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NZZ am Sonntag

Jetzt kommt der Hydro-Salat

Zwei Zürcher Bauern verkaufen demnächst den ersten Schweizer Hydro-Salat. Grossverteiler und Experten sehen darin grosses Potenzial für die Zukunft.

Daniel Friedli, Dällikon
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 («Aufgrund der schwindenden Landreserven dürfte der Anbau im Hydrobereich Zukunft haben», schreibt die Migros. Bild: PD)

(«Aufgrund der schwindenden Landreserven dürfte der Anbau im Hydrobereich Zukunft haben», schreibt die Migros. Bild: PD)

Leise surrt und plätschert es, und wer durch die grosse weisse Halle blickt, meint, die Salate wachsen zu hören. Hunderte Setzlinge stehen da in Reih und Glied, und mittendrin der Mann, der einen Teil der Land- zur Wasserwirtschaft umwandeln will: Markus Meier, jüngere Hälfte der Gebrüder Meier AG und einer der grössten Gemüsebauern im Land. Er will als Erster Schweizer Salat verkaufen, der nie im Boden steckte, sondern künstlich im nährenden Wasserbett gezogen wurde.

Hydrokultur nennt sich die Methode, und in Meiers Gewächshaus in Dällikon (ZH) sieht sie so aus: Auf 3000 Quadratmetern steht, gut einen Meter über Boden, ein Gerüst mit vielen quer laufenden Rinnen. In diese Rinnen werden die Setzlinge eingesteckt, durch sie fliesst zweimal pro Stunde Wasser und versorgt die Wurzeln mit allem, was sie brauchen. Die Rinnen wiederum lassen sich per Knopfdruck von hinten nach vorne schieben. Hinten werden jeweils die jungen Setzlinge eingesteckt, nach drei bis acht Wochen kommen diese vorne als konsumreife Salate an. Und immer so viele, wie vorne geerntet werden, setzen Meiers hinten wieder neu ein – rund 2500 Salate pro Tag, 800 000 im Jahr. «Das ist die Zukunft des Salatanbaus», sagt Markus Meier.

Eine Zukunft, auf welche die beiden Brüder schon lange warten. Über vier Jahre lang haben sie ihr Projekt entwickelt, verfeinert und getestet, aber lange keine Abnehmer gefunden. Schweizer Konsumenten würden bodenlosen Salat nicht goutieren, hiess es. Doch nun ist der Grossverteiler Coop aufgesprungen. Er will ab März den ersten Schweizer Hydro-Salat in die Läden bringen: einen «Trio-Salat», bestehend aus rotem Lollo, grünem Lollo und rotem Eichblatt. Drei Sorten, zu einem Setzling zusammengepresst, gezogen in der Wasserrinne und schliesslich verpackt und verkauft samt Wurzel in einem Stehbeutel. Ein «living salad», sagt Meier, den man theoretisch daheim nochmals setzen könnte.

Mehr Ernte, wenig Verlust

Genau dies hat Coop am Konzept überzeugt. Der Salat bleibe so länger frisch, komme aber trotzdem wie ein Convenience-Produkt daher, sagt Sprecher Ramon Gander. Zudem lässt sich die Hydrokultur als nachhaltig bewerben. Das System funktioniert als effizienter Kreislauf, in dem alles genau dosiert wird und nichts verloren geht. Die Folge: Man braucht bis zu 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel und 70 Prozent weniger Wasser als in der herkömmlichen Produktion, was bei trockenen Sommern ein Vorteil ist. Der überflüssige Dünger bleibt im Kreislauf, es gibt keinen Eintrag im Boden, dafür mehr Ertrag pro Fläche und weniger Ernteausfall. Meiers rechnen damit, 98 Prozent der gesetzten Salate verkaufen zu können. Auf dem Feld sind schon 80 Prozent ein guter Wert. «Wir haben das Gefühl, die Kunden sind bereit für ein so innovatives Produkt», schreibt Coop.

Die Statistik scheint dem Grossverteiler recht zu geben. Der Hors-sol-Anbau, einst als Agroindustrie verpönt, boomt. Die Anbaufläche hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt (siehe Grafik). Fast jede zweite Schweizer Tomate, die nicht das Etikett «bio» trägt, hat nie Erde gespürt. Mit der Hydrokultur steht in dieser Entwicklung nun der nächste Schritt an, und an diesen glaubt nicht nur Coop. In Oftringen (AG) geht bei der Trachsel AG bald eine noch grössere Hydro-Anlage in Betrieb, deren Salate die Migros Aare abnimmt. Und auch sie sieht in der Wasserkultur mehr als nur einen Testlauf. «Aufgrund der schwindenden Landreserven dürfte der Anbau im Hydrobereich Zukunft haben», schreibt die Migros.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Die Bio-Bewegung lehnt die Hors-sol-Produktion ab, ihr Credo basiert vielmehr auf der nachhaltigen Nutzung des Bodens. Und der Umweltverband WWF kritisiert diese Methoden wegen ihres hohen Energieverbrauchs. Unter diesem Aspekt sei es sogar sinnvoller, ausser Saison importiertes Gemüse zu kaufen als solches aus hiesigen, beheizten Gewächshäusern.

Dies bestätigt auch Alex Mathis, Fachmann für Gemüseanbau an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Die Ökobilanz sei grundsätzlich in der Freilandproduktion am besten, sagt er. Vergleicht man indes die ganzjährige Produktion im Gewächshaus mit der neuen Hydrokultur, so habe Letztere bezüglich Effizienz durchaus Vorteile. Mathis erachtet Hydrokulturen darum als interessante Option, auch aus langfristiger Optik: Sie ermöglichen es, den Anbau näher an die Städte zu bringen und auf sonst unproduktive Flächen.

Hin zum Versorgungsturm

«Dieses Thema wird unweigerlich an Bedeutung gewinnen», sagt darum auch Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau. In Japan oder Korea werde Gemüse schon heute in künstlich beleuchteten Hightech-Fabriken angebaut. Und die Wissenschaft diskutiere zurzeit über Versorgungstürme, in denen Lebensmittel bodenlos, keimfrei und automatisiert angebaut würden, dafür nahe bei den Konsumenten. «Erdlose Kulturen können aus Gründen der Ökologie und Nachhaltigkeit vernünftig sein», sagt Niggli, auch wenn sie, hierzulande, für das Bio-Label nicht infrage kämen. In den USA indes wird bereits darüber diskutiert, ob man auch Hydrokulturen als biologisch zulassen soll.

So weit denken die Gebrüder Meier noch nicht. Künstliches Licht etwa ist in Dällikon noch kein Thema, auch weil Coop dies nicht will. Doch auch für Meiers ist die neue Anlage erst der Anfang. Sie denken bereits darüber nach, welches Gemüse sie als Nächstes darin testen könnten. «Wir werden damit vielleicht wieder lange anstehen», sagt Markus Meier. «Aber sicher nicht hinten.»