ rig. Es zeigte sich aber schnell, dass das Studium viel Praxis und Skillsunterricht beinhaltete und wir gut gerüstet in die Tä­ tigkeit als Hebamme starten konnten. Mit dem stetigen Wandel, den wach­ senden Ansprüchen an unsere Berufsrolle, dem zunehmenden Druck seitens der Ärz­ te wie auch den zu erfüllenden ökonomi­ schen Aspekten wuchs mein Wunsch nach vertief­tem Expertenwissen. Deshalb ent­ schied ich mich nach zwei Jahren für ein Masterstudium in Pflegewissenschaften. Leider gab es 2014 die Möglichkeit noch nicht, einen MSc Hebamme in der Schweiz zu absolvieren. Im Verlauf des Master­ studiums wurde mein Interesse für die Forschung geweckt. Einen PhD zu machen, war schon län­ ger ein Traum, ich habe jedoch nicht ge­ dacht, dass die Chance so rasch kommen würde. Nun stehe ich also hier, am Anfang meiner Promotion, und freue mich auf die kommenden Herausforderungen. In meiner Doktorarbeit entwickle und teste ich eine aktive und kontrollierte Atmungsund Entspannungstechnik, die von den Frauen während der Geburt angewendet werden kann. Dabei konzentriere ich mich auf das Testen der Intervention und ge­ winne erste Erkenntnisse über mögliche Effekte auf verschiedene Faktoren wie bei­ spielsweise auf die Intensität des Geburts­ schmerzes. Nach der Promotion möchte ich weiterhin als freiberufliche oder auch angestellte Hebamme arbeiten, mich wis­ senschaftlich weiterentwickeln und an den Diskussionen meiner Berufsgruppe teil­ nehmen. Eines meiner grössten Ziele für die Zukunft ist es, mich für den Beruf der Hebamme stark zu machen. //

ch bin als freiberufliche Hebamme in der Stadt Zürich tätig und arbeite da­ neben als wissenschaftliche Mitarbei­ terin am Institut für Hebammen. Die zwei sehr unterschiedlichen Möglichkei­ ten, dem Beruf nachzugehen, machen die Arbeit für mich tagtäglich spannend und stellen mich teilweise auch vor organisato­ rische Herausforderungen. Das Bachelorstudium Hebamme habe ich in der ersten Kohorte absolviert. Wir Studentinnen des ersten Jahrgangs mussten in der Praxis oft erklären, was die neue Be­ rufsausbildung an einer Fachhochschule bedeutet. Wir trafen gelegentlich auf Be­ denken, dass die Ausbildung im Vergleich Vanessa Leutenegger

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Fabian Pfeiffer MSc in Physiotherapie, wissenschaftl. Assistent am Institut Physiotherapie

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eine Physiotherapieaus­ bildung in Deutschland war ursprünglich als Zeit­ füller gedacht, um auf ei­ nen Studienplatz in Medizin zu warten. Doch während der Ausbildung bin ich ein totaler Fan geworden. Direkt nach dem Ab­schluss kam ich zum Arbeiten in die Schweiz. Als Berufsanfänger fühlte ich mich zunächst bereit für grosse Taten, merkte aber bald, dass ich von der Praxis noch nicht viel wusste. Ich fing an, mich zu spezialisieren, und begann die klassische manuelle Therapieausbildung. Es folgten Weiterbildungen im Bereich Sportphysio­ therapie, Kinesiotape und Neurodynamik.


KARRIERE/WEITERBILDUNG

Über Umwege bin ich schlussendlich auf den akademischen Weg gekommen. Von 2014 bis 2017 habe ich berufsbegleitend den Master of Science an der ZHAW stu­ diert und mich weiter spezialisiert. Mein Steckenpferd sind Schmerzpatienten aller Art, vorwiegend Patienten mit chronischen Schmerzen. Ich habe über das Thema di­ verse Vorträge gehalten, Artikel geschrie­ ben und gebe seit letztem Jahr hierzu Un­ terricht. Weiter ist in diesem Frühling das «Fallbuch Physiotherapie» erschienen, bei dem ich Mitherausgeber bin. Schon bald nach meinem Masterab­ schluss kam der Gedanke: Warum nicht weitermachen? Zwei Dinge verstärkten meinen Wunsch, zu doktorieren: einerseits die Aussicht, als einer der ersten Physio­ therapeuten ein Doktorat in der Schweiz

zu machen, anderseits die Möglichkeit, in meinem Spezialgebiet Rückenschmerzen zu doktorieren. Die nächsten drei bis vier Jahre werde ich in meiner Doktorarbeit untersuchen, welche Faktoren dazu bei­ tragen beziehungsweise verhindern, dass aus akuten chronische Rückenschmerzen werden. Ich möchte herausfinden, warum sich einige Patienten in kurzer Zeit erholen und andere einen ungünstigen Verlauf ent­ wickeln, der geprägt ist von Schmerzen, Einschränkungen in der Lebensqualität, Behinderung, sozialem Rückzug und Ar­ beitslosigkeit. Ich bin stolz, einer der ersten Dokto­ randen im Kooperationsprogramm «Care and Rehabilitation Sciences» zu sein, und nehme dafür organisatorische Hürden ger­ ne in Kauf. Eine der grössten Herausforde­

rungen, die auf mich zukommen, ist wohl, gleichzeitig auf verschiedenen Hochzeiten zu tanzen: die Arbeit in der Praxis, das Doktorat, die Lehre. Und gleichzeitig dar­ um bemüht sein, dass ich meine Partnerin und meine Kinder nicht vernachlässige. Die Zeit wird sehr intensiv werden, aber ich freue mich schon heute darauf, die Früchte des Doktorats zu ernten. Wenn ich es abgeschlossen habe, stelle ich mir meine Arbeit als Dreieckbeziehung zwi­ schen Forschung, Lehre und Praxistätig­ keit vor. Letztere wird für mich immer wichtig sein: An und mit den Patienten zu arbeiten – da bin ich durch und durch Physiotherapeut. //

Aufgezeichnet von Cordula Stegen

MORBUS BECHTEREW FRÜHER ENTDECKEN Eine frühe Diagnose ist für den Verlauf von Morbus Bechterew entscheidend, wie das erste Symposium in der Reihe «Diagnose am Bewegungs­apparat» aufzeigte. Die Teilnehmenden erfuhren, wie Physiothera­peutinnen und -therapeuten dazu beitragen können, dass die Wirbelsäulenerkrankung früh erkannt wird. VO N YO U R I D I ES J OYS E E R E E

M orbus Bechterew ist eine chronische Ent­ zündung der Wirbelsäulengelenke und der Iliosakralgelenke im Beckenbereich. Die mit der Erkrankung einhergehenden Rü­ ckenschmerzen beginnen schleichend, bessern sich durch Bewegung und quälen die Betroffenen vor allem in der Nacht, so dass diese immer wieder aufstehen müs­ sen. In der Schweiz wurde die Krankheit bis heute bei 10 000 Menschen diagnosti­ ziert, Schätzungen gehen aber von bis zu 80 000 Betroffenen aus. «Innerhalb der ersten zehn Jahre nach Symptombeginn kommt es bei etwa ei­ nem Drittel der Frauen und fast zwei Drit­ teln der Männer zu eine partiellen oder vollständigen Versteifung der Wirbelsäu­ le», erklärte der Rheumatologe Diego Ky­ burz Anfang September am Symposium «Differenzierung entzündlicher versus me­ chanischer Rückenschmerz». Es war der erste Anlass in der Reihe «Diagnose am Bewegungsapparat», die das ZHAW-Ins­

titut für Physiotherapie in Zusammenar­beit mit der Schweizerischen Vereinigung Morbus Bechterew (SVBW) und Novartis Pharma Schweiz durchführt. Da das An­ sprechen auf die Therapie in der frühen Erkrankungsphase besser ist und dadurch oft auch die strukturellen Veränderungen an der Wirbelsäule verlangsamt werden können, ist es entscheidend, dass die Er­ krankung möglichst früh diagnostiziert wird. «Tatsächlich dauert es aber im Schnitt drei oder mehr Jahre bis zur Diag­ nose», so Diego Kyburz. Dies konnte auch René Bräm, Geschäftsleiter der SVMB, an­ hand eigener Untersuchungen bestätigen. Im Zweifelsfall den Arzt kontaktieren Endlich zu wissen, woran sie leidet, war für Magdalena Meier-Pfeiffer der Weg zu neuem Glück, wie sie am Symposium schilderte. Sie war bei der Diagnose 46 Jahre alt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand den wahren Grund ihrer ständi­

gen Schmerzen erkannt, an denen sie seit ihrem 16. Lebensjahr leidet. Dass die Dia­ gnose bei Morbus Bechterew früher erfol­ gen muss, darin waren sich alle Anwesen­ den einig. Gerade Physiotherapeutinnen und -therapeuten sehen viele Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. «Nicht immer handelt es sich um unspezifische Schmerzen, die etwa mechanisch bedingt sind», erklärte Katrin Tschupp, Dozentin mit Schwerpunkt Muskuloskelettale Phy­ siotherapie an der ZHAW. Sie stellte eine Checkliste vor, mit deren Hilfe Patienten mit entzündlichen Rückenschmerzen ge­ screent werden können und die auch zur Überweisung an den Arzt für weitere Ab­ klärungen genutzt werden kann. // bechterew.ch

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Gewusst wie !

DEN PULS VON HAND RICHTIG MESSEN

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er Puls zeigt die Ermittelt wird die Frequenz Mit elektronischen Geräten ist das Pulsmessen Herzaktion und ist pro Minute, ob der Puls re­ heutzutage ein Kinderspiel. Die manuelle ein Parameter, der gelmässig oder unregelmässig Erfassung ist zwar anspruchsvoller, liefert dafür in der Praxis be­ schlägt und welche Qualität aber viel mehr Informationen. Wie der Puls deutungsvoll ist und oft ge­ er dabei aufweist: die Span­ messen wird. Und obwohl er nung – der getastete Druck mit den Fingern richtig ertastet wird, wissen mittlerweile elektronisch er­ (hart, weich, sehr weich) – Uschi Heinrich und Sibylle Truninger.* fasst werden kann, ist die ma­ und die Füllung, also die ge­ nuelle Pulsmessung nach wie tastete Grösse (gross, klein, vor überlegen. Denn mit ihr fadenförmig). kann auch die Qualität des Pulses erfasst werden kann. Meist wird die Arteria radia­ Übrigens: Die Traditionelle Chinesi­sche werden. Bei einer erwachsenen Person lis am Handgelenk ertastet. Für die Mes­ Medizin kennt wesentlich mehr Pulse als schlägt das Herz zwischen 60 und 100 Mal sung wird lediglich eine Uhr mit Sekun­ die westliche Medizin. Es gibt 28 verschie­ in der Minute. Bei Ausdauersportlern sind denanzeige benötigt. Die Patientin oder dene Typen, die an drei Stellen und in drei tiefere Werte von 45 bis 50 Schlägen pro der Patient sollte zuvor mindestens zehn Tiefen an den beiden Handgelenken ge­ Minute normal. Bei Kindern ist die Herz­ Minuten geruht haben und während der tastet werden können. Gewaltige Unter­ frequenz dagegen deutlich höher. So ist Messung nicht sprechen. Mit den drei mitt­ schiede beim Puls gibt es in der Tierwelt: bei einem wachen Neugeborenen ein Puls leren Fingern wird am Handgelenk auf der So schlägt das Herz eines Blauwals zwei von rund 200 Schlägen pro Minute kein Daumenseite die Arterie lokalisiert, bis bis sechs Mal in der Minute, das der Spitz­ Grund zur Sorge. Anders bei einem er­ der Puls gut gefühlt werden kann. Die Fin­ maus über 1000 Mal. wachsenen Menschen: Hat der Ruhepuls ger sollten leicht, aber mit gutem Kontakt über 100 Schläge, so spricht man von Ta­ auf der Stelle gehalten werden. Bei zu fes­ chykardie. Ursachen können etwa Herz­ tem Druck kann der Blutfluss gestört sein, * Uschi Heinrich, MScN, und krankheiten oder Fieber sein. Liegt die wodurch sich der Messwert verändert. Bei Sibylle Truninger, MScN, arbeiten Herzfrequenz hingegen unter 60 Schlägen regelmässigem Puls wird 15 Sekunden lang als Dozentinnen im Bachelorstudien­ pro Minute, wird von Bradykardie gespro­ gezählt und das Ergebnis mit vier multi­ gang Pflege. Sie unterrichten die chen. Als krankhafte Ursachen kommen pliziert. Die Zählung beginnt dabei bei Studierenden in verschiedenen Herzrhythmusstörungen in Frage. Null – ansonsten würde durch die Multipli­ Modulen, unter anderem im Skills­ kation ein höherer Wert errechnet, als training, in dem auch das Puls­Nicht zu viel Druck ausüben wenn der Puls 60 Sekunden lang erfasst messen geübt wird. Gemessen werden kann der Puls an jeder wird. Bei einem unregelmässigen Puls oder Arterie, die nahe an der Körperoberfläche einer Bradykardie wird eine Minute lang blog.zhaw.ch/vitamin-g liegt und gegen festes Gewebe gedrückt ausgezählt.

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VITAMIN G NR . 5 NOV EM B ER 2 018


AGENDA

Do, 15. Nov. 2018 // 17.30–19.00 Uhr

Fr, 18. Jan. 2019 // 14.00–16.45 Uhr

Infoveranstaltung Doktoratsprogramm

Neue Technologien in der Pflege

Mit dem Doktoratsprogramm «Care and Rehabilitation Sciences», das die Medi­ zinische Fakultät der Universität Zürich zusammen mit dem ZHAW-Departement Gesundheit entwickelt hat, können neben Pflegefach­personen nun auch Ergo­ therpautinnen, Hebammen sowie Physio­ therapeuten einen Doktor­titel in der Schweiz erwerben. ZHAW Gesundheit

Di, 20. Nov. 2018 // 17.30–18.30 Uhr

«In der Praxis für die Praxis lernen»

An dieser After Work Lecture werden das Konzept und erste Erfahrungen mit der «Zürcher Interprofessionelle Aus­ bildungsstation» (ZIPAS) aufgezeigt. Gesundheitsfachpersonen in Aus­bil­dung betreuen in dieser neuartigen Aus­ bildungsstation gemeinsam «echte» Patienten unter Supervision. ZHAW Gesundheit

Do, 29. Nov. 2018 // 17.30–18.30 Uhr

Antrittsvorlesung von Andrea Glässel

Prof. Dr. Andrea Glässel ist Professorin für interprofessionelle Zusammen­­arbeit und Kommunikation am Institut für Gesundheitswissenschaften. Zu­­dem forscht sie an der Universität Zürich. In ihrer Antrittsvorlesung zeigt sie auf, welchen Beitrag das Wissen, die subjek­tive Sicht und die individuellen Erfah­rungen von Betroffenen und beteiligten Akteuren zu einer interpro­ fessionellen Gesundheitsversorgung leisten können. Institut für Gesundheitswissenschaften

Am Symposium «Advanced Practice Nursing and Digital Health Across the Life Span» diskutieren nationale und internationale Expertinnen und Experten das Potenzial von neuen Tech­ nologien für die Pflege und Betreuung von Menschen aller Altersstufen. Institut für Pflege

IMPRESSUM Sa, 19. Jan. 2019 // 09.00–16.45 Uhr

5. Winterthurer Hebammensymposium

Im Zentrum des Symposiums «Epigene­ tik – Mama ist an allem schuld?» steht die Frage, wie die Epigenetik – die Vererbung veränderter Genfunk­tionen ohne Ände­ rung der DNA – mit den Tätigkeitsbe­ reichen der Hebamme zusammenhängt. Institut für Hebammen

Fr, 25. Jan. 2019 // 13.15–17.45 Uhr

1. Swiss APP Symposium

Die IG Swiss APP (Advanced Physio­ therapie Practice/Practitioner) befasst sich mit der Entwicklung der Physio­ therapie, neuen Rollen im Gesundheits­ wesen und der Erarbeitung neuer Karriere­ ­modelle. Am Symposium werden Grund­ lagen und Pers­pek­tiven aufgezeigt. Institut für Physiotherapie

Sa, 2. März 2019 //09.15–16.30 Uhr

3. Winterthurer Ergogipfel

Wie arbeiten wir auf professionelle Art und Weise interprofessionell? Und wie entwickeln und bewahren wir unsere Identität als Ergotherapeutinnen in diesem Kontext? Der 3. Winterthurer Ergogipfel steht unter dem Titel «Profes­sionell interprofessionell». Institut für Ergotherapie

Fr, 18. Jan.2019 // 14.15–17.45 Uhr

Symposium Geriatrische Physiotherapie

Das Symposium befasst sich mit der Thematik Sturz. Im Fokus der Veranstal­ tung stehen Präventionsprojekte in der Schweiz, aktuelle und evidenzbasier­ te Leitlinien sowie die Angst vor dem Fallen als eine der möglichen Folgen eines Sturzes. In Workshops werden Assessments, Hilfsmittel und konkrete Präventionsprogramme gezeigt. Institut für Physiotherapie

Sa, 16. März 2019 // 08.00–16.30 Uhr

Symposium Muskuloskelettale Physiotherapie

«Manuelle Therapie – quo vadis?»: An diesem Symposium werden die fach­ liche und die berufspolitische Entwick­ lung von der manuellen zur muskuloske­ lettalen Therapie beleuchtet und diskutiert. Institut für Physiotherapie

VITA MIN G Für Health Professionals mit Weitblick Nr. 5 / November 2018 Herausgeber ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschwaften Departement Gesundheit Kommunikation Technikumstrasse 71 8401 Winterthur kommunikation.gesundheit@zhaw.ch zhaw.ch/gesundheit Redaktion Tobias Hänni (Leitung), Inge Corti, Annina Dinkel, Bianca Flotiront, Carol Flückiger, Ursina Hulmann, José Santos, Cordula Stegen Redaktionelle Mitarbeit Michael Bachmann, Malolo Kessler, Eveline Rutz, Andrea Söldi, Susanne Wenger Art Direction und Layout Partner & Partner, Winterthur Druck ZT Medien AG, Zofingen Korrektorat Ingrid Essig, Winterthur Fotos Chavela Zink (S. 1, 8, 13, 19, 24, 27), Fabian Stamm (S. 2, 6, 12), Conradin Frei (S. 22, 23), Tobias Hänni (S. 20, S.36), Youridies Joyseeree (S. 33), KZU Kompetenzzentrum Pflege und Gesundheit (S. 10), SRK Kanton Bern, Region Mittelland (S. 8, 16), istockphoto (S. 2, 14, 15, 26, 28, 34), von den Abgebildeten zur Verfügung gestellt (S. 31), Hogrefe Verlag (S.4), Versus Verlag (S.4), Schweizerische Vereinigung Morbus Bechterew (S.4), Bildarchiv Departement Gesundheit (übrige) Auflage 6000 Erscheinungsweise 2-mal jährlich Das Magazin kann kostenlos abonniert werden: zhaw.ch/gesundheit/vitamin-g ISSN 2504-1835 © Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck von Artikeln mit Genehmigung der Redaktion.

Nähere Informationen: zhaw.ch/ gesundheit/veranstaltungen

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CAMPUS

Weitere Impressionen: instagram.com/ zhaw

ĂœBUNG MACHT DIE MEISTERIN. Health Professionals eignen sich im Studium nicht nur viel Wissen an, sondern wenden dieses auch gleich praktisch an – wie hier im Skillsunterricht des Bachelorstudiengangs Hebamme.


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