onlinejournal kultur & geschlecht #21 (2018)
Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
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„Moonlight isn’t all about sex – and it’s all the more queer
for it“: Sichtbarkeit und neue ästhetische Potentiale im
gegenwärtigen Queer Cinema
Philipp Hanke
Als B. Ruby Rich im März 1992 in der New Yorker Village Voice ein neues
queeres Kino ausrief, brachte sie damit ein Phänomen auf den Punkt, das
mit dem Toronto-Filmfestival ein Jahr zuvor begonnen und seit dem
Sundance Film Festival die Fachpresse auf unterschiedlichste Weise
beschäftigt hatte. Eine außergewöhnliche Fülle an Filmen hatte sich nicht
(mehr) nur der Darstellung von LGBTQI-Charakteren verschrieben, sondern
läutete die Queer New Wave mit einem radikalen formästhetischen Bruch,
dem postmodernen Spiel mit Genres und Klischees und nicht zuletzt einer
unverfrorenen Darstellung von nicht-heterosexuellem Begehren ein:
There, suddenly, was a flock of films that were doing something new,
renegotiating subjectivities, annexing whole genres, revising histories in
their image. All through the winter, spring, summer and now autumn, the
message has been loud and clear: queer is hot.1
1
B. Ruby Rich: New Queer Cinema. In: Sight and Sound, September 1992 (aktualisiert am
25.06.2017), http://www.bfi.org.uk/news-opinion/sight-sound-magazine/features/new-queercinema-b-ruby-rich (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
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Die Auswahl an Filmen war so verschieden wie ihre Macher_innen: Todd
Haynes war in der Kunst- und Experimentalfilmszene bereits für seinen mit
Barbiepuppen gestellten und aufgrund von Urheberrechtsstreitigkeiten indizierten Kurzfilm Superstar: The Karen Carpenter Story (USA 1987) bekannt.
Mit Poison (USA 1991,
Abb. 1) zeigte er seinen
von Jean Genet inspirierten
Debüt-Langfilm
– ein Tryptichon aus
schwuler Gefängnisromanze,
Horrorpersi-
flage und Homestory –
und wurde aufgrund der
staatlichen
Abbildung 1: Poison (USA 1991, R: Todd Haynes)
Förderung
zur Zielscheibe konser-
vativ-republikanischer Politiker. Gregg Araki (The Living End, USA 1991)
zeigte ganz bewusst Repräsentationen queerer Figuren am Rande der
Legalität und verortete sie im traditionellen US-Genre des Road-Movies.
Marlon Riggs verhalf mit Tongues Untied (USA 1989) nicht nur schwarzem,
homosexuellem Begehren zur Sichtbarkeit, sondern verband zudem fiktionale
Inhalte
mit
dokumentarischen
Aufzeichnungspraktiken.
Jennie
Livingston feierte mit ihrem
Dokumentarfilm
Paris
Is
Burning (USA 1990, Abb.
2) nicht nur Kritiker_innenerfolge, sondern gab auch
einen seltenen Einblick in
die multinationale Welt von
Dragballs
in
der
New
Yorker-Untergrundszene
(und
machte
gleichzeitig
das später von Madonna
Abbildung 2: Paris Is Burning (USA 1990, R: Jennie Livingston)
aufgegriffene Vogueing populär). Rich bezeichnete diesen Moment als die
Geburtsstunde des „New Queer Cinema“ (NQC), eines dezidiert politischen
Kinos, das auf gesellschaftlichen Umwälzungen und Krisen sowie medientechnischen Innovationen beruhte und durch diese möglich gemacht wurde:
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„Rich nennt in ihren Erinnerungen vier Gründe, die für die Entstehung des
New Queer Cinema ausschlaggebend gewesen seien: die Ausbreitung von
AIDS, die Politik von Ronald Reagan, Kamerarekorder und billige Mieten.“ 2
Das
neu
einsetzende
amerikanische
Independent-Kino
–
Steven
Soderberghs Sex, Lies & Videotape von 1989 gilt als einer seiner ersten und
wichtigsten Vertreter – verdankte seine Entstehung bereits dem in den
1980er Jahren weite Verbreitung findenden Video-Format und den damit einsetzenden neuen Distributionswegen. Hingegen zeigte das NQC nun auch
die ästhetischen Neuerungen, die mit vielfältigen Bearbeitungsmöglichkeiten
und im Spiel mit Klischees und Genrekonventionen einhergingen. Rich verweist in ihrem Essay auf den gemeinsamen, an der Postmoderne angelehnten Stil des „Homo Pomo“ („Homosexual Post-modernism“) 3: „These works
are irreverent, energetic, alternatively minimalist and excessive. Above all,
they’re full of pleasure.“4
Von einem allein ästhetisch postmodernen Stil unterschieden sich diese
Filme jedoch vor allem auch durch ihre politische Aufladung und die
aktivistische Stoßrichtung ihrer kollektiven Wut. Die ‚schamlose‘ Art der
Figurenzeichnung und die provokanten Storylines zielten gleichzeitig auf die
Anerkennung von nicht-heterosexuellem Begehren und auf das Aufbrechen
von Identitätskategorien und waren somit auf den gemeinsamen Kampf um
eine Repräsentation ausgerichtet, die widerständig und selbstbestimmt war:
In particular, NQC was a movement of defiance, seeking to defy a
homophobic cultural past; to openly defy cinematic convention; and, in
the wake of the dreadful specter of AIDS, to defy death itself. 5
2
Astrid Deuber-Mankowsky: Queeres Post-Cinema. Yael Bartana, Su Friedrich, Todd Haynes,
Sharon Hayes. Berlin 2017, S. 14.
3
Die Anlehnung an die postmoderne Theorie schlägt sich inhaltlich und konzeptuell in einer
Ablehnung essentialistischer Darstellungen sexueller Identitäten nieder und übernimmt formal
und ästhetisch das experimentelle, fragmentierende und neuzusammensetzende, spielerische
Potential einiger Vorgänger. Niall Richardson verweist demnach richtigerweise auf weitere und
frühere avantgardistische Filmemacher_innen wie etwa das Autorenkino Godards oder das
amerikanische Untergrund-Kino von Andy Warhol oder Kenneth Anger. Auch Derek Jarman kann
als wichtiger Einfluss des NQC gewertet werden.
4
5
Rich, New Queer Cinema.
JoAnne C. Juett, David M. Jones (Hrsg.): Coming Out to the Mainstream. New Queer Cinema
in the 21st Century. Cambridge 2010, S. x.
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Die AIDS-Pandemie und das kollektive, politisch gewollte Schweigen sowie
soziale Stigmatisierung und rechtliche Diskriminierung der LGBTQICommunity führten in den USA und Europa zu einer moralischen
Erschöpfung und gleichzeitig zu neuen Formen von Aktivismus. Wie Astrid
Deuber-Mankowsky in ihrem Buch Queeres Post-Cinema ausführt, schöpft
das NQC seine politische Kraft aus der zugrundeliegenden Pionierarbeit von
AIDS-Aktivist_innen (etwa aus den Gruppierungen ACT UP oder OutRage)
und aus der in Verbindung stehenden und sich zeitgleich herausbildenden
Queer Theory:
Die Folge war, dass die aus der Bewegung von ACT UP entstandene
queere Bewegung von ihren ersten Anfängen an mehr war als eine
Interessensvertretung. Sie war kritisch gegenüber Identitätspolitiken und
bekämpfte nicht nur Homophobie, sondern auch Rassismus und
Sexismus.6
Ästhetische und aktivistische Aneignung von ‚queer‘
Auf diesen aktivistischen Strömungen aufbauend forderte auch das New
Queer
Cinema
mehr
problematischen,
weil
als
die
Verhandlung
ausschließenden
einer
(immer
Repräsentation,
und
schon)
fragte
schließlich nach den Bedingungen von Identität überhaupt. Seit Ende der
1980er Jahre streng an die Politisierung des Begriffes „Queer“ gebunden,
wäre dieses Kino damit ohne die theoretische Etablierung der Queer Theory
nicht möglich gewesen. Theoretiker_innen wie Judith Butler oder Eve
Kosofsky Sedgwick, die ‚queen of queer studies‘, hatten den Grundstein für
eine
Problematisierung
naturalisierender,
geschlechtszuschreibender
Strategien und einer Dekonstruktion von Geschlecht gelegt:
Contemporary queer use of queer was, in fact, from the beginning, most
often conceived both as an invocation and as a problematization of the
notion of a collective identity rooted in sexual and gender commonality. 7
6
7
Deuber-Mankowsky, Queeres Post-Cinema, S. 16.
Bob Nowlan: Queer Theory, Queer Cinema. In: JoAnne C. Juett, David M. Jones (Hrsg.):
Coming Out to the Mainstream. New Queer Cinema in the 21st Century. Cambridge 2010, S. 220, hier S. 4.
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Der zuvor genannte, weitreichende Widerstand zeichne, so Michele Aaron,
das NQC nicht nur aus, sondern könne als das dezidiert Queere und als das
politische Potential darin betrachtet werden.8
Queer, ein ehemals abfällig verwendeter Begriff für von der heterosexuellen
Norm abweichendes Verhalten und Begehren, wurde in den 1980er Jahren
sowohl von Vertreter_innen der Queer Theory als auch von im Kampf gegen
AIDS engagierten Aktivist_innen in einer ermächtigenden Bewegung
angeeignet und umgedeutet. So verweist queer heutzutage nicht mehr nur
auf die Affirmation von Abweichung und Andersartigkeit in Bezug auf
Verhalten oder Begehren, sondern auch auf die Fluidität von Geschlecht:
The contemporary formulation of queer functions in sharp contrast to its
past, it signifies a fluidity of identity where, historically, queer represented
an ‘exclusive and fixed sexuality’. […] At its most expansive and utopian,
queer contests (hetero- and homo-) normality.9
In gleichem Maße verhandelt der Begriff nicht allein Fragen von Geschlecht
und Sexualität, sondern fragt auch nach den Normen und Festschreibungen
von Identität – und, wie anhand der nachfolgenden Filmanalyse von Barry
Jenkins’ Moonlight (USA 2016) gezeigt werden soll, auch nach dem engen
Zusammenspiel von race, class und gender. Michele Aaron sieht eine
ähnliche Interrelation zwischen dem NCQ und einer sich herausbildenden
queeren Filmtheorie – so betont sie, dass die Erfolgsgeschichte des
Konzeptes Queer nicht allein auf den hier zu betrachtenden Filmen beruhe,
sondern
maßgeblich
auf
einer
gründlichen
und
weitreichenden
Theoretisierung aufbaue:
This can be thought of as operating on three, not unrelated, levels. First,
as the critical exploration of queer imagery and directors […]. Second, as
a rereading and reclaiming of classical texts […]. Third, as a discussion
of queer spectatorship.10
Dennoch fanden sich das NQC und der genannte, weitreichende Diskurs um
seine Inhalte bereits Anfang der 1990er Jahre in einem Spannungsfeld
8
Vgl. Michele Aaron: New Queer Cinema. An Introduction. In: Dies. (Hrsg.): New Queer
Cinema. A Critical Reader. Edinburgh 2004, S. 3-15, hier S. 5.
9
10
Ebd.
Ebd., S. 10.
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wieder, das bis heute anhält und die Bewertung und Diskussion um das
gegenwärtige Queer Cinema zu bestimmen scheint. So widmet Niall
Richardson ein ganzes Kapitel der Unterscheidung und der (oft auch)
produktiven Reibung zwischen Queer Theory und einem (vornehmlich)
schwul-lesbischen, politischen Aktivismus. Waren beide noch maßgeblich an
der Herausbildung eines neuen, politisch motivierten Kinos beteiligt,
kristallisierten
sich
bald
auch
Unterschiede
gerade
bezüglich
der
Motivationen und Forderungen heraus, die an dieses neue queere Kino
herangetragen wurden:
Queer was not opposed to the dominant but attempting to rupture it from
within. […] Queer was never about offering an assimilationist agenda –
representing a quantifiable minority which pleaded for acceptance – but
instead attempted to expose the cultural contingency of the normal/queer
dichotomy itself. In short, queer politics, like queer theory, attempted the
deconstruction of the limiting labels of sexual and gender identities.
However there is a tension between politics and theory. Although ‘queer’
may offer tantalizing theoretical possibilities, these often encounter
barricades when activists attempt to mobilize them in the political
arena.11
Queer Theory als postmoderne, dekonstruktivistische Praxis, für die das
Subjekt fraglich und Identität brüchig geworden ist, bemühte sich nicht allein
um eine neue Sichtbarkeit von LGBTQI-Charakteren in den Medien und im
Film, sondern forderte ein Neudenken und Hinterfragen insbesondere von
‚Realität‘ schaffenden, filmischen Mitteln. Verfremdung, Zitation und ReMontage standen deshalb als dezidiert ästhetische Zugänge im Zentrum des
NQC und führten letztlich zu der oft angemerkten Radikalität seiner Filme.
Der Verlust dieser Radikalität durch eine breitere Öffentlichkeit und größere
Produktionsrahmen sowie eine plötzlich eintretende Hinwendung zu nun
sichtbar gewordenen und ins Zentrum gerückten Identitätskonzepten führten
letztlich zu einer Krise des NQC. Es wurde nicht nur diskutiert, ob das
Queere Kino, wie es sich Anfang der 1990er-Jahre emanzipiert hatte,
heutzutage überhaupt noch möglich (oder etwa notwendig), sondern auch,
was eigentlich darunter zu verstehen sei.
11
Niall Richardson: The Queer Cinema of Derek Jarman. London 2008, S. 15 f.
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7
Das Ende des New Queer Cinema
Rich selbst proklamierte nicht einmal zehn Jahre später in einem weiteren
Artikel, diesmal im Sight and Sound-Magazin, mit dem Titel Queer and
Present Danger – After New Queer Cinema 12 und anlässlich des OscarErfolgs von Boys Don’t Cry (USA 1999, R: Kimberly Peirce) veröffentlicht,
dass die NQC-Bewegung in ihrer Radikalität und dem selbst auferlegten
politischen Anspruch der Vergangenheit angehöre – also mehr ein moment
denn ein movement gewesen sei. Der Festival-Erfolg und die anschließende
weite Verbreitung zogen demnach auch eine Konventionalisierung von
Handlungssträngen und Figuren mit sich und das queere, widerspenstige
Potential sei generalisierten, festen Identitätskategorien gewichen:
Rich believed that the political and artistic energy of NQC had waned
and had become absorbed into conventional mainstream fare that
reinforced the ideological project of neoliberal multiculturalism,
neutralized the radical potential of independent queer cinema, and
mollified straight audiences with unthreatening characters and stories,
that lodged queerity within the hegemonic logic of compulsory
heterosexuality and global capitalism.13
Das
Queer
Cinema
des
ausgehenden
20.
und
beginnenden
21.
Jahrhunderts musste sich demnach neuen Herausforderungen und Fragen
stellen. Zurecht wirft Rich die Überlegung auf, was eigentlich ein queerer
Film sei und beobachtet gleichzeitig in den erfolgreicheren Filmen mit
queeren Hauptfiguren Strategien der historisierenden Verortung oder einer
überdurchschnittlichen Hinwendung zur Tragödie. Ihr Artikel zählt Filme wie
Gods and Monsters (USA/UK 1998, R: Bill Condon), Happy Together
(HK/ CH 1997, R: Wong Kar-Wai) oder High Art (USA 1998, R: Lisa
Cholodenko) auf – der bis dato finanziell erfolgreichste. Ang Lees Brokeback
Mountain (USA 2005) sollte erst fünf Jahre später folgen und dennoch
schien sich bereits ein Spannungsfeld um die Sorge abzuzeichnen, dass die
Figuren des Queer Cinema zurück in den closet mussten, sollte der
finanzielle Erfolg ihrer Filme garantiert werden: „A robust and useful debate
12
B. Ruby Rich: Queer and present danger. After New Queer Cinema. In: Sight and Sound,
März 2000 (aktualisiert am 25.06.2017), http://www.bfi.org.uk/news-opinion/sight-soundmagazine/features/queer-present-danger-b-ruby-rich (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
13
Juett, Jones, Coming Out to the Mainstream, S. x.
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continues about how ideologically incisive, how productively challenging, and
how aesthetically compromised queer cinema has been and continues to
be.“14
Für Michele Aaron ist diese Krise kaum überraschend, denn Radikalität sei
nicht mit breiter Vermarktung und Popularität vereinbar und in Folge dessen
das NQC zur reinen Nischenware verdammt. Die letztlich oberflächliche
Veränderung, die es hinsichtlich einer neuen Sichtbarkeit von LGBTQICharakteren und der Behandlung queerer Themen angestoßen hatte, sei
von Hollywood-Produktionsstandards absorbiert und kommerziell ausgeschlachtet worden:
Cynically put, NQC kick-started Hollywood’s awareness of a queerer
audience (a combination of the ‘pink profit’ zone and the general public’s
current delectation) and its appropriation and dilution of queer matters. 15
Für Aaron und auch für Rich stand Anfang der 2000er Jahre jedoch gleichzeitig
fest:
Das
NQC
hat
zwar
nachhaltige
und
auch
politische
Veränderungen gerade hinsichtlich neuer Repräsentationen einleiten können
und für eine breitere Akzeptanz von queeren Themen gesorgt, dennoch
hätten auch der politische Anspruch und die neue Verantwortung, die an
diese Filme herangetragen wurden, fast schon moralistische Züge angenommen und zur Krise des NQC beigetragen. 16 Auch Nick Davis, der in
seiner jüngsten Publikation das Queere Kino zur Herausbildung eines
Deleuze‘schen Bildes des Begehrens herangezogen hat, beobachtet eine
problematische Besprechung queerer Filme und sieht mittels einer
interessanten Perspektivenverschiebung den Grund für eine verstärkte
Konventionalisierung nicht allein in der Entwicklung der Ästhetik und der
Stories der Filme, sondern vielmehr in der medialen und wissenschaftlichen
Diskussion über ihren Stellenwert und einer scheinbaren Zusammengehörigkeit und Gruppierung:
Scholars allow such constraints when they pose queer cinema as the
exclusive enterprise of gay or lesbian artists and stories, or when they
14
15
16
Ebd., S. xii.
Aaron, New Queer Cinema, S. 8.
Vgl. ebd., S. 7.
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isolate star directors, canonized films, or bracketed historical periods as
summative of much broader trends.17
Mit der Gleichstellung der Ehe in den USA und in der überwiegenden
Mehrzahl europäischer Länder, einer Eindämmung sowie fortschreitender
medizinischer Kontrolle von HIV-Infektionen (zumindest in westlichen
Industrienationen) sowie einer neuen Diskursivierung um die Rechte von
Transgender und Intersexuellen scheinen viele der Kämpfe, für die die
Filmemacher_innen des NQC eingetreten waren, gewonnen. Neben einer
oftmals zentral gewordenen Hinwendung zu Fragen der Sichtbarkeit und der
reinen Präsenz von queeren Figuren stellt sich (vielleicht zu Recht) die
Frage, was uns ein Queer Cinema politisch gesehen heute noch sagen kann
oder wie Jon Frosch und David Rooney es in ihrem Gespräch für The
Hollywood Reporter formulieren: „Is Social Acceptance killing Queer
Cinema?“18 Im Verlauf des Gesprächs beobachten sie für das Jahr 2015
eine kreative Krise und Figuren, die sich tragisch der Vergangenheit
zuwenden:
all tears, torment and tragic poses, with characters who register more as
causes and symbols than flesh-and-blood humans. […] [As] we become
mainstream … we must resist the tendency to be de-gayed. 19
Wirkliches queeres Wagnis sei fast nur noch in Fernsehserien wie Orange Is
the New Black (USA 2013 -, C: Jenji Kohan), Transparent (USA 2014 -,
C: Jill Soloway) oder Behind the Candelabra (USA 2013, R: Steven
Soderbergh)
zu
beobachten,
während
sich
der
(zumindest
US-
amerikanische) Spielfilm in distanzierende und einschmeichelnde, ‚schöne‘
Ästhetik flüchte:
It feels like these recent movies are sliding back to the default […]
position of noble suffering rather than bringing a contemporary or […]
provocative perspective. Even the politics feels pat rather than
17
Nick Davis: The Desiring-Image. Gilles Deleuze and Contemporary Queer Cinema. New York
2013, S. 10.
18
Jon Frosch, David Rooney: Critics‘ Notebook: Hollywood’s Big Queer Year That Wasn’t. In:
The Hollywood Reporter, 24.11.2015, https://www.hollywoodreporter.com/ news/criticsnotebook-hollywoods-big-queer-842638 (zuletzt eingesehen am 05.04.2018)
19
Ebd.
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10
impassioned. What became of the defiant voices that made the New
Queer Cinema of the 1990s so exciting […]?20
Selbst in nostalgischer Erinnerung an das NQC, aber auch mit Respekt vor
europäischen, queeren Filmemachern21 wie etwa François Ozon, Pedro
Almodóvar oder André Techine kritisieren sie am gegenwärtigen, US-amerikanischen queeren Kino die Rückwärtsgewandtheit und geschichtliche
Verklärung. Ist queeres, modernes Leben fast schon ungeeignet für die
notwendige, dramatische Höhe? June Thomas geht im Slate-Magazin genau
auf diese Diskussion ein, bestätigt einige Bedenken wie etwa das häufige
historische Setting der besprochenen Filme, führt diese aber auch auf die
langen Produktionszeiten einer Filmproduktion und den Geschmack sowohl
von Publikum als auch Kritiker_innen gerade im Hinblick auf mögliches
Awards-Potential zurück. Letztlich kann sie die allgemeine Haltung nicht
bestätigen, komme doch nach Phasen positiv zu bewertender Präsentationen auch eine Zeit gänzlich fehlender oder mangelnder Sichtbarkeit
queerer Figuren:22
Still, experienced critics like Frosch and Rooney should know better than
to make sweeping statements about the state of ‚LGBT cinema‘ when
they’re really talking about the tip of the queer film iceberg. 23
Sie verweist damit auf eine Problematik, die auf Seiten der (kritischen)
Rezeption und damit bei der Weise zu liegen scheint, wie diese Filme
gesehen werden möchten/können. Das eingangs angesprochene Beispiel
von Moonlight, einem der im letzten Jahr am meisten besprochenen und von
Kritiker_innen gelobten Vertreter des gegenwärtigen Queer Cinema, ist
ebenfalls zum Gegenstand ebendieser Debatte geworden.
20
Ebd.
21
Sie zählen nur männliche Filmemacher auf, was möglicherweise bereits auf eine Konzentration auf reine schwule Filminhalte deutet und die Konzepte der Queer Theory außer Acht
lässt.
22
Im Zusammenhang mit Marginalisierungen in der Filmbranche sei etwa auch an die vor zwei
Jahren bezüglich der Oscar-Nominierungen aufkommende Diskussion um das gänzliche Fehlen
schwarzer Nominierter erinnert. Diese Diskussion führte zum Hashtag #OscarsSoWhite und
sogar zu einer neuen Zusammensetzung der Academy, die jährlich den Oscar vergibt.
23
June Thomas: Is Social Acceptance Killing Queer Cinema? In: Slate, 27.11.2015,
http://www.slate.com/blogs/outward/2015/11/27/gay_movies_two_hollywood_reporter_critics
_think_2015_s_queer_films_are_terrible.html (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
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11
Dass sich der Stand des Queer Cinema und die Bewertung seines politischen Potentials nicht an der Frage nach Sichtbarkeit oder an einer rein
positiven Repräsentation messen lassen kann, soll im Folgenden anhand
dieses besonders präsenten und gut besprochenen Beispiels untersucht
werden: Moonlight widmet sich als Film einem Setting in den 1980er Jahren,
zumindest geht von diesem Zeitpunkt die mehrere Jahrzehnte umspannende
Handlung aus. Er zeigt mit einem schwarzen, schwulen Jungen einen Protagonisten, dessen Leben von Diskriminierung, Tragik und Gewalt geprägt ist
– und scheint damit die von Frosch und Rooney aufgeworfene These zu
untermauern. Doch eine rein repräsentationskritische Lesart versperrt den
Blick auf Zugänge, die sich gerade in Verbindung mit der Ästhetik und dem
Aufbau dieses Films ergeben. So scheint es angebracht, seine zeitlichen
Dimensionen und Ausprägungen genauer in den Blick zu nehmen und zu
fragen, ob und inwiefern die repräsentations-, aber auch identitätskritischen
sowie formästhetisch experimentellen Potentiale und Zielsetzungen des
NQC heute eben doch noch möglich und emanzipatorisch wichtig sind.
Moonlight – Erfolg dank Entsexualisierung?
Dass bei der Oscar-Verleihung 2017 zunächst der falsche Gewinner
verlesen und Moonlight erst durch eine Berichtigung der Oscar in der Kategorie Bester Film verliehen wurde, mag bald nur noch als Randnotiz
erscheinen; dass jedoch zum ersten Mal in der Geschichte der neunzigjährigen Preisverleihung einem durchweg mit schwarzen Schauspieler_innen
besetzten,
von
einem
afro-amerikanischen
Independent-Regisseur
gedrehten und von einem schwulen Theaterautoren verfassten und nicht
zuletzt einem um einen schwarzen, queeren Protagonisten kreisenden Film
diese Ehre zuteil wird, kann als (in der Besprechung oft übersehener)
Meilenstein gewertet werden. Afro-amerikanische, queere Figuren nahmen
im Hollywoodkino noch immer eine Randstellung ein, was Louise Wallenberg
in ihrem Artikel zu Black Queer Cinema zusätzlich auch auf eine anhaltende
Homophobie nicht nur in der weiß-dominierten Mainstreamkultur, sondern
auch in afro-amerikanischen Communities zurückführt:
While white dominant culture has left little space for black
representations in general, it needs pointing out that homophobic attitude
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12
informing black communities constitute another reason why there have
been so few gay and lesbian representations produced. 24
Doch sie betont auch das NQC und sowohl Isaac Julien mit Looking for
Langston (Abb. 3) als
auch
Marlon
Riggs’s
Tongues Untied (Abb. 4)
als wichtige Vorreiter für
eine
neu
gewonnene
Sichtbarkeit
(zunächst
männlicher)
schwarzer
Queerness und der damit
einhergehenden
Abbildung 3: Looking For Langston (USA 1989, R: Isaac Julien)
Ver-
handlung von Erfahrun-
gen der Diaspora. Auch José Esteban Muñoz beobachtete Ende der 1980er
und Anfang der 1990er Jahre einen Anstieg kultureller Produktionen zur
Abbildung schwarzer, männlicher Homosexualität und einen spezifischen
Drang zur Neuerzählung und (Re)Imagination der persönlichen wie kollektiven Geschichte.25 Er sieht in diesen Filmen – Juliens und Riggs Filme sind
Pseudo-Dokumentationen
–
auch
Fragen
schwarzer Identität verhandelt und einen überdurchschnittlichen Hang
zu postmoderner Infragestellung, Fragmentierung
und Dezentrierung von
Identität – Ansätze, die
im
Mittelpunkt
queerer
Theorie und Politik stehen und als wichtige Les-
24
Abbildung 4: Tongues Untied (USA 1989, R: Marlon Riggs)
Louise Wallenberg: New Black Queer Cinema. In: Michele Aaron (Hrsg.): New Queer
Cinema. A Critical Reader. Edinburgh 2004, S. 128-144, hier S. 129.
25
Vgl. ebd., S. 130.
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13
arten der geäußerten Kritik an vermeintlich mangelhafter Repräsentation
queerer Figuren entgegengesetzt werden können.
Moonlight, erst der zweite und als Triptychon inszenierte Langfilm von
Regisseur Barry Jenkins, wäre ohne diese genannten Vorgänger wohl nicht
möglich gewesen und schöpft aus dieser Tradition, verbindet jedoch auch
die zentrale Thematik um die Sexualität seines Protagonisten mit größeren,
aus
dem
zeitlichen
Rahmen
seiner
Handlung
sich
ergebenden
Fragestellungen nach schwarzer Identität und Segregation, nach Armut und
Drogenmissbrauch und einer politisch und systematisch akzeptierten, hohen
HIV-Sterberate. Auf den ersten Blick scheint der Film sich damit in eine
Tradition einzureihen, in der queere (und vor allem schwarze) Figuren als
passive Opferfiguren stilisiert werden, ohne dass ihnen Handlungsmacht
eingeräumt wird. Zentral für den Handlungsverlauf sind tatsächlich die
sexuelle Repression der Hauptfigur und das unterdrückende Umfeld, in dem
sie
aufwächst.
Ähnlich
wie
anderen
queeren
Figuren
jüngerer
Filmvergangenheit, wie etwa Ennis und Jack in Brokeback Mountain oder
Carol und Therese in Carol (USA/UK 2015, R: Todd Haynes), wird ihr der
identitätsstiftende Akt des Coming Outs versagt. Doch der Film zeigt gerade
durch das Schweigen seines Helden und durch die Ambivalenz und
Uneindeutigkeit seiner Bilder ein queeres Potential, das nur oberflächlich als
konservativ eingestuft werden kann und eine durchaus glaubwürdige
Einschätzung
und
Politisierung
von
unzähligen
Lebensrealitäten
im
gegenwärtigen Amerika vornimmt:
His [Jenkins‘] decision not to include a cathartic coming out scene
reveals the intersectional disjunct within gay rights in contemporary
America. Chiron, and many others like him, don’t have the kind of
privilege that would ensure a safe coming out.26
Der afro-amerikanische und queere Protagonist – im ersten Teil des Films,
der den Protagonisten als Kind porträtiert, Little genannt, in den TeenagerJahren des zweiten Teils Chiron und im letzten Teil des Films als junger
Erwachsener Black – wächst bei seiner drogenabhängigen Mutter in Miamis
26
Sarah Foulkes: The Epistemology of Moonlight. In: Film Matters Magazine, 17.03.2017,
http://www.filmmattersmagazine.com/2017/03/17/the-epistemology-of-moonlight-2016-review
ed-by-sarah-foulkes (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
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Liberty City, einer Sozialwohnbausiedlung und Ort alltäglicher Gewalt, auf.
Die Dominanz, die die Sucht seiner Mutter auf sein Leben ausübt, wird nur
noch von den Schikanen und Demütigungen seiner Mitschüler übertroffen.
Sie lassen den Jungen verstummen und ihn sich immer weiter in sich selbst
zurückziehen. Nur Juan wird auf ihn aufmerksam und nimmt sich seiner an –
fast
schon
schicksalhaft
durchkreuzen
sich
ihre
Wege
in
der
Eröffnungssequenz. Er wird zu einer Vaterfigur, die ihm ein zweites Zuhause
bietet, und doch – so wird im Laufe des ersten Teils klar – als Drogendealer
auch mitverantwortlich für seine Situation ist. In chronologischer Reihenfolge
fährt der Film fort: Aus dem kleinen Little wird der jugendliche Chiron, der
geprägt von nächtlichen, erotischen Fantasien über seinen besten und
einzigen Freund, Kevin, dem Leben aus dem Weg geht und unsichtbar zu
werden versucht. Die Drogensucht seiner Mutter manifestiert sich in verbaler
und körperlicher Gewalt, die sich auch gegen ihn richtet. Sein sexuelles
Begehren, das für viele Kritiker_innen Anlass genug war, den Film als queer
zu bezeichnen, findet nur ein einziges Mal körperlichen Ausdruck, als Chiron
nachts Zuflucht suchend am Strand auf Kevin trifft. Aus einem intimen
Gespräch wird bald seine erste körperliche Liebeserfahrung – nach einem
vorsichtigen Kuss führt Kevin seine Hand in Chirons Hose und befriedigt ihn.
Ihre Freundschaft wird schon bald ein jähes Ende finden und Kevin mit
einem
alles
verändernden
Gewaltakt
Chirons
Vertrauen
nicht
nur
missbrauchen, sondern auch sein weiteres Schicksal besiegeln. Die letzte
Transformation zu Black – einem hypermaskulinen, mit muskulösem Körper
und Gangsterattitüde sich präsentierenden Drogendealer – führt Chiron
letztendlich zu einem Scheideweg und zu der zentralen Frage, wie er sein
Leben führen wollen/können wird. Ein Anruf Kevins weckt erneut die
Hoffnung auf eine neue Lebbarkeit seiner Sexualität und der gängigen
Klimax einer scheinbaren Befreiung. Dass der Film dafür bis zuletzt keine
expliziten, entsprechenden Bilder gibt, rückte in der kritischen Besprechung
jedoch in den Fokus und entfachte erneut Diskussionen darüber, wie die
Diagnose einer neuerdings scheinbar konservativen Prägung queerer Filme
mit Blick auf Moonlight zu deuten sei.
So fragte Guy Lodge vom Guardian, ob Moonlight auf die explizite
Darstellung von schwulem Sex verzichten müsse, um nicht nur von einem
breiten Publikum angenommen zu werden, sondern auch Preise gewinnen
zu können:
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Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
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Nor should it be heralded as some kind of flag-bearer for new queer
cinema […] there’s a level of cautiousness that has enabled its broader
acceptance thus far: it’s a gay romance with no on-screen sexual activity
beyond an unseen handjob.27
Ohne den Anspruch oder seine Qualität angreifen zu wollen, verweise er
damit auf die Besprechung des Films und die Hoffnung auf befreite
Darstellungen queerer Sexualität, die im europäischen Autoren_innen-Kino
schon längst selbstverständlich, aber auch nicht unkritisch anzusehen sei. 28
Jeff Sneider sieht hingegen gerade die strukturell so wichtige und zentrale
Infragestellung von Identität als fragwürdig an: „His identity is up for debate,
but is that debate appropriate to have? What does it even mean to be ‘gay’
these days?“29 Eine Sorge, die auch von Jan Feddersen in der taz geteilt
wird, der behauptet, Moonlight werde zwar als queer gefeiert, sei im Grunde
aber ein schwuler Film. Diese schwierige Ausgrenzung von Homosexualität
aus der Definition von Queer trifft in seinen Ausführungen auf eine
übergeordnete, scharfe Kritik an Queer Theory:
Weshalb beschleicht einen inzwischen das Gefühl, dass „schwul“ als
Vokabel für gleichgeschlechtliches Begehren unaussprechbar (bleiben)
soll – und stattdessen ‚queer‘ gewählt wird. Denn es klingt stubenreiner
und politisch korrekter? Das Wort trägt den Geschmack vom Modischen.
[…] Ihn ‚queer‘ zu nennen ist der Versuch, dem Homosexuellen das
Fleischliche zu nehmen – eine Identitätskategorie, die einem
afroamerikanischen Bürger übergestülpt wird: Das darf man
instrumentalisierend im Namen der Sache des Queeren nennen. 30
In der (kritischen) Besprechung des Films spiegelt sich die Debatte wider,
der das gegenwärtige Queer Cinema ausgesetzt zu sein scheint: Die
Darstellung von queeren (oder LGBTQI-) Figuren wird moralisierend an
Körperlichkeit und anhand der Sichtbarkeit von Sexualakten bewertet.
Braucht es den Tabubruch nicht mehr und verliert das Queer Cinema
27
Guy Lodge: Does Moonlight show gay cinema has to be sexless to succeed? In: The
Guardian, 05.012017, https://www.theguardian.com/film/2017/jan/05/does-moonlight-provethat-gay-cinema-has-to-be-sexless-to-succeed (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
28
Vgl. ebd.
29
Jeff Sneider: ‚Moonlight‘ is a must-see movie about sexual identity that falls short of
greatness. In: Mashable, 22.10.2016, https://mashable.com/2016/10/21/moonlight-reviewimportant-gay-movie-but-not-quite-great/#HLryiqQsjaqF (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
30
Jan Feddersen: Oscar-Gewinner „Moonlight“. Queer ist nicht schwul. In: taz, 28.02.2017,
http://www.taz.de/!5388633/ (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
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darüber hinaus sein provozierendes Potential und seine Berechtigung? Josh
Lee schreibt verteidigend im Online-Magazin Little White Lies: „Moonlight
isn’t all about sex – and it’s all the more queer for it“ 31. Statt einer
Konzentration auf der Darstellung von homosexuellem Geschlechtsverkehr
plädiert er dafür, die vom Film gestellten Fragen zu Identität und
Hypermaskulinität in den Blick zu nehmen: „That specificity is important.
Where hypermasculinity manifests, gay sex can be as dangerous as it is
liberating. And let’s not forget that in America, one in two black queer men
will contract HIV in their lifetimes. So there is a truthfulness in Chiron’s
avoidance of sex.“32 Gerade das Fehlen von Sex im Film deute implizit auf
die politische und gesellschaftliche Realität dessen, was es heißt, queer zu
sein. Es seien etwa die Szenen und Einstellungen, die Chiron einen seltenen
Moment der Ruhe findend in der Badewanne zeigen oder das harte Äußere
des erwachsenen Black, das Schutz verspricht und gleichzeitig von tiefer
Verletzlichkeit zeuge: „Everybody gets a little lonely sometimes, but Chiron’s
solitude is queer.“33 Der Film erlaube Diskussionen darüber, was es heißt,
eine ‚normale‘ Kindheit durch Unsicherheit, fehlende Chancen oder ein
mangelndes Zugehörigkeitsgefühl zu verlieren. Die im Film präsentierte
Hypermaskulinität lässt sodann auch fragen, wie das Ausstellen von
Homosexualität überhaupt gefordert werden kann, wenn stattdessen die
Brüchigkeit, aber auch die Fluidität von Identität im Zentrum des Films steht,
oder um Juan zu zitieren: „At some point you’ve got to decide who you
gonna be!“ Die so zentrale Frage nach Identität wird in Moonlight, so meine
These, über verhinderte, fragmentierte oder sich wiederholende Zeitlichkeit
vermittelt und bewahrt gerade dadurch das postmoderne und vom NQC
geerbte Potential.
31
Josh Lee: Moonlight isn’t all about sex - and it’s all the more queer for it. In: Little White
Lies, 11.02.2017, http://lwlies.com/articles/moonlight-barry-jenkins-sex-queer-cinema (zuletzt
eingesehen am 05.04.2018).
32
33
Ebd.
Ebd.
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Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
17
Queere Zeitlichkeit in Moonlight
Zwei zentrale
Szenen
sollen
in
der
folgenden Argumentation
als
Analysegrundlage dienen. Mit der Aufteilung der Handlung in drei
gleichwertige
Teile
und
die
Besetzung
der
Hauptfigur
mit
drei
unterschiedlichen Schauspielern ist Barry Jenkins nicht nur ein Wagnis
eingegangen – riskiert er doch die Identifikation der Zuschauer_innen und
die Glaubwürdigkeit des Films – sondern er eignet sich in einer
postmodernen
Geste
auch
die
klassische,
auf
Kontinuität
und
Schicksalhaftigkeit gerichtete Zeitlichkeit des Triptychons an, während
gleichzeitig ein überzeitlicher oder gar mythologischer Bezug bestehen
bleibt. Tarell Alvin McCraney, auf dessen nicht uraufgeführten Theaterstück
In Moonlight Black Boys Look Blue (USA 2003) der Film basiert, verweist auf
die Namensherkunft Chirons in der griechischen Mythologie 34 und auf das
zeitliche Zusammenfallen dieser auch erinnerten Handlung:
Anytime people ask me when the play happens, I say the distant
present. So it feels like this just-right-there present that we’re in. Maybe a
little ahead, maybe a little behind, but it doesn’t feel like it’s set some
time that we have to go back for or that we have to rush ahead for. It’s a
time that’s happening and has a simultaneity to it. […] because it was
like those parts of myself were still trying to figure out things at the same
time.35
Ähnlich wie in der Hybridität und Veränderung der verwendeten Musikstücke
– etwa die aus dem Hip Hop übernommene Technik des „chopped and
skrewed“36, erhält die Aneignung des Namens und seiner veränderten
Aussprache hybridisierende Züge. Für die Künstlerin Noa P. Kaplan spiegelt
34
Cheiron, ein Kentaur und damit Mischwesen aus Mensch und Pferd in der griechischen
Mythologie, ist der Sohn des Kronos und der Philyra. Er wird als sehr weise und als der
gerechteste unter den Kentauren beschrieben, gilt als Freund der Götter und als Lehrer der
Heroen. Bei der Verfolgung durch Herakles wird Cheiron von einem vergifteten Pfeil am Knie
getroffen und entsagt schließlich aufgrund der Qualen seiner Unsterblichkeit zugunsten des
Prometheus.
35
E. Alex Jung: Moonlight’s Tarell Alvin McCraney on writing the Original Source Material,
Taking Inspiration from Myths, and Creating Heroes With Black Skin. In: Vulture, 29.11.2016,
http://www.vulture.com/2016/11/tarell-alvin-mccraney-on-writing-moonlight.html (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
36
Als „chopping und screwing“ wird eine Remix-Technik im Hip Hop bezeichnet, die aus dem
Süden der USA stammt und bei der Teile eines Liedes langsamer abgespielt (screwed,
„heruntergeschraubt“), mehrfach wiederholt und dann mit verschiedenen DJ-Techniken, wie
etwa das Scratching, bearbeitet (chopped, „zerhackt“) werden.
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Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
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sich darin auf ironisierende Weise die Hybridität afro-amerikanischer
Maskulinität, die sich stets neu beweisen, also ‚performen‘ müsse. 37 Obwohl
der Film von sehr realem Leiden spricht, durchzieht die Performanz und die
Künstlichkeit der Ästhetik seine Bilder. Für Barry Jenkins und seinen ersten
Kameramann James Laxton war es von Bedeutung, keinen realistischen Stil
zu behaupten oder die Kamera komplett unsichtbar zu machen. Authentizität
sei trotz der abgebildeten Lebensrealität ein Spiel mit Verfremdung und
Erinnerung – mit Farbgebung, bildlichen Zitaten, mit dem Bildformat. 38 So
steht die Schönheit der Locations und die Sättigung der Farben in Kontrast
zu brutalen Ereignissen, greift jedoch gleichzeitig die Wahrnehmung und
Erinnerung von Jenkins auf – eine poetische Haltung, die insbesondere im
Hinblick auf die Ausleuchtung der schwarzen Hautfarbe auch aus
filmhistorischer Perspektive ins Gewicht fällt:
Cinema is a little over 100 years old, and a lot of what we do is built
around film emulsion. Those things were calibrated for white skin. We’ve
always placed powder on skin to dull the light. But my memory of
growing up in Miami is this moist, beautiful black skin. So we used oil. I
wanted everyone’s skin to have a sheen to reflect my memory. 39
Seinen filmischen Vorbildern wie Claire Denis, Spike Lee oder vor allem
Wong Kar-Wai folgend, spielt Jenkins mit Verfremdung und den Möglichkeiten der filmischen Mittel.
Eine zentrale, weil die drei
Teile verbindende Szene
zeigt Little und seine Mutter
Paula in ihrer Wohnung.
Sie stehen sich im Flur
gegenüber, ihre Gesichter
erhellt von dem grellen,
pinken
Licht,
das
aus
Abbildung 5: Moonlight (USA 2016, R: Barry Jenkins)
Paulas Zimmer kommt. Beide fixieren sich mit ihren Blicken, als Paula plötz-
37
Vgl. Noa P. Kaplan: Moonlight – Resist the Great. 19.01.2017, http://www.noapkaplan.com/
on-moonlight (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
38
Vgl. Paul Moakly: Inside the Cinematography of Moonlight. In: Time, 22.02.2017,
http://time.com/behind-the-visuals-of-moonlight (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
39
Ebd.
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Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
19
lich zum Schrei ausholt (Abb. 5). Dieser Schrei ist wie die gesamte Szene in
Zeitlupe zu sehen und der Ton verstummt (einzig Nicholas Britells Score ist
der Szene unterlegt). Für Arzu Karaduman ist diese Verlangsamung und
Ausblendung eine dezidiert queere Technik: „The film queers a heterologocentric understanding of time and sound image relations through an aesthetics of suspension.“40 Dadurch, dass Paulas Schrei als Klammer den
mittleren Teil des Films ein- und ausleite und wir als Zuschauer_innen erst
beim zweiten Mal ihre Worte zu hören bekommen, schaffe der Film nicht nur
einen Bruch mit einer kapitalistisch-teleologischen, in die Zukunft gerichteten
und messbaren Zeit, sondern unterbinde auch die schamvolle, mögliche
Betitelung Littles als ‚Faggot‘. In einer Traumszene zu Beginn des dritten
Teils erfahren wir die (möglicherweise) wahren Worte Paulas – so schreit sie
ihrem Sohn „Don‘t look at me!“ 41 entgegen – und dennoch liege gerade in
der Aufschiebung dieser Erkenntnis und in den Folgen, die diese Konfrontation mitsamt ihrer interpretatorischen Offenheit habe, ein queeres Potential
der Ermöglichung alternativer Relationen:
Queer culture […] resists a developmental model of substitution and
instead invests in what Stockton calls ‘sideway relations’, relations that
grow along parallel lines rather than upward and onward. This queer
form of antidevelopment requires healthy doses of forgetting and
disavowal and proceeds by way of a series of substitutions. 42
In der sehr deutlichen Abwendung Littles von seiner Mutter und in der
Überschneidung mit dem anderen Zuhause Littles, nämlich dem von Juan
und Teresa, sowie der Spiegelung von sich schließenden und sich für Little
öffnenden Türen, wird die gedehnte, verlorene Zeit von Paulas Schrei der
komprimierten Zeit des zeitlichen Übergangs und der Entwicklung Littles, in
Form eines Graphic Match Cuts 43, entgegengestellt. Damit wird die
40
Arzu Karaduman: „Hush Hush I Will Know When I Know“. Post-Black Sound Aesthetics in
Moonlight. In: liquid blackness, Vol. 4, No. 7 (2017), S. 60-81, hier S. 61.
41
42
43
TC 00:29:53.
Karaduman, Post-Black Sound Aesthetics in Moonlight, S. 67.
Ein Graphic Match Cut (oder nur Match Cut) bezeichnet eine Schnitttechnik, bei der zwei
Bilder durch die Inszenierung analoger, entsprechender Elemente verbunden werden. So gehen
zwei ähnlich positionierte Gegenstände visuell ineinander über oder eine Bewegung kann über
mehrere Einstellungen fortgesetzt werden. Dies trifft nicht nur auf die visuellen Bestandteile
eines Bildes zu, sondern kann auch auf die Verwendung von Licht und Ton ausgeweitet werden.
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Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
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Möglichkeit eines Lernprozesses und einer alternativen Entwicklung von
Gemeinschaft evoziert.44
Queer und Schwarz
Doch ein Film wie Moonlight ist auch deshalb queer, weil er von mehr als nur
Sexualität handelt, nämlich Fragen von race, class, sex und gender
verbindet und damit eine intersektionale Perspektive herstellt. Die queere
Zeitlichkeit, die Josh Lee beobachtet, spiegelt sich in dem Rückgriff des
Films auf die singuläre, afro-amerikanische historische Erfahrung.
Das Setting in Miami, Heimatstadt von Jenkins und McCraney, ist auch
Zeugnis postkolonialer Migrationsbewegungen, und damit sowohl von
Rassismus und Segregation als auch multikulturellen Aufbaus und
freiheitlicher Entwicklung. Juans Charakterisierung als Exilkubaner und
Blacks Neuanfang in Atlanta/ Georgia deuten bereits auf die historisch
wichtigen
und
Miami
konstituierenden
Migrationsbewegungen
nach
Beendigung des Bürgerkrieges. Die neu gewonnene Freiheit vieler afroamerikanischer Sklaven führte sie nach Florida und viele heute oft ignorierte,
heruntergekommene oder gar als gefährlich eingestufte Teile der Stadt wie
etwa Overtown45 (einst auch als ‚colored town‘ bezeichnet) wurden zur
neuen und zukunftsversprechenden Heimat. Moonlights Liberty City, ein
Housing Project entstanden zur Zeit der Großen Depression, zeugt von einer
bald einsetzenden, gegensätzlichen Entwicklung (insbesondere nach den
Civil Rights Movements Ende der 1960er Jahre). Der Film nimmt Bezug auf
diese ambivalenten und von enttäuschten Hoffnungen durchsetzten
Entwicklungen.
Gerade der atlantische Ozean und der Strand als Schwelle zur Stadt werden
zu Zufluchts- und Erkenntnisorten sowie zu wichtigen metaphorischen
Mitteln: In einer zentralen Szene des Films lehrt Juan Little das Schwimmen
im offenen Meer (Abb. 6) und es kommt zu Überlagerungen von verschie-
44
45
Vgl. ebd., S. 67f.
Overtown ist eine Wohnviertel nordwestlich von Downtown Miami und wurde einst während
der Jim-Crow-Ära auch Colored Town genannt. Das Viertel galt als beliebter Handels- und
Vergnügungsort bis in die späten 1950er Jahre, als fehlendes Kapital und neue Infrastrukturen
schließlich zum ökonomischen Abstieg führten.
onlinejournal kultur & geschlecht #21 (2018)
Hanke „Moonlight isn’t all about sex“
21
denen Zeitebenen, nicht auf der Handlungs- oder Narrationsebene, sondern
in der Zeitökonomie des Filmbilds selbst. Die Wellen schlagen gegen die
Kamera und hinterlassen Tropfen auf der Linse. Wir als Zuschauer_innen
sind dabei, wenn Alex Hibbert, der Darsteller des kleinen Little, schwimmen
lernt.46 Ein Sturm
zieht auf, es blieb
nur wenig Drehzeit.
Die
Dringlichkeit
übersetzt sich in die
Bilder.
Unmittelbar
über der Wasseroberfläche gehalten
Abbildung 6: Moonlight (USA 2016, R: Barry Jenkins)
und
die
Position
von Little einnehmend, versinkt die Kamera teilweise unter Wasser: eine
immersive Erfahrung. Gleichzeitig wird die Aktion des Schwimmenlernens
fragmentiert, ihre Narration jedoch als Rahmung der Szene weitergeführt
und schließlich vollendet. Es ist eine Szene von Identitätsfindung („You’re in
the middle of the world“)47 und in Rückgriff auf eine christliche Ikonographie
eine Taufe, ein Initiationsritus. Das Wasser als transzendentaler Raum wird
symbolisch aufgeladen. Hinsichtlich der Zeitebenen wird gerade diese Aufladung wichtig, erfolgt sie doch sowohl im mikro- als auch im makropolitischen
Sinne. So ist es kein Zufall, dass Little nicht schwimmen kann, rekurriert dies
doch sowohl auf das von Berry Jenkins in Interviews zitierte Vorurteil,
Schwarze könnten nicht schwimmen, als auch auf die sehr realen sozioökonomischen und historischen Hintergründe für dieses Vorurteil, wie etwa
eine systemisch bedingte Armut, die wohnräumliche Enge als Effekt von
Segregation und ein rassistisch begründeter streng limitierter Zugang zu
öffentlichen Pools und Badeanstalten. Doch das Wasser gibt auch den
Bezug zur Geschichte des Atlantiks als Transportweg für den transatlanti-
46
Auch hinsichtlich dieser Vermischung realer und dokumentarischer Aufzeichnungspraktiken
und fiktionaler Inhalte ist der Film sehr nahe am NQC, das bereits von dem Spiel mit filmischer
Authentizität geprägt war.
47
TC 00:18:00.
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schen Sklavenhandel: Jenkins schildert seine Erkenntnis am Tag des Drehs
mit folgenden Worten:
I just had this visceral emotional reaction that I think heightened what we
were doing aesthetically or craft-wise, which was ‚Oh my god, I’m in this
huge body of water, that brought all my ancestors over here. 48
Gleichzeitig wird somit auf verschiedene, sich ablösende und parallel
vollziehende historische Bewegungen verwiesen und eine kollektive
Geschichte im Individuellen aktualisiert, gespiegelt und revidiert. Kaplan
erinnert dieser Zugriff auf Zeit und Repräsentation an die Praxis des
„Scrapbooks“, wie sie etwa Toni Morrison 1974 in The Black Book, einer
Pionierarbeit
in
der
Darstellung
und
Zugänglichmachung
afro-
amerikanischer Erfahrung, demonstriert hatte. Auf über 200 Seiten trug sie
rassistische Werbebilder, Postkarten und grausame Fotografien zusammen,
die weiße Männer beim Lynchen von Afro-Amerikanern zeigen, aber auch
intime Bilder von Familien, Erinnerungsstücke und selbst Patente afroamerikanischer Erfinder_innen: „She wanted to bring the lives of those who
always got lost in the statistics to the forefront — to create a genuine black
history book that simply recollected life as lived.“49
Moonlight erreicht genau diese zusammengesetzte Rekonstruktion eines
Lebens – aus individueller wie kollektiver Erinnerung, aus der Ästhetik und
den Farben von scheinbar heruntergekommenen, aber belebten Vierteln und
aus der postmodernen, queeren Umdeutung von Schmerz und Scham.
Mithilfe dieser gerade auch formal queeren (Nach)Erzählung eines Lebens
und dem Rückgriff auf queere Zeitlichkeiten schafft der Film eine Offenheit in
Bezug auf die erinnerte Vergangenheit, gegenwärtige Erfahrung und auf die
Hoffnung einer unbestimmten, undeterminierten und von Potentialen
geprägten Zukunft. In dieser Wiederaneignung von Leben und dem
Denkbar-
und
Möglichwerden
alternativer,
nicht
linear-stringenter
Lebensweisen wird erneut die Macht von Queer deutlich: Statt einer
(Re-)Installation und Affirmation von Identitätskonzepten, die, wie Feddersen
48
Jenkins im Gespräch mit dem American Film Institute, 07.12.2016, https://www.youtube.
com/watch?v=_OuY1gyPMnY (zuletzt eingesehen am 05.04.2018).
49
Kaplan, Moonlight – Resist the Great.
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der Queer Theory vorwirft, Figuren schlicht übergeworfen würden, sind die
Fragen nach Sichtbarkeit, um die es der Queer Theory geht, immer schon
Fragen nach der Lebbarkeit von Begehren und verschränkt mit einem
Hinterfragen von Identitätskonzepten selbst. Der Erfolg von Moonlight kann
als hoffnungsvolles Indiz dafür gelesen werden, dass das Queer Cinema, mit
seinem
politisch-ästhetischen
formästhetischen
Experimenten
Erbe
diese
des
NQC
und
kritisch-produktive,
mit
aber
seinen
auch
schöpferische Haltung weiterführt und es (wieder) nicht mehr nur darum
geht, wer oder was nicht repräsentiert oder dargestellt wird, sondern was
noch nicht dargestellt werden kann und wie sich die Repräsentation dadurch
immer auch neu erfindet.
Literatur
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Abb. 2: Paris Is Burning (USA 1990, R: Jennie Livingston).
Abb. 3: Looking For Langston (USA 1989, R: Isaac Julien).
Abb. 4: Tongues Untied (USA 1989, R: Marlon Riggs).
Abb. 5: Moonlight (USA 2016, R: Barry Jenkins).
Abb. 6: Moonlight (USA 2016, R: Barry Jenkins).
Autor
Philipp Hanke hat Medienwissenschaft und Theaterwissenschaft an der
Ruhr-Universität Bochum studiert. Sein Dissertationsprojekt trägt den
Arbeitstitel „Das Kino der Prekarität – Filmische Denkweisen von
kapitalistischer Subjektivität und ihre zeitliche Verfasstheit“.
Kontakt: Philipp.Hanke@rub.de