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Niels Petersen: Hope Dealer – 9783863343736

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NIELS P ET ER SEN

Vom Drogenhändler zum Hoffnungsbringer Meine 180°-Wende im härtesten Knast Kolumbiens



Frei

Wo wär ich jetzt wohl ohne Dich, Gott? vielleicht unter der Erde mit ner Kugel im Kopf vielleicht wieder im Knast wegen Drogenimport wär auf dem Weg in die Verdammnis, alle Hoffnung verlorn’ 180°, Du hast mein Leben geswitched führtest mich aus dem Dunkeln durch den Nebel ins Licht mein Schöpfer, mein Retter ohne Dich gäbe es mich nicht Du hast jeden kleinen Riss in meiner Seele geflickt Du hast mich gefunden in der dunkelsten Stunde drehte Runden um Pudding, mir ist die Flucht nicht gelungen viel zu viel Zeit verbracht in dieser Einzelhaft ich hab nach Dir geschrien, Du hast mich freigemacht Du ergriffst die Initiative hast in der Ewigkeit entschieden, mich für immer zu lieben Du gibst mir den inneren Frieden ich hab mich entschieden, Dich für immer zu lieben! (Auszug aus dem Song „Frei“ von R.E.A.L x Double M vom Realtalk Records Sampler 2)



Aus Gründen der eigenen Sicherheit und der Wahrung aller Persönlichkeitsrechte sind einige Namen, Orts- und Zeitangaben verändert worden.


INHALT

Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wie alles anfing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Street Credibility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Südamerika – eine Liebe fürs Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf Abwegen in Kolumbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein kurzer Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bruchlandung in den Bergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volles Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Alptraum beginnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . La Modelo – die Hölle auf Erden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Stück Himmel in der Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefangen, aber frei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine zweite Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Made in Heaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Dope-Dealer zum Hope-Dealer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realtalk – Gospel statt Gangster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 31 52 64 82 94 101 118 125 150 159 167 176 190 206 225

Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang – Wenn du mehr wissen möchtest . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prolog „Machs gut, Alter! Und viel Glück“, ruft mein Kumpel Oscar mir noch zu, als ich am El-Dorado-Flughafen in Bogotá aus seinem Auto steige. Er weiß, was ich vorhabe, und sein Glück-Wunsch ist keine hohle Phrase. Ich nehme meinen Koffer und meinen Rucksack und gehe zum Air-France-Schalter. Checke ein, gebe den Koffer ab, alles ganz normal. Den Rucksack behalte ich natürlich als Handgepäck bei mir. Der Flug hat drei Stunden Verspätung, erfahre ich. Mist. Drei Stunden mehr Zeit, nervös zu sein. Drei Stunden mehr, in denen irgendwas schiefgehen kann. Aber wohl nicht zu ändern. Auf der positiven Seite haben die von der Air France mir zur Entschädigung einen Gutschein mitgegeben für eins der Restaurants, die sich in der Abflughalle befinden, „Crepes & Waffles“. Ein echt guter Laden mit viel Auswahl für den süßen Zahn, aber auch herzhafte Sachen. Nicht schlecht! Ich schultere meinen Rucksack und gehe hoch in die Halle, wo die ganzen Restaurants sind. Setze mich im „Crepes & Waffles“ an einen freien Tisch. Und plötzlich kommt da ein ganzes Rudel bildschöner Frauen herein. An ihren Schärpen erkenne ich, dass es sich um eine Abordnung von „Missen“ aus den ganzen kolumbianischen Departamentos, also den Bundesländern, handelt. Anscheinend wollten sie gerade gemeinsam zu irgendeiner Misswahl fliegen. Alter, das ist wirklich ein Fest für die Augen – ein Mädchen ist schöner als das andere. Und ich denke: Wow, das ist jetzt wohl für längere Zeit das letzte Mal, dass ich so hübsche Frauen sehe. Eigentlich bezog sich das nur darauf, dass ich Südamerika und seine Naturschönheiten verlasse. Doch plötzlich macht sich in mir irgendwie so ein Bauchgefühl 9


bemerkbar, das mir sagt: Das geht schief! Du wirst auffliegen! Die verhaften dich und dann siehst du für Jahre nicht das Sonnenlicht. Ich weiß, dass ich eine 50/50-Chance habe, durchzukommen oder gepackt zu werden. Die vielleicht beste Drogenpolizei der Welt sitzt in diesem Flughafen. Das schlechte Gefühl ist so stark, dass ich tatsächlich blitzschnell im Kopf meine Optionen durchgehe – in Sekundenbruchteilen mache ich Pläne: Noch ist nichts passiert. Niemand hat irgendwas gemerkt. Ich kann jetzt einfach aufstehen und den Flughafen verlassen. Und dann soll Oscar mich abholen, ganz egal, dass mein Koffer dann ohne mich nach Paris fliegt. Schon überlege ich mir, wie ich das dann mache, wo ich den Rucksack verstecke und wie ich den schnell wieder loswerde. Doch fast genauso schnell kickt mein Hustler-Gen wieder rein und ich denke: Nein, ich bin jetzt hier und ich zieh das durch, koste es, was es wolle. Es gibt kein Zurück mehr. Gibts ja auch tatsächlich eigentlich nicht, denn ich brauche diese Kohle. Ganz einfach. Außerdem ist das bei Weitem nicht das größte Ding, das ich gedreht habe. Da sind schon ganz andere Sachen gelaufen, dagegen ist das hier echt ein Witz. Als ich mich auf den Weg zum Security-Check mache, bin ich daher auch nicht mal groß nervös, geschweige denn, dass ich irgendwelche verdächtigen Stressanzeichen zeigen würde. Ich stelle mich brav in der Schlange an, und am Band vor dem Scanner angekommen lege ich vorschriftsmäßig meine Uhr und meinen Gürtel ab, leere die Hosentaschen, lege Handy und Laptop in diese Plastikwanne und den Rucksack in eine zweite. Während ich darauf warte, dass der Beamte am Scanner mich durchwinkt, sehe ich hinter der Station Anti-Narcóticos-Leute mit ihren Drogen-Suchhunden stehen. Mir ist klar: Jetzt kommt es drauf an. Wenn etwas schiefgeht, dann hier. Wenn ich hier durchkomme, hab ich es geschafft. Ich gehe durch den Sicherheitscheck und nichts passiert. Niemand sagt etwas, niemand merkt etwas. Ich nehme meinen Rucksack und die anderen Sachen wieder an mich und gehe an den Drogenhunden 10


vorbei. Auch die schlagen nicht an und ich gehe einfach unbehelligt weiter. Dann der Zoll und Passkontrolle. Nur ein kurzer, desinteressierter Blick des Beamten, dann bekomme ich den Ausreisestempel in meinen Pass. Fertig. Ich gehe wie ferngesteuert zum Gate. Setze mich hin und denke: Geschafft. Das Ding ist gelutscht. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Der Flug an sich wird kein Problem sein, warum auch. Das Handgepäck liegt die ganze Zeit schön in den Gepäckfächern im Flugzeug, da guckt niemand mehr nach irgendwas. Und der Flug von Paris nach Hamburg ist ein Transitflug, da passiert auch nichts mehr. Fett! Die Anspannung löst sich fühlbar von meinen Schultern. Ich bücke mich, ziehe meine Sneakers aus und fange an, mich zu entspannen. Und schon geht es wieder los mit dem Gedankenfeuerwerk: Ey, das war ja sowas von easy going. Krass! Wenn ich wieder zurück in Kolumbien bin und das alles abgewickelt habe, schicke ich als Nächstes gleich fünf oder zehn Mulas los, also Leute, die man Drogen schmuggeln lässt. Und nicht nur mit 600 Gramm Base, sondern gleich mit zwei, drei Kilo! Bei einer kurzen Überschlagsrechnung, was das an Umsatz bedeutet, kriege ich das ­Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht. Eine halbe Stunde später schrecke ich aus meinen rosaroten Gedanken hoch, als plötzlich eine ganze Horde Polizisten von den Anti-Narcóticos das Gate entert. Blitzartig bauen sie drei Tische auf und rufen: „Alle Passagiere des Flugs nach Paris kommen bitte nochmals aus dem Gate raus und dann hierher für eine letzte Sicherheitskontrolle.“ Mit so einer Aktion habe ich nicht gerechnet. Wie ich im Nachhinein mitbekommen habe, ist das wohl bei „vuelos calientes“, also „heißen Flügen“, auf denen viel geschmuggelt wird, inzwischen gang und gäbe. Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Realisiere gar nicht sofort, was das bedeutet. Fühle gar nichts. Mein Kopf ist wie im Leerlauf. 11


Ich weiß nur: Das ist richtig, richtig schlecht. Aber ich muss mich jetzt zusammenreißen. Darf mir nichts anmerken lassen. Tatsächlich gehe ich sogar als einer der Ersten nach vorn, um den Eindruck zu erwecken, dass ich nichts zu verbergen hätte. Aber ich sehe, wie sie das Handgepäck der anderen auseinandernehmen und ohne viel Aufhebens mit großen Nadeln in Taschen und Rucksäcke stechen. Und dann geht alles ganz schnell. Sie leeren meinen Rucksack aus, schauen hinein. Und als sie nichts finden, stechen sie mit ihren Nadeln in den Boden und das Rückenteil. Sie riechen daran, schauen sich gegenseitig vielsagend an und dann mich. Der eine Polizist sagt zu mir: „Setzen Sie sich bitte hier in die erste Reihe“ und ich denke: Die erste im Flugzeug wäre vielleicht ganz gut gewesen … aber hier im Gate nach dieser Ansage, das heißt nichts Gutes. In diesem Moment weiß ich: Das wars. Diese große Show „Drogenbusiness in Kolumbien“, das ist alles vorbei. Nach diesem Hype eben, wo ich dachte, ich habs geschafft, ist das ein verdammt tiefer Fall. Noch weiß ich nicht, was auf mich zukommt, aber mir ist klar, dass das, was jetzt folgt, brutal hart werden wird und ich stark sein muss.

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WIE ALLES ANFING

Ich bin am 13. März 1983 geboren. Es war ein sonniger Tag. Ach nein, wahrscheinlich eher nicht, denn ich kam in Flensburg zur Welt, einer kleinen Hafenstadt an der dänischen Grenze. Doch meine Eltern, Uwe und Inis Maria Petersen, hatten sich tierisch auf mich gefreut und waren sehr glücklich über meine Ankunft. Mein Vater Uwe ist in eher ärmlichen Verhältnissen in Flensburg in einer Zweieinhalbzimmerwohnung aufgewachsen, die er sich mit seinen Eltern, drei Geschwistern und einer kleinen Schneiderei teilen musste. Meine Großeltern väterlicherseits sind früh gestorben, ich habe sie kaum kennengelernt. Und wenn wir mal da waren, war das Interesse ihrerseits nicht sehr groß. Nach dem, was mein Vater mir erzählt hat, hatte er eine nicht so leichte Kindheit. Er war das jüngste Kind und wurde von seinen Eltern nicht immer ganz fair behandelt. Während seine Zwillingsschwester aufs Gymnasium durfte, musste er die Hauptschule besuchen. Aber mein Vater hat doch über den zweiten Bildungsweg seine Fachhochschuleignung gemacht, und nach einer Kfz-Mechanikerlehre dann Ingenieurwesen studiert. Er hat einen guten Job ergattert und viel gearbeitet. Jeden Werktag musste er früh raus und kam spät nach Hause, wenn ich schon ins Bett ging. Aber er hat dennoch an den Wochenenden viel Zeit mit mir verbracht, hat mit mir draußen Fußball gekickt und wirklich das bisschen Freizeit, das er hatte, in mich investiert. Ich kann mich noch an viele Aktivitäten mit ihm erinnern, und heute, wo ich selbst Vater bin, weiß ich vermutlich noch mehr zu schätzen, was er da geleistet hat. Auch für seinen Arbeitseifer 13


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