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Aldi Hinter den Kulissen des Discounters

Sogar die Gutverdiener gehören mittlerweile zur Klientel. Ein stern-Report über Kunden, Krämer und Kampfpreise.

Einmal im Jahr veröffentlicht das US-Magazin »Forbes« eine Liste der reichsten Männer der Welt. Die neueste ist vom März. Auf Platz drei (hinter Microsoft-Gründer Bill Gates und dem Investment-Guru Warren Buffett) liegen zwei Brüder aus Essen: Karl und Theo Albrecht, die Gründer der Billigladenkette Aldi. Sie besaßen laut »Forbes« 26,8 Milliarden Dollar. Heute, Ende November, dürften daraus fast 28 Milliarden Dollar geworden sein. Denn von den 30 Milliarden Euro, die sie in ihren exakt 3741 deutschen und rund 2600 Auslandsfilialen jährlich einnehmen, bleiben den beiden Brüdern fünf Prozent Umsatzrendite. Das sind, vor Steuern, 1,5 Milliarden Euro im Jahr!

Pro Woche ein neuer Aldi

Das aber ist den beiden Aldis längst nicht genug. Woche für Woche eröffnen sie mindestens einen neuen Laden, allein in den vergangenen sechs Monaten 77. Und während überall Umsätze und Gewinne einbrechen, machten die Brüder, die ihr Discount-Imperium seit 1961 in Aldi Nord und Aldi Süd aufgeteilt haben, einen Umsatzsprung von zehn Prozent.

Nicht zuletzt dank der teils tatsächlichen, teils eingebildeten Verteuerung durch den »Teuro« rennt mittlerweile fast jeder zum Aldi. 95 Prozent der Arbeiter, 88 Prozent der Angestellten, 84 Prozent der Beamten, selbst 80 Prozent der Selbstständigen kaufen dort. Die Zahl der Aldi-Kunden ist in den letzten zwölf Monaten um 20 Prozent gewachsen - so die Ergebnisse einer Umfrage, die Forsa vergangene Woche für den stern erhoben hat. Unter denen, die regelmäßig einmal pro Woche bei Aldi an der Kasse stehen, bilden die Selbstständigen, also die Besserverdienenden, mit 49 Prozent die größte Gruppe.

Champagner ist der Renner

In der »Forbes«-Liste sind die beiden Aldis in den vergangenen Jahrzehnten von ganz unten immer höher geklettert. Wenn sie nicht schon so alt wären, Karl ist 82 Jahre, Theo 80, dann könnten sie in einigen Jahren die reichsten Männer der Welt sein. Zu diesem Anlass würden die extrem sparsamen Männer aber allenfalls ein Fläschchen »Champagner Veuve Durand« brut zu derzeit 9,99 Euro entkorken, einen der Renner aus ihrem Stammsortiment, mit dem Besserverdienende sich die Kofferräume ihrer Oberklasse-Autos vollpacken.

Kein PR-Abteilung

Bedienungsanleitung auf der Rückseite der Flasche im stets leicht piefigen Aldi-Deutsch: »Genießen Sie diesen Champagner gut gekühlt als Aperitif, zu leichten Vorspeisen und zu allen Anlässen, die eine besondere Würdigung verdienen.« Flotte Texte oder flotte Sprüche gibt es bei Aldi nicht. Aldi hat keine Pressestelle. Aldi hat keine PR-Abteilung. Aldi hat keine Werbeabteilung. Die Schlagzeile über den einmal wöchentlich erscheinenden Anzeigenseiten in den Zeitungen lautet immer gleich: »Aldi informiert«. Da Aldi-Stammkunden die Preise ihrer Stammartikel auswendig können, enthalten die Anzeigen überwiegend Sonderangebote vom »Angora Fußwärmer für Damen und Herren« für »Stück 4,99« bis zum »Multimedia Home Entertainment Design Center Medion Titanium MD 8000 mit Intel Pentium 4 Prozessor« für 1199 Euro. Die Firma Aldi hat in ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte nicht einen Pfennig für Werbeagenturen ausgegeben.

Schlangestehen vor Geschäftsöffnung

Die Preise neben den Sonderangeboten sind stets mit einem Sternchen versehen. Die Fußnote dazu lautet seit Jahrzehnten: »Sollten diese Artikel trotz sorgfältig geplanter Angebotsmengen allzu schnell ausverkauft sein, bitten wir um Ihr Verständnis.« Dieser Satz ist die Ursache dafür, dass Aldi-Kunden an den Sonderangebotstagen - im Norden stets mittwochs, im Süden donnerstags - schon weit vor Geschäftsöffnung Schlange stehen. Die drögen Texte haben bei der Kundschaft den Glauben entstehen lassen, von Aldi nie übervorteilt zu werden, in der gewählten Preisklasse immer die beste Qualität zu bekommen, und zwar immer zum niedrigsten Preis.

»Aldi ist immer der billigste«

Woher sie denn da so sicher sei, fragen wir die Hamburger Hausfrau Margit Schlaffer, die ihren Mann, einen gut verdienenden Diplomingenieur, und ihre beiden studierenden Söhne zu 50 Prozent mit Lebensmitteln von Aldi ernährt (Gemüse, Obst, Fleisch, Wurst und Brot kauft sie in Fachgeschäften). »Weil ich das seit über 20 Jahren mache«, sagt sie, »ich kenne die Preise von allen Supermärkten in meiner Umgebung: Aldi ist immer der billigste, außer vielleicht manchmal Lidl.«

Enorme Umschlagsgeschwindigkeit

Und die Qualität? Ihr Sohn Nils, erzählt sie stolz, sei, obwohl mit Lebensmitteln von Aldi aufgewachsen, »Deutscher Jugendmeister im Jiu-Jitsu geworden - da kann Aldi ja so schlecht nicht sein«. Milch (Liter 0,55 Euro) und Eier (10 Stück 0,79 Euro) seien wegen der enorm hohen Umschlagsgeschwindigkeit nirgends frischer als bei Aldi. Außerdem fliege sofort jedes Produkt aus dem Sortiment, das bei der Stiftung Warentest schlechter als »befriedigend« abschneide.

»Da war bei uns Polen offen«

Davon kann der Hamburger Importkaufmann Rolf Scheuerle ein Lied singen. Er ist Geschäftsführer der Alfred Graf Import GmbH, eines der größten Importeure von Olivenöl. Seine Marke »Lorena« hatte einen Stammplatz im Aldi-Sortiment - bis im Oktober ein Anruf aus der Zentrale in Essen kam. Er könne sich, so wurde ihm in erhöhter Lautstärke sinngemäß zugerufen, sein Öl in die Haare schmieren, denn es drohe bei einer gerade laufenden Prüfung der Stiftung Warentest mit der Note »ausreichend« abzuschmieren, man habe es deshalb aus den Läden genommen; er solle sein Zeugs gefälligst zurückholen, sofort und auf eigene Kosten. Scheuerle: »Da war bei uns Polen offen.«

Trotz gültigen Liefervertrags setzte der Kaufmann Sattelschlepper in Marsch, die das Öl aus mehr als 30 Zentrallagern von Aldi Nord zurückholten. Seitdem herrscht Mangelwirtschaft: »Lorena« sei momentan nicht lieferbar, erfährt man auf Anfrage. Der von Aldi ansonsten geschätzte Importeur hat nach hektischen Verhandlungen und etlichen Geschmackstests inzwischen eine neue Ölsorte kreiert: »La Villa« soll vom 2. Dezember an den Ölnotstand bei Aldi beenden.

Umkämpftes Stammsortiment

Mit einem neuen Artikel ins Stammsortiment von Aldi zu kommen gleicht einem Aufstieg in die Bundesliga der Lebensmittelbranche. Vor zwei Jahren ist dies zwei Müllern aus dem Süddeutschen geglückt. Sie bieten bei Aldi so genannte Backmischungen an - mit Hefe versetztes Mehl, das nur noch mit Wasser zu Teig verrührt und, je nach Mehlsorte und Zutaten, im Backofen zu Bauernbrot, Mehrkornbrot, Kürbiskernbrot, Sonnenblumenbrot oder Ciabatta-Brot wird. Ein 250-Gramm-Ciabatta kostet in den Läden der Kamps-Kette in Hamburg 1,95 Euro. Die vierfache Menge Ciabatta-Backmischung bei Aldi kostet weniger als die Hälfte: 0,79 Euro. Zur Verkaufsförderung bot Aldi für 49,55 Euro Brotbackautomaten aus China an. Die Backmischungen sind seitdem ein Renner.

Die beiden Müller haben den stern händeringend gebeten, nicht genannt zu werden. Argument des einen: »Beim Aldi zum Rapport bestellt zu werden ist schlimmer, als der eigenen Ehefrau einen Seitensprung beichten zu müssen.« Argument des anderen: »Wenn all die Bäckereien, die ich noch als Kunden habe, erfahren, dass ich Aldi beliefere, springen die mir ab.«

Versteckte Markenprodukte

Die auf den Packungen der Aldi-Produkte ausgewiesenen Lieferanten firmieren fast alle unter Fantasienamen und verstecken sich hinter Postfachadressen. So kommen etwa die 100 Gramm »Stapelchips« für 0,65 Euro von einer Firma namens Ibu GmbH mit einem Postfach in Neu-Isenburg. Ibu-Chips sind ein Hit im Stammsortiment. Über derartige Produkte hat sich kürzlich der Vorstandschef des Hannoveraner Knabberartikel-Herstellers Bahlsen bitterlich beklagt. Sie würden den Markenmarkt aushöhlen und hätten Bahlsen ein Umsatzminus von drei Prozent beschert. Was er zu sagen vergaß: Die Ibu-Chips stammen, wie andere Aldi-Knabbereien auch, von der Firma Bahlsen.

Harbio geht immer

Die einzigen im Aldi-Sortiment, die solche Tricksereien nicht nötig haben, sind 300 g Gummibärchen von Haribo zu 0,79 Cent. Diese Marke ist dermaßen stark, dass die Kunden sie nicht kaufen, wenn sie anders heißt. Als Aldi Nord die Haribo-Mischung »Colo-Rado« umtaufte in »Casino Mix«, blieben die 0,79 Euro billigen Tüten liegen. Schleunigst kehrte man zum Originalnamen zurück.

Uli Hoeneß im Kühlregal

In den Kühlregalen, meist an den Stirnseiten der Filialen, liegen stets drei bis vier Kartons mit abgepackter »Nürnberger Rostbratwurst«, 14 Stück im Gesamtgewicht von 300 Gramm. Hersteller ist eine Firma »Howe Wurstwaren KG« aus Nürnberg. Deren Besitzer ließ dem stern bei der Bitte um ein Gespräch ausrichten, mit ihm könne man über alles reden, nur nicht über seine Beziehungen zu Aldi. Der Firmenname »Howe« ist die Abkürzung für Hoeneß und Weiß - Uli Hoeneß also.

Der Manager vom FC Bayern München ist führendes Mitglied im »Schutzverband Nürnberger Rostbratwürste«, der jeden Bratwurstmacher außerhalb Nürnbergs vor den Kadi schleppt, wenn er behauptet, seine Waren seien Nürnberger Rostbratwürste. Hoeneß ist ferner »Botschafter der deutschen Wurst«. Aus einem Hoeneß-Interview im »Berliner Tagesspiegel« vom April 2000 wissen wir, dass seine Würstchen damals 2,79 Mark gekostet haben. Heute kosten sie 1,69 Euro: eine Preissteigerung von 20 Prozent in nur zwei Jahren. Auch Aldi langt also ganz schön hin. Aber sie behaupten ja auch nicht, keine Preistreiber zu sein. Sie behaupten in ihren Anzeigen lediglich, stets der Billigste zu sein.

Lidl macht Druck

Ihnen diesen Ruf abzujagen versucht zurzeit der Discounter Lidl, vor allem bei Obst und Gemüse. Vorletzte Woche senkten die beiden Discounter die Preise für Salatgurken, Clementinen und Orangen um die Wette. Die spanische Salatgurke der Handelsklasse 1 stürzte bei Aldi und Lidl von 49 Cent über 39 Cent auf unglaubliche 19 Cent (Normalpreis: ein knapper Euro), das Kilo spanische Clementinen von 69 Cent auf 39 Cent. Und zwei Kilo Orangen kosteten statt 1,49 nur noch 0,69 Euro - Preise weit unter dem Einkaufspreis, auf Dauer unhaltbar und deshalb bei beiden schon wieder erhöht.

Eine solche Preispolitik stinkt den Aldi-Brüdern so gewaltig, dass Theo, der Herr der Nordkette, seinem Spitzenberater Hartmuth Wiesemann erstmals in der Firmengeschichte erlaubt hat, eine entsprechende Anfrage des stern schriftlich zu beantworten: »Bei uns gibt es keine preislichen Sonderangebote für nur wenige Tage, die den Kunden veranlassen sollen, jetzt zu kaufen. Der Kunde kann bei uns darauf vertrauen, seinen ganzen Bedarf immer zum günstigsten Preis einzukaufen.« Über das Branchenblatt »Lebensmittelzeitung« drohte er Lidl an, solche Tiefstpreis-Aktionen notfalls monatelang durchzuhalten.

Aldi vier Prozent günstiger

Einen vom stern durchgeführten Preisvergleich, bei dem Lidl um vier Prozent billiger abschnitt als Aldi (Tabelle Seite 48), kommentierte Wiesemann so: Die Qualität der verglichenen Produkte sei bei Aldi eindeutig höher, beispielsweise bei der 200-Gramm-Packung Lachs für 2,19 Euro, die bei Lidl nur 1,99 kostet.

Die Hausfrau Margit Schlaffer dagegen freut sich und kauft Obst und Gemüse neuerdings auch bei Aldi. Dass es diese Produkte nur in abgepackten Mindestmengen gibt, stört sie bei dem Appetit von drei ausgewachsenen Männern nicht. Singles dagegen sind bei Lidl besser bedient. Dort wiegt und berechnet eine in die Kassenanlage integrierte Waage die individuell eingekaufte Obst- oder Gemüsemenge.

Die Scanner-Kasse kommt

Im schriftlichen Frage-und-Antwortspiel mit dem stern antwortete Aldi-Wiesemann auf die Frage, ob - und falls ja: wann - bei Aldi Nord solche Kassen eingeführt würden, dies: »Wir werden im kommenden Jahr Scannerkassen einführen. Gleichzeitig wird durch eine integrierte Waage an der Kasse den Kunden die Möglichkeit gegeben, Obst und Gemüse als lose, nicht abgepackte Ware zu kaufen.« Für den Lebensmittel-Einzelhandel gilt diese simple Aussage als Kampfansage.

Flinker Finger

Die Kassiererinnen bei Aldi gelten als die härtesten Arbeitstiere des Einzelhandels. Kein Kunde schafft es, seine Waren so schnell vom Band in den Einkaufswagen zurückzulegen, wie die Kassiererin ihm mit einer fordernd geöffneten Hand den Kassenbon präsentiert. Vor Jahren mussten die Aldi-Kassiererinnen sämtliche Preise im Kopf haben, beim Karl im Süden 600, beim Theo im Norden 750. Ein Riesenproblem, vor allem, wenn sich die Preise änderten. Schließlich hatte jemand die Idee, statt der Preise für jeden Artikel einen dreistelligen Nummerncode auswendig zu lernen. Zumindest das Problem der Preisänderungen war damit vom Tisch.

Scannerkassen, an denen auch Frauen mit schwachen Gedächtnisleistungen eingesetzt werden konnten, kamen für die Aldis aber nicht infrage. Das ständige Rumdrehen der Artikel auf der Suche nach dem Strichcode hätte den Kassiervorgang dermaßen verlangsamt, dass mehr Personal und mehr Kassen fällig geworden wären und folglich zusätzliche Kosten.

Strichcodes überall

Inzwischen haben die Brüder mit ihrer geballten Nachfragemacht darum »gebeten«, Strichcodes nicht nur auf die Vorder-, sondern auch auf die Rückseite der Verpackungen zu drucken, möglichst auch noch auf die Seiten. Die gesamte Lebensmittelindustrie hat diese Bitte erfüllt. Seitdem gibt es bei Karl Scannerkassen - bei Theo kommen sie nun also auch.

Aldi-Angestellte, die in ihren graublauen Kitteln nicht nur kassieren, sondern auch Kartons aufreißen und auspacken müssen, gelten als unterste Kaste des Einzelhandels. In Wahrheit sind sie die Königinnen: Eine Aldi-Vollzeitkraft verdient 2.400 Euro im Monat - 4.800 Mark! Das ist ein Spitzengehalt im Einzelhandel. Allerdings stellt Aldi wegen der unterschiedlichen Auslastung der Läden zu unterschiedlichen Tageszeiten überwiegend Teilzeitkräfte ein, die entsprechend weniger verdienen.

Hubwagen gegen Rückenleiden

Früher litten diese Frauen wegen schweren Hebens an Unterleibs- und Rückenerkrankungen. Auf Betreiben von Aldi sind deshalb rückenfreundliche Hubwagen konstruiert worden. Mit denen kann man Paletten nicht nur mühelos durch den Laden befördern; man kann sie auch beim Abpacken bis zu 70 Zentimeter hochfahren, also immer aufrecht stehend arbeiten: weniger Kosten durch weniger Krankheit und zügigeres Arbeiten.

3,3 Mitarbeiter pro Filiale

Eine Filiale hat im Schnitt 3,3 Mitarbeiter/innen und einen Filialleiter. Der darf einen weißen Kittel tragen und verdient 3.400 Euro. Die Gehälter einer Filialbesatzung setzen sich aus dem Tarifgehalt und einer Zulage zusammen, die in Promille vom Umsatz gezahlt wird. Eine Aldi-Kraft stemmt im Monat Waren im Wert zwischen 100.000 und 120.000 Euro. Wer krank wird, erhält die übertarifliche Leistungszulage ungekürzt weiter - allerdings nur, wenn die Kollegen für ihn mitschuften. Sofern nicht, darf eine Ersatzkraft angefordert werden. Dann jedoch sinkt die Umsatzbeteiligung, weil sie - etwa bei einer Vier-Kräfte-Filiale - auf fünf umgelegt wird. Alle verdienen also weniger. Erkrankte Aldi-Mitarbeiterinnen dürfen sich deshalb der Anteilnahme und Beobachtung ihrer Kolleginnen sicher sein. Dieses System sorgt für Krankenstände von unter 0,5 Prozent (normal: drei Prozent).

Den Filialleitern vorgesetzt sind die Bezirksleiter: strebsame junge Herren - gelegentlich auch Damen - direkt von den Fachhochschulen. Sie kommen gern zu Aldi. Denn nach einer vier- bis sechsmonatigen Einarbeitungszeit als Kassierer und Packer winken ein Mittelklasse-Audi als Dienstwagen und ein Monatsgehalt von stolzen 6.000 Euro.

Klopapier zählen

Der Bezirksleiter ist der Waldi vom Aldi. Ihm unterstehen sechs bis acht Filialen. Er hat stets die Preise der umliegenden Lidl-, Penny- und sonstigen Märkte im Auge, schnüffelt an den Kühlregalen und Truhen längs, ob die Produkte mit den am ehesten ablaufenden Verfalldaten zugriffsgünstig platziert sind, prüft im Lager, ob der Filialleiter den Nachschub richtig disponiert, zählt mitunter durch, ob eine Klopapierrolle von »Vitess«, 3-lagig, 8 x 200 Blatt zu 1,75 Euro, auch tatsächlich 200 Blatt hat, beurteilt nach einem genau festgelegten Schema Ordnung und Sauberkeit der Filialen und eilt - stets über Handy erreichbar - sofort herbei, wenn ein Filialleiter sich nicht sicher ist, ob er einem Kunden, der eine zu drei Vierteln leer getrunkene Flasche Schampus zurückbringt, weil sie ihm nicht geschmeckt habe, das Geld zurückerstatten darf.

Aldi hat eine totale Rücknahmegarantie: Was nicht gefällt, wird zurückgenommen - nicht gegen Gutschein, sondern gegen Bares. Filialleiter haben den Umtauschwünschen der Kunden ohne Diskussion Folge zu leisten. Chef der Bezirksleiter ist der Verkaufsleiter, meist aus der Riege der Bezirksleiter aufgestiegen. Sein Monatsgehalt beträgt 10.000 Euro. Der Verkaufsleiter beaufsichtigt sechs bis acht Bezirksleiter. Er sitzt im Zentrallager.

65 Zentrallager

Zentrallager von Aldi, in Deutschland 65 an der Zahl, liegen stets in der Walachei, aber immer dicht an einer Autobahnauffahrt. Grundstücksgrößen von 30.000 bis 40.000 Quadratmetern, sind normal. Das entspricht fünf bis sechs Fußballplätzen. So viel Platz brauchen die Fernlaster, um frische Milch, Gurkengläser oder Fernseher abzuladen.

Nachschub

Kaum ein Artikel, bei dessen Verkauf Aldi nicht zu den Top Ten der Republik gehört. Jedes dritte Glas Gurken kommt von Aldi, jede vierte Dose Kondensmilch, jede fünfte Packung Waschmittel. Beim Bohnenkaffee, den sie in eigenen Röstereien rösten, sind sie die Nummer drei am deutschen Markt. Alles ist auf Paletten gestapelt. Wer ohne die aufkreuzt, kann gleich wieder abdrehen. Die Hallen haben 60 bis 80 Luken. An einer der Hallenseiten docken die Lieferanten-Laster an. Auf der anderen warten die 30-Tonner von Aldi (blau im Norden, weiß im Süden) auf Nachschub.

Die Kapitäne der Aldi-Sattelschlepper fahren nach genauestens ausgetüftelten Fahrplänen. Früh mit dem Berufsverkehr rücken sie in die Städte vor. In Hamburg, das von drei Zentrallagern umzingelt ist, aus dem Lager Horst 50 Kilometer nördlich, aus dem Lager Bargteheide 40 Kilometer östlich und aus dem Lager Seevetal 30 Kilometer südlich.

Überwachte Ladeklappen

Schwierig anzufahrende Filialen werden von zwei Sattelschleppern angesteuert. Ist die Filiale erreicht, blockiert der hintere den Verkehr, damit der Vordermann unbedrängt zurücksetzen kann. Das Zurücksetzen besteht nicht aus einem nervtötenden Rückwärts-vorwärts-rückwärts-vorwärts-Gewürge wie bei anderen Lastern. Der Aldi-Fahrer benötigt einen einzigen Versuch. Klappt er dann die Ladeklappe runter, wird dies automatisch vom Fahrtenschreiber registriert (es ist vorgekommen, dass Aldi-Fahrer auf Autobahnparkplätzen ein bisschen gedealt haben).

Wo baulich möglich, ist die Anfahrt zur Ladeluke der Filiale so tief gelegt, dass die Paletten mit dem Hubwagen ruck, zuck von der Ladefläche ins Filiallager oder gleich direkt in den Laden gerollt werden können. Dann kehrt der Lkw für die nächste Fuhre zurück ins Zentrallager.

Aldi-Gabelstapler

In den riesigen Hallen dort draußen herrscht Gewusel. Weil die Paletten gleich nach dem Entladen auf 20 bis 30 Aldi-Laster (Mercedes, Scania oder MAN) verteilt werden, brauchen sie nicht gestapelt zu werden. Aldi-Lagerhallen sind deshalb extrem flach. Gabelstapler, die mit Tempo 20 von einer Hallenseite zur anderen surren, müssen die Paletten deshalb nicht hochheben, sondern vor sich herschieben, und zwar pro Fahrt nicht eine einzige, sondern so viele wie möglich. Aldi hat bei den Gabelstaplerfirmen so lange herumgenölt, bis sie »Niederflur-Stapler« mit 3,60 Meter langen Gabeln konstruiert haben. Darauf passen in einem Arbeitsgang drei Paletten mit insgesamt drei Tonnen Gewicht. Damit die Gabeln vom Gewicht nicht in den Hallenboden gedrückt werden, haben sie vorn in den Spitzen Rollen. Der Listenpreis für so ein Gerät, das inzwischen alle Umschlaglager benutzen, beträgt 35 000 Euro. Aldi kriegt 40 Prozent Rabatt.

Die höchste bei Aldi zu erreichende Karrierestufe ist die des Geschäftsführers eines solchen Zentrallagers, auch Regionalgesellschaft genannt: 200.000 Euro Jahresgehalt plus E-Klasse von Mercedes. Der Geschäftsführer trägt die Verantwortung für 500 Mitarbeiter im Lager und in 60 bis 80 Läden. Zusammen mit einem Immobilienfachmann sorgt er für die Anmietung oder den Kauf von Grundstücken für neue Filialen und ist nur einem einzigen Menschen verpflichtet: dem Karl, wenn das Lager im Süden liegt, dem Theo im Norden.

Aldi-Land ist geteilt

Bereits 1961 haben die Brüder sich Deutschland geteilt. Sie konnten sich nicht über den Verkauf von Zigaretten einigen. Theo wollte, Karl wollte nicht, weil Zigaretten so oft geklaut werden (der Schwund durch Ladendiebstahl beträgt im Einzelhandel ein Prozent, bei Aldi, wo die Kunden durch verspiegelte Scheiben beobachtet werden, liegt er unter 0,5 Prozent).

Gern geklaut werden auch die Einkaufswagen. In einigen Filialen im Süden testet Aldi deshalb ein System, bei dem, sobald der Kunde den Wagen über die Grundstücksgrenze schiebt, eine Funkschranke eine Blockierung der Räder auslöst.

Die Welt aufgeteilt

Seit der Trennung, also seit über 40 Jahren, gilt: Wo es Zigaretten an der Kasse gibt, ist Aldi Nord, wo nicht, ist Aldi Süd. Der Aldi-Limes beginnt an der holländischen Grenze zwischen Borken (Nord) und Bocholt (Süd), durchschneidet zwischen Gelsenkirchen (Nord) und Bottrop (Süd) das Ruhrgebiet, schlängelt sich über Siegen an Kassel vorbei diagonal durch die alte Bundesrepublik. Die neuen Bundesländer, längst mit 400 Filialen überzogen, gehören komplett zum Norden. Dafür hat Aldi Süd in England freie Bahn. Denn Karl und Theo haben sich nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt geteilt. Sogar in Amerika, dem Land der Kreditkarte, hat Karl Albrecht seine Kundschaft zur Barzahlung erzogen (lediglich Scheckkarten sind erlaubt). Zum Stammsortiment in den USA gehören unter anderem Austern in der Konservendose zu 1,29 Dollar.

Vom Konsum zum Discount

Der Name »Aldi« hat sich derart verselbstständigt, dass kaum jemand weiß, was er bedeutet. »Aldi« ist die Abkürzung von »Albrecht Discount«. So hieß die gleich nach Kriegsende in Essen gegründete Kette ursprünglich. Damals beherrschten gewerkschaftseigene Konsum-Läden den Lebensmittelhandel. Die Rechnungen wurden damals noch von Hand geschrieben. Wer diese Rechnungen das ganze Jahr über sammelte und am Jahresende zusammenzählte, bekam auf die Gesamtsumme drei Prozent Rabatt. Diese Arbeit mussten meist die ältesten Kinder der Familien erledigen, weil sie am besten rechnen konnten. Deshalb hassten sie den Konsum.

Die Idee der Albrecht-Brüder bestand darin, den Rabatt von vornherein vom Preis abzuziehen (Discount), was die Kinder toll fanden, weil sie nicht mehr rechnen mussten. Und die Eltern auch, weil von vornherein alles billiger war als im Konsum. Der Konsum starb. Aldi erblühte.

Entführung 1971

Welch ein Riese da heranwuchs, merkten die Deutschen erstmals, als 1971 Theo Albrecht beim Verlassen seiner damaligen Firmenzentrale in Herten entführt und nach 17 Tagen gegen ein Lösegeld von sieben Millionen Mark - Rekord für damalige Verhältnisse - wieder freigelassen wurde. Das Lösegeld überbrachte auf einem finsteren Parkplatz der Ruhrbischof Franz Hengsbach - ein Dienst am Kunden. Theo und Karl, zwei Katholiken, waren seine mit Abstand besten Kirchensteuerzahler.

Nach seiner Freilassung hat Theo sich durch die Dachluke seines gediegenen, aber für einen Multimilliardär winzigen Einfamilienhäuschens im Essener Ortsteil Bredeney kurz gezeigt. In diesem Häuschen wohnt er noch heute und lässt sich mehrmals in der Woche in sein Büro in der fünf Autominuten entfernten Firmenzentrale an der Eckenbergstraße fahren.

25 Mitarbeiter in der Zentrale

Dort prangt kein Firmenlogo am Dach. Es gibt kein Firmenschild am Eingang. Nicht einmal das Schildchen an der Klingel ist beschriftet. Nicht nötig, weil: Muss ja kein Kunde hin.

Hier, in der Weltzentrale des Milliardenkonzerns Aldi Nord, arbeiten 25 Menschen. Hier guckt Theo seinen beiden Söhnen Berthold und Theo junior auf die Finger und den sechs Chefeinkäufern, von denen jeder über ein Jahresbudget zwischen einer und zweieinhalb Milliarden Euro verfügt. Diesen Leuten ist es streng verboten, sich von Lieferanten auch nur zum Essen einladen zu lassen. Trotzdem kommt es vor, dass einer von ihnen dieses oder jenes Geschenk annimmt, etwa ein Cabrio für die Frau Gemahlin. Wenn das rauskommt, ist für den Mann von Aldi Edeka - Ende der Karriere.

»Konsequent einfach«

Weil bei Aldi alles ganz einfach geregelt ist, sind Aktennotizen von mehr als einer Seite Länge verpönt. Alles lässt sich in wenigen Zeilen ausdrücken. Für Unternehmensberater wie McKinsey oder Roland Berger haben die Brüder nur ein mildes Lächeln. Der frühere Aldi-Topmanager Dieter Brandes hat ein Buch über die Aldi-Erfolgsstory geschrieben. Es wurde ein Bestseller. Titel: »Konsequent einfach«, erschienen im Heyne-Verlag.

Kein Privat-Prunk

Wie Bruder Theo ist auch der 82-jährige Karl noch längst kein Tattergreis. Seine Weltzentrale steht, ebenfalls ohne Aldi-Logo am Dach oder Eingang, wenige Kilometer entfernt in Mülheim. In Donaueschingen besitzt Karl in der Nachbarschaft des dortigen Zentrallagers einen Golfplatz mit 27 Löchern samt dazugehörigem Golfhotel. Golf ist seine Leidenschaft. Mit 70 Jahren hatte er noch das Handicap 7 - für Amateure absolute Spitze. Noch heute, sagt Sportdirektor Paul Gremmelspacher, »machen die Golfer große Augen, wenn der Herr Albrecht hier spielt«. Danach stemmt er in der Hotelbar »Fair Way« noch ein Bierchen, bevor er sich in sein Privathaus hinter dem Hotel zurückzieht - ein einstöckiger Bungalow, der in Wandlitz, dem einstigen Wohnviertel der DDR-Bonzen, eher ärmlich gewirkt hätte.

Vor 20 Jahren hat der stern zum ersten Mal groß über die Aldi-Brüder berichtet. Am Ende der Reportage stand ein Zitat ihrer Mutter Anna, mit deren kahlem Laden in Essen-Schonnebeck 1946 alles begann, nachdem ihre Söhne aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Mutter Anna sagte ihnen damals: »Je schlechter es den Leuten geht, desto besser geht es uns.« So wie es Aldi heute geht, muss es den Leuten sehr schlecht gehen.

Jürgen Steinhoff<br/>Mitarbeit: Helga Hein, Ingrid Lorbach, S

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