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Au-pair in Paris – 9783986950682

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Die Geschichten in diesem Buch stammen teilweise aus früher erschienenen (und bereits vergriffenen) Bänden: – Das Kästchen im Kleiderschrank (Gerth Medien, 2015): Oma und ich / Erdbeben in der Nacht / Das Leben feiern / An der Küste Donegals / Dolores   – Die hellblauen Schuhe (Gerth Medien, 2019): Nur weitermachen / Einundzwanzig Diakonissen im Boxring – Geschichten für zwischendurch (SCM R. Brockhaus, 2006): Die Badezeremonie – Neue Geschichten für zwischendurch (SCM R. Brockhaus, 2008): Spannung in der Kirche / Eine Antenne für Gott / Eine besondere Begegnung – Dir gehört mein Lob (SCM Collection, 2013): Singt dem Herrn (Originaltitel: Ein neues Lied) / Die Kraft eines Liedes / Der Bienenchor / Summen tut gut – Du schenkst mir Mut zum Leben (SCM Verlag, 2015): Der Eimer gefüllt / Du schenkst mir Mut zum Leben Alle weiteren Geschichten sind neu und bisher in keiner Veröffentlichung erschienen.


Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unerwartete Stunden am Strand . . . . . . . . . . 2. Nur weitermachen! . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überrascht auf dem Weg nach Santiago de Compostela . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spannung in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . 5. Eine Nacht im Wald . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einundzwanzig Diakonissen im Boxring . . . . . 7. Unruhe im Studio . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Unsere Gerda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der Eimer gefüllt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Oma und ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Nicht alles ist machbar … . . . . . . . . . . . . . 12. Vom Müllwagen verfolgt . . . . . . . . . . . . . 13. Erdbeben in der Nacht . . . . . . . . . . . . . . . 14. Die Turteltauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Der Tankwart und die Polin . . . . . . . . . . . .

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16. Eine Hochzeitssuite in meinem Haus . . . . . . 81 17. Singt dem Herrn! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 18. Die Badezeremonie . . . . . . . . . . . . . . . . 89 19. Eine Antenne für Gott . . . . . . . . . . . . . . . 93 20. Jäger am Parkplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 21. Die Kraft eines Liedes . . . . . . . . . . . . . . . 103 22. Eine besondere Begegnung . . . . . . . . . . . . 106 23. Das Leben feiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 24. Bibeln auf dem Flohmarkt . . . . . . . . . . . . 115 25. Meine Nachbarin . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 26. An der Küste Donegals . . . . . . . . . . . . . . 127 27. Das Stimmenorchester . . . . . . . . . . . . . . 130 28. Au-pair in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 29. Der Bienenchor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 30. Sag’s dem Herrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 31. Dolores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 32. Fremdsprachen üben . . . . . . . . . . . . . . . 153 33. Die Stecknadel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 34. Eine neue Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . 162 35. Das Quiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 36. Ausschau halten in der Nacht . . . . . . . . . . . 170 37. Summen tut gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 38. Händel im Kreißsaal . . . . . . . . . . . . . . . . 176 39. Beschenkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 40. Auf dem Bauernhof in den Bergen . . . . . . . 186


Vorwort

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ls ich gefragt wurde, Geschichten für ein neues Kurzgeschichtenbuch zu schreiben, lag die Corona­ zeit relativ kurz hinter uns. Die Welt war aus ihrem Lockdown erwacht und das Leben hatte sich wieder (einigermaßen) normalisiert, als ich durch eine Erkrankung gezwungen wurde, mich noch eine Weile fern vom aktiven Leben zu halten. Als ich nach einigen Monaten wieder fit war, fragte ich mich, worüber ich eigentlich schreiben sollte. Ich hatte lange Zeit wenig oder nichts unternehmen können, es hatte keine Vortragsreisen gegeben und ich hatte wenig Aufregendes erlebt. Schlange zu stehen für eine Impfung, sich mit Mundschutz durchs Leben zu bewegen und Begegnungen wenn möglich aus dem Weg zu gehen und dann noch einige Zeit nicht fit zu sein, das alles hat doch wirklich nicht viel in sich für eine nette Geschichte! Im Rückblick hat die Zeit, in der ich zu Hause war, mir 7


manches gegeben, was inspirierend war. Ich erlebte eine Art Sabbatperiode, in der ich weder meine Koffer packen und mich auf dem Weg machen musste noch den Druck mancher Deadlines erfuhr. In dieser ›geschenkten Zeit‹ kamen nicht nur neue Impulse und Gedanken, sondern es kamen auch Erinnerungen an Erlebtes aus meiner Kindheit und Jugend wie auch an Vorfälle jüngeren Datums hoch. Im Grunde bekam ich die ersten neuen Geschichten schon in dieser stillen Phase auf dem Präsentierteller angeboten! Ich hatte wieder mit meinem Reisedienst begonnen, als ich mit dem Schreiben der Geschichten anfing. Die Mehrzahl schrieb ich zu Hause, andere während eines traumhaften Urlaubes auf einem Bauernhof in den Bergen. Mit »Au-pair in Paris und andere wahre Geschichten« halten Sie eine bunte Mischung von leichten und ernsthaften Erzählungen in der Hand. Bei einigen werden Sie schmunzeln, während andere nachdenklich machen. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen (oder beim Vorlesen)! Noor van Haaften, Ende 2023

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1.  Unerwartete Stunden am Strand

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u den vielen kostbaren Erinnerungen aus meiner Jugend gehört der Tag, an dem unsere Mutter fröhlich ankündigte, dass es heute dran war, die Schule zu schwänzen. Meine Schwester und ich waren zu dieser Zeit etwa acht und neun Jahre alt, und wir waren selbstverständlich nicht darauf gefasst, dass unsere Mama so etwas Unerhörtes ankündigen würde. Ihre Beweggründe waren aber durchaus verständlich und überzeugend, denn es war ein herrlicher sonnenüberfluteter Morgen, und es wäre tatsächlich zu schade gewesen, die nächsten Stunden in der Schulbank zu verbringen. Und so rannten wir zu unserem Zimmer und tauschten unsere Schulkleidung ein gegen einen Badeanzug mit einem sommerlichen Kleidchen darüber. Unsere Mutter hatte inzwischen ein Picknick vorbereitet und Badetücher, Eimer, Schaufel und ein Fischnetz für uns eingepackt. Sie selbst nahm ein dickes Buch und Strickzeug für sich mit. 9


Unser Haus befand sich fast direkt hinter den Dünen, die das Meer von unserem Wohnort trennten. Wir brauchten nicht mehr als zehn Minuten, um den Strand zu erreichen. Für viele Leser dieses Büchleins hört sich das wahrscheinlich an wie ein Traum, wir selbst fanden es normal. Der Strand und das Meer wie auch die Dünen waren (und bleiben) uns vertraut. Und lieb, das natürlich auch. Und so fuhr eines Tages ein alter DKW mit einer fröhlichen Mama, zwei Schulschwänzerinnen und einem ausgelassenen Hund an den Strand. Einmal dort angekommen, suchten wir einen Platz mit einem Windund einem Sonnenschirm und einem Liegestuhl für die Mama. Es war ein herrlicher, stiller Vormittag. Der Gedanke, dass unsere Freunde in der Schule waren, war für meine Schwester und mich sowohl aufregend als auch etwas beängstigend. Wir waren Schulschwänzer, wie sollten wir unserem Lehrer am nächsten Tag erklären, dass wir am Strand gewesen waren? Unsere Mutter schien diese Frage nicht wirklich zu bewegen, es war ihr deutlich anzusehen, dass sie diese Auszeit mit ihren zwei Mädchen genoss. Auch unser Hund war völlig entspannt und höchst erfreut. Er war gleich schwimmen gegangen, und als er zu uns zurückkam, schüttelte er sich ausgiebig und sprühte dabei reichlich sandiges Meereswasser über 10


unseren Picknickkorb, was zur Folge hatte, dass wir ihn fortscheuchten und versuchten, ihn zu fangen. Er liebte dieses Spiel und ließ uns immer ganz nahe kommen. Sobald wir ihn aber ergreifen wollten, sprang er auf und sauste grinsend und bellend davon. Wir erlebten einen unvergesslichen Tag. Meine Schwester und ich sammelten Muscheln und Krabben, und wir studierten die Quallen am Strand. Wir gruben tiefe Löcher im Sand und bauten am Meeresrand ein imposantes Sandschloss mit einem Graben ringsum. Wir sahen zu, als die Flut kam und der Graben sich mit Wasser füllte, und wir trauerten, als unser Schloss sich allmählich im Wasser auflöste. Es faszinierte uns, dass die scheinbar leblosen Quallen »erwachten« und zu schwimmen begannen, als sie vom Wasser mitgenommen wurden. Als nachmittags ein Garnelenfischer mit seinem Schleppnetz vorbeikam, der uns sein Metier erklärte, waren wir überglücklich. Meine Mutter nannte das alles Anschauungsunterricht. Wir hatten an diesem Tag Biologie, so wie wir auch einmal Kultur und Geschichte als Fächer hatten, und zwar an unserem zweiten Schwänztag, als unsere Mutter entschied, dass es uns guttun würde, einen Stadtbummel zu machen in der Residenzstadt Den Haag. An dem Tag besuchten wir vornehme Geschäfte und wir sahen unter 11


anderem die Parlamentsgebäude und die Statue von den niederländischen Gebrüdern Johan und Cornelis de Wit, die am 20. August 1672 aus politischen Gründen in den Haag ermordet wurden. Zu Mittag waren wir im Kino. Auch dieser Schwänztag war unvergesslich. Wenn Sie meinen, dass diese Aktionen meiner Mutter pädagogisch gesehen zumindest fraglich (oder sogar unmäßig) sind, bin ich einerseits mit Ihnen einverstanden. Anderseits sind mir die Erinnerungen an diese beiden Tage (mehr waren es nicht) so kostbar, weil es so total extravagant war, gemeinsam mit unserer Mutter etwas zu unternehmen, das unangemessen war. Sie verbarg ihre Aktion übrigens nicht, denn sie hatte nach den beiden Schwänztagen ein Gespräch mit dem Schuldirektor, wobei sie ihm erklärte, dass sie es in dem Moment für nötig gehalten hatte, ihren zwei Töchtern eine besondere Erfahrung zu ermöglichen. Der Schuldirektor kannte sie als eine Mutter, die die Erziehung ihrer Kinder ernst nahm, und er konnte das Geschehen mit Humor betrachten. Ich selbst rechne unsere zwei Schwänztage als eine kostbare Erinnerung an meine liebe und spontane Mutter, die dann und wann das Bedürfnis hatte, die üblichen Wege zu verlassen und etwas Verrücktes zu tun.

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»Da ist das Meer, so groß und weit ausgedehnt …« Psalm 104,25

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2.  Nur weitermachen!

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er Pianist Ignacy Jan Paderewski wurde 1860 in Kurylówk in der Ukraine geboren und starb 1941 in New York. Er war ein genialer und vielseitiger Mensch: ein begnadeter Musiker, ein kompetenter Politiker und Staatsmann, ein brillanter Redner und Linguist (er beherrschte sieben Sprachen) und noch einiges mehr. Ein »superlativer Mensch«, so hat ihn der Autor Charles Phillips im Jahr 1934 beschrieben. Paderewskis künstlerische Karriere begann, als er 27 Jahre alt war, und brachte ihn rund um die Welt. Er gab Konzerte in Europa, Australien, Afrika und den Vereinigten Staaten. Allein in Amerika trat er mehr als 1500 Mal auf. Und immer waren die Konzertsäle überfüllt. Wenn er per Zug reiste (in seinem eigenen Pullman-Waggon mit mehreren Klavieren und Flügeln, weil er unterwegs übte und komponierte), waren immer ganze Volksmengen auf den Beinen, um ihn am Bahnhof zu

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begrüßen und zum Konzertsaal zu begleiten (oder um ihm zuzuwinken, wenn er vorbeifuhr). Der Pianist liebte es, gefeiert zu werden, aber er wurde dadurch in keinerlei Weise eingebildet oder unnahbar. Als einmal ein Zug aus Montana von einem Schneesturm aufgehalten wurde, soll er erst mit seinem Recital begonnen haben, nachdem alle Reisenden angekommen waren und ihren Sitzplatz eingenommen hatten. Und wenn sein Publikum ihn am Ende eines Konzerts nicht gehen lassen wollte (was immer wieder vorkam), war er durchaus bereit weiterzuspielen, manchmal sogar noch über eine Stunde lang. Eine Geschichte, die mich besonders bewegt, hat sich in einem Konzertsaal irgendwo in Amerika ereignet. Wie üblich waren die Zuhörer in großer Zahl angereist, es war kein Platz mehr frei. Im Publikum befand sich eine Mutter mit ihrem etwa achtjährigen Sohn. Der Kleine hatte ganz kurze Zeit Klavierunterricht gehabt, aber nun fehlte ihm die Lust zum Weitermachen. Seine Mutter, die das sehr bedauerte, hatte ihn in dieses Konzert mitgenommen in der Hoffnung, dass er durch das Hören und Sehen des großen Pianisten motiviert würde, seine Klavierstunden wieder aufzunehmen. Ob das tatsächlich geschehen ist, ist nicht bekannt. Doch an diesem Abend erlebte die Mutter einen gleichzeitig haarsträubenden 15


und unvergesslichen Moment: den ersten (und vielleicht auch letzten) musikalischen Auftritt ihres Sohnes. Während die Anwesenden sich in der Erwartung des Dirigenten und Solisten miteinander unterhielten, war auch die Mutter des Jungen mit ihrer Nachbarin im Gespräch. Es war eine so rege Unterhaltung, dass sie gar nicht bemerkte, wie ihr Sohn vom Stuhl neben ihr hi­ nunterrutschte und verschwand … Groß war das Erstaunen des Publikums, als ein kleiner Junge auf dem Podium erschien, zielstrebig auf den Flügel zulief und auf dem Schemel Platz nahm. Als ob ihm gar nicht bewusst wäre, dass er das nicht durfte, begann er arglos, mit zwei Fingern eine bekannte Melodie für Anfänger zu spielen. Im Konzertsaal stieß man sich aufgeregt an und hielt den Atem an. Die Mutter des Jungen war starr vor Ent­ setzen. Als Paderewski hinter den Kulissen erfuhr, was sich gerade auf der Bühne ereignete, zögerte er keinen Moment. Er ging nach vorne, stellte sich hinter den kleinen Jungen, beugte sich über ihn und fing an mitzuspielen. Im Saal wurde es mucksmäuschenstill, als die zögerlichen Töne des Jungen zu einem wunderschönen Klavierstück wurden. Nur der hörte, was Paderewski ihm beim Spielen zuflüsterte: »Spiel weiter, Kleiner! Hör nicht auf. Hörst du, wie schön das klingt, wenn wir gemeinsam spielen?!« 16


Der große Pianist ist wie unser himmlischer Vater. Während wir in aller Gebrechlichkeit unsere Noten spielen, umfängt er uns mit seinen Armen und flüstert: »Weitermachen!« Er umgibt uns mit seiner Liebe und segnet das Werk unserer Hände. »Achtet doch auf ihn …, damit ihr nicht müde werdet und den Mut verliert!« Hebräer 12,3

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