Alle Theologen und viele katholische Akademiker haben einmal Latein und Griechisch gelernt. Ein Eindruck ist sicher allen erinnerlich: der vom Deutschen über das Latein zum Griechisch und innerhalb des Griechischen von der Koiné zu Homer zunehmende Umfang der Grammatik. Latein hat mehr Kasus, Modi und Tempora als das Deutsche, Griechisch mehr als Latein und Homer verwendet Formen wie den Dual, den Paulus nicht mehr gebraucht. Neugriechisch ist weiter reduziert, z.B. ist der Dativ weggefallen und die romanischen Sprachen wie Französisch haben eine "einfachere" Grammatik als Latein. In diesen indogermanischen Sprachen fällt also ein Verlust von grammatikalischem Reichtum und damit Ausdrucksmöglichkeiten mit der Zeit auf. Der Aorist, das Medium oder der Optativ des Griechischen können im Deutschen nur durch umständliche Konstruktionen mit Hilfsverben wiedergegeben werden, was beispielsweise bei Bibelübersetzungen, die textlich "ansprechen" müssen, meist nicht geschieht und so zu einer Nivellierung der ursprünglichen Aussagen führt
Die Evolutionstheorie ist zweifellos die Grundlage des gegenwärtigen säkularen Weltbildes. An anderer Stelle wurde in Theologisches dargelegt, dass sie keinesfalls "gleichgültig" für die katholische Religion ist[1], und zwar weniger wegen der Frage der Historizität der ersten 11 Kapitel der Genesis, sondern vor allem wegen ihrer Konsequenzen etwa für Sündenfall und Erbsünde –von denen im evolutionären Kontext zu sprechen wenig Sinn macht-, der Entstehung des Menschen (kann ein Tier zu einem menschlichen Körper evolvieren, ohne einen menschlichen Verstand und damit eine unsterbliche Geistseele zu haben? ) und last not least ob der Christus der Evangelien, durch den "alles geschaffen ist"[2], mittels eines Mechanismus von brutalem "survival of the fittest" schaffen kann.
Nach der Evolutionstheorie ist zu erwarten, dass die menschliche Sprache sich allmählich und in Schritten aus tierischen Kommunikationsformen entwickelt hat: aus primitiven Anfängen zu ihrer heutigen Komplexizität. Natürlich kann diese hypothetische Sprachentwicklung als vergangenes Ereignis nicht mehr beobachtet werden. Es können nur die in historischer Zeit aufgetretenen Sprachen und deren Veränderungen untersucht werden. Dieser durch schriftliche Aufzeichnungen von Sprache zugängliche Zeitraum beträgt etwa 5000 Jahre und ist damit klein gegenüber der postulierten jahrhunderttausende währenden Evolution des Menschen, da die Sprachentstehung von evolutionärer Seite auf vor etwa 40000 Jahren angesetzt wird, ist aber immerhin 1/8 dieser Zeit erfasst. Freilich imponiert auf den ersten Blick, wie oben erläutert, ein genau gegenteiliger Effekt: in historischen Zeiträumen scheinen Sprachen an grammatikalischer Komplexizität zu verlieren statt zu gewinnen.
Der Schweizer evangelikale Bibellehrer und Linguist Dr. Robert Liebi untersucht nun dieses Phänomen in seinem Buch "Herkunft und Entwicklung der Sprachen", das im Rahmen der Studiengemeinschaft "Wort und Wissen" entstanden ist [3].
Nach einer allgemeinverständlichen Einführung in die Grundlagen der Linguistik und einem Überblick über die Sprachstämme der Welt legt Liebi die grundsätzlichen evolutionären Theorien zur Sprachentstehung dar, deren es eine sehr große Anzahl gibt. Einige sehen beispielsweise den Ursprung der Sprache in Alarm- und Schmerzrufen ("Aua-Theorie"), andere in koordinierenden und rhythmusgebenden Ausrufen bei gemeinsamer körperlicher Arbeit ("Hauruck-Theorie"), wieder andere in Nachahmungen von Tierlauten ("Wau-Wau-Theorie"). Man streitet sich, ob die Sprache allmählich oder plötzlich entstand, ob die Interaktion von Mutter und Kind entscheidender Faktor war. Die vielen Theorien zur Sprachentstehung haben vor allem den Fehler, dass sie nicht nachprüfbar sind und daher der Phantasie freien Lauf lassen. Schon 1866 verbot daher die Pariser Sprachgesellschaft in ihren Statuten die Annahme von Sprachentstehungstheorien (S. 104).
Die meisten Evolutionisten gehen davon aus, dass die menschliche Sprache erst in der Altsteinzeit parallel und in Wechselwirkung mit der sich entwickelnden Kultur entstand. Demnach ist es zumindest wahrscheinlich, dass 1. die ältesten menschlichen Sprachen am primitivsten sind, dass 2. Eingeborene heutiger Steinzeitkulturen eine primitivere Sprache haben als Menschen der "1. Welt" und dass 3. Sprachen mit der Zeit an Komplexizität gewinnen.
Die ältesten erhaltenen und entzifferten schriftlichen Sprachzeugnisse sind auf Sumerisch abgefasst und nach allgemeiner Annahme um 3100 v.Chr. entstanden. Sumerisch ist mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt – also ein eigener Sprachstamm – und alles andere als primitiv: Es besitzt wenigstens 10 Kasus –neben den "bekannten" noch den Äquitiv (Vergleichsfall: "wie Wasser"), den Lokativ (Ortsfall "im Haus"), den Komitativ (Gemeinschaftsfall "mit Peter") u.a. Das Verbalsystem ist schwindelerregend komplex. Mittels einer Fülle von Präfixen, Infixen und Suffixen können Verbalinhalte äußerst präzise formuliert werden. Es gibt alleine 7 Modi: Indikativ, Optativ, Prohibitif (Verbotsform), Prekativ (Wunschform), Kohortativ (Ermahnungsform), Prospektiv (mögliche Verwirklichung) und Imperativ. Zu Tempora wie dem Permansiv (Zustandsausdruck) oder Aspekten wie Punktual und Durativ und einer Fülle weiterer Möglichkeiten, Intensität, Richtung, Relation und Objektbeziehung der Handlung auszudrücken gibt es in heutigen Sprachen keine Entsprechung – gegenüber Sumerisch ist vielmehr Deutsch primitiv.
Ähnlich liegen die Verhältnisse in Altägyptisch (2600 – 2100 v. Chr.). Das Verbalsystem eignet sich dank seiner Komplexizität vorzüglich zum Ausdruck großer Präzision und feiner Nuancierungen. Es hat 6 Modi, Handlungen können mit Zeitbezug (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) oder ohne Zeitbezug beschrieben werden, die Aspekte Durativ, Punktual und Resultativ werden unterschieden und es gibt in der Konjugation 8 Personen, indem die 2. und 3. Person Singular in männlich und weiblich geschieden werden. Danken wir Gott, dass Er Moses den Pentateuch nicht auf Altägyptisch abfassen ließ – Bibelübersetzer würden zur Verzweiflung getrieben.
Die vom Evolutionskonzept zu erwartende "Primitivität" in den Eingeborenen-Sprachen existiert ebenfalls nicht, wie Liebi an Beispielen u.a. der Feuerländer oder nordamerikanischer Indianersprachen zeigt. So haben die Wintu-Indianer in Kalifornien z.B. spezielle Formen, die unterscheiden, ob eine Aussage eine Übernahme vom Hören-Sagen ist, Resultat einer persönlichen Beobachtung oder einer logischen Schlußfolgerung. Für letztere werden zudem 3 Plausibilitätgrade unterschieden. Militärisch wurden Indianersprachen in den Weltkriegen wichtig: als Funker verwendete Comanche-Indianer übermittelten Meldungen in ihrer Muttersprache, die für die feindlichen B-Dienste praktisch nicht zu entschlüsseln waren.
"Die Sprachen der Eingeborenen in aller Welt sind vielmehr hochkomplex. Es gibt nicht einmal ein einziges Ausnahmebeispiel unter den Tausenden von heute bekannten Sprachen, das der evolutionistischen Deduktion bezüglich der Eingeborenen-Sprachen in etwa entgegenkommen würde" (S. 201).
Sind schließlich bei den bekannten Sprachen im Laufe ihrer Geschichte Höherentwicklungen oder Zerfallserscheinungen zu beobachten? Es ist erschütternd, fast beängstigend [4], in welchem Maß die oben skizzierten Beispiele des Verlustes grammatikalischer Komplexizität generalisierbar sind. Alle bekannten Sprachen zeigen dieses Phänomen. Ohne Ausnahme. Akkadisch, Ägyptisch, Hebräisch, Arabisch, Ethiopisch, Sanskrit – alle Sprachen in allen Sprachstämmen.
Psychologisch ist dies begründet in einer weltweit und zu allen Zeiten beobachteten "Trägheit der Sprechenden": der Mensch tendiert, den mentalen und physischen Aufwand seiner Bemühungen allgemein und so auch beim Sprechen zu minimisieren. Dies führt zum Abschleifen phonologischer Elemente ("Wörter") und Eliminierung morphologischer Strukturen ("Grammatik") und wurde als Gesetzmäßigkeit schon im 19. Jahrhundert erkannt. Teilkompensiert wird dies durch die angelegte Kreativität des Menschen in Syntax und Lexik: der Mensch kann leicht neue Wörter erfinden (Lexik) oder neue Wortstellungen im Satz schaffen (Syntax), das heißt z.B. ein Tempus oder ein Modus durch Hilfsverben kennzeichnen statt durch eine Form des Verbums. Sprachen bleiben so immer funktionell. Englisch und besonders Chinesisch sind Sprachen nahe am "Endpunkt" dieser Entwicklung. (...)
Anmerkungen
[1] Wolfgang B. Lindemann, Ist die Evolutionstheorie gleichgültig für die katholische Religion?, Theologisches, Jahrgang 30, Nr. 5/6, S. 175-186 (Mai/ Juni 2000)
[2] Joh 1,3 – bezeichnenderweise das Schlußevangelium der Hl. Messe
[3]
www.wort-und-wissen.de. Kontakt:
sg@wort-und-wissen.de. Zur grundsätzlichen Information siehe das "Hauptwerk" von "Wort und Wissen": "Evolution – Ein kritisches Lehrbuch", rezensiert von Wolfgang B. Lindemann in Forum Katholische Theologie, 17. Jahrgang Heft 2/2001, S.155-157. Für katholische Leser besonders geeignet: Johannes Grün: "Die Schöpfung – Ein göttlicher Plan. Die Evolution im Lichte naturwissenschaftlicher Fakten und philosophisch-theologischer Grundlagen. Mit einem philosophischen Essay von Hermann Weinzierl". Verax Verlag/ Müstair/ Graubünden, Schweiz 2000, 543 Seiten, ISBN 3-9090665-05-8, rezensiert von Wolfgang B. Lindemann in Theologisches, Jahrgang 31, Nr. 11, S. 558- 562 (November/ Dezember 2001)
[4] man denkt unwillkürlich "wo soll das noch hinführen?"