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Bulletin 2021/04

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Nr. 4 / November 2021

AZB

Une seule solution: révolution?

4005 Basel

Mutationen an: Postfach 225 4005 Basel

WOHNEN

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Mythen der Verschwörung Die wohnlichere Gestaltung von Stad eilen geht unter kapitalis schen Verhältnissen fast zwangsläufig Hand in Hand mit der Ver‐ drängung der ärmeren Bevölkerung. Was heisst das für eine linke Wohnpoli k?

den beiden Lädeli «Basel unverpackt» und «lokal» Lebensmittel einkaufen. Kurz: Klein‐ basel ist zu einem trendigen Quartier geworden.

Kleinbasel hat sich in den vergangenen zwei/ drei Jahrzehnten stark gewandelt. Das Rheinufer wurde umgestaltet und ist heute ein Anziehungspunkt, der weit über das Quartier hinausstrahlt. Dasselbe gilt für die kommerziellen Zwischennutzungen im Hafenareal Klybeck. Wohnstrassen sind eingerichtet worden. Auf dem Matthäus‐ kirchplatz hat sich ein Wochenmarkt etabliert. An der Klybeckstrasse öffneten elegante Cafés, Galerien und Boutiquen ihre Pforten. Unmittelbar am Rande des Rotlicht‐ viertels verwöhnt das Restaurant «Roter Bären» seine Gäste (13 GaultMillau­Punkte). Am Erasmusplatz können ökologisch bewusste und finanzkräftige Kund:innen in

«Aufwertung» nennen diesen Prozess die einen, «Gentrifizierung» kritisieren andere. Es ist noch gar nicht so lange her, da haben Aktivist:innen neu entstandene Läden, Galerien, Cafés und Boutiquen im Kleinbasel angegriffen, Schaufenster eingeschlagen und die Wände mit Parolen gegen die Verdrängung besprayt. In der Analyse haben diese Aktivist:innen meines Erachtens insofern recht, als die angeprangerten Einrichtungen tatsächlich Ausdruck des Gentrifizierungsprozesses sind. Aber sie sind nicht dessen Ursache. Der Protest richtete sich gegen die falschen Akteure.

Aufwertung oder Gentrifizierung?

Seite 4 Parolenfassung in Kürze 28. November 2021

Seite 9 Auf dem Maienbühl ckt eine Zeitbombe

weiter auf S. 2

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TERMINE Samstag, 06. November Ak onstag: Miethaie zu Fischstäbchen (Claraplatz ab 14h) Montag, 15. November Koordina on Samstag, 20. November Ak onstag: Miethaie zu Fischstäbchen ( ab 14h) Sonntag, 28. November Abs mmungssonntag (Parolen S.4) Dienstag, 30. November Mitgliederversammlung, Union (Klybeckstr. 95, 4057 Basel) Dienstag, 07. Dezember Koordina on

MITGLIED WERDEN Als Mitglied erhältst du unseren Newsletter und 4 Mal im Jahr das BastA!­Bulletin gratis nach Hause geschickt. Zudem hast du das Recht, an den Mitgliederversammlungen teil‐ zunehmen und bei allen Entscheidungen, wie z.B. Parolenfassungen, deine Meinung einzu‐ bringen und mitzubestimmen. Du erhältst auch jeweils eine Einladung zu den Koordi‐ nations­Sitzungen (Vorstandssitzungen), die bei BastA! grundsätzlich für alle Mitglieder offen sind. Deinen Mitgliederbeitrag legst du selber fest, Richtgrösse ist 1% des Nettoeinkommens, der Minimalbeitrag beträgt Fr. 10.­ pro Mo‐ nat respektive Fr. 120.­ pro Jahr.

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IMPRESSUM Nr. 04/2021 Redaktion: Franziska Stier, Martin Flückiger, Till Kleisli, Mariann Gloor Layout & Bildredaktion: Till Kleisli, Franziska Stier Auflage: 1200 Druck: Rumzeis Basel Herausgeber: Förderverein BastA!, Rebgasse 1, Postfach, 4005 Basel E­Mail: sekretariat@basta­bs.ch Telefon: 061 / 691 16 31 Konto: PC 40­31244­5

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EDITORIAL Das aktuelle Bulletin beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Wohnen und Stadtentwicklung. Im November steht die Initiative für ECHTEN Wohnschutz zur Abstimmung und ist damit die nächste Etappe im Kampf um bezahlbare Mieten. Doch nicht nur Renditesanierungen und Massenkündigungen beschäftigen uns. Auch die Frage nach gerechter Stadtentwicklung und Mit‐ wirkung stellt sich immer wieder. Wir freuen uns daher über den Einblick in die Arbeit des KLYCKs zur Frage der Mitwirkung bei der Entwicklung des Klybeckareals und den kritisch begleitenden Kommentar aktueller Mitwirkungs‐ prozesse.

Fortsetzung S. 1 Aufwertung ist ja an sich nichts Schlechtes, im Gegenteil! Wer wünscht sich nicht mehr Wohn­ und Lebensqualität, mehr Grün, verkehrsberuhigte Strassen, eine vielfältige Gastronomie etc. Ich schätze den Matthäus‐ markt sehr, auch wenn ich dort kaum meine kurdischen und türkischen Freund:innen antreffe, sondern vor allem besser situierte Bekannte aus meinem einheimischen linken Umfeld. Und «unverpackt» oder «lokal» einzukaufen ergibt aus ökologischer Sicht durchaus Sinn, auch wenn sich das nicht alle leisten können. Aufwertung der Quartiere heisst aber unter kapitalistischen Bedingungen vor allem: Aufwertung der Liegenschaften. Finanz‐ institute und andere Investoren wittern lukra‐ tive Anlagemöglichkeiten. Massenkündi‐ gungen und Totalsanierungen sind die Folge. Die Mieten steigen. Kaufkräftigere Gesell‐ schaftsschichten verdrängen die weniger begüterten. Gentrifizierung heisst auf gut Deutsch: Vertreibung der ärmeren Bevöl‐ kerung mit der Mietzinspeitsche! Und das stellt die Linke vor ein Dilemma: Sollen wir nun Aufwertungen bekämpfen? Das kann es ja nicht sein! Aber ist «Aufwertung» unter kapitalistischen Bedingungen denkbar ohne Verdrängung? Ich hab da meine Zweifel. Klybeckareal: verpasste Chance In den kommenden Jahren wird sich dieses Dilemma noch zuspitzen. Die Diskussionen um den neuen Stadtteil, der auf den Industriebrachen im Klybeck entstehen soll, laufen schon heiss. Die Linke pocht auf eine gute «soziale Durchmischung». Aber wie viel «Durchmischung» darf es denn sein? 30% sogenannt «günstiger» Wohnraum, oder 50%, oder sogar noch mehr? Wie auch immer, die Mieten in den Neubauwohnungen werden wesentlich höher sein als diejenigen der günstigen Wohnungen im Quartier‐ umfeld, und je mehr finanzkräftige Mieter:‐ innen ins Stadtviertel ziehen, desto interessanter wird es für private Gross‐ investoren, auch die schon bestehenden Liegenschaften «aufzuwerten». Ist die Rede von der «sozialen Durchmischung» also

Ein weiterer Punkt, der sich hartnäckig in viele Alltagsdiskussionen einschleicht und darum Teil dieser Ausgabe ist, ist der Umgang mit der Covid 19­Pandemie, Kritik an den Massnahmen aber auch virulenten Verschwörungser‐ zählungen, denen viele von uns auf die eine oder andere Weise bereits begegnet sind. In der Online­Ausgabe haben wir zudem einen Artikel des jgbs zur Umweltverantwortungsinitiative. Wir hoffen, euch damit eine spannende Ausgabe erarbeitet zu haben und freuen uns über Rückmeldungen. Eure Bulletin­Redaktion

STADTENTWICKLUNG mehr als das Feigenblatt, das es der Linken erlaubt, Verdrängungsprojekten zuzu‐ stimmen, ohne vor Scham zu erröten? Ist sie mehr als der kleinbürgerliche Traum von der Aufhebung der Klassengegensätze, ohne, dass es jemandem weh tut? Die Reichen wollen sich ja auch nicht «sozial durch‐ mischen», die wohnen lieber dort, wo man sich noch mit Namen, Abstammung und Vermögen kennt. Warum also bauen wir auf dem Klybeckareal nicht einen Stadtteil exklusiv für Menschen mit geringer Kaufkraft, wie es dem Quartierscharakter entsprechen würde? Ein wohnliches Getto an bester Lage gewisser‐ massen, mit grösstmöglicher Wohnqualität? Doch für ein solches Projekt würde sich kein Geldgeber finden, und der Kanton hat die Chance verpasst, das Areal selbst zu kaufen. Wohnpolitik heisst für unsere Regierung ja seit jeher vor allem eines: Gute Rahmen‐ bedingungen für private Investoren zu schaffen! Was also tun? Letztlich bleibt nur ein Ausweg aus dem beschriebenen Dilemma: Das knappe Gut Boden müsste der Spekulation entrissen und ins Eigentum des Staates oder gemein‐ nütziger Gesellschaften überführt werden. Wohnen ist ein Grundbedürfnis, dessen Befriedigung in den Aufgabenbereich des Service public gehört. Die Berliner Stimmberechtigten haben mit der Zustim‐ mung zur Initiative «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» einen kleinen Schritt in diese Richtung getan. Auch wir können einen solchen Schritt tun, indem wir ein überzeugtes Ja zur Initiative für einen echten Wohnschutz in die Urne legen. Der Gentrifizierungsprozess wird dadurch zwar langfristig nicht gestoppt, aber zumindest verlangsamt. Und so haben wir etwas mehr Zeit, radikalere Schritte auszuhecken und umzusetzen. Martin Flückiger


VERSCHWÖRUNGSMYTHEN

Mythen der Verschwörung Pandemien beflügeln Mythen der Verschwörung. Allerlei Leute sagen, Covid 19 verbreite sich über die fün e Genera on des Mobilfunks (5G). Und eine Finanzoligarchie manipuliere das Geschehen. Eine Verschwörung ist für mich eine geheime Absprache. Sie setzt eigene Interessen illegal durch. Eine Verschwörungstheorie wäre demnach eine fundierte Reflexion einer solchen Konspiration. „Verschwörungs‐ theorien“ sind jedoch spekulativ. Ich nenne sie deshalb Mythen der Verschwörung. Kinder unserer Zeit 5G baut Funkzellen engmaschig aus, erhöht den Energieverbrauch und strapaziert die Gesundheit. Das sagen Kritiker/innen. Die Strahlen rührten v.a. von den mobilen Funkgeräten, erwidern indes 5G­Befür‐ wortende. Mehr Stationen würden dank kürzeren Distanzen die Belastungen senken. Covid­19 befeuert nun diese Debatte mit dem Vorwurf, 5G pusche die Pandemie. Und umgekehrt. Dahinter stünden die Stiftungen von Klaus Schwab und Bill Gates. Sie schürten mit der Pandemie viel Angst, damit sich Menschen gefügig machen und überwachen liessen. Klaus Schwab präsidiert das World Economic Forum (WEF). Im Buch „The Great Reset“ (2020) plädiert er für eine sozialere Marktwirtschaft. Sonst drohten gewaltige Erschütterungen. Schwab warnt vor einem „Coup“, den er angeblich selbst inszeniere. Zusammen mit dem Impfstoff­ Mäzen. Mehrere Millionen Menschen klickten das inzwischen gesperrte Video „Gates kapert Deutschland“ (Ken Jebsen, YouTube 2020) an. Gates sponsere, erfuhren sie, die Welt­Gesundheits­Organisation (WHO) mit bis zu 80% der Kosten. Laut ARD­Faktencheck (2021) waren es keine 12,5%. Sachlich zu informieren ist bitter nötig. Mächtige wie Bill Gates oder Klaus Schwab dienen als Projektionsflächen. Sie sind vor unhaltbaren Anschuldigungen zu schützen, aber auf fragwürdig vermehrte Vermögen und darauf anzusprechen, wie sie Einfluss nehmen. Der Weg über private Stiftungen ist nur partiell demokratisch. Das ist ein Zwiespalt. Egal, ob das „liebe Geld“ viel Gutes tut. Die Existenzsicherung darf nicht vom Goodwill weniger Begüterter abhängen. Sonst verschärfen sich einseitige Abhängig‐ keiten, die verunsichern und dazu verleiten, komplexe Sachverhalte zu simplifizieren, statt zu differenzieren. Niemand ist dagegen gefeit. Wir sind alle „Kinder unserer Zeit“.

Foto: Pixaby, Strukturelle Herrscha Verdeckte Macht weckt Phantasien. So etwa bezüglich der Bilderberg­Konferenz, die uns regiere. Mehr Einfluss auf die globale Agenda haben jene 147 Unternehmen (inkl. UBS und Credit Suisse), die 40% der Aktien von rund 20‘000 multinationalen Konzernen besitzen (ETH 2011), aber auch kein einheitliches Machtzentrum bilden. Sie sind wie Rhizome bzw. multiple Schaltstellen verwoben. Das analysieren wir in unserer Studie „macht.ch – Geld und Macht in der Schweiz“ (Mäder 2015). Verschwörungs‐ mythen kaprizieren sich jedoch auf den informellen Bilderberg­Club, der nun mit Corona und 5G von sich ablenke. Etliche Verschwörungsmythen richten sich auch pauschal und polarisierend gegen den Sozialstaat. Sie wollen das „verschaukelte Volk vor dem bürokratischen Moloch retten“ und übersehen, wie der angelsächsisch geprägte Wirtschaftsliberalismus soziale Gegensätze forciert. Nach dem Zweiten Weltkrieg akzeptierte ein politisch liberaler Konsens einen gewissen sozialen Ausgleich, der Verschwörungsmythen etwas Boden entzog. Dazu trug auch die Nähe zum grauenvollen Holocaust bei. Seit den 1980er­ Jahren strapaziert jedoch eine geldgetriebene Politik die Konkurrenz. Sie schürt Missgunst, soziale Spannungen und Verschwörungsmythen. Demokratische Strukturen vermindern indes gängige

Hackordnungen und entziehen Verschwö‐ rungsmythen viel Nährboden. Verschwörungsmythen bezichtigen immer wieder Minderheiten, soziale Ordnungen zu bedrohen. Das zeigte sich schon beim Aufkommen von Kinderlähmungen in den USA. Nationalistische Kreise straften jüdische Bevölkerungsgruppen dafür ab. Schriftsteller Philip Roth beschreibt in „Nemesis“ (München 2011), wie 1944 ein Impfstoff fehlte, Tausende an Polio erkrankten und feindliche Handlungen gegen italienische Migrierte zunahmen. Indem Verschwörungsmythen soziale Ereignisse personalisieren, lenken sie von struktureller Herrschaft ab. Was hil ? Gegenläufige Trends prägen unser Verhalten. Eine reflexive Moderne löst laut Soziologe Ulrich Beck (Risikogesellschaft, 1986) das industrielle Zeitalter ab. Die Pluralität der Lebensformen mag auch ein differenziertes Denken anregen. Die strapazierte Rivalität disponiert indes dazu, sich über andere zu erheben. Sie korrumpiert soziale Bezie‐ hungen und begünstigt damit Verschwö‐ rungsmythen, die stets gesellschaftliche Verhältnisse ausdrücken. Verschwörungsmythen fordern uns heraus. Es empfiehlt sich, sie gelassen anzugehen, ohne eigene Vorannahmen in das Feld zu projizieren, das wir betrachten. Sonst sehen

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VERSCHWÖRUNGSMYTHEN wir vornehmlich, was uns zu bestätigen scheint. Statt andere voreilig zu verorten, gilt es auch, sich eingehend mit ihnen zu befassen. Abwegiges verstehen zu wollen, bedeutet keineswegs, es zu rechtfertigen. Selbstverständlich müssen wir stets Quellen präzise befragen und uns von Mythen distanzieren, die das soziale Miteinander diskreditieren. Wichtig ist dabei die (Selbst­)­ Reflexion eigener Schattenseiten. Das hilft, Menschen und Realitäten stimmiger wahrzunehmen und weniger über das zu stolpern, was wir bei uns selbst übergehen. Wer beispielsweise Spielplätze während dem Lockdown öffnen will, ist deswegen keine Corona­Leugnerin. Und wer aufklärend darlegt, wie der US­Geheimdienst CIA an Militärputschs (wie in Chile 1973) mitwirkte, ist deswegen noch längst kein Amerika­ Hasser.

ABSTIMMUNGEN

Parolen vom 28. November 2021 Na onal JA zur Volksinitiative vom 7. November 2017 «Für eine starke Pflege (Pflege‐ initiative)» Ueli Mäder PS: Soziologe Ueli Mäder skizziert im vorliegenden Artikel ein paar Aspekte aus seinem Vortrag vom 20.5.2021 bei den ÄrztInnen für Umweltschutz (oekoskop 3/2021, 19­22), den er im Volkshochschul­ Kurs vom 10. und 17. November 2021, 18.15– 20.00 Uhr an der Universität Basel (Petersplatz 1) weiter vertieft. Kosten: Fr. 50. Anmeldung: VHS BB, info@vhsbb.ch, Tel. 061 269 86 66.

STIMMFREIGABE zur Volksinitiative vom 26. August 2019 «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz­Initiative)» JA zur Änderung vom 19. März 2021 des Bundesgesetzes über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundes‐ rates zur Bewältigung der Covid­19­Epide‐ mie (Covid­19­Gesetz) (Härtefälle, Arbeits‐ losenversicherung, familienergänzende Kinderbetreuung, Kulturschaffende, Veran‐ staltungen)

Kantonal JA zur kantonalen Initiative «JA zum ECHTEN Wohnschutz!»

COVID‐19‐GESETZ

JA zum Covid-19-Gesetz - eine vorläufige Einordnung der Debatte In den letzten Monaten haben wir lang und intensiv über die Massnahmen zur Bekämpfung der Covid‐19 Pandemie disku‐ ert. Das Thema polarisiert und provoziert ‐ wie zurzeit keine andere Angelegenheit ‐ turbulente ethisch‐philosophische Diskus‐ sionen innerhalb der Linken. Die Werte, die wir ansonsten dezidiert verteidigen, scheinen plötzlich im Widerspruch zueinander zu geraten: Freiheit der einen gegen Freiheit der anderen. Körperliche Unversehrtheit der einen gegen körperliche Integrität der anderen. Ausgrenzung einer Gruppe versus Ausgrenzung einer anderen. Wir wollen solidarisch sein ‐ aber wie? Der Entscheid für die Impfung ist ein Moment der Solidarität: Wir schützen uns und andere. Je schneller wir die nötige Impfquote erreichen, desto eher können wir auf andere Massnahmen verzichten und uns selbst wieder als soziale Wesen erfahren – so zumindest meine Hoffnung. Und zugleich ist die Impfung nicht der einzige Ausdruck, den Solidarität in der Krise hat. Genauso wichtig ist es, die Grenze des Gegenübers, seinen Körper und seine Gesundheit zu respektieren, oder im

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Quarantänefall Einkäufe zu übernehmen – und wo immer möglich Verantwortung zu teilen.

Der rechte Spaltungsdiskurs Seit Monaten bearbeitet die politische Rechte das Feld, befeuert eine Spaltung, die es schon vor Corona gab, und schürt Verunsicherung mit alternativen Fakten. Dabei wird die Geschichte der Ausgrenzung sehr kohärent erzählt und trifft zumindest teilweise auf reale Ausgrenzungserfahrung. Täter und Opfer sind schnell ausgemacht und man befindet sich als weisser Mittelschicht­Mensch plötzlich in einer politischen Genealogie mit Sophie Scholl und George Floyd. Rassismus und Antisemitismus werden damit salonfähig gemacht. Hierin liegt ein politisches Ziel der Rechten. Sie sind damit durchaus erfolgreich – nicht zuletzt, weil es uns zu wenig gelingt, Widersprüche fruchtbar zu machen und verbindende soziale Forderungen aufzustellen, die über Bundesratsbeschlüsse hinausgehen. Die Möglichkeit sozialer Teilhabe hängt nicht erst, seit Tests kostenpflichtig sind, von der individuellen Finanzkraft ab. Kulturangebote, Kinobesuch oder ein Feierabendbier mit Freund:innen sind schon längst Teil einer

sozialen Frage, die nun aber auf die Zertifikatspflicht reduziert wird. Dabei haben die ökonomischen Verhältnisse schon lange vor Corona Menschen von sozialer Teilhabe ausgeschlossen. Insofern mögen es selbsternannte «Freiheits‐ trychler» sein, die aktuell recht laut ihren Ausschluss beklagen, aber soziale Spaltung ist deutlich vielfältiger und eben auch eine Klassenfrage. Die Pandemie zeigt auch, dass, wer Zugang zu guter Gesundheitsversorgung hat und Klassenprivilegien geniesst, eine grosse Wohnung hat oder einen Garten, stabiler durch die Pandemie kommt. Global betrachtet entscheiden Herkunft und Ein‐ kommen auch, ob man einen schweren Covid­ 19 Verlauf überlebt oder nicht. Auch die Erwerbsentschädigungen sind an Faktoren gebunden, die Klassenfragen sind. „Kleine“ Kunstschaffende und Menschen mit tiefen Einkommen erhalten nach wie vor zu wenig Unterstützung. Es gibt also durchaus linke und wichtige Kritik an den Massnahmen, genauso, wie es linke Argumente gibt, die Massnahmen zu befürworten. Wir erachten beispielsweise das


COVID‐19‐GESETZ Impfen als eine wirksame Massnahme zum Schutz von Menschenleben. Eine ebenfalls wirksame Massnahme zum Schutz vor Ansteckung ist das Testen. In diesem Sinne sind die Stimmen, die das Einführen des Zertifikats als einen Weg zu mehr Freiheit und Sicherheit sehen, verständlich. Es gibt aber auch linke Bedenken, die von Überwachung, Datenschutz, Kontrolle und Ausgrenzung sprechen. Auch diese sind nachvollziehbar.

Ohne Zertifikat würde die Schweiz in Europa alleine stehen, was nicht nur im grenz‐ überschreitenden Personenverkehr negative Auswirkungen hätte. Für uns alle würden Geschäftsreisen und Ferien im Ausland deutlich aufwendiger und der Zugang zu manchen Ländern fast blockiert.

Die Facts zum Covid‐19‐Gesetz

Das soll nicht heissen, dass die aktuelle Situation zufriedenstellend ist.

Das Covid­19­Gesetz ist die rechtliche Grundlage für das Covid­Zertifikat. Aber es ist noch mehr: Mit der Änderung des Gesetzes im März 2021 hat das Parlament die Bundes‐ beiträge zur finanziellen Abfederung der Massnahmen erhöht und Finanzhilfen auf weitere betroffene Berufsgruppen ausgeweitet ­ unter anderem den Erwerbsersatz für Selbstständigerwerbende, die Finanzhilfen für Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung oder die Finanzhilfen für Kulturschaffende. Das Gesetz regelt die Entschädigungen für überkantonale Publi‐ kumsanlässe, die wegen Corona nicht stattfinden können. Wird das Covid­19­Gesetz nicht angenommen, werden diese finanziellen Mittel ab März 2022 nicht mehr automatisch zur Verfügung stehen.

Zu diesem Gesamtpaket sagte BastA! an der Mitgliederversammlung vom 29. September deutlich JA.

Unter anderem finde ich es wichtig, sich für die kostenlosen Tests einzusetzen. Weil das Testen in dem Zertifikatssystem eine Alternative anbietet, muss es weiter gratis bleiben. Auch kostenlos sollten die nötigen Hygieneartikel werden ­ Desinfektionsmittel und Masken. Die öffentliche Gesundheits‐ versorgung, inklusive psychiatrisch­psycho‐ therapeutischer Betreuung, muss (was wir auch ohne Corona wissen) dringend ausreichend ausgebaut und von dem Druck der gewinnorientierten Privatisierung befreit werden. Der Datenschutz muss bei allen Massnahmen gewährleistet sein. International gesehen müssen die Patente endlich freigegeben werden und global muss an eine

solidarische Verteilung von Impfungen und Tests gedacht werden. Den Menschen und der Wirtschaft hilft es kaum, die Massnahmen zu umgehen und immer wieder mit neuen Pandemiewellen zu kämpfen. Vielmehr sollten die Massnahmen klug und konsequent eingesetzt und die Nebenwirkungen der Massnahmen systemisch und solidarisch gemildert werden.

Miriam Wieteska­Zimmerli, Co­Präsidentin BastA!

WOHNSCHUTZ

JA zum ECHTEN Wohnschutz Wohnen ist eine der grossen sozialen Fragen unserer Zeit geworden, besonders in den Städten. Bereits 2018 hat die Basler S mm‐ bevölkerung klar ja zu mehr güns gem Wohnraum gesagt und alle vier Miet‐ und Wohnini a ven angenommen. Die Pro‐ blema k des bezahlbaren Wohnraums betri nämlich längst nicht mehr nur Menschen mit eferen Einkommen, sondern auch Menschen, die eigentlich ganz gut verdienen. Jetzt s mmen wir am 28. November über den echten Wohnschutz ab. Worum geht es da genau? Spekula on mit unserem Zuhause Seit 2008 sind die Bestandsmieten in Basel­ Stadt über 16% gestiegen, bei Neuvermietungen beträgt der Preisanstieg sogar 30%. Schaut man sich noch an, wem Basel gehört, so sind es grosse Investor:innen wie Banken, Versicherungen, Pensionskassen und Immobilienkonzerne. Diese nutzen Wohnungen als reizvolle Investitionsanlage, mit der sich viel Geld verdienen lässt. Tausende Menschen haben in den letzten Jahren wegen Massenkündigungen und Renditesanierungen bereits ihr Dach über

Symbolbild: Das heutige Gebäude an der Rosentalstrasse 9­13 Hier kämpften Mieterinnen und Mieter jahrgelang für den Erhalt bezahlbaren Wohnraums dem Kopf verloren. Der Druck auf den Wohnungsmarkt steigt Jahr für Jahr, und ohne weitere griffige Gesetze wird es bald keinen bezahlbaren Wohnraum mehr geben. Heute ist es möglich, 50 ­ 70% aller entstandenen Kosten bei einem Umbau auf die Mieter:innen abzuwälzen, was die Mieten extrem stark erhöhen kann. Bei einer

Neuvermietung können Vermieter:innen die Miete sogar so hoch ansetzen, wie sie wollen. Die Initiative sieht daher vor, dass nach der Sanierung einer Einzimmerwohnung maximal 109 Franken auf den Mietzins aufgeschlagen werden darf, bei einer Fünfzimmerwohnung oder mehr sind es 279 Franken. In bestimmten Fällen dürfen auch höhere Mietpreise angesetzt werden, dann

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WOHNSCHUTZ aber müssen die Vermieter:innen belegen können, dass beim Umbau nur absolut notwendige Massnahmen ergriffen wurden. Damit soll unnötigen Luxussanierungen einen Riegel vorgeschoben werden. Wohnschutz ist auch Klimaschutz Auch verhindert die Initiative, dass unter einem ökologischen Deckmäntelchen renditegetriebene Neu­ und Umbauten vorge‐ nommen werden. Dafür gibt es einen Anreiz für sinnvolle Sanierungen wie ökologische Sanierungen, also z.B. die Dämmung des Daches oder der Ersatz undichter Fenster durch gut isolierte. Wenn notwendig, können ökologische Sanierungen auch dann gemacht werden, wenn sie über das übliche Mass hinausgehen.

Hinzu kommt, dass Gebäude nur dann abgerissen oder umgebaut werden dürfen, wenn der Umweltnutzen grösser ist als der Schaden an Klima und Natur. Denn 20% des Energieverbrauches bei Gebäuden entsteht durch Abbruch, Umbau oder Neubau. Der Abbruch eines Gebäudes ist sogar nur dann möglich, wenn beim Neubau mindestens 20% mehr Wohnraum entsteht, sofern eine Aufstockung nicht möglich ist. Ist die Aufstockung möglich, darf ein Gebäude nur dann abgerissen werden, wenn mindestens 40% mehr Wohnraum neu entsteht. Damit schützen wir nicht nur das Recht auf Wohnen, sondern auch das Klima. Die Wohnschutz­Initiative ist eine wichtige Initiative, die es zu gewinnen gilt. Denn Wohnen ist kein Luxus, sondern ein Grund‐

ABSTIMMUNGEN

Für eine gute Pflege ‐ auch in Zukun

S mmfreigabe zur Jus z‐Ini a ve

Schon vor der Pandemie war das Personal im Gesundheitsbereich am Anschlag. Aktuell sind über 10'000 Stellen nicht besetzt und bis 2030 braucht es über 60'000 zusätzliche Pflegefachpersonen. Der Gesundheitszustand des Personals ist besorgniserregend und viele verlassen ihren Beruf bereits nach kurzer Zeit wieder. Die prekären Arbeitsbedingungen gefährden nicht nur die Angestellten, sondern auch die Qualität und Sicherheit der Pflege.

Die Justiz­Initiative will die Wahlen der Bundesrichter*innen reformieren. Einige Überlegungen der Initiative sind sehr begrüssenswert. Die Einführung des Losverfahrens bei gleicher Qualifikation erscheint sinnvoll. Die Kritik an der fehlenden Gewaltenteilung durch partei‐ politische Verzahnung im Schweizer Justiz­ System, die bspw. Transparency Inter‐ national äussert, ist berechtigt und die Idee des Losverfahrens deshalb durchaus attraktiv. Zugleich erscheint eine Ernennung weit über das reguläre Pensionsalter, also bis zum 75. Lebensjahr enorm lang. Eine Amtszeit‐ beschränkung wäre auch für das höchste Gericht zielführend. “Die Initiative möchte allfällige Kumpeleien zwischen Richter*‐ innen und Parteien aufbrechen, übersieht aber, dass es auch innerhalb des Justiz‐ systems zu Kumpeleien und Gefälligkeiten kommen kann”, kritisiert Sina Deiss. Hinzu kommt, dass die Justiz ­ auch wenn sie parteipolitisch unabhängig ist ­ ein poli‐ tisches Feld bleibt, denn auch das Recht ist politisch.

Nun kommt Ende November die Pflegeinitiative zur Abstimmung. Diese fordert eine Ausbildungsoffensive, bessere Arbeitsbedingungen und Anpassung der Stellenpläne mit genügend Pflegeleuten, die entsprechend ihrer Ausbildung und Kompetenzen eingesetzt werden. Die Pflegeinitiative ist ein erster Schritt zur dringend notwendigen Verbesserung der Arbeitssituation des Pflegepersonals. Investitionen in die Ausbildung sind nötig, sie müssen jedoch zwingend mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen einher gehen. Denn ohne gleichzeitige nachhaltige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Löhne wird die bedenklich hohe Berufs‐ ausstiegsquote nicht sinken. Weshalb auch der Gegenvorschlag des Bundesrates, der lediglich eine millionenschwere Bildungs‐ offensive über acht Jahre vorsieht, die angespannte Situation nicht verbessern würde. Am 28. November wird ausschliess‐ lich über die Pflegeinitiative abgestimmt. Bei einem Nein tritt der Gegenvorschlag zu einem vom Bundesrat zu bestimmendem Zeitpunkt in Kraft, wenn nicht das Referendum dagegen ergriffen wird.

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Zudem ist die Auswahlkommission, die auf 12 Jahre bestellt wird, eine Blackbox. Über ihre Zusammensetzung entscheidet der Bundesrat ohne Vorgabe einer möglichst diversen Besetzung, die Sprache, Geschlecht oder andere soziale Kriterien berücksichtigt. Eine solche Diversität innerhalb der Fach‐ kommission ist notwendig, um Kriterien, die bei der Wahl der Richter*innen eine Rolle spielen auch als gleichwertig zu erkennen.

recht. Darum braucht es einen Perspektiv‐ wechsel in der Basler Wohnpolitik. Wohnungen müssen in erster Linie dazu da sein, Menschen ein Zuhause zu bieten, und nicht Teil eines Finanzprodukts zu sein. Der Spekulation mit unserem Zuhause muss ein Ende gesetzt werden. Diese Initiative ist ein erster Schritt.

Sina Deiss, Co­Präsidentin BastA!

VERANSTALTUNG

Grenzenlos Orient Express Filmtage 2021 11.11.2021 – 14.11.2021 Neues Kino Klybeckstr 247, 4057 Basel „Orient­Express ist ein Verein, der von filmbegeisterten Freiwilligen aus Bern ins Leben gerufen wurde. Unser Ziel ist es, eine Plattform für Türkisch­Kurdisch oder andere ursprünglich aus dem Orient stämmige Regisseur*innen und filminteressierte Menschen zu bieten. Wir wollen Kulturen verbinden, Brücken schlagen und einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben leisten. Dieses Projekt wurde gestartet, um den kulturellen Austausch zwischen Orient und Okzident zu fördern. Die Filme entführen die Zuschauer*innen in eine andere Welt, es eröffnet ihnen die Chance zu einer Horizonterweiterung." Das vollständige Programm unter www.oeff.org Donnerstag, 11. November: 18.00 Uhr Vernissage mit Apéro 20.00 Uhr Filmstart „Hayaletler/Ghosts“ Regie: Azra Deniz Okyay


BETEILIGUNG KLYBECKPLUS

KLŸCK und Stadtteilsekretariat unterwegs auf der Strasse

KOMMENTAR

Grenzen der Mitwirkung Seit Jahren wird an der Umnutzung des ehemaligen Chemieareals im Klybeck geplant. Begleitend gab es Mitwirkungs‐ veranstaltungen, an denen aber nur wenige Quar erbewohner*innen teilnahmen. Dank der Befragung durch das Klÿck und das Stad eilsekretariat wurde nun eine breitere Quar erbevölkerung angehört. Wird nun alles gut? Ich freue mich, dass nun endlich auch die Menschen angehört wurden, die noch gar nichts von der anstehenden Riesen­Ver‐ änderung im Quartier mitbekommen haben, oder die mit abstrakten Plänen und Begriffen wie Richtplan oder Ausnützungsziffer wenig anfangen können.

Befragung zu Klybeckplus | Bild: zvg Die Quar erarbeit KLŸCK war während drei Wochen zusammen mit dem Stad eil‐ sekretariat Kleinbasel im öffentlichen Raum unterwegs, um Rückmeldungen zum aktuellen Richtplan klybeckplus aus der Bevölkerung von Klybeck und Kleinhüningen aufzu‐ nehmen. Das Richtprojekt wurde im Frühjahr 2021 von den Planungspartnern von klybeckplus vorgestellt. Die Befragungen auf den Strassen und Plätzen des Quartiers waren Teil ver‐ schiedener Mitwirkungsgefässe, welche die Bevölkerung an der weiteren Planung des Areals einbeziehen sollte. Bei den Befragungen stellte sich heraus, dass für viele der Befragten nicht nur der Plan etwas Neues war, sondern überhaupt die anstehende Transformation des ehemaligen Chemieareals. Es musste viel Aufklärungsarbeit geleistet werden – über die Grössenverhältnisse dieser Veränderung und die grundsätzliche Möglich‐ keit, auf diesen Prozess Einfluss nehmen zu können. Die mobilen Befragungsteams waren ausge‐ stattet mit einem überdimensionalen Plan des Stadtteils. Damit konnte die Bedeutung von klybeckplus für die angrenzenden Quartiere plastisch aufgezeigt werden, losgelöst von abstrakten Texten und Zahlen. So war es möglich, einige Teile der Bevölkerung abzuholen, die sonst kaum mit dem Richtplan in Berührung gekommen wären und für die eine Teilnahme an offiziellen Beteiligungs‐ veranstaltungen eine zu grosse Hürde darstellt. Diskutiert wurde immer wieder über die hohe Bebauungsdichte, die geplanten Grünflächen, ob zusätzlicher Verkehr ins Quartier kommt, wie die Investor:innen die Sanierung des ehemaligen Industriegeländes angehen werden, die zukünftigen Wohnungspreise und sehr wichtig: Wie viele Flächen am neuen Rhein‐

zugang wirklich öffentlich sein werden. Ältere Menschen sorgten sich um die Entwicklung ihrer Mieten, die den bescheidenen Renten entsprechen und um Orte, an denen das Kaffi noch nicht fünf Stutz kostet. Teilweise wurden auch spezifische und fachliche Hinweise geäussert. So wurde die Forderung laut, die hohe Dichte des geplanten Quartiers müsse kompensiert werden, indem in den Hochhäusern öffentliche Räume geschaffen werden – Orte ohne Konsumzwang – um diesen exklusiven Raum auch der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Betont wurde auch die Wichtigkeit des Schulstandorts, für die Durchmischung und Verzahnung von bestehen‐ dem und neuen Quartier. Es erschien vielen als vorteilhaft, dass ein Schulareal auch ausserhalb der Schulzeit teilweise offen zugänglich ist. Zu reden gab ausserdem der fehlende Ober‐ stufenstandort. Zum Grünraum hatten mehrheitlich alle etwas zu sagen, oft sehr differenziert. Dabei ging es nicht nur um Bäume, sondern auch um durchlässige Böden, Voraussetzungen für ein gutes Stadtklima, Schutzräume, Hundefreund‐ lichkeit etc. Auch bei der Planung von Sport‐ plätzen hatten die Profis gute und genaue Hinweise wie sich Nutzungskonflikte ver‐ meiden lassen können. Derzeit werden die Befragungsbögen durch das Büro Emmenegger, das auch die Beteili‐ gungsanlässe von Klybeckplus durchführte, ausgewertet. Die Ergebnisse werden im Herbst 2021 veröffentlicht. Wir sind gespannt, welche Aspekte der Befragung in die Planung einfliessen. Die Planungspartner werden dies kommunizieren – und wir werden schauen und überprüfen, inwiefern diese Beteiligung Auswirkungen auf das kommende Stadtviertel haben wird.

Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse der Befragung. Ich befürchte aber, dass die Wünsche, Ängste und Hinweise der Quartier‐ bevölkerung höchstens punktuell in die weitere Planung einfliessen. Schlussendlich zählt für die Investment­Firmen nur die Rendite. Ideen, die mehr Rendite ver‐ sprechen, oder ihr wenigstens nicht wider‐ sprechen werden vielleicht sogar aufge‐ nommen, andere kaum. Warum bin ich so pessimistisch? Wie soll man darauf hoffen, dass die Anliegen der Bevölkerung ernst genommen werden, wenn die Investment­Firmen gleichzeitig die Initia‐ tive «Basel baut Zukunft», die wichtige Forderungen der Bevölkerung aufnimmt, gerichtlich bekämpfen? Und wenn die Regierung überlegt, einzelne Arealteile ohne demokratischen Prozess überbauen zu lassen? Um der kapitalistischen Renditegier wirksam etwas entgegen zu setzen, müssen wir die Regeln für die Stadtentwicklung ändern und einen echten Wohnschutz einführen (am 28. November unbedingt JA stimmen!). Ein wichtiger Ansatz ist die vorher genannte Initiative «Basel baut Zukunft», die verlangt, dass die Hälfte der Flächen gemeinnützig, also durch Genossenschaften, Stiftungen und den Kanton, vermietet werden müssen. Und auch die Hafen­Initiative der Juso könnte die Planung schön durcheinanderwirbeln. Und dann gibt es noch eine zentrale Sache, die oft ausgeblendet wird: Der Chemiemüll, der unter grossen Teilen des Areals liegt und die Planung und Kostenrechnungen schnell über den Haufen werfen kann. Es bleibt also spannend. Tonja Zürcher, Grossrätin BastA!

Christoph Wüthrich und Fritz Roesli (Quartierarbeit KLŸCK).

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JUNGES GRÜNES BÜNDNIS NORDWEST

Umweltverantwortungsinitiative Wir (alle) müssen endlich etwas tun Was die Klimaerwärmung in der Schweiz anrichten kann, haben wir im Sommer alle gesehen. Die Gewi er und Überschwem‐ mungen sind Teil der zahlreichen Folgen der Klimakrise, gleichzei g jedoch nur ein Vorge‐ schmack von vielen weiteren Naturkata‐ strophen.

WEIL WIR NUR EINE ERDE HABEN

Warum braucht es die Ini a ve? Die Art wie wir wirtschaften, hat zu einer ganzen Reihe von Umweltkrisen geführt: Klimakrise, Artensterben, Abholzung, Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden. Dadurch gefährden wir unsere eigenen Lebensgrundlagen ­ und trotzdem machen wir immer weiter! In den letzten Jahren haben wir Wirtschaft und Profite über alles andere gestellt ­ Umwelt und Nachhaltigkeit waren ein “nice to have”. Das wollen wir ändern: Der Schutz der Umwelt soll zur Priorität werden. Die Belastbarkeit der Natur soll neu den Rahmen für unsere Wirtschaft und Gesellschaft darstellen, so dass wir klare Grenzwerte einhalten müssen. Die Umweltbelastung der Schweiz muss innerhalb von zehn Jahren so reduziert werden, dass wir die Belastbarkeitsgrenzen unserer Erde einhalten. All dies soll mit dem System der planetaren Grenzen umgesetzt werden. Die planetaren Grenzen definieren ökologische Belastungsgrenzen der Erde. Dabei werden in sechs Bereichen Grenzwerte für den Ressourcenverbrauch oder die Freisetzung von Schadstoffen definiert (Klimawandel, Artensterben, Wasserver‐ brauch, Landnutzung, Luftverschmutzung sowie Stickstoff­ und Phosphoreintrag). Solange diese Grenzen nicht überschritten werden, befinden wir uns in einem sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit. Das heisst, dass die Lebensgrundlagen nicht

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bedroht sind. Dieser Wandel soll möglichst nicht zu Lasten von sozial und finanziell benachteiligten Menschen erfolgen. Es sollen insbesondere wohlhabende Menschen und grosse Unternehmen Verantwortung übernehmen, da sie die grossen Profiteure des momentanen Wirtschaftssystems sind. So sollen Mass‐ nahmen ergriffen werden, damit die Kosten des ökologischen Umbaus nicht auf ärmere Menschen abgewälzt werden. Demnach sollen energetische Sanierungen nicht zu überhöhten Mieten führen. Der öffentliche Verkehr und die Infrastruktur für Langsam‐ verkehr sollen beispielsweise weiter ausge‐ baut und günstiger gemacht werden. Auch fordert die Initiative, dass die Schweiz nicht nur ihre territorialen Umweltauswirkungen

berücksichtigt, sondern auch die Aus‐ wirkungen unseres Konsumverhaltens im Ausland mit einbezieht. Denn auch im Ausland ist es wichtig, dass die Ziele nicht auf Kosten finanziell oder gesellschaftlich benachteiligter Menschen umgesetzt werden. Dies soll beispielsweise mit niedrigen Zöllen für nachhaltig produzierte Produkte ge‐ schehen. Ausserdem soll die Schweiz Klein‐ bäuer*innen im Ausland bei der Umstellung auf eine nachhaltige Produktion unterstützen. So kann die Situation vor Ort verbessert werden. Diese Mittel werden aber nicht von der Entwicklungszusammenarbeit abge‐ zogen, sondern sollen zusätzlich eingesetzt werden. Passiert kein Umdenken, werden die extremen Ereignisse wie die Hitzewellen und Überschwemmungen des letzten Sommers zur Normalität. Die Folgen davon sind verheerend. Mit der UVI möchten wir von den Jungen Grünen dieser Entwicklung entgegenwirken und ein Wirtschaftssystem fördern, welches mit und nicht gegen Mensch und Natur arbeitet. Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Clara Bürge, jgb­Vertreterin bei der Umweltverantwortungs­Initiative

Bild: https://jungegruene.ch/news­aus­allen­kantonen/umweltverantwortungs­initiative

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RIEHEN/UMWELT

Auf dem Maienbühl tickt eine Zeitbombe

Abbildung aus: Geotechnisches Institut: Deponie Riehen (BS), historische Untersuchung, 25.7.2006, Beilage 2

Hoch über Riehen liegt in einer idyllischen Landscha der gemeindeeigene Biobauern‐ hof Maienbühl. In unmi elbarer Nähe be‐ findet sich ein gefüllter, alter Steinbruch, der sich über die Landesgrenze bis nach Inzlingen (D) erstreckt. Darin befinden sich die Deponien Mönden (D) und Maienbühl (CH), in denen auch toxischer Chemiemüll in ros gen Fässern vor sich hin modert. Gleich unterhalb der Deponiekörper befindet sich eine Grundwasserschutzzone deren Abstrom in die Trinkwasserfassung in den Langen Erlen fliesst. Die Geschichte der beiden Deponien ist relativ gut dokumentiert. Deshalb sind die Unterlassungen und Mängel bei deren Befüllung bekannt. Wir wissen, dass der Deponiewart von Maienbühl von den Lieferanten keine Begleit­ oder Lieferscheine entgegengenommen hat; wir wissen, dass ein Transporteur, der befugt war, Blechtonnen der Roche «mit stark riechenden Chemie‐ abfällen» in Mönden abzulagern, nach‐ weislich ohne schriftliche Genehmigung die Grube in Maienbühl beliefert hat; und wir wissen, dass abgelagerte Abfälle von der benachbarten Parzelle der Gebrüder Baier über die Steinbruchwand in den Steinbruch gelangten. Aber wir wissen heute nicht, wer welches Material in welche Gruben gekippt hat und in welcher Menge. Aufgrund von Interviews ist lediglich bekannt, dass in der ersten Hälfte der 1960er Jahre die problematischsten Abfälle angekarrt wurden. Zudem sind als Inhalt des Deponiekörpers Hauskehricht, Kadaver, Altöl, Industrieabfälle und pharmazeutische Abfälle belegt. Wir wissen nicht, was in den Deponien schlummert Kurz gesagt: Wir haben höchstens eine Ahnung davon, was in den beiden Gruben

schlummert und unser Grund­ und Trinkwasser bedroht. Eine Überwachung der toxischen Altlasten reicht eigentlich nicht. Wenn Blechtonnen durchrosten und das Gift ins Grundwasser dringt, nützt das nichts. Dann ist es zu spät. Immerhin wurde von 2009 bis 2018 die Deponie Maienbühl altlastenrechtlich überwacht. Im Abstrom der Deponie wurden jedes Jahr geringe Mengen von Ammonium, Benzol oder Crotamitonderivat gefunden. Trotzdem wurde im November 2019 die Deponie aus der Überwachung entlassen. Laut Altlastenverordnung ist dies möglich, wenn nach mehrjähriger Überwachung aufgrund des Schadstoffverlaufs mit grosser Wahrscheinlichkeit kein Sanierungsbedarf zu erwarten ist. Bei den erhobenen Messwerten bei der Deponie Maienbühl könnte man zu diesem Schluss kommen. Aber: Seit 2018 kennt die Altlasten‐ verordnung auch eine Nulltoleranz für Grundwasserschutzzonen. Ein belasteter Standort ist dann sanierungsbedürftig, wenn er Grundwasserfassungen von öffentlichem Interesse mit Schadstoffen über der Bestimmungsgrenze verunreinigt. Dies ist bei der Hinteren Auquelle der Fall. Die dort nachgewiesenen Giftstoffe stammen aus der Deponie Maienbühl. Diese wäre somit sanierungsbedürftig, wenn ein öffentliches Interesse an der Grundwasserschutzzone der Hinteren Auquelle besteht.

wird einfach verzichtet und die Grund‐ wasserschutzzone aufgehoben. Mit diesem «Buebetrickli» sind die Deponien kein Sanierungsfall und dürfen weiterhin ihr Gift ins Wasser lassen. Die von 14 EinwohnerrätInnen unterzeichnete Motion Spring wollte das nicht hinnehmen und forderte vom Gemeinderat eine Detailuntersuchung der Altlasten. Eine geschlossene rechtsbürgerliche Mehrheit aus SVP, CVP, FDP und LDP im Einwohnerrat verhinderte am 21. September mit 19 zu 18 Stimmen (durch den Stichentscheid des Einwohnerratspräsidenten) die Überweisung an die Gemeindeexekutive. Die bürgerlichen PolitikerInnen nehmen in Kauf, dass unser Grund­ und Trinkwasser über Generationen gefährdet ist. Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit diesen Wahnsinn zu stoppen: eine Gemeindeinitiative. Das wird nicht einfach. Aber gemeinsam schaffen wir das!

Mike Gosteli, BastA! Einwohnerrat Riehen

Nur noch eine Gemeindeini a ve kann diesen Wahnsinn stoppen Der Gemeinderat des «grünen Dorfs» löst dieses Problem indem er das «öffentliche Interesse» beendet ­ zwar elegant aber grob fahrlässig: Auf die Hintere Auquelle, die bisher als Trinkwasserreserve vorgesehen war und deren Leitung sanierungsbedürftig ist,

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