Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
^ i '4,
J^
!
Bougl^t "Wltln monex
OXVXN BY
THB SOOIBTY
FOR PROMOTXNO
THBOLOQIOAL BDUOATION
Received (Otst' ^^ 190 If,
m^^mt
HANDBUCH
DER
KLASSISCHEN
AETERTUMS-WISSENSCHAIT
in systematischer Darstellung
mit besonderer Rücksicht auf Geschichte und Methodik der einzelnen
Disziplinen.
In Verbindung mit Gymn.-Rektor Dr. Autenrieth f (Nürnberg), Prof. Dr. Ad.
Bauer (Graz), Prof. Dr. Blass (Halle), Prof. Dr. Brug^mann (Leipzig), Prof. Dr.
Busolt (Kiel), Prof. Dr. v. Christ (München), Prof. Dr. Leop. Cohn (Breslau),
Prof. H. Gleditsch (Berlin), Prof. Dr. 0. Gruppe (Berlin), Prof. Dr. Günther
(München), Gymn.-Kektor C. Hammer (Würzburg), Prof. Dr. Heerdegen (Er-
langen), Prof. Dr. Hommel (München), Prof. Dr. Hübner f (Berlin), Prof. Dr.
Judeich (Erlangen), Prof. Dr. Jul. Jung (Prag), Prof. Dr. Krumbacher
(München), Prof. Dr. Larfeld (Remscheid), Dr. LoUing f (Athen), Prof. Dr.
Niese (Marburg), Prof. Dr. Nissen (Bonn), Prof. Dr. Oberhummer (München),
Priv.-Doz. Dr. Ohmichen (München), Prof. Dr. Pöhlmann (München), Gymn.-
Dir. Dr. 0. Richter (Berlin), Prof. Dr. M. von Schanz (Würzburg), Prof. Dr.
Schiller (Leipzig), Gymn.-Dir. Schmalz (Rastatt), Prof. Dr. Sittl f (Würzburg),
Prof. Dr. F. Stengel (Berlin), Prof. Dr. Stolz (Innsbruck), Prof. Dr. ünger
(Würzburg), Prof. Dr. v. ürlichs f (Würzburg), Prof. Dr. Moritz Voigt
(Leipzig), Gymn.-Dir. Dr. Volkmann f (Jauer), Prof. Dr. Windelband
(Strassburg), Prof. Dr. Wissowa (Halle)
herausgegeben von
Dr. Iwan von Müller,
ord. Prof. der klassischen Philologie in München.
*■•■»
Fünfter Band, Vierte Abteilung.
Eeligion und Kultus der Römer.
K>cOf^B>fK3>Oo.
MÜNCHEN 190S
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK
1191
0
RELIGION UND KULTUS
DER RÖMER
Von
DR. GEORG WISSOWA
OBD. PAOFEdSOB AN DER UNIVEBSITIT HALLE
MÜNCHEN 1902
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG
OSKAR BECK
OCT 4 1904
/•
Alle Rechte vorbehAlteo.
0. H. Beok'sohe Buchdmekerti in Nördlingan.
THEODOR MOMMSEN
IN VEREHRUNG UND DANKBARKEIT
ZUGEEIGNET
Vorwort.
Als im Jahre 1887 nach dem frühen Tode AuGUST Eeiffer-
8CHEIDS an mich die Aufforderung herantrat, an seiner Stelle die Be-
arbeitung der römischen Religion für dieses Handbuch zu übernehmen,
wurde es mir nicht ganz leicht, mich zur Zusage zu entschUessen.
Denn so sehr mich auch damals schon die Probleme der römischen
Religionsgeschichte gefesselt hielten, so schreckte mich doch die Form
des Handbuchs mit seiner Nötigung zum dogmatischen Lehrvortrage
und zur gleichmässigen Behandlung aller Abschnitte, wobei notwendig
auf der einen Seite vielfach Bekanntes und Anerkanntes wiederholt,
auf der anderen Neues und Bestrittenes ohne die Möglichkeit er-
schöpfender Beweisführung aufgestellt werden musste ; ich hatte viel-
mehr an eine längere Reihe monographischer Untersuchungen gedacht,
in denen ich — etwa in der Weise, wie ich es in meinen Abhand-
lungen über die Penaten und über die di indigetes gethan habe —
die Kernfragen der römischen Religion und des römischen Sacralrechts
in meinem Sinne zu erörtern beabsichtigte. Wenn ich mich schliess-
lich doch für die Übernahme der Aufgabe entschieden habe, so waren
dafür ausser Rücksichten der Pietät gegen meinen Lehrer Reifper-
SCHFID zwei Erwägungen massgebend: einmal dass sich die Probe auf
die Richtigkeit einer Grundauffassung nur machen lässt durch den
Versuch ihrer Durchführung an allen Einzelfragen und an allen Teilen
des gesamten Forschungsgebietes, sodann dass die Hoffnung, Mit-
arbeiter für die Lösung dieser mir am Herzen liegenden Aufgaben zu
gewinnen, nur dann Aussicht auf Erfüllung haben konnte, wenn einer
das Gebäude der römischen Religion im ganzen zu reconstruieren
wagte, um einerseits klarzustellen, inwieweit Fundamente und Bauriss
noch deutlich zu erkennen sind, andererseits eben durch die not-
wendigen Mängel und Lücken seiner Wiederherstellung die bessernde
und ergänzende Thätigkeit anderer hervorzurufen. Von der An-
massung, etwas Abschliessendes geleistet zu haben, weiss ich mich
frei, viel eher habe ich den Ehrgeiz, dass meine Darstellung als An-
VIII Vorwort.
fang und Anr^ung zu einer lebhafteren wissenschaftlichen Arbeit auf
diesem seit Jahrzehnten ungebührlich vernachlässigten Forschungsfelde
sich bewähre: ob diese Arbeit meine Ergebnisse bestätigt und weiter-
führt oder niederreisst und durch andre ersetzt, mag mir persönlich
lieb oder leid sein, für die Sache ist es gleichgiltig, wofern wir nur
über den Weg des Irrtums der Wahrheit uns nähern.
Viele werden enttäuscht sein, wenn sie in diesem Buche so
manches nicht finden, was sie erwarteten, insbesondere nichts von
„vergleichender" Religionsbetrachtung. Wenn ich in dieser Hinsicht
— zuweilen mit Selbstüberwindung — strenge Zurückhaltung geübt
habe, so möchte ich die Missdeutung abweisen, als wollte ich eine
Betrachtungsweise, die Männer wie W. Mannhardt, E. Rohde,
H. UsENER — um nur die verdienstvollsten zu nennen — zu der
ihrigen gemacht und zum Teil mit glänzendem Erfolge angewendet
haben, ignorieren oder verwerfen: aber für die römische Religion hat
diese Betrachtungsweise in der grossen Mehrzahl der Fälle in die
Irre führen müssen, weil sie verfrüht war. Für jede Vergleichung
ist die erste und unerlässliche Vorbedingung, dass vorher die zu ver-
gleichenden Objecte jedes für sich nach Eigenart und Beschaffenheit
klargestellt seien: dieser Forderung ist gerade für die römische Re-
ligion nur selten genügt worden, indem man statt der ältesten und
reinsten Form der Überlieferung diejenige heranzog, die die meisten
Vergleichspunkte zu bieten schien, und dabei übersah, dass diese
Vergleichspunkte nicht auf ursprünglicher Ähnlichkeit, sondern auf
späterer, zum Teil mit Absicht und Bewusstsein vollzogener Über-
tragung und Angleichung der verglichenen Sagen und Kulte beruhten.
Indem ich überall das specifisoh Römische herauszuarbeiten und die
älteste römische oder latinische Form eines jeden Gottesdienstes zu
ermitteln bemüht gewesen bin, glaube ich einer späteren vergleichen-
den Betrachtung besser gedient zu haben, als wenn ich durch reich-
liche Heranziehung wirklicher oder vermeintlicher Parallelen aus der
Religion der Griechen und anderer verwandten Völker zwar vielleicht
für diese oder jene Erscheinung eine ansprechende Erklärung ge-
wonnen, dabei aber das Hauptziel, die voraussetzungslose Feststellung
der Thatsachen der römischen Religion, verschoben hätte. In dem
den Kultus behandelnden Abschnitte habe ich das antiquarische Detail,
für das wir ja in dem MARQüARDT'schen Handbuche ein durch Voll-
Vorwort. IX
standigkeit und Zuverlässigkeit ausgezeichnetes Hilfsmittel besitzen,
möglichst beiseite geschoben und auf die Hervorhebung der sacral-
rechtlichen Gesichtspunkte den Hauptwert gelegt, wobei ich freilich
auf Schritt und Tritt die Beobachtung zu machen hatte, dass hier
nicht viel weniger als alles noch zu thun bleibt. Da mir in diesem
Teile besonders daran gelegen sein musste, den Text nicht durch
Abschweifungen und Erörterung einzelner strittiger Punkte zu unter-
brechen, habe ich von dem bequemen Auskunftsmittel der Fussnoten
einen etwas weitgehenden Gebrauch gemacht.
Die Drucklegung des Bandes, die zweimal auf längere Zeit
unterbrochen werden musste, hat S\ Jahre in Anspruch genommen,
wobei es natürlich nicht ohne mancherlei Ungleichmässigkeiten und
Wiederholungen abgegangen ist, die ich milde zu beurteilen bitte;
manche bedeutsame Erscheinung der neueren Litteratur, wie z. B.
FüBTWÄNGLERS Gemmenwerk und das Schlussheft (I 2) von CüMONTS
Mithras kamen erst in meine Hände, als diejenigen Partien, für die
ich von ihnen hätte Gebrauch machen können, bereits fertig gedruckt
vorlagen. So hätte ich schon jetzt mancherlei Nachträge und Berich-
tigungen zu machen, aber es widersteht mir, dem Bande solch ein
Sündenregister anzuflicken, das doch in ein paar Wochen schon
wieder unvollständig sein würde. Nur darauf soll hier hingewiesen
werden, dass ich die falsche Ansetzung der staatlichen Anerkennung
des Isiskultes S. 7 9 auf Grund erneuter Prüfung der Frage nachher
S. 294 f. berichtigt habe, sowie dass die auf S. 334 gegebene Er-
klärung der legum dictio durch die abweichende, auf S. 453 A. 1 be-
gründete zu ersetzen ist.
Mein eigener Name findet sich unter den Citaten der Anmer-
kungen häufiger, als mir selbst angenehm ist; aber da ich seit dem
Jahre 1882 in einer grossen Anzahl von Einzelbeiträgen die Dar-
legungen dieses Bandes vorbereitet und begleitet habe, war es unver-
meidlich, auf sie zu verweisen, wenn ich nicht das ganze in ihnen
gebotene Beweismaterial wiederholen und damit dieses Buch über
Gebühr belasten wollte. Um diese Aufsätze, die eine notwendige
Ergänzung zu dem vorliegenden Buche bilden, aber, soweit sie nicht
längst vergriffen sind, teilweise in Festschriften und Universitäts-
programmen ein weltentrücktes Dasein führen, einem weiteren Kreise
als bisher zugänglich zu machen, werde ich die wichtigsten von ihnen
X Vorwort.
in überarbeiteter und erweiterter Gestalt und um das eine oder andre
neue Stück vermehrt im Sommer kommenden Jahres unter dem Titel
„Gesammelte Abhandlungen zur römischen Religions- und Stadt-
geschichte" im gleichen Verlage neu herausgeben.
Das Schlusswort dieser Vorrede gehört dem Danke an die drei
Männer, die meine Lehrer gewesen sind und auf deren Einfluss auch
die Entstehung dieses Buches zurückgeht: ÄüGUST Retfferscheid ,
Heinrich Brunn, Theodor Mommsen. Der erstgenannte würde, das
weiss ich sehr wohl, an dem Buche keine ungeteilte Freude haben,
denn je tiefer ich in den Gegenstand eingedrungen bin, um so
weiter haben meine Wege sich von denen Reipferscheids entfernt
oder doch von mancher seiner Lieblingsideen abgeführt: meine Dank-
barkeit gegen ihn aber ist darum gewiss keine geringere, denn er
hat mir zuerst dieses Arbeitsgebiet erschlossen und mir eine Fülle
von Anregungen geboten, die, wenn sie auch mehr in der Frage-
stellung als in der Lösung sich bewährten, doch nie unfruchtbar
waren. HEINRICH Brünn, ein Mann, auf den das Wort oV ovi' aivetv
ToTm xaxoTtfi ^äfiig eigens geprägt scheint, ist mir nicht nur allewege
in Leben und Wissenschaft ein väterlicher Freund und Berater ge-
wesen, sondern hat mir auch sowohl durch seine Schriften als noch
viel mehr in unvergesslichen Gesprächen den Blick geschärft gerade
für die Unterscheidung griechischen und römischen Wesens in Re-
ligion und Kunst. Beide Männer sind längst dahingegangen; nur
der dritte weilt noch unter uns, durch unvergängliche Lebens- und
Schaffenskraft uns Jüngeren wie der letzte Spross eines stärkeren und
glücklicheren Geschlechtes erscheinend, zu dem wir in Bewunderung
emporsehen. Wenn ich heute dieses Buch, das durch mehr als ein
Dutzend Jahre in guten und bösen Tagen mein Gefährte und noch
zuletzt in schwerem Unglück mein Trost gewesen ist, in die Hände
Theodor Mommsens lege, so gebe ich damit nur einen kleinen Teil
dessen zurück, was ich von ihm empfangen habe: dass ohne MoMMSENS
Lebenswerk, vor allem ohne das Staatsrecht und den Commentar zum
Festkalender, kein Kapitel dieses Buches hätte geschrieben werden
können, wird jeder Sachkundige leicht sehen.
Halle (Saale), am Winckelmannstage 1901.
Georg Wissowa.
Inhalt
/"
1. Die Quellen .
2. GeschichtUcheB
Einleitung.
Seite
1
9
Erster Teil.
Überblick über den Entwicklungrsgrangr der römischen Religrion.
Erster Abschnitt
Die Beligion der ältesten Zeit bis snr Erbauung des oapitolinisohen Tempels.
3. Die di indigetes 15
4. Allgemeiner Charakter der altrOmischen Religion 20
5. Alter nnd Entstehung der ftltesten Götterordnong 24
6^ Die Formen der ältesten Crötterverehrong 28
Zweiter Abschnitt.
Bis snm zweiten pnnischen Kriege.
7. Die Grflndung des capitolinischen Heiligtomes and die gleichzeitigen Neuemngen
8. Die Erweitenmg des Kreises der römischen Staatsgötter
9. Die Aufnahme italischer und griechischer Gottheiten
10. Yermehnmg der Götter durch Spaltung und dnrch Vergöttlichung abstrakter Begriffe
11. Die äusseren Formen des Staatskultus
Dritter Abschnitt.
Bis cum Ausgange der Bepublik.
12. Die Hellenisierung des Kultus
13. Litteratur und Wissenschaft
14. Verfall der Staatsreligion
Vierter Abschnitt.
Die Beligion der Kaiserseit.
15. Die religiösen Reformen des Augustus
16. Die religiösen Verhältnisse in den beiden ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit
17. Die Zeit der Auflösung seit den Antoninen
18. Das Ende der römischen Religion
Zweiter Teil.
Die Götter der römischen Staatsreligrion.
Erster Abschnitt.
Die di indigetes.
19. Janus
20. Juppiter
21. Juno
22. Gottheiten aus dem Kreise des Juppiter
23. Mars .......
24. Quirinus ....
»ö. Vesta
33
38
42
46
50
54
58
63
66
71
78
84
91
100
113
120
129
139
141
XII
Inhalt.
26. Di penates
27. Lares
28. Genius
29. Gottheiten der Erde nnd des Landbaas
30. Gonsus und Ops
31. Satumns and Laa ....
32. Faanas. Faana. Silvanas .
33. Die Gottheiten des Wassers
34. Volcanas and Maja ....
35. Unterwelts- and TotengOtter
36. Sonstige Gottheiten des ältesten Kreises
Zweiter Abschnitt.
Di novenaidea italischer Herkunft.
37. Diana ....
38. Minerva
39. Fortuna
40. Castor and Pollax
41. Hercales
42. Feronia
43. Vortanmus
44. Venus ....
Dritter Abschnitt.
Di novenaides griechischer Herkunft.
45. Apollo ....
46. CereSi Liber und Libera
47. Mercurins
48. Neptunus
49. Aesculapius und Salus .
50. Dis pater und Proserpina
51. Mens ....
52. Sol und Luna
53. Mater deum magna Idaea
Vierter Abschnitt.
XTengeschaffene Gottheiten.
54. Personifikationen abstrakter Begriffe ....
55. Dea Roma und die Divi imperatores ....
Fünfter Abschnitt.
Sacra peregrina.
56. Die kappadokische Mä-Bellona
57. Isis und die Götter Aegyptens
58. Die syrischen Gottheiten
59. Der Mithrasdienst
60. Sonstige Fremdkulte
Dritter Teil.
Die Formen der Götterverehrungr
61. Sacralrechtliche Grundlagen
62. Die gottesdienstlichen Handlungen
63. Die Festzeiten ....
64. Die Spiele ...
65. Die Oertlichkeiten des Kultus
66. Die Priesterordnung
67. Das Pontificalcollegium
68. Die Augures ....
69. Die Quindecimviri sacris faciundis und die
70. Die priesterlichen Sodalit&ten
Anhang I. Der römische Festkalender
Anhang II. Die römischen Staatstempel
Register I. Namen- und Sachregister
Register II. Stellenregister
Haruspices
fipite
145
148
154
159
1^".
It*
172
179
184
187
193
198
203
206
216
219
2.^1
233
234
239
242
248
250
253
255
259
260
363
271
280
289
292
299
307
312
318
344
365
381
399
410
430
450
461
475
491
516
520
533
Einleitung.
1. Die Quellen. Entscheidender als auf irgend einem andern Ge-
biete ist auf dem der römischen Religionsforschung die Stellungnahme zu
den Quellen und die richtige Wertung der Überlieferung. Das Eigenartige
im Entwicklungsgange der römischen Religion beruht darauf, dtfss hier
nicht eine stetig von innen heraus erfolgende Ausgestaltung ursprüng-
licher Anschauungen vorliegt, sondern der normale Entwicklungsprozess
durchkreuzt worden ist durch den übermächtigen Einfluss der auf ganz
anders geartetem Boden erwachsenen griechischen Religionsvorstellungen,
die, einmal in Rom eingedrungen, die Kraft besassen, die altrömische
Religion von Grund aus umzugestalten und sich zu assimilieren. Wenn
J. A. Habtukg (Relig. d. Römer I p. IX) in einem vielfach citierten Bilde
diese Verhältnisse so charakterisiert »es ist ein alter Tempel von einem
Überbaue verhüllt worden, sodann sind beide eingestürzt, und wir haben
nun die Trümmer des ersteren Gebäudes unter dem Schutte des zweiten
hervorzugraben*^, so wird er damit den Schwierigkeiten der historischen
Aufgabe insofern nicht voll gerecht, als es mit der blossen Sichtung des
Schutthaufens in Trümmer griechischer und römischer Herkunft bei weitem
nicht gethan ist ; oft hat — um in dem einmal gewählten Bilde zu
bleiben — bei jenem Überbau die Hand des neuen Meisters ein ungefüges
Werkstück des alten Gebäudes zu einer zierlichen griechischen Ornament-
platte umgeschaffen und nur ein zufällig stehengebliebener Überrest verrät
dem sorg<ig prüfenden Auge die ursprüngliche Bestimmung. Jener
Neubau aber hat sich in seinen Hauptteilen vollzogen in einer Zeit, die
nicht nur vor der unserer erhaltenen Quellen, sondern überhaupt vor dem
Beginne der in Rom erst spät ins Leben tretenden Litteratur liegt. Ist
also der wesentliche Teil unserer Aufgabe die Rekonstruktion des ursprüng-
lichen Bauwerkes, so wird die Auskunft^ die uns unsere Gewährsmänner
— gleichviel ob ihr Zeugnis im Original vorliegt oder erst aus den An-
gaben Späterer wiedergewonnen werden muss — zu geben im stände
sind, eine recht beschränkte sein, wertvoll nur in dem Falle, wenn sie
auf in die Zeiten des alten Baues zurückreichender Überlieferung beruht.
Wie sich aber die alten Gewährsmänner ihrerseits den ehemaligen Tempel-
bau, den sie nicht mehr erlebt haben und von dem nur spärliche Kunde zu
ihnen gedrungen ist, vorgestellt und was sie über seine Baugeschichte und
EAodbaoli der Umb. AltertiumnriMeiMohaft. V. 4. 1
Religion und Koltiui der BOmer. SinleÜuiig.
den Plan des Baumeisters zusammenkombiniert haben, das mag für die Be-
urteilung ihres Scharfsinnes und ihrer Denkweise von hohem Werte sein,
für die Sichtung der Trümmer und die Würdigung der Bruchstücke aber
vermag es uns wenig oder nichts zu helfen, und es kommt dabei nicht viel
darauf an, ob der sogenannte Zeuge, der sich die Vergangenheit auf seine
Weise zurechtlegt, ein ernsthafter Forscher oder ein leichtbeschwingter
Dichter ist. So selbstverständlich und einleuchtend das erscheint, so wenig
pflegt es beachtet zu werden: Ovids frei erfundene oder den Griechen
nacherzählte cuxta gelten als italische Mythen, Varros Konstruktionen der
Oöttersysteme des Evander, Romulus, Titus Tatius, Numa u. s. w. werden
wie Überlieferung behandelt, aus den philosophisch-theologischen Speku-
lationen der Verfallzeit über Sinn und Bedeutung der einzelnen Götter
hofft man die geoffenbarten Grunddogmen der römischen oder italischen
Religion herausmünzen zu können, und schliesslich gibt all das zusammen
ein Bild, dessen Buntheit für den Mangel an historischer Wahrheit nicht
zu entschädigen vermag. Es scheint darum unerlässlich, einen Überblick
über di8 wichtigsten Quellen mit kurzer Erörterung ihrer Zuverlässigkeit
und Ergiebigkeit vorauszuschicken.
Weitaus die wichtigste Quelle für die Kenntnis der altrömischen
Religion, wie sich dieselbe vor der Einwirkung des Griechentums gestaltete,
ist der römische Festkalender, dessen ursprüngliche Gestalt sich aus
den uns in bedeutenden Bruchstücken vorliegenden Exemplaren der ersten
Kaiserzeit mit voller Sicherheit herstellen lässt. Wir besitzen aus der
Zeit etwa von der Schlacht bei Actium bis auf Kaiser Claudius Fragmente
von rund 20 Ausfertigungen des stadtrömischen Kalenders,^) welche — für
den Gebrauch in Rom oder den Municipien der benachbarten Landschaften
bestimmt — offenbar sämtlich auf dasselbe officielle Exemplar zurückgehen
und sich gegenseitig zu einem fast lückenlosen Bilde des römischen Kirchen-
jahres ergänzen. Mit unverkennbarer Deutlichkeit heben sich auf jedem
Exemplare schon durch die Dimensionen der Buchstaben zwei Gattungen
von Aufzeichnungen von einander ab: in grossen Schriftzügen und einem
mit geringen Abweichungen überall in gleicher Weise durchgeführten
Systeme von Abkürzungen geben die Kalender a) die Nundinalbuchstaben,
b) die den rechtlichen Charakter des Tages als Fest- oder Werktag be-
zeichnenden Siglen, c) (zwischen a und b eingereiht) die Namen der Tage,
soweit denselben solche zukommen, nämlich die Benennungen Kalendae
Nonae Idus und die Namen von 45 ständigen Staatsfesten (fet-iae publicae) ;
in kleinerer Schrift treten dann eine Reihe weiterer Notizen hinzu, deren
Bestand und Fassung in den verschiedenen Kalendern viel mehr variiert,
nämlich d) für die nicht benannten Tage die Ziffern des Abstandes von
den nächstfolgenden Kalendae, Nonae, Idus; e) Bemerkungen über Ein-
') Bei MoMMSEN CIL I* p. 205 ff. in
folgender (m. E. nicht Überall begründeter)
chronologischer Anordnung: I Esquilini. II
Caeretani. III Arvalium. IV Tusculani. V AI-
lifani. VI Pinciani. VII Sabini. VIII Venu-
Bini. IX Maffeiani. X Feriale Cumanum.
XI Praenestini. XII Vallenaes. XI II Panüni.
XIVVaticani. XV Amitemini. XVIPighiani.
XVII Antiates. XVIII Famesiani. XIX Frag-
menta minora. XX Guidizzolenses. Nene
Bruchstücke aus Rom Bull. aroh. com. XXII
1894, 221 ff. XXIU 1895> 126 f.
1. Die Qaellen, 3
Setzung und Anlass der in caesarisch-augusteischer Zeit dem Jahre neu
eingefügten feriae; f) Bemerkungen über die Zugehörigkeit der feriae der
alten Ordnung (c) zu bestimmten Göttern, in der Form z. B. feriae lovi;
g) Angabe der sacrißcia, epuUie, ludi (auch der mercatus); die scu^rificia,
d. h. die in jeder aedes publica alljährlich am Tage ihrer Dedication dar-
gebrachten Opfer, werden verzeichnet mit Angabe des Qottes im Dativ
und Angabe der Örtlichkeit, z. B. lano ad theatrum MarceUi; h) verein-
zelte astronomische Bemerkungen; i) zuweilen kommentierende Notizen
über Bedeutung und Anlass der Festnamen, Sinn der Siglen u. s. w. Es
ist das hohe Verdienst Th. Mommsens nachgewiesen zu haben (CIL P
p. 361 ff. = I^ p. 283 ff.), dass wir in den mit grossen Schriftzügen aus-
geführten Angaben der erstgenannten Art die älteste römische Kalender-
aufzeichnung besitzen, wie sie den Römern selbst für die Jahresordnung
des Numa galt und während der gesamten Zeit der Republik bis auf
G. Julius Caesar ohne jede Abänderung bestanden hat. Aber auch die
Notizen der zweiten Art sind von hoher Wichtigkeit, indem sie uns, wenn
auch nicht mit so unbedingter Vollständigkeit und Authenticität, von den
in republikanischer Zeit eingesetzten Spielen, Festf eiern und Tempel-
gründungen Nachricht geben (g). Die Angaben über die als feriae be-
gangenen Gedenktage der caesarisch-augusteischen Zeit (e) erhalten eine
besondre Erläuterung durch ein erhaltenes Beispiel eines ausserrömischen
Kalenders, das sog. feriale Cumanum (CIL X 8375; vgl. dazu Mohmsen,
Hermes XVII 631 ff.), welches nur die Festtage des Augustustempels zu
Cumae umfasst. Wichtige Zeugen für die Zeiten des ausgehenden Heiden-
tums sind drei Kaiendarien des 4. bezw. 5. Jahrhunderts, zwei handschrift-
liche, das des Furius Dionysius Philocalus vom J. 354 n. Chr. und das des
Polemius Silvius vom J. 448/9,^) und ein inschriftliches Festverzeichnis
für Capua und die Provinz Campanien vom 22. November 387 n. Chr.
(CIL X 3792). So führen uns die verschiedenen Gestaltungen des römi-
schen Festkalenders, wie sie uns in authentischen Urkunden vorliegen,
durch die ganze Geschichte der römischen Religion von der ältesten Zeit
bis zu ihrem Untergänge. Das was sie uns geben und worauf ihr Wert
beruht, ist die grosse Menge von sakralen Thatsachen, deren Bedeutung
und Zusammenhang zu erschliessen erst Aufgabe der Kombination ist.
Schon die Forschungen der alten Gelehrten über die Geschichte ihrer
heimischen Religion knüpfen zum Teil ausgesprochnermassen an den Fest-
kalender an, und es gab eine reiche Litteratur de fastis (vgl. Teuffbl-
ScHWABE, Rom. Litt.Gesch. § 74, 4), aus der uns recht erhebliche Nieder-
schläge noch erhalten sind: die Erörterung der römischen Festnamen bei
Varro de 1. 1. VI 12 ff., die auf Verrius Flaccus zurückgehenden erklärenden
Anmerkungen der praenestinischen Fasten, die insbesondre auf Varro und
Verrius Flaccus beruhende Darstellung der sechs ersten Monate des römi-
schen Jahres in Ovids fasti,*) die bei Macrob. S. I 12—16 u. s. erhaltenen
^) Zusammen abgedruckt CIL V p. 332 ff.
= I« p. 254 ff.
') Yg]. H. WnrTHBB, De faatis Verrii
Flacci ab Ovidio adhibitis, Diss. Berolini
1885; über Varro als Quelle s. Ch. Hülsen,
Varronianae doctrinae quaenam in Ovidii
fastis vestigia extent, Diss. Berolini 1880.
A. ScHMEKBL, De Ovidiana Pythagoreae doc-
1*
Beligion und KnltiiB der BOmer. fiinleitimg.
Auszüge aus Suetons Buche de anno Romanorum,^) ja noch in spätester
Zeit das 4. Buch von des Johannes Laurentius Lydus Schrift negl firjvöSi^
enthalten reichen Stoff zur Geschichte des römischen Kultus und ergänzen
vielfach das aus den Steinkalendern gewonnene Wissen aufs erwünschteste.
Nur darf hier wie in der gesamten für unser Oebiet in Betracht kom-
menden litterarischen Überlieferung niemals die an sich selbstverständ-
liche Forderung ausser acht gelassen werden, dass aufs strengste zu
scheiden ist zwischen den von unsern Oewährsmännem beigebrachten
Thatsachen des Kultus und der Beligionsübung und dem, was sie auf
örund dieser Thatsachen und eigner Kombination über Alter, Herkunft
und Bedeutung der einzelnen Kulte und Feste feststellen zu können
glauben : die Grenzlinie zwischen Überlieferung und Hypothese ist in den
meisten Fällen mit Sicherheit zu ziehen. Der Schatz authentischer Nach-
richten über Einzelheiten des römischen Rituals, der uns durch Vermitt-
lung der gelehrten Litteratur der Alten überkommen ist, ist ein recht
ansehnlicher und noch keineswegs völlig ausgebeutet: über Gebetsformeln
und rituelle Geremonien, über Zulässigkeit und Angemessenheit der ein-
zelnen Opfertiere und sonstigen Opfergaben in den verschiedenen Kulten,
über die Mitwirkung der einzelnen Priester auf der einen und des Publi-
kums auf der andern Seite, über volkstümliche Festbräuche u. a. m. liegen
zuverlässige Zeugnisse in solcher Reichhaltigkeit vor, dass sie uns nicht
nur einen ziemlich klaren Einblick in die Praxis und die Organisation
der äusseren Religionsübung verstatten, sondern uns auch erlauben, darüber
hinaus auf die Gegenstände dieses Kultus und die ihrer Verehrung zu
Grunde liegenden Vorstellungen sichere Schlüsse zu machen. Solche Nach-
richten, die wir ja gewöhnlich erst aus dritter und vierter Hand erhalten,
gehen in der Hauptsache auf zwei Ströme der Überlieferung zurück. Auf
der einen Seite ist es die antiquarisch-historische Litteratur, die
besonders durch Vermittlung der viel gelesenen Antiquitates rerum divl-
narum des M. Terentius Varro,*) daneben auch durch Nigidius Figulus,*)
Verrius Flaccus, Julius Hyginus u. a., auf Gellius, Macrobius, die Vergil-
erklärer, die Kirchenväter, von Griechen besonders auf Dionys von Hali-
kamass^) und Plutarch^) stark eingewirkt hat: Urkunden wie die allerdings
dürftigen und stark entstellten Reste des Liedes der Salier,®) die alten Ge-
betsformeln {carmina) bei Livius und Macrobius,') die Festordnung der Ar-
trinae adumbratione, Diss. Oryphiswaldiae
1885 S. 26 ff.
*) Vgl. G. WissowA, De Macrobii Sa-
turnalioniin foDtibus capita tria, Diss. Vratis-
laviae 1880 S. 16 ff.
*) Disposition bei Aagustin. c. d. VI 3;
FragmentsammluDg bei R. Merkel, Proleg.
in Ovid. fast. p. CVI ff.; s. auch £. Sohwakz,
Jahrb. f. Philo!. Suppl.Bd. XVI 407 ff. und
besonders die Sammlung der Bruchstücke
von B. T. XIV. XV. XVI durch R. Agahd,
Jahrb. f. Philol. Suppl.Bd. XXIV 1 ff.
') Fragmentsammlung von A. Swoboda,
Vindobonae 1889.
*) Vgl. A. EiBSSLiNO, De Dionysi Bali-
camasei antiquitatum auctoribus latinis, Dias.
Bonn., Lipsiae 1858 S. 38 ff.
^) A. Babth, De Jubae ouoioTtjaiy a
Plutarcho expressis in quaesüonibus Ro-
manis et in Romulo Numaque, Diss. Got-
tingae 1876. P. Glaesser, De Varronianae
doctrinae apud Plutarchum vestigiis, Leipz.
Stud. IV 1881 S. 159 ff.
^) CM. Zandeb, Carminis saliaris reli-
quiae, Lundae 1888. Baehrens, Fragm. poet.
Rom. p. 29 ff. B. Maurbnbrbcher, Carmi-
num saliarium reliquiae, Jahrb. f. Philol.
SuppLBd. XXI 315 ff.
') z. B. die Devotionsformel Liv. VIII
9, 4 ff., die carmina evocationis et devotioms
1. Die Quellen.
geerprozession bei Varro de 1. 1. V 45 ff., die bei den Kirchenvätern wieder-
holt herangezogenen Litaneien der Indigitamenta, die von den Historikern
hin und wieder im Wortlaute angeführten sibyllinischen und sonstigen
Orakel ') u. a. stammen aus dieser Überlieferung. Auf der andern Seite
gab es bei dem engen Zusammenhange, in dem bei den Römern Religion
und Recht standen, eine reiche juristische Litteratur de iure pontificio,
dann auch über einzelne Zweige des Sakralrechtes wie de auspiciis, de
religionibus u. a., welche in augusteischer Zeit in den Werken des Antistius
Labeo und Ateius Capito de iure pontificio eine Art von Zusammenfassung
erfahr und dadurch namentlich auf das uns in den Auszügen des Festus
und Paulus vorliegende Werk des Verrius Flaccus de verborum significatu,^)
dann auch auf Gellius, die V ergilscholien u. a. einwirkte: wir verdanken dieser
Litteratur insbesondere Zeugnisse über Rangordnung und Rechtsstellung
der einzelnen Priesterschaften, ^) über die verschiedenen Gattungen von
heiligen Handlungen und ihre Träger,^) über die bei bestimmten Vor-
kommnissen erforderlichen Opfer, ^) auch wichtige Einzelurkunden wie
die über die Anordnung des Septimontium (Fest. p. 340. 348) und die lex
de spoliis opimis (Fest. p. 189). In letzter Linie stammen alle diese An-
gaben aus den Archiven der einzelnen Priesterschaften: kaum eine der
letzteren hat ihrer Aufzeichnungen entbehrt, wenn auch deren Umfang
je nach Bedeutung und Wirksamkeit des betreffenden Priestertums ver-
schieden gewesen sein mag: Mitgliederverzeichnisse, Statuten, Sitzungs-
protokolle, Gebetsformulare, Ritualvorschriften u. a. m. machten den In-
halt dieser lUnH oder commentarii sacerdotum^) aus, die allerdings zum
überwiegenden Teile nicht jedermann zugänglich waren, aber doch durch
einzelne schriftstellerisch thätige Mitglieder der betreffenden Kollegien für
die Öffentlichkeit ausgezogen wurden: es wird immer die letzte Aufgabe
der Forschung sein, aus den uns vorliegenden Angaben der späteren Kom-
pilatoren über die von diesen zunächst benützten antiquarischen und
juristischen Sammelwerke hinaus vorzudringen bis zu jener Urquelle, den
Priesterschriften, und deren Rekonstruktion zu versuchen.^) Je schwieriger
aber bei der Beschaffenheit der durch vielfache Brechung getrübten und
bei Macr. S. III 9, die AnfOhningen ans den
carmina der Fetialen bei Liv. I 24. 82. 38
(Tgl. auch Gell. XVI 4, 1), die Fonnel der
Inraguration bei Liv. I 18, 9 (vgl. Varro de
L 1. VII 8) u. a. m.
0 So namentlich die von H. Dibls, Si-
bylliniflche Blätter, Berlin 1890 ins rechte
Ucbt gesetzten sibyllinischen Orakel bei
Phlegon mirab. 10 a. macrob. 4 (= Zosim.
116); die carmina Mareii vatia bei Liv.
XXV 12 (vgl. Macr. I 17, 28), das angeb-
liche delphische Orakel bei Liv. V 16, 8 u. a.
^) Vgl. R. Reitzbkstbdt, Verrianische
Forschungen (Breslaa 1887) S. 45 ff. H. Wil-
LBB8. De Verrio Flacco glossarom interprete
(Balis 1898) S. 10 ff.
') z. B. Fest. p. 185 s. Ordo gacerdotum,
GslL I 12.
*) z. B. Fest p. 157 s. MuniHpalia Sa-
cra; p. 287 8. Peregrina sacra; p. 245 s.
Publica Sacra; p. 258 s. PoptUaria sacra
u. a. m.
^) z. B. Fest. p. 186 s. Optatam hostiam;
p. 218 8. Praecidanea porca; p. 223 B.Praeci-
danea agna; p. 238 s. Porcam auream und
Propudialis porcus; p. 250 s. Prodiguae ho-
stiae \m^ Prtusentanea porca; p. 802 s. Suc-
cidanea hostia n. a. m.
^) Ueber die Identität der früher fälsch-
lich geschiedenen liM und commentarii vgl.
P. Rboell, De augurum publicorum libris,
Diss. Vratislayiae 1878 S. 80 ff.
') Ein beachtenswerter Versuch, die de
sacerdotibus publicis handelnde!! Abschnitte
der libri pontifieales wiederherzustellen, bei
R. Fbtbb, Quaestionum pontificalium speci-
men, Diss. Argentorati 1886.
Religion und Koltna der Römer. Einleitung.
verdunkelten Überlieferung diese Aufgabe ist und je lückenhafter natur-
gemäss das Ergebnis sein muss, von um so unschätzbarerem Werte sind
für uns Urkunden, die sich als direkt aus der Praxis des Kultus und
den Archiven der Staatspriester herrührend zu erkennen geben. Inschrift-
lich ist mancherlei derart auf uns gekommen, z. B. eine Anzahl von Tempel-
statuten (leges templorutn) und analogen Vorschriften der Sakralpolizei, ^)
Ausfertigungen von Verordnungen der Pontifices (CIL X 8259) und Quin-
decimvirn (CIL X 8698), das Reglement über Rechte und Pflichten des
flamen Augusti der narbonensischen Provinz (CIL XII 6038), auch mehrere
Bruchstücke der Mitgliederlisten einzelner Priesterschaften aus der aus-
gehenden Republik und der Eaiserzeit,^) die für die frühere Zeit, wo
inschriftliche Zeugnisse fehlen, zum Teil aus Livius wiederhergestellt
werden können,') da die ursprünglich von den Pontifices geführte Stadt-
chronik den Personalveränderungen in den höheren Priesterstellen ebenso
wie den Tempelgründungen, Prodigien und anderen Ereignissen sakraler
Natur besondre Aufmerksamkeit schenkte. Aber an Bedeutung und Um-
fang weit über all diesen Urkunden stehen die in Zahlzeichen Bruch-
stücken auf uns gekommenen Protokolle über die Sitzungen und Amts-
handlungen der fraires Arvales,*) die, obwohl durchweg der Eaiserzeit
(von Augustus bis auf Qordianus) angehörig, doch gerade für die Kenntnis
des altrömischen Qottesdienstes von grundlegender Wichtigkeit sind:
denn einmal geben die jede Bewegung und Handreichung mit peinlich-
ster Genauigkeit registrierenden Aufzeichnungen offenbar ein seit Ur-
zeiten unverändertes und den Ausführenden selbst nur zum geringsten
Teile noch verständliches Ritual wieder, andererseits beschränkt sich
der Gesamtdienst der Arvalen auf den einheimischen Götterkreis: Apollo
und Diana, Ceres und Venus finden in ihren Opfern keine Stelle, dafür
aber in unsern sonstigen Quellen halb oder ganz verschollene Gottheiten
wie die Famuli divae und Virgines divae, Adolenda Coinquenda Commolenda
Deferunda u. a.; das in dem Protokoll über die Festfeier des Jahres 218
im Wortlaute mitgeteilte carmen der Arvalbrüder^) ist wohl das älteste
auf uns gekommene Denkmal lateinischer Sprache. Eine wichtige Er-
gänzung nach der Seite des graecus ritus hin hat unsere aus den Arval-
monumenten gewonnene Kenntnis römischer Religionsübung neuerdings
erfahren durch die Auffindung von Bruchstücken der Akten über die
Säkularspiele des Augustus und Septimius Severus,^) die uns zum ersten
M Statut der aedea lovis Liberi zu Furfo
CIL IX 3513, der ara Äugusti zu Narbo CIL
XII 4333, des Jnppiteraltars zu Salona CIL
in 1933, die leges der Haine von Luceria
(CIL IX 782) und Spoletium (Bobmann, Mis-
cellanea Capitolina, Romae 1879 p. 5 fF.
E. ScHNBiDER, Dialect. Italic, exempla l 1
nr. 95); kleinere Stttcke der Art CIL Y Suppl.
Ital. 1273. VI 826. VIII Suppl. 11796; vgl.
auch Cass. Dio LV 10.
») CIL VI 1976 ff.; vgl. auch XI 3254
(Album der pontifices von Sutrium).
') C. Babdt, Die Priester der vier grossen
Collegien aus römisch -republikanischer Zeit,
Berlin 1871.
*) G. Mabini, Gli Atti e Monumenti de'
fratelli Arvali, Roma 1795. Guil. Henzbn,
Acta fratrum Arvalium, Berolini 1874. CIL
VI 2023 -2119, Nachträge dazu gesammelt
von Chb. Hülsbk, Ephem. epigr. VIII p. 316 ff.,
8. auch D. Vaglibbi, Notiz, d. Scavi 1897,
309 ff.
^) Text mit Verzeichnis der neueren Lit-
teratur am bequemsten bei E. Schnbidbb,
Dialectorum Italicarum exempla selecta I 1
nr. 392. Buechblbb, Anthol. epigr. nr. 1.
•) Veröffentlicht von F. Babnabki, D.
Mabcbbtti und Th. Mommsbn in Monumenti
1. Die Qaellen,
Male einen etwas tieferen Einblick in den unter der Leitung der Quin-
decimvim stehenden Gottesdienst und seine Formen gestatten.
Sind wir nun über den Staatskultus nicht nur nach seinen äusseren
Formen, sondern auch nach seinem inneren Gehalte verhältnismässig gut
onterrichtet, so ist es mit den Zeugnissen für die Geschichte der Volks-
religion und ihrer Wandlungen um so ärmlicher bestellt. Je mehr in
den oberen Schichten der Bevölkerung die griechische Bildung überwiegt
und die färben- und gestaltenreiche griechische Mythologie die heimische
Religion verdrängt, um so weniger sind die litterarischen Quellen im
stände, uns über Religionsübung und Religionsvorstellungen der Menge
einen Aufschluss zu geben: viel grösser als zwischen Schriftsprache und
Voikajargon ist die Kluft zwischen der litterarischen Darstellung der
Götterwelt bei Dichtern und Gelehrten und den Anschauungen, welche
die Stellung des gemeinen Mannes zur Gottheit und seinen Verkehr mit
derselben bedingen. Wären wir auf die Schriftsteller angewiesen, so
wäre von diesen Anschauungen blutwenig zu wissen : des alten Gate Schrift
vom Landbau mit ihren kostbaren Gebetsformeln für die Vorkommnisse
der bäuerlichen Thätigkeit, wenige Partien der nur mit grosser Vorsicht
zu benützenden plautinischen Komödien, eine Anzahl von Stellen der
Naturgeschichte des älteren Plinius, ein paar Dutzend zerstreute Notizen
von nicht immer zweifelloser Zuverlässigkeit und Tragweite, all das zu-
sammen würde nicht entfernt ausreichen, auch nur eine dürftige Grund-
lage unseres Wissens abzugeben, wenn hier nicht die monumentalen
nnd inschriftlichen Quellen in weitem Umfange ergänzend einträten.
Von Art und Bedeutung des häuslichen Kultes der Laren, Penaten, des
Genius haben uns erst die aufgedeckten Häuser Pompeis mit ihren Haus-
kapellen und Sakralbildern eine Vorstellung vermittelt, 0 Votivstatuen und
Altarreliefs, auch die Münzbilder*) haben uns über die Auffassung und
den Kultzusammenhang einzelner Gottheiten unvermutete Aufschlüsse ge-
geben, vor allem aber bieten die Tausende erhaltener Weihinschriften aus
allen Gegenden des römischen Reiches einen fast unermesslichen Stoff,
dessen volle Verwertung erst gelingen wird, wenn einst eine umfassende.
Form und Inhalt, Zeit und Ort, Person des Weihenden und Anlass der
Weihung in gleicher Weise berücksichtigende Statistik vorliegen wird.
Zwar für die Zeit der Republik ist das zufällig erhaltene Material zu
antielii della R. Acoad. dei Lincei I (1891)
601 ff. nnd von Th. Mommsen, Ephem. epigr.
VIU p. 225 ff.
') Reiche Ziuamineiistellimgen bei A.
Dk Mabcbi, II colto pnvato di Rioma antica,
I, Milano 1896.
*) Nftchst den Göiterköpfen des ältesten
idmiscfaen Knpfergeldes kommen namentlich
die Reversbilder der republikanischen De-
nare (erst die dahinsprengenden Dioskuren,
dann Gottheiten auf dem Zweigespann; vgl.
A. Klüokamii, Zsofar. f. Nnmism. V 1877, 62 ff.)
in Betracht» dann die von MOnzmeistem und
Kaisern mit Rficksicht auf Personen oder
Zeitverhftltniflse gewählten Prägungen. Ma-
terial am bequemsten bei E. Babelon, De-
scription historique et chronologique des mon-
naies de la r^publique Romaine, 2 Bde., Paris
1885—86. U. Cohen, Description historique
des monnaies frapp^es sous V empire Romain,
2. ^dit. (fortgesetzt von J. Fsüabdent), 8 Bde.,
Paris 1880—1892. Th. Momksek, Geschichte
des rdraischen Münzwesens, Berlin 1860 (da-
neben von selbständigem Werte die franzö-
sische Uebersetzung vom Herzog von Blaoas,
4 Bde., Paris 1866—75). Für die Schau-
münzen der Eaiserzeit W. Fbobhnbb, Los
m^daillons de Tempire Romain depuis le rögne
d'Attgnste jusqu*ä Priscus Attale, Paris 1878.
8
Beligioii nnd Koltiu der Römer. Einleitung.
dürftig, um bindende Schlüsse zu gestatten ; aber auch hier geben manche
Reihen zusammengehöriger Denkmäler, wie die Weihinschriften von
Pisaurum (CIL I 167—179) und die schwarzen Thonschalen mit Qötter-
inschriften (z. B. Aecetiai pocolom, CIL I 43 ff. und neue Zusammenstellung
bei H. Jobdan, Annali d. Instit. 1884, 7 f., vgl. auch C. Pascal, Notiz, d.
Scavi 1895, 44 f.) überraschende Einblicke in sonst unbekannte Oebiete.
Für die Kaiserzeit aber ist der Nutzen der inschriftlichen Zeugnisse gar
nicht hoch genug anzuschlagen : sie lehren uns nicht nur die zeitliche und
räumliche Verbreitung der einzelnen Kulte kennen, sondern zeigen uns
auch das Zurücktreten und Verschwinden mancher ehemals hochange-
sehenen Gottheit, die Bevorzugung dieses oder jenes Kultes durch be-
stimmte Stände und Gesellschaftsklassen, die Anpassung fremder, barbari-
scher Götternamen und -anschauungen an den römischen Vorstellungskreis
und unzählige andere wichtige Dinge, für welche uns die litterarischen
Quellen völlig im Stiche lassen. Dabei soll der in das Grenzgebiet von
Religion und Aberglauben fallenden Denkmäler wie der sortes,^) der zur
Verwünschung eines Feindes (defixio) dienenden Bleitäf eichen,^) der Amu-
lette,^) so wichtig sie für die Kenntnis der Nachtseiten der Volksreligion
sind, nur mit einem Worte gedacht werden.
Völlig auszuscheiden ist für die römische Religionsforschung eine
Art von Überlieferung, die auf griechischem Gebiet eine hervorragende
Rolle spielt, die mythologische Dichtung. Wohl erzählen Ovid und
Properz und mancher andere Sagen, als deren Helden Götter mit römischen
Namen auftreten und deren Pointe die Begründung irgend eines Kult-
brauches ist; aber während die griechischen Dichter den Mythus in letzter
Linie aus einer Tempellegende, einer volkstümlichen Überlieferung, einer
Lokalsage entnehmen und ihn nur mit dichterischer Freiheit, aber kon-
trolliert durch das lebendige Bewusstsein des Volkes, erweitern und aus-
bilden, sind die Erzählungen der römischen Dichter bewusste Erfindungen und
Übertragungen griechischer Vorbilder, denen die Wurzel in der Volkssage
fehlt. Die römische Religion kennt keine tsQol koyoi, keine Götterehen und
Götterkinder, keine Heroenwelt, die zwischen Gottheit und Menschheit
die Brücke schlägt, sie hat mit einem Worte keine Mythologie. Das
römische Volk hat eine aussergewöhnlich harte Jugend durchzumachen
gehabf und ist der drückenden Sorgen und aufreibenden Kämpfe um die
eigene Existenz erst ledig geworden im gereiften und nüchternen Mannes-
alter, dem für das bunte Spiel der Sage und Dichtung Neigung und Ver-
ständnis abgeht. Beim Beginne der römischen Litteratur war der sagen-
bildende Trieb im Volke, der an sich gewiss nicht ganz gefehlt hat, er-
loschen, und was von Volkssagen vorhanden war, wie etwa die Stamm-
und Wandersagen der Picenter, Hirpiner u. s. w., verkümmert und ver-
flacht ; so sind die römischen Dichter auf ihre eigene Phantasie angewiesen
>) CIL P p. 267 ff. XI 1129.
') Material bei Mabqüabdt, Staatsverw.
III 111 f. und dazu neuerdings C. 0. Zubbtti,
Riviata di filologia XX (1891) 1 ff., aUes zu-
sammen in der Praefatio von R. Wünsch,
Defixionum tabellae Attioae, Berl. 1897.
') 0. Jahn, Ber. d. sächs. Gesellsch. d.
Wissensoh. 1855, 28 ff. und mehr bei Mas-
QUABDT a. a. 0. 106 ff.
2. Geschiphtliohes.
und kombinieren die zum grössten Teil bereits für die Menge zu inhalts-
losen Namen gewordenen Gestalten der römischen Qötterwelt nach Laune
und Belieben:^) was sie von ihnen zu erzählen wissen, ist wertvoll für
die Beurteilung ihrer Erfindungsgabe und Darstellungskunst, auch für die
Ermittlung ihrer Quellen und Vorbilder, römische oder italische Sage ist
es nicht, und nicht nur die einzelne Erzählung ist für die Religions-
forschung wertlos, auch die den dichterischen Erfindungen zu Qrunde
liegende Gesamtauffassung der meisten Götter ist eine von der des Kultus
abweichende und darum irreführende: wenn z. B. Ovid von Fauni und
Sävani in der Mehrzahl spricht und den Faunus nach Analogie des
griechischen Pan mit Hörnern und Bocksbeinen ausstattet, so ist das eine
Vorstellung, die mit der zur gleichen Zeit für Staats- und Hauskult mass-
geblichen in striktem Widerspruche steht. ^) Vergil und Horaz, beide in
dem Gedankenkreise der augusteischen religiösen Reformen sich bewegend
— für Horaz sind ausser dem carmen sasculare namentlich auch die
Götteranrufungen, z. B. carm. I 2, 25 flf. oder I 12, 13 flf. von Wichtigkeit — ,
zeigen allerdings ein erheblich besseres Verständnis für die Götter der
Staatsreligion, aber ihre Identität mit den entsprechenden Gestalten des
griechischen Olymp steht ihnen so sicher, dass sie nicht im stände sind,
die griechischen und römischen Gharakterzüge auseinanderzuhalten: auch
dem Horaz (carm. DI 18) ist, um bei demselben Beispiele zu bleiben, der
italische Gott Faunus der Nympharum fugientum amator und Veneris sodalis,
also etwas ganz anderes als der alljährlich an den Lupercalia gefeierte
Staatsgott. Die Dichter können mithin als Quelle für die Geschichte der
römischen Staats- und Volksreligion nur in beschränktem Umfange und
mit grosser Vorsicht herangezogen werden; in einer Richtung aber be-
lehren sie uns häufig nicht durch den Inhalt ihrer Darstellungen, sondern
durch den sprachlichen Ausdruck. Gerade in Rom nimmt in der Dichter-
sprache der metonymische Gebrauch der Göttemamen einen sehr breiten
Raum ein und die Einsetzung des Eigennamens für die unter seinem
Schatze stehende bezw. durch ihn göttlich verkörperte Sache ist in einem
für uns zuweilen geradezu befremdlichen Masse üblich: wenn Naevius
(com. frg. 121 Ribb.*) sagt cocus edit Neptunum Cererem et Vener em ex-
pertam Volcanom, Liberumque obsorbuü pariter (anstatt pisces, panem, holera
igni cocta, vinum), so mag das eine auf die komische Wirkung berechnete
burleske Übertreibung sein, aber geläufige Wendungen wie sub love fri-
ffido, Vestam (d. h. focum) vino perfundere, e Lare egredi, Genium suum de-
fraudare u. a. m. geben wichtige Fingerzeige für das Verständnis der be-
treffenden Gottheiten.
2. Ctoschichtliches. Bevor B. G. Niebuhrs Kritik der Überlieferung
die römische Geschichtsschreibung in ganz neue Bahnen lenkte, konnte von
einer wirklich historischen Betrachtung der römischen Religion nicht die
Rede sein : Mythologie und Religion der Römer wurde von der griechischen
nicht geschieden und gegenüber dieser völlig vernachlässigt, nur die sogen.
*) Einige Beispiele behandelt von Wis*
BowA, Philo!. Abhandl. M. Hertz dargebracht
(1888) 8. 156 fiP.
") Vgl. WiBBowA, Mitt. d. röm. Instit. I
164 f.
10
Religion und Kaltwi der Römer. Einleitung.
Antiquitäten des Kultus und des Sakralrechtes fanden ihre Darstellung
in den mehr sammelnden als sichtenden Monographien der Qelehrten des
16. und 17. Jahrhunderts über das iiis pontificium, über Insignien und Rechte
einzelner Priesterschaften, über Auspicien und Augurien u. s. w.,^) in des
hervorragenden Juristen Babnabe Bbisson noch heute unentbehriichem
Werke de formulis et solennibus populi Romani verbis libri VIII (1583, beste
Ausgabe von F. G. Conbadi, Halae et Lipsiae 1731), in G. Mabinis reich-
haltigem Kommentar zu den Arvalmonumenten (1795) und ähnlichen
Arbeiten, die aber im besten Falle über die Feststellung von Einzelheiten
nicht hinauskommen konnten, weil ihnen ebensowohl eine feste Stellung-
nahme zu den Quellen wie eine klare Vorstellung des zu erstrebenden
Zieles fehlte. Niebuhb selbst hat in seiner Römischen Geschichte (1811)
die Religion und Mythologie nirgends im Zusammenhange behandelt, in
die Gesamtdarstellung der römischen Geschichte ist die Ausmünzung der
sakralen Überlieferung im vollen Umfange erst von seinem getreuesten
Nachfolger A. Schwegleb (1853) hereingezogen worden, der die Entstehungs-
geschichte der Erzählungen über die älteste römische Religion namentlich
aus ätiologischer Konstruktion in sehr vielen Fällen richtig erkannte und
sich um die Sonderung brauchbarer und wertloser Zeugnisse hohe Ver-
dienste erwarb. Aber Niebuhrs Vorgang rief auch eine Reihe grund-
legender Arbeiten hervor, die sich die Geschichte der römischen Religion
und ihrer Wandlungen zur Spezialaufgabe stellten und teils im Anschlüsse
an Niebuhr, teils im Gegensatze zu ihm die durch ihn eingeführte und
begründete Betrachtungsweise auch auf diesem Gebiete zur Anwendung
brachten. Schon im Jahre 1836 unternimmt J. A. Habtung in seiner „ Re-
ligion der Römer" eine Gesamtdarstellung, die trotz vieler ihr anhaftender
Mängel einen sehr grossen Fortschritt bezeichnet und gegenwärtig durch-
weg nicht hinreichend gewürdigt zu werden pflegt : obwohl sich das Buch
mit dem späteren Preller'schen Handbuche weder was Reichhaltigkeit des
Stoffes noch was die Analyse der Quellen anlangt messen kann, so hat es
vor diesem doch die richtigere Erkenntnis der Aufgabe voraus, indem es
die Scheidung einheimischer und fremder, italischer und griechischer Ele-
mente nicht nur in erster Linie fordert, sondern, wenn auch nicht stets
auf Grund zwingender Beweisführung, so doch mit unleugbarem Takte
durchzuführen versucht. Eine Ausscheidung der griechischen Einflüsse in
Sage und Kultus versuchte bald darauf R. H. Klausen in einem ebenso
stoffreichen wie ungeniessbaren Buche, das trotz der phänomenalen Gelehr-
samkeit des Verfassers fast völlig wirkungslos vorüberging, weil die Fülle
des Materials und der Einfälle bei dem gänzlichen Mangel klarer Auf-
fassung und durchsichtiger Anordnung nur verwirrend und abschreckend
wirkte; nur in J. Rubinos nachgelassenen „Beiträgen zur Vorgeschichte
Italiens^, dem schwächsten Werke des sonst hochverdienten Verfassers,
äussert sich in der Unordnung der Beweisführung und der Häufung un-
genügend fundierter Hypothesen zum Schaden der Sache Klausen'scher
^) Zorn grössten Teil gesammelt in des
J. 6. Grabyius Thesaarus antiquitatum Ro-
manarum (Utrecht 1694—1699), besonders
in Bd. y, sowie in den Supplementen dazu
von Sallbkobe (1716—1719) und PoLnnTB
(1730-1740).
2. GeBohiohtliches. H
Einfluss. Im direkten Gegensatze dazu verdankt L. Prellebs «Römische
Mythologie" (1858) die wohlverdiente Anerkennung, die sie ebenso wie des-
selben Verfassers «Qriechische Mythologie* in weitesten Kreisen gefunden
hat, zum grossen Teile den Vorzügen der Darstellung, der guten und
übersichtlichen Verarbeitung des Quellenmaterials, der geschickten Dis-
position, der stets fesselnden und anmutigen Erzählweise; dagegen ist
gerade ihm als dem Bearbeiter der Mythologie beider Völker verhängnis-
voll geworden, dass er die Verschiedenheit der Aufgaben griechischer
und römischer Religionsforschung nicht klar genug erkannt und darum
sowohl den Erzählungen der römischen Dichter als auch der Deutung der
Göttervorstellungen einen viel zu grossen Raum gewährt hat auf Kosten
einer methodischen Ausbeutung der Thatsachen des Kultus. Zudem ist
das Buch gegenwärtig um so mehr veraltet — die überreichen Nachträge
in den Anmerkungen der von H. Jobdak bearbeiteten diitten Auflage (1881
— 83) lassen den Abstand des Textes vom heutigen Stande der Wissen-
schaft besonders deutlich erkennen — , je thätiger die Einzelforschung in
der Zwischenzeit gewesen ist. Während die zunächst auf die Rekon-
struktion varronischer Schriften gerichteten Forschungen von L. Kbahneb
und R. Mebkel für die Sichtung und Würdigung der litterarischen Über-
lieferung eine neue Grundlage schufen, erfuhr die Kenntnis des römischen
Sakralwesens reichen Zuwachs durch die ergebnisreichen Arbeiten von
J. Akbbosch über die Priesterarchive, von L. Mebgexin über die Organi-
sation des römischen Priestertums, von E. Luebbebt über die Grundbegriffe
des pontifikalen Rechts u. a., Untersuchungen, die dann J. Mabqüabdts
zusammenfassende Darstellung der römischen Kultusaltertümer (zuerst 1856)
ermöglichten. Bahnbrechend wirkte aber vor allem Th. Mommsens Behand-
lung des römischen Festkalenders und der römischen Chronologie, sowie eine
Reihe einzelner, zum Teil an das durch das Corpus inscriptionum latinarum
erst allgemein zugänglich gemachte Inschriftenmaterial anknüpfender Ar-
beiten desselben Autors; auf denselben Wegen bewegen sich die Unter-
suchungen von B. Bobghesi, G. B. de Rossi, W. Henzen u. a. bis herab auf
A. V. DoKASzEWSKis vortrefflicho, auf die Beherrschung eines unendlich
weitverzweigten Materiales gegründete Untersuchungen über die Religion
des römischen Heeres. H. Bbukn regte die archaeologische und historische
Untersuchung des Typenvorrats der sakralen Kunst in Rom an und durch
die vielfach im Gegensatze zu einander stehenden Abhandlungen von
H. Jobdan und A. Reiffebschbid wurde die Geschichte der Übernahme
und Anpassung griechischer Göttertypen in einer Reihe von Fällen über-
zeugend nachgewiesen und für die Religionsgeschichte verwertet; H. Nissen
legte in feinsinnigen und gedankenreichen Untersuchungen, wenn auch im
Ergebnisse nicht selten über das Ziel hinausschiessend, in Recht und Reli-
gion der Elömer weithin wirksame Grundanschauungen bloss und erschloss
so neue Erklärungsgründe für längst bekannte Thatsachen ; der Aufschwung
der Forschungen zur römischen Topographie und Stadtgeschichte kam bei
dem zuerst von Ambbosch verwerteten engen Zusammenhange zwischen
römischem Boden und Kultus der Religionsgeschichte in weitem Umfange
zu Gute und insbesondre die verdienstvollen Arbeiten H. Jobdans wurden
12 Religion und KoltuB der Römer. Einleitung.
durch seine Beherrschung beider Gebiete befruchtet. Dagegen hat die
Betrachtungsweise der sog. ,vergleichenden' Mythologie hier mehr vei^
wirrend als fördernd gewirkt, indem sie geneigt war, alles bei römischen
Autoren unter römischen Namen Überlieferte, sofern es die behauptete
,Urbedeutung* der betreffenden Gottheit zu bestätigen schien, für italische
Sagen und Mythen anzusehen, und ursprüngliche, auf die indogermanische
Urzeit zurückgehende Übereinstimmung der Vorstellungen annahm, wo
spätere Übertragung vorlag; selbst die vielfach anregenden und geist-
vollen Untersuchungen von W. Mannhabdt und H. Useneb, die unter Fern-
haltung des nivellierenden Suchens nach einer einheitlichen physikalischen
Grundbedeutung der einzelnen Götter mehr darauf ausgingen, die bei den
verschiedensten Völkern in ähnlichen Bräuchen zur Darstellung kommenden
Volksvorstellungen namentlich des ländlichen Lebens als Grundlage der
Mythen nachzuweisen und die Genesis religiöser Begriffe und Vorstellungen
im allgemeinen aufzuklären, haben für Rom zu überzeugenden Ergeb-
nissen nicht zu führen vermocht, da hier die erste Vorbedingung für diese
Art der Untersuchung, eine einheimische Sagenwelt, so gut wie ganz fehlt.
Eine auf die beiden nächstverwandten Vorstellungskreise, den griechischen
und den römischen, beschränkte vergleichende Betrachtung konnte förder-
lich sein, wenn der Ausgangspunkt ein so glücklich gewählter war wie
in dem trotz ungünstiger Anordnung und mangelhafter Durcharbeitung
doch sehr fördernden Buche von A. Pbeuneb über Hestia und Vesta; wo
aber die Gleichheit der Grundgedanken eines griechischen und eines römi-
schen Kultes nicht so evident war, wie in diesem Falle, sondern erst nach-
gewiesen werden sollte, wie es z. B. W. H. Roscheb für Hera und Juno,
ApoUon und Mars versuchte, erlag man gewöhnlich der naheliegenden
Versuchung, über den wirklichen oder vermeintlichen Übereinstimmungen
die Verschiedenheiten zu übersehen oder zu unterschätzen, und verwischte
dadurch gerade das für die Erkenntnis des spezifisch Römischen Wesent-
liche und Bedeutsame.
Die folgende Darstellung stellt sich zur Aufgabe eine Schilderung
der römischen Staatsreligion nach ihren Gegenständen und Formen,
zerfällt also naturgemäss in zwei Hauptabschnitte, die Götterlehre und
die Darstellung des Kultus, denen als einleitender Teil eine kurze Über-
sicht über den äusseren Entwicklungsgang der römischen Religion voraus-
geschickt ist. Der Begriff der Staatsreligion ist dabei aufgefasst im Sinne
der theologia civilis des Varro, als die Summe der im öffentlichen wie im
Privatleben hervortretenden und in geregelten Verehrungsformen sich be-
thätigenden Vorstellungen von den Göttern und ihrem Verhältnisse zu den
Menschen, im Gegensatze zur theologia mythica der Dichter und der theo^
logia physica, d. h. der Spekulation der Philosophen. Die Beschränkung
auf Rom war schon durch die Beschaffenheit der Quellen gegeben. Mag
es auch das letzte Ziel der Forschung sein, von einer Betrachtung der
römischen Staatsreligion vorzudringen zur Erkenntnis der italischen Volks-
religion, so kann man sich doch darüber einer Täuschung nicht hingeben,
dass dies Ziel gegenwärtig und für absehbare Zeit ein völlig unerreich-
bares ist. Was uns von der Religion der Umbrer, Osker, Sabeller, La-
2. GeBohiohtlioheB. 13
tiner, Etrusker und anderer italischer Stämme durch authentische Zeug-
nisse überliefert ist, ist im Gesamtinhalte so dürftig, die einzelnen Nach-
richten sind so verzettelt und so wenig benutzbar, die zeitliche Fixierung
gegebner Thatsachen ist so schwierig und unsicher, dass es zur Begrün-
dung einer halbwegs klaren Vorstellung von der Religion des ältesten
Italiens ausserhalb Borns nicht entfernt ausreicht, zumal sich häufig das,
was wir anfangs für altitalisches Gemeingut religiöser Anschauung hielten,
als Entlehnung von Rom her herausgestellt hat. Die weitaus wichtigste
und umfangreichste Urkunde ausserrömischen italischen Gottesdienstes, die
Tafeln von Iguvium, beweisen mit den zahlreichen Rätseln, die sie uns
aufgeben, aufs deutlichste, wie wenig trotz mancher frappanten Überein-
stimmungen die Kenntnis römischer Sakralverhältnisse ausreicht, um uns
für die Religion eines andern italischen Stammes das Verständnis zu er-
schliessen, und gegenüber den andern Stämmen ist unsere Lage eine noch
weit ungünstigere, da sich mit den wenigen aus Inschriften bekannten
Göttemamen kaum etwas anfangen lässt und auch für die Religion der
Etrusker die scheinbare Fülle der Zeugnisse über den Mangel einer zu-
verlässigen und zusammenhängenden Überlieferung nicht hinwegzuhelfen
vermag. Es war selbstverständlich geboten, für die vorliegende Darstel-
lung alles über die Religionen der italischen Stämme Bekannte zu ver-
werten, soweit es entweder auf Herkunft und Auffassung der römischen
Gottheiten Licht zu werfen im Stande war oder sich die Entlehnung oder
Anpassung auf der einen oder andern Seite nachweisen liess; die Gesamt-
aufgabe des Werkes jedoch anstatt auf die römische Staatsreligion auf
die italische Gesamtreligion richten, hiesse das Ziel in eine Nebelwelt
rücken, durch welche nicht mehr die Sterne der historischen Wissenschaft,
sondern nur die Irrlichter schweifender Hypothese den Weg weisen. Auch
für die späteren Zeiten der geschichtlichen Entwicklung musste die nahe-
liegende Versuchung abgewiesen werden, anstatt einer Darstellung der
römischen Religion eine solche der religiösen Verhältnisse im römischen
Reiche zu geben und die in den einzelnen Provinzen unter ganz ver-
schiedenartigen historischen Voraussetzungen erwachsenen Erscheinungen
zu einem gemeinsamen Bilde zu verarbeiten, dessen Einheitlichkeit und
Geschlossenheit nur durch Preisgabe der wesentlichen und charakteristi-
schen Einzelzüge erkauft werden könnte. Die Religionsgeschichte der
römischen Provinzen in dem Geiste zu schreiben, der den fünften Band
von Mommsens Römischer Geschichte beherrscht, bleibt eine lockende und
lohnende Aufgabe der Zukunft; der vorliegenden Darstellung kommt es
nur zu, darzulegen, welchen Einfluss das Anwachsen des Reiches und die
Kulte der unterworfenen Nationen auf die Ausgestaltung der römischen
Staatsreligion ausübten.
Litteratar. J. A. HARTimo, Die Religion der Römer nach den Quellen dargestellt,
2 Bde., Erlangen 1886. R. H. Klaüsbn, Aeneas und die Penaten. Die italischen Volks-
reb'gionen unter dem Einflasse der griechischen dargestellt, 2 Bde., Hamburg und Gotha
1889, 1840. J. RuBiKO, Beiträge zur Vorgeschichte Italiens, Leipzig 1868. L. Pbbllbb,
Römische Mythologie, Berlin 1858; 2. Aufl. von R. Kobhler, 1865; 8. Aufl. von H. Jobdan,
2 Bde., 1881—88. L. Kbahnbb, Grundlinien zur Geschichte des Verfalls der römischen
Staatsreligion bis auf die Zeit des August, Halle 1887; Art. Penates in Ersch u. Grubers
AUgem. Encycl. Sect. III Bd. XV (1841) S. 409 ff.; M. Terentii Varronis Curio de cultu
14 BeUgion und KnltiiB der Römer. Einleitang.
deorom, Friedland 1851; Die Sage von der Tarpeja nach der üeberlieferung dargestellt,
Friedland 1858 u. a. m. R. Mbbkel, De obscuris Ovidii Faatorum, in seiner Ausgabe von
Ovids fasti, Berolini 1841 (darin p. CVI— GGXLVII Fragmentsammlnng von Varrros Anti-
quitates remm divinamm). J. A. Ambrosch, Stadien und Andeutungen im Gebiete des
altrömischen Bodens und Cultus, 1. Heft, Breslau 1839 ; De sacerdotibus curialibus diaser-
tatio, Vratislaviae 1840; Observationum de sacris Romanorum libris particula prima, Vratis-
laviae 1840; Ueber die ReligionsbQcher der Römer, Bonn 1843 (vorher in der Bonner
Zeitschr. f. Philos. n. katbol. Theol. N. F. lll 1842); Prooemium quaestionum pontificalium,
Vratislaviae 1847; Quaestionum pontificalium caput 1 .. II .. III, Vratislaviae 1848, 1850,
1851. L. Mbrcklih, Die Cooptation der Römer. Eine sakralrecbtliche Abhandlung, Mi tau
. und Leipzig 1848; Ueber die Anordnung und Einteilung des römischen Priestertums (M^>
langes gr^co-romains I 305 ff.)f 1852. £. Luebbbbt, Gommentationes pontificales, Berolini
1859. J. Marquabdt in W. A. Bbckbr und J. Mabqüardt's Handbuch aer röm. Altertümer,
Bd. IV, Leipzig 1856; neue Bearbeitung: J. Mabqüabdt, Römische Staatsverwaltung Bd. III
(= Mabqüabdt-Mommsbn, Handb. d. röm. Altertümer Bd. VI), Leipz. 1878; 2. Aufl. besorgt
von G. WissowA, 1885. Th. Mommsen, Fasti anni luliani mit seinen Commentarii diumi,
im CIL P (1863) p. 293 ff. = P (1893) p. 203 ff.; Die Römische Chronologie bis auf Caesar,
Berlin 1858, 2. Aufl. 1859; Elömische Forschungen, Band II, Berlin 1879 und zahlreiche
Einzelabhandlungen (ein bis 1887 reichendes Verzeichnis bei K. Zangbmeistbr, Theodor
Mommsen als Schriftsteller, Heidelberg 1887). A. von Domaszbwski, Die Religion des
römischen Heeres (Westdeutsche Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst Bd. XIV), Trier 1895. H.
JoBDAK, Vesta und die Laren auf einem pompejanischen Wandgemälde, Berlin 1865; Sym-
bolae ad historiam religionum Italicarum, I und II, Regimonti 1883, 1885; Der Tempel
der Vesta und das Haus der Vestalinnen, Berlin 1886 und viele Einzeluntersuchungen in
den Annali dell* Institute archeol. (insbesondere 1862, 300 ff. 1872, 19 ff. 1885, 105 ff.), im
Hermes, in der Ephemeris epigraphica, in Eönigsberger Universitfttsprogrammen u. s. A.
Rbiffbbschbii), Annali d. Instit. archeoL 1863, 121 ff. 361 ff. 1866, 210 ff. 1867, 352 ff. u. a.
H. Nissen, DasTemplum. Antiquarische Untersuchungen, Berlin 1869; dazu Weiterführungen
im Rhein. Mus. N. F. XXVlll 1873, 513 ff. XXIX 1874, 369 ff. XL 1885, 38 ff. 328 ff.
XLU 1887, 28 ff. W. Mannhabdt, Wald- und Feldkulte, Bd. II: Antike Wald- und Feld-
kulte aus nord-europäischer Üeberlieferung erläutert, Berl. 1877; Mythologische Forschungen,
herausgegeben von H. Patzio (= Quellen und Forschungen Bd. LI), Sfarassburg 1884 (ins-
besondere S. 72 ff. 156 ff.). H. Usbneb, Italische Mythen, Rhein. Mus. N. F. XXX 1875,
182 ff.; Göttemamen, Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896.
A. Pbbunbb, Hestia- Vesta. Ein Cyclus religionsgeschichtlicher Forschungen, Tübingen 1864
(dazu auch Philologus XXIV 1865, 243 ff.). W. H. Roscheb, Studien zur vergleichenden
Mjrthologie der Griechen und Römer. I ApoUon und Mars. II Juno und Hera, Leipzig
1873, 1875. — Die auf die römischen Götter bezüglichen Artikel in dem von W. H. Ro-
SCHBB herausgegebenen Ausführl. Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (seit
1884 im Erscheinen) rühren von E. Aüst, Th. Bibt, R. Pbteb, W. H. Roscheb, H. Stbu-
DiNO, G. WissowA u. a. her. Jahresberichte über römische Mythologie von A. Pbeuneb,
Jahresber. über die Fortschr. d. klass. Altertumswissensch. VII (1876) 65 ff. 144° ff. XXV
(1891) 394 ff. A. Bouch^-Lbolebcq, Revue de l'histoire des religions II 1880, 352 ff., nachher
regelmässig fortgesetzt von G. Lafayb und später von A. Audollent.
Ueber die Religionen der italischen Stämme : K. 0. Möllbb, Die Etrusker. Neu be-
arbeitet von W. Debokb, 2 Bde., Stuttgart 1877. W. Debcke, Etruskische Forschungen.
Viertes Heft: Das Templum von Piacenza, Stattgart 1880 (dazu Nachtrag ebd. Fünftes
Heft, Stuttgart 1882 S. 65 ff.); Die Falisker, Strassburg 1888. F. Buecheleb, Umbrica,
Bonnae 1883. H. Jobdan, Quaestiones Umbricae, Regimonti 1882. Th. Mommsen, Die unter-
italischen Dialekte, Leipz. 1850. Für die Osker mannigfache Anregungen bei H. Nissen,
Pompejanische Stadien zur Städtekunde des Altertums, Leipz. 1877, sowie in zahlreichen
Aufsätzen F. Bueobblebs, namentlich Rhein. Mus. N. F. XXXIII 1878, 1 ff.
Erster Teil.
Überblick über den Entwicklungsgang der römischen
Religion.
Erster Abschnitt.
Die Religion der ältesten Zeit bis zur Erbauung des
kapitolinischen Tempels.
3. Die di indigetes. Die älteste und wichtigste Unterscheidung
des römischen Sakralrechtes ist die zwischen di indigetes und di noven-
sides oder, wie sie später mit geläufigem Lautübergange hiessen, novensilea.^)
War auch in der augusteischen Zeit die Bedeutung dieser Bezeichnungen
den meisten unklar geworden,^) so lässt doch sowohl die Bildung der
Worte wie ihre Anwendung in alten sakralen Formeln den ursprünglichen
Sinn noch mit hinreichender Deutlichkeit erkennen : wenn in der Devotions-
formel bei Liv. YIII 9, 6 nach der Nennung von Janus, Juppiter, Mars,
Quirinus, Bellona, Lares die nach römischem Ritus am Schlüsse erforder-
liche Oesamtanrufung der Götter in der Form geschieht di novensiles, di
indigetes, divi quorutn est potestas nostrorum hostiumque, so geht daraus
mit Sicherheit hervor, dass di indigetes und di novensiles zwei sich gegen-
seitig ausschliessende, aber auch zugleich zusammen den Oesamtkreis der
römischen Staatsgottheiten umfassende Götterklassen sein müssen; auch
in der Eidesformel bei Diodor XXXVII 17 Bekk. hat man in den am Schlüsse
angerufenen xtiiTtat yeYet'rjfibvoi vrjg ^Pw^rfi tjfiix^eot und <rvvav^ij(ravTeg tfj%'
T^ysfioviav avtfjg f^Qfoeg eine wenn auch schiefe Wiedergabe der Ausdrücke
di indigetes und di novensides zu erkennen. Unrichtig ist dabei die unter
dem Einflüsse der griechischen Heroenlehre enstandene Bezeichnung als
7ifu&€0€ oder r^fmeg^ dagegen vollkommen zutreffend die Auffassung der
') üeber die beiden Namensformen s.
JoBDAH, Krit. Beitr. S. 45; SsBUCAimy Aas*
Sprache des Latein 8. 310; im allgemeinen
IfABqvABDT, Rom. Staatsverw. III 86.
*) Erschöpfende AnfzAhlang der alten
nnd modernen Dentungsversnche der Indi-
getes bei R. Pbtbr, Roschers Lexikon II
132 ff.; hinzugekommen sind seitdem F.
Stolz, Archiv f. lat. Ijexikogr. X 151 ff.
(vgl. 384). F. Bbchtbl, Bezzenb. Beitrftge
XXII 282 f.
16
Beligion und Kultus der ROmer. !• BeligionBgesehiohte.
einen als der ursprünglichen Gottheiten der römischen Gemeinde, der an-
dern als später hinzugekommener; diese Scheidung ist auch in den Namen
indigetes = indigenae, ivdoyerslg und novensides von novus und inses^ etwa
= vsonoiXxai deutlich ausgesprochen. Dieselben Klassen von Gottheiten
meint TertuUian (ad nat. II 9), wenn er unter Vermeidung der unverständ-
lich gewordenen alten Namen zwischen di publici und adventicii scheidet, ')
von denen die ersteren einen Altar auf dem Palatin, also in dem alier-
ältesten Bezirke der Stadt, die letzteren einen auf dem Caelius (bei der
Kapelle der Göttin Carna) besässen; dieses wird demnach ein Altar der
di novensides gewesen sein, wie wir solche durch erhaltene Inschriften
aus Pisaurum und dem Marserlande kennen.') So sondert sich auch inner-
halb des Ki*ei6es der römischen Staatsgötter Patriziat und Plebs; beide
Klassen, die alten Götter wie die neueingebürgerten, stehen im vollen Ge-
nüsse des sakralen Bürgerrechtes, aber auf verschiedner rechtlicher Grund-
lage und unter strenger Scheidung beider Kreise; nicht nur die gleich-
zeitige Zugehörigkeit zu beiden Gruppen ist ausgeschlossen, sondern auch
der Übertritt aus der einen in die andere: der Kreis der di indigetes gilt
von einem bestimmten Zeitpunkte an als abgeschlossen, alle die zahl-
reichen Aufnahmen neuer Kulte vermehren nur die Klasse der di noven-
side^.^) Die erste Aufgabe römischer Religionsforschung muss demnach
die Ermittlung des ursprünglichen Kreises der di indigetes bilden. Die
historisch-antiquarische Überlieferung der Alten lässt uns für die Beant-
wortung dieser Frage ganz im Stich ; selbst die ältesten aus Bruchstücken
und Anführungen bekannten sakralen Urkunden und Formeln, wie z. B.
die rituellen Gesänge der Salier und Arvalbrüder, sind dafür nur mit Vor-
sicht zu gebrauchen, da sie im Laufe der Zeit manche Veränderungen
erfahren haben; so kam in dem Gesänge der Salier eine der ältesten rö-
mischen Götterordnung sicher fremde Gottheit, Minerva, vor (Paul. p. 3).
Eine sehr wichtige Quelle bildet die Ordnung des römischen Priester-
wesens: während der gesamten republikanischen Zeit sind neue Priester-
tümer nicht geschaffen worden — denn die Einsetzung der Vllviri epu-
lones im J. 558 = 196 geschah nur zur Entlastung der Pontifices und
bedeutet nicht sowohl eine Neugründung als eine Verstärkung dieses .Gol-
legiums — , ihre Entstehung reicht durchweg in eine Zeit zurück, aus
der wir eine authentische Überlieferung nicht besitzen. Sehen wir von
den Ilviri sacris faciundis ab, die nachweislich jünger sind als die übrigen
Priesterschaften, so dürfen wir diese letzteren, d. h. die Pontifices (mit
Einschluss der zu ihnen gehörigen Vestalinnen, Flamines und des Rex
sacrorum^)), die Augures, die Fetiales und die Genossenschaften der Lu-
perci, Salii, Titii und Arvales, unbedenklich für die di indigetes in An-
spruch nehmen und von der Voraussetzung ausgehen, dass zugleich mit
') Vgl. auch Augustin. c. d. III 12. II 4.
Tertull. apol. 25.
•) CIL 1 178. IX p. 349 (Zvbtaiepp, Inscr.
Ital. med. dial. nr. 37). Eine Weihuog an
die di indigetes CIL X 5779.
°) Ganz analog war in Athen die Schei-
dung von iBQtt naTQia and ini^Bxa, Aristot.
"A&. noX, 3, 3.
*) Dass dieser erst nach Aufhebung der
monarchischen Staatsform eingesetzt ist,
kommt hier insofern nicht in Betracht, als
ihm während der Königszeit ein bestimmter
Funktionskreis des Königs selbst entspricht.
A« Aelteste Zeit. 8. Die di indigeies. 17
dem Kreise dieser Götter auch der der Priesterschaften geschlossen wurde.
Soweit daher die altrömischen Priestertümer dem Dienste einzelner, noch
zu ermittelnder Gottheiten gewidmet sind, wie z. B. namentlich die Fla-
niines, dürfen wir diese Gottheiten als zu den indigetes gehörig betrachten.
Aber unser Wissen von den letzteren würde ein überaus geringes sein,
wenn wir nicht in der durch die Steinkalender uns aufbewahrten ältesten
römischen Festtafel eine authentische Urkunde besässen, die uns einen
annähernd vollständigen Überblick über denjenigen Götterkreis gewährt,
den die römische Gemeinde in der ältesten auf dem Wege historischer
Forschung erschliessbaren Periode ihres Bestehens verehrte. Wir kennen
durch diese Urkunde den Kreis der im Laufe des Jahres ständig wieder-
kehrenden Festtage der ältesten Religionsordnung, und da von diesen
Feriae ein grosser Teil schon durch den Namen die Zugehörigkeit zu dem
Kulte bestimmter Gottheiten kundgibt, während dieselbe für eine bedeu-
tende Anzahl andrer durch unverdächtige Zeugnisse 0 sichergestellt wird,
so gewinnen wir eine lange Reihe von Götternamen der ältesten Zeit,
während die Lage und Anordnung der Feste im Jahre uns gleichzeitig
oft über die Bedeutung der betreffenden Gottheit und die Zusammen-
gehörigkeit mancher Kulte unter einander Auskunft gibt. Die so ge-
wonnene Götterliste lässt sich noch auf manche Weise ergänzen. Einmal
enthält die Festtafel nur die ständigen Feste, während die ebenfalls all-
jährlich wiederkehrenden Wandelfeste (feriae conceptivae), die aus andern
Nachrichten bekannt sind und ihrer Entstehungszeit nach sicher hinter
den feriae statae der Festtafel nicht zurückstehen, von ihr ausgeschlossen
bleiben (Compitalia, Sementivae, Ambarvalia u. a.); dasselbe scheint von
denjenigen Festen zu gelten, die von der Gemeinde nicht in ihrer Gesamt-
heit, sondern nach ihren verschiedenen Gliederungen pro mo7Uibus, pagis,
curiis, sacellis (Fest. p. 245) gefeiert werden (Septimontium, Paganalia,
Fomacalia); endlich vermissen wir in dem Verzeichnis der Feriae einige
durch zuverlässige Naffhrichten und durch das bei ihnen zur Anwendung
kommende Ritual als uralt charakterisierte Sta^tsfeste, deren Auslassung
darin ihren Grund hat, dass sie auf die Kalendae oder Idus fielen oder mit
andern Feiertagen zusammentrafen und darum in den Hemerologien, da sie
auf die Benennung des Tages und seinen rechtlichen Charakter keinen
Einfluss mehr hatten, nicht vermerkt wurden: sichere Beispiele eines der-
artigen Zusammenfallens zweier Feste bieten der 17. März (Liberalia und
Agonium Martiale) und der 15. Oktober (Juppiterfeier der Idus und Mars-
opfer des Oktoberrosses), doch lässt sich die Zahl solcher Fälle durch
wahrscheinliche Kombination noch bedeutend erhöhen.*) Auf Grund all
dieser Ermittlungen kann man etwa folgende Götterreihe für die älteste
Periode der römischen Religion zusammenstellen (ich füge die zuge-
hörigen Priester und Feste bei und gebe die Namen derjenigen Götter,
für welche die Festtafel keine ständigen Feriae verzeichnet, in cursivem
Druck) :
0 Namentlich Varro de 1. 1. VI 12 ff. | tafel.
und die erläuternden Beischriften der Fest- | *)Wi8sowa, De feriis anni Rom. p. XI ff.
Huidboch der klan. Altertamswlmenacbaft. Y, 4. 2
18
Beligion und Kultus der BOmer. I. Beligionsgesohichte.
Anna Perenna
Carmenta (Flamen Carmentalis)
Carna
Ceres (Flamen Cerialis)
Consus
Diva Angerona
Falacer (Flamen Falacer)
Faunus (Luperci)
Flora (Flamen Floralis)
Föns
Furrina (Flamen Furrinalis)
Janus (Rex sacrorum)
Juppiter (Flamen Dialis, Fetiales,
Augures)
Larenta
Lares
PLemures
Liber
Mars (Flamen Martialis, Salii)
Mater Matuta
Neptun US
Ops
Pales, Palatua (Flamen Palatualis)
Pomona (Flamen Pomonalis)
Portunus (Flamen Portunalis)
Quirinus (Flamen Quirinalis)
Robigus
Saturnus
Tellus
Terminus
Vejovis
Vesta (Virgin es Vestales)
Volcanus (Flamen Volcanalis)
Volturnus (Flamen Volturnalis)
Fest am 15. März
Carmen talia II. 15. Januar
Fest am 1. Juni
Cerialia 19. April
Consualia 21. Aug. und 15. Dez.
Divalia 21. Dez.
Luper calia 15. Febr.
Florifertum (?)
Fontinalia 13. Okt.
Furrinalia 25. Juli
Agonium 9. Jan. Sühnopfer am l.Okt.
(tigiUum sororium)
Festtage : alle Idus ; Vinalia 23. April
und 19. Aug. Meditrinalia 11. Okt.
Poplifugium 5. Juli. Fest am
23. Dez.
Larentalia 23. Dez.
Compitalia
Lemuria 9. 11. 13. Mai
Liberalia 17. März
Festtage: Equirria 27. Febr. und 14.
März. Fest am 1. März. Agonium
Mnrtiale 17. März. Quinquatrus
19. März. Tubilustrium 23. März
(und 23. Mai ?). Opfer des Oktober-
rosses 15. Okt. Armilustrium
19. Okt. Ambarvalia
Matralia 11. Juni
Neptunalia 38. Juli
Opieonsivia 25. Aug. Opalia 19. Dez.
Parilia 21. April
Portunalia 17. Aug.
Quirinalia 17. Febr.
Robigalia 25. April
Saturnalia 17. Dez.
Fordicidia 15. April. Feriae Semen-
tivae
Terminalia 23. Febr.
Agonium 21. Mai
Vestalia 9. Juni
Volcanalia 23. August
Volturnalia 27. August,
Manches bleibt in dieser Göttertafel dunkel und unsicher, z. B. ob
das Fest Lemuria auf Götter des Namens Lemures zu schliessen erlaubt
oder die allgemeine Bezeichnung eines Totenfestes enthält, wie die Feralia
A. Aelteste Zeit. 3. Die di indigetes.
19
am 21. Februar; ebenso kann man im Zweifel sein, ob Feste wie Fontinalia,
Terminalia, Robigalia als Festfeiern bestimmter Götter Föns, Terminus,
Robigus zu fassen sind, oder nach Analogie des Uainfestes der Lucaria
(19. 21. Juli) schlechthin als Feste der Quellen, des Orenzbeganges, der
Bitte um Abwehr des Kornbrandes ; für manche Götter gewinnen wir auf
diese Weise nichts mehr als den später verschollenen und uns unverständ-
lichen Namen (Falacer, Furrina), andre, die in der späteren Religions-
entwicklung eine grosse Rolle spielen, haben nachweislich in dieser ältesten
Periode unter dem gleichen Namen eine ganz andre Bedeutung gehabt,
ohne dass es uns möglich wäre, dieselbe mit Sicherheit zu ermitteln
(Liber, Neptunus). Aber so zahlreich die Lücken und Unsicherheiten sein
mögen, die Festtafel bietet doch eine ganz unschätzbare Grundlage, von
der aus wir die zerstreuten Zeugnisse und Angaben über altrömische
Gottheiten zu sichten, zu würdigen und zur Ergänzung heranzuziehen im
stände sind. Es ist eine Eigentümlichkeit der altrömischen Religion, die
Ctötter paarweise zusammenzustellen, so dass entweder dieselbe göttliche
Funktion oder zwei sich ergänzend gegenüberstehende Wirkungskreise
in einem Götterpaare, einem männlichen und einem weiblichen Repräsen-
tanten, verkörpert erscheinen. So zeigt die Verbindung der entsprechenden
Festfeiern im Kalender, dass Gonsus und Ops ein derartiges Paar bilden,
für Janus und Yesta geht das Gleiche aus einer Reihe von Zügen ihres
Kultes hervor, andre Paare geben sich schon durch die Namensformen
als zusammengehörig zu erkennen, Jovis (Juppiter) und Jovino (Juno),^
Faunus und Fauna, Liber und Libera, noch andre werden uns aus alten
Gebetsformeln der Pontificalschriften (Gell. XUI 23) überliefert, wie Mars
und Nerio, Neptunus und Salacia, Quirinus und Hora, Satumus und Lua,
Volcanus und Maja: von den weiblichen Gottheiten dieser Paare haben
nur Ops und Vesta eine eigne Vertretung in der Fest- und Priester-
ordnung erhalten, die übrigen sind im Kulte mit ihren männlichen Ge-
nossen zusammen verehrt worden und neben ihnen so in den Hintergrund
getreten, dass weitaus die meisten früh verschollen sind und nur die Ver-
ehrung der Juno, zum Teil unter Aufnahme ausserrömischer Kultelemente,
eine selbständige Entwicklung genommen hat! Dieselben Gebetsformeln
zeigen uns aber auch, dass man gern um eine Gottheit einen Kreis unter-
geordneter, dienender Gottheiten gruppierte, so wie noch bei den Piacular-
opfern der Arvalbrüder neben den höheren Gottheiten auch die famuli divi
ihr Opfer erhalten;^) als solche famuli oder, wie sie in der sakralen Sprache
heissen, anculi und anculae (Paul. p. 19) der betreffenden Götter werden
wir die Virites Quirini und Moles Martis ansehen dürfen, und wahrschein-
lich haben in einem ähnlichen Verhältnisse die Camenae zu Carmenta,
die divae Comiscae zu Juno u. a. gestanden. Das Gefühl für eine gewisse
Abstufung der göttlichen Macht, das sich in dieser Annahme dienender
Gottheiten kundgibt, zeigt sich auch darin, dass man unter den Opfer-
priestem flamines maiores und minores unterscheidet:^) die drei flamines
maiores verwalten den Dienst von Juppiter, Mars und Quirinus, und dieser
«) Vgl. CIL I 813 = VI 357 mit Momm
Biors Erkllrang.
') Hbnzbn, Acta fratr. Arval. p. 145.
') Marquardt, Staatsverw. III 326 f.
2*
20 Religion nnd Kultna der BOmer. L Beligionsgeschiobte.
Dreiverein von Göttern ist es auch, der uns in den verschiedensten, aus
ältester Zeit stammenden sakralen Formeln als der leitende entgegentritt.*)
Auf derselben Voraussetzung beruht auch die noch am Ausgange der
Republik geltende Rangordnung der höchsten Priester, der zufolge der
Rex sacrorum allen voranging, dann die Flamines Dialis, Martialis, Quiri-
nalis folgten und der Pontifex maximus den Schluss machte (Fest. p. 185):
je weniger das den thatsächlichen Macht- und Bedeutungsverhältnissen
der einzelnen Priester in späterer Zeit entspricht, mit um so grösserer
Sicherheit hat man in dieser Abfolge eine Spiegelung der in ältester Zeit
geltenden Anordnung der durch die verschiedenen Priester vertretenen
Gottheiten erkannt und daraus die Reihenfolge Janus, Juppiter, Mars,
Quirinus, Vesta erschlossen:*) die herrschende Göttertrias wird von dem
Paare Janus -Vesta umrahmt nach der noch bei den Opfern der Arvalen
befolgten uralten Sakralvorschrift, dass bei allen Götteranrufungen Janus
den Anfang machen und Vesta den Schluss bilden müsse.') Im Qbrigen
ist die ursprüngliche Rangordnung der ältesten Gottheiten nicht mehr im
einzelnen zu ermitteln; nur dass Consus und Ops nächst den genannten
fünf Gottheiten eine hervorragende Stelle im Kulte eingenommen haben
müssen, wird man daraus schliessen dürfen, dass ihnen je zweimal im
Jahre Feste gefeiert werden.
Litteratur: Mommsbk, CIL P p. 375 ff. = P p. 297 ff. Ph. E. Huschke, Das alte
römische Jahr und seine Tage, Breslau 1869. G. Wissowa, De feriis anni Romanorum
vetustissimi observationes selectae, Marpurgi 1891; De dis Romanorum indigetibus et no-
vensidibus disputatio, Marpurgi 1892.
4. Allgemeiner Charakter der altrömischen Religion. Die in dieser
alten Götterordnung sich offenbarenden religiösen Anschauungen sind
schlichte und einfache, es spiegeln sich in ihr die Interessen einer in
Ackerbau und Viehzucht, in harter Arbeit und endlosen Kämpfen lebenden
Gemeinde. Von einer unmittelbaren Verehrung der zu persönlicher Vor-
stellung erhobenen Mächte und Erscheinungen der Natur zeigen sich keine
Spuren, nirgends finden wir eine Hindeutung auf einen Gestirndienst,
Sonne und Mond, Sturm und Gewitter, Meeresrauschen und Waldesdunkel
haben die religiöse Phantasie der Römer nicht in erkennbarer Weise an-
geregt. Ebensowenig aber sind es ethische Ideen, die in den Göttern
verkörpert sind : die grosse Zahl von Abstraktionen, von göttlich personi-
fizierten Eigenschaften, die wir in späteren Perioden der religiösen Ent-
wicklung in Rom antreffen und als charakteristisch für die römische
Denkweise anzusehen gewöhnt sind, fehlt hier noch vollständig. Sämt-
liche Gottheiten sind sozusagen rein praktisch gedacht als wirksam in all
denjenigen Dingen, mit denen der Römer im Gange des gewöhnlichen
') Im Ritual der Salier Serv. Aen. VIII
663; beim Abschlüsse des foedua durch die
Fetiales Polyb. III 25, 6; in der Devotions-
formel Liv. VIII D, 6; bei der Weihung der
Spolia opima Fest. p. 189. Plut. Marceil. 8.
Serv. Aen. VI 860; wenn in der letztgenannten
liehe Trias scheint an der Spitze des am-
brischen Göttersystems gestanden zu haben ;
denn in den iguvinischen Tafeln führen die
drei Götter Juppiter, Mars und Vofionus den
auszeichnenden Beinamen Grahovius,
^) Ambbosch, Quaest. pontific. I p. 3 ff.
Formel Festus anstatt Quirinus den Janus ' Mbbcklin, M^Ianges gr^coromains I 319 ff.
Quirinus nennt, so erweisen die andern bei- I Mabqüardt, Staatsverw. 111 27.
den Zeugen das als ein Versehen. Eine ahn- i ^) Hbnzen, Acta fratr. Arval. p. 144. 147.
A. Aeliesie Zeit. 4. Allgemeiner Charakter der altröm. Religion. 21
Lebens zu thun bat; die örtlicbe Umgebung, in der er sich bewegt, die
verschiedenen Thätigkeiten, die ihn in Anspruch nehmen, die Ereignisse,
die das Leben des einzelnen wie der Gemeinde bestimmend gestalten,
sie alle stehen unter der Obhut klar gedachter Gottheiten mit scharf
umgrenzten Machtbefugnissen. All diese Götter existieren nur als Gott-
heiten der römischen Gemeinde, die ihnen auf Grund einer ein für allemal
eingegangenen Verpflichtung die schuldige Verehrung zollt und dafür er-
warten darf, dass auch jeder Gott innerhalb seines Kompetenzbereiches
das Seinige thue, um ihr Wohl zu fördern und Übles von ihr abzuwehren.
Selbst der allumfassende Uimmelsgott Juppiter erhält seinen bestimmten
Wirkungskreis angewiesen: er schickt Regen und Sonnenschein, jedes zu
seiner Zeit, und fördert so das Gedeihen der Felder und vor allem der
Weinberge, er gibt durch Blitz und Donner Zustimmung oder Missbilligung
zu erkennen und lenkt damit die Entschliessungen der Gemeinde zum
Besten, er ist überall sichtbar und daher der gegebene Zeuge bei jeder
Abmachung und Vereinbarung und überall, auch in der Schlacht und
ausserhalb der römischen Feldmark, bereit, das Wohl der Gemeinde zu
schützen; ebenso ist Tellus dem Römer nicht etwa die urewige Mutter
des Menschengeschlechtes, sondern die göttliche Verkörperung seines Ackers,
der die Saat empfangt und die Frucht trägt. Noch deutlicher tritt in
allen übrigen Göttern die ganz spezielle Beziehung auf die eigne Um-
gebung und Thätigkeit hervor: Haus (Janus, Vesta) und Flur (Lares),
Wald (Faunus) und Weide (Pales), Quell (Föns) und Fluss (Volturnus)
.sind unter den Göttern eben so vertreten, wie Aussaat (Saturnus) und
Ernte (Consus, Ops), Wachstum (Ceres), Blüte (Flora) und Frucht (Pomona);
auch der Wandel der-Zeiten, wie er sich im Jahreswechsel (Anna Perenna)
und im Zunehmen der Tage (Angerona) darstellt, findet seinen Ausdruck,
und bei der Geburt (Mater Matuta, Carmenta), wie beim Tode (Larenta,
Cama, Vejovis) des Menschen treten bestimmte Götter in Wirksamkeit;
die grosse Rolle, die der Krieg im Leben der jungen, noch um ihre Exi-
stenz kämpfenden Gemeinde spielt, spiegelt sich wieder in der Doppel-
verehrung des Kriegsgottes (Mars, Quirinus) und in der grossen Zahl stän-
diger Marsfeste, aus denen man sieht, dass der Feldzug wie Aussaat und
Ernte zu den alljährlich regelmässig wiederkehrenden Ereignissen zählt.
Wie in Mars nicht nur der Vorkämpfer der Gemeinde, der die römischen
Waffen zum Siege führt, verehrt wird, sondern auch der furchtbare Ver-
heerer der Fluren und Saaten, den man mit Gebet und Opfern anfleht^
von der römischen Feldmark fern zu bleiben, so sichert die Verehrung
von Volcanus und Robigus gegen die schweren Gefahren, die durch Feuers-
brunst und Misswachs drohen. Sehr bezeichnend ist das bereits deutlich
hervortretende Streben nach Spezialisierung der göttlichen Funktionen:
im Hause erhalten Thür (Janus) und Herd (Vesta) eigne Verehrung, ausser
dem Gotte des Flusses wird ein eigner Schützer des Landungsplatzes (Por-
tunus) verehrt, der Grenzstein auf dem Acker untersteht der besondern
Obhut des Gottes Terminus. Im inneren Betriebe des Kultus kam dieses
Streben, jede einzelne Seite einer Thätigkeit einem bestimmten Gotte zu-
zuweisen^ noch viel mehr zum Ausdrucke, wie die von den Pontifices zu-
22
Beligion und Kaltus der Römer. I. BeligionsgeBohiohte.
sammengestellten und aufbewahrten Litaneien (indigitumenta) zeigen:^) so
werden beim Beginne der Aussaat für das Gedeihen der Feldfrucht vom
Flamen Cerialis nicht weniger als zwölf göttliche Mächte angerufen, je
eine für jede auf dem Acker vorzunehmende Thätigkeit vom ersten Brach-
pflügen bis zum Einfahren und Verwenden des fertigen Getreides (Serv.
Georg. I 21); die in dieser nämlichen Richtung thätigen grossen Götter
Tellus und Ceres, Robigus und Flora, Satumus und Consus erscheinen in
dieser Liste nicht, die überhaupt keine göttlichen Eigennamen, sondern nur
lauter von den Arbeiten des Landmanns gebildete nomina agentis enthält
( Vervactorem, Reparatorem [?], Imporcüorem, Insitorem, Obaratorem, Occatorem,
SarrUorem, Subruncinatorem, Messorem, Convectorem, Conditorem, Promitorem).
Entsprechend haben sich auch in Gebetsformeln, die andre Anlässe (Geburt,
Tod, Hochzeit) betrafen, solche Reihen von Anrufungen um das feste Gefüge
der staatlichen Götterordnung gerankt, ohne dass wir festzustellen vermöch-
ten, in wie weit die Ausbildung dieser Litaneien, die von der antiken Gelehr-
samkeit als eine Schöpfung des Numa in Anspruch genommen werden, schon
dieser ältesten Periode zufällt; nur so viel steht sicher, dass auch die Folge-
zeit noch zur Ausgestaltung dieser Listen beigetragen hat^) und dass es sich
bei denselben nicht um Schaffung neuer Götter, sondern nur um begriffliche
Zerlegung des Wirkens der göttlichen Macht handelt. In ganz ähnlicher
Weise zeigt sich der Spezialisierungstrieb bei den Gottheiten örtlich be-
grenzter Kompetenz: wenn der Staat nur einen Gott aller Quellen (Föns)
und einen aller ,sich dahinwälzenden^ Flüsse (Volturnus) verehrt, so schliesst
das nicht aus, dass man sich in jeder Quelle, jedem Flusse, ebenso wie
auf jedem Berge und in jedem See, eine eigne Gottheit waltend vorstellt,
die der einzelne verehren und die auch der Staat, wenn er dazu Veranlassung
findet, in den Kreis seiner Götter aufnehmen kann. Vor allem aber haben
einzelne Gottheiten die Fähigkeit, sich ins Ungezählte zu vervielfältigen:
der Staat verehrt die Laren seiner Feldflur und die Yesta als Schützerin
des Staatsherdes, aber auf jedem Grundstücke walten eigne Laren und
an jedem Herde eine eigne Yesta, denn wie der Staat, so hat auch jedes
Haus seine Götter für sich; dass auch der Waldgott Faunus in ähnlicher
Weise differenziert wurde, wird dadurch wahrscheinlich, dass Silvanus,
der in der Folgezeit an seine Stelle getreten ist, oft durch individualisierende
Beinamen als Gott eines einzelnen Grundstückes (z. B. Silvanus Naevianus)
bezeichnet wird. Aber wie in jeder Örtlichkeit, jeder Handlung, so waltet
endlich auch in jedem Individuum eine eigene göttliche Macht, der Genius,
die sich zu ihm ebenso verhält, wie Vesta zum Herdfeuer oder Satumus
zur Thätigkeit des Säens: dass wir dem Genius im Staatsgottesdienste
der ältesten Religionsordnung nicht begegnen können, ist selbstverständlich,
denn diese Vorstellung haftet am einzelnen Menschen, und die Anschauung,
*) Die reiche Litteratur über diese ist
voUstflndig verzeichnet ond exzerpiert bei
R. P£TBB in Roschers Lexik. 11 129 ff., dazu
neuerdings R. Aoahd, Jahrb. f. Phüol. Suppl.
XXIV 130 ff.
') Das gilt erweislich von den Qöttem
der Kupfer- und Silberprägung Aescolanus
und Argentinus, während bei Einführung der
Goldprägung in Rom ein eigner Gott (etwa
Aurinus) nicht mehr gesch^en wurde (Au-
gustin. c. d. IV 21. 28).
A. Aelteate Zeit. 4. Allgemeiner Charakter der altröm. Beligion.
23
dass es auch einen Genius populi Romani gebe, hat sich erst sehr viel
später herausgebildet.
Die grosse Anzahl von Götternamen und die unbegrenzte Menge gött-
licher Wesen, denen wir in der altrömischen Religion begegnen, beruht also
keineswegs auf einer besonderen Vielseitigkeit der religiösen Vorstellungen,
sondern nur auf dem Bedürfnisse, im Nächstliegenden und Alltäglichen das
göttliche Walten zu erkennen und sich mit ihm in Einklang zu setzen.
Die beschränkte Anschauung, dass alle diese Götter nur für den römischen
Staat da sind, schliesst eine Vertiefung in die Fragen nach den ersten
Gründen alles Daseins vollkommen aus. Eine kosmogonische Sage konnte
es nicht geben, denn die römischen Staatsgötter, die doch die Träger
einer solchen sein müssten, treten erst mit und nach der Schöpfung eines
römischen Staates in die Erscheinung; über das was früher war, gibt
weder Dogma noch Sage Auskunft.^) Ein Alters- und Rangunterschied
kann unter den Göttern nicht durch Zeit und Art ihres Auftretens bei der
Weltschöpfung oder innerhalb der Göttergeschichte bedingt sein, sondern
nur dadurch, dass sie früher oder später in den Kreis der römischen
Staatsgottheiten eingetreten sind, und nach der Wichtigkeit, die ihr Wirken
für die Wohlfahrt des Staates hat. Persönliche Eigenschaften und indi-
viduelle Züge gehen diesen an den Orten und Dingen haftenden Göttern
naturgemäss völlig ab, sie stehen nebeneinander ohne jede andere Ver-
knüpfung, als die, welche durch die Nachbarschaft und Ähnlichkeit ihrer
Wirkungskreise gegeben ist: vor allem fehlen der römischen Religion
alle Vorstellungen von Götterehen und Göttergenealogien; was die spätere
.Zeit von solchen zu berichten weiss, beruht durchweg auf freier dichterischer
Erfindung oder auf gelehrter Kombination. Die oben (S. 19) berührten
paarweisen Verbindungen einzelner Gottheiten verschiedenen Geschlechtes
sind keine Götterehen, denn sie ermangeln durchweg des Nachwuchses;
ebenso wenig erlauben die Beinamen pater und mater, welche den meisten
Gottheiten dieses ältesten Kreises in den rituellen Formeln zukommen^) und
oft mit dem Eigennamen völlig verschmelzen (vgl. ausser Juppiter nament-
lich Mater Matuta, deren Fest nicht Matutalia, sondern Matralia heisst), an
Götterfamilien zu denken : diese Beinamen kennzeichnen vielmehr nur das
Verhältnis, in dem die Götter zu der sie verehrenden Gemeinde stehen.^)
Plastische menschenähnliche Gestalt haben die Götter dieser ältesten Zeit
nie angenommen; wenn einzelnen von ihnen heilige Tiere zukommen, so sind
dieselben nicht, wie vielfach im griechischen Mythus, als die Begleiter der
in Menschengestalt auftretenden Götter zu denken, sondern als Angehörige
des ihnen zufallenden Machtbereiches, die darum als ihre Vertreter und
als Zeichen ihrer unsichtbaren Gegenwart zu gelten haben: in diesem
*) Bekaontlich ging Varro in der Ein-
leitung seiner atUiquUates verum divinarum
davon ans, dass die Lehre von den res di-
nach der von den res humanae zu
vtnae
behandeln sei, weil erstere als eine Institu-
tion des Staates notwendig jflnger sein müss-
ten als der Staat (Angust c. d. YI 4).
') A. Znizow, Der Yaterbegriff bei den
römischen Gottheiten, Pyritz 1887; vgl. na-
mentlich das bekannte Laciliusfragment 8
Baehr. nemo sit nostrum quin atU pater op-
timus divom aut Neptunus pater, Liber, ^-
tumus pater, Mars, lanus, Quirinus pater
siet ac dicatur ad unum (sämtliche aufge-
zählten sind d% indigetes) und Gell. V 12, 5.
') JoBDAK, Tempel der Yesta S. 58.
24
Religion und Kultas der Römer. I. Religionsgesohiohte.
Sinne sind die Vögel des Himmels internuntii lovis, ebenso wie den Laren
als Flurgöttern der Wachthund, dem im Hause waltenden Genius die
Schlange (als beliebtes Haustier) heilig ist. Es ist nicht zufällig, dass die
spärlichen Reste italischer Sagenbildung, wie sie in den Stammsagen ein-
zelner Völker (Picenter, Hirpiner, Samniten) vorliegen, von den heiligen
Tieren des Mars, Specht, Wolf und Pflugstier, nicht aber von einem persön-
lichen Eingreifen des Gottes zu berichten wissen.
Je mehr diese ganze Götterordnung auf die Bedürfnisse und Interessen
der römischen Gemeinde beschränkt ist, um so sicherer dürfen wir aus
ihr Rückschlüsse machen auf die zur Zeit ihrer Geltung in Rom herrschenden
Kulturzustände. Ackerbau, Viehzucht und Krieg sind offenbar diejenigen
Beschäftigungen, die ausschliesslich oder ganz überwiegend geübt werden ;
dass der Tiber bereits als Verkehrsstrasse dient, zeigt die Verehrung des
Portunus an der Landungsstelle innerhalb des Stadtgebietes; dagegen
scheint die See noch nicht in den Gesichtskreis der Römer getreten zu
sein, da der später mit Poseidon identifizierte Neptunus ursprünglich mit
Meer und Meerfahrt nichts zu schaffen hat. Gewerbliche Thätigkeit und
Handelsverkehr, deren Pflege schon in frührepublikanischer Zeit unter
dem Schutze von Minerva und IkJ!ercurius blüht, sind in dem alten Götter-
systeme noch unvertreten, ebenso wie auch die nachmals in den Wechsel-
fällen eines bewegten Staatslebens in mannigfacher Form verehrte Fortuna
fehlt. Aber auch jeden politischen Zug vermissen wir : im internationalen
Verkehr von Gemeinde zu Gemeinde, der der Natur der Sache nach selten
ein anderer als kriegerischer ist, vertreten Juppiter, Mars und Quirinus
vereint den römischen Staat, ohne dass sich aber bei der Verehrung des
Juppiter die Vorstellung von einer ordnenden und staatserhaltenden Macht,
wie sie sich später im Kulte des Juppiter Optimus Maximus wie in dem
des Juppiter Latiaris deutlich ausspricht, irgendwie geltend machte. Die
Ausgestaltung dieser Ideen erforderte einen weiteren Horizont, wie er
damals der römischen Gemeinde sich noch nicht bot.
Litteratur: Mommsen, Elöm. Gesch. I* 160 ff G. G. Zumpt, Die Religion der
Römer, Berlin 1845. E. Zeller. Religion und Philosophie bei den Römern, 2. Aufl., Berlin
1872 = Vorträge und Abhandlungen fl 93 ff. Madvig» Verfassung und Verwaltung d.
röm. Staates II 580 ff.
5. Alter und Entstehung der ältesten Götterordnung. Die im
Yoranstehenden charakterisierte Gestaltung der römischen Religion reprä-
sentiert die älteste für uns zu ermittelnde Phase ihrer Entwicklung, aber
sie ist an sich keineswegs etwas ursprüngliches, sondern das Ergebnis
eines historischen Prozesses, dessen Zeitdauer wir kaum annähernd richtig
abzuschätzen vermögen und dessen Einzelheiten sich wohl immer unserer
Kenntnis entziehen werden.^) Denn wir befinden uns jenseits jeder Über-
lieferung, und die bis ins einzelne ausgeführten Erzählungen der antiken
Pseudohistorie, so sehr sie auch selbst nach Niebuhr die moderne Auf-
fassung beeinflusst haben, können uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass
^) Sicher sind eine grosse Anzahl von
Göttern bereits vor Aufstellung der Fest-
tafel wieder verschollen, so dass nur un>
sichere Indizien noch von ihrer einstigen
Bedeutung zeugen, z. B. das alte Götterpaar
Gacus und Caca (vgl. Wissowa, Real-Encycl.
III 1165 f.) und manche andre der unten
in § 36 behandelten Gottheiten.
A. Aelieste Zeit. 6, Alter und Entstehung der ältesten Götterordnnng. 25
auch die gelehrtesten und besonnensten antiken Forscher über die Anfänge
der römischen Religion ebensowenig wie über die ganze römische Ur-
geschichte eine authentische Überlieferung besassen und in Ermanglung
aller zu sicheren Schlüssen berechtigenden Anhaltspunkte allein auf Hypo-
these und Konstruktion angewiesen waren. Man hat sich bestrebt, alle
die Götter und Kulte, deren Aufnahme in Rom vor dem Beginne schrift-
licher Aufzeichnungen erfolgt war und die demgemäss als uralt galten,
nach wirklichen oder vermeintlichen Alterskriterien in eine ungefähre Ab-
folge zu bringen und ihre Einführung gruppenweise über die verschiedenen
Generationen der römischen Vorzeit und Königsgeschichte, wie sie durch
die landläufige Überlieferung allen geläufig war, zu verteilen; so wurde
jedem der latinischen und römischen Könige sein Anteil zugewiesen, von
Evander (oder dem mit ihm gleichgesetzten Faunus) bis auf die tarquinische
Dynastie ging keiner leer aus, wenn auch Evander, Romulus, Tullus Uo-
stilius, Ancus Marcius hinter Titus Tatius und Numa Pompilius weit zurück-
stehen mussten: ersteren machte eine durch den Reatiner Yarro zu fast
kanonischer Geltung gelangte Hypothese zum Träger der sabinischen Ein-
flüsse, die man im römischen Kulte in weitem Umfange zu erkennen
glaubte,') auf letzteren wurde der weitaus grösste Teil der altrömischen
Religionsordnung zurückgeführt und er verdankt seinen Platz in der römi-
schen Königsliste nur dem Bedürfnisse, neben dem Begründer des Staates
und seiner politisch-militärischen Ausstattung auch einen Stifter der Staats-
religion und ihres Ceremonialgesetzes zu besitzen.') Sehen wir von der
Verknüpfung der einzelnen Götter und ihrer Verehrung mit den völlig
unhistorischen Personen der römischen Königslegende ab, so ist gewiss
nicht zu leugnen, dass sich in der antiken Überlieferung oft eine ganz
richtige Anschauung von den relativen Altersverhältnissen der verschiedenen
Kulte ausspricht, aber auf der andern Seite werden die haltlosesten und
verkehrtesten Erklärungen mit ganz derselben Sicherheit vorgetragen —
z. B. wenn Varro die Veranlassung zur Gründung des bereits der ältesten
Festtafel angehörigen Festes des Poplifugium in Ereignissen der gallischen
Invasionszeit findet^) — und wir sind völlig ausser Stande, das Wahre vom
Falschen zu scheiden und etwa durch Aussonderung des nachweislich
Erfundenen und Irrigen zu einem Grundstocke echter und wertvoller Über-
lieferung zu gelangen. Wohl aber lässt eine genauere Prüfung des
durch den ältesten Festkalender uns bekannten Götterkreises innerhalb
desselben manche Altersunterschiede erkennen. Besonders wichtig ist es,
dass mehrere der Namen dieses Kreises von Haus aus nicht Eigennamen
sind, sondern Beinamen älterer Götter ; dies gilt namentlich von Portunus,
der sich von Janus als Vertreter einer besonderen Funktion dieses Gottes
abgespalten hat, ferner von Liber und Terminus, die wir ursprünglich als
Benennungen Juppiters kennen, die aber zur Zeit der Aufstellung der
Festtafel bereits ihre Selbständigkeit erlangt haben, endlich sogar von
einem der Götter der leitenden Trias, Quirinus, dessen Name sich als
^) Ambrosch, Studien u. Andeutungen
S. 159 ff. ; über die Tatiuslegende vgl. Momm-
BBii, Hermes XXI 570 ff.
•) Vgl. ScHWBOLER, Rom. Gesch. I 551 f.
') Die Zeugnisse bei Mommssn CIL I*
p. 320.
26 Beligion und Knltus der Römer. I. Religionsgeschichte.
Beiwort des Janus, Juppiter und Mars nachweisen lässt und aller Wahr-
scheinlichkeit nach durch Trennung von letzterem Gotte zu selbständiger
Bedeutung gekommen ist. Auch sonst bietet die Bildung der Götter-
namen, unter denen sich besonders wirkliche Eigenamen (Jovis, Mars),
zu diesem Range erhobene Appelativa (Janus, Ops, Tellus) und adjectivische
Bildungen (Neptunus, Yolcanus) scheiden lassen, vielleicht noch manchen
Anhaltspunkt zur Bestimmung ihres Alters, ebenso wie auch die der Fest-
bezeichnungen bei vorsichtiger Benützung einige Ausbeute ergeben dürfte:
als ältester unter den Namen der feriae pMicae darf agonium gelten, da
wir hier keinen Eigennamen vor uns haben, sondern eine einfache Be-
zeichnung der Opferhandlung ohne Rücksicht auf die Gottheit der dieselbe
gilt, 0 so dass die vier im Kalender mit diesem Namen bezeichneten Tage
(9. Januar, 17. März, 21. Mai, 11. Dezember) sämtlich verschiedenen Gott-
heiten zukommen; ebenso tragen Bildungen wie Quinquatrus (ursprünglich
ebensowenig wie agonium ein Festname, sondern blosse Datumsbezeich-
nüng^)), Regifugium, Poplifugium, Tubilustrium, Armilustrium, Equirria einen
älteren Charakter an sich, als die grosse Menge der von den Götternamen
abgeleiteten Bildungen auf -alia (Saturnalia, Opalia, Larentalia), von denen
sich wieder die mit derselben Endung von Appellativa gebildeten Namen
(Vinalia, Meditrinalia, wohl auch Lupercalia) als besondere Gruppe abheben.
Aber diese Grundlage ist vorläufig noch zu unsicher, um darauf weiter-
gehende Folgerungen zu bauen, so dass wir bei dem gegenwärtigen Stande
unserer Hilfsmittel darauf verzichten müssen, das allmälige Anwachsen
des römischen Götterkreises Schritt für Schritt zu verfolgen. Vorläufig
nicht zu beantworten ist für uns besonders die überaus wichtige Frage:
welche religiösen Vorstellungen des altrömischen Glaubens beruhen auf
allgemein italischer Grundlage, welche sind Sondereigentum des latini-
schen Stammes oder gar erst im Schosse der römischen Gemeinde ent^
wickelt worden? unsere Kenntnis der Religionen der italischen Stämme
ist eine so dürftige und lückenhafte, dass wir bei jedem Schritte auf unüber-
windliche Schwierigkeiten stossen. Dass Juppiter und Mars und die mit
diesen Kulten verknüpften heiligen Bräuche der Himmelsbeobachtung und
Lustration bei den Umbrern ebenso zu Hause waren, wie bei den Latinem,
zeigen die iguvinischen Tafeln: aber die Verehrung der Vesta ist ausser-
halb Latiums nirgends in Italien nachweisbar, und wir würden geneigt
sein, sie für eine ganz ausschliesslich latinisch-römische Gottheit zu halten,
wenn nicht die Identität sowohl des Namens wie der Grundbegriffe bewiese,
dass dieselbe den Römern mit den Griechen gemeinsam ist, also natur-
gemäss auch allen Italikern bekannt gewesen sein muss.') Ebenso begegnen
uns charakteristische Züge der römischen Priesterordnung nicht nur in
den übrigen latinischen Gemeinden, sondern auch in weiterem Umkreise,
die Fetialen z. B. scheinen sich auch bei oskisch-sabellischen Stämmen zu
finden, und für die bei den fratres Arvales zu Tage tretende Auffassung
einer priesterlichen Genossenschaft als Bruderschaft bieten die einzige
Parallele die frater Atiieäiur von Iguvium : aber wie weit hier gemeinsam
0 MoMMSEN CIL I* p. 306. WiasowA, 1 *) Wissowa a. 0. p. X.
Pe feriis anni Rom. p. XII. 1 ') Jordan, Der Tempel der Vesta S. 78.
A. Aelteste Zeit. 5. Alter nnd Entstehung der ältesten Götterordnung. 27
italisches Erbgut reicht, wo die Entlehnung und Übertragung von Rom
aus beginnt, ist oft schwer oder gar nicht zu entscheiden, und die wichtige
Frage z. B., ob Name und Institut der pontifices italisches Gemeingut
oder latinische bezw. römische Sonderschöpfung ist, harrt noch heute der
Beantwortung. 0 Nur das lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass in dem
in der Festtafel zur Darstellung kommenden ältesten Götterkreise neben
den allgemein-italischen und latinischen Gottheiten diejenigen spezifisch
römischer Gestaltung bereits einen recht breiten Raum einnehmen, die
Fixierung der Festtafel also erst geraume Zeit nach der Aussonderung
der Römer aus dem latinischen Stamme erfolgt sein kann. Wir vermögen
stellenweise an den Kulten noch das allmälige Anwachsen der Stadt zu
verfolgen : der Umlauf der Luperci um den Fuss des palatinischen Berges
an den Lupercalia beweist, dass zur Zeit der Stiftung dieses Festes Rom
auf den Palatin beschränkt war, die Feier des Septimontium am 11. Dezem-
ber stammt aus einer Zeit, wo die Stadt sich über den Palatin, die Velia,
den Esquilin und den vorderen Teil des Caelius erstreckte;^) am wichtig-
sten aber für die Datierung der Fest^fel, für die uns die den Alten
geläufige Zurückführung auf Numa^) keinen Schritt weiter bringt, ist die
Verehrung des Quirinus an hervorragender SteUe: da dieser Kult 'untrenn-
bar am Qnirinalischen Hügel haftet, so kann die Ferienordnung erst nach
Einbeziehung dieses Hügels in das städtische Weichbild festgelegt worden
sein, und wir werden damit in die Zeit der Vierregionenstadt^) geführt.
Was uns über die Örtlichkeiten der ältesten Kulte bekannt ist, lässt sich
mit dieser Sachlage sehr wohl vereinigen : die Heiligtümer liegen auf dem
Palatin (Faunus, Pales), in den den Berg umgebenden Thälem, so nach dem
Flusse zu (Carmenta, Angerona, Larenta, Matuta, Portunus), am Forum
(Janus, Volcanus, Saturn us, Ops, Vesta), im Circusthale (Consus), dann
auf dem capitolinischen Berge (Juppiter, Terminus, Liber, Vejovis), auf dem
Caelius (Garna), zwischen Gapitol und Quirinal (Föns), endlich auf dem
Quirinal selbst (Quirinus, Flora) ; nur der Kriegsgott Mars hat seinen Altar
ausserhalb des Pomerium im Gebiete des imperium militiae, und die Feste
einiger Gottheiten finden in Hainen ausserhalb des Weichbildes statt, teils
in geringer Entfernung (Furrina, Anna Perenna), teils an den Grenzen
der römischen Feldmark (Robigalia, Ambarvalia). Wichtig für die Zeit-
bestimmung der Festtafel ist auf der andern Seite, dass sie der capitolini-
schen Trias (sowie des etwa gleichzeitig in Rom aufgenommenen Kultes
der Diana) nicht gedenkt, sowie dass wir in diesem Götterkreise noch
keiner einzigen griechischen Gottheit begegnen: denn wenn auch Ceres
und Liber schon verhältnismässig früh mit Demeter und Dionysos gleich-
gesetzt worden sind, so sind sie doch von Haus aus, wie ihre Namen be-
weisen, einheimisch italische Gottheiten ebensowohl wie Flora und Nep-
tunus, die ja ebenfalls später durch Aufnahme griechischer Elemente eine
völlige Umgestaltung ihres Wesens erfuhren. Wenn nun die alte Über-
lieferung sowohl die Gründung des capitolinischen Heiligtums als die Zu-
>) J)ß R088I, Bullett. d. Inst. 1884, 8.
*) O. RicHTBB, ^ Handb. III 753; über
den Stadtnmfang zur Zeit des Septiinontiain
s. WissowA, Satura Viadrina (1896) 1 ff.
») Liv. I 19, 7 u. a.
' *) 0. RioHTBB, Handb. III 754.
28 Religion und Ealtns der Römer. I. Religionsgeschichte.
lassung griechischer Kulte, wie sie sich in der Aufnahme der sibyllinischen
Bücher und der Einsetzung der Ilviri sacris faciundis ausspricht, dem
tarquinischen Eönigsgeschlechte zuweist, und man soviel als sicher an-
nehmen darf, dass beide Ereignisse vor Beginn der republikanischen Zeit-
rechnung an den Ausgang der Königszeit gehören, so führt uns die Fest-
tafel in eine jenseits dieser Periode liegende Zeit: will man die Erzählungen
der Alten von den Religionsstiftern der römischen Vorzeit so verstehen,
dass Numa auf der einen und die Tarquinier auf der andern Seite die
beiden vorrepublikanischen Entwicklungsphasen der römischen Religion
verkörpern, so mag man getrost, um einen Namen zu haben, die Ferien-
ordnung und das eben dargestellte Göttersystem als die Schöpfung des
Numa bezeichnen.
Litteratur: Gelehrte aber fast durchweg haltlose Kombinationen über die Ge-
schichte der ältesten römischen Kulte und ihren Zusammenhang mit der räumlichen Ent-
wicklung der Stadt bei 0. Gilbert, Geschichte und Topographie der Stadt Rom im Alter-
tum. Bd. I, Leipzig 1883.
6. Die Formen der ältesten Götterverehrung. Wenn Yarro an
einer oft citierten Stelle seines Logistoricus Curio de cultu deorum die Be-
hauptung aufstellte, dass die Römer über 170 Jahre lang ihre Götter ohne
Bilder verehrt hätten, und damit, wie richtig erkannt worden ist, 0 der ganzen,
vor der Gründung des capitolinischen Heiligtums liegenden Periode die
Kenntnis menschenähnlicher Götterbilder absprach, so findet diese Ansicht
in den sonstigen Zeugnissen ihre volle Bestätigung. Die Beschaffenheit
der altrömischen Göttervorstellungen schloss eine Darstellung in mensch-
licher Gestalt völlig aus, und bei der Anschauung, dass die Götter an
bestimmten Orten und Thätigkeiten hafteten, fiel überhaupt jedes Bedürfnis
nach einer gesonderten Darstellung der Götter fort: Thür und Herd waren
die Stätten, an denen Janus und Yesta walteten, ganz ebenso wie Quell und
Fluss die Sitze der Götter Föns und Volturnus sind, oder das Saatfeld
und der Grenzstein die der Tellus und des Terminus ; die Gottheit ist nur
im Gegenstande ihrer Wirksamkeit vorhanden, und für eine Trennung von
dieser, wie sie für die Schaffung eines Bildes notwendig ist, lag weder ein
Anlass noch eine Möglichkeit vor. Nur für diejenigen Gottheiten, deren
Machtbereich minder nahe und greifbar war, wünschte man sichtbare An-
zeichen und Bürgschaften ihres Waltens zu besitzen, und darum begegnen
uns im Kulte des Juppiter der heilige silex, das Abbild des Donnerkeils,
und in dem des Mars die heiligen Schilde {ancilia) und Lanzen: aber es
sind das nicht Symbole, in denen man die Gottheit verehrt, sondern Aus-
rüstungsstücke, welche die Priester dieser Götter (Fetiales und Salii) mit
sich führen und deren sie sich bedienen, wenn sie im Namen ihres Gottes
in Funktion treten. Die meisten Götter dieses Kreises haben auch später
eine bildliche Darstellung nie erhalten; diejenigen aber, die eine solche
plastische Ausgestaltung erfahren haben, sind zu derselben unter dem
Einflüsse griechischer Göttertypen und durchweg in erheblich späterer
Zeit gelangt, meist erst nachdem auch das innere Wesen und der Kult
der einzelnen Gottheiten bereits tiefgehende Umwandlungen erfahren hatten ;
*) Vgl. H. KsTTNBR, Varron. Stud. S. 57 f. Detlefs bn, De arte Roman, antiquiss. I 3 f.
A. Aelteste Zeit. 6. Formen der ältesten GOtterTerehrang. 29
auch vermeintlich uralte Götterbilder, wie das des Janus, machen davon
keine Ausnahme. Mit dem Götterbilde ist auch das Gotteshaus dem ältesten
Kultus fremd: erst der in menschlicher Gestalt gedachte Gott bedarf eines
Wohnhauses, der einfacheren Auffassung ist der Gott in den Gegenständen
seines Wirkens gegenwärtig, und jedes Saatfeld und jeder Herd bilden
eine Verehrungsstätte der Tellus und der Yesta : der Staat freilich braucht
für seinen Gottesdienst bestimmte heilige Lokalitäten, aber es genügt für
ihn, aus den zahlreichen Stätten der Wirksamkeit eines Gottes eine aus-
zuwählen, an der man sich ihn vornehmlich gegenwärtig und thätig denkt:
es sind entweder Haine (Anna Perenna, Furrina, Robigus) oder Altäre (Mars,
Saturnus, Consus) oder fana, d. h. heilige Bezirke mit unbedeckten Altären 0
(Carroenta, Carna u. a.). In der Art der Kultstätten gibt sich vielfach
das Wesen der betreffenden Gottheit deutlich zu erkennen: dem Wald-
gotte Faunus kommt die Wolfshöhle (Lupercal) am Palatin zu, der Altar
des Erntegottes Consus liegt unterirdisch in einer Grube, wie man sie als
primitive Aufbewahrungsräume für die Feldfrucht benützte, und ähnlich
ist es auch zu verstehen, wenn das Fest der Larenta, in deren Kult alles
auf eine Toten- und Unterweltsgottheit hinweist, angeblich an ihrem im
Yelabrum gelegenen Grabe stattfand. Manche Gottheiten scheinen eigne
Heiligtümer überhaupt nicht besessen zu haben ; die Feier der Ops an den
Opiconsivia wenigstens fand in einem Sacristeiraum (sacrarium) der Regia
statt, und ebenda wurden auch die heiligen Gegenstände, wie die ancilia
und hastae Martis, aufbewahrt. Nur Yesta hat ein bedecktes Heiligtum,
weil der Staatsherd mit seinem immer brennenden Feuer nicht unter freiem
Himmel stehen kann; aber auch später, als an Stelle des ursprünglich
jedenfalls sehr einfachen Baues ein steinerner Tempel getreten war, hat
sich dieser von allen übrigen nicht nur durch seine Form und seine kleinen
Dimensionen, sondern auch durch das Fehlen eines Tempelbildes unter-
schieden, weil er eben nicht als Wohnung der Göttin, sondern nur als
Obdach des heiligen Feuers gedacht war. Das sind die Stätten, die der
Staat auf seinem Grund und Boden [in loco publico) der Gottesverehrung
bestimmt hat und an denen seine Organe diejenigen Handlungen vornehmen,
durch welche die von ihm übernommenen religiösen Yerpflichtungen ihre
Erfüllung finden. Der einzelne Bürger, dem es natürlich unbenommen
bleibt, auch seinerseits an diesen Staatsaltären bei besonderem Anlass ein
Opfer zu bringen oder eine Yotivgabe zu spenden, genügt seinen laufenden
Nichten gegen die Gottheit innerhalb seines Eigentums; hier finden der
Genius des Hausvaters, die Laren des Grundstückes, die Yesta des Haus-
herdes ihre Yerehrung und neben ihnen die dl penates, d. h. die Gesamtheit
derjenigen Gottheiten, die in diesem einzelnen Haushalte als die Förderer und
Beschützer seines Wohlstandes und Gedeihens gelten. Die häusliche Gottes-
verehrung vollzieht sich überall in denselben Formen wie die staatliche,
den Staatsfeiertagen entsprechen in jeder Familie als feriae privatae die
Geburtstage und Totenfeiern der Angehörigen und sonstige Gedenktage;
analog den zur Lustration von Stadt und Feldmark von Staatswegen vor-
»J Vgl. JoKDAN, Hermes XIV 577.
30
Religion und Kultus der BOmer. I. Beligionsgeaohichte.
genommenen Sühnumgängen des Amburbium und der Ambarvalia vollzieht
jeder Grundeigentümer alljährlich für sein Gut die lustratio agri u. s. w.
Ueberall ist der Verkehr zwischen Mensch und Gottheit ein direkter, nir-
gends schiebt sich ein zur Vermittlung allein berechtigter Priesterstand
ein: die Speziaipriester der einzelnen Gottheiten sind deren Diener und
sichtbaren Stellvertreter, daher treten sie auch in einem dem Wirkungs-
kreise ihres Gottes entsprechenden Aufzuge auf, die Luperci des Faunus
als halbnackte Waldmenschen, die Salier des Kriegsgottes behelmt und
gepanzert, mit Speer und Schild, die Fetialen mit dem Scepter und dem
silex des Juppiter, und das umständliche Ceremoniell, welches die Vesta-
linnen und von den Flamines namentlich den Flamen Dialis und seine
Gattin umgibt, hat in derselben Anschauung seine Begründung: was der
einzelnen Gottheit fremd und feindlich ist, darf auch der sie vertretende
Priester weder thun noch sehen.
Was die Formen anlangt, unter denen die Götter verehrt werden,
so haben schon die Alten als charakteristische Merkmale der altrömischen
Religion auf der einen Seite die grosse Einfachheit der Ausstattung, auf
der andern die Peinlichkeit und Kompliziertheit des Rituals hervor-
gehoben.») Bei der grossen Stabilität, die allen Gebräuchen und Vor-
schriften religiöser Art in Rom noch mehr als anderswo innewohnt, zeigen
sich uns im sakralen Ceremoniell der späteren Zeit noch vielfach erstarrte
Überreste aus einer weit zurückliegenden Entwicklungsperiode: die beim
Bundesopfer der Fetialen vorgeschriebene Tötung des Opfertieres durch
einen Schlag mit einem Steine (.9t7ßx), der Ausschluss des Eisens von den älteren
Kulthandlungen zu Gunsten der Bronze, die alleinige Verwendung thö-
nerner, ohne Anwendung der Töpferscheibe gefertigter Gefasse zum >Jieili-
gen Gebrauche, Vorschriften wie die, dass das erloschene Feuer der Vesta nur
auf die alte Weise durch Reiben zweier Holzstücke wieder anzuzünden
sei, oder dass die Speltkörner zum Opferschrot nur gestossen, nicht gemahlen
werden durften,*) lassen uns in die Zeiten einer noch sehr primitiven Kul-
tur und entsprechend bescheidenen Gottesdienstes zurückblicken und zeigen,
wie früh die rituellen Formen ihre Feststellung erfahren haben. Dass die
dargebrachten Opfergaben im ältesten Staatskulte ebenso bescheiden waren,
wie sie es in der häuslichen Gottesverehrung auch in historischer Zeit
noch sind, zeigt der Dienst der Vestalinnen, von dem ein sehr wesentlicher
Teil darin besteht, die ältesten und einfachsten Nahrungsmittel, Spelt-
schrot {molu saha) und Salzlake {muries) für den Gebrauch beim Opfer
herzustellen. Unblutige Opfergaben, wie wir sie im Hauskulte finden,
Kränze, Abgaben von den Speisen des Tisches, Erstlinge der Feld- und
Baumfrüchte, Lichterspenden und einfaches Räucherwerk, haben sicher
in der ältesten Zeit auch im Staatsgottesdienst die Hauptrolle gespielt;
eine besonders beliebte Opfergabe waren Opferkuchen, für die verschie-
*) Cic. de rep. II 27: sacrorum aufetn
ipsorum diligentiam difficilem, apparatum
perfacilem esse voluit: nam quae perdiscenda
quaeque observanda essent, multa constituUy
sed ea sine hnpensa. Mehr bei Mabqcardt,
Staatsverw. III 6 f.
') Helbio, Die Italiker in der Poebene
S. 80 f. 86. 72. Jobdan, Der Tempel der
Vesta S. 80. Vgl. auch Mommskk. Grenz-
boten 1870 I 162.
A. Aelteste Zeit. 6. Formen der ältesten Götterrerehrnng. 31
denen Gottheiten nach Form und Benennung verschieden, ^ und der Flamen
Dialis war gehalten, stets ein Gefäss mit zwei Arten solcher Kuchen,
sirues und fertum, bei der Hand zu haben. ^) Aber auch Tieropfer sind trotz
gegenteiliger Behauptungen pythagoreisierender Gewährsmänner dem Gottes-
dienste des Numa nicht fremd, sondern bereits in mannigfacher Form ver-
treten: das Fest der Fordicidia hat seinen Namen von dem der Tellus
dargebrachten Opfer von fordae boves, d. h. trächtigen Kühen, das Opfer
des Ovis Idulis an Juppiter, des Rosses an Mars, eines Hundes an den
Lupercalia und Bobigalia u. a. gehören ohne Frage schon dieser ältesten
Zeit an und aus ihr stammen jedenfalls schon die Grundzüge des späteren
Opferrituals, welches für jeden Gott und jeden Anlass genaue Vorschriften
über Art, Geschlecht, Alter und Beschaffenheit der zulässigen Opfertiere
enthält. Wie unter den unblutigen Opfergaben Milch, Bohnen und Spelt
entsprechend den einfachsten Ernährungsverhältnissen auch später noch
in den aus ältester Zeit stammenden Kulten eine grosse Rolle spielen,')
so steht unter den Opfertieren das Schwein als das am meisten gehaltene
Haustier oben an,^) das bedeutendste Opfer bilden die aus Vertretern
aller drei Hauptarten des Viehstandes (Schwein, Schaf, Stier) zusammen-
gesetzten Suovetaurilia, wie sie dem Mars bei dem Flurumgange der Am-
barvalia und beim Lustrum dargebracht werden; auf ehemalige Menschen-
opfer weist keine sichere Spur hin, so sehr sich alte und neue Gelehrte
bemüht haben, Gebräuche der späteren Zeit aus solchen zu erklären.^) Die
Opfer bilden den Mittelpunkt jeder Festfeier, aber eine Menge anderer
Gebräuche umgeben dieselben: rituelle Tänze und Umläufe der Priester,
wie bei den März- und Oktoberfesten der Salier und an den Lupercalia,
Prozessionen, an denen sich ausser den Priestern auch die Staatsbeamten
und das Volk beteiligen (Robigalia, Ambarvalia); an den Consualia und
an den Marsfesten des 27. Februar, 14. März und 15. Oktober werden be-
reits Rennspiele gefeiert, aber in anderer Weise als später, nicht als be-
sondere SchausteUung, sondern als ritueller Akt, indem man zu Ehren des
Elmte- und des Kriegsgottes die ihnen besonders zukommenden Tiere,
das Zugvieh und die Streitrosse, rennen lässt.^) Oft gestalten sich diese
Featfeiern zu wahren Volksfesten, an denen sich die grosse Menge mit
allerlei alten Bräuchen und oft in ausgelassener Fröhlichkeit beteiligt;
letzteres gilt namentlich von den Festen, die für die Angehörigen be-
stimmter Verbände und Oertlichkoiten Bedeutung haben, wie die Terminalia
für die Grenznachbam, die Fornacalia für die Mitglieder der Curien, die
Compitalia für die Anwohner eines Compitum, die Feste des Septiniontium
und der Paganalia für die Berg- und Gaugenossen; das Fest der Anna
Perenna zeigt eine Reihe fröhlicher Neujahrsbräuche, während an dem
ursprünglichen Hirtenfeste der Parilia verschiedene Ceremonien der Reini-
gung und Sühnung von Mensch und Vieh vorgenommen werden. Aber
diese Beteiligung des Publikums ist für die allgemeinen Staatsfeste etwas
>) Marquardt, Staatsverw. III 169. i ^) Material bei Th. Roeprr, Lucnbra-
*) Gell. X 15, 14. I tionum pontificalium primitiae (Gedani 1849)
») HsLBiG a. a. 0. S. 70 f. ! 38 ff.
*) Varro de r. r. !l 4, 9. «j Mommsen, Rom. Forsch. II 42 f.
32 Religion und Knltns der Römer. I. Religionsgeschiohte.
Nebensächliches, die eigentliche ErftÜlung der an diesen Tagen fälligen
religiösen Verpflichtungen fällt den Organen des Staates zu, ebenso wie
auch die Unterabteilungen und lokalen Verbände, wie die Gurien oder
die montani und pagani durch ihre Vorsteher {curiones bezw. magist ri) unter
Mitwirkung eigener Priester (flamines) mit der Gottheit verkehren.
Sind demgemäss diejenigen Akte, durch welche der Staat wie der
einzelne den Göttern ihre Verehrung kundgeben, an sich weder besonders
mannigfaltig noch kompliziert, so zeigt sich die oft betonte Peinlichkeit
und Skrupulosität der altrömischen Anschauung in dem diese Akte um-
gebenden Ceremoniell und dem umfangreichen Apparate von Gebeten und
Formeln, der überall zur Anwendung kommt. Die Gottheit hat ein An-
recht darauf, immer genau in derselben Weise verehrt zu werden, in der
es von Alters her geschehen ist und die sie einmal acceptiert hat : da gibt
es keine Scheidung von Wichtigem und Nebensächlichem, sondern jede
Handreichung, jede Bewegung, jedes Wort müssen genau in der vor-
geschriebenen Weise erfolgen, wenn nicht die ganze Handlung ungiltig sein
soll. Daher die genauen Vorschriften über die jeder heiligen Handlung
vorangehenden Reinigungen, über die nach den einzelnen Kulten und Ge-
legenheiten verschiedenen Erfordernisse der Opfergaben, über Stellung und
Haltung des Betenden und Opfernden, vor allem aber über die in jedem
einzelnen Falle anzuwendenden Gebets- und Anrufungsformeln {carmina), deren
Zahl eine sehr grosse war. Für jeden Anlass existieren verschiedene, zu-
weilen in rhythmische Fassung gebrachte, öfter nur durch einen gewissen
Parallelismus der Glieder und durch feierliche Wiederholungen und Häu-
fungen synonymer Begriffe stilisierte Formeln, die der amtierende Priester
zur Anwendung bringt oder, falls ein Beamter des Staates die Kulthand-
lung vollzieht, diesem vorspricht, für Gelübde und Konsekration, für die
Inauguration und die Evokation der Götter aus einer belagerten Stadt, für all
die zahlreichen in regelmässiger Abfolge wiederkehrenden Anlässe bei Opfer
und Festfeier; ein Rest dieses reichen Schatzes von Gebeten und Formeln
sind noch die zahlreichen verba pontificalia, die der voll entwickelten Sprache
bereits fremd geworden waren und den späteren Gelehrten, z. B. Verrius
Flaccus, ein weites Feld für die Ausübung ihrer Deutungskunst boten. Denn
auch an der sprachlichen Form der Gebete durfte nichts geändert werden,
gleichviel ob sie dergestalt den Priestern selbst unverständlich wurden: die
Salier und Arvalbrüder haben bei der Absingung ihrer rituellen Lieder
sicher höchstens eine ganz dunkle Vorstellung von dem gehabt, was dieselben
besagten; aber jede Modernisierung des Textes würde das Gebet ebenso
wertlos gemacht haben, als wäre es völlig unterlassen worden. Ganz be-
sonders wichtig ist die Anrufung der Gottheit, sowohl was die Auswahl
der in jedem einzelnen Falle heranzuziehenden Götter anlangt, als auch
ihre Reihenfolge und die Form der Namensnennung: denn nur wenn er
in richtiger Weise angerufen wird, nimmt der Gott die ihm dargebrachte
Leistung als empfangen an, die geringste Verfehlung macht eine Wieder-
holung nötig, wenn man nicht dem Gotte das ihm Zukommende schuldig
bleiben will. Daher ist die Kunst, allzeit die rechte Gottheit in passender
Form anzurufen, zu grosser Fertigkeit ausgebildet, und ihr Ergebnis sind
B. Bie sum 2. pnniflohen Kriege. 7. Das oapitoliniBohe Heiligtum.
33
die unter Verwahrung der Pontifices stehenden indigitamenta; um aber in
jedem Falle gedeckt zu sein, fügt man in den Gebeten meist einen Vor-
behalt des Irrtums ein in der Form sive quo alio nomine fas est nominare^)^
oder man hütet sich, wenn man sich über Namen und Wesen der Gott^
heit, die bei dem augenblicklichen Anlasse einen Rechtsanspruch auf Be-
lücksichtigung haben könnte, nicht klar ist, überhaupt einen Namen zu
nennen und ersetzt denselben durch Wendungen wie sive deus sive dea^)
oder sive mos sive femina.^) Damit aber kein Berechtigter sich über Ver-
nachlässigung beklagen könne, schreibt das Ritual für jedes Gebet nach
Nennung der speziell in Betracht kommenden Götter eine generalis invo-
catio^) aller Gottheiten vor, entweder in der allgemeinen Wendung di
deaeque omnes oder ceieri di ceteraeque deae oder in einer Zusammenfassung
in bestimmte Gruppen, wie di omnes caelestes vosque terrestres vosque infemi
(bei der indictio belli durch die Fetialen Liv. I 32, 10) oder di indigetes
di novensides (s. oben S. 15) und vielen ähnlichen:') es ist auf diesen
Gebrauch zurückzuführen, das uns in Rom so zahlreiche Namen für der-
artige Zusammenfassungen einer Mehrzahl von Göttern begegnen, unter
welchen die der di penates und der di manes die wichtigsten und bedeute
samsten sind.
Litteratnr: Walz in Panlys Realencycl. VI 1 S. 430 ff. Pabllbb-Jobdan, Rom.
Mjthol. I 1C4 ff. WissowA, Neue Jahrb. f. d. klass. Altert. I 1898, 161 ff. Ueber die
ftltesten Formeln und carmina Jobdan, Erit. Beitr. z. Gesch. d. latein. Sprache S. 178 ff.
R. Pbtbr, Comment. philol. in honorem A. Reifferscbeidii (1884) S. 67 ff., der die gesamte
ftHere Litteratnr anführt. C. M. Zandbb, Versus Italici antiqui (Lundae 1890) S. 24 ff.
und p. CCV ff.
Zweiter Abschnitt.
Bis zum zweiten punischen Kriege.
7. Die Gründung des capitolinischen Heiligtumes und die gleich-
zeitigen Neuerungen. War die älteste römische Götterordnung den Inter-
essen und Bedürfnissen einer in engsten Verhältnissen lebenden kleinen
Stadtgemeinde angepasst, so wird in der nun folgenden Periode die Ge-
staltung der religiösen Verhältnisse dadurch bestimmt, dass Rom über
die städtischen Grenzen hinauswächst und sich durch allmälige Auf-
saugung der Nachbargemeinden und -Stämme, mag dieselbe sich durch
friedlichen Bündnisvertrag oder durch gewaltsame Unterwerfung vollziehen,
zu einem stetig wachsenden und zukunftssichern Staatswesen umbildet.
Die veränderten politischen Verhältnisse kommen auf sakralem Gebiete
*) Devotionsformel bei Macr. III 9, 10;
TgL Serv. Aen. 11 351. CIL XI 1823.
*) So bei den Arvalen CIL VI 2099 n 1. 3.
2104 a 2. 2107, 9, in der Evocationsformel
Maer. III 9, 7 und beim lueum eanlucare Cato
de agric. 139, femer auf den Altären CIL
VI 110. 111. XIV 3572. Notiz, d. Scavi 1890,
218. Ephem. epigr. V 1043; vgl. Gell. II 28.
liv. VII 26, 4. Amob. III 8. C. Pascal, Bull.
areheol. coman. XXII 1894, 188 ff. = Studii
di antichitä e mitologia p. 85 ff.
HAadbuch der Ua«. AltertamswiaKOBcbaft. V. 4.
») Serv. Aen. Tl 351. Plut. Q. R. 61.
Macr. lU 8, 3.
*) Serv. Georg, l 21; Aen. VIII 103.
s) Vgl. namentlich Plaut. Gist. 512 a/
Ua me di deaeque superi atque inferi et
medioxumi, ein Scherz, aus dem dann Apu-
leius (de dogm. Plat. I 11 p. 73, 14 Goldb.
= Serv. Aen. VIII 275. Mart. Cap. II 154)
und andre (Serv. Aen. III 134) ernsthaft eine
besondere Klasse di medioxumi gemacht
haben.
3
34
Religion und Kiiltne der BOmer. L BeligionsgMeliichie.
zum deutlichen Ausdrucke: die alte Göttertrias Juppiter, Mars, Quirinus
tritt zurück und erhält sich nur in den aus der älteren Zeit stammenden
Oebetsformeln ; an ihre Stelle tritt ein neuer Götterverein Juppiter, Juno,
Minerva, der auf der die Stadt beherrschenden Höhe seinen Sitz erhält.^)
Die Gründung dieses Tempels, die in mehr als einer Beziehung den Beginn
einer neuen Zeit bedeutet, wird von den Alten mit Einstimmigkeit auf
die tarquinischen Könige zurückgeführt:') die Überlieferung weist aber
derselben Dynastie auch eine Reihe anderer wichtiger Neuschöpfungen
auf religiösem Gebiete zu, die Erbauung des aventinischen Dianaheiligtums ^)
und die Stiftung des latinischen Bundesfestes,'') die Erwerbung der sibj'-l-
linischen Sprüche und die Einsetzung des Priestertums der Orakelbe wahrer,^)
die Erbauung des Circus sowie die Einführung der römischen Spiele*) und
des Triumphalceremoniells.^) So schwankend und willkürlich auch in
dieser Überlieferung die Verteilung der einzelnen Leistungen unter die
verschiedenen Könige des tarquinischen Hauses ist, so darf doch die un-
gefähre Gleichzeitigkeit und der innere Zusammenhang all dieser Neuerungen
als gesichert gelten, nicht weil es so überliefert ist, sondern weil eine Prüfung
der unanfechtbar feststehenden Thatsachen zu demselben Ergebnisse führt.
Unzweifelhaft ist zunächst, dass der Tempel der Diana auf dem Aventin
Bundesheiligtum* für Rom und die latinische Eidgenossenschaft war: noch
Dionysios von Halikarnass (IV 26) sah in diesem Tempel die Bundes- und
Festordnung auf einer Erztafel aufgezeichnet, und da wir wissen, dass
das Dianaheiligtum zu Aricia, von dem das römische eine Filiale darstellt,
das religiöse Zentrum eines latinischen Städtebundes bildete,^) so wird
man als sicher annehmen dürfen, dass durch die Übertragung dieses Diana-
kultes nach dem Aventin zugleich die sakrale Yorstandschaft dieses Bundes
an Rom überging [commune Latinorum Dianae templum Varro de 1. 1. V 43) :
wie durchweg die Erweiterung des römischen Götterkreises der fort-
schreitenden Ausdehnung der römischen Herrschaft parallel läuft, so spiegelt
sich hier in der Aufnahme der dem römischen Staatskulte bisher fremden
Diana der Beginn des Aufgehens der Latiner in Rom wieder. Dass dieses
Heiligtum das erste war, das unter neuen Verhältnissen auf Grund eines
ausgeführten Tempelstatutes in Rom gegründet wurde, beweist der Um-
stand, dass noch in der Kaiserzeit die lex arae Dianae in Aventino, und
nur diese, für allgemein wiederkehrende Bestimmungen das Vorbild ab-
gibt, auf welches andre Tempelsatzungen verweisen.^) Von diesem römisch-
latinischen Bundesheiligtume lässt sich aber die Einsetzung oder Er-
neuerung des Festes auf dem Albanerberge und die damit zusammen-
hängende Gründung des Tempels des Juppiter Latiaris»®) nicht wohl
') Vgl. Anrufungen der capitolinischen
Götter in Gebeten z. B. Liv, VI 20, 9. XXXVIII
51, 9; denselben Sinn bat es, wenn der rö-
mische Beamteneid der republikanischen Zeit
auf Juppiter 0. M. (und die Penaten) gestellt
ist (MoMMSEN, Abhandl. d. sächs. Gesellsch.
d. Wissensch. llf 460 f.).
') Zeugnisse bei Jordan, Topogr. 1 2 S. 8 f.
») Liv. I 45. Dion. Hai. IV 26 u. a.
*) Dion. Hai. IV 49.
») Dion. Hai. IV 62 und inehr bei
ScHWEGLBB, Röm. Gesch. I 773 f.
^) Liv. I 35. SoHWBOLBR a. a. 0. 1 674.
') Strabo V 220. Plut. RomuL 16. Plin.
n. h. XXXm 63 u. a.
') Cato bei Prise. IV p. 129. VII p. 337;
vgl. Beloch, Der ital. Bund S. 179 ff.
») CIL III 1933. XI 361. XH 4333.
*^) Die Ueberlieferung bezeichnet den
Tempel als eine Gründung entweder des
B. fiie nun 8. pnnisohen Kriege. 7. Das capitolinisohe Heiligtum. 35
trennen: beide Schöpfungen verfolgen dasselbe Ziel, die Dokumentierung
der Führerschaft Roms in Latium; kommt dieselbe auf der einen Seite
dadurch zum Ausdrucke, dass Rom den sakralen Mittelpunkt des latinischen
Bundes in seine Feldmark und unmittelbar vor die Grenzen des städtischen
Weichbildes legt, so erhält sie durch die Weiterführung der albanischen
Feier unter römischer Yorstandschaft eine Art nachträglicher historischer
Legitimation. Man darf mit Sicherheit annehmen, dass das früh zerstörte
Alba Longa an der Spitze eines die ganze latinische Nation umfassenden
Bundes, der also erheblich weiter reichte, als der nach Albas Fall an
seine Stelle getretene aricinische, gestanden hatte; diesem galten die in
dem Gebiete dieser Stadt auf dem Mens Albanus gehaltenen Festfeiem,
durch deren Wiederaufnahme Rom seine Hegemonie über das ganze nomen
Latinum zum Ausdrucke brachte; die erhaltenen Auszüge aus dem offi-
zieUen Verzeichnisse der an der Feier des Latiar teilnehmenden Gemeinden ^
zeigen, dass dieser Kreis das ganze Gebiet der prisci Latini umfasste und
dass darum die Erneuerung des gemeinsamen Festes unter römischer
Leitung auch neben der Überführung des aricinischen Bundesheiligtums
nach Rom noch ihre eigne hervorragende Bedeutung hatte. Die Erbauung
des Tempels des Juppiter Latiaris auf dem Albanerberge wird man, auch
abgesehen von der Überlieferung, an sich geneigt sein für gleichzeitig
mit der Wiederaufnahme der feriae Latinae zu halten, und die Aus-
grabungen haben jedenfalls die hohe Altertümlichkeit des Baues sicher
gestellt.') Diese spärlichen Trümmer lassen aber zugleich im Grund-
plane des Tempels und in der Bauweise eine so auffallende Überein-
stimmung mit den Überresten des capitolinischen Heiligtumes erkennen,
dass sich die Vermutung, beide möchten derselben Zeit angehören, nicht
wohl abweisen lässt. Diese Annahme findet in unverkennbaren alten Be-
ziehungen, welche zwischen beiden Heiligtümern obwalten, eine bedeutende
Stütze: das Bundesopfer weisser Stiere^) ist das nämliche, welches die
römischen Consuln am Tage ihres Amtsantrittes auf dem Capitol dar-
bringen/) die albanische Festfeier wirkt auch in Rom selbst nach, indem
während derselben auf dem Capitol ein Wagenrennen abgehalten wird,^)
als End- und Zielpunkt des Triumphzuges tritt der Tempel des Juppiter
Latiaris in derselben Weise auf, wie der capitolinisohe.^) Diese Erschei-
nungen finden eine zwanglose Erklärung nur durch die Annahme, dass
beide Heiligtümer ungefähr gleichzeitig und unter den gleichen histo-
rischen Voraussetzungen entstanden sind, das eine als Mittelpunkt des
wenigstens sakral geeinten Latium, der andere als Sitz der Götter der
Hauptstadt. In beiden Fällen ist es Juppiter, dem die Verehrung gilt,
auf dem Albanerberge als Schutzherr von Latium, auf dem Capitol als
der Höchste und Beste, der die Schutzgötter anderer Gemeinden eben so
weit überragt, wie Rom seine Nachbarstädte; ihm zur Seite steht nicht
Tarqainiiis Priscns (Dion. Hai. VI 95. Schol.
Cic. Bob. p. 255 Or.) oder des Tarquinius
Soperbos (Dion. Hai. IV 49).
') Pün. n. h. III 68 f. Dion. Hai. V 61.
Vgl. MoHHBRK, Hermes XVII 42 ff.
314 ff.; vgl. Annali 1871, 239 ff. und G. B.
DE Rossi, Annali 1873, 163 ff.
8) Arnob. II 68.
*) MoMMSEN, Staatsr. I 594.
*) Pün. n. h. XXVII 45.
>) M. St. DB RoBSi, Annali d. Inst. 1876, | «) Michaelis, Annali d. Inst. 1876, 113 ff.
3*
36 Religion und Enltiu der Römer. I. Religionsgesohiohte.
nur die schon in der älteren Anschauung ihm zugesellte Juno, sondern
auch als neue Genossin Minerva, und so entsteht eine Trias ganz andrer
Art als die alte von Juppiter, Mars, Quirinus. Die Herkunft dieses Götter-
vereins i) liegt im Dunkeln; die Ansicht, dass derselbe auf einer allgemein
italischen Kultanschauung beruhe, hat ihre Hauptstütze verloren, seitdem
erkannt ist, dass die zahlreichen CapUolia italischer und auswärtiger
Städte erst Nachbildungen des römischen sind und das Recht zur Grün-
dung eines solchen den coloniae vorbehalten war; die teils in ihrer Be-
deutung überschätzte, teils grundlos angezweifelte Thatsache, dass es
schon vor der Gründung des capitolinischen Tempels auf dem Quirinal
eine Kapelle von Juppiter, Juno, Minerva gab,*) beweist nichts weiter, als
dass dieser Götterverein schon eine Zeit lang vorher in bescheidnerer Form
in Rom Aufnahme gefunden hatte, ehe er die beherrschende Stelle auf
dem Capitol einnahm. Da sich in engster Verbindung mit dem capito-
linischen Kulte sowohl etruskische als griechische Einflüsse nachweisen
lassen, so ist es am wahrscheinlichsten, dass wir es mit ursprünglich
griechischen Vorstellungen zu thun haben, die durch Etrurien und wohl
nicht ohne dort vorgenommene Modifikationen an Rom übermittelt worden
sind: die etruskische Vermittlung erklärt es, dass der Kult ebensowenig
mehr als ein von Haus aus griechischer empfunden wurde wie z. B. der
über Tusculum nach Rom gelangte Dioskurenkult. Dass in Etrurien bei
der Städtegründung die Anlegung eines Stadtheiligtums von Juppiter, Juno
und Minerva erforderlich war, lehrte die disciplina Etrusca:^) die Gottheiten
sind alle drei italisch, ihre Verbindung aber wird sich entweder so er-
klären, dass die ganze, in Griechenland allerdings nur vereinzelt nachweis-
bare^) Trias Zevg, ''Hqa, Ad^rjvä von dort aus in Etrurien Aufnahme fand
und mit den genannten einheimischen Göttern gleichgesetzt wurde, oder
dass ebendaselbst nur Minerva unter dem Einflüsse der griechischen Vor-
stellungen von der Stadtgöttin Athene zu Juppiter und Juno gesellt worden
ist.^) Etruskischer Einfluss gibt sich sowohl in dem aus den Resten noch
deutlich erkennbaren Schema des Tempelgrundrisses ^) wie in der Deko-
ration des Gebäudes mit Thonreliefs und thönernen Verzierungen und dem
aus gleichen Materiale hergestellten Tempelbilde kund, so dass die Nach-
richten der Alten, die von der Mitwirkung aus Etrurien herbeigeholter
Künstler reden, von dieser Seite her als durchaus glaubwürdig erwiesen
werden.'') Da nun aber wieder die Ausstattung des Triumphators nach
der des Tempelbildes geformt ist und zum Teil geradezu von diesem ent-
lehnt wird,*) so gewinnt die Überlieferung, welche auch die Triumphal-
insignien aus Etrurien herleitet, eine besondere Bedeutung. Einen Teil
des Triumphzuges aber bilden ursprünglich die Festspiele, die erst als ludi
*) Varro erklärte Juppiter, Juno, Mi- | Dach den weiblichen Gottheiten der capito-
nerva für die ältesten Götter (Tertull. ad | linischen Trias durch M. Zbitlin, Revue de
nat. 11 12). I rhistoire des relig. XVII 1896, 320 ff. bringt
*) Varro de 1. 1. V 158; über das Capi- | nichts Neues,
tolium vetus s. Hülsen, Real-Encycl. III 1540. ' •) Vgl. darüber H. Deobrifo, Nachr. d.
») Serv. Aen. I 422; vgl. Vitruv. I 7, 1. ' Götting. Gesellsch. d. Wissensch. 1897, 153 ff.
*) Pausan. X 5, 1. ' ') Zeugnisse bei Jordan, Topogr. 12 8. 8 ff.
') Die ausführliche Erörterung der Frage ^) Marquabdt, Staatsverw. II 586 f.
B. Bis smn 2. pnnisohen Kriege. 7. Das oapitolinische Heiliginm. 37
magni oder votivi ausserordentlicher Weise, dann als ludi Romani ständig
gefeiert wurden und das Vorbild für alle später eingesetzten derartigen
Festfeiem wurden; wie der Triumph stehen sie im engsten Zusammen-
hange mit dem capitolinischen Kulte und schliessen sich darum, sobald
sie ständig geworden sind, unmittelbar an den Stiftungstag dieses Tempels
an; damit tritt auch diese Institution in den Kreis der unter etruskisch-
griechischem Einflüsse stehenden Neuerungen. In den Kellerräumlichkeiten
des capitolinischen Tempels endlich wurden bis auf Augustus die sibylli-
niscben Bücher aufbewahrt,^) jene Sammlung griechischer Orakelsprüche,
die, im Laufe der Zeit vielfach vermehrt und in ihrem Bestände verändert,
die Grundlage für die während dieser Periode sich vollziehende helleni-
sierende Umbildung des römischen Staatsglaubens und Staatsgottesdienstes
abgegeben hat und deren Hüter und Deuter, die Ilviri sacris faciundis,
auf diese Weise zu einer so hohen Bedeutung gelangten, dass sie neben
den altrömischen Staatspriestertümem als Vertreter des graecus ritus ihre
gleichberechtigte Stelle fanden. Verkörpert das oapitolinische Heiligtum
mit seiner künstlerischen Ausstattung und seinem Ceremoniell den auf dem
Umwege über Etrurien und in entsprechender Brechung und Verdunkelung
nach Rom gelangten griechischen Einfluss, so sind die sibyllinischen Bücher
Träger der unmittelbar von den Griechenstädten Italiens, in erster Linie
von Cumae aus, vordringenden griechischen Elemente, wie sich das deutlich
in einer scheinbaren Nebensache ausspricht: wie uns gut bezeugt ist,
waren es vejentische Handwerker, die Tempel und Götterbild des Capitols
schufen, während an dem ersten auf Grund sibyllinischer Weissagungen
in Rom erbauten Tempel, dem der Göttertrias Ceres, Liber, Libera, grie-
chische Künstler, Damophilos und Gorgasos mit Namen, thätig waren.')
Die Zeit, in der die hier aufgezählten überaus folgenschweren Neu-
erungen auf religiösem Gebiete erfolgten, lässt sich genau nicht bestimmen
und abmessen: nur soviel steht sicher, dass sie vor den Beginn der
republikanischen Zeitrechnung fallen und unter sich in einem so engen
innerlichen Zusammenhange stehen, dass sie, wenn sie nicht Schöpfungen
ein und derselben Person sind, so doch jedenfalls dem gleichen eng be-
grenzten und von denselben leitenden Gedanken beherrschten Zeiträume
angehören. Die Alleinherrschaft der alten di indigetes ist gebrochen.
Wie man zu der Zeit, als durch die servianische Verfassung eine für
Patrizier und Plebejer gemeinsame staatsrechtliche Grundlage geschaflfen
wurde, den Kreis der patrizischen Häuser derartig abschloss, dass die
Aufnahme neuer gentes nicht mehr erfolgte,') sondern alle Neubürger nur
die Plebs vermehrten, wie in der gleichen Zeit die Meinung zum Durch-
bniche kam, dass das Pomerium der Stadt, das früher wiederholt vor-
geschoben worden war, unverrückbar bleiben müsse, und so bei der wei-
teren Ausdehnung des angebauten Terrains oder sogar des Mauerringes
das neue Stadtgebiet nicht in die Weichbildsgrenze aufnahm, sondern
während der ganzen republikanischen Zeit (bis auf Sulla) als extra-
«) Dion. Hai. IV 62.
») Plin. n. h. XXXV 154; vgl. A. Philippi,
Jahrb. f. Philol. CVll 205 ff.
') MoMMSBN, Staatsrecht II L 82; vgl.
Rom. Forsch. I 71 ff.
38 Beligion nnd Enliaa der Bömer. I. BellgionageBchichte.
pomerial in gesonderter Rechtsstellung beliess, so hat man in derselben
Periode der geschichtlichen Entwicklung auch den Kreis der Stamm-
götter {di indigetes), der bisher mancherlei Zuwachs erfahren hatte, für
geschlossen erklärt und alles, was durch Aufnahme und Neuschöpfung
hinzukam, gewissermassen einem äusseren aber gleichberechtigten Kreise
von Staatsgottheiten, den di novensides^ zugewiesen. Alles das geschah
am Ausgange der Königszeit, und die Periode der di novensides in der
römischen Staatsreligion wird eröffnet durch den capitolinischen Kult und
die gleichzeitigen sakralen Neuerungen. Von der Thatsache, dass sich
am Ende der Königszeit eine tiefgehende Umwälzung in den religiösen
Verhältnissen des Staates vollzogen hatte, war den Alten eine Erinnerung
wohl geblieben, Geschichte und Hergang derselben im einzelnen war ihnen
jedoch nicht minder dunkel als uns: unverkennbar ist aber, dass eben
diese Umgestaltungen für die weitere Entwicklung der römischen Religion
die alleinige Grundlage abgegeben haben, und dass alles, was wir bis zum
Ausgange des 3. Jahrhunderts auf sakralem Gebiete in Rom sich voll-
ziehen sehen, nur geschieht in Weiterverfolgung der Bahnen, die durch
diese den tarquinischen Königen zugeschriebenen Reformen eröfifhet wurden :
die Religion der Tarquinier ist in den Grundzügen die des republikanischen
Rom bis zum hannibalischen Kriege.
Litteratur: Schweolbb, Rom. Gesch. I 673 ff. 696 ff. 706 f. 730 f. 770 ff. 792 ff.
Ambbosch, Stadien und Andeutungen S. 196 ff. 0. Weise, Rhein. Mus. XXXVI [1 551 ff.
Ueber Rom und Latium Momhsen, Staatsr. III 607 ff.; über ausserrömische Gapitole
0. EuHFBLDT, De Gapitoliis imperii Romani, Berolini 1883. A. Castan, Les Gapitoles pro-
vinciauz du monde romain, Besanfon 1886. De Rossi, Bull, archeol. com. XV (1887) S. 67 f.
E. AusT in Roschers Lexik. II 739 ff. Wissowa, Real-Encycl. III 1538 f.
8. Die Erweiterung des Kreises der römischen Staatsgötter,
Wie sich in den ersten drei Jahrhunderten des Freistaates die Ausbreitung
und Befestigung der römischen Herrschaft über ganz Italien (einschliess-
lich Siciliens) vollzieht, so dehnt sich ganz ebenso der Kreis der römischen
Staatsgötter dem Vorschreiten der äusseren Grenzen und der Verviel-
fältigung der auswärtigen Beziehungen entsprechend von Generation zu
Generation weiter aus. Die dem gesamten Polytheismus eigne Toleranz
gegen fremde Religionen ist von den Römern, die stets mit gewissen-
haftester Sorgfalt darauf bedacht sind, keinem göttlichen Rechtsanspruche
zu nahe zu treten, in besonders weitem Umfange geübt worden, natürlich
unter der Voraussetzung, dass dadurch die auf früher eingegangenen Ver-
einbarungen beruhenden Rechte der älteren Götter nicht geschmälert
wurden. Wenn der Römer in seinen Gebeten am Schlüsse alle Gott-
heiten des Himmels und der Erde, die Götter des eignen Staates und die
der Feinde, die er bekämpft {di quibus est potestas nostrorum hostium-
que Liv. VHI 9, 6) anruft, so spricht er es deutlich aus, dass er die
augenblickliche Begrenzung des Kreises seiner Staatsgottheiten für eine
rein zufällige und vorübergehende hält und die Existenz gleichberech-
tigter göttlicher Wesen ausserhalb dieser Grenzen durchaus anerkennt:
nur sind jene ihm bisher nicht bekannt, er ist aber bereit, sobald sie
ihm näher treten, auch seinerseits zu ihnen Stellung zu nehmen. Jede
Ausdehnung seines Gebietes und jede Anknüpfung neuer politischer Be-
B. Bis iiim 2. panischen Kriege. 8. Erweiterung des Götterkreises. 39
Ziehungen bringt den Staat mit Göttern in Berührung, die ihm bisher
unbekannt waren, deren Verehrung er aber jetzt sich anzueignen in der
Lage oder gar verpflichtet ist. Eine Verpflichtung zur Aufnahme neuer
Götter tritt für den Staat ein, sobald er die politische oder die that-
sächliche Existenz einer andern Gemeinde aufhebt: die sakralen Ver-
pflichtungen dieser letzteren erlöschen nicht etwa, sondern sie gehen in
ihrem vollen Umfange auf ihre Rechtsnachfolger, die Römer, über; die
Götter der untergegangenen Gemeinde werden Staatsgottheiten des rö-
mischen Volkes 1) und erhalten entweder ihren Kult an der alten Stätte
und durch Angehörige der alten Gemeinde, die aber nun im Namen des
römischen Staates auftreten und unter der Aufsicht des römischen Ponti-
ficalkollegiums stehen,') oder es wird ihnen in Rom ein Heiligtum geweiht
und ihr Dienst den Staatspriestern zugewiesen. Diese Verpflichtung haben
die Römer stets anerkannt und dem auch in feierlicher Form Ausdruck
gegeben, indem sie bei der Belagerung einer feindlichen Stadt die Götter
derselben durch evocatio aufforderten, ihre bisherige Stätte zu verlassen
und die ihnen zugesicherten neuen Sitze in Rom einzunehmen.') Aber es
bedurfte keiner Eroberung und keiner direkten Verpflichtung, um die Auf-
nahme von Göttern anderer Gemeinden auch in den römischen Staatskult
zu veranlassen. Die enge Gemeinschaft des commercium^ die Rom mit
den latinischen Gemeinden verband und dem Latiner die Erwerbung des
römischen Bürgeirechts leicht machte, musste vielfach zu einer staatlichen
Anerkennung der entsprechenden Götter führen : natürlich wurde der nach
Rom übergesiedelte und zum römischen Bürger gewordene Tusculaner oder
Ardeate dadurch der einmal übernommenen Pflichten gegen die Götter
seiner Heimat nicht ledig, und der römische Staat durfte ihm bei der Er-
füllung derselben nichts in den Weg legen ;^) von der Duldung dieser
privaten Ausübung eines staatlich nicht anerkannten Kultes kam man aber
in vielen Fällen zur officiellen Reception desselben. War die Zahl der
Anhänger eines Gottes eine geringe, so hielt sich seine Verehrung natur-
gemäss immer innerhalb der Grenzen häuslichen Kultes, und wir dürfen
annehmen, dass so ziemlich alle Götter, die in den mit Rom in Verbindung
stehenden italischen Gemeinden anerkannt waren, in diesem oder jenem
römischen Hause ihre Verehrung fanden: war aber der Zuzug aus einer
bestimmten Stadt nach Rom besonders stark, und standen die Familien,
welche die Hauptträger der betreffenden Kulte waren, in hohem Ansehen
und Wohlstand, so erfolgte meist die Aufnahme der letzteren in den Ver-
band der römischen Staatsgötter, wofür die Übernahme des Herculesdienstes
der Ära maxima, den bis dahin die aus Tibur stammenden Pinarii als
Gentilkult ausgeübt hatten, auf den Staat in der Censur des Ap. Claudius
Caecus ein besonders lehrreiches Beispiel bietet. Naturgemäss kam dabei
auch sehr viel auf die Beschaffenheit der zur Aufnahme vorgeschlagenen
>) MoMxsKH, Staatsr. III 579 f.
*) Fest. p. 157: municipalia sacra vo-
cantur, quae ab inUio habiierunt ante civi-
totem Bomanam aceeptam, quae observare eos
wUuerunt pantifiees et eo more facere quo
adsuetaent antiquitfM.
») Macr. S. III 9. Plin. n. h. XXVIII 18.
Serv. Aen II 244. 851. Liv. V 21. Fiat. Q.
R. 61; vgl. Pbbnioe, Sitz.Ber. d. Berl. Akad.
1885, 1157.
*) MoMMSBN, Histor. Zeitschr. N. F.
XXVIII 404 f.
40
Beligion und Kultus der BOmer. I. Religionsgeschiohte.
Götter und Kulte an, und in den ersten Jahrhunderten der Republik ist
man entschieden mit grosser Vorsicht und Umsicht verfahren : obwohl an
sieh die Träger der obersten Beamtengewalt befugt sind, einer Gottheit
von Staatswegen einen Tempel zu geloben und damit die Gemeinde rechts-
giltig zu verpflichten, 1) so hat doch wahrscheinlich die Aufnahme neuer
Gottheiten in den römischen Götterkreis von jeher zu den Akten gehört,
bei welchen der Magistrat gehalten war, den Senat zuzuziehen und später-
hin seiner Meinung sich zu fügen. >) Der Senat hat naturgemäss die
wenigsten Bedenken haben können, wenn es sich um Gottheiten handelte,
die bei den nächsten Nachbarn und Stammesgenossen verehrt wurden
und deren Kult sich im allgemeinen in denselben Formen bewegte wie
der römische: diese Gottheiten konnte man, wenn sie auch in die Klasse
der di novensides gehörten, ebenso behandeln wie die einheimischen und
die Ausübung des Kultes den Staatspriestem überweisen. Anders stand
man den Gottheiten des sprachfremden Auslandes, also vor allem denen
der griechischen Städte Unteritaliens und Siciliens gegenüber:') man
konnte sich der Erkenntnis nicht verschliessen , dass es sich hier um
prinzipiell abweichende Religionsanschauungen und -Übungen handele, und
hat daher — allerdings vergeblich — zu verhindern gesucht, dass durch
sie eine Trübung und Schädigung der alteinheimischen Religionsvorstel-
lungen herbeigeführt werde : daher steht die Oberaufsicht über diese Kulte
nicht den Pontifices, sondern den Orakelbewahrern zu, die Ausübung des
Gottesdienstes geschieht nicht durch römische Bürger sondern durch Priester,
die aus der auswärtigen Heimat des Kultes nach Rom gezogen werden,
und die Tempel dieser fremden Götter bleiben, obwohl sie, so gut wie alle
andern, Staatstempel sind, bis gegen Ende der hier geschilderten Periode
von der durch die heilige Weichbildslinie des Pomerium umgrenzten Innen-
stadt ausgeschlossen.
Das Anwachsen des römischen Götterverbandes ist aber keineswegs
nur durch Zuzug von aussen, sondern in nicht geringerem Umfange auch
durch Vermehrung von innen heraus erfolgt. Waren in der älteren Zeit
die Vorstellungen, die man mit den einzelnen Göttern verband, einfache
und ungebrochene gewesen, so führte jetzt die reichere Gestaltung des
äusseren Lebens der Gemeinde und der lebhaftere Verkehr dazu, dass sich
auch die Kompetenzen der einzelnen Götter vervielfachten und man die
Äusserungen der einem jeden zukommenden Macht auf verschiedenen Ge-
bieten schärfer trennte. Bei der Neigung der Römer zur Spezialisierung
>) MoMKBBN, Staatsr. II 602.
') MoMMBEN, Staatsr. III 1051; auf die
ohne diese Zustimmung erfolgte oder ver-
suchte Weihung des Heiligtumes eines sonst
unbekannten Gottes Albumus durch einen
M. xiemilius (der Name ist unsicher, s. Wis-
sowA, Real-Enoycl. I 1838) wird bei Tertul-
lian wiederholt angespielt (adv. Marc. I 18;
ad nat. I 10; apol. 5 = Euseb. bist. eccl.
II 2).
^) Diese beiden Kategorien von nctcra
peregrina bat wahrscheinlich Verrius Flaccus
unterschieden, dessen Ansicht bei Fest. p. 237
etwas verdunkelt scheint: peregrina sacra
appeUantur, quae aut evocatis dis in oppu-
gnandis urbUfus Romam sunt eoacta, aut
quae ob quasdam religianes per pacem sunt
petita, ut ex Fhrygia Matris Magnat, ex
Graecia Cereris, Epidauro Aeseulapi, quae
coluntur eorum more, a quibus sunt
accepta. Der letzte Zusatz zeigt, dass die
zweite Klasse nur nichtitalische Gottheiten
umfasste.
B. Bie ram 2. pnnisoheii Kriege. 8. Erweitenmg de« Götterkreises. 41
der göttlichen Funktionen tritt diese getrennte Auffassung der verschie-
denen Seiten im Wesen eines und desselben Gottes nicht nur in speziali-
sierenden Beinamen hervor, sondern die einzelnen Differenzierungen lösen
sich als mehr oder minder selbständige Individuen von einander ab, so
dass Juppiter Feretrius und Juppiter Stator, Juno Moneta und Juno Lucina
kaum mehr blos als verschiedne Seiten desselben göttlichen Wesens, sondern
als geti*ennte Gottheiten empfunden werden;^) nicht selten tritt auch der
Fall ein, dass ein derartiges Attribut eines Gottes sich von demselben
völlig freimacht und als eignes göttliches Wesen seine Stelle im Kulte
findet. Von derselben Anschauung geht auch die Verehrung der Ab-
straktionen und Personifikationen sittlicher Mächte und Eigenschaften aus :
hatte man zuerst den Juppiter als Schützer der Treue oder Mars als
den Eriegsgott verehrt, so war es von da nur ein Schritt zur Schöpfung
eigner Göttinnen Fides und Bellona, und diese ihrer Natur nach uner-
schöpfliche Quelle neuer göttlicher Mächte hat noch zu einer Zeit be-
fruchtend auf die religiöse Phantasie gewirkt, in der dieselbe sonst einer
eignen Schöpfungskraft bereits völlig bar war. Fraglich bleibt es, ob
diese Art der Neukreierung von Staatsgöttern durch Spaltung älterer Gott-
heiten oder durch Aufnahme neuer Personifikationen rechtlich ebenso be-
handelt wurde wie die Reception fremder Kulte, und ob es für die Er-
richtung eines Altars eines bereits anerkannten Gottes unter neuem Kult^
beinamen oder einer neuen göttlichen Abstraktion ebenfalls eines eignen
Senatsbeschlusses bedurfte: dass das römische Sakralrecht beide Kate-
gorien schied, geht daraus hervor, dass Cicero in seiner Schrift von den
Gesetzen zweimal (II 19 und 25) im Gegensatze zu den bisher anerkannten
Staatsgöttern di novi und advenae (oder alienigenae) von einander trennt
und auch sonst in Verordnungen dem patrius ritus das novo aut externo
rüu sacrificare {Liv.XXY 1, 12) gegenüber gestellt wird;*) wahrscheinlich
galt die Schöpfung neuer Beinamen oder Personifikationen nur als Fort-
führung der bestehenden Gottesdienste (s. unten S. 47), so dass es dafür
einer besonderen Genehmigung nicht bedurfte. Die religiöse Freiheit des
einzelnen Bürgers wird durch die Sakralpolizei nur insofern beschränkt, als
er nicht in loco piMico sacrove andern Göttern als den staatlich anerkannten
oder in anderm Ritus opfern darf, und im häuslichen Gottesdienste haben
ohne Frage die di sive novi sive advenae oft einen grösseren Baum einge-
nommen als die Staatsgötter: wie weit insbesondere im Privatkulte die
Zerteilung der Gottheiten durch spezialisierende Beinamen und die Ver-
mehrung der Personifikationen ging, lassen für die spätere Zeit die zahl-
reichen Weihinschriften erkennen ; für die Zeit vor den puni sehen Kriegen,
für welche uns derartige unmittelbare Zeugnisse nicht zu Gebote stehen,
sind wir allerdings auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Für
den Staatskult können wir das fortwährende Eindringen auswärtiger und
^ Nor 80 erklArt es sich, dass bei den 1 bene Definition (oben S. 40 Anm. 3) der pere-
Aryalbrfldem in derselben Opferhandlang grina aacra (Fest. p. 237) urafasst nur die
erst Juppiter O. M. und dann Juppiter Victor ' zweite der beiden klassen. Vgl. Glaudian.
jeder ein besondres Opfer erhalten, z. B. CIL de hello Gild. 131 : maertnt indigetea et ai
VI 2086, 26 f. u. s. i quoa Roma recepit aut dedit ipaa deoa.
*) Auch die von V^errius Flaccus gege- |
42 Religion nnd Eultas der BOmer. I. Beligionsgeschichte.
neuer Kulte deutlich verfolgen an den in der Stadtchronik verzeichneten
Gründungen neuer Tempel, deren Liste sich seit Beginn der republi-
kanischen Zeitrechnung mit annähernder Vollständigkeit wiederherstellen
lässt. Dieselbe ermöglicht es uns nicht nur, wenigstens einen Teil der
Einflüsse zu erkennen, die in verschiednen Zeiten die religiöse Politik des
römischen Staates bestimmten, sondern zeigt auch deutlich, wie mit dem
fortwährenden Zuströmen neuer Götter ein Absterben der alten zusammen-
geht : nur ein Teil der in der ersten Periode verehrten Gottheiten hat an
Stelle der ursprünglichen offenen sacella wirkliche Tempel, wie sie jetzt
das gegebene Lokal für den Gottesdienst bilden, erhalten, andre, wie
Carna, Angerona, Furrina, Larenta u. a., haben sich nach wie vor mit
ihren Hainen und kleinen Kapellen begnügen müssen, und die Unkenntnis,
die bei den späteren über die Bedeutung dieser Götter herrscht, zeigt,
wie früh dieselben zur Antiquität geworden sein müssen.
Litteratur: Mabquardt, Rom. Staatsverw. III 30 ff. E. Aubt, De aedibus sacris
populi Romani inde a primis liberae reipublicae temporibus ueque ad Augueti imperatoris
aetatem Romae conditis, Marpurgi 1889. Gilbert, Gesch. u. Topogr. d. Stadt Rom III
57 ff. WissowA, De die Romanorum indigetibus et novensidibus p. IX ff.
9. Die Aufnahme italischer und griechischer Gottheiten. Die Auf-
nahme des in dem naheliegenden und stammverwandten Aricia gepflegten
Dianakultes in die römische Staatsreligion eröffnet eine lange Reihe ähn-
licher Receptionen von Hauptgöttern benachbarter Gemeinden. Haben
wir auch von den Spezialgottesdiensten der Städte von Latium und Süd-
etrurien nur sehr spärliche Nachrichten, so sehen wir doch, dass diejenigen,
die uns bekannt sind, nach und nach sämtlich im römischen Staatskult
Aufnahme gefunden haben; wo wir einen solchen Vorgang nicht mehr
nachweisen können, ist es wahrscheinlich, dass die Gottheiten der be-
treffenden Gemeinden mit den altrömischen nach Namen und Wesen sich
deckten und somit von einer formellen Reception Abstand genommen
werden konnte. Wo aber eigenartige Kulte vorhanden waren, hat sich
Rom ihrem Einflüsse nicht zu entziehen gewusst: so legt ein deutliches
Zeugnis für die nahen Beziehungen, die zwischen Rom und Tusculum
schon lange vor der Aufnahme letzterer Stadt in den römischen Bürger-
verband obwalteten, die schon im zweiten Jahrzehnt der Republik erfolgte
Reception des Dioskurenkultes ab, der in Tusculum der Mittelpunkt der
Staatsreligion war. 0 Wie dieser Kult, weil er aus einer latinischen Nach-
bargemeinde nach Rom gekommen war, obwohl von Haus aus ein griechi-
scher, doch nie als solcher empfunden und von den auf Grund sibyl-
linischer Orakelsprüche in Rom aufgenommenen griechischen Gottesdiensten
immer durchaus ferngehalten worden ist, so erklärt sich wahrscheinlich
die ähnliche Stellung, welche der griechische Herakleskult seit sehr
früher Zeit in Rom einnimmt, und die hier hervortretende eigentüm-
liche Mischung griechischer und italischer Religionsanschauungen auf
ähnliche Weise, da wir wissen, dass Hercules der leitende Gott und
Schutzherr des benachbarten Tibur war.«) Die führende Gottheit von
») Vgl. Dessau CIL XIV p. 254.
') Dbssaü CIL XIV p. 367 f.; s. unten § 41.
B. Bis sam 2. panischen Kriege. 9. Italische und griechische Gottheiten. 43
Lanuvium, die zwar den Namen der römischen Juno trägt, sich aber sowohl
in ihren Beinamen (Juno Sospes Mater Regina), wie in einzelnen Zügen
des Kultes als aus eigenartigen Anschauungen erwachsen verrät, gehörte
seit der Incorporation von Lanuvium (416 = 838) zu den römischen Staats-
göttem, wenn sie auch einen Tempel in der Stadt erst im J. 557 = 197
erhielt, 0 und d^i* Kult der Venus, der in Rom lange, ehe die griechische
Aphrodite unter diesem Namen verehrt wurde, jedenfalls schon im 4. Jahr-
hundert V. Chr., seine Stätte hatte, ^) ist wahrscheinlich von dem ange-
sehenen Heiligtume, das diese Göttin bei Ardea besass, dorthin übertragen.
Nur gegen die Aufnahme des weitberühmten Kultes der Fortuna Primi-
genia von Praeneste hat man sich wegen mancher fremdartigen Züge im
Ritual und wohl namentlich wegen der damit verbundenen Orakel lange
gesträubt,') und erst als im zweiten punischen Kriege gegenüber den
fremden Religionsübungen eine lässigere Praxis Platz gegriffen hatte,
fand auch sie ihren Tempel in Rom : immerhin aber ist es nicht unwahr-
scheinlich, dass die schon vorher unter etwas anderen Formen in der
römischen Staatsreligion auftretenden Fortunenkulte (vor allem der von
Fors Fortuna) durch latinische Fortunendienste, wie die von Praeneste
oder Antium, mit angeregt sind, wie sich ja überhaupt derjenige Aus-
tausch religiöser Anschauungen, der nicht zur Aufnahme einer bestimmten
auswärtigen Gottheit, sondern nur zur Modifikation der römischen Vor-
stellungen in einzelnen Punkten führte, sehr weit erstreckt haben muss,
ohne im einzelnen kontrollierbar zu sein. Wie weit diese Einflüsse reichten,
beweist die Thatsache, dass sogar einzelne an bestimmten Lokalitäten der
latinischen Landschaft haftende Gottheiten nach Rom wanderten; so ging
der Name der im Gebiete von Lavinium am Numicus göttlich verehrten
Quelle Juturna^) auf eine Quelle Roms über, und die zugehörige Göttin erhielt
— wir wissen nicht bestimmt wann — ihren Tempel und ihren Festtag.
Entsprechend dem Bundesverhältnisse, das zwischen Rom und den latini-
schen Städten herrschte, ist dieser Austausch ganz überwiegend auf fried-
lichem Wege erfolgt, während im Gegensatze dazu bei den Gottheiten
südetrurischer Gemeinden die Übertragung nach Rom in der Regel erst
nach Zerstörung der betreffenden Stadt oder Aufhebung ihrer politischen
Existenz eintritt. Das gilt vor allem von der Burggöttin und Stadtherrin
von Veji, Juno Regina, deren auf Grund einer evocatio erfolgte Über-
fQhrung nach Rom das älteste bekannte Beispiel dieses Verfahrens bildete ;
um dieselbe Zeit ist auch die capenatische Göttin Feronia in Rom ange-
siedelt worden, da Gapena damals, bald nach der Eroberung Vejis, in den
romischen Staatsverband eingetreten ist.^) In ähnlicher Weise folgt im
Jahr 490 = 264 dem Triumphe über Volsinii die Aufnahme des dort
heimischen Gottes Vortumnus unter die römischen Staatsgötter, ^) und nach
der Zerstörung von Falerii 513 = 241 finden die Götter der vernichteten
') Mab^üabdt, Staatsverw. III 476. 1 auspiciis enim peUriis, non cUienigenis rem
*) WissowA, De Veneria aimulacris Ro-
mania (1882) p. 6 f.
') Noch ZOT Zeit dea ersten] pnniscfaen
Kriegea wird die Befragung des praenesti-
niscbeD Orakels durch den Senat abgelehnt:
publicam administrari iudicabant operiere
(Val. Max. Epit. l 3, 2).
*) Serv. Äen. XII 139.
*) Bbloch, Der italische Bund S. 119.
*) AusT, De aedibus sacris p. 15.
u
Religion und Kultus der Römer. I. ReligionsgeBohichte.
Stadt, Juno Quiritis und Minerva, in Rom eine neue Heimat. ^ Weiter
hinaus scheint sich aber die Neigung der Römer, die Gottheiten ihrer
italischen Stammverwandten aufzunehmen, nicht erstreckt zu haben, denn
Götter wie die Angitia der Marser, ^) die Vacuna des Sabinergaues,') die
Marica von Minturnae^) und zahlreiche andre Gottheiten der nach und
nach von Rom unterworfenen entfernteren Gemeinden und Stämme Italiens
haben eine Aufnahme in den Staatskult nicht gefunden,^) wenn sie auch,
wie Weihinschriften zeigen, von Privatleuten noch in der Kaiserzeit ver-
ehrt wurden. •)
Andre Gesichtspunkte sind es, die für die Aufnahme griechischer
Kulte in die römische Staatsreligion massgebend waren. Es ist bemerkens-
wert, dass sich eine grössere Zahl derartiger Receptionen gerade in die ersten
Jahrzehnte der Republik zusammendrängt, während wir dann längere Zeit
hindurch von nichts Ahnlichem hören: man kann daraus den auch durch
andre Beobachtungen bestätigten Schluss ziehen, dass gerade um die Wende
von Königszeit und Republik ein besonders starker Strom griechischer
1) Jordan, Hermes IV 248 f.
*) Hauptsitz ihrer Verehrung ist Lucus
Angitiae {nemua Ängitiae Verg. Aen. \\l 759),
heute Luco (Mommskn CIL IX p. 367), von
wo auch die Inschrift CIL IX 3885 stammt ;
eine Mehrheit von Angitiae hei den Paelig-
nern in Sulmo CIL IX 3074; verwandt wohl
auch die di ancites von Furfo im Vestiner-
lande CIL IX 3515, kaum die Anagtia dii-
viia eines Goldringes von Aesernia (Zve-
TAiBFF, Inscr. Ital. infer. dial. nr. 107, vgl.
BuBOHBLER, Rhein. Mus. XXXVU 643 f.).
Deutungsversuche bei Serv. Aen. VII 750.
Solin. 2, 28 f. ; vgl. Wissowa, Real-Ency cl.
I 2191.
") Vaeunae netnora bei Reate und dem
locus Velinus erwähnt Plin. n. h. III 109,
und aus der Gegend von Reate stammen die
Weihinschriften CIL IX 4751 f., aus dem
oberen Velinothale CIL IX 4636; fanum pu-
tre Vaeunae beim Sabinum des Horaz epist.
I 10, 49. Da gegenüber anderen Deutungen
der Göttin (als Minerva, Bellona, Diana,
Ceres) Varro ihre Gleichsetzung mit Victoria
vertrat (Schol. Hör. a. a. 0.; Auson. epist.
14, 101 p. 249 Peip. setzt einfacli Vacuna
fttr Victoria ein), so hat man mit Recht in
der nach Dion. Hai. ant. I 15 (aus Varro)
am See von Cutilia verehrten NUti Vacuna
erkannt (Prellbr, Ber. d. sächs. Gesellsch.
1855, 191 ff. = Ausgew. Aufs. 256 ff.); da-
gegen ist es fraglich, ob man die bei Vico-
varo, also in der Gegend des horazischen
Landgutes, gefundene Bauinschrift Cl L XIV
3485 Imp. Caesar Vespasianus . . . aedem
Victoriae vetusiate dilapsam sua impensa
restituit auf Vacuna beziehen darf, da man die
Umsetzung des Namens in Victoria wohl in
der gelehrten Litteratur, nicht aber in einem
Denkmale des Kultes erwarten darf. All-
gemein erwfthnt die antiqua Vacuna und die
VacunaUs foci Ovid. fast. VI 307 f.
*) Der Hain der Marica bei Mintumae
in den Sümpfen der Lirismündung wird häufig
erwähnt (Liv. XXVII 37, 2. Plut. Mar. 39.
Strabo V 233 und mehr bei R. Pbteb in
Roschers Lexik. II 2374); man deutete sie
teils auf Venus (Serv. Aen. VII 47 dicutU
alii per Maricam Veneretn intellegi debere,
cuius fuit sacellum iuxta Maricam, in
quo erat scriptum Uaytitj *J(pQodiTij)f teils
auf Circe (Serv. Aen. XII 164. Lact. I 21,
23), deren altberühmtes Heiligtum in dem
unfernen Circeji (Strabo V 234 ; vgl. Cic. nat.
deor. III 48) noch im J. 213 n. Chr. durch
die römischen Quindecimvim wiederherge-
stellt wurde (CIL X 6422). Wenn Verg. Aen.
VII 47 die Marica nach Laurentum versetzt,
so ist das dichterische Freiheit, dass aber
ihr Kult auch ausserhalb Mintumaes vorkam,
zeigt die Weihinschrift von Pisaurum CIL
I 175 (CIL V 7363 aus Dertona ist ver-
dächtig).
^) Eine Liste solcher in Rom nicht reci-
pierter italischer Municipalgottheiten gibt
Varro bei Tertull. apol. 24; ad nat. II 8:
Deluentinus von Casinum, Visidianus von
Narnia, Numitemus von Atina, Ancharia von
A Senium, Nortia von Volsinii, Valentia von
Ocriculum, Hostia von Sutrium, ausser Nortia
(8. § 43) und Numitemus (s. CIL X 5046)
durchweg gänzlich verschollene Namen. Aus
gelegentlichen Erwähnungen können wir
noch manchen Namen hinzufügen, z. B. den
der in Ardea als Beschützerin der Geburten
verehrten Göttin Natio (Cic. de nat. deor.
III 47) und den Fucinus bei den Marsem
am Fuciner See (CIL IX 3656. 3847. 3887).
') Man kann damit die von Mommsbn,
Staatsr. III 575 hervorgehobene lokale Be-
grenzung der Verleihung des Halbbflrger-
rechtes (ius Caeritum) vergleichen.
B. Bis sam 2. panischen Kriege. 9. Italische und griechische Gottheiten. 45
Einflüsse von Unteritalien aus in Rom Eingang gefunden haben muss, der
zuerst die staatliche Anerkennnung der sibyllinischen Orakelsammlung
herbeiführte und dann vermittels der letzteren einer Reihe griechischer
Götter Einlass verschaffte. Da die sibyllinischen Sprüche in engster Be-
ziehung zum Kulte des Apollo stehen und dieser der Hauptgott von
Cumae war, von wo die antike Tradition mit Einstimmigkeit die Herkunft
der Orakelsammlung ableitet/) so ist dieser Gott sicher der erste ge-
wesen, der durch unmittelbare Herübernahme aus dem griechischen Kultur-
kreise in Rom Anerkennung fand, wenn wir auch von der Erbauung eines
Tempels erst im Jahr 321 = 433 hören: nur so erklärt es sich, wenn
das Priestertum der Uviri sacris faciundis, dem die Vorstandschaft über
die Gesamtheit der recipierten griechischen Kulte zukonmit, speziell als
antistites Apoüinaris sacri bezeichnet wird (Liv. X 8, 2) und die Embleme
seiner Würde, Dreifuss und Delphin, aus dem apollinischen Kulte entlehnt. <)
Es folgen dann fast gleichzeitig die Aufnahme einerseits des griechischen
Hermes, andererseits der Göttertrias Demeter, Dionysos und Köre, von
denen der erstere 259 = 495, die andere 261 = 493 ihre eigenen Tem-
pel erhalten, Thatsachen von grosser Wichtigkeit, weil sie uns einen,
wenn auch beschränkten Einblick in diejenigen Bewegungen gewähren,
welche Rom für die griechischen Einflüsse empfanglich machten. Hermes
ist nach Rom als Handelsgott gelangt, wie aus der lateinischen Form seines
Namens und aus dem Umstände hervorgeht, dass mit der Erbauung seines
Tempels die Gründung einer Kaufmannsgilde {coUegium mercatorum) ver-
bunden war:') wir dürfen darin einen deutlichen Hinweis darauf erblicken,
dass Handelsbeziehungen zwischen Rom und Unteritalien diesem Gotte
den Eingang öffneten. Der Tempel von Ceres, Liber, Libera aber hat nicht
nur seine anerkannte Bedeutung für die Getreidezufuhr von Sicilien nach
Rom, sondern spielt sogar eine politische Rolle, indem er für die plebeische
Gemeinde eine besondere Wichtigkeit hat und den plebeischen Unterbeamten,
den Aedilen, in derselben Weise als Amtslokal dient, wie der unmittelbar
vorher erbaute Tempel des altrömischen Gottes Saturnus der niederen
Magistratur der patrizisch-plebeischen Gesamtgemeinde, den Quaestoren :^)
wir werden also die Träger der hellenisierenden Richtung vorwiegend in
den Kreisen des aufstrebenden zweiten Standes zu suchen haben, eine An-
nahme, die auch darin ihre Bestätigung findet, dass das Priestertum der
Orakelbewahrer das erste ist, welches den Plebejern zugänglich wird. Die
Reserve, die man diesen fremden Religionsübungen gegenüber auch nach
ihrer staatlichen Anerkennung noch zu beobachten für angezeigt hält,
zeigt sich nicht nur in dem Ausschlüsse ihrer Kultstätten vom Pomerium,
sondern auch darin, dass die griechischen Namen der Gottheiten dem römi-
schen Gebrauche angepasst werden, indem man entweder an Stelle des
griechischen Eigennamens eine lateinische Bezeichnung der Funktion des
*) ScHWitoLKB, Rom. Qesch. 1 802; vgl.
dazu auch R. RBirzENsrnif, Inedita poetarum
Graecomm fragmenta II (Rostochii 1891)
359 f. 384.
») Liv. II 27, 6.
*) ScHWEOLBB, Rom. Gesch. II 278.
p. 10 f. MoMMSEN, Staatsr. IT 468, 1; s. unten § 46.
') Vgl. Marqüardt, Staatsverw. III
46 Religion und Ealtns der Römer. I. Religionsgeechiohte.
Gottes treten lässt (Mercurius-Hermes) oder die griechischen Götter mit
alteinheimischen identifiziert; so hat man Demeter, Dionysos und Eore
zu Ceres, Liber und Libera umgedeutet, und dieser Vorgang hat sich später
bei andern Gottheiten vielfach wiederholt, wobei oft die Gleichsetzung
auf rein zufalligen Ähnlichkeiten oder einer missverständlichen Auffassung
beruhte. Von diesen Gründungen der früheren republikanischen Epoche an,
zu denen auch die in ungewisser Zeit erfolgte Aufnahme des griechischen
Poseidonkultes zu rechnen ist, verstreicht dann bis zur nächsten Reception
eines griechischen Gottes eine geraume Zeit: erst nach völliger Beendi-
gung des Ständekampfes und nachdem durch die Freigebung der höchsten
Priestertümer durch die lex Ogulnia (454 = 300) den Plebejern auch auf
sakralem Gebiete die volle Gleichberechtigung zuerkannt worden ist, be-
ginnt eine neue Reihe solcher Aufnahmen, die bereits über den Kreis
der Götter des griechischen Unteritalien hinausgreift: am wichtigsten ist
die Einholung des griechischen Asklepiosdienstes von Epidauros (461 = 293),
die zugleich die Aufnahme der griechischen Arzneikunst in Rom bedeutet,
ferner im Jahr 505 = 249 die Übernahme der griechischen Unterwelts-
vorstellungen durch die Stiftung der ara Ditis, endlich die im Jahr 516 = 238
durch die Stiftung der ludi Florales vollzogene Einführung eines griechi-
schen Kultes, dessen Inhaberin den Namen der altrömischen Göttin Flora
annimmt, während schon die üppige Art der Festfeier den ausserrömischen
Ursprung verrät. Immerhin vollzieht sich in dieser Periode das Ein-
dringen griechischer Religionsübung noch sehr allmälig und unter Wah-
rung der Rechte des alteinheimischen Kultus, bis dann in der Zeit des
zweiten punischen Krieges die ganze Flut hellenischer Religionsvorstellungen
Einlass findet und die griechischen Gottesdienste nicht nur in grosser Zahl
neben die altrömischen und italischen treten, sondern diese selbst voll-
kommen durchdringen und umbilden.
Litteratur: lieber die Kulte der latinischen Gemeinden vgl. A. Bormamn, Altlati-
nische Chorographie nnd Städtegeschichte, Halle 1852 und H. Dessau im XIV. Bande des
CIL. lieber die griechischen Kulte in Rom Klausen, Aeneas und die Penaten S. 245 ff.
J. MöRSCHBACHKB, Ucber Aufnahme griechischer Gottheiten in den römischen Kultus, Gymn.
Progr. Jülich 1882.
10. Yermehmng der Götter durch Spaltung und durch Vergött-
lichung abstrakter Begriffe. Die römische Anschauung von ganz be-
stimmt abgegrenzten Wirkungssphären der einzelnen Gottheiten und das
Streben, jeden Gott bei der Seite seines Wesens anzurufen, die man im
einzelnen Falle funktionieren zu sehen wünscht, hat schon in ältester Zeit
zur Ausbildung zahlreicher Kultbeinamen geführt, und schon im ältesten
Götterkreise begegneten uns Beispiele dafür, dass einzelne derartige Bei-
namen, wie Terminus, Liber, Quirinus, sich von der Gottheit, der sie nur zur
Bezeichnung eines Teiles ihrer Macht dienten, loslösten und eine selbständige
Entwicklung nahmen (S. 25 f.). Doch waren es in diesen Fällen ganz be-
sondre Gründe, welche die Abspaltung veranlassten, während im grossen
und ganzen die Götter der ältesten Periode als ziemlich geschlossene und
einheitliche Gestalten dastehen: die Mehrzahl derjenigen Beinamen, deren
alter Ursprung sicher steht, charakterisiert mehr das ganze Wesen eines
Gottes, als seine einzelnen Funktionen, und wenn Juppiter als Lucetius,
B. Bis smn 2. pnnisohen BIriege. 10. Spaltmig und Personiflcaiion. 47
Mars als Gradivus, Yolcanus als Mulciber, Janus als Patulcius Clusivius
in alten Ritualformeln angerufen wurden, so deckten sich diese Bezeich-
nungen derartig mit dem Gesamtbegriff der betreffenden Gottheiten, dass
eine Loslösung nicht möglich war: dazu kommt, dass in der ältesten Zeit
die Anzahl der Eultstätten eine sehr beschränkte war und an einem Altar
oder in einem Haine der Gott nach allen Seiten seiner Wirksamkeit hin
verehrt wurde. Anders wird es in dieser Periode. Viele der alten Götter
allerdings waren ihrem ganzen Wesen nach so einfach angelegt, dass eine
Zerlegung ihres Wesens ausgeschlossen war: Saturnus und Consus, Ro-
bigus und Pales haben nur eine einzige eng begrenzte Kompetenz, und
wer sie anrief, war nicht genötigt, die Richtung, in der er die Wirksam-
keit dieser Gottheiten erflehte, näher zu bezeichnen. Um so vielgestaltiger
waren andre Götter, von den älteren namentlich Juppiter und Juno, später
vor allem Hercules, Fortuna, Venus u. a., die uns im Staatskulte über-
haupt kaum mehr mit ihrem Namen schlechthin, sondern stets nur in
einer durch einen Beinamen näher bestimmten Beziehung begegnen. Das
hat seinen Grund zum Teil darin, dass die in diesen Göttern verkörperten
Vorstellungen, wie z. B. die Idee der männlichen und der weiblichen Him-
melsgottheit in Juppiter und Juno, einer reichen Variation fähig sind, zum
Teil aber auch darin, dass diese Gottheiten auch bei den Nachbargemeinden
ihre Verehrung fanden, doch so, dass unter Beibehaltung der ursprüng-
lichen Gleichheit des Namens an den verschiednen Orten ganz verschiedne
göttliche Wesen verehrt wurden, indem hier dieser und dort jener Zug in
den Vordergrund gestellt und besonders entwickelt war: wenn die Falisker
die Juno als lanzenschwingende Göttin (Quiritis) verehrten, während man
in Latium und über seine Grenzen hinaus in ihr vor allem die göttliche
Geburtshelferin (Lucina) sah, so fanden in Rom beide Anschauungen ihre
Anerkennung und beide Göttinnen erhielten ihren Tempel, ebenso wie
Juppiter bald als der im Blitz und Donner sich verkündende Gott (Fulgur,
Tonans), bald als der siegreiche Schlachtenlenker (Victor) erscheint. So
dehnten sich einzelne Gottheiten auf Kosten andrer aus (das Zurückgehen
des Kultes der Carraenta z. B. hat seinen Grund wahrscheinlich in dem
Ansehen, das Juno Lucina genoss) und vervielfältigten sich so zu sagen;
mochte das Volk die verschiednen Epitheta beinahe als verschiedne Gott-
heiten ansehen, >) so hat das Sakralrecht doch daran festgehalten, dass
der gleiche Eigenname mit verschiednen Qualitätsbezeichnungen denselben
Gott bezeichne: es tritt das namentlich darin hervor, dass die von Alters
her dem Juppiter bezw. der Juno heiligen Tage der Idus bezw. Kalendae
für die Tempel dieser Gottheiten ohne Unterschied des Beinamens als
Stiftungstage gewählt werden und z. B. nicht nur die Juno Lucina und
Juno Honeta, sondern auch die vejentische Juno Regina und die lanuvi-
nische Juno Sospes ihr Tempelopfer an Kalendae begehen.") Es fehlt
aber auch jetzt nicht an Fällen, wo sich ein derartiger Beiname ver-
^) Hierher gehört die bekaonte Erzählung ', Juppiter Tonans bereite. Suet. Aug.91. Cass.
von dem Traume des Augustns, in welchem j Dio LIV 4.
sich der capitolinische Juppiter über die Kon* '^) Aust, De aedib. sacr. p. 38.
kurrenz beklagt, die ihm der benachbarte
48 Religion nnd Eulins der Römer. I. Religionsgeschiohte.
selbständigt. Ein sicheres Beispiel für eine solche Loslösung bietet der
Gott des nächtlichen Himmels, Summanus, der erst im Anfange des
3. Jahrhunderts v. Chr. einen eignen Kult erhielt und noch später, wenn
auch ausserhalb Roms, unter dem Namen Juppiter Summanus auftritt;^)
ein ähnliches Verhältnis waltet auch zwischen Silvanus und Faunus ob,
von denen letzterer als der altursprüngliche Gott im Staatskulte alleinige
Verehrung geniesst, dagegen in der privaten Religionsübung durch SU-
vanus völlig zurückgedrängt worden ist. Das lehrreichste Beispiel ist
die Verehrung von Dius Fidius und Fides. Als Schützer von Recht und
Treue, als welcher er ja von Alters her im Dienste der Fetialen hervor-
trat, erhielt Juppiter die Bezeichnung Diovis Fidius oder Dius Fidius, die
die Griechen mit vollem Recht durch Zevg Iliaiioq wiedergeben, und unter
diesem Namen schon im J. 288 = 466 einen eignen Tempel auf dem
Quirinal : die Trennung dieses Gottes von Juppiter wurde durch die im Laufe
der Zeit entstandene lautliche Verschiedenheit der ursprünglich identischen
Namen Juppiter und Dius erleichtert und das Gefühl für den früheren
Zusammenhang ging verloren. Neben diesen göttlichen Vertreter der
Treue trat aber im dritten Jahrhundert v. Chr. eine eigene Göttin der
Treue, Fides, die auf dem Capitol in unmittelbarer Nachbarschaft des
Juppiter 0. M. ihren Tempel erhielt und deren Dienst von den drei grossen
Flamines versehen wurde, so dass auf dem Quirinal Juppiter als Treugott,
auf dem Capitol Juppiter und die Treue nebeneinander ihre Verehrung
fanden; Analogien bietet die spätere Zeit z. B. im Kulte der Venus, die
an der einen Stelle als Venus Felix, an der andern mit Felicitas zusammen
gefeiert wird, oder einmal als Venus Victrix, das andre Mal als Venus
Genetrix neben Victoria. >) Es ist also von diesen göttlichen Personifi-
kationen ein Teil jedenfalls dadurch entstanden, dass man die hervor-
ragendsten Eigenschaften und Thätigkeiten einzelner Götter einer beson-
deren Verkörperung für würdig hielt und von ihrem Gotte loslöste: neben
Juppiter Victor findet eine eigne Siegesgöttin Victoria ihre Stelle im Staats-
kulte, neben dem Kriegsgotte Mars und in unmittelbarer Nachbarschaft
seines alten Altars auf dem Marsfelde die Kriegsgöttin Bellona,^) aus dem
Kulte des Juppiter Liber entwickelt sich nicht nur der des Liber, sondern
auch der der Liberias, deren Tempel dicht bei dem des Juppiter Liber Platz
findet. Auf Grund analoger Anschauungen wird dann das, was man von
Eigenschaften an anderen schätzt und sich selbst wünscht, oder was man
an Schicksalen und Zuständen erfleht und erstrebt, vom Staate oder von
einzelnen selbst als göttlich verehrt, z. B. Erfüllung der frohen Hoffnung
(Spes) und Eintracht der Bürgerschaft (Concordia), die Reinheit der Ehe
(Pudicitia) und der im Verhältnisse der Kinder zu den Eltern sich bethäti-
gende fromme Sinn (Pietas), je nachdem bestimmte Anlässe und Vorkomm-
nisse des öffentlichen oder privaten Lebens die Veranlassung bieten. Über-
>) CIL V 3256. 5660.
*) WissowA, De Veneris simulacris Ro-
manis p. 22.
°) Besonders lehrreich ist dafür Tac.
ann. III 18: cum Valerius Messalinus signum
aureum in aede Martis Ultaris, Cciecina Se-
verus aram Wtioni atatuendam censuissent:
hier ist die Loslösung der Ultio von Mars
Ultor ganz deutlich.
B. Bis sam 8. paniBohen Kriege. 10. Spaltung und Personifloation. 49
haupt geben einzelne Vorfalle, besonders solche drohender und gefährlicher
Art, sowohl im öffentlichen wie im privaten Kulte sehr häufig den Anstoss
zur Ereierung neuer Gottheiten dieser Art: in schwierigen Situationen,
wo man nicht weiss, welcher von den bekannten Göttern zur Abwendung
der drohenden Gefahr von Rechtswegen kompetent ist, hilft man sich
damit, dass man die gefahrdi*ohende Macht selbst als göttliches Wesen
fasst und ihr Opfer und Kult gelobt: die Häufigkeit der aus den feuchten
Niederungen aufsteigenden Fieberkrankheiten ^) führte zu einer an meh-
reren Punkten der römischen Bügel angesiedelten Verehrung der Göttin
Febris, die dem vulkanischen Boden mancherorts entsteigenden Schwefel-
dämpfe zum Kulte der Mefitis, die grosse Gefahr, in die die römische
Flotte 495 = 259 durch schwere Stürme geriet, zur Gründung eines Tem-
pels der Tempestates. Ganz entsprechend erhielten göttliche Mächte, deren
Einwirkung man erfahren zu haben glaubte, ohne dass man sich über den
Namen des Gottes klar gewesen wäre, ihren Dank und ihre Verehrung
nnter einem neugebildeten Namen, der an die Veranlassung der Weihung
anknüpfte: der Gott, der durch seine Stimme das Herannahen der Gallier
verkündete, erhielt seinen Altar als Ajus Locutius,') der, welcher die Um-
kehr Hannibals vor der Porta Capena veranlasst und Rom dadurch be-
schützt haben sollte, ein fanum als Rediculus oder vielleicht Tutanus Redi-
culus:') ob das nur Beinamen eines der bekannten Staatsgötter oder Be-
zeichnungen neu in den römischen Gesichtskreis tretender göttlicher Ge-
walten waren, Hess die vorsichtige Gewissenhaftigkeit der römischen Ponti-
fices unentschieden; jedenfalls hatte der Staat seine Dankesschuld abge-
tragen und man konnte annehmen, dass der zum Empfange der Leistung
berechtigte Gott sich für befriedigt halten werde. In der Natur der Sache
lag es, dass sich an Weihungen der letztgenannten Art ein dauernder
Kult nur dann knüpfte, wenn die Veranlassungen ihrer Beschaffenheit nach
bleibende oder wiederkehrende waren, wie dies bei den Göttern des Fiebers
und der Stürme der Fall war, während man sich mit Gottheiten wie Ajus
Locutins und Tutanus Rediculus, wenn sie nicht weitere Zeichen ihrer Wirk-
samkeit gaben, durch die einmalige Weihung eines Altars ein für allemal
abgefunden hielt. Daher haben Gottheiten der letzteren Art jedenfalls
oft gar keine Spur in der Überlieferung zurückgelassen,*) und wir ver-
mögen mit einiger Sicherheit nur über diejenigen Götter zu urteilen, die
ihre Stelle im Staatskulte dauernd behaupteten und, was für diese Periode
damit so gut wie gleichbedeutend ist, einen eignen Tempel auf römischem
Staatsgrunde besassen: immerhin genügt das, um uns, wenn auch nicht
jeden einzelnen in Rom von Staatswegen oder gar nur -von Privatleuten
verehrten Gott, so doch diejenigen Richtungen kennen zu lehren, in denen
die Ausdehnung des römischen Götterkreises und die innere Entwicklung
>) NiBSBK, Ital. Landesk. I 413.
*) Liv. V 32, 6. 50, 5. 52, 11. Cic. de
div. 1 101. II 69. Varro bei Gell. XVI 17, 2
and mehr bei B. Pstbr in Roschers Lexik.
II 191.
•) Fest. p. 282. Plin. n. h. X 122; vgl.
Varro Menipp. frg. 213 und dazu R. Pbtbr
a. a. 0. 218. 227.
*) Was würden wir z. B. von Verminus,
dem Goite der WOrmerkrankheit des Viehes,
wissen, wenn nicht im J. 1876 sein offenbar
aus Veranlassung einer Seuche dieser Art
geweihter Altar gefunden worden wäre,
CIL VI 3732?
Btadlraeh der kliai. Altertumnrftneiiaofaalt. Y. 4. 4
50
Religion und Kultua der B5mer. I. Beligionsgeeohiehte.
der religiösen Yorstellungen der Römer während dieser Periode vor sich
gingen.
Litteratur: Ftkr die Eultbeinamen der römischen (j5tter liegt jetzt eine gute Samm-
Inng und Bearbeitung des reichen Materials vor bei J. B. Cabtbr, De deomm Romanoram
cognominibos, Halis Saz. (Lipsiae) 1898; für die VergOttlichnng abstrakter Begriffe in der
römischen Religion fehlt eine erschöpfende Spezialnntersnchong, denn R. Enoblhabd, De
personificationibns qnae in poesi atque arte Blomanomm inveninntor, Diss. Gottingae 1881
genügt in keiner Hinsicht.
11. Die äusseren Formen des Staatskültas. Während im häuslichen
Gottesdienste die alten einfachen Formen der Vorzeit mit geringen Aus-
nahmen beibehalten werden, vollzieht sich in der öffentlichen Religions-
übung eine tiefgreifende Umgestaltung. An die Stelle der anspruchslosen
Kapellen und Altäre, die in der ersten Periode die Stätten des staatlichen
Gottesdienstes bildeten, treten nur wirkliche Tempel, die als Wohnung
des Gottes gedacht sind und wenigstens zum Teil bereits ein menschen-
ähnliches Bild desselben einschliessen ; allerdings ist dies letztere die Regel
nur bei den erst in dieser Periode neu eintretenden Gottheiten, während
die der alten Ordnung angehörigen Götter, trotzdem sie bereits Tempel
besitzen, auch in dieser Periode vielfach noch bildlos verehrt worden zu sein
scheinen. Dagegen wissen wir von der Thonstatue des Juppiter im capi-
tolinischen Tempel, von dem der ephesischen Artemis nachgebildeten
Schnitzbilde der Diana auf dem Aventin, von einer ehernen Statue der
Ceres im Tempel von Ceres, Liber, Liberal) und von manchen andern
Götterbildern, die zugleich mit den betreffenden Kulten ihren Einzug in
Rom hielten;*) bei den genannten Beispielen unterliegt der griechische Ur-
sprung der Darstellung keinem Zweifel, und was auch sonst aus dieser Zeit
von Götterbildern bezeugt ist, ist durchweg so entstanden, dass griechische
Göttertypen mit einigen den abweichenden italischen Religionsvorstellungen
entsprechenden Modifikationen herübergenommen wurden. Wie stark grie-
chische Vorlagen die römische Darstellung beinflussten, zeigt die älteste
römische Münzprägung: die auf den sechs verschiedenen Nominalen des
Kupfers auftretenden Götterköpfe sind ausnahmslos griechischer Herkunft
und dienen zum Teil zur Bezeichnung in Rom recipierter griechischer
Gottheiten (Hercules, Mercur), zum Teil sind sie auf römische Götter
(Janus, Juppiter, Minerva) erst übertragen. Was die Tempel selbst be-
trifft, so hat man diejenigen, die einem der Götter des ältesten Kreises
galten, mit Vorliebe an derselben Stelle angelegt, an welcher der Kult
von alter Zeit her haftete, so dass die alten unscheinbaren Kultstätten durch
die neuen Gotteshäuser ersetzt wurden.^) In derselben Weise hat man auch
die Festtage dieser Tempel mit den alten fetHae der betreffenden Götter
in Verbindung gebracht, indem man den Stiftungstag des Tempels, der
bei seiner alljährlichen Wiederkehr durch ein Opfer gefeiert wurde, auf
den Tag der alten Feriae legte ;^) bei neu aufgenommenen Gottheiten
fielen derartige Rücksichten natürlich fort. Der Kreis der alten Feriae ist
in dieser Periode nicht erweitert worden, sondern zu jedem neuen Tempel
') Diese war allerdings nicht Eulthild,
sondern Anathem, Plin. n. h. XXXIV 15.
*) Dbtlefsbn, De arte Roman, antiquis-
sima I p. 13 £P.
') AüST, De aedibos sacris p. 50 ff.
*) AusT a. a. 0. p. 34 ff.
B. Bis siim 2. pimischeii Kriege. U. Aenssere Formen des Staataknlins. 51
gehört ein Festtag, der nur in diesem einen Heiligtume mit einem feier-
lichen Opfer begangen wird, ohne für die Allgemeinheit den rechtlichen
Charakter des Tages zu bestimmen und ihn zu einem dies nefastus zu
machen: dieser alljährlich wiederkehrende Festtag ist der natalis tempH,
der Tag, an dem bei der Stiftung des Tempels die üebergabe des fertigen
Gebäudes an die Gottheit erfolgt war, und die Ealendarien verzeichnen
in ihren jüngeren Zusätzen diese Tempelopfer mit grosser Gewissenhaftig-
keit. Wenn diese ncUcUes templorum selbst bei den angesehensten Heilig-
tümern nie Feriae geworden sind, sondern an den betreffenden Tagen
ohne weiteres Gerichtsverhandlungen und Volksversammlungen abgehalten
werden konnten, so haben doch die Stiftungstage einer Reihe der ältesten
und berühmtesten Tempel für das öffentliche Leben dadurch eine grosse
Bedeutung gewonnen, dass bestimmte Stände und Kreise der Einwohner-
schaft dieselben besonders festlich begingen, weil sie zu dem betreffendem
Heiligtume in einer näheren Beziehung standen: so bildet das aventi-
nische Minervaheiligtum, dessen Gründung unter den Heiligtümern der di
navensides sehr hoch hinaufreicht, den sakralen Yereinigungspunkt für die
Handwerkerzünfte, die darum seinen Stiftungstag (19. März) als artifieum
dies in ihren Kreisen ganz besonders feiern, während der Staat an diesem
Tage das damit gar nicht zusammenhängende alte Marsfest der Quin-
quatrus begeht und sich um den Festtag der Minerva nur insofern küm-
mert, als er in ihrem Tempel ein sacrificium publicum zur Erinnerung an
den Stiftungstag darbringen last. In demselben Verhältnisse, in dem sich
die Handwerker gegenüber der Minerva auf dem Aventin befinden, steht
die Eaufmannsgilde zum Tempel des Mercur, die Gärtner zu dem der in
Italien als Schützerin der Gärten verehrten Venus, alle diejenigen Ge-
werbetreibenden, die zu ihrem Betriebe des Wassers besonders bedürfen,
zu dem Heiligtume der Quellgöttin Juturna, und selbst die sakral natür-
lich ebenso wie politisch rechtlose Masse der Sklaven nimmt den Stif-
tungstag des Tempels der Diana auf dem Aventin als ihren Festtag in
Anspruch.*) Wenn auch alle diese kollegialen Festlichkeiten nicht dem
Staatskulte angehören, so zeigen sie doch, wie eng die genannten Kulte
mit dem bürgerlichen Leben und seinen Äusserungen zusammenhängen,
und dienen daher zur Charakteristik der Götterauffassung dieser Periode.
Von Wichtigkeit ist es, dass nicht nur einzelne Stände und Berufs-
klassen mit bestimmten Tempeln engere Fühlung halten, sondern dass
manche Heiligtümer geradezu eine politische Rolle spielen und einzelnen
Zweigen der Staatsverwaltung dienen: der Tempel des Saturn bildet zu-
gleich die Schatzkammer des Staates, das Heiligtum der Trias Ceres,
Liber, Libera ist Archiv und sakraler Mittelpunkt der plebeischen Ver-
waltung, sein mit dem alten Feste der Cerialia zusammenfallender Stif-
tungstag infolge dessen ein besonderes Plebejerfest, um den Tempel
der Dioskuren am Markt gruppiert sich die römische Ritterschaft, deren
Parade diesen Tempel zum Zielpunkte hat; vor allem aber ist der Tempel
*) Vgl. auch die aneillarum feriae (Po-
lem. Silv. CIL P p. 269) an dem wahrschein-
lich schon der Ältesten Fest^ordnang ange-
hörenden Feste der Nonae Caprotinae (Wis-
sowA, Real-Encycl. III 1551 f.).
52 Religion und Kultus der Römer. I, Religionsgesohiohte.
auf dem Gapitole das sakrale Zentrum des ganzen Staates, an dem nicht
nur die Staatsbeamten bei ihrem Antritte und bei bestimmten sonstigen
Anlässen feierliche Opfer vollziehen, sondern welches auch der einzelne
Bürger an wichtigen Gedenktagen seines Lebens aufsucht, so dass Capüo-
lium adscendere geradezu zum technischen Ausdrucke geworden ist. In
diesem Zusammenhange ist auch die Bestimmung zu erwähnen, dass für
jedes in Rom geborene Kind eine Abgabe an die Kasse der Juno Lucina
geleistet werden musste, für jeden Gestorbenen eine solche an Libitina, für
jeden mündig gewordenen Jüngling an die Juventus:^) wenn die Über-
lieferung diese Vorschrift auf Servius TuUius zurückführt, so liegt darin
insofern etwas Richtiges, als dieselbe jedenfalls dieser zweiten Periode der
römischen Religionsentwicklung angehört, da die genannten Gottheiten
sämtlich der ältesten Religionsordnung fremd sind.
Tritt auf diese Weise die Religion in eine viel engere Beziehung zum
Leben des Tages, so zeigt sich gleichzeitig auch bei der Ausführung der
gottesdienstlichen Handlungen eine grössere Rechnung auf Beteiligung des
Publikums. Das tritt vor allem bei einer in dieser Zeit neu eingeführten
Gattung sakraler Akte, den Spielen, hervor: ganz verschieden von den
schon im ältesten Kultus sich findenden Rennspielen der Equirria und Con-
sualia, die rein als rituelle Feiern zur Sühnung und Weihung der be-
treffenden Tiere aufzufassen sind, sind die in dieser Periode gefeierten
ludi zunächst ausserordentliche Dankfeste für den von den Göttern, vor
allem dem Juppiter 0. M., verliehenen Sieg und schliessen sich daher ur-
sprünglich unmittelbar an den Triumphzug an,') dann werden sie unter
dem Namen von ludi Romani als ständiges Jahresfest in Verbindung mit
dem Stiftungstage des capitolinischen Tempels gefeiert. Hier tritt der reli-
giöse Akt gegenüber der Schaustellung wesentlich zurück, und diese Spiele
sind ohne ein zuschauendes Publikum nicht denkbar. Eine Mitwirkung
des Publikums bei den heiligen Handlungen zeigt sich ganz besonders
deutlich in den auf Anordnung der Orakelbewahrer vorgenommenen Kult-
handlungen griechischer Herkunft, die in dieser Periode mehr und mehr
überhand nehmen und allmälig die Ceremonien des altrömischen Rituals
ganz in den Hintergrund drängen. Das gilt vor allem von den Suppli-
cationen und den in engem Zusammenhange mit ihnen stehenden Feiern
der Götterbewirtungen {lectisternia und sellisternia); tragen die letzteren
den Charakter einer öffentlichen Schaustellung, welche die ganze Bevöl-
kerung in Mitleidenschaft zieht und auch in den Privathäusem ähn-
liche Schmausereien veranlasst,^) so nehmen an den Sühn- und Bittpro-
zessionen, den supplicationes, Männer und Frauen in festlicher Bekränzung
Teil und selbst die Freigelassenen sind nicht ausgeschlossen; auch die
gegenseitigen Bewirtungen, wie sie in den Kreisen der Plebejer am Ceres-
feste, in denen der Patrizier später an den Megalesia üblich waren, und
die bei der Ära maxima des Hercules vorgenommenen Yolksspeisungen
knüpfen sämtlich an griechische Kulte an, ebenso wie das zum capi-
tolinischen Kulte gehörige ständige epulum lovis, an dem der gesamte Senat
0 Piso bei Dion. Hai. IV 15.
') MoMMSEN, Rom. Forsch. II 42 ff.
«) Liv. V 13, 7.
B. Bis zum 8. punisohen Kriege. 11. Aenssere Formen des Staatsknltas. 53
teilnahm, in seiner ganzen Einrichtung unverkennbar den griechischen Ein-
fluss zeigt. ^) Die altrömische strenge Scheidung von staatlicher und pri-
vater Gottesverehrung ist hier aufgehoben und im Gegensatz dazu das Prinzip
aufgestellt, dass an den im Interesse der Gemeinde vorgenommenen Ritual-
akten auch die ganze Gemeinde teilnehmen müsse, eine Anschaung, die so
weit durchgeführt wird, dass in bestimmten Fällen von seiten der frem-
den Kulte sogar die Anordnung eines allgemeinen Fastens (cdstus) statt-
findet.*) Hand in Hand mit dieser Heranziehung der Massen zum Gottes-
dienste gehört die grössere Sinnfälligkeit der Kulthandlungen; die Spiele
lösen sich, zumal seit der Einführung der scenischen Aufführungen, vom
Kulte ganz und gar los und werden zur unterhaltenden Yoi*stellung, die beim
Lectisternium auf den pulvinaria liegenden, geputzten und geschminkten,
am Opfermahle sich erfreuenden Götterbilder bieten der Schaulust der Menge
reichen Stoff, und bei den Supplicationen musste das ausgebildete Gere-
moniell und die Mitwirkung von Jungfrauenchören und Instrumentalmusik
einen starken Eindruck auf die Sinne machen ; es liegt auf der Hand, dass
die schlichte Peinlichkeit der ältesten Kultformen dadurch in den Schatten
gedrängt werden musste. Immerhin aber ist hervorzuheben, dass sich von
dieser Hinneigung des Gottesdienstes zur Veräusserlichung und zum Sinnen-
reiz in dieser Periode erst die Anfänge zeigen und die darin liegende Ge-
fahr noch verhältnismässig wenig zur Geltung kommt. Die Ludi Romani,
wahrscheinlich erst seit 387 -- 367 ständig, sind bis kurz vor Beginn des
zweiten punischen Krieges das einzige Jahresfest dieser Art geblieben und
haben auch am Ende dieser Periode noch eine erheblich geringere Aus-
dehnung gehabt als später, erst im J. 537 == 220 treten die plebeischen
Spiele hinzu; die auf Grund von Anordnungen der sibyllinischen Sprüche
vorgenommenen Bittgänge (suppUcationes) sind in dieser Zeit weder sehr
zahlreich noch sehr prunkvoll, und die Lectisternia dieser Periode, deren
nicht mehr als fünf bezeugt sind, gelten sämtlich nur drei Götterpaaren,
Apollo und Latona, Hercules und Diana, Mercurius und Neptunus, Göt-
tern, von denen die ersten fünf zweifellos griechische Eindringlinge
sind, während bei dem letzten nur der Name der eines altrömischen
Gottes ist, unter dem sich aber der in Rom recipierte griechische Posei-
don verbirgt. Auch die auswärtige Kunst der etruskischen Haruspices
wird vor dem zweiten punischen Kriege nur ausnahmsweise zur Sühnung
und Abwendung göttlicher Ungnade zu Rate gezogen. Ist doch auch die
Zahl von Anlässen, die eine Sühnung durch Anordnungen einheimischen
oder fremden Rituals erforderlich erscheinen lassen, eine geringere, weil
man auf die genaue Beobachtung und Procuration der Prodigien, d. h. der
als Zeichen des göttlichen Zornes geltenden aussergewöhnlichen oder
naturwidrigen Vorkommnisse, erst allmälig Wert zu legen anfängt; die
regelmässige Aufzeichnung der prodigia eines jeden Jahres und wahr-
scheinlich auch die ständige Berichterstattung über dieselben im Senate
beginnt erst zur Zeit des ersten punischen Krieges,') und es lässt sich
*) Mabqüardt, Staatsvemr. III 348 f.
') Die Beschränkung auf nichteinhei-
nüflche Gottesdienste hebt Varro bei Non.
p. 197 ausdrücklich hervor; vgl. Wissowa,
Real-Encvcl. III 1780.
') MomaiBN bei 0. Jahn, Liv. perioch.
54
Beligilm und Kvltas der BAmer. L B#ligioiMg— chiohi».
noch deatlich verfolgen, wie im Laufe der Jahre Zahl und Mannigfaltig-
keit der gemeldeten Prodigien ebenso wächst wie die der Sühnungen.
Letztere selbst verlieren bei häufiger Wiederkehr leicht ihr Ansehen und
ihre Wirksamkeit und mOssen durch immer kräftigere Ceremonien über-
boten werden ; so ist man schon vor dem zweiten punischen Kriege dahin
gelangt, in schwerer Not des Staates auf Grund griechischer Orakelsprüche
selbst Menschenopfer aus Vertretern feindlicher Nationen darzubringen,
so in den Jahren 528 = 226 und 538 = 216 je ein Paar von Galliern
und Griechen {GaUus et Gallo, Crraecus et Graeca) und in derselben Zeit
das nachher durch eine stellvertretende Ceremonie abgelöste Opfer der
27 Argei, d. h. Griechen. 0 Auch griechische Geheimfeiern finden um
dieselbe Zeit Eingang in den Staatsgottesdienst: die nächtliche Feier der
Bona dea, die unter Mitwirkung der Vestalinnen pro populo stattfand, und
das griechische Jahresfest der Ceres, bei dem aus Unteritalien herbei-
gezogene Priesterinnen die römischen Matronen in die Mysterien der
Göttin einweihten,*) bestanden bereits zur Zeit des hannibalischen Krieges.
Litteratar: Mabqcabdt, Rom. Staatsverw. III 45 ff. Wackbbmanh, Das Lecti-
Btemium, Progr. ▼. Hanao 1888. C. Pascal, De lectistemiia apad Romanos, Riviata di
filologia XXII 18d4, 272 ff. = Stadii di antichitii e mitologia S. 19 ff. F. Lutbbbachbb,
Der Prodigienglaobe und Prodigienatü der Römer. Progr. ▼. Bnrgdorf 1880.
Dritter Abschnitt.
Bis zum Ausgange der Republik.
12. Die Hellenisieniiig des Kultus. Ein fQr die Geschichte der
römischen Religion hervorragend wichtiges Jahr ist das zweite Jahr des
hannibalischen Krieges 537 = 217. Die Not der Zeit und die tiefgehende
Erregung der ganzen Bevölkerung liess füi* die massenhaft gemeldeten
Prodigien aussergewöhnliche Sühnungen nötig erscheinen und man konnte
sich nicht genug thun in immer neuen Versuchen, den Zorn der GK^tter
zu besänftigen.') Aber das altrömische Ritual bot solcher ausserordent-
licher Sühnmittel nur wenige; das einzige der Art, welches sich auftreiben
liess, der fast verschollene altitalische Brauch des ver sacrum, wurde damals
wieder hervorgesucht und ein ,, heiliger Frühling" gelobt für den Fall, si
res publica populi Romani Quiritium ad quinquennium proximum steterü.^^
Auffallend ist, dass selbst diese alteinheimische Sühnung diesmal auf Grund
von Anordnungen der sibyllinischen Bücher beschlossen wurde, wenn auch
ihre Ausführung den Pontifices übertragen war. Aber die Orakelbewahrer
haben auch sonst noch auf Grund der Orakel umfassende Massnahmen
getroffeu, an denen das eine von besonderer Wichtigkeit ist, dass sie
sich nicht auf die Einführung neuer griechischer Kulte oder die Anordnung
von Opfern bei den Tempeln der griechischen Götter Apollo, Ceres u. s. w.
p. XX. Bebkatb, Rhein. Mub. XII 436 =
Ges. Abhandl. II 807.
M Vgl. WissowA, Real-Encycl. II 697 ff.
*) Diese beiden Geheimdienste nennt Gic.
de leg. II 21: nocturna mulierum saerificia
ne sunto praeter olla, quae pro populo rite
fient; neve quae initianto nisi ut adsoiet
Cereri graeco sacro,
*) DiBLS, Sibyllinische Blfttter S. 84 ff.
*) Liv. XXII 10; vgl. XXXOI 34, 1.
XXXIV 44, 6.
C. Bis snm Ansgange der Republik. 12. Hellenisierimg des Knltns.
55
beschränken, sondern über ihren Kreis hinansgreifen nnd auch Opfer in
den Tempeln altrömischer oder in Rom recipierter italischer Gottheiten
vorschreiben, die wir uns nicht anders als graeco ritu gefeiert vorstellen
dürfen. So erhalten auf ihr Betreiben die capitolinischen Gottheiten, die
Juno Regina auf dem Aventin und die Juno Sospita von Lanuvium Ge-
schenke und Opfer und die Festfeier des alteinheimischen Gottes Saturnus
erföhrt eine völlige Umgestaltung nach griechischem Vorbilde;^) insbe-
sondere aber wird damals ein Lectistemium abgehalten, bei welchem sechs
Paare von Göttern beteiligt sind, Juppiter und Juno, Neptunus und Minerva,
Mars und Venus, Apollo und Diana, Yolcanus und Vesta, Mercurius und
Ceres (Liv. XXTT 10, 9); es sind das die an vielen Orten Griechenlands
als höchster Götterkreis verehrten zwölf grossen Götter,') gleichgesetzt
mit ebenso vielen römischen, welche durch eben diese Gleichsetzung in
den Bereich des griechischen Kultes mit hineingezogen werden. So ent-
steht in Rom ein neuer Götterkreis, zusammengestellt ohne jede Rück-
sicht auf Alter und Herkunft der Kulte und gruppiert nach griechischen
Sagen und Kultbeziehungen;') damit wird die alte sakralrechtliche Scheidung
von di indigetes und novensides aufgehoben und die neue Göttergenossen-
schaft erhält unter dem Namen der vereinigten Götter, di consentes, offizielle
Geltung ; die Bilder dieser Götter wurden in vergoldeten Statuen am Forum
aufgestellt, analog den Zwölf göttern auf der Agora von Athen. ^) In das-
selbe Jahr fällt aber auch noch eine andere bedeutungsvolle Thatsache;
war bisher streng darauf gehalten worden, dass die Kultstätten der griechi-
schen Gottheiten ausserhalb der sakralen Grenze des Pomeriums lagen, so
wird diese Grenze nunmehr durchbrochen, indem die im genannten Jahre
auf Grund sibyllinischer Weisung gelobten und zwei Jahre später einge-
weihten Tempel der Mens und der erycinischen Venus ihren Platz auf
dem Capitole erhielten.^) All diese Massregeln bezeichnen offenbar den
Erfolg einer schon seit Jahrzehnten mit steigender Kraft wirksamen
hellenisierenden Bewegung, die nunmehr unter dem Drucke der schweren
Kriegsnot zum Siege gelangte und an Stelle des Nebeneinander von römi-
scher und griechischer Gottesverehrung die Verschmelzung beider durch-
setzte, die bei der ganzen Sachlage mit der völligen Hellenisierung des
römischen Kultes gleichbedeutend war. Die Folgen lassen sich sowohl in
der Religionsübung, wie in Leben und Litteratur der nächsten Generationen
deutlich erkennen; die Einführung neuer griechischer Gottheiten hat im
wesentlichen ihr Ende erreicht, denn es bietet sich nunmehr zum gleichen
Zwecke ein weit einfacheres Mittel in der inneren Umgestaltung altrömischer
») Liv. XXII 1, 17 ff.; vgl. auch XXI
62, 7 ff.
') Vgl. fiber diese Pbbllbb-Robkbt, Griech .
Ilvthol. I 110 f. MoMXSBN, Rom. Chronol.
8. 305 ff.
*) Nicht nur die Paanmg von Apollo
and Diana, Mars und Venus, sondern anch
die von Neptnnns und Minerva hat die grie-
chischen Yorstellangen zur Vorausset^angi
wenn auch gemeinhin mit Athene vielmehr
Hephaistos verbunden zu werden pflegt (doch
findet sich auch bei den Griechen die Paarung
Hephaistos -Hestia). Mercurius und Geres
scheinen mit Rücksicht auf ihre fast gleich-
zeitige und sicher in innerem Zusammen*
hange stehende Reception in Rom gruppiert.
*) Varro de r. r. I 1, 4. CIL VI 102;
vgl. JoBDAK, Topogr. 1 2 S. 367 f. Wissowa
in Roschers Lexik. I 922 f. und De dis Ro-
man, indigetibus et novensidibus p. XII f.
^) AusT, De aedibus sacris p. 49.
56
Beligion nnd Kulins der Römer. I. BeligionBgeaohiohte.
Kulte unter Beibehaltung der alten Namen; wenn wir im Laufe der nächsten
hundert Jahre von neu erbauten Tempeln von Juventus, Venus, Diana,
Mars, Bona dea hören, so lässt sich in jedem einzelnen Falle nachweisen,
dass sich unter den römischen Namen griechische Götter, Hebe, Aphrodite,
Artemis, Ares, Damia, verbergen. Ein sehr bedeutsamer Träger griechischer
Einflüsse war dabei die bildende Kunst. Das Bedürfnis, die Götter unter
menschenähnlichem Bilde darzustellen, wurde unter dem Eindrucke der
seit der Einnahme von Syrakus in stets steigender Menge nach Rom
strömenden griechischen Kunstwerke^) ein allgemeines, und ihm konnte,
da es eine einheimische sakrale Kunst und feste Göttertypen nicht gab,
nur durch Herübernahme griechischer Bilder genügt werden. Den ein-
fachsten Weg, die direkte Entlehnung griechischer Götterbilder, hat man
für alle diejenigen Gottheiten, für welche die Gleichsetzung mit ent-
sprechenden griechischen im Kulte bereits vorgenommen war oder sachlich
nahe lag, ohne weiteres eingeschlagen ; für Juppiter, Juno, Mars, Saturnus
boten Zeus, Hera, Ares, Kronos die gegebenen Typen, deren Aneignung,
wie die Münzprägung zeigt, zum Teil schon vor dieser Periode erfolgt ist.
Wo es sich jedoch um Vorstellungen handelte, für die es in der griechischen
Religion an einer einwandfreien Analogie fehlte, musste wohl oder übel
eine Anpassung der im griechischen Denkmälervorrat gegebenen Vorbilder
an die römischen Anschauungen versucht werden ; wenn dieselbe in manchen
Fällen, z. B. in den Bildern des Silvanus oder des Genius, sehr gut ge-
lang, so hat sie auf der andern Seite vielfach nur mit grosser Gewaltsam-
keit und unter Verflachung der dem betreffenden Kulte ursprünglich zu
Grunde liegenden religiösen Vorstellungen durchgeführt werden können;
den Dius Fidius durch Apollo oder die Penaten durch die Bilder der
Dioskuren wiederzugeben war ein entschiedener Fehlgriff, der natürlich
nicht ohne Rückwirkung auf das religiöse Bewusstsein des Volkes bleiben
konnte*).
Je mehr die griechischen Vorstellungen in den breiteren Massen der
Bevölkerung Boden gewannen, um so fremdartiger und unbequemer wurden
der Menge die alten Götter und die umständlichen Formen ihrer Verehrung.
Zwar war durch die Stabilität aller sakralen Institutionen und die Ge-
wissenhaftigkeit der Priesterschaft zunächst noch dafür gesorgt, dass die
alten Feriae weiter begangen wurden und die Tempelopfer an den
jeweiligen Stiftungstagen regelmässig stattfanden; aber für die grosse Menge
hatten von den alten Staatsfesten nur noch diejenigen Bedeutung, die
entweder mit volkstümlichen Vergnügungen und Festbräuchen verbunden
waren (wie z. B. Gompitalia, Terminalia, Parilia u. a.) oder durch eigen-
artiges Ceremoniell und den damit verbundenen ehrfürchtigen Glauben
an ihre besondere Wirksamkeit (z. B. Lupercalia, Robigalia u. a.) das
allgemeine Interesse wach erhielten ; die grosse Mehrzahl der Feste geriet
derart in Vergessenheit, dass die Gelehrten des ersten Jahrhunderts v. Chr.
in vielen Fällen nicht mehr im Stande waren, über Sinn und Bedeutung
^) Vgl. L. Ubliohb, OriechiBche Stataen
im republikaiuBchen Rom, Würzbnrg 1880.
*) Vgl. darüber Wibbowa, Römische
Götterbilder, Jahrb. f. klass. Altert. I 1898,
161 ff. nnd den Anhang II.
G. Bis Bom Ansgange der Bepnblik. 12. HelleniBierung des Knlins.
57
derselben Aufscfaluss zu erhalten. Ebenso waren im häuslichen Kulte zwar
die alten Vorstellungen von Vesta und den Penaten, Genius und Lar fami-
liaris so fest eingewurzelt, dass sie wohl getrübt und verdunkelt, nicht
aber verdrangt werden konnten; aber die vielen Götter, die der Römer
früher bei Geburt und Tod, bei Aussaat und Ernte, in den vielfaltigen
Nöten des taglichen Lebens angerufen hatte, traten nunmehr zurück hinter
die neuen griechischen oder griechisch gefärbten Kulte; Dis und Proser-
pina verdrängen Vejovis und die ganze Sippe altrömischer Unterwelts-
gottheiten, die griechische Ceres-Demeter tritt an die Stelle der ein-
heimischen Tellus, Carmen ta und selbst Mater Matuta vermögen sich als
Geburts- und Frauengottheiten gegenüber den zwar von Haus aus itali-
schen, aber früh griechischen Einflüssen zugänglich gewordenen Kulten
von Juno Lucina und Diana nicht zu behaupten. Das auf uns gekom-
mene Material von Weihinschriften aus den beiden letzten Jahrhunderten
der Republik reicht zwar zur Begründung einer beweiskräftigen Statistik
nicht im entferntesten aus, aber es ist doch gewiss kein Zufall, wenn
neben den verhältnismässig zahlreichen Widmungen an Juppiter, Juno,
Mars, Apollo, Hercules die Namen so hervorragender Gestalten des ältesten
Qötterkreises wie Janus, Consus, Faunus, Saturnus vollständig fehlen :0 es
zeigt, dass diese Götter im Volke so gut wie verschollen waren, wiewohl
von Staatswegen nicht nur ihr alter Kult weiter gepflegt wurde, sondern
die meisten von ihnen gerade in dieser Periode neue Tempel erhalten
haben.
Aber auch noch von anderer Seite her drohte der altrömischen
Religion schwere Gefahr. Am Ausgange des zweiten punischen Krieges,
im Jahr 550 = 204, veranlassen die sibyllinischen Bücher die Einführung
des Kultes der pessinuntischen Kybele, und der heilige Meteorstein der
Göttin findet zunächst im Tempel der Victoria seinen Platz, bis im Jahre
563 = 191 im Herzen der römischen Altstadt, auf dem Palatin, die aedes
i/cdris Deum Magnae Idaeae eingeweiht wird. Damit hielt zum erstenmale
ein Kult in Rom seinen Einzug, der nicht nur die griechische Sinnlichkeit und
Veräusserlichung, sondern bereits die exzentrische Orgiastik des Orients mit
sich dorthin brachte. Galt dieser Kult auch den Römern ebenso als ein
griechischer, also einer verwandten Kultur angehöriger, wie der des ApoUo
und der Ceres, und wurde er darum auch wie diese der Oberaufsicht der
Xviri sacris faciundis unterstellt, so fühlte der Senat doch hier mehr als
sonst das Bedürfnis, etwaigen üblen Folgen nach Möglichkeit vorzubeugen,
indem er durch Polizeimassregeln die Schaustellungen dieses Kultes ein-
schränkte und den römischen Bürgern die Beteiligung am Priestertume
der Göttin verbot (Dion. Hai. H 19); es gelang ihm jedoch nicht, den
aufregenden und anreizenden Eindruck des neuen Gottesdienstes wesent-
lich abzuschwächen, und dass es nicht nur das niedere Volk war, welches
an dieser neuen Art von Gottesverehrung Gefallen fand, zeigt die That-
sache, dass gerade der Patriziat und die Nobilität das Fest der grossen
') lo der etwa der Zeit des ersten puni-
schen Krieges Angehörigen Serie der schwar-
zen Thonachalen mit Göttemamen (s. oben
S. 8) begegnen noch Saetumus, Kerus, La-
vema, Aecetia, Coera.
58
Religion and KaltoB der Römer. L ReligionsgeBohichie.
Mutter mit Schmausereien und gegenseitigen Bewirtungen begingen >)
und sich aus diesen Kreisen Genossenschaften (sodalitates) zu Ehren der
Göttin bildeten (Cic. Gate mai. 45). Im Gefolge der Magna Mater drangen
bald allerhand orientalischer Aberglaube und andere ausschweifende Fremd-
kulte, die sich mit gutem Grunde der Aufsicht der Staatsbehörden zu ent-
ziehen suchten, in Rom ein, und selbst die spärlichen Nachrichten unserer
Überlieferung lassen erkennen, dass der Senat während des ganzen 2.
Jahrhunderts an der Ausübung der Religionspolizei keine leichte Aufgabe
hatte; der Bacchanalienskandal vom Jahr 568 = 186^) und die im Jahr
615 = 139 notwendig gewordene Vertreibung der orientalischen Astro-
logen (Chaldaei), vor denen schon Cato (de agric. 5) warnte, aus Rom
und Italien ') sind nur vereinzelte Symptome des sich allmälig voll-
ziehenden Zersetzungsprozesses. Im letzten Jahrhundert der Republik sind
die führenden Machthaber, L. Cornelius Sulla an der Spitze, mehr als
andere jeder erdenklichen Art von Aberglauben ergeben und die grössten
Förderer orientalischer Superstition. Der mithridatische Krieg und die
folgenden Kämpfe im Orient, welche u. a. der Verehrung der kappadokischen
Mä oder Bellona in Rom Eingang verschafften, brachten die römischen
Soldaten in Asien bereits mit der Mithrasreligion in die erste Berührung
(Plut. Pomp. 24) und haben wenigstens mittelbar auch das Eindringen der
ägyptischen Isisverehrung in die Hauptstadt befördert; die vergeblichen
Kämpfe, die seit dem Jahr 696 = 58 von den Staatsbehörden gegen
diesen Kult geführt werden, sind ein redendes Zeugnis für die Macht-
losigkeit der ersteren und die Gewalt der Bewegung, die weiter und
weiter anwuchs, bis sie im 3. Jahrhundert der Kaiserzeit ihren Höhe-
punkt erreichte und Rom nicht nur zum Pantheon der Welt machte, son-
dern schliesslich die römische und selbst die griechische Götterwelt unter
der Masse der ägyptischen, persischen, semitischen Gottesdienste er-
sticken liess.
13. Litteratur und Wissenschaft. Die Schnelligkeit und Gründ-
lichkeit, mit der seit der Zeit des hannibalischen Krieges die griechische
Denkweise die alteinheimischen Religionsvorstellungen der Italiker zurück-
drängt und einen völligen Umschwung der Anschauungen herbeiführt, würde
trotz der bisher dargelegten Gründe unverständlich sein, wenn nicht der
Hellenisierung des Denkens durch die Anfänge der römischen Litteratur
in hervorragender Weise Vorschub geleistet worden wäre: es ist kein Zu-
fall, dass der erste Träger römischer Poesie, Livius Andronicus, im Jahre
547 = 207 auch das Festlied für die zur Sühnung aussergewöhnlicher
Prodigien nach dem Tempel der Juno Regina ziehende Jungfrauenprozession
verfertigt; denn diese wurde nach griechischem Ritus unter Leitung der
Orakelbewahrer abgehalten, und das Jungfrauenlied war ein nach dem
Vorbilde eines griechischen Partheneion gebildeter Sühngesang. ^) Wenn
die römische Dichtung mit einer ungefügen Übersetzung der Odyssee und
mit Übertragungen griechischer Tragödien begann, so war es nicht nur
») GeU. II 24, 2. XVIII 2, 11. Fast.
Praen. z. 4. April.
») Liv. XXXIX 8 flF. CIL P p. 43 f.
•) Valer. Max. I 3, 3.
*) Liv. XXVII 37; ygl. Dibls, SibyUin.
Blätter S. 89 ff.
G. BiB BQm AuBgange der Republik. 13. Litteratar nnd Wiuenachaft. 59
die Vorführung griechischer Mythen an sich, die in der angedeuteten
Richtung wirken musste, sondern in noch höherem Grade die Nötigung,
die vorkommenden Namen griechischer Gottheiten durch lateinische Namen,
d. h. durch Gleichsetzung mit den eigenen Göttern, dem Hörer und dem
Leser zu verdolmetschen. Allerdings ist es nicht möglich festzustellen,
in welchem Umfange solche Identifikationen schon vor der Litteratur ent-
weder im Kultus oder im privaten Austausch griechischer und römischer
Anschauungen vollzogen worden waren; die Gleichsetzung von Juppiter
und Juno mit Zeus und Hera hat nicht erst Livius Andronicus vorge-
nommen, auch dass Neptunus mit Poseidon und Saturnus mit Kronos^
identisch seien, ist schon vor ihm geläufig gewesen, aber wenn er Movüa
mit Camena (frg. 1), Moiqa mit Moria (frg. 12), Mvrjfioavvrj mit Moneta
(frg. 25) wiedergibt, so sind das gewiss mehr oder minder willkür-
liche Übertragungen, die teilweise Beifall fanden, teilweise nicht durch-
drangen. Je zahlreicher solche Gleichungen sich einbürgerten — wir
können den Prozess leider nicht in seinen einzelnen Phasen verfolgen,
aber bei Plautus z. B. kommen Ops = *PfcXK«) und Silvanus == ildv^) hinzu —
umso mehr mussten auch die griechischen Mythen auf die entsprechenden
römischen Gottheiten übertragen werden, und so entstand eine scheinbar
römische Göttergenealogie und Göttersage, die aber in der That nichts
war als eine Rückspiegelung der griechischen; Juppiter ist Sohn von
Saturnus und Ops, Gatte der Juno, Bruder des Neptunus und Dis pater,
Vater der Minerva; der römische Hercules, der im italischen Kulte eine
ganz eigenartige Gestalt angenommen hat, wird wieder der abenteuer-
frohe Held der griechischen Heraklessage ; der ursprünglich nur als Schützer
des Handels in Rom verehrte Mercurius erscheint auch als Götterbote und
Seelengeleiter u. s. w. Was die Dichter begonnen hatten, setzte die Konstruk-
tion der Historiker und Antiquare fort; die allmälige Ausgestaltung der
römischen Gründungssage und ihre immer stärker werdende Verknüpfung
mit der griechischen Heldensage^) zu verfolgen, ist nicht unsere Auf-
gabe ; wohl aber verdient besondere Hervorhebung, wie in die Konstruktion
der italischen Urgeschichte auch die Namen der einheimischen Götter ver-
flochten werden. Die nach dem Vorbilde griechischer xTfaetg abgefassten
Gründungssagen und Ursprungsgeschichten der einzelnen Städte und Land-
schaften machten den Versuch, an der Hand der Königslisten und Genealogien
über die Grenzen der historischen Überlieferung hinaufzuführen, und griffen.
■) Vgl. Liy. Andr. frg. 2 Baehr. Saturni
filie =^ Kgoyidtj, frg. 15 saneta puer Saturni
— "Hgsj. Satamufl-X^Vo; , Sohn des Gaelus-
Gv^aros Enn. ami. frg. 25 Baehr. Neptonos-
noaeiöfoy, Bmder des Juppiter- Zcv; Naey.
bell. Pan. frg. 12 Baehr.
>) Gistell. 513 ff.; Mü. gl. 1082. Wenn
Pers. 252 Jnppiter als Ope gncUus bezeichnet
wird, 80 wird man das Beiwort der Jone
Chngena trotz der abweichenden Auffassung
alter Gewfthrsmftnner (Paul. p. 200. Mart.
Cap. 11 149) als 'Peltjs 9vyaxfjq au&ufassen
haben.
*) Dass mit SUmni lucua Aulnl. 674.
766 die im griechischen Original genannte
Pansgrotte der Akropolis wiedergegeben ist,
hat M. ScHUSTEB, Quomodo Plautus Attica
exemplaria transtulerit (Diss. Qryphiswaldiae
1884) p. 21 richtig hervorgehoben. Die Ar-
beiten von Th. Uubrich, De diis Plautinis
Terentianisque, Diss. B^gimonti 1883 und
A. Kbsbbbro, Quaestiones Plautinae et Teren-
tianae ad religionem spectantes, Diss. Lips.
1884 enthalten wenig Förderndes.
*) Vgl. neuerdings besonders B. Niese,
Histor. Zeitschr. N. F. XXIII 481 ff., dessen
Qrundanschaunng ich bei mancher Abwei-
chung im einzelnen vollkommen teile.
60
Religion und Knltna der Römer. I. ReligionsgOBohichte.
da eine zwischen Göttern und Menschen vermittelnde Klasse von Heroen
fehlte, zu den ziemlich inhaltlos gewordenen Namen der alten Götter, die
sie mit grösserer oder geringerer Willkür gruppierten: das bekannteste
Beispiel der Art, die Liste der Laurenterkönige Janus, Satumus, Picus
Faunus, Latinus,^) gewiss nicht etwa tiefsinnige kosmogonische Yolkssage,')
sondern erst im zweiten Jahrhundert v.Chr. entstandene Geschichtsklitterung,
lässt deutlich erkennen, wie man den nötigen Namenvorrat nach rein äusser-
lichen Gesichtspunkten zusammenraffte und gruppierte; ebenso zeigen die
verschiedenen Berichte von Cacus') und seinem Zusamentreffen mit Her-
cules, wie man einen inhaltlos gewordenen Namen bald so, bald so nach
Gutdünken in die Erzählung einfügte. Mit gleichem Eifer bemächtigte
sich die gelehrte Forschung der Fragen nach Alter und Enstehung des
römischen Götterkreises; die Scheidung älterer und jüngerer Elemente in
demselben, die Feststellung des Anteils benachbarter Stämme, wie der
Sabiner und Etrusker, an der Bildung der römischen Religion, die Ver-
teilung der verschiedenen Kulte auf die vorausgesetzten Hauptperioden der
römischen Urgeschichte und die sie vertretenden Fürsten, wie Evander, Romu-
lus, Titus Tatius, Numa, Servius TuUius, das alles sind Fragen, denen die anna-
listische Darstellung der ältesten Zeit nicht aus dem Wege gehen konnte und
für deren Beantwortung bei dem Mangel jeder Überlieferung nur der Scharf-
sinn und die Kombinationsgabe des Schriftstellers in Betracht kamen. Auch
die aetiologische und etymologische Konstruktion wurde unter ausgiebiger
Verwertung griechischer Vorbilder*) zur Motivierung einzelner Tempel-
gründungen und Kulteigentümlichkeiten ebenso eifrig benützt, wie man
zur Belebung des ganzen Bildes griechische Sagen auf römische Figuranten
übertrug;^) die Gleichsetzung einzelner griechischer und römischer Gott-
heiten unter einander wurde eifrig weiter gepflegt, nur in anderem Sinne
als früher: hatten die älteren Bearbeiter griechischer Dichtertexte die
griechischen Götter des Originals durch lateinische Namen verdeutlichen
wollen, so sucht man jetzt umgekehrt über* Wesen und Bedeutung der un-
verständlich gewordenen heimischen Götter durch mehr oder minder passende
Gleichsetzung mit einer Figur der allen Gebildeten bekannten griechischen
Sage Aufschluss zu gewinnen. Oft war die Brücke, die zwei solche Gott-
heiten verband, eine sehr schwache, z. B. wenn man Mater Matuta mit
Leukothea glich, weil im Kulte beider die Ausschliessung der Sklaven
bezeugt war, oder Consus mit Poseidon, weil beide durch Rennspiele ge-
feiert wurden. Die persönliche Beteiligung einzelner Schriftsteller an der
Fortbildung dieser griechisch-römischen Pseudo-Sage ist leider im einzelnen
nur selten festzustellen, doch lässt sich noch erkennen, dass unter den Anna-
^) Das Material bei Sohwbgleb, Rom.
Gesch. I 212 ff.
') Als solche fasst sie H. Nissen, Tem-
plum S. 120 f., der in der mythischen Eönigs-
reihe eine Symbolik von 5 Schöpftmgstagen
(Himmel, Erde, Vögel, Tiere, Menschen) er-
kennen will.
») WissowA, Real-Encycl. III 1165 ff.
*) z. B. die der lokrischen Sage nach-
gebildete Erz&hlung von der Epiphanie der
Dioskuren in und nach der Schlacht am See
Regillus (Dion. Hai. VI 13; vgl. E. Zabhokb,
Comment. Ribbeck. 292 ff.).
^) Bei Valerius Antias z. B. (Amob. VI)
war die Ueberlistung des Pannus und Picus
durch Numa ganz nach Analogie des Pro-
teusaben teuere der Odyssee erziihlt.
0. Bis zum Ausgange der Republik. 18. Litteratur und WisBenaohaft. 6 1
listen besonders Gassius Hemina von den älteren und Valerius Antias von
den jüngeren in dieser Richtung thätig waren; die communes historias^) des
Lutatius (Daphnis) scheinen ofioiotr/veg, d. h. griechisch-römische Parallelen
aus dem Gebiete von Geschichte, Religion und Sitte, enthalten zu haben,
andere Namen von Griechen und Römern, die nur vereinzelt angeführt
werden, lassen sich in ihrer wirklichen Bedeutung nicht sicher fassen : doch
steht soviel sicher, dass das 7. Jahrhundert der Stadt in dieser Richtung sehr
thätig und fruchtbar gewesen ist und dass Varro und Verrius Flaccus, auf
welche die uns vorliegenden Quellen in der Hauptsache zurückgehen, auf
diesem Gebiete mehr ordnend, sichtend und ergänzend, als wirklich schöpfe-
risch gearbeitet haben ; der ungeheuere Einfluss, den namentlich Varro auf
die spätere Litteratur ausgeübt hat, hat dahin geführt, dass neben den von
ihm anerkannten Erklärungen und Hypothesen die abweichenden Varianten
in Vergessenheit geraten sind und so eine scheinbar einstimmige Über-
lieferung enstanden ist, wo ursprünglich eine Reihe an sich gleich berech-
tigter, nur mehr oder minder geschickter Erklärungsversuche vorlagen.
In dem de dis handelnden Abschnitte seiner antiquitates rerum divi-
narum (B. 14—16) hat Varro in eigentümlicher Weise einen doppelten
Zweck verfolgt; während nämlich die Bücher de dis certis (14) und de dis
incertis (15) alles dasjenige enthielten, was sich über die Geschichte des
Kultes und die Sagen der römischen Gottheiten ermitteln liess, führte das
16. Buch {de dis praecipuis atque seledis) eine Anzahl von Hauptgottheiten*)
nochmals, und zwar in ganz anderer Beleuchtung, vor, indem es für sie
die Begründung einer physikalischen Deutung ihres Wesens versuchte;
wenn Varro, ähnlich wie es schon vor ihm der Pontifex Q. Mucius Scae-
vola gethan hatte,^) nach stoischem Vorbilde drei Arten von Auffassung
der Götter (theologia) unterschied, das genus mythicum, physicum und civile,^)
so waren die Bücher 14 und 15 der Darstellung der Mythologie und der
Staatsreligion, das Schlussbuch aber der philosophischen Spekulation ge-
widmet. So vereinigte Varro in seinem Werke die Ergebnisse von zwei
verschiedenen Betrachtungsweisen, die in der römischen Litteratur seit
dem Anfange des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts neben einander
hergehen, vielfach im feindlichen Gegensatze zu einander, und doch wieder
einander beeinflussend. Die Römer haben von den Griechen nicht nur
Göttergenealogien und Gründungssagen, nicht nur die Erzählungen von
Götterkindem und Götterthaten übernommen, sondern sie haben nicht viel
später von ihnen auch gelernt, nach den hinter den Gestalten der Volks-
religion und des Mythus sich verbergenden ewigen Kräften und Ideen zu
forschen. Seit Beginn des 2. Jahrhunderts gewinnt die griechische Philo-
sophie in den gebildeten Kreisen Roms Eingang und Einfluss gerade auf
die Auffassung der religiösen Fragen. Am frühesten scheinen von Unter-
') Die gewöhnlich aDgenommene Be- 16. Buches von E. Schwarz, Jahrb. f. Philol.
Ziehung des Titels auf die xoiyai UrxoQiai
des Timaios besteht kaum, denn dies waren
▼ielmehr perpetuae higtoriae (Gic. epist. V
12, 2).
') Es sind zwanzig, aufgezählt von Au-
gustin. c. d. VII 2. Fragmentsammlung des
Suppl. XVI 473 flf. und von R. Aqahd ebd.
XXIV 198 ff.
») Augustin. c. d. IV 27.
*) Die Stellen bei Merkel, Prolegom.
in Ovid. fast. p. G VII ff. A. Schmbkel, Philos.
der mittl. Stoa 8. 117-119.
62
Religion und Enltna der Römer. I. Religionsgeeohichte.
italien her pythagoreische Anregungen nach Rom gelangt zu sein; denn
die im Jahre 573 = 181 in Rom aufgefundenen und auf Anordnung der
Behörden als religionsgefahrlich verbrannten angeblichen Bücher des
Numa *) bedeuten einen Versuch zu einer pythagoreisierenden Umwälzung
der römischen Religion, welcher eine weite Verbreitung dieser Lehre voraus-
setzt; auch hat die Ansicht, dass eine Reihe von Einrichtungen der alt-
römischen Religion ihre innere Erklärung in den Satzungen des Pytha-
goras finde, bis auf Nigidius Figulus und Varro namhafte Anhänger ge-
habt,*) wenn man auch die Nachricht, dass Numa ein Schüler des Py-
thagoras gewesen sei, wegen der chronologischen Unmöglichkeit preis-
geben musste. Dieselbe rücksichtslose Energie, mit der die römische
Staatsgewalt die apokryphen Bücher des Numa unterdrückt hatte, ver-
suchte sie auch gegen die Lehrer griechischer Philosophie zur Anwendung
zu bringen, aber die Austreibung einzelner Philosophen ') konnte doch auf
die Dauer das Eindringen philosophischer Studien nicht verhindern; zwar
die kosmogonischen Offenbarungen des ennianischen Epicharmus haben
wohl noch weniger Wirkung gehabt als die von demselben Dichter den
Römern verdolmetschte wohlfeile Aufklärung des seichten Rationalisten
Euhemeros, auch an der Lehre Epikurs haben in der Hauptsache nur
vereinzelte Feinschmecker Gefallen gefunden ; um so tiefer und nach-
haltiger aber war der Einfluss, welchen die Philosophie der Stoa in Rom
ausübte. Schon von Haus aus der römischen Denkweise in religiösen und
sittlichen Fragen in hohem Grade wesensverwandt, erfuhr diese Lehre
durch den im tonangebenden Kreise des jüngeren Scipio heimischen Pa-
naitios weitere Anpassung und gewann bald die weiteste Verbreitung ; der
populärste Dichter der Zeit, C. Lucilius, macht sich zum Herold der Sitten-
lehre des Panaitios,*) Q. Valerius von Sora vertritt aufs nachdrücklichste
den stoischen Pantheismus,^) der höchste Beamte der römischen Staats-
kirche, der Pontifex Max. Q. Scaevola (f 672 — 82) trägt kein Bedenken,
die philosophische (d. h. stoische) Götterauffassung als die einzig wahre
anzuerkennen und sie nur darum als zur Staatsreligion ungeeignet zu er-
klären, weil dem Volke nicht die volle Wahrheit fromme.*) Auf demselben
Standpunkte wie er steht dann Varro, der sich in der Religionsphilosophie
gänzlich an die Stoa anschliesst ; die pantheistische Grundanschauung, die
Ableitung der Götter von den partes mundi und insbesondere ihre Zurück-
führung auf die beiden Hauptelemente Himmel und Erde, die allegorische
Ausdeutung der Mythen treten uns als unverkennbare Charakteristika in
») Liv. XL 29. Caas. Hem. bei Plin.
n. h. XIII 84 ff.; mehr bei Schweolbb, Rom.
Gesch. I 564 ff.
'^) Vgl. insbesondere A. Schmekel, De
Ovidiana Pythagoreae doctrinae adambra-
tione, Dias. Gryphiswald. 1885; Philos. der
mittl. Stoa S. 449 f. Zelleb, Philos. d. Qr.
III 2 S. 82 ff.
^) Ausweisung der Epikureer Alkaios
und Philiskos durch den Consul L. Postn-
mius 581 = 173, Athen. XII 547 A. Aelian.
Y. h. IX 12; Senatus consultnm de philoso-
phis et rhetoribus vom J. 593 = 161, Gell.
XV 11, 1. Suet. gramm. 25; Philosophen-
gesandtschaft des Jahres 599 = 155, Plin.
n. h. VII 112. Plnt. Cato mai. 22 u. a.
*) Treffend hervorgehoben von Schxbkbl,
Philos. d. mittl. Stoa S. 444 f.
*) Fragment bei Augustin. c. d. VII 9
undMythogr.Vat.llI prooem. p. 152, 30 Bode
(= frg. 4 Baehr.) : luppiter omnipotens, re-
rum regumque repertor, progenitor genUrix-
que deum, deus untis et idem.
«) Augustin. c. d. IV 27.
C. Bis mm Avagange der Republik. 14. Verfall der Btaatareligion. 63
allen Fragmenten des Baches de dis seledis (sowie andrer Schriften ver-
wandten Inhaltes, z. B. des Logistoricus Curio de cultu deorum) entgegen.
Dabei ist es von prinzipieller Bedeutung, dass, während in den Büchern
de dis certis und de dis inceriis die Eigenartigkeit römischer Religions-
anschauung und die Abweichungen von verwandten griechischen Brauchen
häufig hervorgehoben werden, für die religionsphilosophischen Erörterungen
des letzten Buches die völlige Identität der griechischen und römischen
Oötterwelt die Voraussetzung ist; zur Deutung des Satumus wird der
Mythus vom kinderverschlingenden Kronos herangezogen, eleusinische
Mysterien und griechischer Phallosdienst dienen zur Erklärung von Ceres
und Liber. Daraus ist gewiss kein Vorwurf gegen Varro herzuleiten, denn
wo es sich um die Ermittlung des durch Mythus und Staatsreligion nur
in mannigfacher Trübung und Brechung wiedergegebenen reinen und all-
gemeinen OottesbegrifFes handelte, mussten die nationalen Verschieden-
heiten als unwesentlich verschwinden; aber dem Zwecke des grossen
varronischen Werkes, die in der eignen Stadt zu Fremdlingen gewordenen
R^mer mit der Heimat und ihrem Denken wieder vertraut zu machen
(vgl. Cic. Acad. post. I 9), konnten die sozusagen kosmopolitischen Er-
örterungen dieses Buches nicht dienen.
Litteratur: L. Kbjlhnbe, Giimdlinieii zur Geschichte des Verfalls der r&mischen
Steatsreligion bis auf die Zeit des August, Gymn.-Progr. Halle 1837 ; M. Terentii Varronis
Curie de cultu deorum, Gymn.-Progr. Neubrandenbuig 1851. £. Zeller, Philos. d. Grie-
chen III 1 S. 309 ff. ; Vortrftge und Abhandlungen II 93 ff. A. Sohmbkel, Die Philosophie
der mittleren Stoa (Berlin 1892) S. 439 fF.
14. Verfall der Staatsreligion. Der Pontifex Scaevola und Yarro
waren vollkommen in ihrem Rechte, wenn sie nicht nur vom philosophischen,
sondern auch vom staatsmännischen Standpunkte aus die Erzählungen der
Dichter als dem Wesen und der Würde der Gottheit widersprechend ver-
warfen; die Übertragung griechischer Mythen auf die römischen Oötter,
die durch Vermittlung der Bühne auch den breiteren Massen des Volkes
geläufig wurde, musste umso zersetzender auf den Glauben einwirken, je
mehr solche Erzählungen von Leben und Thaten der Götter mit dem un-
persönlichen und abstrakten Charakter der altrömischen Religion im
Widerspruche standen.^) Aber auch der Einfluss der philosophischen
Betrachtungsweise war ein durchaus verderblicher; denn wenn dieser
auch die grosse Menge nicht unmittelbar berührte, sondern sich auf die
litterarisch gebildeten Kreise beschränkte, so waren es doch gerade diese
Kreise, aus denen die berufenen Träger des Staatskultus hervorgingen;
wer aber die ganze Staatsreligion nur für ein aus Opportunitätsrücksichten
festzuhaltendes, thatsächlich aber von der Wahrheit weit abliegendes
System hielt und nach stoischer Anschauung die gesamte äussere Reli-
gionsübung, vor allem Opfer und Bilderdienst, als bedeutungslos oder
schädlich verwarf, der brachte den Obliegenheiten seines priesterlichen
Amtes gewiss nicht dasjenige innere Interesse entgegen, welches sie ver-
langten. In der That begegnen wir in der Zeit etwa von den Gracchen
bis auf Caesar einem rapiden Verfalle des römischen Priestertums. Die
1) Vgl. die Ansf&hmngen bei Dien. Hai. ant. II 18. 19.
64 Religion nnd Knltna der Römer. L ReligionegeBchiohte.
drei wichtigsten Kollegien, deren Mitgliederzahl durch Sulla auf je 15
gebracht wird, Pontifices (nebst den Epulonen, deren Zahl wahrscheinlich
ebenfalls durch Sulla von 3 auf 7 erhöht wurde), Augurn und Orakel-
bewahrer, werden völlig zu rein politischen Behörden und in den Kampf
des Tages dadurch hineingezogen, dass seit dem J. 651 = 103 die Be-
stellung neuer Mitglieder nicht mehr durch Kooptation, sondern durch eine
besondere Art von Volkswahl erfolgt;^) blieb auch den Kollegien ein
Präsentationsrecht gewahrt, so genügte das doch nicht, um die Kontinuität
der Tradition zu sichern, auf der früher die Sachkunde der Priester-
schaften in den umfassenden und vielseitigen Geschäften ihres Wirkungs-
kreises beruht hatte, und es mehren sich die Klagen über den Verfall des
priesterlichen Wissens; die Jahresschaltung z. B., die zu den wichtigsten
Obliegenheiten der Pontifices gehörte, geriet durch deren Unwissenheit
und Parteilichkeit derart in Unordnung, dass bis zu Caesars Kalenderreform
geradezu unerträgliche Zustände herrschten*) und selbst die Ausführung
der bestehenden Opfervorschriften gestört wurde, indem durch die Ent-
fernung der bürgerlichen Zeitrechnung von der natürlichen die Darbringung
einzelner Erzeugnisse des Jahres an den dafür bestimmten Tagen zur
Unmöglichkeit wurde (Cic. de leg. 11 29) ; ebenso wurde die Meldung und
Procuration der Prodigien vernachlässigt (Liv. XLIII 13, 1); im Augurn-
kollegium ging das Verständnis für die komplizierte Lehre von den Auspi-
cien, soweit man sie nicht im Dienste der Tagespolitik ausbeutete, völlig
verloren, 8) so dass selbst Augurn, die sich mit ihrer Disziplin wissen-
schaftlich beschäftigten, zu den diametral verschiedenen Ansichten über
Ziele und Mittel derselben gelangen konnten.*) Die übrigen Priestertümer
aber, die dem politischen Treiben fernstanden, gerieten aus andern Gründen
nicht minder in Verfall. Das mit der altehrwürdigen Thätigkeit des Opfer-
königs, der gi*ossen Flamines, der Salier u. s. w. verbundene Ansehen ver-
mochte dem immer enger werdenden Kreise Zutrittsberechtigter — denn
es waren hier meist nur Patrizier zugelassen^) — keine genügende Ent-
schädigung zu bieten für die dem Inhaber dieser Würden durch das steife
Ceremoniell und die zahllosen Verhaltungsmassregeln auferlegte Beschrän-
kung der persönlichen Freiheit und Bequemlichkeit und die in vielen
Fällen von ihm geforderte gänzliche oder partielle Verzichtleistung auf
öffentliche Ämter. So mehren sich die Beispiele dafür, dass sich der zur
Übernahme eines solchen Priestertums Berufene sträubt, dasselbe anzu-
treten oder wenigstens sich den ihm unbequemen Vorschriften desselben
zu fügen,«) bis schliesslich in vielen Fällen auf Besetzung der frei ge-
wordenen Stellen ganz verzichtet werden musste; der allerdings recht
unbequeme Posten des Flamen Dialis blieb nach dem Tode des L. Corne-
lius Merula (667 = 87) volle 75 Jahre frei, da es erst im J. 743 = 11
1) MoMMSBN, Staatsr. II 23 ff. | dius MarceUus Cic. de leg. 11 32 f.; de dir.
«) Marqüardt, Staataverw. III 286 f. } II 75.
') Cic. de div. I 25 : ampicia, quae qui- *) S. vorläufig Mommsbn, Rom. Forsch.
dem nunc a RotnanU auguribua ignorantur; I 78 ff.
vgl. de n. d. II 9 u. a. >) Material bei Marquabdt, Staataverw.
*) Vgl. über die Polemik zwischen den III 64 f.
Augurn Ap. Claudius Pulcher und C. Clau-
0. Bis zum Ausgange der Republik. 14. Verfall der Staatsreligion. 65
AugustuB gelang y ihn neu zu besetzen;^) die Stellen der 12 kleineren
Flamines müssen am Ende der Republik wenigstens teilweise eingegangen
gewesen sein, da es sonst unbegreiflich wäre, dass selbst ein Mann wie
Varro über die Bedeutung der durch solche Priester verehrten Gottheiten,
wie Falacer und Furrina, nicht das geringste mehr zu ermitteln imstande
war;*) die Arvalbrüderschaft und die Sodales Titii waren bis zu ihrer
Wiederherstellung durch Augustus völlig vergessen. Überhaupt fallt auf
den vorangegangenen Religionsverfall bei dem erklärlichen Mangel direkter
Zeugnisse das hellste Licht erst aus den Versuchen Varros, das Interesse an
religiösen Dingen wieder zu beleben, und aus den Reformen des Augustus.
Nichts kann bezeichnender sein, als dass Varro, der in seinen Antiquitates
divinae den ausgesprochenen Zweck verfolgt, die nahezu verschollenen
heimischen Götter der Vergessenheit zu entreissen,') für seine Darstellung
der Götter des Staatskultes keine passendere Einteilung findet als die in
solche, von denen man noch etwas Sicheres wisse (di certi), und solche,
bei denen dies nicht der Fall sei {di incerti),^) Die augusteische Reorgani-
sation aber, von der im nächsten Abschnitte die Rede sein wird, zeigt,
dass nicht nur Priesterstellen unbesetzt geblieben, Tempel verfallen, Feste
in Vergessenheit geraten waren, sondern dass vielfach das Alte derart
verschüttet war, dass die Reformen des Kaisers mehr einen Neubau als
eine Wiederherstellung bedeuteten. Wie es mit dem Interesse der grossen
Menge an der Religion stand, darüber fehlen alle Nachrichten, doch werden
wir dasselbe, wenn man auch auf dem Lande und in den kleineren Städten
länger am alten Gottesdienste festgehalten haben mag, bei der stadt-
römischen Bevölkerung sehr gering zu veranschlagen haben ; nur an einer
Art von Kulthandlungen war die Beteiligung stets ausserordentlich rege,
das waren die Spiele, die nicht nur an Umfang eine Vermehrung ins
üngemessene erfuhren (die Anzahl der Spieltage hat sich vom Ende des
hannibalischen Krieges bis auf Caesars Tod ungefähr verfünffacht), sondern
auch thatsächlich jeden inneren Zusammenhang mit dem Gottesdienste
völlig verloren, wenn auch in der Theorie der sakrale Charakter dieser
Veranstaltungen noch zuweilen betont wird.<^) Ein besonders trauriges
Zeichen für die Abnahme des religiösen Sinnes liefert der mehrfach
bezeugte Verfall der sacra privata, auf deren dauernde Erhaltung in
der Familie und durch Vererbung die ältere Religionsordnung den grössten
Wert gelegt hatte, die aber jetzt — trotz der rechtlich noch bestehenden
Aufsicht der Pontifices — als unbequeme Last von den zur Übernahme
Verpflichteten durch die verschmitztesten Rechtskniffe abgeschüttelt und
dem Untergange preisgegeben wurden:^) dass man sprichwörtlich einen
>) Gase. Dio LIV 46. Tac. ann. III 58.
Saei Aug. 31.
*) Varro de I. 1. V 84. VII 45.
•) Aogustin. c. d. VI 2 {Varro dicU)
te Hmert ne pereant {di), non ineurau hostili
9ed eivium neglegentia, de qua illos veJut
ruina liherari a se dicit et in memoria bo-
excidio penates liberasse praedicatur; vgl.
IV 31.
*) Ueber die Bedeutang dieser Schei-
dung 8. Augustin. c. d. VII 17 und dazu
WissowA bei Marquabdt, Staatsv. III 9, 4.
R. Pbteb in Roschers Lexik. 11 150 f. R.
AoAHD, Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIV 126 flF.
norum per eiusmodi libroa recondi atque *) S. z. B. Cic. Verr. V 36.
urvaH uiHiore curOf quam Metellua de in- <) Vgl. z. B. Cic. pro Mnr. 27 und be-
eendio sacra Vestalia et Aeneas de Troiano sonders de leg. II 46 ff.
Haadlmeh der Irliw. AlftertomairteenaohAft. V, 4. 5
66
Religion und Eiiltns der Römer. I. ReligionBgeschiehte.
eines jeden bitteren Beigeschmacks entbehrenden Glücksfall als sine sacris
hereditcts bezeichnete,^) lässt die Stimmung breiter Schichten deutlich er-
kennen.
Vierter Abschnitt.
Die Religion der Kaiserzeit.
15. Die religiösen Beformen des Augustus. Die Zerfahrenheit
und Unhaltbarkeit der religiösen Zustände war am Ausgange der Republik
bis zu einem Grade gediehen, der es den Machthabern, sobald nur nach
den Wirren der Bürgerkriege das staatliche Leben wieder in geregelte
Bahnen gelangte, zur unaufschiebbaren Pflicht machen musste, hier ordnend
einzugreifen. Freilich stehen gegen Indifferentismus und Unglauben keiner
Regierung unmittelbare Waffen zur Verfügung, aber es konnte zunächst
dafür gesorgt werden, dass der Staat als solcher durch seine Organe den
ihm gegenüber der Gottheit zukommenden Obliegenheiten gewissenhafter
als bisher nachkam, und damit auch in den Bürgern der Sinn zunächst
für die äussere Religionsübung und weiterhin für deren inneren Gehalt
neu belebt werden. Von Caesars Absichten und Wirken in dieser Richtung
haben wir, zumal der Inhalt seiner lex lulia de sacerdotiis nur mangelhaft
bekannt ist,*) keine ausreichende Kunde; dass er sich aber mit weit-
gehenden Plänen gerade auf dem Gebiete der Staatsreligion getragen hat
und man von ihm Besserung erhoffte, geht schon aus der Thatsache
hervor, dass Granius Flaccus ihm sein Buch de indigüamentis widmete
und Varro seine Antiquitates rerum divinarum ad Caesarem pontificem
richtete.') Augustus aber hat sofort nach der Schlacht bei Actium die
Reorganisation des öffentlichen Gottesdienstes in Angriff genommen und
mit der Wiederherstellung der in Verfall gerathenen Priestertümer und
Tempel begonnen. Selbst schon seit Jahren Mitglied der drei grossen
Priesterschaften, der Pontifices, Augum und Quindecimvirn,*) scheint er
zunächst für die Wiedererweckung derjenigen priesterlichen Sodalitäten, die
allmälig aus Mangel an Interesse gänzlich eingeschlafen waren, Sorge
getragen zu haben; schon bei Beginn des Entscheidungskampfes gegen
Antonius im J. 722 = 32 hatte er als Fetialis des römischen Volkes die
Kriegserklärung gegen Kleopatra in den alten feierlichen Formen des
priesterlichen Völkerrechts vollzogen (Cass. Dio L 4) und damit dieses seit
mehr als hundert Jahren nicht mehr in Wirksamkeit getretene^) und
wahrscheinlich auch nicht mehr besetzte Priestertum wiederbelebt; die
Neugründung der völlig verschollenen und selbst in ihrer Bedeutung un-
*) Zeugnisse bei A. Otto, Sprichw. d.
Römer nr. 806.
2) Lange, Rom. Altert. IIP 436 f.
') Censor. 3, 2. Augustin. c. d. VII 35.
Lact. inst. 1 6, 7.
*) Ueber die Zeit der Wahl zu den ein-
zelnen 8<icerdotia s. Momvsbn, Res gestae
D. Aug. p. 32 f., vgl. P. Babel, De pontific.
Roman, condicione publica (Breslau 1888)
p. 4. Die Mitgliedschaft aller sacerdotwm
qucUtuor qmplissima collegia ist erst 738/9
= 16/5 bezeugt, Mommsen a. a. 0. p. 83;
ausserdem war Augustus frater Arvalis, «o-
dalis Titius, fetialis Mon. Anc. gr. 4, 7.
^) Der letzte uns bekannte FaU ist die
Dedition des C. Hostilius Mancinus 618 ==
136 (Cic. de or. I 181. II 137. Vell. Pat. II 1).
}
t
D.
it. 15. BellgiOse Beformen des Angnstiui.
67
I
verstandlich gewordenen Kollegien der Sodales Titii und Fratres Arvales
hat sieh, wie es scheint, schon im nächsten Jahrzehnt nach dem Siege
bei Actium vollzogen i^) in die reformierten Priesterschaften traten ausser
dem Kaiser auch die vornehmsten Träger seiner Politik ein und in ihren
Listen fehlte kaum einer der ersten Männer des neuen Staates. In das-
selbe Jahrzehnt fällt aber auch die Fürsorge des Kaisers für die Wieder-
herstellung der verfallenen Heiligtümer; im J. 726 = 28 unternahm er
auf Orund eines Senatsbeschlusses die Restauration aller einer solchen
bedürftigen stadtrömischen Tempel, 82 an der Zahl,') sowie sonstiger
heiliger Lokalitäten, wie des Lupercal, und führte ausserdem eine Anzahl
älterer Gotteshäuser, die durch Einsturz oder Feuersbrunst zu Grunde
gegangen waren, von Grund aus neu auf;*^) welchen Wert er selbst auf
diese Thätigkeit als teinplorum omnium conditor ac restUutor (Liv. IV 20, 7)
legte, zeigt die starke Betonung dieser Seite seines Wirkens in der
höfischen Poesie.^) Aber diese gesamte wiederherstellende Thätigkeit,
zu der auch die — im einzelnen nicht bekannte — Reform der Luper-
calienfeier (Suet. Aug. 31) und die Wiederaufnahme des ausser Gebrauch
gekommenen augurium salutis (im J. 725 = 29)^) gehören, bildet nur die
Vorbereitung für eine tiefergreifende Reorganisation, die eine Verjüngung
der römischen Religion zum Zwecke hat. Dass dieselbe zunächst nicht
an die altrömischen Kulte, sondern an den graecus ritus anknüpfte, mag
damit zusammenhängen, dass Augustus den Oberpontificat erst verhältnis-
mässig spät übernahm, während er bereits erheblich früher im Vorstande
der Quindecimvim sass: denn Apollo, in dessen Dienste die sibyllinischen
Orakel und das zu ihrer Ausdeutung und Bewahrung bestimmte Priester-
tum in Rom Aufnahme gefunden hatten, ist es, den jetzt Augustus in den
Vordergrund rückt. Der im J. 726 = 28 geweihte und mit ganz ausser-
gewöhnlicher Pracht ausgestattete Tempel des palatinischen Apollo stand
in solo privatOj^) und die an alte Beziehungen des julischen Geschlechtes
zum Apollokulte anknüpfende^) Gründung sollte den Dank des Kaisers
für die ihm von dem Gotte in den Kämpfen gegen S. Pompejus und Anto-
nius geleistete Hilfe darstellen,^) es war also keine aedes publica, sondern
ein Denkmal privater Religionsübung: aber der Schutzgott des Kaisers
wird, je mehr die Monarchie Wurzel fasst, zum Gegenstande öffentlicher
Verehrung und tritt bald als mindestens gleichberechtigter Genosse in
den Süreis der Staatsgottheiten ein, selbst hinter dem capitolinischen
') Die Reorganisation der Arralen moas
Yor dem J. 733 = 21 erfolgt sein, wenn
£. Hüi.A8 (Arch. epigr. Mitt. ans Oesterr.
XV 1892, 23 ff.) Datierung des im J. 1892
gefundenen Fragmentes (Epb. epigr. VI 11
p. 316 f.) das Richtige trifft (s. dazu Momm-
8XH, Eph. epigr. VIII p. 303 ff.).
*) Mon. Anc. 4, !?: duo et octoginta
templa deum in urhe constä 8ex\tum ex de-
ereio] sencUus refeciy nullo praetermisso, qnod
€\o\ temp[pre refici debebat]. Cass. Dio LIII 2.
Soet Ang. 30.
') Mon. Anc. 4, 1 ff. mit Mommsrns Kom-
mentar.
*) Hör. carm. III 6, 1 ff. Ovid. fast.
II 59 ff.
") Cass. Dio LI 20. Suet. Aug. 31.
•) Cass. Dio XLIX 15. Vell. Pat. 11 81 ;
vgl. MoMMSBN, Res gestae D. Aug. p. 80.
') Kiessuno, Zu augusteischen Dichtem
(Philol. Untersuchungen II) S. 92 Anm. 3t).
«) EcKHEL, Doctr. num. VI 93 f. Auo.
KuEHN, De Q. Horatii carmine saeculari
(Vratislaviae 1877) p. 35 ff. C. Pascal, Bull,
arch. com. XXII 1894, 53 ff. = Studii di
antichitä e mitologia S. 43 ff.
5*
()8 Beligion und Kultus der BOmer. I. BeligioxiBgesoliichie.
Juppiter nicht zurückstehend. Nicht nur in der höfischen Poesie und
Kunst stehen Apollo und seine Hausgenossin Diana obenan,^) sondern
auch die Ordnung der Staatsfeste wird zu Gunsten dieser Oötter des
Fürsten abgeändert. Das tritt am deutlichsten bei der im J. 737 = 17
durch Augustus angeordneten Saecularfeier hervor. Geleitet von dem
überall erkennbaren Bestreben, mit der aus republikanischer Zeit stam-
menden Überlieferung zwar nicht schroflf zu brechen, aber durch wohl-
überlegte Abänderungen die neue Ordnung der Dinge zu verwirklichen,
führt Augustus die Begehung der ludi saeculares in eine ganz neue Bahn : ')
nachdem die Reihe der unter dem Freistaate von hundert zu hundert
Jahren begangenen Saecula durch den Bürgerkrieg unterbrochen worden
war, wurde jetzt, anknüpfend an ein gegen Ende der Republik in Umlauf
gesetztes sibyllinisches Orakel, eine neue Reihe von saeculu von je 110 jäh-
riger Dauer eröffnet, deren Begründung und angebliche Vergangenheit
darzulegen das Kollegium der Quindecimvirn und der loyale Jurist G. Atejus
Gapito sich angelegen sein liessen. Der Charakter des Festes wurde ein
ganz anderer, denn an Stelle der bisherigen, drei Nächte andauernden
Sühnfeier zu Ehren der Totengötter Dis und Proserpina trat nun ein
durch drei Tage und drei Nächte begangenes Fest, von dem die Nacht-
feiern zwar noch am Altar des Dispater begangen wurden, aber andern
hilfreichen Gottheiten, nämlich den Moiren, Eileithyien und der Mutter
Erde galten, die Tage aber dem Juppiter 0. M., der Juno Regina und
dem göttlichen Geschwisterpaare vom Palatin, Apollo und Diana; nament-
lich die offenbar den Höhepunkt des Ganzen bildende Feier des dritten
Tages hatte den palatinischen Tempel zum Mittelpunkte, und wenn die
Festprozession unter Yorantritt des aus dreimal neun Knaben und eben-
soviel Mädchen bestehenden Doppelchores und unter Absingung des von
Horaz gedichteten Festliedes vom Palatin zum Capitol und von da wieder
zurück zum Palatin zog,^) so tritt darin die vollzogene Gleichstellung der
neuen kaiserlichen Götter Apollo und Diana mit dem capitolinischen Götter-
paare in unverkennbarer Deutlichkeit hervor. Die dominierende öffentliche
Stellung des kaiserlichen Privatkultes war auserdem zum vollendeten Aus-
drucke kurz zuvor ^) auch dadurch gekommen, dass Augustus, nachdem er
— offenbar als erster Magister der Quindecimvirn — die Bestände an
griechischen Orakeln einer gründlichen Revision hatte unterziehen lassen,
die bisher in den Kellern des capitolinischen Tempels aufbewahrten sibyl-
linischen Bücher in den palatinischen Apollotempel überführen Hess und
dadurch den letzteren zum Mittelpunkte wenigstens des ganzen unter
') Vgl. 0. Jahn, Aus der Altertums- ' W. Chbist, Sitz.Ber. der Mttnch. Akad. 1893
Wissenschaft S. 294 ff. | I 140 ff. F. Schoell a. a. 0. S. 68.
') Zum Folgendeu s. Mommsen, Monum. i *) Allerdings setzt Suet. Aug. 31 die
ant. pubbl. d. Lincei 13, 617 ff. = Eph. 1 Säuberung und Ueberführung der sibyllini-
epigr. VIII p. 225 ff. ; vgl. auch die Wochen- I sehen Bücher erst nach Uebemahme des
Schrift ,Die Nation' 1891 Nr. 11 p. 161 ff. | Oberpontificats 742 = 12; aber Cass. Bio
WissowA, Die Saecularfeier des Augustus, LIV 17 gedenkt der ersteren schon unter
Marburg 1894. F. Sohoell, Deutsche Rund- | dem J. 736 = 18, und dass die zweite noch
schau XXIII 4 (1897) 54 ff.
') So nach Momvsek a. n. 0.; anders
Vahlen, Sitz.Ber. d. Berl. Akad. 1892, 1016 ff.
früher fällt, zeigen die Erwähnungen bei
Verg. Aen. VI 72 ff. und TibuU. II 5, 17 f.
D. Kaiserseit. 15. BeligiOs« Beformen des AngUBtus.
69
Leitung der Quindecimvirn stehenden Staatskultes nach griechischem Ritus
erhob.
Eine ganz neue Reihe von Reformen auf religiösem Gebiete begann
mit dem J. 742 = 12, in welchem Augustus nach dem Tode des Lepidus
die Würde des Pontifex maximus übernahm und damit diese für alle
Znkanft mit dem Principate vereinigte ; ^) die mit diesem Amte verknüpfte
Oberaufsicht über das gesamte Religionswesen des Staates gab dem Kaiser
Gelegenheit zu einer Reihe von Massnahmen, durch welche wichtige
Zweige des altrömischen Gottesdienstes Umbildungen im monarchischen
Sinne erfuhren. Das erste war natürlich auch hier Wiederherstellung
eingegangener Priestertümer ; insbesondere^) wusste Augustus für das
sehr unbeliebte Amt des Flamen Dialis nach 75 jähriger Unterbrechung
wieder eine Neubesetzung zu erzielen (s. oben S. 64), und die Abneigung
der angesehenen Familien, ihre Töchter gegebenenfalls als Vestalin ein-
treten zu lassen, suchte er nicht nur durch Erhöhung der Ehrenrechte
dieser Priesterinnen, sondern auch durch die für die Öffentlichkeit be-
stimmte Äusserung zu bekämpfen, dass er, wenn eine seiner Enkelinnen
in dem vorgeschriebenen Alter stände, keinen Augenblick zögern würde,
sie zur Vestalin zu machen.^) Bedeutsamer war es, dass der Kaiser es
verstand, den uralten Staatskult der Vesta, zu dem der Pontifex maximus
in der allerengsten Beziehung stand, gewissermassen zu einem Privatkulte
des kaiserlichen Hauses zu machen. Er begnügte sich nicht damit, die
neben dem Wohnhause der Yestalinnen gelegene domus publica, die bisher
dem Oberpontifex zur Wohnung gedient hatte, den Yestalinnen zu schenken
und dafür einen Teil seines Palastes auf dem Palatin für Staatsgut zu
erklären, damit der Forderung, dass der Pontifex maximus in loco publico
wohne, genügt sei,^) sondern nachdem am 6. März 742 = 12 der Kaiser
den Oberpontificat angetreten hatte, wurde bereits am 28. April desselben
Jahres ein neuer Tempel der Vesta auf dem Palatin, mit dem kaiserlichen
Palaste verbunden, eingeweiht^) und dadurch deutliöh zum Ausdrucke ge-
bracht, dass nunmehr die Vesta und die Penaten des kaiserlichen Hauses
zugleich die des Staates seien ; dass die Bedeutung des Aktes wohl gefühlt
wurde, beweist die Thatsache, dass nicht nur der Tag der Übernahme
des Oberpontificates, sondern auch der Dedicationstag des palatinischen
Vestatempels unter die feriae publicae aufgenommen wurden. So thront
der Kaiser auf dem Palatin zwischen Vesta und Apollo, <') der alten
Herrin des Staatsherdes und dem göttlichen Schirmherren des herrschenden
') Zeogiase bei Mommsbn, Res gest. D.
Aog. p. 45; ygl. Staatsr. II 1052 ff.
') Wahrscheinlich sind auch die flaminea
minores, die in Varros Zeit halbverschollen
smd (oben S. 65), in der Kaiserzeit aber
wenigstens z. T. wieder begegnen (vgl. z. B.
CIL IX 705. XI 5028. Eph. ep. IV 759), und
die Sacerdotes Lannvini, Tuscnlani, Laurentes
LaTinates u. ä. damals erneuert worden.
*) Säet. Aug. 31 : sacerdotum et numerum
et dignUaienif sed et eommoda auxU, praeci-
pue VeHaiium virginum\ eumque in demor-
tuae locum aliam capi oporteret ambirentque
muUi, ne fUias in sortem darent, adiuravity
ai cuiusquam neptium auarum eompeteret
aetaa, oblaturum se fuisse eam,
*) Cass. Dio LIV 27. LV 12; vgl. Job-
dan, Topogr. I 2 S. 426 Anm. 142.
*) CIL I« p. 317, vgl. WissowA, Hermes
XXII 44. Hülsen, Rom. Mitteil. X 1895, 28 ff.
•) Ovid. fast. IV 951: Phoehua habet
partem, Vestctepara altera cessit, quod super-
est Ulis, tertiiis ipse tenet.
70 Beligion und Kultaa der Römer. I. ReligionBgesohiohte.
Hauses, zum deutlichen Zeichen, dass das Kaiserhaus der sakrale Mittel-
punkt des Staates ist. Eine verwandte Anschauung kam einige Jahre
später in andrer Weise zur Geltung, indem bei der im J. 747 = 7 zum
Abschluss gebrachten ^) Neueinteilung der Stadt in Regionen und vici der
herkömmliche Kult der Lares compitales in der Weise reformiert wurde,
dass an jedem compitum inmitten der beiden Laren desselben der Genius
des Kaisers eine Stätte der Verehrung fand : *) damit war es zunächst für
Rom, bald aber auch für die Städte Italiens und des Reiches ausgesprochen,
dass sich die öfTentliche Religion der Bürger in ähnlicher Weise um die
Verehrung des •Genius Augusti zu gruppieren habe, wie der Hauskult um
die des Genius des Hausherrn.
Wie durch den Bau des palatinischen Vestaheiligtums die alte aed^s
Vestae am Forum ihre Hauptbedeutung verliert und zu einer ehrwürdigen
Reliquie wird, so thut eine weitere Tempelgründung des Augustus dem
capitolinischen Heiligtume in seinem Ansehen wesentlichen Abbruch. In
den grossen Bauten des Caesar und Augustus lässt sich mit voller Deut-
lichkeit die politische Tendenz verfolgen, die Gedanken der Bürger los-
zulösen von den Örtlichkeiten, mit denen die grossen Erinnerungen des
Freistaates verknüpft waren, und an die Denkmäler der neuen Aera zu
fesseln: das römische Forum wurde in Schatten gestellt durch das neue
caesarische Forum, welches der Tempel der Venus GenitrLz, der Stamm-
mutter des julischen Geschlechtes, beherrschte, die alte Rednerbühne am
oberen Ende des Forums erhielt eine Konkurrentin an den rostra der im
j. 725 = 29 dedicierten ciedes divi lulii am unteren Forum, und Augustus
machte das von ihm erbaute Forum zu einem Denkmale seiner Familie;
denn den Mittelpunkt desselben bildete der im J. 752 = 2 geweihte
Tempel des Mars Ultor,^) dessen Inhaber nicht nur als der Rächer des
ermordeten Caesar verehrt wurde, sondern, wie seine Gruppierung mit
Venus zeigt, ^) zugleich als göttlicher Urheber des julischen Hauses. Dieser
in privato solo^) erbaute Tempel erhielt ein Statut, welches ihn mit ganz
ausserge wohnlichen Vorrechten ausstattete:^) hier sollten die Mitglieder
der kaiserlichen Familie nach Anlegung der Toga virilis opfern, von hier
die Magistrate nach den auswärtigen Provinzen gehen, hier der Senat
über Kriege und Triumphe beschliessen und die Triumphatoren die In-
signien ihrer Würde niederlegen, hier die gewonnenen Feldzeichen depo-
niert, hier von den gewesenen Censoren nach Ablauf des Lustrum ein
Nagel eingeschlagen werden,') Privilegien, welche sich sämtlich in der
republikanischen Zeit als mit dem Tempel des Juppiter Optimus Maximas
auf dem Capitol verbunden nachweisen lassen^) und diesem nunmehr zu
Gunsten des neuen kaiserlichen Heiligtumes entzogen werden. Apollo
^) MoMMSEN, Hermes XV 109. ' *) Angaben aus dieser lex tempU bei
») Ovid. fast. V 146. Hör. carm. IV Cass. Dio LV 10. Suet. Aug. 29.
5, 34; 8. unten § 27. | '') Vgl. dazu Mommsen, Rom. Ghronol.
*) Jobdan, Topogr. I 2 S. 442 ff.
^) Ovid. trist. II 295, vgl. Rbiffebscheid,
Annali d. Inst. 1863, 367 f. Wissowa, De
Veneris simulacris Roman, p. 51.
^) Mon. Anc. 4, 21.
179 f.; Staatsr. II 407.
8) S. z. B. Serv. Ecl. 4, 50. Liv. XLV
39, 11. Appian. Lib. 75. Liv. VII 3 und vgl.
im allgemeinen § 20.
D.
16. Die beiden ersten Jahrhunderte.
71
Palatinus, Vesta Augusta (um mit diesem allerdings nicht belegteii Namen
die palatinisehe Göttin im Gegensatze zu der alten Vesta am Forum zu
bezeichnen) und Mars ültor, sämtlich Gottheiten des kaiserlichen Privat-
kaltes, und der durch den Tempel des Divus Julius in seinen Anfängen
dargestellte Eaiserkult sollen nach den Plänen des Augustus die Grund-
lage der neuen kaiserlichen Religionsordnung bilden, daher nennt er in
seinem Rechenschaftsberichte (Mon. Anc. 4, 23) neben dem Gapitolium
gerade diese vier Heiligtümer als von ihm durch reiche Geschenke aus-
gezeichnet: Dona ex manibiis in Capitolio et in aede divi luli et in aede
ApoUinis et in aede Vestae et in templo Martis Vltoris consacravi.
Litteratur: 6. Boissieb, La religion Romaine d' Auguste aus Antonins, Paris 1874,
I 75 ff. Th. Mommsev, Res gestae Divi Augusti, ed. 2. Berolini 1883 p. 32 ff. 78 ff.; Monnm.
anticbi pnbbl. per cnra della R. Accad. dei Lincei Vol. 1 punt. 3 (Roma 1891) p. 617 ff.
= Ephem. epigr. VIIl p. 225 ff. V. Gabdthausbn, Augustus und seine Zeit I 2 S. 865 ff.
II 2 8. 507 ff.
16. Die religiösen Verhältnisse in den beiden ersten Jahrhun-
derten der Kaiserzeit. Die Beformen des Augustus bilden die Grund-
lage, auf der sich die Entwicklung der religiösen Zustände im römischen
Reiche bis auf die Zeit der Antonine vollzieht, wenn auch die Keime,
die der Begründer der Monarchie gelegt hat, nicht alle gleichmässig zur
Entwicklung gelangt sind. Beherrscht wird diese ganze Periode durch
das Vorwiegen dynastischer Gesichtspunkte in allen Zweigen des Kultus,
durch die mit grosser Schnelligkeit sich vollziehende Umwandlung der
Staatsreligion in eine Hofreligion. Für den öffentlichen Gottesdienst des
Staates sind von den augusteischen Neuerungen namentlich zwei folgen-
reich gewesen, die Begründung der Verehiomg des Genius Augusti und
der Kult der Divi imperatores, den Augustus durch die Errichtung des
Tempels des Divus Julius einleitete. Caesar hat freilich, da er nie wirklich
regiert hat, auch sakralrechtlich nie in die Reihe der Divi gehört; aber
nachdem Augustus selbst nach seinem Tode Tempel und Priester erhalten
und so die im Laufe der Zeit mehr und mehr sich verlängernde Reihe
der konsekrierten Kaiser eröffnet hat, bilden der Genius des regierenden
Kaisers und die zur Zeit vorhandenen Divi imperatores zusammen eine
fest geschlossene Gruppe neuer Götter, die, neben und der Bedeutung
nach sogar über den alten Gottheiten der Staatsreligion stehend, bei allen
öffentlichen Kulthandlungen einen hervorragenden Platz beanspruchen. Am
deutlichsten tritt dies in der Formel des Beamteneides hervor, in welche
jetzt zwischen Juppiter 0. M. und die Di penates, die Götter, denen er in
republikanischer Zeit galt (s. oben S.34 Anm. I), diese Gruppe von Gottheiten
eingeschoben wird, so dass man z. B. in der Zeit Domitians schwört per
lovent et divom Äugustum et divom Claudium et divom Vespasianum Äugustum
et divom Titum Äugustum et genium imperatoris Caesaris Domitiani Augusti
deosque penates;^) auch bei den Opfern der Arvalbrüder erscheint mehrfach
dieselbe Verbindung.*) Die Loyalität von Privaten aber, sowohl von ein-
') Stadtr. y. Salpensa and Malacca CIL
II 1963 I 30. II 1. 1964 m 15.
') Zw Feier der Wiederkehr von Neros
Thronbesteigiiog opfern im J. 58 die Arvalen
nach Jnppiter 0. M., Juno, Minerva, Felicitas
Oenio ipsius, Divo Augusto, Divae Augu9taey
Divo Claudio (CIL VI 2041, 11; vgl. 2042 i
28 u. a.), and auch bei ihren Piacalaropfem
verzeichnet das vollständigste Protokoll vom
J. 224 am Ende der aus dem uralten Ritual
72
Religion und KaltnB der BOmer. I. Beligionsgeschichte.
zelnen Personen und Verbänden, als von Gemeinden und Provinzen, hat
die ausgesprochene Neigung noch erheblich weiter zu gehen ; sie begnügt
sich nicht damit, dem Genius des Kaisers dieselbe Art der Verehrung
entgegenzubringen, die im Hause der Genius des Paterfamilias von Seiten
der Familienangehörigen und des Gesindes geniesst (s. unten § 28), sondern
macht auch ohne Vermittlung des Genius die Gestalt des regierenden
Herrschers zum Gegenstande direkter Adoration. Augustus ist schon bei
Lebzeiten vielfach im Osten wie im Westen des Reiches, auch in Italien
selbst, als Gott verehrt worden. Privatleute und Gemeinden, die einen
solchen Kult auf eigne Verantwortung einrichten konnten und überzeugt
sein durften, dass auch ein Übereifer an Devotion ihnen nicht zum Schaden
gereichen würde, haben dem Kaiser ohne weiteres Tempel und Kapellen
errichtet, Priester für ihn bestellt, Vereine für seinen Kult gegründet;*)
doch ist stellenweise eine gewisse Absicht der Verschleierung bemerkbar,
indem der Kaiserkult zunächst im Gefolge eines andern angesehenen
Gottesdienstes der betreffenden Gemeinde und mit diesem verbunden
erscheint, bis er diesen allmälig in den Hintergrund drängt und zur
Hauptsache wird: am deutlichsten ist das in Pompeji, wo sich die alten
ministri Mercurii Maiae zunächst in ministri Augusti Mercurii Maiae ver-
wandeln, um schliesslich reine ministri Augusti zu werden.^) In denjenigen
Fällen aber, wo eine kaiserliche Genehmigung notwendig war, namentlich
bei der Begründung des Kaiserkultes ganzer Provinzen, gab Augustus
seine Zustimmung nur unter der Bedingung, dass Tempel und Kult gleich-
zeitig mit ihm auch der Göttin Roma galten.^) Immerhin hatte die Ver-
ehrung des lebenden Kaisers in ihren verschiedenen Formen und Modi-
fikationen unter der Regierung des Augustus im ganzen Reiche mit Aus-
nahme Roms und des Staatskultes eine weite Ausdehnung gewonnen. Die
Sachlage versclTob sich aber nicht unwesentlich, nachdem Augustus ge-
storben und konsekriert worden war; denn in den ihm geweihten Kulten
traten nicht ohne weiteres seine Nachfolger an seine Stelle, sondern die-
selben galten nunmehr in erster Linie dem Divus Augustus, mit dem
dann einerseits die übrigen Divi imperatores, andererseits der jeweilig
regierende Kaiser verbunden werden konnten;^) mag dabei auch in praxi
stammenden Götterreihen das Opfer Genio
domini nostri Severi Älexandri Augusti . . .
item Divis numero XX (CIL VI 2107, 12;
nur die Divi ebd. 2099 ii 14. 2104 1 4). Natür-
lich können aber auch je nach Anlass des
Opfers der Genius des Kaisers (z. B. an sei-
nem Geburtstage, Henzbn, Acta fratr. Ary.
p. 57) oder die Divi imperatores (z. B. an den
Augustalia, Henzek a. a. 0. p. 50) allein an-
gerufen werden.
') CuUores Augusti, quiper omnes domos
in modum collegiorum habebantur, Tac. ann.
I 73; über italische Kulte des lebenden
Augustus privater oder municipaler Grün-
dung 8. 0. HiRscHFBLD, S.Ber. Akad. Berlin
1888, 838 (vgl. Nissen, Pompejan. Studien
S. 182 f.). £. Beürlibr, Le culte imperial 17.
») CIL X p. 1149; ähnlich finden wir,
ebenfalls zu Lebzeiten das Kaisers, in Nola
einen mctgister Mercurialis et Augustalis (CIL
X 1272), in Tibur Herculanei Augustales (s.
CIL XrV p. 367), ebenso in Grumentum (CIL X
230), in Tusculum Augustales aeditui Castorfs
et Pollucis (CIL XIV 2620, vgl. 2637), in
Patavium Augustales ConcordiaUs (CIL V
2525. 2872).
') Templa ... in nuUa . . provincia nisi
communi suo Romaeque nomine recepit, Suet.
Aug. 52. lieber den provinzialen Kaiserkult
s. 0. HiBscHFELD a. a. 0. 847 ff. (dazu M.
Krabcheninnikoff, Philol. LIII 147 ff.). Beür-
libr a. a. 0. 99 ff. C. G. Brandis, Real-Encycl.
II 473 ff.
*) Das prägt sich aus in Priesterbezeich-
nungen wie flamen Romas Divorum et Augu-
storum promnciae Hispaniae citerioris (CIL
D. Eaiserseit. 16. Die beiden ersten Jahrhunderte. 73
der lebende Herrscher vielfach im Vordergi'unde gestanden haben, so
verlor doch seine Verehrung durch die Anknüpfung an den Gründer der
Monarchie sozusagen das persönliche Element^) und galt mehr der Re-
gierungsgewalt in abstracto; jedenfalls hat nie nachher ein einzelner
lebender Kaiser eine so allgemeine Sonderverehrung im Reiche genossen
wie Augustus.*) Die sehr verschiedene Stellung, welche die einzelnen
Regenten persönlich zum Kaiserkulte einnahmen, hat die allgemeinen
Grundlagen der Institution, wie sie durch deren erste Entwicklung ge-
geben waren, nicht erheblich verschoben; weder konnte die grosse Zurück-
haltung, wie sie z. B. Tiberius^) und Trajan übten, die dominierende
Stellung des Kaiserkultes im provinzialen und municipalen Gottesdienste *
wesentlich beeinträchtigen, noch haben die gesteigerten Ansprüche, welche
Caligula, Nero, Domitian an die öffentliche Adulation stellten, das Gesetz
umzustossen vermocht, dass für den Staatskult der Fürst Gegenstand der
Verehrung erst werden kann, wenn er aus den Reihen der Lebenden ge-
schieden und konsekriert ist.^) Dies Gesetz hat bis auf Diocletian un-
verbrüchlich gegolten; der Staatskult kannte nur die Divi imperatores
und den Genius des regierenden Kaisers; auf den letzteren bezieht sich
auch die Heilighaltung der imago prindpis,^) die klärlich aus der Ver-
ehrung des Genius Augusti zwischen den Larenbildern (vgl. die coUegia
Larum et imaginum Aug, CIL VI 307 u. a.) hervorgegangen ist, während
die Aufnahme des Namens in das Salierlied, durch die Augustus^) und
andre Kaiser bei Lebzeiten geehrt wurden, nicht notwendig eine Ein-
reihung unter die Götter zu bedeuten braucht; ist aber eine solche ge-
meint, so wird man auch hier an den Genius des Kaisers zu denken
haben. Wie aber trotz dieser Beschränkung des Kaiserkultes der gesamte
Staatsgottesdienst mehr und mehr eine Richtung auf die Verherrlichung
des Kaiserhauses nahm, lassen die Protokolle der Arvalbrüder mit voller
Deutlichkeit erkennen. Wenn schon im J. 724 = 30 angeordnet worden
war, dass die römischen Staatspriester und -Priesterinnen bei allen für
Senat und Volk gethanen Fürbitten und Gelübden auch des Kaisers ge-
denken sollten (Cass. Dio LI 19), so zeigt die Geschäftsführung der Arval-
brüder, wie tief diese Massregel in den ganzen Betrieb des Staatsgottes-
dienstes eingriff. Abgesehen von Ankündigung und Feier des alljährlich
11 4205 a. a.)» agxiegevg xioy leßaartuy xal 1 nisi permittente se poni, permisiique ea sola
Ifegmroi KXav&iov Kal^agog ^Eßaarov (I6S ' condicione, ne inter simalacra deorum, sed
I 2718); wahrscheinlich blieb der ProviDzial- | inter ornamenta (ledium ponerentur, Suet.
kalt meist mehr dem regierenden Herrscher
reserriert, während die Verehrung der Divi
den einzelnen Gemeinden zuüel (0. Hibscb-
FBU) a. a. 0. S. 849).
') Vgl. namentlich Momhskn, Staatsr. 11
734 flF.
') Priester regierender, mit Namen be-
zeichneter Kaiser fehlen im Westen ganz
(0. HiBSCHTBLi) a. a. 0. S. 843 Anm. 48), im
Osten sind sie auch nicht sehr zahlreich (Bei-
spiele bei Bbakdis a. a. 0. 479 f.).
') Templa, flamines, sacerdotes decerni
Mihi prohibuit, etiam statucu atque imagines
Tib. 26; vgl. Mommskn, Hermes XVII 641.
*) Nam deum honor principi non ante
habetur, quam agere inter homines desierit,
Tac. ann. XV 74; über die Ansprüche der ge-
nannten Kaiser Suet. Calig. 22. Tac. a. a. 0.
Plin. paneg. 52.
*) Vgl. Pbibdlandeb, SittGesch. HI*
S. 209 fr. und über die Kaiserstatuen im Lager
V. DoMASZEWSKi, Westdeutsche Zeitschr. XIV
68 ff.
•) Mon. Anc. 2, 21. Oass. Dio LI 20;
andres bei Marquardt, Staatsverw. III 438.
74 Beligion und Kaltas der BOmer. I. Beligionsgeschiehte.
wiederkehrenden Hauptfestes der Dea Dia und von den durch ausser-
ordentliche Anlässe hervorgerufenen Piacularopfern bewegt sich die ganze
Thätigkeit der Priesterschaft so gut wie ausschliesslich in sakralen
Loyalitätskundgebungen; ausser den allgemeinen Vota für das Wohl des
Herrscherhauses am 3. Januar begegnen uns ähnliche regelmässige Jahres-
vota für jedes Regierungsjahr des Kaisers, ferner einmalige Bitt- und
Dankgelübde und -Opfer bei besonderen Gelegenheiten, z. B. bei der Er-
krankung des Kaisers oder der Niederkunft der Kaiserin, beim Auszuge
des Fürsten zum Feldzuge oder bei seiner siegreichen Rückkehr u. a.,
endlich in der ersten Zeit, bis die flavischen Kaiser diese Feiern von der
Geschäftsordnung der Arvalen entfernen, auch Opfer an allen persönlichen
Gedenktagen des regierenden Herrschers und seiner Familie. Wie sehr
diese ganze Gattung heiliger Handlungen dem Gottesdienste der Arval-
brüder als etwas Fremdartiges aufgepfropft ist, sieht man am besten
daraus, dass die bei diesen Akten angerufenen Gottheiten ganz andre sind
als die, die bei dem alten Jahresfeste und bei den Sühnopfern in Wirksam-
keit treten ; sogar Dea Dia, der doch der ganze Dienst der Priesterschaft
gewidmet ist, erscheint nur in der allerersten Zeit — hinter der capi-
tolinischen Trias — - in den Neujahrsvota, nachher vollziehen sich diese
Loyalitätsakte durchweg, ohne dass der eigentlichen Inhaberin des Kultes
auch nur mit einem Worte gedacht würde, das Band zwischen dem alten
und dem neuen Gottesdienste ist zerrissen. Ähnliche Umwälzungen hat
gewiss der Dienst aller Staatspriesterschaften erfahren, und z. B. in den
rituellen Gesängen der Salier müssen sich die aus Gourtoisie aufgenom-
menen Namen der Kaiser und kaiserlichen Prinzen neben den uralten,
den Priestern selbst längst unverständlich gewordenen Formeln absonder-
lich genug ausgenommen haben. Die Götterreihen, welche bei den Bitt-,
Dank- und Erinnerungsopfern der Arvalbrüder und sonstigen Priester
angerufen werden, gehören in ihrer Gesamtheit keinem der alten Staats-
kulte an, sondern sind eigens für diese Art von Kulthandlungen zusammen-
gestellt. Den Grundstock bilden die Götter des Capitols, Juppiter 0. M.,
Juno Regina und Minerva, zu denen als vierte Salus publica p. R. Q. tritt;
diese bei den Neujahrsvota angerufene Gruppe wird dann je nach dem
Anlass der Feier durch das Hinzutreten anderer Götter meist von symbo-
lischer Bedeutung erweitert. Schon unter Augustus hatte der Senat die
Rückkehr des Kaisers aus dem Orient im J. 735 = 19 und aus dem
spanisch-gallischen Feldzuge 741 = 13 durch Stiftung von Altären der
Fortuna Redux bezw. der Pax Augusta gefeiert, und im J. 744 = 10
hatte Augustus selbst aus der ihm von Senat und Volk überreichten
Geldspende Altäre und Statuen der Concordia, Salus publica und Pax er-
richtet r^ diese Personifikationen einerseits der durch den Kaiser herbei-
geführten Segnungen (Felicitas, Pax), andererseits der den Kaiser be-
schützenden göttlichen Mächte (Victoria, Fortuna) nehmen bei den sakralen
Handlungen auf Kosten der alten Staatsgötter einen immer breiteren Raum
ein und werden zu indirekten Trägern des Kaiserkultes, indem sie der
') Cass. Dio LIV 35, 2. Ovid. fast. III 881 f.
D. Kaiserseit. 16. Die beiden ersten Jahrhunderte. 75
Verherrlichung des Fürsten dienen. Noch deutlicher tritt dies hervor,
wenn die wirklichen oder angeblichen Tugenden und Charaktereigenschaften
der Kaiser zu Gegenständen öffentlicher und privater Verehrung werden;
wenn Augustus sich rühmt (Mon. Anc. 6, 18), Senat und Volk von Rom
habe ihm zu Ehren in der Curia Julia einen goldenen Schild aufgehängt,
laut Inschrift virtutis clementiae iustitiae pietatis causa, *) so ist das die un-
mittelbare Vorstufe zu dem nachher so weit verbreiteten Kulte von Göt-
tinnen wie Virtus Augusta, dementia Augusta, Justitia Augusta, Pietas
Augusta u. a. So wird von allen Seiten die Bedeutung der alten Staats-
götter eingeengt und geschmälert. Nur die capitolinische Trias behauptet
ihren Platz an der Spitze des römischen Staatskultes und behält gegen-
über der Konkurrenz, die ihr eine Zeit lang in den augustischen Privat-
kulten des Apollo Palatinus und Mars ültor erwachsen war, endgiltig den
Sieg; Glanz und Bedeutung ihres Heiligtums wird insbesondere durch die
flavischen Kaiser, von denen Domitian den glänzenden Agon Capitolinus
einsetzt, dann auch durch Trajan bedeutend erhöht,^) und der Verein Jup-
piter 0. M., Juno, Minerva erscheint nicht nur am Eingange aller Götter-
anrufungen bei den offiziellen Opfern und Gebeten, sondern auch zahl-
lose Weihinschriften aus allen Teilen des Reiches, vor allem die Dedi-
cationen der verschiedenen Truppenkörper des römischen Heeres, 3) zeigen,
dass Juppiter 0. M. mit seinen beiden Genossinnen nach wie vor als der
eigentliche göttliche Schirmherr des römischen Staates und Heeres gilt.
Aber die übrigen Götter der Republik verlieren mehr und mehr ihre Be-
deutung. Die besseren Kaiser legen allerdings Wert darauf, nicht nur
als Träger des Oberpontificats und Mitglieder der grossen Priesterkollegien
äusserlich am Staatskulte Teil zu haben, sondern auch wie Augustus als
Wiederhersteller der Tempel und Beschützer des alten Ceremonialgesetzes
aufzutreten ; *) aber es handelt sich nur noch um die äussere Konservierung
eines Gottesdienstes, aus dem das innere Leben mehr und mehr entweicht.
Der beste Beweis dafür ist die Thatsache, dass — abgesehen von dem
schrullenhaft übertriebenen Minervenkulte Domitians — neue Tempel und
Kulte in dieser Periode ausser für die konsekrierten Kaiser nur für jene
göttlichen Personifikationen abstrakter Begriffe gegründet werden, in denen
allein die religiöse Phantasie jetzt noch schöpferisch ist;^) Vespasians
Templum Pacis und Hadrians Tempel von Venus und Roma bieten dafür
die signifikanten Beispiele.^) Für die litterariscb gebildeten Kreise der
*) Vgl. MoMMBBN, Res gestae D. Aug.
p. 152 f. Die Belegstellen für die sonst im
Texte erwfil&nten Tbatsachen s. in § 54.
') Zeugnisse bei £. Aust in Roschers
Lexik. II 749 f.
■) y. DoMASZBwsKi, Westd. Zeitschr. XLV
22 ff.
^) Wiederherstellong von Tempeln durch
Tiberius, Tac. ann. II 49; Vespasian conser-
vator eaerimoniarum publicarum et reatitutor
ninus Pius wird vom römischen Senate und
Volke geehrt oh inaignem erga caerimonicis
publicas curam ac religionem, CIL VI 1001
(vgl. Hist. aug. Ant. P. 13, 4 und Qber seine
Münzbilder Eokhbl, D. N. VII 29 ff.).
*) Auch Annona, die FbirdlämdeRi Sitt.-
Gesch. III 511 besonders hervorhebt, gebort
in diesen Kreis.
^) Vgl. E. Aust, Die stadtrOmischen
Tempelgründungen der Kaiserzeit, Gymn.-
o^ttim «arrarum, CILVI 984; Trajan «agraria Progr. Frankf. a. M. 1898, wo aber aedes
numinum vetustate collapsa a solo restituit, ! publicae und Privatbeiligtümer nicht ge-
CIL VI 962; Hadrian saera Romana diligen- ■ schieden sind.
titsime curavU^ Hist. aug. Hadr. 22, 10; Anto- \
76 Beligion und Kaltns der BOmer. I. Religionsgeachiohte.
Gesellschaft sind die Götter der Staatsreligion zu leeren Schatten geworden;
das Erstarken des religiösen Bedürfnisses, das sich in Seneca und Epiktet,
später in Fronto und Marc Aurel deutlich zeigt, führt nicht eine Rückkehr
zu den alten Göttern herbei, sondern man wendet sich mit dem Gebete
an eine ganz allgemein verschwommene, höchst unpersönlich gedachte
Gottheit, und an die Stelle eines positiven Glaubens tritt ein farbloses,
von allen historischen und nationalen Voraussetzungen losgelöstes Moral-
gesetz. In der privaten Religionsübung der mittleren und unteren Volks-
schichten erhalten sich freilich die alten Götter länger, namentlich solche,
die, wie z. B. Silvanus, Liber, Diana, Hercules, Minerva, Mercurius, die
Laren, mit dem häuslichen und ländlichen Leben eng verwachsen sind
oder als Schützer bestimmter Gewerbe und Thätigkeiten gelten;^) aber
auch ihre Verehrung bleibt nicht unberührt von der alles durchdringenden
Devotion gegen den Herrscher. Der Gedanke des Augustus, die Götter
seines Hauses der allgemeinen Verehrung zu empfehlen, trägt jetzt Frucht,
indem man, ausgehend vom Kulte der Lares Augusti und der Vesta Au-
gusta, d. h. der Herdgötter des Kaisers, dazu gelangt, allen Götternamen
ohne Ausnahme das Beiwort augustus beizusetzen,^) um dadurch zum
Ausdrucke zu bringen, dass man die betrefTende Gottheit in demselben
Sinne verehre, wie es der Kaiser in seinem Hauskulte thue. Eine noch
grössere Entfremdung von ihrer alten Eigenart erfahren die römischen
Götter durch die Ausbreitung ihres Kultes über alle Teile des Reiches,
wobei sie die Götter der Barbaren in sich aufnehmen und mit ihrem rö-
mischen Namen die fremden Götterdienste der Provinzen decken. In der
Überzeugung, dass die Gottheiten fremder Religionen nur im Namen sich
von den römischen unterscheiden, innerlich aber mit ihnen wesensgleich
oder verwandt sind, wendet der Römer im fremden Lande überall die
interpretatio Romana (Tac. Germ. 43) an, d. h. er erkennt mit grösserem
oder geringerem Rechte an einzelnen Ähnlichkeiten des Gottesdienstes oder
der Auffassung in den fremden numina die eigenen Götter wieder und
gibt ihnen deren Namen, die die Provinzialen sich in demselben Masse
aneignen, in dem sie sich der höheren römischen Kultur erschliessen ; ob
der einheimische Name des Gottes als Beiname neben dem römischen be*
wahrt bleibt oder verschwindet, macht für die Sache keinen wesentlichen
Unterschied. VTenn unter den römischen Göttern, die so zu Trägem
fremder Religionsvorstellungen werden, nächst dem höchsten Gotte Jup-
piter 0. M. — namentlich in den germanischen und keltischen Provinzen
— Mars und Mercurius obenan stehen,') so spiegelt sich darin die That-
sache wieder, dass der römische Soldat und der römische Kaufmann fds erste
Pioniere der Kultur den neuen Boden gewannen und natürlich die Neigung
hatten, die Götter ihres Berufes in den angesehensten Gottheiten des
fremden Landes wiederzufinden. Aber auch andre römische Gottheiten
treten, ohne dass wir jedesmal die für die Gleichsetzung massgebenden
*) üeber die Gottheiten der coVegla vgl. ' zion. epigraf. T 925 f.
LiBBBNAM, Zur Gesch. u. Organisation des ! ') Belege bei Röscher, Mythol. Lexik,
röm. Vereinswesens S. 288 ff. i II 2397 ff. und Stbüdiho ebd. II 2828 ff,
') Materialsammlong bei RüoeisBO, Di-
D. Kaiserseit. 16. Di« beiden ersten Jahrhunderte.
77
Erwägangen noch ermitteln könnten, zur Verdolmetschung der Barbaren-
götter ein, z. B. Hercules für den germanischen Donar, Saturnus für den
punischen Ba'alchammto, Minerva für die britannische Göttin der heissen
Quellen von Bath (Aquae Sulis), Neptunus für einen oberitalischen, Silvanus
für einen dalmatinischen Gott u. s. w. Vermittelt wurde die Bekanntschaft
der Römer mit diesen landfremden Gottheiten insbesondere durch das
Heer, in welchem die peregrinen Truppenkörper, die ihre nationale Zu-
sammensetzung bewahrt hatten, ihre einheimischen Schutzgötter fort-
führten;*) auf diesem Wege ist z. B. die keltische*) Stall- und Pferde-
göttin Epona auch bei den römischen Bürgertruppen (CIL HI 3420) und
sogar in Rom selbst zur Verehrung gelangt.^) Ganz besonders lehrreich
für diese Art des Eindringens fremder Gottheiten sind die in der rö-
mischen Kaserne der vorwiegend aus Germanen und Kelten rekrutierten
Equites singulares aufgefundenen Votivsteine, gesetzt von den in den Jahren
132 — 141 aus dieser Truppe ausgeschiedenen Veteranen; die Weihungen
richten sich, von zufalligen Schwankungen abgesehen, immer an denselben
Götterverein, nämlich Juppiter 0. M., Juno, Minerva, Mars, Victoria, Her-
cules, Fortuna, Mercurius, Salus, Felicitas, Fata, Campestres, Silvanus,
Apollo, Diana, Epona, Suleviae und Genius singularium; es treten also zu
a) der Trias der capitolinischen Gottheiten b) ein Dreiverein der germa-
nischen Hauptgötter Donar, Tiu und Wodan in der Romanisierung als
Mars, Hercules, Mercurius, c) die Personifikationen Victoria, Fortuna, Salus,
Felicitas, die beiden ersteren mit Beziehung auf das Kriegsglück der
Truppe, die andern beiden, wie bei den Arvalbrüdern, auf die Wohlfahrt
des Reiches, d) die einheimischen Lokalgottheiten der Truppe, nämlich
Fata, Campestres, Epona, Suleviae für die Kelten und Germanen, Silvanus,
Apollo, Diana für die Illyrier und Dacier, endlich e) nach römischer An-
schauung der Genius als göttliche Verkörperung der Truppe,*) Ein ähn-
liches Durcheinandergehen alter und neuer, römischer und barbarischer
Religionsvorstellungen zeigen in bescheidenerer Weise auch zahlreiche
andre sakrale Denkmäler aus den Provinzen. Es gibt eben keine Reichs-
religion , sondern die durchsichtige ^ Hülle römischer Namen deckt eine
unerschöpfliche Mannigfaltigkeit verschiedenartiger Religions Vorstellungen,
die mit dem Ganzen nur locker durch die Verehrung des Juppiter 0. M.
und den Kaiserkult in seinen verschiedenen Formen und Nuancen ver-
') Vgl. die schönen und frachtbaren
Untereucbungen v. Domaszewskis, Westd.
Ztschr. XIV 45 ff.
*) üeber die von v. Domaszkwski a. a. 0.
52 mit Unrecht geleugnete keltische Her-
kunft der Epona s. jetzt S. Beihach, Revue
archöol. XXYl (1895) 163 ff. 309 ff., der das
TollatAndige Material gibt.
*) Aosserhalb des keltischen Kreises (in
diesen gehört der Bauemkalender von 6ui-
dizzolo bei Mantua, mit der Notiz XV Kialen-
dtu) Ia[n]uar(ia8) Epon[a)e, CIL I^ p. 253,
vgl. 387) ist das Älteste Zeugnis Jnven. 8, 157;
denn die Dentong des pompejanischen Wand-
bildes Annuli d. Inst. 1872 tav. D auf Epona
ist höchst fraglich.
*) Die Inschriften sind am besten publi-
ziert von Henzbn, Annali d. Inst. 1885,235 ff.;
dazu vgl. für die germanische Trias C. Zamgb-
meistIb, N. Heidelb. Jahrb. V 1895, 46 ff.
(Nachträge von Sixt, ebd. VI 1896, 59 ff.; s.
auch V. DoMASZEWSKi a. a. 0. 46 f.), über Fata
Campestres Suleviae M. Sieboubo, De Sulevis
Campestribus Fatis, Diss. Bonn 188(i. M. Ihm,
Jahrb. d. Vereins d. Altertumsfr. im Rheinl.
LXXXIII (1887) und in Roschers Lexik. II
2464 ff., über Silvanus Apollo Diana als
illyrisch-thrakische Götter v. Domaszbwski
a. a. 0. 52 ff.
78
Religion und Kultus der Römer. I. Religionsgeschichte.
bunden werden, während die eigentliche Staatsreligion immer an den
stadtrömischen Boden gefesselt blieb und schon darum sich nicht zur
Reichsreligion herauswachsen konnte.
Litteratur: 6. Boissier, La religion Romaine d'Auguste aux Antonins, Paris 1874.
L. Fbiedländer. Sitt.6esch. IIP 477 ff. V. Duruy, Formation d'une religion officielie dann
Tempire Romain, Revue de Thistoire des relig. I 1880, 161 ff. Für den Kaiserkult (s. auch
unten § 55) reiche Litteratumachweise (nicht mehr) bei Drrxlbr in Roschers Lexik. II
901 ff. Eine für die Religionsgeschichte der Kaiserzeit unerlässliche Vorarbeit, eine 6eo-
graphia sacra imperii Romani, fehlt noch.
17. Die Zeit der Auflösung seit den Antoninen. So reich auch
der Zustrom auswärtiger, den römischen wie den romanisierten griechischen
Göttervorstellungen fremder Religionsanschauungen durch das Heer und
den Handelsverkehr sein mochte und so zahlreich die Fälle sind, dass der
nach Rom übersiedelnde Fremde oder Freigelassene seine heimischen Kulte
in der Hauptstadt weiterpflegt und auch Römer zu Proselyten macht,
so ist doch die offizielle Staatskirche in den ersten beiden Jahrhunderten
der Kaiserzeit von diesen Einflüssen verhältnismässig wenig oder gar nicht
berührt worden. Dem einzelnen Bürger ist es nicht untersagt, in solo
privato auch vom Staate nicht recipierte Gottheiten zu verehren, falls er
damit nur nicht gegen die allgemeine Ordnung verstösst und darüber seine
Pflichten gegen den öffentlichen Gottesdienst nicht vernachlässigt ; in noch
höherem Masse ist der von der nationalen Gottesverehrnng ausgeschlossene
Fremde in seiner eigenen Religionsübung unbeschränkt, soweit nicht die
Rücksicht auf Ordnung und gute Sitte in Frage kommt; ■) darum hat es
in der Hauptstadt selbst und überall in Italien eine Menge von Kapellen,
Altären und Votivsteinen für auswärtige, insbesondere orientalische Gott-
heiten gegeben, und namentlich waren es die Hafenstädte, wie z. B. Ostia*)
und Puteoli,*) mit ihrem internationalen Verkehr, die für diese Fremdkulte
das Eingangsthor bildeten. Aber all diese Kulte sind aus den Grenzen
privater Religionsübung auch dann nicht herausgetreten, wenn sie an
weiteren Kreisen der Bürgerschaft ihre werbende Kraft bewiesen — wie
z. B. der Kult der Isis namentlich in der Frauenwelt — oder wenn dieser
oder jener Kaiser ihnen seine persönliche Neigung zuwendete.*) Zur
offiziellen Aufnahme in die Staatsreligion ist, soviel wir sehen können,
vor dem Beginne des 3. Jahrhunderts keiner der orientalischen Fremd-
kulte gelangt, die teilweise im religiösen Leben des Volkes bereits eine
sehr bedeutende Rolle spielten; denn selbst das hochangesehene Heilig-
0 MoKMSEN, Histor. Zeitschr. N. F.
XXVIIl 401 ff.
^) Ueher die dortigen Kulte von Isis,
Magna Mater und Mithras s. Dessau, CIL
XIV p. 5. 18.
') Puteoli besitzt schon im J. 649 = 105
einen Serapistempel (CIL X 1781; vgl. Th.
WiBGAND, Jahrb. f. Philol. Suppl. XX 697 ff.),
in Trajans Zeiten begegnen dort cultores lovis
Heliopolitani Berytenses, qui PuteoUs con-
aistunt (CIL X 1634, vgl. 1578 f.). ferner
sacerdotea lovis optimi maximi Damasceni
(CIL X 1595- 1597), sogar eine Weihinschrift
an den nabataeischen Qott Dusares bat sich
dort gefunden (CIL X 1556).
*) Augustus (Suet. Aug. 93), Claudius
(Suet. Claud. 25), Hadrian (J. Di^BR, Reisen
Hadrians S. 46 f.), Marc Aurel (Hist. aug. M.
Aur. 27, 1) u. a. waren in die eleusinischen
Mysterien eingeweiht (vgl. P. FoüCABT,Compt.
rend. de Tacad. d. inscr. et bell, lettr. 4. s^r.
XX 1892, 384), Nero war zeitweise ein be-
sonderer Verehrer der Dea Suria (Suet. Nero
56), Otho, Vespasian, Domitian begünstigten
die ägvptischen Gottesdienste (G. Lafate,
Hist. du culte des divinit^s d*Alexandrie
S. 60 f.).
D. Eaiserseit. 17. Zeit der Anflösniig seit den Antoninen.
79
tum der Isis Campensis im Marsfelde ist keine aedes publica gewesen
und wir kennen in der früheren Eaiserzeit weder ein Staatsfest noch
Staatspriester der Isis, noch auch hören wir von einer Überweisung ihres
Dienstes in das Ressort derQuindecimvim, wie sie doch nachweislich für den
recipierten Kult der Grossen Mutter erfolgt ist. Dieser letztere aber unter-
schied sich auch, soweit es sich um das Staatsfest handelte, in seinem
Ceremoniell nicht wesentlich von den zahlreichen in Rom aufgenommenen
griechischen Gottesdiensten, und was einen ausgesprochen fremdartigen
Charakter trug, die Umzüge und Schaustellungen der Galli, blieb zunächst
ebenso auf die landfremden Priester der Göttin beschränkt, wie die von
wilder Musik und Selbstverwundungen begleiteten Tänze der Bellonarii,
d. h. der Diener der kappadokischen Mä-Bellona. Nur wenn die orien-
talischen Fremdkulte in den beiden ersten Jahrhunderten der Eaiserzeit
zwar zahlreiche Anhänger bis hinauf in die höchsten Kreise der Gesell-
schaft besassen, der staatlichen Anerkennung aber ermangelten, ver-
stehen wir die ganz abweichende Haltung; die die verschiedenen Kaiser
ihnen gegenüber einnehmen, indem die einen (siehe oben S. 78 Anm. 4)
sie auffallend begünstigen, andere, wie Augustus und Hadrian,^) sie mit
Verachtung behandeln ; dass aber gar Tiberius nicht nur mit harten Strafen
gegen die Anhänger der sacra Aegyptia et ludaica vorgeht, sondern auch
— allerdings veranlasst durch einen bestimmten skandalösen Vorfall —
den Tempel der Isis zerstören und ihr Bild in den Tiber werfen lässt,^)
ist eine gegenüber einer recipierten Gottheit des Staatskultes völlig undenk-
bare Handlungsweise. Seit der Zeit des Augustus ist eine Verfügung in
Geltung, welche die Heiligtümer dieser landfremden Gottheiten der öst-
lichen Reichshälfte von dem geheiligten Bezirk des Pomeriums aus-
schliesst oder gar noch weiter von der Stadtgrenze fernhält; 3) dieselbe
Schranke also, die früher zwischen den römisch-italischen Kulten und
den Gottesdiensten des graecus rüus aufgerichtet war (siehe oben S. 40),
scheidet nun die Gesamtheit der sacra Bomana einheimischen wie griechi-
schen Ursprungs von den sacra peregrina^^) deren Begriff sich auf die
Religionen der fremdartigen ägyptischen und orientalischen Kulturzone
verengt hat. Gefallen ist diese Schranke erst gleichzeitig mit der Schei-
dung von cives Romani und peregrini im römischen Reiche, und es ist
kein Zufall, dass Caracalla, der das römische Bürgerrecht an alle freien
Reichsangehörigen verlieh, auch derjenige war, der Isis in die Reihe der
Staatsgottheiten aufnahm und ihr, wie den übrigen fremden Göttern, die
Pomeriumsgrenze öffnete; seitdem strömen die Gottheiten aller Provinzen
in Rom als dem femplum mundi totius (Amm. Marc. XVII 4, 13) zusammen.
1) Säet. Aug. 93. Hisi. aug. Hadr. 22, 10.
*) Joseph, ant. XVIII 79. Tac. ann. II 85.
Säet. Tib. 36.
') Cass. Dio LIII 2, 4 xal ra f^y legd
Ja JiyvnxMi ovx eigedä^aro etaat tov naif^tj-
Qiov (die folgenden Worte ftiv de dij y«v5v
Ti^voiap inoiij<raro u. s. w. beziehen sich
nicht, wie vielfach angenommen wird — z. B.
DsEZLBR in Roschers Lexik. II 403 — auf
die ägyptischen Kulte, sondern auf die all-
gemeine Tempelherstellung durch Augustus,
8. oben S. 67). LIV 6, 6.
*) Bist. aug. Hadr. 22, 10: sacra Ro-
mana diligentissime euravit, peregrina
contempsit; gleichbedeutend mit den sctcra
peregrina sind die externae superstitiones des
Tac. ann. XI 15. XFII 32 (externae caerimo-
niae Suet. Tib. 36) u. a., vgl. Mokmsbn, Rist.
Zeitschr. N. F. XXVIir404, 1.
80
Religion Tind Knltna der BOmer. I. Religionegeschichte.
und es wird das Wort zur Wahrheit, dass die übrigen Völker jedes seinen
besonderen Gott verehrten, die Römer aber alle Gottheiten der Welt
insgesamt.^) Es ist nicht immer mit Sicherheit auszumachen, ob die
Eultusstätten solcher ausländischer Gottheiten, die wir im 8. und. 4. Jahr-
hundert in Rom intra und extra pomerium in grosser Zahl nachweisen
können, Staatstempel sind oder nicht: für die kappadokische Mä-Bellona
und den kommagenischen Dolichenus scheint für diese Zeit Staatskult
anzunehmen, während man einen solchen für den Gott von Baalbek (Jup-
piter 0. M. Heliopolitanus) und die syrische Atargatis (Dea Suria) nur
mit Wahrscheinlichkeit vermuten kann. Zu um so grösserer Bedeutung
im römischen Staatskulte sind aber durch die Kaiser Elagabal und Aurelian
die Ba'alim von Hemesa (Dens Sol Elagabal) und Palmyra (Sol invictus)
gelangt, und wenn der erstgenannte Kaiser sich nicht damit begnügt,
seinen Gott mit der punischen Göttin von Karthago (Caelestis) zu ver-
mählen, sondern auch den heiligen Stein der Magna Mater, das Feuer der
Yesta, das Palladium, die Ancilia der Salier und andi*e Heiligtümer in
seinen Tempel bringen lässt^) und in der offiziellen Titulatur die Würde
des sacerdos amplissimus dei invicti Solls Elagahali der des Pontifex maxi-
mus voranstellt,^) so zeigt das eben so deutlich das Bestreben, diese
orientalische Religion über und an die Stelle der altrömischen zu setzen,
wie wenn Aurelian für seinen Sonnengott ein neues Kollegium von ponti-
fices Solls einsetzt, das die Pontifices der alten Religion des Numa in den
Hintergrund drängen soll. Der Gott Elagabal verfiel ebenso wie der Kaiser,
der sein Priester gewesen war, der damnatlo memoriae,*') der palmyrenische
Sonnengott Aurelians aber hat bis auf die Zeiten des Julian eine hervor-
ragende Rolle in der Staatsreligion gespielt. In den Schatten gestellt
wurde er freilich durch den nach Herkunft und Bedeutung verwandten
Kult des persischen Mithras, der, während des 2. Jahrhunderts durch die
Soldaten und die Sklaven aus den asiatischen Provinzen mit wachsender
Schnelligkeit verbreitet, seit dem 3. Jahrhundert im religiösen Leben der
Westhälfte des Reiches obenan steht. Die ganze Art und Anlage des
Mithrasdienstes mit seinen Grotten tempeln und kleinen Gemeinden, seinen
Graden und Weihungen entzog sich derart den Formen der römischen
Staatskirche, dass wahrscheinlich aus diesem Grunde eine offizielle Reception
des Mithras unter die dl publlcl p, R. nie erfolgt ist,*^) obwohl der Kult
*) Minne. Fei. 6, 1 : inde adeo per uni-
versa imperia provincias oppida videmus
aingulos sacrorum ritus gentiles habere et
deo8 colere municipes, ut Eleusinios Cererem,
Phrygaa Matrem, Epidaurios Aesculapium,
ChaJdaeos Belum, Astarten Syros, Dianam
Taurios, Gallos Mercurium, numina universa
Romanos.
') Hist. aug. Heliog. 3, 4; vgl. Herodian.
V 5, 7.
«) V. DoMA8ZEW8Ki,We8tcl. ZUchr. XIV 61.
*) V. DoHASZEwsKi a. a. 0. S. 60 Adiii. 256.
') Wenn v. Domaszewskt a. a. 0. 66 die
Sonderstellung des Mithraskultus daraus er-
klären will, dass er der Gott eines dem Reiche
nicht angehörigen Stammes, der Perser, ist,
und darum ausser den scu^a Rotnana und
peregrina noch eine dritte Kategorie, die
Sacra externa, annimmt, so kann ich ihm
darin nicht folgen; denn ehe der Mithras-
kult nach Rom kam, war er in Armenien,
Kappadokien, Kilikien, Kommagene, Osrhoene
und andern Teilen des Reiches längst hei-
misch, und wenn ihn die von dort stam-
menden Soldaten nach Rom mitbrachten, lag
kein (irrund vor festzustellen, ob sie ihn
anderswoher übernommen hätten und wo
seine eigentliche Heimat sei. Ueber die
Identität der Begriffe »acra peregrina und
Sacra externa s. oben S. 79 Anm. 4.
D. XaiBeneit. 17. Zeit der AolldBiuig seit den Antoninen. gl
an Verbreitung und Einfluss alle andern übertraf und die Kaiser selbst
den Gott als Schirmherrn ihrer Macht verehrten ;^) die zahlreichen römischen
Mithrasheiligtümer tragen durchaus den Charakter von Privatkapellen,
seine Priester sind nie Staatspriester gewesen und der Kalender weist
kein öffentliches Fest des Mithras auf; denn der am 25. Dezember ver-
zeichnete Naialis invidi (Solis) gilt nicht ihm, sondern dem Sonnengotte
Aurelians, der überhaupt im gewissen Sinne im Staatskulte an die Stelle
des Mithi*as getreten ist, während er in der privaten Religionsübung gegen
diesen zurückstand oder beide zusammenflössen. Was die Mithrasreligion
von allen römischen Staatskulten schied und ihr zugleich ihre grosse Macht
über die Seelen verlieh, wai* die starke Wirkung auf Phantasie und Ge-
müt, die sie durch die komplizierte Symbolik ihrer Riten und durch die
geheimnisvollen Verheissungen und Reinigungen ihres Dienstes ausübte;
wie stark im Geiste der Zeit der Drang nach Offenbarung und nach Ent-
sündigung durch Busse und Weihung ausgeprägt war, zeigt sich darin,
dass für die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse etwa seit dem An-
fange des 3. Jahrhunderts kaum noch andere Kulte in Betracht kommen,
als solche, die den Gläubigen derartige Offenbarungen und Entsündigungen
in Aussicht stellen, auser Mithras besonders der von jeher mit geheimnis-
vollem Reize umgebene Dienst der Isis und noch mehr der der Grossen
Mutter, der seit der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts durch die Ein-
führung des wildorgiastischen Frühlingsfestes und die Aufnahme der wahr-
scheinlich dem Kulte der persischen Anahita entstammenden Opferweihe
des Taurobolium einen ganz veränderten Charakter angenommen hat;
aber auch entlegenere Geheimkulte, wie der der karthagischen Himmels-
göttin, des phrygischen Sabazios, der Hekate, des orphischen Dionysos-
Liber u. a. m. finden ihre Gemeinde. Gemeinsam ist all diesen Religionen,
dass jede von ihnen die ganze und alleinige Wahrheit zu überliefern und
ihren Gläubigen den einzig wirklichen Gott zu bieten behauptet; mit der
thatsächlichen Existenz und Verehrung der zahlreichen andern Götter
findet man sich durch die Lehre ab, dass sie sämtlich nur unvollkommenere
Offenbarungen oder andre Namen der einen wahren Gottheit seien und
dass diese all die verschieden benannten göttlichen Kräfte und Persönlich-
keiten in sich vereinige. Am schärfsten tritt dieser Zug bei Isis myrionyma^)
hervor, die Apulejus (metam. XI 5, vgl. 2) sich dem Neophyten so vor-
stellen lässt: en adsum . . . verum naturae parens, elementorum domina,
saecularum progenies initialist summa numinum, regina manium^ prima cae-
litum, deorum dearumque facies uniformis, quae caeli luminosa culmina, maris
scdubria flamina, inferum deplorata silentia nutibus meis dispenso: cuius numen
unicum multiformi specie, ritu vario, nomine muUiiugo totus reneraiur orbis.
inde primigenii Phryges Pessinuntiam deum Matrem, hinc aiitochthones Aitici
CecropiamMinervam, iUincfluctuaniesCypriiPaphiam Venerem, Cretes sagitfiferi
Dictynnam Dianam, Siculi trilingues Stygiam Proserpinam, Eleusinii vetustam
') CIL III 4413 D{eo) S{oU) i{nvicto) «) CIL V 5080 und mehr bei Drexlkb,
MiUhrae) fautori imperii $ui lovü et Her- Mythol. Beiträge I 125 ff.; vgl. auch CIL X
culU rdi^io9%89imi Augusti et Caesarea sacra- 3800 : te tibi, una quae ea omnia, dea Isis,
rium restüuerunt,
Handlnieb der Umr. AltertnmiiH liwcDuchafL V, 4. 6
82
Religion und Kultas der Römer. I. Religionsgeschichte.
deam Cererem, lunonem alii, BeUonam alii, Hecatam isti, Rhammisiam Uli,
qui <vero> nascentis dei Solls incohantibus inlustrantur radiis Aethiopes
Arique priscaque doctrina pollentes Aegyptii, caerimoniis me propriis perco-
lentes, appellant vero nomine reginam Isidem; aber auch andre Gottheiten
erhoben mehr oder weniger bestimmt die gleichen Ansprüche, z. B. Attis*)
und der orphische Dionysos. 2) So ergeben sich die Voraussetzungen für
eine Theokrasie, die sich nicht nur im Kulte durch das vielen Gottheiten
beigelegte Beiwort pantheus und die Vereinigung der verschiedensten
Götterattribute im Bilde einer Gottheit kundgibt,') sondern auch von der
philosophischen Spekulation mit Eifer aufgegriffen wird, um mit allen Mitteln
der Deutung die unendliche Vielheit der griechischen, römischen und orien-
talischen Gottheiten auf einheitliche Kräfte zurückzuführen, zumeist alle
männlichen Gottheiten auf die Sonne, alle weiblichen auf die Erde.'^) Das
Verständnis für die historische und innerliche Verschiedenheit und Unverein-
barkeit der einzelnen Götter- und Kultkreise ging dabei vollständig ver-
loren, und die Nachricht, dass Alexander Severus, der um die Erhaltung
der alten Staatsreligion eifrig bemüht war (Herodian. VI 1, 3), in seiner
Hauskapelle neben den Laren und Penaten die Bilder von ApoUonios von
Tyana, Christus, Abraham und Orpheus gehabt habe (Hist. aug. Alex. Sev.
29, 2), hat nichts Unglaubliches ; hatte doch schon Marc Aurel nicht nur
in der Theorie die Götter aller Nationen gleich gestellt, sondern auch
beim Ausbruche des Marcomannenkrieges Priester aller möglichen fremden
Religionen nach Rom kommen und dort ihre rüus peregrini zum Wohle
des Reiches ausüben lassen (Hist. aug. M. Aur. 13, 1). Die Kosten dieser
kosmopolitischen Verallgemeinerung der religiösen Begriffe tragen natur-
gemäss die alten Staatsgötter, deren Kult mehr und mehr verfällt: wenn wir
wissen, dass den Arvalbrüdern unter Gordian ihre sportula auf ein Viertel
des früheren Betrages verkürzt wurde und bald nachher die Aufzeichnung
ihrer Protokolle ganz aufhörte,^) so ist das nur ein zufällig erhaltenes Zeugnis
für die Schmälerung der Staatsleistungen für den Kultus, die gewiss in viel
grösserem Umfange stattgefunden hat. Auch der Kaiserkult erfährt eine
bemerkenswerte Umwandlung. Die Konsekration der verstorbenen Kaiser
wird erheblich häufiger als früher und verliert dadurch an Wert, die
neuen Divi schliessen sich der langen Reihe ihrer Vorgänger an, ohne
eigne Tempel und Priester zu erhalten, ja es werden verschiedentlich Ver-
0 Hippol. refut. haer. V 9 p. 1 08 Sehn.;
vgl. Käibbl, epigr. gr. 824, 2 *'Aixn S^ viplara)
xal avviivii j6 ndv und das Orakel bei Socr.
h. eccl. III 23.
*) Vgl. den orphiscben Vers frg. 7 Abel
bU Zfvf, eU 'Mdtjgf 6lg"HXios, €ig JioyvGog^
der bei Julian, or. IV 136 A in der abgeän-
derten Form erscheint sU ZevV, bU 'AtSrjg,
elg ^'HXiog iari Idgan ig.
*) Sarapis pantheus CIL II 46; lAber
pantheus CIL IX 3145. XIV 2865. Auson.
epigr. 48 f. p. 330 f. Peip.; Fortuna panthea
CIL X 5800 u. a. ; häufig werden signa panthea
erwähnt (CIL II 1473. VI 100. X 1557), von
denen auch zahlreiche Exemplare erhalten
sind, namentlich Fortuna (R. Pbtbb in Ro-
schers Lexik. 1 1584 f. 1556 f.) und Isis (schon
in Pompeji, Hblbio, Wandgem. nr. 78 = CIL
IV 882). Widmungen an einen Gott Pantheus
CIL VI 557-559.
*) Julian, or. IV. Macr. S. 1 17—23. Mart
Cap. II 185-193. Nonn. Dion. XL 369—410,
sämtlich aus neuplatonischer Quelle ; vgl. G.
WoLFF, Porphyr, de philos. ex orac. haar.
p. 127 f. WissowA, De Macrob. Sat. fontibus
p. 35 ff. L. Traube, Varia libamenta critica
(München 1883) p. 23 ff. K. Burbsch, Klaros
S 53 f
») Vgl. WissowA, Real-Encyol. II 1467,
D. Kaiseneit. 17. Zeit der AaflöBang seit den Antoninen.
83
suche gemacht, die Schaar der Divi imperatores von unwürdigen Elementen
nachträglich zu säubern und nur eine Auslese im Kulte fortzuführen.^)
Auf der andern Seite bemerken wir Ansätze zur Gleichstellung des leben-
den Kaisers mit den Göttern im öffentlichen Kulte. Unter den verschiedenen
Versuchen, die Augustus gemacht hatte, seine Person und Dynastie ver-
mittels der Religion zu stützen, hatte sich auch einer befunden, der bald
wieder aufgegeben wurde, dass sich nämlich der Kaiser eine Zeit lang darin
gefiel, sich als auf Erden wandelnder Gott Mercurius gefeiert zu sehen ;^)
die griechischen Provinzen haben das gleiche Verfahren gegenüber männ-
lichen und weiblichen Angehörigen des Kaiserhauses, von Livia und Julia bis
Hadrian und Sabina und weiterhin, eingeschlagen, die sie auf Münzen und
Inschriften als väog "Hhog, ^AnokXoDv^ Zsvg, Ji/waog^ als väa "Hqa^ ^Eczta^
JrjfAi^fjQ, 'A^Qodixri feiern:') aber das war nicht viel mehr als ein etwas
öberschwänglicher bildlicher Ausdruck, und in Rom hat die Gleichstellung
des Kaisers mit einem bestimmten Gotte nie Boden gefunden. Erst Com-
modus hat sich bei Lebzeiten unter dem Decknamen des Hercules Götter-
rechte angemasst und, als Romanus Hercules, wie er selbst sich nannte,^)
vom Senate amtlich anerkannt, Standbilder und Opfer erhalten.^) Obwohl
dies Beispiel zunächst keine Nachahmung fand, hat doch hundert Jahre
später, nachdem zuerst Aurelian ausdrücklich den Titel dominus et deus axige^
nonunen hatte, ^) Diocletian an diese Form der Vergöttlichung des Herrschers
wieder angeknüpft, indem er sich selbst als lovius, seinen Mitregenten Maxi-
mian als Herculius bezeichnete und anordnete, dass diese Titel sich
auch auf die Nachfolger in der Würde des Augustus und Caesar vererben
sollten. '') Waren diese Titel auch nicht dazu bestimmt, die Gleichstellung
der Kaiser mit Juppiter und Hercules zu betonen, sondern nur die be-
sonders enge Beziehung hervorzuheben, in der sie zu diesen Göttern
ständen, und zugleich das gegenseitige Verhältnis Diocletians und seines
Mitregenten durch den Vergleich mit Juppiter und seinem göttlichen Sohne
ins rechte Licht zu setzen,^) so wäre doch gewiss auch der noch fehlende
Schritt geschehen und der Juppitersohn zum Juppiter selbst geworden,
wenn nicht der Sieg des Christentums diese Entwicklung gewaltsam unter-
brochen hätte. Hat doch trotz des Christentums die Anschauung, dass
Kaisertum und Göttermacht zusammenfalle, in den Formen der Adoration,
die auch die christlichen Kaiser beanspruchten, und in der Bezeichnung
alles dessen, was dem Kaiser gehörte, als res sacra (sacra cognitio, sacrum
cuhiculum u. s. w.) ihren unverkennbaren Ausdruck gefunden.^)
*) Alexander Sevenis hat in seinem
Lararimn divo8 principes, sed aptimos electos
(Bist. aug. A]ex. Sev. 29, 2), und Tacitne Di-
varum templum fieri iusait, in quo essent
staiuae principum bonorum (ebd. Tac. 9, 5).
') KiESSLUfG, Philol. Untersuch. II 92.
J. Krall, Wiener Stad. V 315 Anm. Uülsek,
Rdm. Mittfa. VI 129, 2.
*) Belegstellen bei Beuslibr, Le culte
imperial p. 155 f.
*) Ca88.DioLXXII15,5. CIL XIV 8449.
^) Hiat. aug. Comm. 8, 9. 9, 2 und voll-
ständige Sammlung der Zeugnisse bei R. Pbtbb
in Roschers Lexik. I 2987 ff.
«) MoMMSBN, Staatsr. II 737.
') Vict. Caes. 39, 18. Lact, de mort.*per-
sec. 52, 3 ; mehr bei Pbter a. a. 0. 2997 ff.
^) Glaud. Mam. paneg. Maxim. Wiut enim
omnia commoda . . . a summia . . auctoribua
manant, love rectore caeli et Hercvle paea-
iore terrarum, sie omnibua pulcherrimis
rebus . . . Diocletianus f<»cem, tu tribuis ef-
fectum.
*) Bbublibr, Le culte imperial p. 283 ff.
84 Religion und Knltim der Römer. I. Religionsgesohiolite.
Litteratur: E. Rkhan, Marc AurMe et la fin du monde antique (Originea du chri-
Btianisme VII), Paria 1882. J. R^llb, La religion ä Rome soos les S^väres, Paris 1886;
deutsche Uebersetzung von 6. Kbügbb, Leipzig 1888. J. Bubckhabdt, Die Zeit Gonstantins
des Grossen, 2. Aufl. S. 137 ff. Mabquabdt, Köm. Staatsverw. IIP 71 ff.
18. Das Ende der römischen Religion. Das Eindringen der ägyp-
tischen und orientalischen Fremdkulte nicht nur in die private Religions-
übung des Volkes, sondern auch in die Staatskirche, musste um so not-
wendiger und schneller zur Vernichtung der letzteren führen, je energi-
scher jeder dieser Gottesdienste den Anspruch erhob, der allein wahre
und allumfassende zu sein, und daher mit den alten Göttern unvereinbar
war, oder doch vereinbar nur in dem Sinne, dass er alle in sich aufsog
und mit sich amalgamierte. Die Kulte der Isis, der grossen Mutter, des
Mithras u. s. w. arbeiten alle von innen heraus hin auf die völlige Ver-
nichtung derjenigen römischen Staatsreligion, die in der republikanischen
Zeit sich entwickelt hatte nud von den Kaisern äusserlich erhalten worden
war, und nach Vollendung dieses Zerstörungswerkes würde zwischen ihnen
selbst der Kampf um die Stellung als Reichs- und Weltreligion ausge-
brochen sein, wenn nicht inzwischen im Christentume ein übermächtiger
Gegner auf den Plan getreten wäre, dem sie schliesslich allesamt das Feld
räumen mussten. Dass der Kampf zwischen Heidentum und Christentum
wenigstens im Westen des Reiches im wesentlichen zwischen dem neuen
Glauben und jenen sacra peregrina, nicht den Göttern der alten römischen
Religion, ausgefochten wurde, zeigt aufs deutlichste die Polemik der christ-
lichen Apologeten; trotz aller Lebhaftigkeit doch innerlich ruhig und so-
zusagen akademisch, solange es sich um den Nachweis der Verwerflich-
keit und Thorheit des alten griechisch-römischen Götterglaubens und seiner
Mythen handelt, wird sie sofort heftig und gereizt, sobald die eigentlich
gefahrlichen Gegner und Nebenbuhler, jene im Grunde monotheistischen
Religionen des Ostens ins Spiel kommen; Firmicus Matemus z. B., der
seine leidenschaftliche Anklageschrift de errore profanarum religionum an
die Kaiser Constüntius und Constans richtet, begnügt sich den griechisch-
römischen Religionsvorstellungen gegenüber mit euhemeristischer Ausdeu-
tung und überlegenem Spotte, zieht aber mit wahrhafter Erbitterung gegen
die Kulte von Isis, Magna Mater, Caelestis und Mithras los. Auf der andern
Seite haben diese orientalischen Gottesdienste, die früher unter einander in
mehr oder weniger ausgesprochener Gegnerschaft standen, mit dem weiteren
Vordringen des Christentums sich zusammengeschlossen zum gemeinsamen
Kampfe gegen den überlegenen Gegner. 0 I^as Christentum aber, die ihrer
Natur nach intoleranteste und ausschliesslichste aller Religionen, für die
nicht einmal die Möglichkeit bestand, auf dem Wege der Theokrasie eine
scheinbare Ausgleichung mit dem alten Glauben herbeizuführen, konnte
nie als einer der recipierten Kulte der Staatsreligion neben anderen stehen,
sondern musste entweder vernichtet werden oder als alleinige Religion
des Reiches an die Stelle aller alten Gottesdienste treten ; dieser Sieg war
entschieden in dem Momente, wo die Staatsbehörde die offizielle Duldung und
') Dass dies erst in der gemeinsamen ' standen, betont mit Recht F. Cumont, Revue
Not geschehen ist, nicht aber diese Kulte de Tinstmct. publ. en Belgique XL 1897, 96.
von jeher in enger Verbindung unter einander ,
D. Kaisereeit. 18. Das Ende der römischen Religion.
85
Qleichbereclitigung der christlichen Religionsübung aussprach. So begann
^mit dem Toleranzedikte, das Galerius am 30. April des J. 311 zusammen mit
Constantin und Licinius für die von ihnen beherrschten Teile des Reiches
erliess,^) jene Entwicklung, die mit unausweichlicher Notwendigkeit inner-
halb dreier Menschenalter zur völligen Vernichtung der römischen Staats-
religion führte. Unter Constantin gingen die kaiserlichen Massnahmen
nicht über die Betonung der rechtlichen Gleichstellung der christlichen
Religion mit den anerkannten Staatskulten 2) und persönliche Begünstigung
der ersteren durch den Herrscher') hinaus ; wo sie sich direkt gegen heid-
nische Religionsübung wandten, handelte es sich entweder um das von jeher
polizeilich missliebige Treiben der nicht staatlich anerkannten Weissage-
künstler^) oder um Gottesdienste, die durch Ausschweifung und Unsitt-
lichkeit öffentliches Ärgernis erregten.^) Aber schon seine Nachfolger ver-
wandelten diese scheinbare Neutralität in direkten Kampf gegen das Hei-
dentum durch Schliessung der Tempel und Verbot der Opfer, ^) und die
heidnische Reaktion unter Julian konnte wohl dem Vordringen des Chri-
stentums für eine Weile Einhalt thun, aber das Heidentum nicht retten;
denn was dem Kaiser bei seiner eifrigen Übung der Formen des heid-
nischen Kultes als Inhalt derselben vorschwebte, die Göttermischung des
Neuplatonismus, hatte mit den Göttern des allxömischen Glaubens nicht
viel mehr gemeinsam, als das Christentum, und es war eine arge Selbst-
täuschung, wenn der Kaiser sich im Gegensatze zu Constantin, dem no-
vaior turbatorque priscarum legum et moris antiquitus recepti (Anm. Marc.
XXI 10, 8), als der restüutor Bomanae religionis (CIL VIH 4326) vorkam.
Die offizielle Unterdrückung des Heidentums begann im Orient, wo auch
die Zahl der Christen eine erheblich grössere war und darum die heiden-
feindlichen Verordnungen der Kaiser im Volke selbst einen sehr viel stär-
keren Nachhall fanden; aber diese Verordnungen galten rechtsverbindlich
auch für den Westen des Reiches und werden dort, wenn auch langsamer,
80 doch mit wachsender Energie durchgeführt. Die Hochburg der alten
Religion ist Rom, wo bis über die Mitte des 4. Jahrhunderts hinaus der
alte Gottesdienst in wesentlich unveränderter Form ausgeübt wird;^) der
für Rom bestimmte Kalender des sog. Chronographen vom J. 854 ver-
0 Lact, de mort. persec. 34 = Euseb.
bist eccl. VIII 17; über das sog. Edict von
Mailand (Lact. a. a. 0. 48 = Euseb. a. a. 0.
X 5) 8. O. Skxcx, Zeitschr. f. Kirch. Gesch.
Xn 381 ff.
') Verleihnng der ImmunitAt an die christ-
lichen Priester Cod. Theod. XVI 2, 1. 2. 7
(vgl. Sbbok, Zeitschr. d. Savigny-Stift. Rom.
Abt. X, 1889, 209); des Rechtes die ccUho-
Uea eeelesia zum Erben einzusetzen ebd. XVI
2, 4 = Cod. Jnst. I 2, 1 ; mehr bei Lasaulx,
(Jntergang d. Helienism. S. 26 ff.
') Ueber die fOr Constantins persönliche
Stellung znm Ghristentnm wichtigen Ur-
kmiden bei Euseb. y. Const. II 24 ff. 48 ff. s.
8kwk, Zeitschr. f. Eirch.Gesch. XVIII 321 ff.
Cod. Theod. IX 16, 1 -4.
Euseb. v. Const. III 55 ff. und mehr bei
?
Lasaulx a. a. 0. S. 38 f.
*) Verordnung des Constantins und Con-
stans vom J. 341, Cod. Theod. XVI 10, 2:
eeaset superstitio, saerificiorum aboUatur in-
aania; die folgende Bemfong anf ein angeb-
lich gleichlautendes Gesetz des Constantin
steht unter dem dringenden Verdachte ten-
denziöser Uebertreibung.
') Vgl. die um 350 abgefasste Expositio
totius mundi p. 120 Riese: sunt autem in
ipsa Santa et virgines Septem ingenuae et
clariesitnae, quae eacra deorum pro aalute
civitatis secundum antiquarum morem per^
fieiufU et vocantur virgines Vestae
eoluHt autetn (Romani) et deos ex parte, I(h
vem et Solem, nee non et sacra Matris Deum
perficere dicunt»
86
Religion und KnltoB der Römer. I. Religionsgesohlohte.
zeichnet nicht nur die Spieltage sämtlich mit den Namen der Götter,
denen sie bestimmt sind oder deren Gebm'tsfeste (natales) sie feiern, son-
dern enthält auch noch die Mehrzahl der Feriae des alten numanischen
Kalenders und dazu die später eingesetzten Feste der Isis, des Serapis,
des Sol invictus, der Magna Mater u. s. w. ; ^ Constantius vermochte sich
bei seinem Besuche Roms im J. 357 nicht nur dem überwältigenden Ein-
drucke nicht zu entziehen, den die prachtvollen Bauwerke und Zeugen
einer grossen Vergangenheit auf ihn ausübten, sondern erkannte sogar
durch Verleihung von Priestertümern an die Angehörigen der Nobilität
das Fortbestehen des alten Staatskultes ausdrücklich an;^) zwei Jahre
später (359) begeht der Stadtpräfekt Tertullus noch in aller Feierlichkeit
das herkömmliche Opfer im Castortempel zu Ostia,') alles das in dem-
selben Jahrzehnte, in dem zwei kaiserliche Erlasse (von 354 und 356) für
alle Orte des Reiches von neuem die Schliessung der Tempel angeordnet
und die Strafen für das Opfern und die Anbetung der Götterbilder ver-
schärft habend) Der Widerspruch ist nur so zu lösen, dass gegenüber
allen auf die Vernichtung des heidnischen Kultes gerichteten Verordnungen
die stadtrömischen aedes publicae und die von den Staatspriestern nach
altem Herkommen vorzunehmenden Kulthandlungen, d. h. also die Übung
der eigentlichen Staatsreligion, kraft ihrer besonderen rechtlichen Begrün-
dung eine Ausnahmestellung einnahmen; das konnte nicht anders sein,
solange der Kaiser, wenn auch persönlich der christlichen Religion ange-
hörig, als Pontifex maximus an der Spitze des römischen Staatskultes
heidnischer Observanz stand und die Kosten dieses Kultes aus öffentlichen
Mitteln bestritten wurden. Darum hat erst Gratian wirklich die Kraft der
römischen Staatsreligion gebrochen, als er — wie es scheint im J. 375 —
die seit fast 400 Jahren mit der Krone verbundene Würde des Pontifex maxi-
mus verschmähte^) und um das J. 382 die Einziehung des Tempelgutes,
d. h. der zur Deckung der Kosten des alten Kultus angewiesenen Staatslände-
reien, anordnete und den Staatspriestern alle bisher genossenen Emolumente
und Immunitäten entzog.^) Der materielle Schaden, den die Einstellung der
Leistungen aus Staatsmitteln der römischen Religion brachte, konnte durch
die persönliche Opferwilligkeit der Vertreter des alten Glaubens, die über-
wiegend den vornehmen und begüterten Kreisen des römischen Senats an-
') MoMKSEN (Abhandl. d. sftchs.Gesellsch.
d. Wiss, II 570, vgl. ßer. d. e. Ges. 1850, 72)
wird mit der Bemerkung ,die eigentlichen
Opfer nnd heidnischen Ceremonien sind aus
demselben gestrichen und die ursprünglich
dem Kultus der Götter bestimmten Tage nur
als dies feriati ohne religiöse Bedeutung bei-
behalten* dem heidnischen Gehalte des Ka-
lenders nicht ausreichend gerecht.
') Amm. Marc. XVI 10, 14 f. Symm. rel.
8, 7 p. 281, 31 Seeck.
») Amm. Marc. XIX 10, 4; dass der Prä-
fekt vom Volke zur Darbringung des Opfers
gezwungen worden sei, wie V. Schultzb,
Unterg. d. Heident. I 93 meint, steht keines-
wegs bei Ammian, sondern das Opfer ist ein
regelmässiges; s. unten § 40.
*) Cod. Theod. XVI 10, 4 {= Cod. Juat.
I 11, 1): placuü Omnibus locis aique urhi-
btis universis claudi protinus templa et ac-
cessu vetitis Omnibus licentiam deHnquendi
perditis denegari. volumus etiam cunctos sa-
crificiis abstinere n. s. w. XVI 2, 6 poena
capitis subiugari praecipimus eos, quos ope-
ram sacrificiis dare vel colere simulacra cott-
stüerit,
') Zosim. IV 36, vgl. Mommssn, Staatar.
II 1054, 1.
>) Symm. rel. 3, 7. 11. 18. 15. Ambros.
epist. I 17, 8. 4. 5. 10. 14. 18, 3. 11. 12.
13. 16. 57, 2.
D. Kaiserfieit. 18. Das Ende der rdmischen Beligion. 87
gehörten, für eine Weile wenigstens ausgeglichen werden; aber durch
nichts wieder gut zu machen war der andre Verlust, dass nunmehr der
römische Gottesdienst als Staatskult zu existieren aufgehört hatte und nur
noch als Veranstaltung einer Gruppe von angesehenen Privatleuten ein mehr
oder weniger geduldetes Dasein fortführte. Das Bild des heldenmütigen,
aber aussichtslosen Kampfes der römischen Nobilität des ausgehenden
4. Jahrhunderts für den alten Glauben und damit zugleich für das Fest-
halten an den grossen Erinnerungen der Geschichte tritt uns aus den
Schriften des Q. Aurelius Symmachus und einer Reihe inschriftlicher Zeug-
nisse mit ergreifender Deutlichkeit entgegen, und namentlich der Jahr-
zehnte lang von beiden Seiten mit Hartnäckigkeit und Erbitterung geführte
Streit um den in der Curie aufgestellten Altar der Victoria, 0 den die
heidnische Partei als Wahrzeichen der siegreichen Vergangenheit des römi-
schen Volkes unter keinen Umständen preisgeben, das vordringende
Christentum aber als verletzendes Symbol der Idololatrie um jeden Preis
entfernt sehen will, zeigt uns die beiden sich bekämpfenden Parteien in
voller Thätigkeit. Die vornehmen Vertreter der alten Religion, wie ausser
Symmachus selbst namentlich Vettius Agorius Praetextatus, Clodius Her-
mogenianus Caesarius, Virius Nicomachus Flavianus, Alfenius Cejonius
Julianus Eamenius^) verteidigen jeden Fussbreit Landes gegen die an-
drängende Flut der Gegner; sie übernehmen selbst in starker Cumulation
die verschiedensten Priestertümer, sowohl die alten sacerdotia des Staats-
kultes, wie die Würden der sacra peregrina,^) sie restaurieren und erbauen
neue Tempel und andre Gebäude sakraler Bestimmung und bringen aus
ihren Mitteln die Kosten auf, damit die Kulthandlungen in der alten Weise
fortgeführt werden können;^) ebenso sind sie eifrig bemüht, durch littera-
rische Thätigkeit und durch Veranstaltung lesbarer Ausgaben der klas-
sischen römischen Schriftsteller diesen neue Leser zu gewinnen und ihre
Wertschätzung gegenüber den Angriffen der Christen zu steigern.^) Eine
WeUe hatten diese Bestrebungen, in den Jahren 392—394 noch gestützt
1) Zuerst von ConstantioB 357 aus dem ! CIL VI 1778 f. ; Kamenius ist Vllvir epu-
Senatslokale entfernt, wurde der Altar bald I lonumj pater sacrorum summt invicti Mithrae,
nachher wieder hergestellt (Ambros. epist.
I 18, 32. STBun. rel. 3, 4; es hängt damit zu-
sammen, dass im J. 367 der Senat an dem
Pons Valentiniani ein Standbild der Victoria
aogusta anbringen lllsst, Bull. arch. com.
1892, 73 f.), bis seine abermalige Entfernung
durch Gratian im J. 382 den Streit entfes«
Seite, fftr dessen frühere Stadien uns die
Originalakten in Svmm. reL 3 und Ambros.
hietofanta Hecatae, arehibueolus dei Liberi,
XVvir 8, f.f tauroboliatus Deum Matris,
pontifex maior CIL VI 1675. Ephem. epigr.
VIll 648; andre Beispiele CIL VI 500 f. 504.
507. 509-511. 1698. 1741 f. 2151.
*) Praetextatus stellt die Porticus der di
consentes mit den Bildern der Götter wieder
her (CIL VI 102) und wird von den Vesta-
linnen dankbar geehrt (CIL VI 2145); die
epist. I 17. 18 Torüegen, während Ober den | Pontifices Vestae lassen aus eigenen Mitteln
späteren Verlauf der Angelegenheit Ambros. l die verfallenen mansiones Saliorum Palati-
epist. I 57, 4—6 Auskunft gibt; vgl. Srbcx,
Symmach. p. LIII f. LVIII und 0. Gbrhabo,
Der Streit um den Altar der Victoria, Siegen
1860.
') S. ttber sie Sseck a. a. 0. LXXIII ff.
') Praetextatus z. B. ist augur, pontifex
Vestae, pontifex Sdis, guindeeimvir, curialis
SeretUis, sacratue Libero et Eleusiniis, hiero-
phantä, neoeorus, tauroboliatus, pater patrum
norum restaurieren (CIL VI 2158); Tamesius
Augentius Olympius erbaut ein Mithrasheilig-
tum und rünmt sich: sumptusque tuos nee,
Roma, requirit, damna piis meliora luero
(CIL VI 754).
B) 0. Jahh, Ber. d. sächs. Gesellsch. 1851,
336 ff.; vgl. auch L. v. Jan, Macrob. I
p. XXII ff.
88
Beligion und KqUiib der Römer. I. Beligionsgesohiohte.
durch die heidenfreundliche Haltung des Kaisers Eugenius, Erfolg, und es
zeigt sich im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts auf allen Gebieten des heidni-
schen religiösen Lebens, sowohl im alteinheimischen Kulte wie in den sacra
peregrina, noch einmal ein unverkennbarer Aufschwung; dass noch unter
Gratian die Staatspriester ihren Dienst ganz in der alten Weise versahen,
lassen zahlreiche Stellen des Symmachus (zusammengestellt bei Seeck p. LIII)
erkennen, Ambrosius (epist. I 18, 31) hebt ausdrücklich hervor, dass damals
noch in allen Tempeln Roms Opfer dargebracht wurden, und speziell für
die Fremdkulte der Isis, der Magna Mater und des Mithras beweist die
ausserordentlich heftige Polemik des im J. 394 abgefassten sog. carmen
contra paganos (Baehbens PLM III 286 flf.) sowie gleichzeitiger Gedichte,')
dass der bekämpfte Gegner neuerdings wieder an Kraft gewonnen hatte.
Aber für die Dauer waren natürlich die Schultern dieser Verteidiger des
Heidentums zu schwach, um eine sinkende Kultur im Falle aufzuhalten;
der Sieg des Theodosius über Eugenius (394) sicherte für den Occident
die Durchführung der bereits 391 und 392 erlassenen Verordnungen (Cod.
Theod. XVI 10, 11. 12), die nicht nur die Schliessung der Tempel und das
Opferverbot nochmals einschärften, sondern auch den häuslichen Dienst der
Gottheiten des Herdes mit strenger Strafe belegten. Noch vor dem Ab-
laufe des Jahrhunderts verschwinden die alten Priestertümer, und keines
der in den 70er und 80er Jahren so zahlreichen Zeugnisse für die Verehrung
von Magna Mater und Mithras reicht über diese Grenze hinaus:*) bald
nach dem J. 400 kann Stilicho es wagen, die sibyllinischen Bücher zu
verbrennen, 3) ein Beweis dafür, dass der heidnische Staatskult auch in
seiner Fortführung durch private Opferwilligkeit abgestorben ist, und zur
gleichen Zeit triumphiert Hieronymus (epist. 107), dass das Heidentum in
der Stadt Rom in Verödung versunken sei. Die römischen Tempel und
Götterbilder fielen allerdings damit keineswegs der Zerstörung anheim, viel-
mehr hat man sogar aus öffentlichen Mitteln ihrem Verfall gesteuert,^) und
noch nach den Barbareneinfallen des 5. Jahrhunderts haben Stadtpräfekten
unter den zerstörten und beschädigten Denkmälern auch Götterbilder wie-
derhergestellt ; 5) aber diese waren nicht mehr Gegenstände der Verehrung,
*) Vgl. das sog. poetna ultimum (carm. 32
Hartel) des Paulinus von Nola und das fälsch-
lich unter Cyprians Namen gehende Gedicht
ad quendam senatorem ex christiana reli-
gione ad idolorum servitutem conver8um{Cy^T,
Gall. poeta ed. Pbiper p. 227).
') Der letzte der Tauroholienaltäre aus
dem vaticanischen Heiligtume der Grossen
Mutter gehört in das J. 390 (CIL VI 503);
die in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts
noch zahlreichen (s. die chronologische Ueber-
sicht bei Cumont, Mithras II p. 540) datierten
Mithrasdenkmäler reichen herunter bis zum
J. 387 (CIL VI 1778 f.), die Zerstörung dieser
Heiligtümer durch den Stadtpräfekten Grac-
chus im J. 377 (Hieron. epist. 107, 2) kann
also keine endgültige gewesen sein.
>) Rutil. Namat. II 52 (Stilicho) Sibyllinae
fata cremavit opis. v. 55 at Stilicho aeterni
fatalia pignora regni et plenaa voluU prae-
cipitare coloa; wenn die Erwähnung einer
Befragung der sibyllinischen Bücher bei
Claudian. bell. PoU. 231 f. mehr als poetische
Einkleidung ist, so hat die Vernichtung der
Bücher erst nach dem J. 402 stattgefunden ;
ein Grund, an der Thatsache selbst zu zwei-
feln, wie (nach Wernsdorf) neuerdings Th.
BiRT, De moribus Christianis qnantum Stili-
chonis aetate in aula imperatoria occidentali
valuerint disputatio, Marpurgi 1885, p. XKIII
n. 1 thut, liegt keinesfalls vor.
^) Vgl. darüber die schönen Aufsätze von
De Bossi, Bull. arch. crist. 1865, 5-8. 1866,
53-62.
>) De Rossi, Annali d. Inst. 1849, 342 ff.
und die Inschriften CIL VI 1651—1672. 3864;
vgl. namentlich CIL VI 526 --= 1664: aimu-
lacrum Minerhae abolendo incendio tumuUus
D. Kaiseneit. 18. Das Ende der rdmisohen Religion.
89
soDdern nur monumentaler Schmuck der Stadt in derselben Weise, wie
die Namen der alten Götter und ihre Legenden in der offiziellen Dichtung
der Zeit, z. B. bei Glaudian, noch beibehalten werden als dekoratives Bei-
werk, mit dem sich ein Glaubensinhalt nicht mehr verbindet. ^ Seit der
Zeit etwa Yalentinians III. gilt der alte Glaube offiziell als erloschen;^)
aber ausserhalb der öffentlichen Eultübnng haben sich namentlich bei den
Bewohnern des offenen Landes^) Reste römischen Heidentums, von Staat
und Kirche eifrig bekämpft, in Italien und den westlichen Provinzen noch
sehr lange mit grosser Zähigkeit erhalten und sich schUesslich teilweise
in den Brauch der Kirche hinübergerettet. Mancherlei fromme Geremonien
an Bäumen, Steinen und Quellen, die man zu salben und zu bekränzen
pflegt, die verschiedensten Mittel der Zukunftserkundung, allerhand aber-
gläubische Meinungen von Gunst und Ungunst bestimmter Tage für
diese oder jene Verrichtung, die schier unausrottbare Vorliebe für die heid-
nische Neujahrsfeier an den Kaienden des Januar u. a. m. werden immer
and immer wieder als verwerfliche Rückfälle in die überwundenen Irrlehren
getadelt und verfolgt.^) Auch an den alten Festen hielt man standhaft
fest, wenn auch die Opfer in Wegfall kamen und die Namen der Götter
nicht mehr genannt wurden, namentlich an solchen, die — wie z. B.
die Saturnalien — mit Volkslustbarkeiten verbunden waren, oder von
denen man sich Segen für die Felder und Abwehr von allerlei Unheil ver-
sprach. Das offizielle Festverzeichnis der Provinz Campanien vom 22.
November 387^) enthält noch die alten Lustrationen für Aussaat und
Ernte, den Tag des Genius und die Totenfeier, die Weinlese und das
Rosenfest, alles nach rein heidnischer Tradition, nur der Götternamen ent-
kleidet; ihren Widerstand gegen die Abhaltung eines sühnenden Flur-
umganges hatten im J. 397 zu Anaunia im Tridentinischen Sisinnius und
seine Genossen mit dem Märtyrertode zu büssen;^) in Rom sind noch im
J. 449 aus dem Kalender des Polemius Silvius (CIL P p. 257 ff.) trotz der
Abneigung des Verfassers gegen alles Heidnische die alten Feste keines-
wegs völlig verschwunden, und gegen die unter anderen in diesem Kalender
noch verzeichnete Luperealienfeier muss sich noch im J. 494 der Papst
Gelasius aufs heftigste ereifern;') andre Feste verwandter Art, wie das
civilis igni teeto cctdente confractum Aniciua
Aeüius Affinatius Faustus v. e. et inj. praef,
urbi vic. sac. iud. in melius integre proviso
pro beatUudine temporis restituit.
^) Darüber handelt lehrreich Th. Bibt
in der oben S. 88 Anm. 3 erwähnten Pro-
granunabhandlung.
*) Cod. Theod. XVI 10, 22 (vom J. 423):
paganos gui supersunt, quamquam iam nullos
cjfse credamus; vgl. XVI 10, 25: cunctaque
eorum fana templa delubra, si qua etiam
nunc restant integra.
') Die Bezeiohnong pagani wird fQr die
Anbänger des alten Qlaubens erst ganz am
Ende des 4. Jahrhunderts populär; in den
gegen die Heiden gerichteten Dekreten, die
der Titel des Cod. Theod. XVI 10 de paganis
aacrifieiis et templis enthält, findet sie sich zu-
erst in einem Erlasse des Arcadius und Ho-
norius vom J. 395 (XVI 10, 13), und noch im
J. 409 begegnet die Doppelbezeichnung gen-
tiles, quos vulgo paganos appellant (XVI
5, 46).
*) Reiche Nachweise für alle diese Dinge
bei C. P. Caspäbi, Kirchenhistor. Anecdota l
(Chnstiania 1883) S. 172 ff.; Martin von Bra-
cara (ebd. 1883) S. 29 ff.; Homilia de sacri-
legiis (ebd. 1886) S. 17 ff. Ueber die Neu-
jahrsfeier im Orient Cumont, Analecta Bollan-
diana XVI 1897 p. 7, 1, vgl. Revue de philol.
XXI (1897) 149, 2.
^) CIL X 3792 und dazu Mommsbn, Ber.
d. Sachs. Gesellsch. d. Wiss. 1850, 62 ff.
") Maxim. Taurin. serm. 81 = Mionb,
Patrol. lat. LVII 695 f. Acta SS. Mai. VII 43.
7) Thiel, Epist. pontif. Roman. I 598 ff.
90
Beligion und Knltns der Römer. I. Religionsgesohichte.
Amburbium, die Ambarvalia, die Robigalia und der Natalis Solis Invicti
waren nur dadurch unschädlich gemacht worden, dass die Kirche sie auf-
nahm und in christliche Bittgänge und Festfeiem verwandelte.^) Auch in
den erst nach und nach romanisierten Provinzen haben sich Namen und
Verehrung einzelner römischer Götter bis gegen Ende des 6. Jahrhunderts
erhalten: noch um die Mitte dieses Jahrhunderts hat in der Gegend von Trier
der christliche Bekehrungseifer die Anbetung eines Dianenbildes bekämpft
und dieses zerstört (Greg. Turon. bist. Franc. Vni 15), und eine Generation
später erfahren wir aus der Bauernpredigt des Martin von Bracara, dass
man in Spanien noch die Volcanalia feierte und die Frauen am Webstuhl
Minerva anriefen.^) Für Italien ist das letzte nachweisbare Beispiel noch
lebendigen antiken Opferdienstes die Verehrung des Apollo in einem Tempel
und Haine auf dem Berge von Gasinum, der Benediktus von Nursia im J.
529 ein gewaltsames Ende bereitete, indem er das Stammkloster seines
Ordens an der Stelle errichtete.*)
Litteratnr: A. Beuonot, Histoire de la destraotion du paganisme en Occident, Paris
1835. E. y. Lasaulx, Der Untergang des Hellenismus, München 1854. A. de Broglib,
L'eglise et Tempire Romain au quatri^me si^cle, Paris 1856 — 1866. V. Sohtjltzb, Ge-
schichte des Untergangs des griechisch-römischen Heidentums, Jena 1887 — 1892 (s. dazu
Theol. LitiZeit. 18üj7, 513 ff. Deutsche Litt.Zeit. 1888, 1594 ff.). Q. Boissier, La fin du
paganisme, Paris 1891. P. Allabd, Le christianisme et Tempiie Romain de Näron ä Th^o-
dose, Paris 1897.
*) UsENEB, Religionsgesch. Untersuchun-
gen I 293 ff. ; vgl. MoMMSEK, CIL I* p. 338 f.
*) Martin ▼. Bracara de correct. rustic. 16
(p. 30 und 32 Gasp.) ; dieselben Vorwürfe in
den Dicta abbatis Pirminii c. 22 (Caspabi,
Eirchenhistor. Anecd. I 172) sind aus Martin
von Bracara abgeschrieben, können also f&r
Zeit und Wirkungskreis des Pirminius (s.
darttber Hauok, Kirchengesch. Deutschlands
1 * 335 ff.) nichts beweisen.
») Greg. M. dial. II 8 = Miowb, Patrol.
lat. LXVI 152.
Zweiter Teil.
Die Götter der römischen Staatsreligion.
Erster Abschnitt.
Die di indigetes.
19. JanUB. Obwohl sich bei den übrigen italischen Völkerschaften
Spuren des Janusdienstes nirgends nachweisen lassen, so steht doch für Rom
das hohe Alter seines Kultes ausser aller Frage. Janus bildet zusammen mit
Vesta ein uraltes Götterpaar, und das römische Ritual schrieb vor, dass
bei allen Opferhandlungen, gleichviel welchem Gotte sie galten, in der
Reihe ^er insgemein angerufenen Gottheiten Janus die erste und Vesta
die letzte Stelle einnehmen müsse ; ^) Belege für diese Vorschrift bieten
nicht nur alte Gebetsformeln, z. B. bei der Devotion (Liv. VIII 9, 6) oder
der lustraiio agri (Cato de agric. 134, vgl. 141), sondern noch die Piacular-
opfer der Arvalbrüder.'*) Dieselbe Stelle nahm der Gott Janus offenbar
auch in den Litaneien des Salierliedes ein, in denen er als duonus cerus
und divom deus^ d. h. als creator bonus und deum deuSy angerufen wurde.*)
In der ältesten Festtafel begegnet uns allerdings der Name des Janus
nicht, aber Ovid (fast. I 318) bezeugt, dass das am 9. Januar gefeierte
Fest Agonium, an welchem der Rex sacrorum in der Regia einen Widder
opferte,*) dem Janus galt. Der Rex sacrorum ist Spezialpriester des
Janus und steht daher auch in der offiziellen Rangordnung der römischen
Priester (s. oben S. 20) allen andern voran; ein regelmässiges Opfer hat
er seinem Gotte wahrscheinlich auch an allen Kalendae dargebracht: denn
wenn hier auch die Überlieferung (Macr. S. I 15, 19) nur von einem Opfer
an Juno spricht, welches die Regina sacrorum in der Regia darbringt,
so wird doch die Annahme eines entsprechenden Opfers des Rex an Janus
schon dadurch nahe gelegt, dass, wie wir wissen, dem Janus (wie der
Juno) alle Kalendae heilig waren und er von der Verbindung, in die er
') Gic. de nat deor. II 67. Senr. Aen. I
292. Arnob. IIT 29 and mehr bei MAsgüARDT,
StaatBverw. 11 1 26.
') HsKZur, Act. fratr. Arval. p. 144. 147.
») Varro de 1. 1. VII 26 f. Macr. S. I 9,
14. 16.
*) Varro de 1. 1. VI 12. Paul. p. 10. Auch
die Arvalen opfern dem Janus arietes IJ
(Henzbn, Acta fratr. Arv. p. 144).
92 Beligion nnd Enltns der Römer. II. Götterlehre.
an diesen Tagen mit Juno trat, den Beinamen Junonius führte.^) Nach
einer Angabe Varros sollen sogar dem Janus entsprechend der Zahl der
Monate 12 Altäre gewidmet gewesen sein, an deren jedem, wie wir voraus-
setzen dürfen, an den Kalendae eines bestimmten Monats geopfert worden
sein mag. Ein derartiges dem Janus und der Juno gemeinsam geltendes
Kaiendenopfer verzeichnen die Fasten zum 1. Oktober mit den Worten
tigiUo sororio ad compitum Acili; das sogen. Tigillum sororium war ein
echter ianus, ein über der Strasse stehendes Thor, aus zwei senkrechten
und einem darübergelegten wagerechten Balken hergestellt, neben dem
sich Altäre des Janus Curiatius und der Juno Sororia befanden ; aus diesen
Beinamen erschloss die spätere Zeit einen Zusammenhang der Lokalität
und des Opfers mit der an diese Kultstätte anknüpfenden Legende vom
Zweikampfe der Horatier und Curiatier und fasste das Opfer als Sühn-
ceremonie für den Schwestermord des siegreichen Horatiers, während es
sich in Wahrheit aller Wahrscheinlichkeit nach auf die gemeinsame Ver-
ehrung von Janus und Juno am Monatsanfang bezog. ^) Dass es sonst
einen besonderen Janustempel in der ältesten Zeit nicht gab, geht schon
daraus hervor, dass das Janusopfer des 9. Januar in der Regia stattfand.
Wohl aber besass der Gott seit unvordenklicher Zeit ein ihm besonders
geweihtes Gebäude eigner Art. Von den unzähligen Thorbögen und
Durchgängen {iani), deren Schutzgott Janus, wie schon sein Name zeigt,
ist, ist ihm einer ganz besonders heilig, das als ianus getninus bezeichnete
Doppelthor (d. h. zwei parallel stehende, seitlich durch Mauern oder
Schranken verbundene Thorbögen) an der NOecke des römischen Forums,
welches von der ältesten Vergangenheit bis auf die Zeiten Prokops unverän-
dert bestand und uns in seiner äusseren Erscheinung durch Münzbilder be-
kannt ist.') Der Überlieferung nach hatte der Erbauer des Janus geminus,
Numa Pompilius, ihn dazu bestimmt, als index pads bellique zu fungieren,
indem er anordnete, dass der Durchgang zu Kriegszeiten geöffnet, bei
vollem Frieden aber geschlossen sein sollte;^) Zweifel an dem hohen
Alter dieses Brauches müssen aber aufsteigen angesichts der Thatsache,
dass zwischen Numa und Augustus, der sich rühmt, den Janus dreimal*
geschlossen zu haben, ^) nur ein einziges Mal, nach Beendigung der sar-
dischen und ligurischen Kämpfe im J. 519 = 235, eine Schliessung des
Bogens erfolgt ist. Da der älteste Gewährsmann, der Annalist L. Cal-
purnius Piso (bei Varro de 1. 1. V 165), die Verordnung des Numa in der
Form überliefert: ut sit aperta semper, nisi cum bellum sit nusquam, so
wird sich wohl der ursprüngliche Brauch auf beständige Offenhaltung des
Thores beschränkt und Augustus ihm erst in vermeintlicher Wiederher-
stellung einer uralten Sitte jene Bedeutung beigelegt haben; es stimmt dazu,
dass gerade die Gelehrten und Dichter der augusteischen Zeit sich um die
0 Macr. I 9, 16. 15, 19. Varro bei Lyd. | 323 ff. 0. Richtbb, Handb. III 799 f.
de mens. IV 2. , *) Liv. I 19, 2. Varro de 1. 1. V 165.
2) Liv. I 26, 12. Dion. Hai. III 22. Fest. I Mehr bei Gilbekt, Topogr. I 324.
p. 297. Panl. p. 807. Vgl. auch Gilbert, ») Mommsen, Res gestae D. Aug. p. 50 f.
Topogr. I 178 ff. II 55 ff. ' lieber spätere Schliessungen Jobdan, Topogr.
') üeber das Gebäude s. Jobdan, Topogr. j I 2 S. 846 A. 45.
I 2 S. 345 ff. Hülsen, Annali d. Inst. 1884, |
A. Di indigetM. 19, Janas.
93
Wette bemühen, Ursprung und Bedeutung der ganzen Einrichtung durch
Kombinationen und Hypothesen zu erklären, sei es, dass sie symbolisch
in dem Gebäude entweder den Frieden oder den Ej'ieg eingeschlossen sein
lassen,') sei es, dass sie von der Bolle erzählen, die dies Thor in den
Kämpfen der ürrömer mit ihren Nachbarn gespielt habe.^) Ob das Qe-
bäude konsekriert war, ist sehr fraglich, von heiligen Handlungen, die
bei ihm vorgenommen worden wären, erfahren wir nichts; von Haus aus
war es ein Thor (porta lanualisy) und diente als Durchgang. So lange
letzteres der Fall war, stand jedenfalls kein Bild des Gottes in demselben,
das doch nur den Verkehr gehemmt hätte; später^) war allerdings in der
Axe des Thores eine Erzstatue des doppelgesichtigen Gottes in der Weise
aufgestellt, dass die beiden Köpfe nach Osten und Westen durch die
Thoröffhung schauten; die Thatsache, dass die Finger dieser Statue die
Zahl 365 bildeten,^) d. h. die Zahl der Tage, die das bürgerliche Jahr^)
der Römer erst durch Caesars Kalenderreform erhielt, zeigt deutlich die
Thorheit der landläufigen Ansicht, welche das Standbild für eine Stiftung
des Königs Numa hielt. Die älteste bekannte Darstellung des Janus ist
vielmehr der doppelgesichtige bärtige Kopf auf dem As der ältesten rö-
mischen Kupferprägung; bedenkt man nun, wie viel näher es lag, zur
Ausfüllung des Münzrundes einen Doppelkopf zu bilden, als ein Kultbild
mit einfachem Körper und doppeltem Gesicht, das stets eine unorganische
Bildung bleibt^) und nur unter der Voraussetzung verständlich wird,
dass der Doppelkopf etwas bereits Gegebenes war, so wird man sich der
Einsicht nicht verschliessen können, dass der Doppelkopf als Bild des
Janus überhaupt zuerst für die Münzen geschaffen worden ist: als gött-
licher Vertreter alles Anfangs und alles Ersten war Janus für die Signie-
rung des Einheitsnominales, des As, der gegebne Gott, und während man
für die Teilstücke griechische Götterköpfe zur Bezeichnung wählte, erfand
man den bärtigen Doppelkopf in Anlehnung an manche Vorbilder der
griechischen und vielleicht auch der etruskischen ®) Münzprägung für
Janus neu als leicht verständliche Versinnlichung des nach Osten und
') Der Friede eingeschlossen: Ovid. fast.
I 281. Hör. epist. II 1, 255; der Krieg: Verg.
Aen. I 293 ff., vgl. VII 607; andre Deutungen
bei Ovid. f. I 279. Serv. Aen. I 294. VIT 610.
») Ovid. met. XIV 728 ff.; fast. I 261 ff.
Macr. S. I 9, 17 f. Serv. Aen. I 291, wie
es scheint aUe aus Verrius Flaccus. Varro
de 1. 1. V 156 erwähnt die warmen Quellen
Laatolae, ohne der Sage zu gedenken.
») Varro de 1. 1. V 165; vgl. Flor. I 18.
Cass. Dio LI 20.
^) Aelteete Erwfthnung bei Varro de 1.
1. V 165.
») Plin. n. h. XXXIV 33. Macr. S. I
9, 10. Lyd. de mens. IV 1.
*) Nur um dieses, nicht um das astro-
nomische Jahr kann es sich hier handeln,
und dadurch wird der Rettungsversuch von
F. MthrzuK, Quellen des Plinius S. 312 un-
möglich.
') Daher fehlen Darstellungen des Janus
in ganzer Form sogut wie ganz, vgl. F.
WiBSBLBB, Arch. Zeit. XIX 1861 S. 139; das
dort Taf. 147, 8 abgebildete Medaillon des
Commodns ist nach Imhoof - Blümeb inter-
poliert. Eine Bronoestatuette eines doppel-
gesichtigen Jünglings mit etruskisoher In-
schrift im Museum von Cortona bei Fa-
BBETTi, Corp. inscr. Ital. Taf. XXXV nr. 1051.
") Das zeitliche Verhältnis der etrus-
kischen (namentlich volaterranischen) Mün-
zen mit dem Doppelkopf (s. Dbbckb, Etr.
Forsch. II 34 ff. 43 f. mit Taf. III 42) zur
ältesten römischen Eupferprägung ist noch
nicht mit Sicherheit zu bestimmen, da der
Zeitansatz der letzteren Gegenstand der Kon-
troverse ist; vgl. Samwbb-Bahbfbldt. Wiener
numism. Zeitschr. XV 1883 S. 22 ff. mit Taf.
I 12. II 1. 2.
94
Religion and Knltns der BOmer. II. GOtterlehre.
Westen schauenden Doppelthores, sozusagen eine Übersetzung des ianus
geminus in menschliche FormJ) Den Doppelkopf auf etruskischen Münzen
Janus zu nennen, haben wir kein Recht; denn was man für Zeugnisse
etruskischen Januskultes gehalten hat,^) ist durchaus nicht beweiskräftig.
Der sogenannte Janus quadrifrons, ein mit vier Gesichtern nach vier Seiten
schauendes Bild, welchem Domitian auf seinem Forum einen eignen, vier
verschiedene Fora überblickenden Bau widmete, b) sollte allerdings aus
dem mit etruskischen Einflüssen stark durchsetzten Falerii nach dessen
Dedition 513 = 241 nach Rom gebracht worden sein;^) ob aber dies
viergesichtige Bild in Falerii wirklich den Oott Janus darstellen sollte
oder nicht vielmehr die römische Bezeichnung als Janus quadrifrons nur
als ein Deutungsversuch anzusehen ist, wird man mit um so grösserem
Rechte fragen dürfen, als von einem Kulte des Janus quadrifrons in
Rom nie die Rede ist und überhaupt das ganze Denkmal bis auf Domitians
Zeiten völlig in Vergessenheit begraben lag. Der einzige wirkliche Tempel
des Janus, von C. Duilius in der Seeschlacht bei Mylae 494 = 260 gelobt,
lag vor der Porta Carmentalis am Forum holitorium und feierte seinen
Stiftungstag am Feste der Portunalia (17. August), bis derselbe nach einer
von Augustus begonnenen und von Tiberius 17 n. Chr. beendeten Wieder-
herstellung des Tempels auf den 18. Oktober, als den Tag der Einweihung
des Neubaues, verlegt wurde. ^) Wenn wiederholt von einem Bilde des
Janus die Rede ist, welches den Gott mit den Attributen eines Schlüssels
und eines Stabes ausgerüstet darstellte,^) so dürfen wir das jedenfalls auf
das Eultbild dieses Tempels beziehen; Augustus ersetzte dasselbe durch
eine aus Ägypten mitgebrachte Statue von Skopas, die ursprünglich wohl
den ^Egfi^g dixätpaXoq in Hermenform darstellte und nun kurzer Hand als
Janus umgedeutet wurde. ^)
Die Rolle, welche Janus in der Yolksreligion der historischen Zeit
spielt, steht in gar keinem Verhältnisse zu Alter und Bedeutung des ur-
sprünglichen Kultes; Weihinschriften fehlen in Rom und Italien gänzlich®)
und kommen auch in den Provinzen (den Donauiändem und Afrika) nur
vereinzelt vor.^) um so anziehender war die eigenartige Qestalt des
Gottes für den Scharfsinn der Gelehrten und die Phantasie der Dichter,
welche teils eine Menge ätiologischer Sagen zur Erklärung des doppel-
gesichtigen Bildes und des Janusbogens erfanden, teils an diese Thatsachen
die kühnsten Hypothesen über Wesen und Bedeutung des Gottes knüpften.
Die Dichter machten ihn zum Gegenstande von allerlei erotischen und
*) WissowA, Neue Jahrb. f. klass. Altert.
1 1898, 171 f.
*) Müllbr-Dbecke, Etrusker II 58 ff.
Dbeckb, Etr. Forsch. 11 125 ff. IV 24 ff.
•) Martial. X 28. Lyd. de mens. IV 1;
vgl. Jobdan, Hermes IV 240 ff.; Topogr. I
2 S. 450.
*) Serv. Aen. VII 607. Macr. S. I 9, 13;
vgl. August c. d. Vn 4. Debcke, Die Fa-
lisker S. 91 f.
^) Tac. ann. II 49. Aust, De aedib.
sacr. p 15. 44.
•) Ovid. f. I 99. Macr. S. I 9. 7. Amob.
VI 25. Lyd. de mens. IV 1. Suid. s. *}a¥ov^
amog.
') Plin. n. h. XXXVI 28. Vgl. K. Wer-
NiCKE, Jahrb. d. arch. Instit. V 1890 S. 148 f.
^) Obblli 1583 (angeblich aus der Ge-
gend von Albano) ist gefäbcht: CIL XIV
162*.
•) CIL III 2881. 2969. 3080. 3158. 5092».
VIII 2608. 4576; Suppl. 15577. 16417. XII
1065.
A. Bi indigetes. 19. JaniiB.
95
genealogischen Erzählungen, die sie mit grosser Willkür frei erfanden;^)
Ovid (fast. VI 101 ff.) weiss von einem Liebesverhältnisse mit Gardea, der
Göttin der Thürangeln, zu erzählen, bei andern ist er der Qatte der lati-
nischen Quellnymphe Juturna und Vater des Fontus,*) noch andre gaben
ihm die alte, halb verschollene Göttin Yenilia zur Frau und liessen aus
dieser Ehe eine Tochter Ganens, ein Abbild der griechischen Echo, hervor-
gehen (Ovid. met. XIY 320 ff.). Anknüpfend an den Namen Janiculum
und das Gepräge der ältesten Kupfermünzen (Januskopf und Schiffsprora)
reihte man ihn unter die vorhistorischen Herrscher Latiums ein und er-
zählte, dass er vor unvordenklichen Zeiten auf dem Janiculum als König
geherrscht habe; nach der einen Überlieferung war er Ureinwohner des
Landes und teilte den Thron erst mit einem Landesfürsten, Namens
Gamese, der offenbar nur ein zur Erklärung des uns wie den Alten
rätselhaften Namens Gamesene = Latium erfundener Eponymus ist und
daher aus der Erzählung bald wieder verschwindet, dann mit Saturnus,
der unter seiner Regierung von Juppiter vertrieben zu Schiff (daher die
Münzbilder) nach Latium kam und dort freundliche Aufnahme fand;')
nach einer andern Version aber ist Janus selbst ein Einwandrer und aus
dem Perrhäberlande zur See in Latium angelangt, zusammen mit seiner
Schwester und Gattin Gamese, die ihm ausser zwei Kindern Aithex und
Olistene auch den Tiberinus, den Eponjrmen des Tiberflusses, gebiert;^)
auf Janus wie auf Saturnus werden dann allerlei Kulturerrungenschaften
und Erfindungen (Schiffsbau, Münzprägung, Obst- und Getreidebau)
zurückgeführt.^) Besonders mannigfaltig aber waren die Versuche, die
der Verehrung des Gottes zu Grunde liegende Idee zu ermitteln ; während
die einen das Ghaos,^) die andern das Himmelsgewölbe,^) noch andre die
Luft*) in Janus göttlich verkörpert glaubten, hat unter den Neueren die
Ansicht des Nigidius Figulus^) den meisten Beifall gefunden, welcher in
ihm einen Sonnengott erkannte, eine Anschauung; für welche deren Ver-
treter (BüTTMANN, ScHWEGLER, Gebhard, Preller, Zander) einerseits die
Etymologie des Namens (= Divanus von Wz. div glänzen) ^®) andererseits
die die Allwissenheit des allschauenden Tagesgestirnes versinnbildlichende
Doppelgesichtigkeit ^*) ins Feld führen; aber auch abweichenden Anschau-
ungen hat es nicht an Verfechtern gefehlt, indem man den Gott als Symbol
des Himmels (Deecke,") Linde) oder als ursprünglichen Windgott *^) auf-
>) W1S8OWA. Philol. Abhandl. M. Hertz
dargebracht (1888) 8. 162 ff.
') Amob. III 29; Fontns wurde zam
Sohne des Janas wohl deshalb, weil sein
Altar anf dem Janicalam lag (Cic. de leg.
11 56).
') Protarchos v. Tralles and Hygin bei
Macr. S. I 7, 19 ff. and mehr bei Schwboler,
R. G. l 212 ff.
*) Fiat. Q. R 22. Drakon y. Kerkyra
bei Athen. XV 192 D. Demophilos bei Lyd.
de mens. IV 2. Serv. Aen. VIII 380. Vgl.
aneh Paolin. Nolan. carm. 82, 68 ff.
») SCBWBGLBB, R. Q. I 218 f.
•) Verrios Placcus: Ovid. f. I 103 ff.
Paul. p. 52.
') Varro bei August, c. d. VII 7. 8; vgl.
Lyd. de mens. IV 2.
>) Gavius Bassus bei Lyd. de mens. IV 2;
im aUgemeinen vgl. Amob. III 29. Serv.
Aen. VII 610.
•) Macr. S. I 9, 5 ff.; einen älteren Ge-
währsmann, Lutatius Daphnis, nennt Lyd.
de mens. IV 2.
^^) CoBSSBN, Beitr. z. ital. Sprachkunde
S. 305 ff.
*i) F. Marx, Interpretationum hexas (Ind.
lect. Rostock 1888/89) p. 3 ff.
»») Etr. Forsch. II 125 ff.
>*) RosoHER, Hermes der Windgott (Lpz.
96
Beligion und KnltnB der BOmer. IL GOtterlehre.
fasste. Doch lassen sich diese physikalischen Deutungen sämtlich nur
durch Vergewaltigung der besten antiken Überlieferung durchführen,
während alles, was wir vom ältesten Kulte des Qottes wissen, auf eine
viel einfachere Vorstellung führt. 0 ^^^ Name, dessen Identität mit
dem Appellativum ianus^) nicht in Abrede zu stellen ist, kennzeichnet
den Janus ebenso deutlich als Gott der Thüren und Thore, wie Föns,
Terminus, Vesta als Oötter der Quelle, des Grenzsteines und des Herdes
sichergestellt sind. Der Name Janus Geminus und die Bildung des Doppel-
kopfes erhalten auf diese Weise ihre ungezwungene Erklärung, da jede
Thür sozusagen doppelgesichtig ist und nach innen und aussen schaut;^)
als göttlicher Thürhüter (vgl. Verg. Aen. VII 610 nee custos absistit limine
lanus) führt er den schon im Salierliede vorkommenden^) Beinamen
Clusius (Clusivius) Patulcius und die Attribute seines Amtes, Schlüssel
und Portierstab. Der insbesondere so genannte ianus geminus am Forum,
der aus der Unzahl von iani ebenso hervorragt wie z. B. der Herd der rö-
mischen Gemeinde aus der ungezählten Menge privater Feuerstellen,
bildet die Eingangsthür zum Staatsmarkte, in dessen Innersten der Staats-
herd des Vestatempels gelegen ist, und wenn dieser Bogen den Beinamen
ianus Quirinus führt, ^) so wird das dem Sinne nach ungefähr ebenso auf-
zufassen sein, wie wenn die Göttin des Staatsherdes im Gegensatze zu
der des Privathauses als Vesta p. R. Quiritium bezeichnet wird. Von
Janus als Gott des Einganges ist nur ein Schritt zum Gotte des Anfanges,
da diese beiden Begriffe einander entsprechen wie Raum und Zeit (vgl.
inüium); so hat er die Herrschaft über jeden Anfang, er waltet über das
erste Entwicklungsstadium eines jeden Dinges, über den Beginn eines
jeden Zeitabschnittes, seine Bedeutung wird von Varro*) zusammen-
fassend dahin präzisiert: penes lanum sunt prima, penes lovem summa.
Darum muss er am Anfange eines jeden Gebetes angerufen werden,
darum ist sein Agonium das erste Fest des römischen Kirchenjahres,
darum trägt die erste Münze der römischen Münzreihe seinen Kopf und
erst die zweite den des Juppiter; ihm ist vom Tage die Morgenstunde
heilig — daher heisst er matutinus^) — , im Monate die Kalendae, im
Jahre der erste Monat, der von ihm den Namen Januarius führt, ^) und so
1878) 8. 119 ff. Röscher hat aber diese An-
sicht jetzt zu Gunsten der auch im Text
von mir vertretenen aufgegeben.
1) Vgl. auch Hartuno, Relig. d. Römer
II 219. MoMMSEN, Rom. Gesch. I 165 Anm.
Nissen, Templum S. 228 f.
*) Ueber dieses vgl. Jobdan, Topogr. I
1 S. 29 und dazu CIL VI 23090 sowie den
ianus augustus der via augusta in Hispania
Baetica (CIL U p. 627 ff.).
') Ovid. fast. I 135 f.: omnis habet ge-
minaSf hinc atque hinc, ianua frontis, e qui-
hu8 haec populum spectat, at iUa larem.
*) Varro de 1. 1. VII 26 nach der Her-
stellung von Bbbok und Jobdan, Erit. Beitr.
S. 223 f.; vgl Ovid. f. I 129. Macr. S. I
9, 16. Serv. Aen. VII 610. Lyd. de mens.
IV 1.
^) Ianus Quirinus heisst der Bogen am
Forum bei Sueton Aug. 22; ebenso ist Mon.
Anc. 2, 42 zu lesen und wohl auch bei Horaz
carm. IV 15, 9 anstatt ianum Quirini herzu-
stellen. Die landläufige Auffassung erklärt
es als Beiwort des Gottes quasi bellorum
potentem ab hasta, quam Sahini curin vo-
cant (Macr. S. I 9, 16). Ueber den angeb-
lichen Janus Quirinus in der Formel der
spolia opima s. oben S. 20 Anm. 1.
•) Bei August, c d. VII 9; vgl. IV 11
in lano Initiator, VJI 3 omnium initiorum
potestatem habere Ianum.
7) Hör. sat. II 6, 20 Matutine pater seu
lane Uhentius audis.
^) Ich halte die Ueberliefemng (Ovid.
f. I 44. Flut. Numa 18. Macr. 8. 1 13, 3.
Lyd. de mens. IV 1), daas der Januar von
A. Di indigetes. 19. Janas.
.97
verallgemeinert sich sein Begriff allmälig zu dem eines Gottes des Jahres
und des Zeiten wechseis. ^ In demselben Sinne ist er auch der Gott, der
über den Anfang des Lebens in jedem menschlichen Individuum wacht;
als Cansevius steht er der Zeugung und Empfängnis vor und eröffnet die
lange Reihe von Göttern, die das Leben des werdenden Menschen von
der Gonception bis zur Geburt begleiten und beschützen.*) Und ebenso
bezeichnet er auch in der römischen Götterwelt den Anfang, nur nicht
im Sinne einer kosmogonischen Sage, die der italischen Mythologie fremd
ist; wenn Janus für den ältesten der Götter gilt^) und mit besonderer
Betonung den Beinamen pater erhält,^) so ist er damit nicht etwa physisch
als Erzeuger der übrigen Götter gedacht, sondern er tritt als divom deus
oder principium deorum^) rein abstrakt an die Spitze der Welt- und
Götterschöpfung nicht anders wie er die Götterreihen in den Gebets-
formeln eröffnet; erst spätere gelehrte Konstruktion hat den Janus zum
Weltschöpfer gemacht. •)
In engster Beziehung zu Janus stehen, abgesehen von Yesta, noch
zwei Gottheiten des ältesten Kreises, Mater Matuta und Portunus. An
die Seite des matutinus pater tritt Mater Matuta, eine Göttin des Früh-
lichts,') die dann aber entsprechend der Auffassung des Janus als Gon-
sevius und auf Grund einer leicht verständlichen Begriffsübertragung zur
Geburtsgöttin geworden ist; wie die Analogie von Juno Lucina zeigt, war
den Römern die Parallelisierung der Geburt des Menschen mit der Geburt
des Lichtes aus der Finsternis durchaus geläufig, und Mommsen (Rom.
Gesch. I 162 Anm.) weist treffend darauf hin, dass nach Ausweis der
Vornamen Manius und Lucius die Morgenstunde für die Geburt als glück-
bringend galt. Der Kult der Mater Matuta war in ganz Mittelitalien ver-
breitet;^) zu Satricum im Yolskerlande besass sie einen Tempel, der
hohes Ansehen genoss und wiederholt bei Zerstörungen der Stadt respek-
tiert wurde, •) einen andern Tempel zu Gales kennen wir aus einer In-
schrift (CIL X 4660); magistrae matris Matutae begegnen uns in Cora
(CIL X 6511, vgl. 8416) und in Praeneste (CIL XIV 2997. 3006), und
Weihinschriften zeigen, dass sie sowohl in dem umbrischen Pisaurum
Alters her den Anfang des 12monatlichen
Jahres bildete, keineswegs fQr so verwerf-
lich, wie es Mommsbn, Chronol. S. 27 A. 32
tfant; vgl. auch Gilbert, Topogr. 1 265. Eine
direkte Beziehung des Janus zur Neujahrs-
feier (Aber diese s. Prblleb, Rom. Myth. I
179 ff. Mabquabdt, Staatsverw. III 266) ist
nicht nachweisbar.
*) Die Stellen bei Schweoleb, R. G.
1 220.
«) Macr. 8. I 9, 16. Tert. ad nat. II 11
(vgl. Lyd. de mens. IV 1). Varro bei Aug.
c. d. VI 9. Vn 2. 3.
') Juven. 6, 393. Herodian. I 16. Pro-
cop. b. Goth. 1 25.
*) Macr. S. I 9, 16 und mehr bei Schweo-
lbb, R. G. 1 223 A. 25.
^) Septimius Serenus frg. 23, 2 Baehrens.
•) z. B. Ovid. fast. I 103 ff. M. Messala
bei Macr. S. I 9, 14.
Baadbnoh der klAM. AltertiimBwiweuMchaft. V 4.
') Luor. V 656 : tempore item certo roseam
Matuta per oras aetheris auroram differt et
lumina pandit. Prise. II 53 (I p. 76, 18 H.):
matutinus a Matuta, quae significat Auroram
vel, ut quidam, Aevxo&eay. üeber die Ety-
mologie des Namens, der mit mane, manus,
maturus zusammengebracht wird, vgl. Paul,
p. 122. 125 (Fest. p. 161. 158). Non. p. 66.
Daher stammt wohl auch die Erklärung, dass
sie über die frumenta maturescentia wache
(August. 0. d. IV 8).
^) Ausserhalb Italiens CIL III Suppl.
6680 aus Berytus.
») Liv. VI 33, 4. VII 27, 8. XXVIII 11, 2.
Wahrscheinlich ist es eben dieser Tempel
der Mater Matuta von Satricum, der neuer-
dings in Conca aufgedeckt worden ist (s.
namentlich Babnabei, Notiz, degli Scavi 1896.
101 f. 195 f.).
98
Religion und Knltns der Römer, ü. GOtterlehre.
(CIL I 176. 177), als wahrscheinlich auch bei den Oskern ünteritaliens
Verehrung genoss;^ auch für das südliche Etrurien darf ihr Kult mit
grosser Wahrscheinlichkeit angenommen werden, denn Wesselino hat sehr
einleuchtend vermutet, dass die von den Griechen bald als yievxod-ea, bald
als Eilefd'Via bezeichnete Göttin des reichen, von Dionysios von Syrakus
geplünderten Tempels von Pyrgi, der Hafenstadt von Caere, keine andre
als Mater Matuta gewesen sei.^) An all diesen Orten wird sie in gleicher
Weise als Geburts- und Frauengottheit verehrt, überall sind es Frauen,
die uns als ihre Priesterinnen oder Weihende entgegentreten. Denselben
Charakter trägt ihr Kult in Rom; ihr altes Fest, die Matralia am 11. Juni
(CIL I * p. 320), war eine Festfeier der Matronen, bei welcher allerlei uralte
Ritualbestimmungen noch zur Anwendung kamen; nicht nur blieben die
Sklavinnen, wie auch von manchen andern Kulten, aufs strengste ausge-
schlossen — diese Ausschliessung wurde bei den Matralia in der Weise
symbolisch zum Ausdruck gebracht, dass eine Sklavin hereingeführt und
dann unter Rutenstreichen hinausgejagt wurde ^) — , sondern auch von
den Matronen durften nur solche teilnehmen, die in erster Ehe lebten;^)
die Opfergabe bildeten nach alter Art in einem irdenen Geschirr gebackene
Kuchen {testuafium),^) und bei dem Gebete wollte es der Brauch, dass man
erst der Geschwisterkinder und dann erst der eigenen Kinder gedachte,^)
wohl eine Erinnerung an eine vorzeitliche, von der späteren abweichende
Auffassung des Verwandtschaftsverhältnisses. Wo die Matralia in älterer
Zeit begangen wurden, wissen wir nicht; einen Tempel erhielt die Göttin
erst im Jahre 358 = 396 durch Camillus, und zwar am Forum boarium
in der Nähe des Fortunentempels;') wenn die Überlieferung (Liv. V 19, 6)
den Bau nur als die Wiederherstellung eines bereits von Servius Tullius
gegründeten Tempels bezeichnet, so liegt darin höchstens, dass das Heilig-
tum des Camillus an die Stelle eines alten, unscheinbaren Sacellum trat,
über dessen Entstehung eine sichere Tradition nicht vorhanden war; das
Stiftungsfest des Tempels fiel mit den Matralia zusammen.
Am Ausgange der republikanischen Zeit hat der klügelnde Scharfsinn
der Mythologen die Mater Matuta mit der griechischen Leukothea gleich-
gesetzt, wofür einige Analogien in den Kultgebräuchen Anhaltspunkte
boten,^) und diese bald aufgenommene Gleichung^) ist bei Ovid (fast. VI
^) Wird auch das maatüU der iDSchrift
von Agnone jetzt richtiger auf die Manen
bezogen, so darf man doch wohl die Worte
einer heneventanischen Inschrift (Zvetaibff,
Inscr. Ital. inf. nr. 108) sakaraklum maa-
tre(s = sacellum matris für Mater Matuta
in Anspruch nehmen, da ja auch ihr Fest
in Rom schlechthin Matralia heisst (Paul,
p. 125).
^) Vgl.MüLLBB-DEECKE, Etruskor II 54 f.
und die Stellen ebenda I 189. Die mater
magna Matuta einer Inschrift von Monte-
pulciano beruht auf Fälschung (CIL VI 532*.'
533*).
») Ovid. f. VI 481. 551 flF. Plut.Camill.5;
Q. R. 16.
^) Tertull. de monogam. 17.
») Varro de 1. 1. V 106. Ovid. f. VI
482. 531 ff.; Opferkuchen spielen gerade
auch im Kulte des Janus eine grosse Rolle,
Paul. p. 104. Varro bei Lyd. de mens. IV 2.
Ovid. f. I 127. 276.
•) Ovid. f. VI 559 ff. Flut. Camill. 5;
Q. R. 17.
') Jordan, Topogr. I 2 S. 484. Gilbert,
Topogr. III 436 f.
^) Plut. Garn. 5; ein wichtiges Argu-
ment bildete der Umstand, dass auch im
Heiligtum e der Leukothea zu Chaironeia
Sklaven und Sklavinnen der Zutritt verboten
war (Plut. Q. R. 16); doch kommt diese Mass-
regel in vielen Kulten vor (Dibls, Sibyll.
Blätter S. 96 f.).
*) Cic. Tusc. I 28; de nat. deor. ITI 48.
A. Di indigetes. 19. Janas.
99
473 fP.) zu einer ausführlichen Darstellung verarbeitet: Ino wird, nachdem
sie sich mit ihrem Sohne Melikertes ins Meer gestürzt, an die Mündung
des Tiber getragen und erfährt bei Carmentis freundliche Aufnahme samt
der Prophezeiung, dass ihr und ihrem Sohne göttliche Ehren bestimmt
seien und das Paar von den Griechen als Leukothea und Palaimon, von
den Italikern als Matuta und Portunus verehrt werden solle. Erst so
kam man dazu, die Mater Matuta als eine See- und Schiffahrtsgöttin auf-
zufassen (Amob. ni 23), worauf in ihrem Kult nichts hindeutet, i)
Wenn in der ovidischen Erzählung mit Mater Matuta Portunus ver-
bunden ist, so geschieht das vor allem der Identification mit dem grie-
chischen Hafengotte Palaimon zu Liebe; aber die Verbindung ist darum
nicht schlecht gewählt, weil in der That Portunus wie Matuta zum Kreise
des Janus gehört,*) wie mit Sicherheit schon daraus hervorgeht, dass der
Stiftungstag des Janustempels am Marcellusth^ater auf das Fest der Portu-
nalia gelegt wurde (S. 94). Der Portunus pater (Verg. Aen. V 241), dessen
Zugehörigkeit zum ältesten Götterkreise nicht nur durch die Festfeier der
Portunalia (17. August), sondern auch durch die Existenz eines eigenen
Flamen Portunalis ^) sichergestellt ist, stellt eine Art Abzweigung vom
Machtbereiche des Janus dar. Beide Gottheiten verhalten sich zu einander
wie die Begriffe porta und portus, die von Haus aus identisch sind, bis sich
das letztere Wort im Wege der Begriffsverengerung auf die Bedeutung
des Eingangs vom Flusse oder Meere her, also des Hafens, beschränkt.^)
So war auch Portunus nach der Definition Varros (Schol. Veron, zu Verg.
Aen. V 241) der deus portuum j^ortarumque praeses, und dass unter seinen
Funktionen der Schutz der Thüren voranstand, geht schon daraus hervor,
dass man ihn wie Janus mit einem Schlüssel in der Hand abbildete
(Paul. p. 56). Erst in zweiter Linie wurde er Gott des Hafens*) und
erhielt als solcher an der alten Landungsstelle am Tiber {in portu Tiberino)
unweit des nachmaligen Pens Aemilius, wo auch die Feier des alten
Portunalienfestes stattfand,®) einen eigenen Tempel, dessen Fest die Ealen-
darien am Tage der Portunalia verzeichnen.
Litteratur: üeber JaDUs s. C. M. Zander, Carminis Saliaris reliquiae, Lundae 1889
S. 39 ff. RoBOHER, Mythol. Lexik. II 15 ff. S. Lindb, De Jano summo Romanorum deo,
Lundae 1891 (dazu Deutsche Litter. -Ztg. 1892, 77). J. S. Spbyer, Le dieu Romain Janus,
Serv. Aen. Y 241; Georg. I 437. Prob, zu
Verg. Georg. 1 437. Non. p. 66. Lact. I
21, 23. Aug. c. d. XVIII 14. Hygin. fab.
2. 224.
>)'VgL Merkel, Ovid. fast. p. CCXVI.
MoHMSEN, Rom. Gesch. I 162 Anm.
') Obblu 1885 lano Portuno, angeb-
lich ans Spoletium, ist als ligorianisch ver-
dftcfaüg.
•) Fest. p. 217: perHUum vocant aacer-
doUs rudusculum pictUum, ex quo unguine
flatnen Portunalis arma Quirini unguit.
*) Die Bedeutung porta (nicht domus,
wie YerriuB Flaccus falsch erklärte) hat
yortus noch in dem Fragmente der 12 Tafeln
bei Fest. p. 233 (vgl. 375): cui testimonium
defueritf is tertiis diehus oh portum obvagu-
latum ito. Vgl. Jordan, Topogr. IIS. 429 f.
*) Cic. de nat d. II 66. Ovid. f. VI
546 f. u. a.
•) Varro de 1. 1. VI 19, von Mommsen,
CIL P p. 325, der Portunus und Tiberinus
identifiziert, fälschlich auf eine Feier in Ostia
bezogen ; vgl. Jordan zu Prbller, Rom. Myth.
II 133, 1. Der Name Portunium für die Ge-
gend am Pens Aemilius findet sich noch bei
Fronte ep. ad M. Caes. I 7 p. 19, 1 Nah.
und Varro de 1. 1. V 146 (emendiert von
Jordan, Topogr. II 257). Die Worte Varros
(Schol. Veron. z. Verg. Aen. V 241) huius dies
festus Portunalia, qua apud veteres claves
in focum ad mare institutum harren
noch einer überzeugenden Herstellung.
100 Religion und KnltiiB der ROmer. ü. GOtterlehre.
Revue de rhistoire d. relig. XXVI 1892, 1 — 47. üeber Mater Matata Wissowa, RoBchera
Lexik. II 2462 ff.
20. Juppiter. Selten gibt schon der Name eines Gottes so klare
und erschöpfende Auskunft über die ursprüngliche Natur desselben, wie
es bei Juppiter der Fall ist. Der wie Marspiter zusammengesetzte Name
hat zur Voraussetzung die einfache Form lovisy die wieder aus älterem
Diovis hervorgegangen ist; beide Formen finden sich nebeneinander im
Altlateinischen und Oskischen, während das ümbrische (wie andre italische
Mundarten) nur die durch Abfall des anlautenden d entstandenen Formen
kennt ;^) der anlautende Konsonant hat sich aber immer erhalten in den
Formen Dius und Diespiter, die sich sprachlich und begrifflich mit Diovis
und Diovis pater decken und erst durch den Unverstand späterer Zeit als
Namen von Juppiter verschiedener Götter aufgefasst worden sind.^) Dass
der Name auf die idg. Wurzel di- {div-), glänzen, zurückgeht und der Gott
dadurch als Gott des Himmels bezeichnet wird, darf als ausgemacht gelten.
Auch in der lateinischen Sprache prägt sich das Bewusstsein, dass Juppiter
der Himmelsgott ist, noch in zahlreichen Metaphern des dichterischen Aus-
druckes aus, in denen Juppiter nicht etwa wie in der griechischen Vor-
stellung {vei /i^r 0 Zevq) als der persönlich gedachte Lenker und Veran-
stalter der Himmelserscheinungen auftritt, sondern rein begrifflich mit dem
Himmel identifiziert wird; z. B. Horat. carm. I 1, 25 manet sub love
frigide venator, 122, 20 quod latus mundi nebulae malusque luppiter
urget, JIl 10, 7 ut glaciet nives puro numine luppiter. Die Verehrung
des Gottes erstreckt sich über ganz Italien, und überall, wo uns die spär-
lichen Nachrichten ein Urteil gestatten, ist seine Bedeutung als Himmels-
gott deutlich erkennbar ; insbesondere scheint der Beiname Lucetius, ,Licht-
bringer*, unter welchem in Rom die Salier den Gott anriefen,') ein allge-
mein italischer gewesen zu sein.^)
Die altrömische Auffassung des Juppiter tritt uns aus den Ver-
ehrungsformen des Staatskultes mit voller Deutlickeit entgegen : Lage und
Bestimmung der dem Juppiter gewidmeten Festfeiern und die Funktionen
der für den Dienst des Gottes bestimmten Priester, insbesondere des Flamen
Dialis, erlauben sichere Rückschlüsse auf die der Kultordnung zu Grunde
liegenden Anschauungen. Dem Juppiter sind alle Idus, die Vollmondstage,
*) Osk. Diuvei Zvetaieff, Syll. inscr. i Summanum und flamen Quirinalis von Sum-
Ose. nr. 9 A 11. 12. B 14. 15; nr. 146; i manus bezw. Quirinus. ßemerkenswert ist
aber auch luveis (ebd. nr. 3 und 62) und | das Beiwort Dianus, das Juppiter auf einer
luvet (nr. 34). Altlateinisch steht love auf Inschrift von Aquileja CIL V 783 (lovi Dianö)
dem (^efäss vom Esquilin (Drbssel, Annali ! führt. Diespiter ist nicht Compositum, son-
d. Tust. 1880, 158 ff.) und in der Inschrift des dern Zusammenschreibung wie AfaurptVfr. Ety
Haines von Spoletium (Bormamn, Miscell.
Capitolina p. 6 ff.), dagegen Diovei u. a. auf
archaischen Weihinschriften aus Rom (CIL
VI 136. 357. 438) und Praeneste (CIL XIV
2863). Die iguvinischen Tafeln kennen nur
Formen wie luve (Dat.) und lupcUer, luve
patre. Ueber die Schreibung luppiter und
Jupiter vgl. Jordan, Hermes XVI 51 f.
') Dass Dius = Diovis ist, beweisen
Vedius neben Vediovisy fulgur Dium und
flamen Dialis von Dius gebildet, wie fulgur
mologische Versuche der Alten bei Varro de
1. 1. V 66. Paul. p. 71. 87 u. a.
») Maor. S. I 15, 14; vgl. Paul. p. 114.
Gell. V 12, 6. Ueber die aus dem Salier-
liede überlieferte Form Leucesie vgl. C. M.
ZandeBi Carminis Saliaris reliquiae (Lund
1888) p. 35. Maürenbrbcheb, Jahrb. f. Philo!.
Suppl. XXI 338.
^) Fflr die Osker bezeugt durch Serv.
Aen. IX 567; vgl. Mommsbn, Unterital. Dial.
S. 274.
A. Di indigetoB. 20. Jappiter.
101
heilig, weil an ihnen das himmlische Licht Tag' und Nacht ununterbrochen
andauert;') an diesem Tage wurde allmonatlich das dem Juppiter bestimmte
Opfertier, ein weisses Schaf (ovis Idulü), in feierlichem Zuge über die alte
Prozessionsstrasse, die sacra via, durch die Stadt bis auf die Burg geführt
und dort geopfert.') Daher sind auch in den Ealendarien sämtliche Idus als
Festtage gekennzeichnet und mit der Beischrift feriae lovis versehen, ') und die
Stiftungstage von Juppitertempeln (13. Sept. Juppiter Optimus Maximus, 13.
April Juppiter Victor, 13. Juni Juppiter Invictus, vielleicht 13. Januar Jup-
piter Stator, s. u.) sowie die beiden epula lovis (13. Sept., 13. Nov.) fallen auf
die Idus. Von den Festen der ältesten Kalendertafel gehören dem Juppiter
vor allem die Feiern der Weinlese, was leicht erklärbar ist, da das edelste
und von der Qunst des Himmels am meisten abhängige Produkt des
heimischen Bodens^) dem Schutze des Himmelsgottes ganz besonders em-
pfohlen werden musste. Dem Juppiter gilt daher das am 19. August
gefeierte Fest der Yinalia oder, wie es zum Unterschiede von dem zweiten
gleichnamigen Festtage genannt wurde, Yinalia rustica,^) wie dieser Name
sagt, nicht in der Stadt, sondern draussen in den Weinbergen begangen,
wahrscheinlich zur Fürbitte für das Gedeihen der Weinstöcke und das
Fembleiben aller Schädigungen in dieser letzten, für den Ausfall der
Ernte entscheidenden Zeit.^) Der Beginn der Lese selbst war nicht auf
ein Datum fixiert,^) sondern wurde je nach dem Stande der Trauben
angesetzt (Digest. H 12,4); die Eröffnung der Lese geschah noch in Varros
Zeit durch den Priester des Juppiter, den Flamen Dialis, der dem Jup-
piter ein Lamm {agna) opferte und inter exta caesa et porreda die erste
Traube schnitt.®) Den Schluss der Weinlese bezeichnete das Fest der
Meditrinalia am 11. Oktober, an dem man den jungen Most zum ersten-
male verkostete; da man diesem eine besondre Heilkraft zuschrieb
und diesem Glauben, durch einen alten Spruchvers, den man an diesem
') Macr. 8. 1 15, 14: Iduum porro nomen
a Tuseis, apud quoa is diealtis vocatur, sump-
tum est. Item autem Uli interpretantur lovis
fiduciam nam cum lovem aceipiamus lacis
auctorem iure hie dies lovis fiducia
voeatur, cuius lux tum finitur cum solis oc-
easuy sed splendorem diei et noctem eontinuat
inlustrante luna; quod semper in plenilunio
id est medio mense fieri solet: diem igitur,
qui vel noeturnis caret tenebris, lovis fidu-
ciam Tusco nomine vocaverunt; unde et om-
nes Idus lovis ferias observandas sanxit anti-
quüas; vgl. I 15, 18. Lyd. de mens. III 7.
Fiat. Q. R. 24.
«) Varro de 1. 1. V 47. Fest. p. 290 »>.
Paul. p. 104. Ovid. fast. J 56. 588. Macr.
S. l 15, 16.
') In den erhaltenen Exemplaren ist die
Beischrift feriae lovis mehrfach weggelassen,
doch unterliegt es keinem Zweifel, dass sie
in den vollständigen Exemplaren bei allen
Idus sich vorfand. Dass die Idus erst durch
Caesar den Tagescharakter fsp (bezw. N im
Juni) erhalten hätten, ist eine ganz unbe-
grOndete Annahme von W. Soltau, Jahrb.
f. Phüol. CXXXIII 1886, 279 f.
*) Ueber das Alter des Weinbaus in
Italien vgl. Nibsbn, (tal. Landeskunde 1 441
und die von M.Voigt in diesem Handb. IV 2*
8. 301 Anm. 73 angeführte Litteratur.
6) Varro de 1. 1. VI 20. Fest. p. 265;
Paul. p. 264 verwechselt die beiden Vinalia.
^) Hüne diem festum tempestatibus Jenien-
dis instüutum Varro bei Plin. n. h. XVIII
289; der Zeitpunkt entspricht etwa dem,
wann heutzutage am Rhein die Weinberge
geschlossen werden.
^) Die Lese föllt in den September und
Oktober, vgl. Colum. XI 2, 64 ff. und die
Menologia rustica (CIL V p. 281), welche die
vindemiae im Oktober ansetzen.
•) Varro de 1. 1. VI 16, der davon bei
Gelegenheit der Vinalia priora erzählt, aber
nicht, als wenn diese mit der Weinlese zu-
sammenhingen, sondern nur zum Beweise
dafür, dass huius rei (der Wein) cura non
levis in Latio, Die Behandlung der Frage
nach der Bedeutung der Vinalia rustica durch
MoMMS£N, CIL P p. 326 scheint mir nicht
glflcklich.
102
Religion and Knltus der BOmer. II. Götterlehre.
Tage herzusagen pflegte, Ausdruck gab,0 so hat man später aus diesem
Feste eine eigne Göttin Meditrina herleiten wollen (Paul. p. 123), die nie
anderswo als im Kopfe spekulierender Grammatiker existiert hat; dass
das Fest dem Juppiter galt, steht durch das Zeugnis der fasti Amiternini
fest. Das dritte, ebenfalls mit einer Weinspende an Juppiter verbundene
Weinfest, die Vinalia priora am 23. April, galten der Einführung des
nunmehr nach vollendetem Gärungsprozesse trinkbar gewordenen vor-
jährigen Weines in die Stadt ') und entsprachen ziemlich genau den atheni-
schen Ilix^oiyia^ an denen man ähnliche fromme Wünsche für die eigene
Gesundheit während des Jahres aussprach, wie zu Rom an den Meditrinalia
(Plut. quaest. conv. III 7, 1). Je deutlicher die Bedeutung dieser Feste
und ihre Beziehung zum Himmelsgotte hervortritt, umso dunkler ist das
Wesen zweier weiteren Juppiterfeste des ältesten Kalenders, auf deren
Deutung wir verzichten müssen, da uns dafür keinerlei authentisches
Material zu Gebote steht und die besten alten Zeugen bereits darüber
nichts weiter vorzubringen wissen als mehr oder weniger willkürliche
Deutungen des Namens: es sind die Poplifugia am 5. Juli') und ein
Juppiterfest des 23. Dezember, dessen Namen wir nicht kennen und dessen
Bedeutung durch das auf denselben Tag fallende Totenfest der Larentalia
völlig verwischt worden ist;*^) ein innerer Zusammenhang zwischen den
zufällig am gleichen Tage begangenen Festen des Juppiter und der Larenta
ist dadurch ausgeschlossen, dass der erstere als Himmelsgott aufs strengste
jede Berührung mit dem Kulte der Unterwelts- und Todesgottheiten ab-
weisen musste: durfte doch sein Priester, der Flamen Dialis, einem Grabe
oder einer Leiche unter keinen Umständen sich nahen und Dinge, die
mit dem Todtendienste in Beziehung standen, wie Bohnen oder die Ziege,
weder berühren noch auch nur bei Namen nennen.^)
Was die ältesten Kultstätten des Juppiter betsifft, so haftet einem
bei den verschiedensten Völkern sich findenden Brauche entsprechend die
Verehrung des Himmelsgottes in Rom wie in ganz Italien vorzugsweise
an den Höhen, und für die meisten römischen Hügel lassen sich alte Jup-
piterkulte nachweisen.^) Aber der Staatskult und der spezielle Dienst
des Flamen Dialis müssen sich, ebenso wie es bei Mars, Quirinus, Vesta
') Noeum vetuB vinum bibo, novo veteri
morho medeor, Varro de 1. 1. VI 21. Paul,
p. 123.
«) Varro de 1. 1. VI 16. Plin. n. h. XVIII
287. Ovid. fast. IV 863 ff. Paul. p. 65. 374;
vgl. MOKMSEK, CIL P p. 316.
') Als fericie lovis bezeugt durch die
fast. Amit., vgl. Cass. Dio XLVIl 18; für die
Deutungsversuche der Alten s. die Stellen-
sammlung bei Mabquabot, Staatsverw. 111
325. MoMMSBK, CIL I> p. 320 f.
^) Feriae lovis nach Macr. S. I 10, 11 und
fast. Praen. Vgl. Wissowa, De feriis anni
Rom. p. XL
6) Gell. X 15, 12. 24. Paul. p. 87. Plin.
n. h. XVIII 119. Plut. Q. R. 111.
*) Auf dem EsquiUn liegt das Sacellum
des Juppiter Faguiuis (Varro de 1. 1. V 152.
Paul. p. 87. Plin. n. h. XVI 37. CIL VI 452),
femer kennen wir einen Juppiter Viminos
(Varro de L 1. V 51. Fest. p. 376). einen
Juppiter Caelius (CIL VI 334) und einen
alten Kult auf dem Quirinal (Martial. V 22, 4.
VII 73, 4). Ausserhalb Roms vgl. ausser
dem Juppiter Latiaris auf dem Mons Albanus
(s. u.) Juppiter Appeninus (Obelli 1220. CIL
VIII 7961), Juppiter Poeninus (CIL V 6865 ff.,
vgl. Babnabbi, Rendic. d. R. Accad. d. Lincei
Vol. III 1887 fasc. 2 p. 363 ff.), Juppiter
Vesuvius (CIL X 3806), Juppiter Ciminius
(CIL XI 2688); auch der sabinische Juppiter
Cacunus (CIL IX 4876; vgl. VI 371) und der
Juppiter Culminalis in Noricum und Panno-
nien (CIL III 3328. 4032. 4115. 5186; Suppl.
10303. 11673 u. a.) gehören hierher.
A. Di indigetes. 20. Jappiter.
103
u. 8. w. der Fall war, an ein bestimmtes Heiligtum angeschlossen haben,
und dieses lag seit der Vollendung des Synoecismus von Berg- und Hügel-
römern auf dem Mens Capitolinus, dessen beide Gipfel Sitze des Juppiter-
dienstes waren; auf der höheren nördlichen Anhöhe, der arx, befand sich
die Beobachtungsstätte der Augurn und nach ihr führte die Prozession die
Sacra Idulia,^) während der südliche Gipfel, später dem Juppiter Optimus
Maximus geweiht, das älteste Heiligtum des Gottes trug. Hier lag eine
der Sage nach von Romulus gestiftete Kapelle des Juppiter Feretrius,
die noph Augustus bei seinem Neubau des Tempels aufs sorgfältigste
erhielt;') das hohe Alter des Heiligtums wird dadurch sicher gestellt, dass
der Kult hier noch ein bildloser war und an Stelle einer Statue des Gottes
in dem Tempelchen vielmehr ein Symbol, der heilige Feuerstein {silex),
aufwahrt wurde,') in dem wir wohl ein Abbild des Donnerkeils, einen Hin-
weis auf den im Gewitter waltenden Himmelsgott, zu erkennen haben; daher
führt der hier verehrte Gott auch den Namen Juppiter Lapis. Dass gerade
an dieses Heiligtum der älteste Staatskult des Juppiter anknüpft, ergibt
sich daraus, dass sowohl bei der Weihung der spolia opima als im Ritual
der Fetialen der mit Mars und Quirinus verbundene Juppiter als Juppiter
Feretrius bezw. Juppiter Lapis bezeichnet wird.^) Gerade das, was
wir von den auf dieses älteste Heiligtum bezüglichen gottesdienstlichen
Handlungen wissen, lässt uns erkennen, wie die Idee des Himmelsgottes
schon in früher Zeit auf das ethische und politische Gebiet übergriff:
während wir eine direkte Beziehung der besprochenen Juppiterfeste des
Kalenders, in denen die einfachste Auffassung noch deutlich erkennbar
ist, zu diesem ältesten Heiligtume nicht mehr nachweisen, sondern nur ver-
muten können, tritt uns hier Juppiter in zwei anderen Funktionen ent-
gegen, als Schützer von Recht und Treue und als Verleiher des Sieges
im Kampfe. Dass man die Gottheit des überall sichtbaren und alles
sehenden Himmelsgewölbes zum Schirmherren von Recht, Treue und Wahr-
heit erhebt, ist eine ebenso geläufige, wie durchsichtige Übertragung. So
wird Juppiter zum Schwurgotte,^) und insbesondere enthält der Schwur
beim Juppiter Lapis die heiligste und schwerste Bekräftigung.^) In solcher
Eigenschaft heisst der Gott Diovis oder Dius Fidius, d. h. Zevq maxiog^ und
daraus ist allmälig eine eigne Gottheit als Schwurgott für den täglichen
Gebrauch und das Privatleben entstanden, während der Schwur beim Jup-
piter Lapis dem völkerrechtlichen Verkehre vorbehalten blieb; auf der
anderen Seite hat die in der besonderen Obhut des Juppiter Fidius stehende
Tugend der Treue und Wahrhaftigkeit, die Fides, in verhältnismässig
*) Varro de 1. 1. V 47 : hinc oritur captU
sacrtie piae, qucte pertinet in arcem, qua Sa-
cra quotquot menaibus fei'untur in arcem et
per quam augures ex arce profecti soJent
inaugurare (vgl. Fest. p. 290 : quöd eo itinere
utantur saeerdotes idulium conficiendorum
causa usque in arcem).
*) Zeugnisse bei SoHWEeLEB, Rom. Gesch.
I 461 f. JoRDAH, Topogr. I 2 S. 47.
») Paul. p. 92; vgl. Serv. Aen. VIII 641.
*) Fest. p. 189. Polyb. in 25, 6.
*) Vgl. Verg. Aen. XII 200: audiat haec
genitar, qui foedera f ulmine sancit. Enn. trag,
frg. 380 Ribb. : o Fides alma apta pinnis et
iusiurandum lovis (vgl. Trag. ine. frg. 219
Ribb.). luppUer lurarius CIL VI 379 und
wahrscheinlich auch V Suppl. Ital. 1272.
•) Cic. ep. VII 12, 2. Gell. 1 21, 4.
Apul. de deo Socr. 5. Paul. p. 115. Vgl.
dazu auch I. M. J. Valeton, Provincial Ut-
rechtsche Genootschap van Künsten en Weten-
schappen 26. Juni 1883.
104
Religion and Knltas der BOmer. II. GOtterlehre.
früher Zeit einen eigenen Kult und ein Heiligtum in unmittelbarer Nach-
barschaft der capitolinischen Kapelle des Juppiter Lapis erhalten ; dass ihre
Verehrung aus der des Juppiter hervorgegangen ist, zeigt sich darin, dass
das alljährliche Opfer der Fides nach bestimmtem altertümlichen Ritus
durch die drei grossen Flamines, an deren Spitze der Flamen Dialis stand,
vollzogen wurde (s. u. § 22). In engster Beziehung zum Juppiter Lapis
als dem Schützer der Treue im Verkehre der Völker und Staaten unter
einander stehen die priesterlichen Vertreter internationalen Rechtes, die
Fetialen: aus dem Heilgtume des Juppiter Feretrius entnehmen sie die
ehrwürdigen Symbole des silex und (später) des Scepters, mit denen aus-
gerüstet sie gewissermassen als menschliche Repräsentanten des Treu-
gottes ihres Amtes walten,^) von der arx, also ebenfalls einer Kultstätte
des Juppiter, empfangen sie die heiligen Kräuter {sagmina), die ebenso wie
der silex in Ceremoniell ihrer Funktionen eine wichtige Rolle spielen;*)
an Juppiter Lapis (daneben an Mars und Quirinus) wenden sie sich in
ihren Gebeten.*) Dieselbe Vorstellung, dass der Himmelsgott über Recht
und Treue der Menschen gegeneinander wache, liegt zu Grunde, wenn
Juppiter als Schützer der Grenze und ihrer Heiligkeit, als Juppiter Termi-
nus (CHj XI 351), gefasst wird und der selbständig gewordene Grenzgott,
Terminus, die engsten Beziehungen zum Juppiterkulte bewahrt. Endlich
wird in den gleichen Anschauungskreis auch die Rolle gehören, welche
Juppiter bei der feierlichsten Form der Eheschliessung, der confarreatio^
spielt ; das Opfer vollziehen der Pontifex maximus und der Flamen Dialis,^)
das Opfertier ist, wie bei der Idusfeier und der Eröffnung der Weinlese,
ein Schaf, ^) die heilige Handlung gilt dem Juppiter, welcher von dem zur
Anwendung kommenden farreum libum den Beinamen Farreus erhält;®)
offenbar erscheint hier Juppiter analog den 10 menschlichen Zeugen, die
bei dem Akte anwesend sein müssen,^) als Zeuge und Bürge für die Un-
verbrüchlichkeit des Ehebündnisses.®) — Mit nicht geringerer Deutlichkeit
ist im Kulte des Juppiter Feretrius die Beziehung auf Kampf und Sieg
zu erkennen ; der in Blitz und Donner am Himmel wirksame Gott wird
zum obersten Kriegsherrn und Lenker der Schlachten, zum Vorkämpfer
seiner Verehrer und Verleiher des Sieges; daher wird in seinem Heilig-
tume die seltenste und darum kostbarste Siegesbeute, die spolia opima^
aufgestellt d. h. ihm als Dankopfer geweiht,^) und eine, allerdings ver-
auch den luppiter Herceus einreihen wollen»
der itUer con^aeptum domus cuiusg^ue eole-
batur, quem etiam deum penetralem appeUa-
bant (Paul. p. 101; vgl. Serv. Aen. 11 469.
506) ; das ist aber kein römischer Gott, son-
dern der gnechische ZetV igxeio^ (Pbvllbr-
RoBEBT, Griech. Mythol. I 146 f.), und die
Glosse gehört in eine lange Serie von Ver-
rins Flaccus aufgenommener griechischer
Götterbeinamen, die man jetzt bei H. Wil-
LBBS, De Verrio Flacco glossarum interprete
(Halis 1898) p.26ff. bequem übersehen kann.
*) Fest. p. 189; vgl Mabquabdt, Staats-
verw. II 580 f., wo Cass. Dio XLIV 4, 3
hinzuzufügen ist.
») Paul. p. 92. Serv. Aen. XII 206.
«) Liv. I 24, 4. 8. IX 5, 3. XXX 43, 9.
Fest. p. 321. Plin. n. h. XXII 5. Marcian.
Digest. I 8, 8 § 1. Serv. Aen. VIII 641.
XII 120.
») Polyb. III 25, 6; vgl. die Formeln
bei Liv. I 32, 6. 24, 7.
*) Serv. Georg. 1 31.
*) Serv. Aen. IV 374.
') Gaius I 112 und dazu Studrmund,
Verhandl. d. Würzb. Philol.Versamml. S. 125.
J. S. Spbyeb, Versl. and Mededeel. Akad.
Amsterdam, Afdeel. Letterkunde IV 1 (1897)
S. 138 ff.
0 Gai. a. a. O. ülpian. frg. 9.
^) Man hat in diesen Zusammenhang
A. Di indigete«. 20. Jappiter.
105
fehlte, Hypothese alter Grammatiker leitete sogar den Namen Feretrius
von dem feretrum ab, dem Gestell, auf dem man die erbeuteten spolia opima
anzuordnen pflegte. 0 — Nicht beim Heiligtume des Juppiter Feretrius,
aber auf der benachbarten Anhöhe des capitolinischen Hügels, auf der
arXj lag das auguraculum, an welches die Thätigkeit der Augurn anknüpft.*)
Auch sie sind Diener des Juppiter, nicht als Opfervollzieher, wie der
Flamen Dialis, sondern analog den Fetialen als Träger einer priesterlichen
Wissenschaft, welche die Erkundung des göttlichen Willens auf Grund
der Himmelserscheinungen zum Zwecke hat. Der Gott, von welchem diese
Zeichen ausgehen, ist immer Juppiter,') daher ist die gesamte Augural-
disziplin ein Zweig seines Kultes und die Augurn die interpretes lovis 0. M.
(Cic. de leg. U 20).
Bereits in den bisher geschilderten ältesten Formen des stadtrömi-
schen Kultus sehen wir die verschiedenen Gestaltungen und Modifikationen
ausgeprägt, deren die an sich einfache Idee des Himmelgottes fähig war ;
nach jeder von den hier angedeuteten Richtungen hin erfährt dann die
Auffassung des Gottes, sei es in der privaten Verehrung des einzelnen, sei
es in der späteren Entwicklung des Staatskultes, weitere Ausgestaltungen
und Verzweigungen, indem die verschiedenen Seiten und Äusserungen
seines Wesens immer mehr verselbständigt und durch zahlreiche Beinamen
und eigne Kultformen differenziert werden. Dass der Gott der Himmels-
erscheinungen und des himmlischen Segens als solcher besonders auf dem
Lande verehrt wird, ist selbstverständlich. Der Landmann, der den Jup-
piter als den nährenden und fruchtspendenden Gott anruft,^) bezeugt ihm
seine Verehrung in altertümlicher Form, indem er ihm vor Beginn der
Aussaat einen Imbis (daps) hinstellt, von welchem der Gott selbst den
Beinamen Dapalis erhält,^) während ihm in der Stadt, wo bei ähnlichen
Veranlassungen den breiteren Verhältnissen entsprechend an die Stelle
des einfachen Imbisses ein Festschmaus (epulum) getreten ist, die Be-
zeichnung Epulo zukommt.^) In diesen ländlichen Anschauungskreis gehört
aller Wahrscheinlichkeit nach auch die noch nicht völlig aufgeklärte Ge-
stalt des bei den oskisch-sabellischen Stämmen verehrten Juppiter Liber,^)
') Flut. Marc. 8; vgl. Liv. I 10, 5. Dion.
Hai. II 34. In Wahrheit hängt der Name
jedenfalls mit ferire zusammen ; vgl. die For-
mel der Fetialen bei Liv. I 24, 8: tum iüo
die, luppiter, popuium Bomanum sie ferito,
tU ego hunc procutn hie hodie feriam, tanto-
que magis ferUo, quanto magis potes polles-
que, und v. Domaszbwski. Westd. Zeitschr.
XIV 120. Wenn v. Domaszbwski aber in
Jappiter Feretrius und Juppiter Stator neben
der Trias Jappiter, Mars, Quirinus die älte-
sten Heeresgötter der römischen Republik
erkennen möchte und diese in den von Plin.
n. h. X 16 erwähnten Tierbildem der Signa
des vormarianischen Heeres verkörpert denkt,
so beruht diese Kombination nicht nur auf
sehr ansicherer Grundlage, sondern ist auch
schon deshalb unmöglich, weil nach der Lex
de spolüs opimis der Juppiter der Trias Jup-
piter, Mars, Quirinus eben der Juppiter Fere-
trius ist.
«) Jobdan, Topogr. 1 2 S. 102 ff.
*) MoHMSBN, Staatsr. I 74, 2. Auch bei
der Inauguration von Personen wendet sich
der Augur an Juppiter (Liv. I 18, 9).
*) Almus und ruminus heisst er bei
August, c. d. VII 11, frugifer CIL XII 336.
Apul. de mundo 37; auch der Beiname Pe-
cunia (August, c. d. Vif 12) gehört jeden-
falls hierher, indem er den Gott als Schir-
mer und Mehrer des Viehstandes bezeichnet.
») Cato de agric. 132. Paul. p. 51.
«) CIL VI 3696.
^) Inschriftlich bezeugt für das Gebiet
der Frentaner (Zvbtaieff, Syll. inscr. Ose.
nr. 3). Vestiner (CIL IX 3513), Sabiner (Job-
OAN, Analecta epigraphica latina p. 3 f.) und
Campaner (CIL X 3786, wo die Ergänzung
Iwi Liheiip) näher liegt als lavi IAher{tati))
106
Religion nnd Knltns der BOmer. IL GOtterlehre.
der auch in Rom auf dem Aventin einen von Augustus wiederhergestellten
Tempel (Stiftungstag 1. Sept.) besass; hier wird der Gott bald luppüer
Liber, ^) bald luppiter Libertds genannt,*) aber die Übersetzung mit Zevg
slevO-bQiog (Mon. Anc. gr. 10,11) trifft kaum das ursprüngliche Wesen des
Kultes.^) Vielmehr liegt in Liber (vgl. liber, liberalis mit genius, genialis) der
Begriff der schöpferischen Fülle, und darum konnte der vom Juppiter Liber
losgetrennte Liber nachmals mit dem griechischen Dionysos identifiziert
werden (s. u. § 46), ohne dass man darum eine ursprüngliche Beziehung
des Liber zum Weinbau anzunehmen berechtigt wäre.
Sehr reichhaltig ist die Gruppe von Vorstellungen, die sich an den
Himmelsgott als den Veranlasser heiteren und trüben Wetters^ als den
tempestatium divinarum potens (CIL VIII 2609), wendet und sich in zahl-
reichen Beinamen des Juppiter ausspricht.^) Insbesondere richtete sich an
ihn in Zeiten anhaltender Dürre die Bitte um befruchtenden .Regen, und
man feierte ihm bei diesem Anlasse in Rom unter Leitung der Pontifices das
Bittfest des aquaelicium,^) bei welchem die Matronen mit nackten Füssen und
aufgelöstem Haare und die Magistrate ohne die Abzeichen ihrer Würde in
feierlicher Procession nach dem Capitole zogen. ^) In älterer Zeit trat bei
dieser Gelegenheit auch der lapis manaiis in Funktion, ein in der Nähe des
Marstempels vor Porta Capena aufbewahrter Stein, der im Aufzuge in die
Stadt geschleppt wurde.') Diese Ceremonie des elicere aquam gehört sicher
zusammen mit dem Kulte des Juppiter Elicius,^) der auf dem Aventin,
also unfern der Stelle, wo der lapis manaiis lagerte, einen alten Altar
besass.^) Dass die Alten selbst den Namen Elicius anders erklärten und
ab eliciendis fulminibus ableiteten — Valerius Antias erzählte ausführlich,
wie Numa auf Rat der Egeria die Götter Faunus und Picus im Schlafe
band und ihnen die Offenbarung diör Blitzsühne abzwang *<^) — , beweist
umso weniger etwas gegen diese Annahme, als die der etruskischen Super-
stition eigentümliche Kunst der Blitzbeschwörung ^i) den Römern durchaus
fremd ist und ihren Anschauugen zuwiderläuft. Die grossartige Natur-
erscheinung des Gewitters erinnert aber die Römer in hervorragender
Weise an den Himmelsgott; der Blitz ist ihnen nicht bloss das Zeichen,
durch welches der Himmelsgott seine Macht und seinen Willen kundthut,
') Fast. Arval. z. 1. Sept. CIL P p. 328.
') Mon. Anc. 4, 7; vgl. die Inschriften
CIL XI 657 (Faventia) und XIV 2579 (Tus-
culum).
®) Der Name luppiter LibercUor (Tac.
ann. XV 64. XVI 35. Fast. Philoc. z. 13.-18.
Oct. EcKHEL, D. N. VI 272) ist erst nach
Analogie des griechischen Zevg iXev&sgiog
hezw. aatttjg gebildet (PsELL£B-RoBBBT,6riech.
MythoL I 151 f.).
*) Apul. de mundo 37: fulgurator et
tonitrtMilia et fulminator, etiam imbricitor et
item dicitur serenator; vgl. luppiter Serenus
CIL VI 431. 433, luppUer Plumalia CIL
IX 324.
*j Paul. p. 2. Tertull. apol. 40.
•) Petron. 44. Tertull. apol. 40; de
ieiun. 16.
') Varro bei Non. p. 547. Paul. p. 128.
Serv. Aen. III 175; dass der Stein walzen-
förmig gewesen sei, sagt nur Fulg. ezpos.
serm. antiqn. p. 559 M. Ueber die fälsch*
lieh angenommene Zugehörigkeit dieses Brau-
ches zur discipUna Etrusca vgl. Wissowa
in Roschers Lexik. II 2309.
") So richtig zuerst Gilbbbt, Topogr.
II 154 und £. Aust in Roschers Lexik. II
657 f.
•) Varro de 1. 1. VI 94. Liv. I 20, 7,
vgl. 31, 8. Ovid. fast. Ill 328 ff.
'«) Amob. V 1. Ovid. fast. III 285 ff.
Plut. Numa 15 (vgl. Liv. a. a. 0. Plin. n. h.
II 140). Vorbild der Erzählung ist das Pro-
teusabenteuer der Odyssee.
'*) Müllbr-Dbscke, Etrusker II 176 f.
A. Di indigeteB. 20. Jappiter.
107
sondern er selbst fährt im Blitze hernieder und führt daher den Namen
Juppiter Fulgur, auch Juppiter Fulgur Fulmen,*) für den erst später die
nomina agentis Fulgurator oder Fulminator eintreten.*) Wie alt das im
Marsfeide gelegene Heiligtum des Juppiter Fulgur war, dessen Stiftungs-
tag die Kaiendarien am 7. Oktober verzeichnen,^) ist nicht überliefert,
das hohe Alter des Kultes wird aber ausser durch die eigenartige neutrale
Namensform auch durch den Umstand verbürgt, dass diesem Juppiter
Fulgur die sog. Blitzgräber oder bidentalia geweiht sind;^) schlug der
Blitz in einen locus publicus^ so erfolgte eine Prokuration durch die Ponti-
fices und der Blitz wurde begraben, indem die Stelle mit einer cylinder-
förmigen Mündung {puteal) eingefasst und mit der Inschrift fulgur conditum
versehen wurde;*) dabei schied man jedoch fulgur Dium und fulgur Sum"
manum, da nur die bei Tage fallenden Blitze als unmittelbare Äusserungen
des Juppiter angesehen wurden, während sich von ihm ein eigener Gott
des nächtlichen Himmels, Summanus, loslöste, welchem die Prokuration der
Nachts gefallenen Blitze galt.^) Streng zu scheiden von diesen uralten Kulten
des Blitzgottes ist Juppiter Tonans, der erst durch Augustus, nachdem dieser
der Tötung durch Blitzschlag auf wunderbare Weise entgangen war, ein am
1. September 732 = 22 eingeweihtes Heiligtum auf dem Capitol erhielt.^)
Die Auffassung des Juppiter als eines Kriegs- und Siegesgottes trat
bereits in seiner Vereinigung mit den beiden kriegerischen Gottheiten
Mars und Quirinus zu Tage ; im Laufe der Zeit hat sie dann verschiedene
Ausgestaltungen erfahren. Als der Gott, der dem Heere Standhaftigkeit
und Widerstandskraft verleiht, als Juppiter Stator, besass er in Rom
zwei Tempel. Der eine, an der Nova via, unfern des alten Eingangsthores
zum Palatin, der Porta Mugionia,®) gelegen, war im dritten Samniter-
kriege 460 = 294 von M. Atilius Regulus gelobt und nicht lange nach-
her geweiht worden;*) die spätere Pseudo-Überlieferung datierte freilich
die Gründung des Tempels auf Romulus zurück,^®) woran im besten Falle
so viel wahr ist, dass sich ein unscheinbares fanum des, wie es scheint,
in Italien allgemein verehrten Gottes ^^) bereits vor der Gründung des
Tempels in derselben Gegend befand. Als Stiftungstag gibt Ovid (fast.
VI 793) den 27. Juni an, doch ist es eine ansprechende Vermutung von
') CIL XII 1807.
») CIL VI 377. ni 821. 1596. 1677.
3593. 3954. 6342 u. a
») Vitr. l 2, 5. CIL I» p. 331.
*) Fest. p. 229 : provorsum fulgur appel-
latur, quod ignaratur noctu an interdiu sü
factum; itaque lovi Fulgur i et Summano
fit, quod diuma lovia nocturna Summani
fulgura habentur.
^) Marquabdt, Staatsverw. III 262 f.;
▼gl. auch CIL XI 1024: sacrum publicum
fulguris.
•) Pest. p. 229. Paul. p. 75. Plin. n. h.
II 138. August, c. d. IV 23. Danach lauten
die Inschriften der Blitzgräber oft fulgur
Dium conditum (z. B. CIL VI 205. X 40.
6423) bezw. fulgur Summanum conditum
(z. B. CIL VI 206).
^) Suet. Aug. 29. 91. Mon. Anc. 4, 5;
mehr bei Jobdah, Topogr. I 2 S. 48 f. Weih-
inschriften an Juppiter Tonans finden sich
nur vereinzelt, CIL IX 2162. XI 3773. 3778.
XII 501.
®) Ueber die Lage des Tempels vgl. 0.
Richter« Hermes XX 425 ff.
») Liv. X 36, 1, vgl. 37. 15 f.
»0) Liv. I 12. Dion. Hai. II 50. Ovid.
fast. VI 793. Cic. Catil. I 33.
") Weihinschriften CIL VI 434. 435. IX
3923. 4534. X 5904, auch III 1089; in wieweit
die Verehrung des Gottes in Italien von Rom
abhängig ist, lässt sich nicht ermitteln. Ein
Gegenstück zu Juppiter Stator ist der oski-
sche luppiter Versor, Zvbtaibff, Syll.inscr.
Ose. nr. 146.
108
Religion nnd Ealtna der Römer. II. GOtterlehre.
E. AusT (de aedib. sacris p. 45), dass sich dieses Datum auf eine (allerdings
unbezeugte) Wiederherstellung durch Augustus bezieht und der ursprüng-
liche Stiftungstag dem oben S. 101 erwähnten Brauche entsprechend auf die
Iden eines Monats fiel.^) Ein zweiter Tempel des Juppiter Stator wurde
von Q. Caecilius Metellus Macedonicus nach seinem Triumphe (608 = 146)
beim Circus Flaminius erbaut und samt einem benachbarten Tempel der
Juno Regina mit einer Säulenhalle (porticus MetMi, später porticus Odaviae)
umgeben.*) Ungefähr gleichaltrig mit dem älteren Statortempel war ein
Tempel des Juppiter Victor, von Q. Fabius Maximus im Samniterkriege
459 = 295 gelobt;') die Auffindung einer archaischen Weihinschrift ^D^iovei
Victore auf dem Quirinal (CIL VI 438) macht es wahrscheinlich, dass der
Tempel dort gelegen hat ; der Stiftungstag ist nicht überliefert, da jedoch
Ovid zum 13. April den Tag eines luppiter Victor (fast. IV 621), zum
13. Juni den eines luppiter Invictus (fast. VI 650) verzeichnet und das
Regionenbuch (reg. X) auf dem Palatin einen Juppitertempel anführt, der
im Curiosum nur aedes lovis, dagegen in der Notitia aede^ lovis Victoris
heisst, so wird man je einen von diesen beiden Idustagen auf den quiri-
nalischen bezw. den palatinischen Tempel beziehen dürfen.^) Einen sonst
unbekannten Tempel des Juppiter Propugnator auf dem Palatin lernen wir
aus den inschriftlich erhaltenen Protokollen einer Priesterschaft der Kaiser-
zeit kennen, welche in diesem Tempel ihre Sitzungen abhielt.^)
Die Ideen, welche sich im römischen Juppiterkulte aussprechen, dürfen
wir in ähnlicher Ausgestaltung auch für die übrigen Gemeinden des stamm-
verwandten Latium und der nächsten Nachbarschaft (Aequer, Volsker,
Herniker, Sabiner) voraussetzen, wenn auch unsere Nachrichten darüber
so lückenhaft sind, dass sie uns nicht viel mehr als die Feststellung der
Thatsache erlauben, dass hier überall Juppiter eine hervorragende Stelle
im Gottesdienste einnahm. Dass diese Juppiter Verehrung der latinischen
und angrenzenden Städte von der römischen unabhängig ist, beweisen, ab-
gesehen von zufallig überlieferten Einzelheiten des Rituals, insl)esondere
die eigenartigen Beinamen; so wird der Gott in Praeneste als Juppiter
Arcanus verehrt,®) in Tibur als Juppiter Praestes,^) in Tusculum als Jup-
piter Majus,^) in Lavinium als Juppiter Indiges,^) bei den Volskern als
*) Zu beachten ist, dass Philocalas zu
den Iden des Janaar (13. Jan.) verzeichnet:
lovi Statori c(ircense8) *n(is8us) XXIV; viel-
leicht liegt darin eine Erinnerung an den
ursprünglichen Stiftungstag des Tempels.
') Vitr. iil 1, 5. AusT, De aedib. sacr.
p. 24 f.
») Liv. X 29, 14.
*) Der von Cass. Dio XLVII 40, 2 und
LX 35, 1 erwähnte ßto/Äog bezw. yaos tov
yMttiov Jioq kann ebensogut die quirinal ische
wie die palatinische aedes lovis Victoris sein,
während die Stelle XLV 17, 2 unklar ist
und auf keinen Fall zur Annahme einer ara
lovis Victoris auf demCapitol (Jobdan, Topogr.
I 2 S. 50) berechtigt.
») CIL VI 2004-2009; vgl. Gilbert,
Topogr. MI 133 f.
«) CIL XIV 2852. 2937. 2972 (zum Na-
men vgl. Paul. p. 16).
') CIL XIV 3555; vgl. Hist. aug. Maxim,
et Balb. 5, 3 und zum Namen ausser den
römischen Lares praestites den luppiter
praestitus CIL III 4037 und luppiter prae-
stahilis CIL IX 1498.
^) Macr. S. I 12, 17. Ueber eine an-
gebliche Weihung an ihn s. CIL XIV 216*.
Eph. epigr. VII 1276.
») Liv. I 2. 6. Plin. n. h. III 56. Serv.
Aen. I 259 ; über den Namen vgl. Wissowa,
De dis Roman, indigetibus et novensidibus
p. VI. Später ist der Gott in die Aeneassage
hineingezogen und mit dem vergötterten Ae-
neas gleichgesetzt worden (Schwbgler, Rom.
Gesch. I 287 f.), wie Juppiter Latiaris mit
Latinus (Fest. p. 194).
A. Di indigetes. 20. Jnppiter.
109
Juppiter Anxurus^) u. s. w. Vor allem aber war es in weit zurücklie-
gender Zeit der von Alba Longa auf der Höhe des Mens Albanus verehrte
Juppiter, der über den Kreis einer Einzelgemeinde hinaus Bedeutung ge-
wann und als Juppiter Latiaris der göttliche Schirmherr des unter der
Vorstandschaft von Alba Longa geeinten Latinerbundes wurde. Zwar be-
ziehen sich die Angaben der alten Überlieferung durchweg auf die Zeit,
wo das Bundesfest des Latiar unter römischer Leitung gefeiert wurde
und an die Stelle des heiligen Haines, der die ursprüngliche Stätte des
Kultes war,*) der von der letzten Dynastie der römischen Könige erbaute
Tempel auf dem Albanerberge getreten war; dass aber damit nur eine
alte, von Alba Longa eingerichtete und nach dessen Fall vielleicht eine
Zeit lang unterbrochene Bundesfeier von neuem aufgenommen wurde, um
auf diese Weise die Vorortstellung Roms in Latium zum sakralen Aus-
druck zu bringen, das geht abgesehen von den im Ritual des Festes er-
haltenen Spuren hohen Altertums^) schon aus dem Orte der Festfeier
hervor. Rom ist in der historischen Zeit der festgebende Staat; seine
Beamten, entweder die Consuln oder in deren Abwesenheit ein eigens
dazu ernannter Diktator (f. Capit. z. J. 497 = 257), bringen das Opfer und
üben die Festleitung aus, alle übrigen römischen Staatsbeamten müssen
zugegen sein;^) die verbündeten latinischen Gemeinden sind durch Ab-
gesandte vertreten, deren jeder seinen Anteil an dem Opferfleische erhält
{carnem petere) ; *) die Zahl dieser empfangsberechtigten Latinergemeinden
soll zur Zeit der Neugründung des Latiar durch Tarquinius Superbus 47
betragen haben. ^) Während der Festdauer herrschte in ganz Latium
Gottesfrieden (Macr. S. I 16, 17), und auch die einzelnen Gemeinden mögen
innerhalb ihres Weichbildes das Fest feierlich begangen haben ; wenigstens
wissen wir, dass in Rom ein Wagenrennen auf dem Capitol stattfand, bei
dem der Sieger einen Trunk Absynth erhielt.'') Die Lage des Festes war
nicht auf einen bestimmten Kalendertag fixiert, sondern es waren feriae
conceptivae,^) die alsbald nach Beginn des Amtsjahres von den Consuln
auf einen nicht sehr fern (jedenfalls noch vor ihrer Abreise in die Pro-
vinz) liegenden Termin angesetzt wurden;^) die Dauer des Festes wurde
allmälig bis auf vier Tage ausgedehnt, ausserdem fanden nicht selten
wegen eines Formfehlers Wiederholungen der ganzen Feier statt. *^) In
*) Verg. Aen. VII 799 und dazu Servias.
Pnrph. zu Hör. sat. I 5, 26. CIL X 6483.
Babsloit, Monn. consul. II 546.
«) Liv. 1 31, 3. Cic. pro Mil. 85.
*) AoBSchlass des Weins beim Opfer
(Beusio, Italiker in der Poebene S. 71), der
Brauch des Schaukeins (Fest. p. 194. Schol.
Cic. Bob. p. 256 Or.; vgl. dazu Lobeck,
Agiaopb. 1 585. Böttiohbb, Baumkultus
S. 80 ff.); das angeblich in Rom dem Jup-
piter Latiaris gebrachte Menschenopfer eines
bestiarius, von dem eine Anzahl christlicher
Schriftsteller (die Stellen bei Roepbr, Lucu-
bration . pontifical. p. 38 f. Mabqüabdt, Staats-
verw. 111 297, 4) als einem noch zu ihrer
Zeit bestehenden Brauche erzählen, ist ganz
gewiss apokryph.
*) MoMMSBN, Staatsr. I 642 f. Liste der
Praefecti urbi feriarum Latinarum causa bei
Chr. Webneb, De feriis latinis (Diss. Lips.
1888) p. 41 ff.
^) Cic. pro Plane. 23. Varro de 1. 1.
VI 25; vgl. Plin. n. h. III 69. Das volle
Stellenmaterial über das Fest bei Chr. Wer-
ner a. a. 0. p. 29 ff.
«) Dion. Hai. IV 49; über die Listen
bei Dion. V 61 und Plin. n. h. 111 69 vgl.
MoMMSEN, Hermes XVII 42 ff. (anders Sebck,
Rhein. Mus. XXXVII 1 ff. 598 ff.).
») Plin. n. h. XXV II 45.
«) Varro de 1. L VI 25. Macr. S. I 16, (J.
») Liv. XXI 63, 8.
»») Werner a. a. 0. p. 22 ff. 38 ff
110 Religion und Enltna der Römer. TL, GOtterlehre.
der Zeit des Augustus hat man auf Orund älterer Aufzeichnungen Fasten
der Feriae Latinae in Stein gehauen, die bis in die Zeit der Decemvirn
zurückreichten und dann in der Kaiserzeit jährlich fortgeführt wurden;
zahlreiche Bruchstücke haben sich in den Trümmern des Juppitertempels
auf dem Mens Albanus gefunden. 0
Es ist schon früher (S. 35) darauf hingewiesen worden, dass zwischen
dem Tempel des Juppiter Latiaris auf dem Albanerberge und dem des
Juppiter Optimus Maximus auf dem Capitol zu Rom nicht nur chrono-
logische, sondern auch innere Beziehungen bestehen; von besonderer Be-
deutung dafür ist der seit dem J. 528 = 231 häufig gefeierte Triumph
auf dem Albanerberge, welchen solche römische Feldherm veranstalteten,
denen der reguläre Triumph in Rom versagt blieb ;>) derselbe geschah
sine publica auctoritate (Liv. XLII 21, 7), hatte aber, wie die Triumphal-
fasten zeigen, volle Rechtsgiltigkeit.') Es ist eine ansprechende Vermu-
tung, dass mit diesem Akte die römischen Feldherrn an einen älteren
Brauch anknüpften, indem wahrscheinlich bis zur Unterwerfung der Latiner
die latinischen Feldherm ebenso auf dem Mens Albanus zu triumphieren
pflegten, wie die römischen auf dem Capitol; auf jeden Fall aber spricht
sich in dem thatsächlichen Vorhandensein einer derartigen Abart des
Triumphes eine Parallelisierung und Gegenüberstellung des Juppiter Optimus
Maximus, dem allein der legitime römische Triumph gilt, und des Juppiter
Latiaris aus, die keinesfalls zufällig sein kann. In der That hebt sich
der capitolinische Juppiter aus der Menge der Juppiterkulte deutlich
heraus durch seinen eminent politischen Charakter, der ihn mit dem Schutz-
gotte des Latinerbundes in nächste Beziehung setzt. Einer der ältesten in
Rom erbauten Tempel im vollen Sinne des Gotteshauses war die der Über^
lieferung nach von den tarquinischen Königen begonnene und im ersten
Jahre der Republik 245 = 509 durch den Consul M. Horatius dedicierte
aedes lovis Optimi Maximi auf dem Capitol;^) die Beinamen bezeichnen
den Gott nicht sowohl als den besten und grössten der Götter, als viel-
mehr als den ersten und hervorragendsten aller in und ausserhalb Roms
verehrten loves. Als Tempelgenossinnen werden neben ihm Juno Regina
und Minerva verehrt, so dass ein göttlicher Dreiverein entsteht, der ziem-
lich sicher auf griechischen Ursprung zurückgeführt werden kann, nach
Rom aber wahrscheinlich über Etrurien gelangt ist (oben S. 36) ; dieselbe
Trias war schon vor der Gründung des capitolinischen Tempels auf dem
Quirinal in einem unscheinbaren Heiligtume, dem später so genannten
Capitolium vetus, verehrt worden.*) Der Stiftungstag des Tempels war
der 13. September (Idus),') ein Tag, der in den Fasten als ejmlum lovis
bezeichnet ist und für die ältesten römischen Spiele, die Ludi Romani,
nachdem dieselben ständig geworden waren, den Mittelpunkt bildete ; ^)
») CIL VI 2011-2022. 3874 = XIV
2236—2248; dazu de Rossi, Eph. epigr. II
p. 93 ff. MoHMSBK, Rom. Forsch. 11 97 ff.
Webnrb a. a. 0. p. 57 ff.
*) Marquabdt, Staatsverw. II 590. A.
Michaelis, Annali d. Inst. 1876, 113 ff.
*) MöMHSEN, Staatsr. I 131.
*) Ueber die Qeschichte des Tempels,
auf die hier nicht eingegangen werden kann,
vgl. Jordan, Topogr. I 2 S. 8 ff. 0. Richter,
Handb. lll 814 ff. HOlsen, Real-Encycl. III
1532 ff.
») Varro de 1. 1. V 158.
«) Flut. Fopl. 14.
7) CIL P p. 329; die Annahme L. Holz-
apfels, Fhilologus N. F. II (1889) 369 ff..
A. Di indigetM. 20. Jnppiter. Hl
aber auch sonst ist dieser Tag von Staatswegen als ein bedeutungsvoller
behandelt worden : er ist in der nächsten Zeit nach Gründung des Heilig-
tums Anfangstag des bürgerlichen Jahres, an welchem die Magistrate ihr
Amt antreten, 0 und eine Erinnerung an diese Anschauung liegt noch in
dem Brauche, den Beginn eines neuen saeculum durch einen am 13. Sep-
tember in die Seitenwand der celia lovis eingeschlagenen Nagel zu be-
zeichnen.^) Bei den verschiedensten Qelegenheiten wird das capitolinische
Heiligtum als das sakrale Centrum des Staates gekennzeichnet. Das Amts-
jahr beginnt mit einem feierlichen Staatsopfer auf dem Capitol, bei welchem
die höchsten Beamten des Jahres dem Juppiter das von ihren Vorgängern
gelobte Opfer weisser Stiere darbringen und ihrerseits das gleiche Gelübde
für ihr Amtsjahr erneuern, und mit einer Festsitzung des Senates im ca-
pitolinischen Tempel;*) Opfer und Gelübde wiederholen sich, wenn der
Magistrat zum Heere in die Provinz abgeht, und dem Juppiter 0. M.
widmet der siegreiche Feldherr den Siegeskranz und einen Teil des Er-
löses der Kriegsbeute.^) Den deutlichsten Ausdruck erhält die Auffassung
des Juppiter 0. M. als des göttlichen Schirmherrn und Vertreters des
ganzen Staates beim Triumphe; der triumphierende Feldherr ist in allen
Stücken ein menschliches Abbild des Juppiter 0. M., unter dessen Auspicien
er den Sieg erfochten hat und dem die Ehre des letzteren gebührt; da-
her erscheint er auf der dem Juppiter zukommenden Quadriga,^) bekleidet
mit den Gewändern und Insignien des Gottes, die für diesen Tag dem
Tempel entnommen werden,^) ja sogar mit menniggefärbtem Gesichte in
Nachbildung der Thonstatue im Heiligtume ; ^) der capitolinische Tempel
ist das Ziel des Triumphzuges, am Altar des Juppiter 0. M. wird das
Festopfer (wiederum weisse Stiere)®) dargebracht und in den Schoss des
Götterbildes wird der Lorberkranz, der Ehrenpreis des Triumphators, nie-
dergelegt.^) Dem Juppiter gelten auch die Festspiele, die sich ursprüng-
lich wohl regelmässig unmittelbar an den Triumph anschlössen, indem der
Festzug (pompa) vom Capitol nach dem Circus weiterzog, wo dann die
Siegesfeier durch ludi magni (votivi) ihren Abschluss fand. Später haben
sich diese ludi vom Triumphe losgelöst und sind als Ludi Romanik wahr-
scheinlich seit Einsetzung der curulischen Aedilität 388 = 366, ein stän-
diges Jahresfest geworden; ^^) die Erinnerung aber daran, dass sie ur-
sprünglich ein Bestandteil des Triumphzuges waren, hat sich immer darin
dass die Fixierung der Ladi Romani auf Sep- | ^) Dion. Hai. IX 71. Ovid. ex Ponto
tomber erst im Anfang des 2. Jhdts. v. Chr. i II 1, 58 u. a. Reiche Materialsammlung über
erfolgt sei, steht auf ganz schwachen Füssen. , die äusseren Formen des Triumphes bei Mar-
>) MoiiKSEK, Chronol. S. 86 ff. | quardt, Staatsverw. H 5'^2 ff.
VII 3 nach Cincius, der miss- i •) Liv. X 7, 10. Suet. Aug. 94. Juv.
10, 38. TertuU. de Corona 13. Mommsbn,
Staatsr. I 396.
0 Plin. n. h. XXXIII 111. Serv. Ecl.
6, 22. 10, 27.
>) MOM
«) Liv.
yerständlich aas dem Saecularnagel einen
elavus annalis gemacht hat; vgl. Mommsen,
Chronol. S. 176 ff.
>) MoxxsBV, Staatsr. I 594 f.
*) liv. XLV 39, 11: constd proficiscens ") Serv. Georg. II 146.
praetorve paludatis lictoribus vota in Capi-
tolio nunrupat: vicior perpetraio hello eodem
triumphans ad eosdem deos, quUms vota nun-
cupavü, meriia dona portans redit. Momm-
siH, Staatsr. I 61.
») Plin. n. h. XV 133. Sil. Ital. XV 118 ff.
Pacat. paneg. in Theod. 9, 5. Obseq. 61 [122]
u. a.
*^) Grundlegende Abhandlung von Momm-
SBN, Rom. Forsch. 11 42 ff.
112
Religion und Ealtua der Eomer. II. QOtterlehre.
erhalten, dass der spielgebende Magistrat in der Tracht des Triumphators
erscheint^) und überhaupt die pompa circensis, die vom Capitol ausgeht, eine
Nachbildung des Triumphzuges ist.^) Natürlich gehören die Ludi Romani
ebenso wie die nächstältesten Spiele, die wahrscheinlich im J. 534 = 220
ständig gewordenen Ludi Plebei, zum Kulte des Juppiter 0. M.,^) und beide
gruppieren sich in ganz analoger Weise um die beiden epula lovis an
den Iden des September und November ; ^) während die Ealendarien der
augusteischen Zeit für beide Spiele die Tage vom 4. — 19. September bezw.
4. — 17. November ansetzen, scheint die Entwicklung die gewesen zu sein,
dass der älteste Spieltag der vom epulum lovis durch den Tag der equorum
probatio getrennte 15. September bezw. 15. November war und von da aus die
Spiele dann durch allmälige Zufügung einzelner Tage anwuchsen ; ^) die beiden
epula bilden einen wesentlichen Bestandteil®) und den Mittelpunkt der Feier
in der Weise, dass später von den beiden Arten der Spiele, den scenischen
und den circensischen, den ersteren die Tage vor, den letzteren die nach
den epula zugewiesen sind. Auch die Iden des Oktober') sind Träger von
zum capitolinischen Kulte gehörigen Festspielen, den Ludi Capitolinij nur
dass diese nicht von den Magistraten des Staates, sondern von einer Ge-
nossenschaft der auf den beiden Anhöhen des Mens Capitolinus wohnenden
Leute ausgerichtet werden ; ^) die Gründung dieser Spiele liegt im Dunkeln,
wir wissen nur, dass ihre Ausführung einem noch in augusteischer Zeit
nachweisbaren collegium Capitolinorum^) oblag und dass dabei eine Reihe
alter volkstümlicher Bräuche geübt wurden, namentlich die Versteigerung
eines mit Purpurgewand und Bulla bekleideten alten Krüppels ^o) und dem
griechischen dtrxüihaiyfAog vergleichbare Scherze. ^^) Die spärlichen Nach-
richten gestatten nicht, uns über die Bedeutung dieser Spiele eine sichere
Meinung zu bilden, doch ist ihre Beziehung zum capitolinischen Kulte er-
heblich wahrscheinlicher als die zum alten Juppiter Feretrius,^*) da die
aus der ältesten Religionsordnung bekannten Spiele, wie die Equirria und
Consualia, einen ganz andern Charakter tragen (s. oben S. 31).
Die Bedeutung des capitolinischen Heiligtums als religiöses Centrum
des Staates hat im Laufe der Zeit immer mehr zugenommen; sie prägt
sich aus in dem Brauche, internationale Verträge des römischen Volkes
auf Broncetafeln ausgefertigt an den Wänden des Tempels auszuhängen,^')
in der Sitte auswärtiger, dem römischen Volke befreundeter Souveräne
und Völkerschaften, den Juppiter 0. M. durch Weihgeschenke und In-
») Liv. V 41, 2. Tertull. de corona 13;
mehr bei Marqdabdt, Staatsverw. III 508.
') Beschreibung bei Dion. Ual. YII 72;
vgl. Marquardt a. a. 0.
*) Cic. Verr. V 36. Paul. p. 122.
*) Für die Behauptung Momhsens (CIL
P p. 329. 335; Rom. Forsch. II 45, 4), dass
das epufum der Ludi Romani erst eine Nach-
bildung desjenigen der Ludi plebeji sei, ver-
mag ich einen stichhaltigen Grund nicht zu
finden.
^) Die Einzelheiten bei Marquasdt a.
a. 0. 498 ff.
•) Cass. Dio LI 1. Cic. de orat. III 73.
7) Das Datum gibt Plut. RomuL 25.
") Vgl. darüber Mommsek, Eph. epigr.
n p. 129; Rom. Forsch. II 55 ff.; Staatsr.
III 115, 2.
») Liv. V 50, 4. 52, 11. Cic. ad Qu.
fr. II 5, 2. CIL I 805 = X 6488. XIV 2105.
^0) Fest. p. 322. Plut. Q. R. 53; Romul. 25.
^ 0 Ennius in den Schol. Bern, zu Verg.
Georg. II 384.
^*) So Ennius a. a. 0. und Piso bei Ter-
tull. de spect. 5.
") Jordan, Topogr. 12 S. 53 ff Gil-
bert, Gesch. u. Topogr. d. Stadt Rom III
389 f.
A. Di indigetes. 21. Juno.
113
Schriften zu ehren, 0 vor allem aber darin, dass die römischen Bürgerstädte
bevorzugten Ranges, die Coloniae, unter anderen Ehrenrechten, welche sie
als unmittelbare Abbilder Roms darstellten,') vor allem das genossen, ein
Gapitolium, d. h. einen an hervorragender Stelle gelegenen Tempel von
Juppiter 0. M., Juno und Minerva zu besitzen (Litteratur darüber s. oben
S. 38). Dieselbe Thatsache zeigt sich aber endlich auch darin, dass auch
der Privatmann, dem es natürlich jederzeit freistand, wie in andern Tem-
peln, so auch auf dem Capitol zu opfern, einmal in seinem Leben jeden-
falls dies Opfer brachte, nämlich an dem Tage, an dem er die Toga
virilis anlegte und damit in die Bürgerschaft aufgenommen wurde;') als
Gott der mannbar werdenden Jugend führte Juppiter den Beinamen Juven-
tus,^) und in gleicher Bedeutung hat sich in verhältnismässig früher Zeit
eine Göttin Juventas von ihm losgelöst (s. unten § 22).
Der capitolinische Kult hat auch in der Eaiserzeit, nachdem ihm
Augustus vorübergehend durch Verleihung seiner Privilegien an andre
Tempel einigen Abbruch gethan hatte (s. oben S. 70), seine hervorragende
politische Bedeutung behalten, und der Juppiter 0. M. ist bis zum Unter-
gange des römischen Reiches die göttliche Verkörperung seines Bestandes
geblieben: er mit seinen beiden Tempelgenossinnen nimmt ausnahmslos
den ersten Platz ein in den langen Götterreihen, die von den Staatsprie-
stern bei den verschiedensten Anlässen für das Wohl des Kaisers und
des Reiches angerufen werden (s. oben S. 74 f.), und der Gedanke, dass er
der erste Schützer des Herrschers ist, hat in zahlreichen Gelübden und
Opfern an ihn auch von Privaten^) und in der Anrufung des Gottes als
Conservator, Gustos,®) Servator, Sospitator, Tutator, Redux, Depulsor, wie
sie uns Inschriften und Münzlegenden massenhaft bieten, seinen Ausdruck
gefunden. Juppiter 0. M., Juno und Minerva werden in allen Teilen des
Reiches an erster Stelle in Weihinschriften genannt, und in der westlichen
wie in der östlichen Reichshälfte werden mit Vorliebe die einheimischen
Hauptgottheiten mit Juppiter 0. M. gleichgesetzt, so dass dieser gewisser-
massen die Gesamtheit der im Reiche verehrten Gottheiten in sich ver-
einigt und das Gapitolium mit Fug und Recht von der christlichen Pole-
mik als ofnnium daemonum templum bezeichnet werden konnte.'')
Litteratur: Pbbllkb-Jordan, Rdm. Mythol. I 184- -243. E. Aust in Roschers
Lexikon II 619-762 (vortrefflich).
21. Juno. Ueberall, wo Juppiter in Italien verehrt wird, steht neben
ihm als weibliche Himmelsgottheit und Genossin Juno (d. h. lovino neben
>) z. B. CIL VI 372 ff. und dazu Hülsen,
Rom. MiU. lY 1889, 252 ff.
*) Gell. XVI 13, 9: amplUudinem maie-
gtaiemque populi Bomani, cuiu8 istae coloniae
quaH effigies parvae sitnulacraque quaedam
esse ifidentur,
') Serv. Ecl. 4, 50: sane lovem merito
puerorum dieunt inerementa curare, quia cum
pueri togam virilem sumpserint, ad Capito-
lium eunt; daher ad CapitoUum ire geradezu
tjnonjm mit togam virilem sumere. Vgl.
RoMBACH, Rom. Ehe S. 408.
«) CIL IX 5574. XI 3245.
BaBdbncli der M— . AltertniMwIwomiehin. V, 4.
«] z. B. Suet. Aug. 59; Calig. 5. CIL
VI 2059 u. a.
*) Tempel des Juppiter Conservator und
des Juppiter Custos auf dem Capitol erbaute
aus einem persönlichen Anlasse Domitian
(Tac. hist. 111 74. Suet. Dom. 5; vgl. Jor-
dan, Topogr. I 2 S. 49 f.), der auch dem
capitolinischen Kulte besonderen Glanz ver-
lieh durch Einrichtung des Agon Capitolinus
(Fribdländbb, Sitt.6esch. 11^ 437 ff. Wis-
sowA, Real-Encycl. III 1527 ff.).
^) TertuU. de spect. 12; vgl. Serv. Aen.
II 319.
8
114 Beligion nnd Enltiui der Römer. II. Qötierlehre.
lovis,^) auch der Name lovia^) findet sich vereinzelt), und überall, wo Um-
fang und Art unserer Nachrichten ein sicheres Urteil ermöglichen, zeigt
sich der Parallelismus in der Auffassung dieser beiden Gottheiten in voller
Deutlichkeit. Im südlichen Etrurien tritt uns vor allem der Kult der Juno
Curitis in Falerii entgegen, der dort den Mittelpunkt der Staatsreligion
gebildet zu haben scheint, da die Stadt später den Namen Colonia Junonia')
führte und römische Gelehrsamkeit die Falisker von Argos, dem Haupt-
orte griechischen Heradienstes, ableitete;^) ferner finden wir Juno Regina
als Burggöttin in Veji (s. u. S. 116 f.) und als Hauptgottheit in Perusia;*) in
dem umbrischen Pisaurum ist die Verehrung von Juno Lucina und Juno
Regina inschriftlich bezeugt,^) während uns an verschiedenen Stellen des
oskisch-sabellischen Gebietes der Kult einer JunoPopulona begegnet.'^) Vor
allem aber ist Latium reich an Junokulten, und schon die Existenz eines
nach Juno benannten Monats in den Kalendern von Aricia, Tibur, Prae-
neste, Laurentum, Lanuvium redet eine deutliche Sprache;^) ausserdem
kennen wir als in alter Zeit bereits verehrt und allem Anscheine nach
von Rom unabhängig die Juno von Gabii,^) die Juno Regina von Ardea,*^)
die Juno Sospita von Lanuvium (s. u. S. 117), die Juno Quiritis von Tibur
(Serv. Aen. 1 17) und die Juno Lucina von Tusculum.^^) Die mannigfaltigen
Nuancen der Auffassung, die sich in diesen lokal differenzierten Kulten er-
kennen lassen, finden wir sämtlich in Rom wieder, zum Teil als altein-
heimische Überlieferung, zum Teil auf Grund späterer Reception, und
darum lässt sich aus den Thatsachen des stadtrömischen Junokultes das
Gesamtbild der italischen Göttin in den wesentlichen Zügen wiedergewinnen.
Von grundlegender Bedeutung ist die enge und unlösbare Verbin-
dung von Juno mit Juppiter, die sich in zahlreichen Einzelheiten des Ri-
tuals dokumentiert; die Gattin des eigentlichen Juppiter-Priesters, des
Flamen Dialis, versieht den Dienst der Juno (Plut. Q. R. 86), weisse Rinder
werden als feierlichstes Opfer der Juno ebensowohl wie dem Juppiter ge-
schlachtet, nur dass der Göttin Kühe, dem Gotte Stiere zukommen, '*) der
Verehrung des Juppiter Dapalis und Epulo durch Bereitung einer Mahl-
zeit entspricht der Brauch, bei bestimmten Anlässen der Juno einen Tisch
zu decken; ^^) wie dem Juppiter alle Idus, so sind der Juno alle Kalendae
Nissen, Pompej. Studien S. 843.
8) Ovid. fast. VI 59 ff. Macr. S. I 12, 30,
welche die Formen lunonius und lunonalis
für den in Rom luniua genannten Monat
bezeugen; daher scheint die von Mommsen,
Chronol. S. 222 gebilligte alte Ableitung des
letzteren Namens von iuvare iuvenia unhalt-
bar; vgl. auch W. H. RosoHBB, Jahrb. f.
Philol. CXI 367 ff.
») Verg. Aen. VII 682. Sil. Ital. XII 537.
") Plin. n. h. XXXV 115.
>0 CIL X 3807: lunone Loitcina Tuseo-
lana sacra.
') luno Loucina Diovia (seil, coniunx)
CIL VI 357 nach der Erklärung Mommsens
(anders z. B. Jobdah, Quaestiones umbricae
p. 14).
') Auf einer marrucinischen Inschrift
(Zybtaibff, Inscr. Ital. inf. dial. Nr. 8) lovia
lovea patres (vgl. Cobssen, Kuhns Ztschr. IX
144 f.). Auch die lovia der iguvinischen
Tafeln (Bubchelbb, Umbrica p. 125) wird
am wahrscheinlichsten auf Juno bezogen.
•) Lib. col. p. 217. Ueber den Junokult
von Falerii vgl. Dbeokb, Die Falisker S. 83 ff.
*) Ovid. am. III 13, 31 ff. Cato bei Plin.
n. h. in 51 und mehr bei Bobmann, CIL XI
p. 465.
') Appian. b. c. V 49; vgl. Cass. Dio
XLVIIl 14.
•) CIL I 171—173.
') CIL IX 2630. X 4789-4791; vgl.
*•) Niveae iuvencae Ovid. am. III 13, 13.
Liv. XXVII 37, 11.15. Juven.6, 48. Dibiä,
Sibyll. Blätter S. 38. 52.
>») Tertull. de anima 39; vgl. Paul. p. 64.
Dion. Hai. II 50.
A, Di indigebes. 21. Juno.
115
heilig, weshalb sie in Laurentum den Beinamen Kalendaris führt >) und zu
Janus, dem Ootte des Eingangs, also auch der Monatsanfange, in enge
sakrale Beziehung tritt (s. oben S. 91 f.). Dass auch dem inneren Wesen
nach Juppiter und Juno nahe Verwandte, gewissermassen parallele Gestalten
sind, kommt vielfach in den Kultbeinamen zum Ausdrucke; neben Juppiter
Lucetius steht Juno Lucina,') neben Juppiter Ruminus und Juppiter Ful-
gur eine Rumina und Fulgura.') Die Übereinstimmung der Namen weist
natürlich auf Gleichheit der göttlichen Funktionen; so wissen wir, dass
Juno nach italischer Vorstellung die Fähigkeit Blitze zu schleudern nicht
minder besass als Juppiter (Serv. Aen. I 42. Vm 430) ; dass sie entspre-
chend dem Juppiter Pluvialis u. a. als Regenspenderin verehrt wurde,
dürfen wir vielleicht aus dem Umstände schliessen, dass die Krähe, ein
regenverkündender Vogel, ihr heilig ist;^) an den kriegerischen und sieg-
verleihenden Juppiter erinnert es, wenn sowohl die lanuvinische Juno als
die in Tibur verehrte Juno Quiritis in kriegerischem Aufzuge, mit Schild
und Lanze bewaffnet, erscheint;^) endlich bezeichnet der häufigste Bei-
name der Göttin, Regina, sie deutlich als die Genossin des höchsten und
besten Juppiter. Diese enge Verbindung beider Gottheiten ist dann im
praktischen Gottesdienste insofern verwischt und verdunkelt worden, als
sich Juno aus all denjenigen Funktionen, in denen sie mit Juppiter kon-
kurrierte, allmälig zurückzog und dafür als Frauengottheit einen unab-
hängigen und umfassenden Wirkungskreis erhielt ; der Prozess dieser Ver-
selbständigung des Junokultes lässt sich zwar nicht im einzelnen, aber doch
in grossen Zügen noch verfolgen.
In der ältesten römischen Kultusordnung ist Juno ebenso im Verein
mit Juppiter verehrt worden, wie Nerio mit Mars, Lua mit Saturnus, Libera
mit Liber u. s. w. Neben den zahlreichen Juppiterfesten weist die Festtafel
kein sicheres Fest der Juno auf,®) und die Unterordnung der Göttin kommt
darin deutlich zum Ausdrucke, dass, während die dem Juppiter geheiligten
Idus sämtlich feriae sind, die der Juno geweihten Kalendae ihren Charakter
als Werktage, soweit nicht andre Gründe in Betracht kommen, beibehalten.
Auch ihre ältesten Kultstätten scheinen mit denen des Juppiter vereinigt
') Macr. S. T 15, 19 f. Lyd. de mens.
III 7; vgl. MoxMBBN, Chronol. S. 16 f.
*) Lucinam ac Lucetiam sagt Mart.
Cap. II 149.
') Beide Namen werden von August.
c. d. VI 10 mit Populonia d. h. Juno Popu-
lona zusammengestellt und dürfen daher
wohl als Beinamen der Juno gelten; Rumina
tat wahrscheinlich auch bei Amob. III 30
fOr Pomana zu lesen. Im übrigen vgl. über
die diva Rumina R. Pbtbr in Roschers Lexik.
II 219 f.
*) Die Krähengöttinnen, divae Corniscae,
hatten einen eignen Hain trans Tiberim,
Paul. p. 64. CIL VI 96 (ob die rätselhafte
Caranice der archaischen Inschrift CIL VI
30858 mit den Comiscae zusammenhängt,
wie HOlsen, Hörn. Miti X 1895, 64 ver-
mutet, ist mehr als zweifelhaft). lieber die
Krähe als imbrium divina avis imminenium
vgl. Hör. c. III 27, 10. 17, 12. Lucr. V 1085.
Verg. Georg. I 388 u. a.
*) üeber den Namen (Quiritis, Curitis,
Curritis), abzuleiten von quiris, curis =
,Lanze' vgl. Bebsu, Die Qutturalen S. 38 f.
118 f. In dem von Serv. Aen. I 17 (vgl. I 8)
mitgeteilten tiburtinischen Qebete : luno Cur-
ritis, tuo curru clipeoque tuere meos curiae
vernulas scheint auf Grund falscher Etymo-
logie tuo curru für das durch den Sinn ge-
forderte tua euri eingetreten zu sein. Sonst
vgl. Paul. p. 49. 64. Fest. p. 254. Plut.
Rom. 29; Q. R. 87. Dion. Hai. II 50. Mart.
Cap. II 149.
*) Ueber die wahrscheinlich zu den äl-
testen Feriae gehörigen Nonae Caprotinae,
die mit dem Juppiterfeste der Poplifugia
aufs engste zusammenhängen, s. unten S. 118.
8*
116
Religion und Enltas der Römer. II. Götterlehre.
gewesen zu sein. Auf der südlichen Anhöhe des capitolinischen Hügels,
wo das älteste Heiligtum des Juppiter Feretrius lag, stand die sog. Curia
Galabra, an die ein uralter Brauch anknüpfte : ^) hier erfolgte allmonatlich
an den Ealendae, sobald das Wiedererscheinen des neuen Mondes festge-
stellt worden war, die Ansetzung der Nonae auf den 5. bezw. 7. Tag und
zwar durch Ausrufung der Formel Dies te quinque (bezw. Septem dies te)
calo, Inno Covella; dass hier die weibliche Himmelsgottheit speziell als
Mondgöttin aufgefasst ist, haben schon die alten Mythologen richtig er-
kannt. Aber auch mit dem auf der anderen Anhöhe desselben Hügels,
auf der Arx, angesiedelten Juppiterkulte scheint der der Juno von Alters
her verbunden gewesen zu sein, falls wenigstens die Vermutung nicht
trügt, dass durch die im J. 410 = 344 erfolgte Weihung des Tempels der
Juno Moneta auf der Burg') nicht ein neuer Kult geschaffen wurde,
sondern nur ein alter eine zeitgemässe Ausgestaltung und ein neues Lokal
erhielt; für diese Annahme spricht einerseits der Umstand, dass der
Stiftungstag dieses Tempels, der wie die sämtlicher Junoheiligtümer auf
die Ealenden angesetzt ist, gerade auf die Kaienden des Juni, also des
speziell der Göttin heiligen Monats fiel, andererseits die Thatsache, dass
auch mit dem alten Juppiterkulte auf dem Albanerberge gerade der der
Juno Moneta gepaart war;^) die Begründung des Namens Moneta, der kaum
etwas anderes als die ,Raterin, Mahnerin' bedeuten kann, ist unbekannt
und hat in alter und neuer Zeit zu zahlreichen Erfindungen und Hypo-
thesen Anlass gegeben. — Ein anderer alter Junokult befand sich auf
dem Esquilin, wahrscheinlich ursprünglich in Verbindung mit dem des
Juppiter Fagutalis (s. oben S. 102 Anm. 6); an der Spitze des Mons Cispius
lag ein alter Hain der Juno Lucina, an dessen Stelle im J. 379 = 375 ein
Tempel derselben Göttin trat;^) der Stiftungstag des letzteren wurde
am 1. März von den Frauen besonders festlich begangen und führte
daher den Namen Matronalia,^) ohne aber zu den Feriae publicae zu
gehören. Dazu kommt dann als dritter wichtiger Kult der der Juno
Regina^) innerhalb der capitolinischen Trias (auch in dem Gapitoliuni
vetus auf dem Quirinal); einen eignen Tempel der Juno Regina gab es
seit dem J. 575 = 179 beim Circus Flaminius, benachbart einem Tempel
des Juppiter Stator.^) Sehr zahlreich aber sind die Junokulte benach-
barter und unterworfener Gemeinden, die in Rom eine neue Stätte fanden.
Obenan steht hier die Burggöttin von Veji, ebenfalls als Juno Regina
angerufen, deren Kult und Bild nach der Zerstörung Vejis durch M.
Furius Camillus nach Rom überführt und in einem am 1. September 362
») Varro de 1. 1. VI 27. Macr. S. 1 15,
9 ff. Fast. Praen. CIL P p. 231. Vgl. Lyd.
de mens. III 7. Serv. Aen. YIII 654. Plut.
Q. R. 24.
«) Liv. VII 28. Ovid. fast. VI 183 f. und
mehr bei Jordan, Topogr. I 2 S. 109; Inno
Moneta Regina CIL VI 362.
") Einen Tempel der Juno Moneta auf
dorn Mons Albanus gelobt C. Cicereius 581
= 173 und weiht ihn 586 = 168 (üv. XLII
7, 1. XLV 15, 10).
*) Ovid. f. II 435 f. Varro de 1. 1. V 49.
Plin. n. h. XVI 235. Vgl. die Inschriften
CIL VI 356 ff. 3694 f.
*) Plut. Rom. 21. Schol. Juv. 9, 53;
matranales seil, feriae Tertull. de idol. 14.
Zeugnisse b6i Marquardt, Staatsverw. III 571.
*) In den Arval- und Saecularakten steht
regelmässig neben Juppiter Optimus Mazimus
die Juno Regina.
») Liv. XXXIX 2, 11. XL 52, 1 ff. Ausr,
De aedib. sacr. p. 24 f. und oben S. 108.
A. Di indigetes. 21. Jnno.
117
= 392 eingeweihten Tempel auf dem Aventin angesiedelt wurde. ^ In
analoger Weise mag bei der Dedition von Falerii 518 = 241 der dortige
Kult der Juno Curitis (oder Quiritis) nach Rom evociert worden sein;
wenigstens verzeichnen die Kaiendarien am 7. Oktober das Stiftungsfest
eines Tempels dieser Göttin auf dem Marsfelde;') auch die samnitische
Juno Populona (s. oben S. 114) scheint in Rom von Staatswegen ein Heilig-
tum besessen zu haben.') Endlich aber haben sich die Römer auch den
berühmtesten der latinischen Junokulte, den der Juno Sispes (oder Sospita)^)
Mater Regina von Lanuvium^) in doppelter Weise angeeignet; nach der
Einverleibung der Stadt in den römischen Staatsverband 416 = 388 wurde
auch der lanuvinische Kult römischer Staatskult, behielt aber seinen Sitz
in Lanuvium*) und wurde im Auftrage und unter Aufsicht des römischen
Pontificalkollegiums teils durch den Dictator von Lanuvium und einen von
ihm bestellten Flamen,^) teils durch eine aus römischen Rittern gebildete
Priesterschaft von Sacerdotes Lanuvini versehen;') die römische Staats-
behörde beteiligte sich direkt durch ein alljährlich von den Consuln zu
bringendes Opfer (Cic. p. Mur. 90). Dann aber erhielt dieselbe Göttin im
J. 560 = 194 durch C. Cornelius Cethegus einen Tempel am Forum holi-
torium, dessen Stiftungstag der 1. Februar war.') Das Tempelbild, offen-
bar in Rom das gleiche wie in Lanuvium, stellte die Göttin in eigentüm-
lichem Aufzuge dar, bekleidet mit einem Ziegenfell und mit Schnabel-
schuhen, bewehrt mit Lanze und Schild (Cic. de nat. d. I 83); diese Dar-
stellung kehrt nicht nur auf republikanischen Münzen, sondern auch in
Statuen und Reliefs der Kaiserzeit, namentlich aus der Zeit des Antoninus
Pius, der in der Nähe von Lanuvium geboren und ein besonderer Verehrer
der Göttin war (Hist. aug. Pius 8, 3), mehrfach wieder.*®)
So verschieden auch diese einzelnen Junokulte in ihrer ursprünglichen
Anlage und in vielen Einzelheiten des Rituals gewesen sein mögen, allen
gemeinsam ist der Zug, dass überall die Frauen, und zwar die verehelichten
ehrbaren Frauen (matronae), als Trägerinnen des Kultes der Göttin auf-
treten.**) Der Matronalia oder femineae Kalendae (Juven. 9, 53), d. h. des
am 1. März begangenen Festes der Juno Lucina, ist bereits gedacht wor-
den, die Verehrung der vejentischen Juno Regina auf dem Aventin liegt
von Anfang an vorzugsweise in den Händen der Frauen, die bei beson-
deren Anlässen in feierlicher Procession nach dem Heiligtume ziehen,*') für
') Liv. V 21, 3. 23, 7. 31, 3. Dion. Hai.
XIII 3.
') loti Fulguri lunoni Curriti in campo,
▼gl. MoHXSBir, CIL P p. 331.
') Macr. 8. III 11, 6; sonst vgl. Arnob.
in 80. Mart. Cap. 11 149. CIL III 1075.
*) Ueber den Namen s. W. Prellwitz,
Featschr. z. dOjAbr. Doctorjabil. von L. Fried-
Iftnder (1895) S. 398 ff.
») CIL XIV 2088 ff. 2121 ; vgl. Fest,
p. 343.
•) Liv. VIII 14, 2.
») Cic. pro MiL 27. 45 f. Ascon. p. 27.
CIL XrV 2092.
') MARgvABDT, Staatsverw. III 476.
Dessau, CIL XIV p. 192.
•) Liv. XXXII 30, 10. XXXIV 53, 3 (mit
der sicheren Emendation von Sigonius) ; Ovid.
fast. II 55 ff., der den Tempel Phrygiae con-
termina Matri nennt (das wäre auf dem
Palatin), scheint Mater Magna und Mater
Matata (s. oben S. 98) zu verwechseln.
»0) Monum. d. Inst. VI— VII 76. MOlleb-
WiBsfiLER, Denkm. I 299. II 63". Mehr bei
OvBBBEOK, Ennstmythol. III 160 ff. J. Vogel
in Roschers Lexik. II 605 ff.
>*) Daher ist auch die Gans ihr heilig,
vgl. Stephani, Compte rendu 1863, 21 f.
") Liv. V 31, 3. XXI 62, 8. XXVII
37, 7 ff.
118 Beligion und Enltas der Römer. II. GOtterlehre.
den stadtrömischen Kult der Juno Curitis fehlen uns alle Zeugnisse, aber
ihr Fest zu Falerii ist nach der Beschreibung Ovids^ offenbar in erster
Linie ein Frauenfest. Ein solches sind endlich auch die rätselhaften Nonae
Caprotinae (CIL IV 1555), die am 1, Juli in Rom und Latium begangen
wurden und über deren Ursprung tiefes Dunkel gebreitet war ; *) sicher
steht nur, dass sich an dieser Feier, die wahrscheinlich zu den Feriae der
ältesten Festordnung gehörte,*) die Frauen im weitesten Umfange betei-
ligten, Freie wie besonders Sklavinnen,^) und dass das Opfer unter einem
wilden Feigenbaum {caprificus) stattfand;*) die bekannte obscöne Bedeu-
tung der Feige legt den Gedanken nahe, dass es Juno in ihrer Bedeutung
als Schützerin der weiblichen Geschlechtsfunktion en^) war, der dieses Fest
galt; auch die Rolle, welche die Ziege im Kulte der Göttin spielt, scheint
nach derselben Richtung zu weisen. '') Auf die Frauengöttin Juno weist auch
die nach altem Brauche in ihrem Haine bei Lanuvium angestellte Jung-
frauenprobe®) und der für Rom bezeugte Ausschluss der paelices von ihrem
Kulte ;^) in keinem Zuge aber tritt die Auffassung der Juno als einer
göttlichen Verkörperung des Frauenlebens nach all seinen Bethätigungen
so deutlich hervor, wie darin, dass nach römischer Anschauung, wie jeder
Mann als göttliche Wiederspiegelung der in ihm wirkenden schöpferischen
Kraft seinen Genius besitzt, so jeder Frau ihre Juno zukommt (s. u. § 28).
In dieser Bedeutung als Frauengottheit ist Juno namentlich Geburts- und
Ehegöttin. Insbesondere Juno Lucina ist so speziell Schützerin der Ge-^
burten geworden, dass ihr Name im lateinischen Sprachgebrauche dieselbe
Rolle spielt wie EiXei&via im Griechischen; man ruft sie in den Geburts-
wehen an, i<>) opfert ihr nach glücklich erfolgter Entbindung!^) und zahlt
auf Grund eines angeblich von Servius Tullius herrührenden Gesetzes
für jede Geburt eine Abgabe an die Kasse ihres Tempels (Dion. Hai.
IV 15); sie verleiht nicht nur leichte Geburt,**) sondern überwacht
auch die Entwicklung des Kindes im Mutterleibe, wovon sie den Namen
Ossipago (oder Ossipagina) führt; !^) auf bildlichen Darstellungen trägt
sie gewöhnlich einen Säugling im Arm.**) Aus dieser Fürsorge für die
Fortpflanzung der Gemeinde erklären sich die Beziehungen der Juno zu
dem Gotte der animalischen Befruchtung, dem Faunus, die am Feste
des letzteren, den Lupercalia, in einzelnen halbverwischten Spuren noch
») Amor. III 13; vgl. Dion. Hai. I 21. | «) Aelian. h. a. XI 16. Prop. V 8, 3 ff.
>) Aetiologifiche Legenden bei Macr. S. I *) Lex Numae bei Gell. IV 3, 3: paelex
11, 36 ff. (vgl. III 2, 14). Flut. Rom. 29; aram lunonis ne tangiio; ai tangit, lunoni
Cam. 33; vgl. Ovid. a. a. II 257 f. Auson. i crinihus demissis agnum feminam caedito.
de fer. 9 p. 104 Peip. Arnob. III 30. ' »'') Cic. de nat. deor. II 69. CatuU. 34, 13.
*) Vgl. MOHMSBN, CIL I> p. 321.
*) Daher ancillarum feriae bei Polem.
Süv. CIL P p. 269.
») Varro de 1. I. VI 18. Macr. S. I 11,
36. 40.
namen Fluonia und Mena, Paul. p. 92. Au-
gust, c. d. VII 2. 3 und mehr bei R. P£tbb
in Roschers Lexik. II 198 f. 203.
^) WissowA, Real-Encycl. III 1552 f.;
vgl. unten S. 119.
Macr. S. VII 16, 27. Amob. III 21. Zahl-
reiche Beispiele in der Komödie und sonst.
» ») TertuU. de an. 39. Schol Bern. Verg.
Ecl. 4, 62; vgl. Varro de 1. 1. V 69. Fest,
p. 305.
*) Als solche fuhrt sie auch die Bei- i>) Daher durfte, wer ihrem Tempel nahte,
keinen Knoten an sich haben, Serv. Aen. IV
518. Ovid. fast. III 257.
») Amob. III 30. IV 7. 8.
>«) OvBRBBCK, Kunstmyth. III 153 ff.
A. Di indigetes. 21. Jnno.
119
erkennbar sind; das Ziegenfell, mit dessen Riemen die Luperci die sich
ihnen in den Weg stellenden Frauen schlagen, um ihnen Fruchtbarkeit
zu verleihen, heisst amiculum lunonis,^) und von jenen Riemen {februa,
Serv. Aen. VIII 343) führen sowohl Juno*) wie Faunus*) den Beinamen
Februa {Februus), Februlis u. ä. ; da das Ziegenfell zur offiziellen Kleidung
der Juno Lanuvina gehört und die Ziege auch im faliskischen Junokulte
eine Rolle spielt,^) so ist es gewiss kein Zufall, wenn die Tempeltage der
Juno Lanuvina (1. Februar) und Juno Lucina (1. März) auf die beiden
den Lupercalia benachbarten Kalendae fallen. Die Funktion der Juno
als Ehegöttin ist mit der eben geschilderten aufs engste verbunden; da
sie bei der Heimführung, Salbung und Gürtung der Braut thätig und be-
hilflich ist, kommen ihr die Namen Iterduca und Domiduca, Unxia und
Ginxia zu,^) oder sie heisst allgemein als göttliche Brautführerin Pronuba,
ein Name, der allerdings nicht dem Kulte selbst, sondern nur dem dichte-
rischen Sprachgebrauch angehört, in den ihn Vergil (Aen. IV 166) einge-
führt hat ; der entsprechende technische Ausdruck des Rituals scheint Juno
Juga gewesen zu sein.<^) Auf römischen Hochzeitsdarstellungen auf Sarko-
phagen erscheint Juno ständig zwischen den Neuvermählten bei der dextra-
mm iunctio;'') es ist zwar nicht bezeugt, aber sehr wahrscheinlich, dass
die Flaminica Dialis bei der feierlichen Confarreatio dieselbe Funktion
ausübte. Diese Ehegöttin Juno ist es ohne Zweifel, welche in allen Gurien,
den auf der Familie und Geschlechtsgenossenschaft beruhenden Verwal-
tungskörpern, verehrt wurde ;^) die Behauptung, diese Juno habe den
Namen Curitis geführt, beruht nur auf einer etymologischen Spielerei
mit curia und Curitis, da diese Form der Juno in Rom wohl erst aus
Falerii recipiert ist. Ob die einmal erwähnte Herie Junonis (Gell. XHI
23, 2), offenbar eine dienende Gottheit {ancula) dieses Kreises, gerade zu
Juno als der Ehegöttin gehört, ist nicht zu ermitteln, da uns für die Deu-
tung dieser Gestalt jeder Anhaltspunkt fehlt.
Griechische Einflüsse konnten sich im Laufe der Zeit im römischen
Junokulte um so leichter geltend machen, als die ursprüngliche Wesens-
verwandtschaft von Juno und Hera in vielen Punkten deutlich zu Tage
trat. Besonders nahe lag der Vergleich der Juno Regina mit der in Grie-
chenland vielfach verehrten "Hqu Baa^Xsia, und darum ist die Juno Regina
auf dem Aventin seit dem zweiten punischen Kriege an den auf Anord-
nung der Decemviri s. f. vorgenommenen Kulthandlungen des Ritus graecus
in hervorragender Weise beteiligt;®) auch griechische Sagenvorstellungen
«) Paul p. 85; vgl. Ovid. fast. II 427 ff.
«) Paul. p. 85. Mart. Cap. II 149. Arnob.
III 30.
■) Lyd. de mens. IV 20; vgl. Macr. S.
I 13, 3. Verg Georg. III 43.
*) Ovid. am. III 13, 18 ff.; vgl. die Juno
Caprotina in Rom (oben S. 118). Ueber die
Bedeutung der Ziege im allgemeinen s. Ste-
PHAHi, Gompte rendu 1869, 55 ff.
*) Mart. Cap. II 149. Paul. p. 63. Au-
guflt. c. d. VII 3. Arnob. III 25. 30.
*) Paul. p. 104, der von einer im t>icus
iugariua gelegenen ara lunonis lugae spricht;
die Herleitung des Strassennämens von dieser
Juno Juga ist sicher falsch; s. auch Serv.
Aen. IV 16.
^) A. RossBAOH, Rom. Hochzeits- und
Ehedenkmäler, Lpz. 1871. Ovbrbbck, Eunst-
myth. III 131 ff. Vgl. auch H. Bruitk, An-
nair d. Inst. 1844, 186 ff. A. Herzog, Stat.
epitbal. p. 26 ff.
^) Paul. p. 64. Dion. Hai. II 50.
») DiBLS, Sibyll. Blätter S. 52 ff.
120
Religion und Enltiu der Römer. II, GOtterlehre.
wurden durch die augusteischen Dichter ohne weiteres übertragen und so
namentlich dem Verhältnis von Hera und Ares entsprechend Mars zum
Sohne der Juno gemacht, eine Auffassung, die der italisch-römischen Re-
ligion völlig fremd ist.
Litteratur: Pseller-Jobdan, Rom. Mythol. I 271—289. W. H. Rosoheb, Studien
zur vergleichenden Mythologie der Griechen und Römer. 11. Juno und Hera. Leipzig 1875
und in seinem Mythol. Lexik. II 574 — 605.
22. Qottheiten aus dem Kreise des Juppiter. Unter den Göttern,
die sich aus der umfassenden Machtsphäre des Juppiter losgelöst und zu
selbständigen Individuen entwickelt haben, steht obenan Dius Fidius,
ursprünglich nichts anderes als Juppiter selbst in seiner Bedeutung als
Schützer der fides^ dann selbständiges Objekt eines besonderen Kultes. Die
Gründung der aedes Dii Fidii in colle, d. h. auf dem Quirinal, verzeichnete
die Stadtchronik im J. 288 = 466 (Stiftungstag 5. Juni),i) und wenn
eine andere Überlieferung dieses Heiligtums bis in die Tarquinierzeit oder
gar bis auf T. Tatius hinaufrücken wollte,*) so war das nur die Kon-
sequenz der Annahme, dass eine in diesem Tempel stehende Erzstatue
einer spinnenden Frau die Gaia Caecilia oder Tanaquil, Gattin des Tar-
quinius Priscus, darstelle.*) Der in diesem Heiligtume verehrte Gott wird
bei den alten Autoren bald Dius Fidius (griechisch Zsvg Iltauog, oft ent-
stellt deus fidius), bald Sancus (oft entstellt sanctus) genannt, der volle
Name war Semo Sancus Dius Fidius, wobei setno san^^us*) ein Epitheton
ist wie duonu^ cerus bei Janus (s. oben S. 91) oder bona d^a bei Fauna
u. a. Antike und moderne Mythologen haben Semo Sancus und Dius Fidius
als zwei selbständige, aber ihrem innern Wesen nach identische und darum
nachher mit einander verschmolzene Gottheiten auffassen wollen, dass aber
alle vier Namen zu demselben Gotte gehören, geht, abgesehen von der
eben erwähnten schwankenden Bezeichnung des Heiligtums, auch daraus
hervor, dass die ümbrer einen entsprechenden Gott Fi»ius (oder Fisovius)
Sancius verehren, dessen Namen dieselbe Doppelbezeichnung zeigt; dass
dieser umbrische Gott ebenso wie Dius Fidius in der engsten Beziehung
zu Juppiter steht, beweist der Umstand, dass in den iguvinischen Tafeln
Sancius auch als Beiname des lupater sich findet.^) Eine antike Hypo-
these machte den Semo Sancus zu einem sabinischen Heros und setzte nicht
nur ihn mit dem römischen Dius Fidius, sondern auch beide Götter mit dem
griechischen Herakles gleich,«) wofür die von Aelius Stilo verfochtene ver-
') Dion. Hai. IX 60. Ovid. fast. VI
213 ff. CIL I« p. 319. Gilbert, Gesch. u.
Topogr. d. Stadt Rom 1 275 ff. Hülsen, Rhein.
Mos. XLIX 1894, 409.
«) Dion. Hai. IX 60. TertuU. ad nat.
II. 9.
») Varro bei Plin. n. h. VIII 194. Plut.
Q. R. 30. Fest. p. 238; vgl. Detlefssn, De
arte Roman, antiqa. II p. 8.
^) Dass semones in älterer Zeit einen
Gattungsbegriff bildet, wie später genii, be-
zeugt das semunis des Arvalenliedes und
semunu im Weihgedicht von Gorfininm, vgl.
BüECBELBR, Rhein. Mus. XXXIII 281; die
späte Deutung der semones als Halbgötter
(Mart. Cap. II 156; vgl. Fulg. exp. serm. ant.
p. 561 M.) ist nichts als etymologische Spie-
lerei (mit 8emi-)f vgl. Jordan, Krit. Beitr.
S. 204 ff. und zu Preller, Rom. Myth. I
90, 2.
*) Vgl. Aufrecht und Eirchhoff, Umbr.
Sprachdenkm. II 186 ff.
«) Gato bei Dion. Hai. II 49 (vgl. Sil.
Ital. VIII 421 ff. Lact. I 15, 8. August, c.
d. XVIII 19). Varro de 1. 1. V 66. Fest,
p. 229. Paul. p. 147. Prop. V 9, 71 ff.; vgl.
Tertull. de Idol. 20.
A. Di Indigetes. 28. Gottheiten ans dem Kreise des Jnppiter.
121
kehrte Etymologie Dius Fidius = Diovis filius^) eine Stütze abgeben musste;
dass hier nicht etwa innere sakrale Beziehungen, sondern nur gelehrte
Kombination vorliegt, geht zur Evidenz daraus hervor, dass, wie eine neuer-
dings gefundene und inschriftlich sichergestellte Statue des Gottes gezeigt
hat,*) das Eultbild ihn nicht nach dem Bilde des Herakles, sondern nach
einem griechischen archaischen Typus des Apollon (als Schwur- und Bündnis-
gottes) darstellte; damit verlieren die weitgehenden Folgerungen, welche
man aus dieser angeblichen Identität von Semo Sancus, Dius Fidius und
Hercules gezogen hat,') allen Boden. Dius Fidius ist, als Spezialisierung
einer bestimmten Seite des Juppiter, in erster Linie Treu- und Schwur-
gott; daher ruft man ihn im täglichen Verkehr bei Beteuerungen ins-
besondere durch die Formel me Dius Fidius zum Zeugen an,^) und sein
Tempel dient zur Aufbewahrung von Staatsverträgen b) sowie der als Sym-
bole des Bündnisses geltenden radförmigen Erzscheiben, die uns aus dem
umbrischen Ritual und aus Münzbildern bekannt sind.^) Die Natur des
Himmelsgottes offenbart sich an Dius Fidius noch deutlich in dem Brauche,
dass man nur unter freiem Himmel bei ihm schwört; daher tritt, wer im
Hause ihn anruft, in den unbedeckten Teil des Atrium, und der quiri-
nalische Tempel hat im Dache eine Öffnung.^) Überhaupt hat sich die
Verehrung des Dius Fidius nicht auf seine Eigenschaft als Schwurgott
beschränkt, sondern der Gott hat auch an den sonstigen Kompetenzen des
Juppiter Anteil behalten; dass er wie jener durch Himmelszeichen seinen
Willen kundthut, geht daraus hervor, dass eine wichtige Art von Augural-
vögeln in der priesterliehen Kunstsprache von Sancus den Namen aves
sanquales führt,^) und als Blitzgott kennzeichnet ihn die enge Verbindung,
in welcher die sacerdotes , bidentales, denen das zur Blitzsühne erforderliche
Opfer des bidental (s. oben S. 107) obliegt, mit seinem Tempel stehen.^)
Weihungen dieser Priesterschaft an Semo Sancus Dius Fidius haben sich
sowohl in der Nähe des quirinalischen Tempels^®) als auch auf der Tiber-
inseU>) gefunden, wo wenigstens für die spätere Kaiserzeit ein zweites
Heiligtum des Gottes bezeugt ist;^') ausserhalb Roms scheint der Kult
nur in der nächsten Umgebung der Stadt Verbreitung gefunden zu
haben.**)
») Varro de 1. 1. V 66. Paul. p. 74. 147;
vgl. Serv. Aen. VIII 301.
') C. L. ViscoHTi, Stadj e Docamenti
di Storia e Diritio II 1881 S. 105 ff. Annali
d. Inst 1885 Tav. d'agg. A; vgl. Wissowa,
Neue Jahrb. f. d. klass. Altert. I 1898 S. 168.
') S. namentlich R. Peteb in Roschers
Lex. I 2255 ff.
«) Plaut. Asin. 23. Cato bei Gell. X
14, 3. Paul. p. 147 u. a. m.
») Dion. Hai. IV 58.
*) Liv. VIII 20, 8 und dazu Mommsen,
Mflnzw. S. 222 f. Bübchblbr, Umbr. p. 148;
in Tgnvium muBS, wer dem Jupater Sancius
opfert, ein solches Rad (urfeta = arbita)
in der Hand halten.
') Varro de 1. 1. V 66 und bei Non.
p. 494.
') Fest. p. 317; 8anquaU8 (auch iaporta
sanqualia) = sancualis ist vom u-Stamme
Sancu- gebildet, von dem auch wiederholt
der Genetiv Sanctis statt Sanci fiberliefert ist.
») Gilbert, Topogr. I 276. G. Gatti,
Bull. arch. com. XV 1887, 8 f.
••) CIL VI 568 und die Inschrift der
oben genannten Statue, vgl. auch Hülsen,
Rh. Mus. XLIX 1894 S. 409 f.; ungewissen
Fundortes CIL VI 569.
") CIL VI 567; vielleicht auch Bull,
arch. com. XX 1892 S. 184.
") Justin. Mart. apol. I 26. 56 und bei
Euseb. h. e. II 13. Tert. apol. 13; vgL De
Rossi, Bull. d. Inst. 1881, 65.
^*) Aedes Sancus in Velitrae Liv. XXXII
1, 10; Altar aus Castrimoenium CIL XIV
2458.
122
Beligion nnd Enltna der Römer. II. GOtterlehre.
Ein später ganz verschollener Zusammenhang scheint ursprünglich
zwischen Semo Sancus Dius Fidius und der altitalischen Göttin Salus
bestanden zu haben; dafür spricht nicht nur der Umstand, dass von dem
Kulte dieser Göttin die dem Sitze des Gottes benachbarte Erhebung des
Quirinal ihren Namen führte (CoUis Salutaris neben dem GoUis Mucialis,
Porta Salutaris neben der Porta Sanqualis*)), sondern dass in zwei von
einander unabhängigen Zeugnissen von Salus Semonia die Rede ist,') eine
Bezeichnung, die kaum eine andre Deutung zulässt ') als die auf eine alte
Kultgemeinschaft mit Semo Sancus (vgl. Here Martea, Ops Consiva u. a.).
Der Name der Göttin findet sich nicht nur auf einer der alten schwarzen
Thonschalen mit Götterinschriften {Salutes pocolom CIL I 49 aus Herta),
sondern auch einer der Votivcippen des Haines von Pisaurum gilt ihr (CIL
I 179), und in Praeneste besass sie, wie wir aus einer archaischen In-
schrift erfahren, einen Altar, dessen Statut für andere Heiligtümer vor-
bildlich, also gewiss sehr alt war.*^) Danach kann man mit Sicherheit
annehmen, dass ihr Kult in Rom viel älter ist als ihr Tempel, der erst
im J. 452 == 302 von dem Dictator C. Junius Bubulcus auf dem Quirinal,
offenbar an Stelle des älteren fanum, geweiht wurde -'^) und seinen Stiftungs-
tag am 5. August beging.^) Da den Anlass zum Gelöbnis des Tempels
kriegerische Bedrängnis im Kampfe mit den Samnitern gegeben hatte
(Liv. IX 43, 25), so ist hier die Göttin sicher nicht, wie später häufig (s.
unten § 49) im Sinne der griechischen Hygieia als Göttin der Gesundheit,
sondern als Salus publica (so auch CIL X 5821 aus Ferentinum), d. h. als
göttliche Schützerin des allgemeinen Staatswohles, ^) gedacht, und als solche
hat sie auch noch in der Kaiserzeit reiche Verehrung gefunden: bei den
Gelübden und Opferhandlungen der Arvalbrüder für die Wohlfahrt des
Kaisers und seines Hauses hat Salus publica popidi Bomani Quiritium^)
ihren festen Platz unmittelbar hinter der capitolinischen Trias, und mit
grosser Regelmässigkeit finden wir Salus auch in den Götterreihen der
von den Equites singulares in Rom gestifteten Altäre.^) In demselben
') Vgl Hülsen, Rhein. Mus. XLIX 404 f.
409. 414 f.
^) Macr. S. I 16, 8 und in einem später
eingekratzten Nachtrage zu der aus dem
Jahre 754 = 1 n. Chr. stammenden stadt-
römischen Inschrift bei v. Prbmerstein, Arch.
epigr. Mitt. aus Oesterr. XY 77 ff.
') Denkbar wäre nur noch eine Deu-
tung des Epitheton semanius von semo in
demselben Sinne wie genialis von genius und
cerfius {kerriios) von cerfus (kerros), s. unten
S 28
i) CIL XIV 2892 (ara Solutus), vgl.
Jordan, Obervat. Rom. subsic. p. 10. Wo
die von Obseq. 88 [98] bei Gelegenheit eines
Prodigiums des J. 641 == 113 erwähnte ara
Salutis lag, ist ungewiss, da der Text ver-
stümmelt ist. Tempel der Salus in Feren-
tinum Tac. ann. XV 53, vgl. CIL X 5821.
*) Liv. IX 43, 25. X 1, 9; der Tempel
war mit Gemälden von C. Fabius Pictor ge-
schmttckt, Val. Max. VIII 14, 6. Plin. n. h.
XXXy 19; Prodigien aus den Jahren 478
= 276, 548 = 206, 588 = 166, 650 = 104,
Oros. IV 4, 1. Liv. XXVIII 11, 4. Obseq.
12 [71]. 43 [103]. Der Tempel brennt unter
Claudius nieder, Plin. a. a. 0. Vgl. Jordan,
Comment. Mommsen. 356 f. Hülsen a. a. 0.
404.
•) CIL I* p. 324. Cic. ad Att. IV 1, 4.
') Wie man ebenso im Privatleben die
Salus für das eigne Wohlergehen anrief,
zeigen zahlreiche Stellen des Plautus, zu-
sammengestellt bei KfiSEBBRo, Quaest. Plaut,
et Terent. ad religionem spectantes (Lips.
1884) p. 54; vgl auch CIL II 1391 ara
Sal(utis) pro reditu L. n. P. Celsus f.
8) So z. B. CIL VI 2065 i 21. 44 u. a.;
vgl. Henzbn, Acta fratr. Arval. p. 216.
^) Henzbn, Annali d. Inst. 1885 S. 239 ff.
nr. 3-10. 12. 13. 20-22; wenn v. Doma-
8ZBW8KI, Westd. Zschr. XIV 43 meint, es seien
bei den Auxilia Salus und Felicitas an die
Stelle getreten, die bei den Bürgertruppen
A. Di indigetes. 28. Gottheiien ans dem Kreise des Jnppiter^ 123
Sinne wird unter Nero nach Entdeckung der Verschwörung des Piso ein
Tempel der Salus gebaut (Tac. ann. XV 74) und ist auch die auf In-
schriften der Eaiserzeit häufig vorkommende Salus augusta^) als Fürsor-
gerin für das Wohlergehen des Kaisers aufzufassen. Dagegen ist die
alte, noch unter Augustus und Claudius wieder erneuerte Ceremonie des
augurium scdutis*) nicht als eine zum Dienste der Salus gehörige Kult-
handlung zu verstehen, sondern als ein dem augurium canarium (s. unten
§ 29) und der Inauguration der Priester analoger Akt des auguralen Cere-
moniells.
Dieselbe Seite im Wesen des Juppiter, welche in der Gestalt des
zum selbständigen Gotte gewordenen Dius Fidius vorwiegend zur Geltung
kommt, fand auch noch in anderer Form ihre besondere Verehrung, in-
dem die von Juppiter bezw. Dius Fidius geschützte Tugend der Treue
und Wahrhaftigkeit, Fides, einen eigenen Kult erhielt. Einen Tempel
auf dem Capitol in unmittelbarer Nachbarschaft des Juppiter 0. M. erbaute
ihr A. Atilius Calatinus 500 = 254 oder 504 = 250, und M. Aemilius Scaurus
stellte ihn im J. 639 = 115 wieder her;') der Stiftungstag fiel auf den
1. Oktober; wenn ein Teil der Überlieferung die Gründung des capitolini-
schen Fidesheiligtumes bereits auf Numa zurückführt^) oder gar eine En-
kelin des Aeneas auf dem Palatin eine Kapelle der Göttin weihen lässt,^)
so kommt darin nur der Glaube an die hohe Altertümlichkeit und Heilig-
keit dieses Kultes zum Ausdruck.^) In der That ist der Kult selbst
sicher älter als die Gründung des Tempels, denn wir wissen, dass alljähr-
lich einmal die drei grossen Flamines auf einem bedeckten Wagen zum
Altar der Fides fuhren und ihr opferten, wobei die rechte Hand des
Opfernden bis an die Fingerspitzen in ein weisses Tuch eingehüllt war;^)
an dem hohen Alter dieses Brauches ist schon darum nicht zu zweifeln,
weil das ganze Ritual der Flamines uralt ist und Änderungen in späterer
Zeit nicht erfahren hat. Der volle Name der auf dem Capitol verehrten
Göttin ist Fides publica^) oder Fides populi Romanik denn unter ihrer Obhut
steht vor allem der völkerrechtliche Verkehr des römischen Staates: darum
finden in diesem Tempel häufig Senatssitzungen zum Zweck des Empfanges
auswärtiger Gesandten statt, und an den Wänden desselben werden Ur-
kunden von internationaler Bedeutung zur Veröffentlichung angebracht;')
Honos und Yirtus einnehmen, und Salus und
Fdicitas seien den Bürgertruppen fremd ge-
wesen, so widerspricht dieser Auffassung die
Stellung beider Gottheiten in den Arval-
protokollen.
') z. B. sacerdos Spei et Salutis aug. CIL
XIV 2804 aus Gabii; Tempel der Salus au-
gnsta in Urbs Salvia CIL IX 5530 = 6078, 1
und in Ariminum CIL XI 361 ; vgl. auch CIL
II 1437. III 4162. V 428. VIII 8305.
*) Dass 80, und nicht augurium Salutis
zu schreiben ist, zeigt Cic. de leg. II 21
augures . . discipHnam tenento sacerdotesque
et vineta virgetaque et salutem popuH au-
guratUo,
'j Cic. de nat. deor. II 61 und dazu £.
AusT, De aedib. sacr. p. 16.
*) Dion. Hai. II 75. Plut. Numa 16;
daher Fides sabinisoh bei Varro de I. 1. V 74.
^) Agathokles 77 €^ KvCixov bei Fest.
p. 269.
•) Daher cana Fides Verg. Aon. I 292;
vgl. Sil. Ital. II 484 ff. Enoeluabd, De per-
sonificationibus quae in poesi atque arte Ro-
manorum inveniuntur (Qotting. 1881) p. 8 f.
') Liv. I 21, 4; vgl. Serv. Aen. 1 292.
VIII 636. Hör. carm. I 35, 21 f. und dazu
A. Rbipferscheid, Observat. critio. et ar-
chaeol. (Ind. lect. Vratisl. 1878) p. 4 f.
•) VaL Max. III 2, 17. VI 6, 1.
") MoMMSEN, Annali d. Inst. 1858, 198 ff.;
CIL III p. 916.
124 Religion und Knltiui der Römer. II. Götterlehre.
auch verehren die mit Rom in Berührung kommenden auswärtigen Völker
insbesondere die Fides populi Romani.^) In der Kaiserzeit findet sich
Name und Bild der Fides häufig auf Münzen,') oft auch in individuali-
sierender Auffassung als Fides legionum, Fides müitum u. s. w.; das Bild
der Göttin, deren Attribute wechseln und nicht sehr bezeichnend sind, ist
häufig durch die symbolische Darstellung zweier verschlungenen Hände
ersetzt; Weihinschriften an Fides sind verhältnismässig selten.')
Ist Fides auf dem Capitol die vicina lovis Optimi Maximi, wie Cicero
(de off. III 104) sie nennt, so haben drei andere in diesem Zusammenhange
zu besprechende Gottheiten ihre ältesten Kultstätten in unmittelbarer Ver-
bindung mit dem capitolinischen Heiligtume, nämlich Summanus, Terminus
und Juventas. Dass alle drei Kulte Abzweigungen des Juppiterkultes sind,
geht nicht nur aus dieser lokalen Vereinigung hervor, sondern auch aus
dem Umstände, dass die Namen aller drei Götter, wenn auch nur ver-
einzelt, als Epitheta des Juppiter nachweisbar sind,^) vor allem aber aus
Geschichte und Entwickelung ihrer Verehrung. Eine Thonstatue des Sum-
manus befand sich entweder im Giebelfelde oder auf dem Firste des
capitolinischen Tempels und wurde im J. 476 = 278 durch einen Blitz-
schlag herabgeworfen ; ^) zur Sühne für dieses Prodigium erhielt der Gott
einen Tempel beim Circus maximus (Stiftungstag 20. Juni).^) Ausschlag-
gebend für die Bedeutung des Gottes ist die Thatsache, dass die Sühn-
opfer für nächtlichen Blitzschlag ebenso dem Summanus gelten, wie die
für den am Tage vorgefallenen dem Juppiter (Fulgur);') darum bringen
auch die Arvalbrüder, als es in den Hain der Dea Dia, offenbar bei Nacht,
eingeschlagen hat, dem Summanus ein Opfer von zwei schwarzen Ham-
meln dar.^) Er ist also ebenso Gott des nächtlichen Himmels, wie Jup-
piter der des lichten; mit der Unterwelt und den Manen, mit der ihn
spätere Kombination zusammenbrachte,^) hat er durchaus nichts zu thun.
Mit einer vereinzelten Nachricht (Fest. p. 348), dass gewisse in Gestalt
eines Rades geformte Kuchen siimmanalia hiessen, ist nichts Sicheres an-
zufangen: die Gestalt erinnert an die Radscheiben im Dienste des Dius
Fidius (s. oben S. 121).
Noch klarer liegt das Verhältnis des Gottes Terminus zu Juppiter.
In der Mittelcella des capitolinischen Tempels nahe dem Tempelbilde be-
fand sich die Kultstätte des Terminus, in Form eines Grenzsteines, über
') Vgl. A. Klüegmann, L' effigie di Roma ' statt ^MmmanM« fölschlich Jifjpp»7«r nennt);
nei tipi monetarii piü antichi (Roma 1879)
p. 7 ff.
^) H. Gbaefe, De Concordiae et Fidei
imaginibti8(Petropo]i 1858) p. 26 ff. R. Engel-
HABD a. a. 0. p. 52.
») CIL II 4497. VI 148 = XIV 5. IX
5422. 5845. 5848. X 3775. 5903. Eph. ep.
IV 79.
*) luppüer Summanus CIL V 3256. 5660;
luppiter Teriminalis) oder Ter{minus) CIL
XI 351 (vgl. dazu Bobohesi, Oeuvres III
297 ff.); luppiter Juventus CIL IX 5574. XI
3245.
») Cic. de divin. I 16. Liv. ep. XIV (der
vgl. Jobdan, Topogr. I 2 S. 98 Anm. 95.
•) Ovid. f. VI 729 ff. CIL I» p. 320.
Liv. XXXII 29, 1. Plin. n. h. XXIX 57;
denselben meint wahrscheinlich auch die
Not. urb. reg. XI mit (ledem DUis patris,
8. unten Anm. 9.
^) Fest. p. 229. Paul. p. 75. Plin. n. h.
II 138. August, c. d. IV 23. CIL VI 206.
Bull. arch. com. IX 1881, 8. S. oben S. 107.
») Henzen, Act. fr. Arv. p. 146.
*) Mart. Cap. II 161; daher gebraucht
Amob. V 37 und VI 3 Summanus als gleich-
bedeutend mit Dis pater.
A. Di indigetes. 22. Gottheiien ans dem Kreise des Jnppiter.
125
welchem das Dach des Tempels eine Öffnung zeigte, weil man dem Ter-
minus nur unter freiem Himmel opfern durfte;^) die Legende erklärte die
eigentümliche Lage dieses fanum daraus, dass es älter gewesen sei als
das capitolinische Heiligtum und demselben nicht habe weichen wollen.^)
Die wahre Sachlage ist zweifellos die, dass im Tempel des Juppiter, des
Schützers von Recht und Treue, auch ein Prototyp der ganz speziell unter
seiner Obhut stehenden und in ihrer Heiligkeit gewissermassen durch ihn
garantierten Grenzsteine aufgestellt war; auch nach etruskischer Lehre
galt Juppiter als der Begründer der Feldmessung und Abgrenzung.') Uralt
ist sicher die Bestimmung, dass, wer den Grenzstein auspflügt, selbst samt
dem Ochsengespann sacer sein solle, ^) und zwar werden wir diese Nach-
richt dahin ergänzen dürfen, dass der Frevler lovi sacer wurde; denn es
zeigt sich im ältesten Kulte noch durchaus keine selbständige Gottheit
Terminus. Das angeblich von Numa eingesetzte Fest der Terminalia am
23. Februar ist nicht ein Fest des Gottes Terminus, sondern der termini,
der Grenzsteine und Grenzen; es war eine fröhliche Feier, bei der die
Nachbarn an den Grenzscheiden zusammenkamen, um an den termini zu
opfern und dann bei gemeinsamem Mahle und in ausgelassener Lustigkeit
sich der friedlichen Grenzgemeinschaft zu freuen;^) auch von Staatswegen
wird ursprünglich an den Grenzen der römischen Feldmark geopfert, ein
Brauch, der später bei weiterer Ausdehnung des Ager Romanus undurch-
führbar geworden war und darum (ähnlich wie es bei den Ambarvalia
geschah) auf ein Opfer an einem bestimmten Punkte der ehemaligen Flur-
grenze, am 6. Meilensteine der via Laurentina, beschränkt wurde. ^) Ein
eigenes Heiligtum hat Terminus, abgesehen von dem capitolinischen cippus,
nie besessen, und Zeugnisse für die selbständige Verehrung eines deus
Terminus'') finden sich nicht vor der Kaiserzeit.
Wie Terminus so hatte endlich auch Juventas ihre Kapelle {aedi-
cula) eingeschlossen in den Tempel des Juppiter 0. M., und zwar in der
Cella der Minerva,*) was man in derselben Weise wie bei Terminus be-
gründete. Wie früher erwähnt (S. 113), brachte jeder Jüngling, der die
Toga virilis anlegte, dem capitolinischen Juppiter ein Opfer dar; zugleich
aber musste für jeden so mannbar gesprochenen Jüngling eine Steuer an
die Kasse der Juventas gezahlt werden : ^) dadurch ist das Verhältnis beider
Gottheiten und die Bedeutung der Juventas klargestellt. Sie ist die Göttin
der heranreifenden männlichen Jugend, ^^) die dea novorum togatorum (Ter-
>) Dioo. Hai. III 69. Serv. Aen. IX 446.
Paul. p. 368. Ovid. faat. II 671 f.
*) Gato bei Fest. p. 162. Liv. I 55, 3 f.
(vgl. V 54, 7). Ovid. f. II 667 ff. Schwkgleb,
Rom. Qescb. I 771.
') Ex libris Vegoiae in den Grom. vet.
D 350
*)*Panl. p. 368 j vgl. Dion. Hai. 11 74,
der den Gott Zev; oQ^og nennt. Vgl. auch
die von Hülsen, Rom. Mitt. V 1890, 298 f.
hergestellte metrische Inschrift.
») Ovid. fast. 11 639 ff. Dion. Hai. II
74. Plut. Numa 16; Q. R. 15. Hör. epod.
2, 59. Ueber dasOpferceremoniell beim Setzen
der Grenzsteine vgl. Sicul. Flacc. p. 141.
^) Ovid. fast. II 679 ff. Ebenso nennt
Strab. y 230 als Ort der Ambarvalia, die
doch an sich einen Umgang um die ganze
römische Ackerflur bedeuten, einen bestimm-
ten Ort zwischen dem 5. und 6. Meilensteine.
^) Deo Tertnino dicatum auf einem Cip-
pus CIL XI 956.
•j Dion. Hai. HI 69. Plin. n. h. XXXV
108.
•) Piso bei Dion. Hai. IV 15.
^^) August, c. d. IV 11: dea luventas,
quae post pf^aetextam excipiat iurenalis aeiaiis
exordia; vgl. Vi 1.
126
Religion and Knltna der Römer. II. Götterlehre.
tull. ad nat. II 11), welcher darum in jedem Jahre, wahrscheinlich am
Jahresanfänge, Opfer pro iuvenibvs dargebracht wurden;^) zur Erinnerung
an den Tag, an welchem Augustus die Toga virilis anlegte, setzt das
Festverzeichnis von Cumae (CIL X 8375) eine suppUcatio Spei et Iuve(ntati)
an, und denselben Sinn bat es wohl, wenn auf Inschriften und Münzen
der Kaiserzeit der Juventus Augusta gedacht wird.') Daneben ist unter
dem gleichen Namen der Kult der griechischen Göttin Hebe in Rom ein-
gedrungen; sie erscheint zuerst im J. 536 = 218, wo Juventas = Hebe
ein Lectistemium und eine Supplication beim Tempel des Hercules erhält
(Liv. XXI 62, 9); diese Verbindung und die ausdrückliche Erwähnung der
Decemviri s. f. beweisen, dass es sich hier um die griechische Hebe han-
delt, obwohl wir nicht im Stande sind festzustellen, von wo die Römer
diesen Kult entlehnt haben. Der griechischen Göttin galt auch der Tempel,
welchen M. Livius Salinator 547 = 207 in der Schlacht bei Sena gelobte
und C. Licinius Lucullus 563 = 191 am Circus maximus einweihte,') sie
ist auch fast ausnahmslos gemeint, wenn die Dichter seit der augustei-
schen Zeit von einer persönlich gedachten Juventas reden.
Zu denjenigen Gottheiten, die sich aus einzelnen Seiten des Juppiter-
kultes zu selbständigem Dasein entwickelt haben, gehört auch Liber, der
mit seiner Genossin Libera bereits in der Festtafel mit eignen Feriae,
den Liberalia des 17. März, vertreten ist; da jedoch dieser Gott, wie Ceres
und Neptunus, schon in sehr früher Zeit durch Gleichsetzung mit dem
griechischen Dionysos eine völlige Veränderung seines Wesens erfahren
hat und die ursprünglichen und einheimischen Vorstellungen seines Kultes
durch das Eindringen griechischer Auffassung ganz zurückgedrängt und
verdunkelt worden sind, so wird er besser in anderem Zusammenhange
(s. unten § 46) seine Behandlung finden. Aber derselbe Juppiter, von dem
sich Liber abgespalten hat und der in Rom als Juppiter Liber oder Jup-
piter Libertas auf dem Aventin seinen Kult hatte (s. oben S. 105 f.), hat auf
dem Wege der begrifflichen Fortpflanzung noch eine andre Gottheit aus
sich heraus gezeugt, die Freiheitsgöttin Libertas, welche in der zweiten
Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. durch Ti. Sempronius Gracchus (Cos. 516
= 238) einen aus Strafgeldern erbauten Tempel auf dem Aventin erhielt;^)
wenn man diesen Tempel früher für identisch gehalten hat mit der aedes
lovis Libertatis, so ist diese Ansicht jetzt mit Recht aufgegeben, aber den
inneren Zusammenhang beider Kulte beweist nicht nur die örtliche Nach-
barschaft der Heiligtümer, sondern auch der Umstand, dass der Tempel
der Libertas nach einer als sicher anzusehenden Combination, seinen Stif-
tungstag am 13. April, d. h. an den dem Juppiter geweihten Iden, beging. b)
>) Paul. p. 104; vgl. Cic. ad Att. I 18, 3.
2) CIL II 1935. Cohen, Med. imp. V
Claud. Goth. nr. 107. 108. Sonstige In-
schriften CIL II 45. V 4088. 4244. Ueber den
flamen luventutis in Vienna vgl. 0. Hirsch-
PBLD, CIL XII p. 219.
») Liv. XXXVI 35, 5 f. Fun. n. h. XXIX
57; vgl. Gilbert, Topogr. II l 93.
*) Liv. XXIV 16, 19. Paul. p. 121.
') Ovid (fast. IV 623 f.) gibt (mit m
fallor) den 13. April als Stiftungstag des
atrium libertatis an ; da das aber ein Profan-
gebäude war (s. die Zeugnisse in Roschers
Mytb. Lex. II 2032) und darum sein Stiftungs-
tag nicht in den Kalender gehört, so liegt
sicher ein Irrtum des Ovid vor, der die
Kalendernote Lihertati falsch auflöste.
A. Di indigetes. 22. Gottheiten ans dem Kreise des Jnppiter.
127
AllerdiDgB ist Juppiter Liber von Haus aus gewiss nicht Freiheitsgott,
sondern ein Gott der schöpferischen Fülle, aber der Bedeutungswandel,
der sich in dem Worte liber vollzog (vgl. liberalis und libertas), hat ebenso
in einer Verschiebung des Wesens des Gottes seinen Ausdruck gefunden,
die auch in dem Schwanken der urkundlichen Bezeichnung zwischen
Juppiter Liber und Juppiter Libertas hervortritt. Die Göttin Libertas*)
vertritt zunächst nicht den in der Zeit der Blüte des Freistaates selbst*
verständlichen Gedanken der libertas publica populi Romani, sondern die
persönliche Freiheit des einzelnen Bürgers,^) wie sowohl das ihr zukom-
mende Symbol des püeus libertatis^) als auch die Erzählung des Livius
(XXIV 16, 19) zeigt: nachdem der Sieg bei Beneventum 540 = 214 vor
allem durch die volones, d. h. das nunmehr mit der Freiheit belohnte Sklaven-
corps, erfochten ist, lässt Ti. Sempronius Gracchus ein Bild der Sieges-
feier in dem von seinem Vater gestifteten aventinischen Tempel der Li-
bertas aufstellen. Erst als es mit der republikanischen Freiheit zu Ende
ging, sah man in Libertas die Verkörperung dieses Gutes; dieser Göttin
galt das Heiligtum, welches Clodius auf der Stelle des zerstörten Hauses
des Cicero errichtete,*) sowie ein anderes, welches im J. 708 = 46 der
Senat zu Ehren des Befreiers Caesar zu weihen beschloss (Cass. Dio XLIU
44); ihren Kopf und ihre Symbole prägen aber auch die Caesarmörder auf
ihre Münzen,') wie andererseits Augustus sich nach ihrer Besiegung als
libertatis p, R. vindex rühmt.*) In der Kaiserzeit aber ist nicht nur das
Bild der Göttin seit Claudius und Galba auf den Münzen häufig, sondern
wir begegnen auch nach dem Sturze verhasster Machthaber wiederholt
Weihungen von Bildern und Altären der LibeHas restituta oder Libertas
publica populi Romani, so nach dem Sturze des Sejan (Wilmanns Exempla
64»; vgl. Cass. Dio LVEI 12, 5), des Nero,') des Domitian (CIL VI 472),
des Commodus (Herodian. 1 14, 9).
Eine andre Eigenschaft des höchsten Gottes hat sich in Victoria zu
selbständiger Vertretung losgelöst : denn dass sie nur eine andere Vergött-
lichung derselben Kraft ist, die im Kulte des Juppiter Victor ihre Ver-
ehrung findet, beweisen noch die ArvalenprotokoUe, in denen bei verschie-
denen Opferhandlungen des Kaiserkultes an derselben Stelle der Götterreihen
(gewöhnlich hinter der capitolinischen Trias und vor Salus und Felicitas)
völlig gleichwertig bald Juppiter Victor, bald Victoria erscheinen,®) einmal
1) Ffir Plaut Rud. 489 f. ist die Er-
klärung nicht in rOmischer Religionsvorstel-
long zu suchen, vgl. F. Lbo z. d. St.
*) Eine analoge göttliche Vertretung der
Bfirgerqualit&t ist die GOttin Civitas des offen-
bar Yon einem NeubQrger geweihten Altars
CIL VI 88 Cipitati sacrum. A. Aemiliua Ar-
tema fecii.
•) Helbig, S.Ber. Akad. München 1880
I 490 f.
«) Flui Gic. 33. Cass. Dio XXXVIII
17, 6. Gic. de domo 108 ff.; de leg. II 42.
*) Babblok, Monn. cons. I 834 ff. II 112 ff.
Libertas auf einer Quadriga von Victoria ge-
krönt zeigen ältere Denare des M. Porcius
Laeca, G. Cassius Longinus und C. Egnatius
Maximus, Babblok a. a. 0. II 869. I 831.
474; vgl. Roschers Lexik. II 2033 f.
•) Monum. Anc. 1, 3. Eokhbl, D. N.
VI 83.
^) CIL VI 471. EcKHEL, D. N. VI 295;
vgl. auch CIL II 2035.
') Vgl. die Opfer ob imperium Othonis
CIL VI 2051 1 38 und oh imperium ViteVii
2051 I 87; ebenso ob laurum Neronis 2044
I 11 und ob laurum positam des Otho 2051
I 66, ähnlich auch bei Gelttbden pro scUuie
et adventu Viteüii 2051 ii 4 und pro salute
et reditu Domitiani 2066, 43; s. auch Hbk-
ZBK, Acta fr. Arv. p. 72 f. 85 f. 121 f. 124.
128
Religion nnd Kultna der Römer. II. Götterlehre.
(CIL VI 2086, 27) auch beide nebeneinander und ausdrücklich zu einem
Paare verbunden: lovi Vidori b(ovem) m(arem) a{uratum) et Victoriae
b{ovem) fißtninain) a{uratam). Einen eignen Tempel hatte Victoria ein
Jahr nach der Erbauung der aedes lovis Vidoris (s. oben S. 108) im
J. 460 = 294 durch den Consul L. Postumius erhalten, der schon in
seiner Aedilität aus Strafgeldern den Bau begonnen hatte (Liv. X 33, 9) ;
er lag auf dem Palatin (Liv. XXIX 14, 13) an dem nach ihm benannten
clivus Victoriae (Fest. p. 262) und neben ihm befand sich eine von M. Por-
cius Cato 561 = 193 geweihte Kapelle der Victoria Virgo (Liv. XXXV 9,
6).^ Wenn angeblich schon in altersgrauer Vorzeit auf demselben Berge
ein Altar der Victoria gestanden haben soll (Dion. Hai. ant. I 32, 5), so
ist das entweder eine fiktive Vordatierung des Kultes, um die von Anfang
an unwiderstehliche Sieghaftigkeit des römischen Volkes zum Ausdruck
zu bringen, oder der Name Victoria ist hier nur sekundär eingetreten
für den einer älteren Göttin, die man vermutungsweise mit ihr identi-
fizierte,^) wie dies z. B. mit Vica Pota^) und der sabinischen Vacuna (s.
oben S. 44 Anm. 3) der Fall war. Der palatinische Tempel ist der ein-
zige geblieben bis zum Ausgange der Republik, wo der Kult der Victoria
einen grossen Aufschwung nahm. Denn in demselben Maasse, als jetzt
einzelne Machthaber in den Vordergrund traten, die ihre Gewalt durch
Siege über die äusseren und inneren Feinde begründeten, trat die Göttin
Victoria sozusagen in ein persönliches Verhältnis zu ihnen und wurde
unter Beifügung des Namens des betreffenden Feldherrn als Verkörperung
seiner persönlichen Siegeskraft gefasst. Wenn man bei den ludi Victoriae
SuUanae (27. Okt. — 1. Nov.) und den ludi Victoriae Caesaris (20.— 30. Juli)*)
im Zweifel sein könnte, ob Victoria persönlich oder als Appellativum zu
verstehen sei, so wird die erstere Auffassung als die allein berechtigte
erwiesen durch zahlreiche Zeugnisse der Kaiserzeit, in denen Tempel und
Altäre teils der Victoria Augusta, teils der Victoria eines mit Namen be-
zeichneten Kaisers gewidmet sind;^) selbst die Göttin des palatinischen
Tempels führte, wie das Regionenbuch zeigt, später nach einem der mit
dem Beinamen Germanicus ausgezeichneten Kaiser die Bezeichnung Vic-
toria Germaniciana. Umfang und Bedeutung dieses Vorstellungskreises
lassen uns die zahllosen Victoriamünzen der Kaiserzeit erkennen, auf
denen unter den bildlichen Darstellungen die der ein Tropaion bekränzen-
den Nike, die schon in republikanischer Zeit den Victoriati ihren Namen
gab,^) die beliebteste ist, während die Beischriften die Victoria teils in
0 Vgl. Gilbert, Topogr. III 428 f. HOl-
8BN, Rom. Mitt. X 1895, 23 f. 269.
') Carmenta, an die Gilbert, Topogr.
I 41 Anm. denkt, hat weder je auf dem
Palatin ein Heiligtum gehabt, noch ist sie
mit Victoria gleichgesetet worden.
*) Ascon. p. 12 verglichen mit Liv. H
7, 12; vgl. § 36.
«) MoMMSBN, CIL P p. 333 und 323 f.
*) Eine supplicatio Victoriae Äugustae
verzeichnet das Feriale Cumanum (CIL X
8375) am 14. April zur Feier des ersten Sieges
im mutinensischen Kriege; eine aedea Vic-
toriae Äugustae z. B. in Puteoli CIL X 1887,
Altäre Victoriae Caesaris Aug{usti) impe-
ratoris in Capua (CIL X 3816), VictofHae
imp(eratoris) Caesaris Vespasiani Aug{usti)
in Cora (CIL X 6515) u. a. Vgl. namentlich
Aber die Soldatenaltäre v. Domaszewski,
Westd. Ztschr. XIV 37 ff.
') Ueber die Victoriati s. Marquardt,
Staatsverw. II' 20 ff., über Victoria auf dem
Zweigespann als Zweitältesten Typus der
Bigati (nach Luna) A. KLfJoMANN, Ztschr. f.
Numism. V 1877 S. 65 f.
A. Di indigeteB. 28. Mars. 129
der erwähnten Weise als Siegeskraft des regierenden Kaisers kennzeichnen,
teils sie als Victoria Germanica, Parthica, Sarmatica u. s. w. auf einen
einzelnen Feldzug und seinen Erfolg spezialisieren.^) Aus dieser hervor-
ragenden Rolle, welche Victoria in der Religion der Eaiserzeit spielt, gibt
sich die Erklärung dafUr, dass der von Augustus in der Curie errichtete
und am 28. August 725 = 29 eingeweihte Altar der Victoria*) geradezu
zur Versinnlichung des allzeit siegreichen Kaisertumes wurde und dass
darum seine durch Constantius angeordnete und durch Gratian erneuerte
Entfernung das Ende des alten Reiches zu bedeuten schien und daher die
bekannten Kämpfe entfesselte (s. oben S. 87).
Litteratur: Ueber Dias Fidius: £. Jahnbtaz, l^tude sur Semo Sancas Fidias, Paris
1885, dazu Jobdak, Deutsche LittZtg. 1885 S. 680. Wissowa in Roschers Lexik. I 1189 f.
(zum Teil verfehlt). Jobdan, Annali d. Inst. 1885, 105 fif. Ueber Fides Wissowa in Roschers
Lexik. 1 1481 ß,, über Juventas ebd. 11 764 ff., ttber Libertas ebd. II 2031 ff. Ueber Ter-
minus G. JouBDB, Le culte du dieu Terme et de la limitation de la propriet^ chez les
Romains, Paris 1886.
23. Mars. Mars ist ebenso wie Juppiter ein allgemein italischer
Gott und hat in den ältesten religiösen Vorstellungen des Landes eine
ganz hervorragende Stelle eingenommen: das geht einmal daraus hervor,
dass die Stammsagen verschiedener italischer Völkerschaften gerade an
ihn anknüpfen (s. unten S. 132), sodann aus der Thatsache, dass er der
einzige Gott ist, nach welchem in den Kalendern nicht nur latinischer (Alba,
Aricia, Praeneste, Laurentum), sondern auch sabellischer Gemeinden und
Stämme (in Cures, bei den Hernikem, Paelignern, Aequiculem) ein Monat
benannt >7ar;^) bei den Etiniskern sind allerdings die Spuren des Mars-
kultes unsicher und spärlich,^) doch hat wenigstens Falerii ebenfalls einen
Monat Martins, und bei den Umbrern kennen wir nicht nur den berühmten
Marskult der uralten Stadt Tuder,^) sondern der Gott begegnet uns auch
in den iguvinischen Tafeln an hervorragender Stelle unmittelbar neben
Juppiter, mit dem er die Beinamen Grabe vius und Ahtus teilt. ^) Sein
Name lautet überall Mars (etr. Maris) oder auch Mavorsj'') zusammen-
gesetzt Marspiter oder Maspüer,^) während die von römischen Gramma-
tikern als bei den Oskem gebräuchlich angeführte Form Mamers wahr-
scheinlich auf einem falschen Rückschlüsse aus Namen wie Mamercus,
Mamertini u. a. beruht.^) In Rom wird Mars seit unvordenklicher Zeit
') Material bei Stevenson, Dictionary
of Roman coins S. 865 fif.
*) Cass. Dio LI 22, 1. Suet. Aug. 100.
CIL I» p. 327. Jordan, Topogr. I 2 S. 251
Anm. 83. Eckbel, D. N. VI 85.
*) MoKMSBN, Rom. Gbronol. S. 218 ff.
*) Müllbb-Dbecke, Etrusker II 57.
DncKB, Etr. Forsch. IV 35.
») SiL Ital. IV 222. VIII 464. Ueber
alte MarsheiligtQmer im Sabiniscben, in Suna
nnd Tiora Mattiene, vgl. Dion. Hai. I 14,
Trebula Mataesca Obseq. 42. Martiales in
Larinnm, Cic. pro Claent. 43.
*) BuBCHBLSB, ümbrica p. 52. 126; aus
der (hegend von Ignvium stammt auch die
Inschrift [Ma]rti Cyprio (s. dazu Varro de
I. L V 159. BuECHELER, Umbr. p. 173) . . Mohmsen, Unterital. Dial. S. 276.
BBDdbiifOh der Ujh>. AltertnnuwiBaeDflchaft. V, 4. 9
Signum . . ex voto posuit et aedem vetustate
conlapsam refecit, CiL XI 5805 = Hbnzbn
5669.
») Mavortei CIL VI 473 (davon nur or-
thographisch verschieden Maurte in der tu-
sculanischen Inschrift G I L X 1 V 2578 ; vgl. auch
die Form Mavortio [dat.] der Altarinschrift von
Lanuvium CIL XIV 4178) und in der Poesie
seit Ennius; s. auch das Orakel bei Liv.
XXII 1, 11. Die Form Martnar im Arvalen-
liede wird richtig erklärt von Jordan zu
Prelleb, Rom. Myth. 1 336, 4. Vgl. auch
B. Maurenbrecher, Archiv f. lat. Lexikogr.
VIH 290 f.
«) Varro de 1. 1. VI! 49. IX 75. X 65.
») Varro de 1. 1. V 73. PauL p. 131. 158.
130
Religion und Kaltim der Römer. TL GOtterlehre.
auf dem nach ihm benannten campus Martins verehrt, ') wo ihm ein bereits
in der dem Numa zugeschriebenen lex de spoUis opimis (Fest. p. 189) er-
wähnter Altar gehört. Diese ara Martis in campo^) bildet den sakralen
Mittelpunkt bei der Feier des Lustrum, der alle 5 Jahre erfolgenden
Weihung der durch den Census neu konstituierten Gemeinde; die dem
Mars besonders zukommenden Opfertiere, Schwein, Schafbock und Stier
{auovetaurilia) werden dreimal um die als exercitus auf dem Marsfelde
versammelte römische Bürgerschaft herumgeführt und sodann dem Gotte
zum Danke für den während der letzten 5 Jahre gnädig gewährten Schutz
geopfert, indem ihm zugleich für die nächste Wiederkehr des Lustrum
das gleiche Opfer gelobt wird, falls er bis dahin der Gemeinde seine Für-
sorge weiter zuwende.') Dieser Akt der Lustration, dessen Hauptcere-
monie in der Herumführung der Opfertiere um die zu entsühnende Ge-
meinde besteht, wird in gleicher Weise wie hier an der Bürgerschaft^)
so bei dem Feste des Amburbium am 2. Februar an der Stadt und bei
den im Mai gefeierten Ambarvalia an der römischen Feldmark vollzogen,^)
und in derselben Art begeht auf dem flachen Lande ein jeder Gau die
lustratio pagi (z. B. CIL IX 1618. 5565) und der einzelne Bauer die Wei-
hung seines Grundstückes. Für den letztgenannten Akt gibt uns Cato
(de agric. 141) eine Beschreibung des Ceremoniells und den Wortlaut der
zur Anwendung kommenden Gebetsformel, aus welchem hervorgeht, dass
auch hier das Opfer dem Mars galt und aus Suovetaurilia bestand. Das
Gleiche ist sicher ursprünglich auch bei dem Amburbium, den Ambarvalia
und der lustratio pagi der Fall gewesen, wenn auch in der augusteischen
Zeit bei dem ländlichen Flurumgange unter griechischem Einflüsse Ceres
an die Stelle des Mars getreten ist (Yerg. Georg. I 338 ff.) und die Fratres
Arvales bei ihrem mit den alten Ambarvalia identischen^) Maifeste in
erster Linie die Dea Dia verehren: denn das uralte Kultlied der Arval-
brüder ist an Mars gerichtet, und derselbe Gott spielt auch bei der lu-
stratio populi von Iguvium eine hervorragende Rolle. Mit Unrecht haben
Neuere^) in diesen Flurumgängen einen Beweis dafür finden wollen, dass
Mars von Haus aus ein Vegetations- und Ackergott sei: soweit die Über-
lieferung uns ein Urteil gestattet, ist Mars den Römern nie etwas anderes
gewesen als Kriegsgott, und wenn man ihn um Schutz der Fluren
anfleht, so geschieht das nicht, damit er das Wachstum der Saaten fördere,
sondern damit er Kriegsnot und Verwüstung von den Feldern fernhalte.
') Ueber einen andern campus Martialis
auf dem Caelius s. Paul. p. 131, vgl. Ovid.
fast. III 521 f.
«) Liv. XXXV 10, 12. XL 45, 8.
») Dion. Hai. IV 22. Varro de r. r. II
1, 10. Val. Max. IV 1, 10. Ps.Asc. Cic.
Verrin. p. 18S Or.; vgl. Mommsbn, Staatsr.
II 406.
^) Ebenso beim Heere als lustratio exer-
cUus, vgl. V. DoMASZBWSKi, Arcb. epigr. Mitt.
aus Oesterr. XVI 1893, 19 ff.
'} Ueber die Scheidung von Amburbium
und Ambarvalia und den Tag des ersteren
s. H. UsEHBR, Religionsgescbichtl. Unter-
suchungen I 304 ff.
*) MoxMSBN, Rom. Chronol. S. 70 f. Hek-
ZBN, Acta fratr. Arval. p. 46 ff. Wissowa,
Real-Encycl. II 1478 ff.
') Pbblleb, Rom. Myth. I 389 ff. Makr-
HARDT, Myth. Forsch. S. 156 ff., vgl. auch
Reiffebschbid, Lect. Kat. von Breslau, Winter
1882/83 S. 6 ff. Als Sturmgott fassen den
Mars Ad. Kuhn und L. Mbtbr, als Sonnen-
gott W. CoBssBN und W. H. Rosohbr, als
Jahresgott H. Usenbb.
A. Di indigetes. 88. Kars. 131
Beim Lustrum aber ist es ja gerade die waffentragende und als exercüus
geordnete Gemeinde, die dem Gotte geweiht wird. Auf die kriegerische
Bedeutung des Mars weisen auch alle uns bekannten Einzelheiten seines
Kultes hin. Sein Symbol sind die in einer Kapelle der Regia aufbewahrten
Wurfspeere (hastae Martis)^) und die angeblich einst vom Himmel gefal-
lenen heiligen Schilde {ancilia): diese Waffen des Gottes bewegte nach
altem Brauche der ins Feld ziehende Heerführer mit dem Rufe Mars
vigüa,^) und mit ihnen rüsteten sich die Priester des Mars, die Salii, aus,
wenn sie die' zweimal im Jahre wiederkehrenden Festcyklen des Gottes
begingen. Der Monat März, in dem die Kriegszeit beginnt, ist dem Mars
speziell heilig und ganz von seinen Festtagen ausgefüllt,^) und ebenso
wird derselbe Gott im Oktober nach beendeter Gampagne mit Dankfesten
gefeiert; die dabei von diesen rituellen Akten der Salier gebrauchten
technischen Ausdrücke ancilia movere und ancilia condere zeigen, dass
jene nichts anderes als das Ergreifen und das Niederlegen der Waffen
durch das römische Heer symbolisieren. Die Feste des Frühjahrs^) gelten
insbesondere der Weihung der Rosse (Equirria 27. Febr.*) und 14. März),
der Waffen (Quinquatrus 19. März)<') und der Schlachthörner (Tubilustrium
23. März);^) an allen diesen Tagen sowie an der ihrer Feier nach nicht
näher bekannten Marsfesten des 1.^) und des 17. März {agonium Martiale
Macr. S. I 4, 15) halten die Salier in kriegerischer Tracht ihre Umzüge
und ehren ihren Gott mit feierlichen Waffentänzen; in derselben Weise
treten sie wieder in Thätigkeit im Oktober, wo nach einem an den Iden
dem Gotte dargebrachten Rossopfer am 19. eine abermalige Waffenweihe
oder Waffensühnung (Armilustrium)^) stattfindet. Der Parallelismus beider
Festperioden springt in die Augen: ^^) beide gehören für die ganze Zeit-
dauer, in der die heiligen Schilde sich ausserhalb ihres gewöhnlichen
Aufbewahrungsortes in den Händen der Salier befinden {motis necdum
candüis ancilibus Suet. Otho 8), zu den dies religiosij an denen man weder
eine kriegerische Unternehmung wagt, noch eine Ehe schliesst,^^) offen-
bar weil die Ritualhandlungen der Salier ein symbolisches Abbild des
Kriegszuges darstellen; den Mittelpunkt bildet beidemal inmitten des
Monats ein an der ara Martis in campo stattfindendes Pferderennen, am
14. März die Equirria,^*) am 15. Oktober die Feier des Oktoberrosses,
nur dass bei dem letztgenannten Feste, das zugleich eine Dankfeier für
den glücklichen Feldzug und eine Sühnung für das vergossene Blut ein-
schliesst, das siegreiche Pferd vom Flamen Martialis ^^) dem Gotte geopfert
0 z. B. Gell. IV 6, 2; mehr bei Gilbbrt,
Topogr. I 346.
«J Serv. Aen. VII 603. VIII 3.
•) Dion. Hai. II 70. Polyb. XXI 10. 12.
*) Vgl. fiber sie Monmsbn. CIL P p. 311 ff.
If ARQüABDT, Staatsverw. III 434.
») Ovid. fast II 857 ff.
*) Fast. Praen. Cbaris. p. 81.
') Fast. Praen. Lyd. de mens. IV 42.
Varro de 1. 1. VI 14. Fest. p. 352. Ovid.
fast. III 849.
•) Lyd. de mens. lU 15. IV 29 (ixiyovy
ta ortXa); der Kalender des Philocalus no-
tiert zum 9. März arma ancilia movent
•) MomisBN, CIL P p. 333. Varro de
1. 1. VI 22. Paul. p. 19.
>^) WissowA, De feriis anni Roman,
p. IX f.
»») Ovid. fast. III 395 ff. Suet. Otho 8.
Tac. bist. I 89.
") Varro de 1. 1. VI 13. Paul. p. 81.
Ovid. f. III 519 f., vgl. II 858 f.
*') Cass. Dio LI II 24, der von einer in
den Formen des Oktoberopfers stattfindenden
Hinrichtung meuterischer Soldaten auf Be-
fehl Caesars erzählt.
9*
132 Religion und Kultus der Römer. II. Götterlehre.
wird und eine Reihe eigenartiger Sühnceremonien zur Anwendung kommt :
das Blut des Pferdes wird teils auf den Herd der Regia geträufelt, teils
zu Lustrationszwecken im penus Vestae aufbewahrt, um den abgehauenen
Kopf aber kämpfen die Bewohner zweier Stadtteile, der Sacra via und
der Subura, um ihn im Falle des Sieges an einem bestimmten Gebäude
ihres Quartieres anzuheften.^) Alte und neue Gelehrte haben in dem —
übrigens auch bei andern Opfern nachweisbaren — Brauche, den Hals
des Pferdes mit auf eine Schnur gereihten Broten zu bekränzen, den
Schluss gezogen, das Opfer sei ob frugum eventum geschehen '(Paul. p. 220);
aber schon die Entsprechung mit den mitten in die Kriegsfeste des März
fallenden Equirria schliesst diese Erklärung aus, zumal eine andre viel
näher liegt: das Streitross {equus bellator) ist dem Kriegsgotte heilig und
wird darum erst ihm zu Ehren im Wettkampfe gezeigt und dann ihm
geopfert. Ausserdem sind der reissende Wolf und der kriegerische Specht, >)
sowie der Ackerstier (bos arcttor) Tiere des Mars, letzterer darum, weil
er das Symbol der den Eroberungszug beschliessenden städtischen Nieder-
lassung ist.') Wenn eine Gemeinde es für nötig hält, in schweren Zeit-
läuften den ganzen Ertrag der Ernte eines Frühjahrs den Göttern^) zu
weihen und die in diesem Frühjahr geborene junge Mannschaft, sobald sie
herangewachsen ist, als ver sacrum aus der Gemeinschaft ausstösst, so ist
es Mars, der diese Heimatlosen, die nun durch Kampf sich eine neue Exi-
stenz gründen müssen, schützt und durch seine heiligen Tiere zu neuen
Sitzen führt: so nannten sich die Hirpiner nach dem Wolfe (hirpus), die
Picenter nach dem Specht und die Samniten tauften ihre Hauptstadt nach
dem Stier, der ihnen vorangegangen war, Bovianum.^) Überall, wo Mars
in alten Gebetsformeln erscheint oder wo in Weihinschriften der Anlass
der Weihung genannt wird,^) handelt es sich um Kampf und Sieg, und
auch die Deutung des bisher noch nicht in überzeugender Weise erklärten
alten Beinamens Gradivus^) ist jedenfalls in dieser Richtung zu suchen.
Dem Gotte des Kampfes und Sieges gründen daher auch römische Feld-
herren dort, wo sie die Feinde geschlagen haben, ein Heiligtum, z. B.
Q. Fabius Maximus zur Erinnerung an seinen Sieg über die Allobroger
im J. 121 am Zusammenflusse von Rhodanus und Isara®) oder Augustus
zum Andenken der Schlacht von Actium, und zwar dieser, da es ein See-
sieg war, zugleich dem Mars und Neptunus (Suet. Aug. 18).
Von grosser Bedeutung ist die Lage der ältesten Marsheiligtümer.
Wenn das römische Staatsrecht streng scheidet zwischen der im städtischen
') Fest p. 178. Flut. Q. R. 97. Polyb. 1 piter dargebracht (Liv. XXII 10, 3).
XII 4»>. i ») Strabo V 240.250. Festp. 106. Paul.
') Zeugnisse bei Schwsglbr, Rom. Gesch. i p. 212.
I 415, 3. RoscHBR, Mythol. Lexik. II 2430 f. i *) z. B. CIL VI 474 (zusammen mit
•) NissKN, Templum S. 131 ff. Daraus, 1281). XIV 2578.
dass der Ackerstier dem Mars heilig ist, er- ^) Paul. p. 97. Serv. Aen. III 35. CIL
klärt es sich, dass bei dem Gelübde pro
hubu8 uti valeant (Cato de agric. 83) ausser
Silvanus, dem Gotte der ailvatica pastio, auch
Mars angerufen wird.
in 6279. V 8236. VIII 2581. XIV 2580.
2581.
•) Strabo IV 185 (ytnig dvo, toV fiiy
W^cwC} TOK (T 'B^xXäovi); vielleicht h&ngt
*) Das r^ sacrum gilt keineswegs immer i damit der aus Inschriften bekannte flamen
dem Mars; in dem einzigen aus historischer Mortis in Vienna (0. Hibschfbu), CIL XII
Zeit bekannten Beispiele wird es dem Jup- p. 219) zusammen.
A. Di indigetoB. 88. Mars. 183
Weichbilde geltenden bürgerlichen Amtsgewalt und dem nur ausserhalb
des Pomerium wirksamen imperium müitiae, >) so kann der Kriegsgott nur
im letzteren Gebiete ansässig sein;^) ausserhalb des Pomerium liegt daher
sowohl der alte Altar im Marsfelde, in dessen Nähe sich seit dem J. 616 == 138
ein von D. Junius Brutus Callaicus gelobter und von einem griechischen
Architekten ausgeführter Tempel des Gottes befand,^) als auch ein zweites
hochberühmtes Heiligtum, der im J. 366 = 388 geweihte Marstempel vor
dem römischen Südthore, der Porta Gapena;^) hier versammelt sich das
Heer zu einem nach Süden gerichteten Feldzuge (Liv. VII 23, 3), und von
hier aus nahm die alljährlich stattfindende grosse Ritterparade^ die Irans-
vectio equitum, ihren Ausgang (Dion. Hai. VI 13). Es sind das die beiden
einzigen römischen Eultstätten des Gottes geblieben, bis Augustus zum
Danke für die Bestrafung der Mörder Caesars den Mars Ultor besonders
zu feiern beschloss und demselben erst am 12. Mai des J. 734 = 20 einen
kleinen Rundtempel auf dem Capitol, dann am 1. August 752 = 2 einen
grossen Tempel weihte, der den Mittelpunkt des vom Kaiser erbauten
Forums bildete^) und, durch ein eigenes Tempelstatut mit besonderen Vor-
rechten ausgestattet, geradezu zum Rivalen des capitolinischen Tempels
wurde.*) Das Heiligtum stand in engster Beziehung zu der offiziell an-
erkannten Stammsage des julischen Hauses, denn das Tempelbild stellte
mit Mars zusammen auch die Venus dar (Ovid. Trist. H 295), eine Ver-
einigung, die uns in gleicher Weise auch im Pantheon begegnet (Cass.
Dio LHI 27) und wenigstens in der Zeit des Plinius auch im Tempel bei
der alten ara Martis zu sehen war, in welchem damals ein kolossaler
sitzender Ares und eine nackte Aphrodite, beides Werke des Skopas,
aufgestellt waren.'') Es waren also griechische Vorstellungen, die dem
augusteischen Kulte zu Grunde lagen und die der Kaiser betonte, um den
altrömischen Kriegsgott und Erzeuger der Stadtgründer mit der Stamm-
mutter des neuen Fürstenhauses zusammenzubringen; das lag um so näher,
als die griechische Paarung von Ares und Aphrodite den Römern schon seit
dem Lectistemium von 537 = 217, wo zum erstenmale die Gleichsetzung der
griechischen Zwölfgötter mit römischen Gottheiten erfolgte (s. oben S. 55),
geläufig war.^) Nach griechischem Vorbilde haben weiterhin die römischen
Dichter in frei erfundenen Erzählungen den Mars zu verschiedenen andern
Gottheiten in Beziehung gesetzt. So gaben die rein zufälligen Umstände,
dass einerseits auf das alte Marsfest des 1. März später der Stiftungstag
des Tempels der Juno Lucina und das derselben Göttin geltende Fest der
0 MoMMSKV, Staatsr. 1 59 f.
«) Serv. Aen. 1 292. Vitruv. I 7, 1.
') Becker, Topogr. S. 619. Aüst, De
angeblichen Nachbildungen des Ares s. E.
Petersen, Rom. Mitt. IV 330.
*) Liy. XXII 10, 9. Diese hellenisierende
aedibns sacris p. 27 Nr. 68. Auffassung des Gottes, die schon im J. 476
^) 0. Richter, Handb. III 886. Aust = 278 durch eine nach griechischem Ritus
a. O. p. 8 Nr. 11 und in Roschers Lexik, gehaltene supplicatio {a laureatis militibus
II 2390 f. Anm. Yal. Max. I 8. 6) zum Ausdrucke kam, knfipfte
*) JoRDAH, Top. I 2 S. 45 f. 442 ff. Momm- sich, wie es scheint, namentlich an den Kult
SEIT, Res gestae D. Aug. p. 126. A. Cham- vor Porta Capena, denn unter den Prodigien,
BALU. Philol. N. F. V 780 ff. die jenes Lectistemium veranlassen, ist das
•) Cass. Dio LY 10. Suet. Aug. 29. Vgl. wichtigste, dass das Kultbild dieses Tempels
oben 8. 70. I schwitzt (Liv. XXII 1, 12; vgl. 9, 9).
0 PUn. n. h. XXXVI 26. üeber die ,
134
Religion nnd Kulins der B5mer. TL, Götterlehre.
Matronalia fiel, andererseits am 1. Juni sowohl der Marstempel vor Porta
Capena, wie die Juno Moneta auf der Burg ihren Stiftungstag begingen,
Anlass zu der Annahme eines engeren Verhältnisses zwischen Juno und
Mars, entsprechend dem zwischen Hera und ihrem Sohne Ares, und so
entstand nach dem Vorbilde der griechischen Sage von der ungeschlecht*
liehen Empfängnis des Hephaistos die Erzählung, dass Juno durch den
Duft einer Blume geschwängert den Mars geboren habe.^ Auch mit der
alten Jahresgöttin Anna Perenna hat man (vgl. Ovid. fast. III 675 ff.) ihm
allerlei, zum Teil burleske Beziehungen aus keinem anderen Grunde an-
gedichtet, als weil ihr Fest auf den 15. März, also mitten in die Mars-
feiern dieses Monats, fiel und man aus dem zeitlichen Zusammenfall einen
inneren Zusammenhang erschloss. Ein Jahresgott ist Mars darum eben-
sowenig wie aus dem Grunde, dass man den für die Eaiserzeit bezeugten')
volkstümlichen Brauch des , Winteraustreibens^ am 15. März, bei dem ein
in Felle gehüllter Mann mit Stöcken geschlagen wurde, zusammenbrachte
mit dem angeblichen Verfertiger der ancilia, dessen Namen Mamurius
Veturius man aus den unverständlich gewordenen Worten des Salierge-
sanges herauslesen zu können meinte.')
In alter Kultverbindung steht dagegen Mars mit Nerio, deren Name
in den pontificalen Gebetsformeln mit dem seinigen verbunden war : Dichter
und Prosaiker des 2. Jahrhunderts v. Chr. machten daraus eine Gattin
des Mars (Gell. XIII 23), und die von griechischen Vorstellungen ausgehende
Deutung der Folgezeit sah darum in ihr nur eine andere Bezeichnung sei
es der Bellona (Aug. c. d. VI 10) oder Minerva,*) sei es der Venus (Lyd.
de mens. IV 42); Ovid wusste dann zu erzählen, wie diese Nerio-Minerva
sich dem Liebesverlangen des Gottes entzogen habe, und Spätere gedenken
auf Grund der ovidischen Erzählung seiner vergeblichen Angriffe.^) Sicher
steht nur, dass Nerio, deren Name von demselben allgemeinitalischen
Stamme gebildet ist wie Nero, ungefähr mit Virtus gleichbedeutend ist.
Völlig dunkel bleiben einige andere Angehörige des um Mars sich
scharenden Götterkreises; in den iguvinischen Tafeln werden bei der Lu-
stration neben Cerfus Martius auch Praestita Cerfia Cerfi Martii
und Tursa Cerfia Cerfi Martii angerufen,^^) und zwei stadtrömische
Inschriften aus republikanischer Zeit gelten einem Numisius Martins;^)
0 Ovid. f. V 229 ff. Paul. p. 97. Eine
griechische Vorstellung liegt jedenfalls auch
der Zeichnung einer von A. Michaelis^ An-
nali d. Inst. 1873, 221 ff. besprochenen prae-
nestinischen Ciste zu Grunde; vgl. den Deu-
tungsversuch von F. Marx, Arch. Zeit. XLIII
1885 S. 169 ff.
') Ovid erwähnt ihn nicht. Dagegen
heisst der Tag in dem Kalender des Philo-
calus Mamuralia und Lyd. de mens. lY 36
beschreibt den Brauch, auf den sich viel-
leicht auch Minuc. Fei. 24, 3 und Serv. Aen.
VII 188 beziehen. Erwähnungen eines 8<t-
erum Mamurio (Menol. rust.), einer statua
Mamuri (Curios. u. Notit. reg. VI, vgl. Hül-
BXN, Rhein. Mus. XLIX 417 f.) und eines
tetnplum Mamurri (Lib. poutif.) gehören erst
später Zeit an.
») Plut. Numa 13. Ovid. f. III 389 f.
Paul. p. 131 u. a.
*) Wenn bei Liv. XLV 33, 2 Mars, Mi-
nerva und Lua mater unter den Gottheiten
genannt werden, denen man die erbeuteten
feindlichen Waffen verbrennt, so ist Minerva
wahrscheinlich fttr Nerio eingetreten.
*) Ovid. f. m 681 ff. Mart. Cap. I 4.
Porph. zu Hör. ep. II 2, 209; auf letztere
Stelle gründen Rbiffebsoheid (Annali d. Inst.
1867, 359) und Usknbb weitgehende Ver-
mutungen.
*) BuBCHBLBB, Umbrica p. 98.
^) Bull. arch. com. XX 1892, 76, wodurch
A. Di indigeteB. 28. Mars.
135
die Pontificalschriften endlich erwähnten eine — vielleicht auch bei Ennius
genannte — Here Martea^) und als dienende Gottheiten (anculi) dieses
Kreises die Moles Martis (Gell. Xin 23, 2), welche uns noch im augu-
steischen Festverzeichnisse von Cumae mit einer zur Erinnerung an die
Dedication der Kapelle des Mars ültor auf dem Capitol (12. Mai) ange-
setzten SuppliccUio Molibus Martis begegnen.^)
Hierher müssten auch die Götter der zitternden Angst und des
blassen Schreckens, Pavor und Pallor, gehören, denen nach der Er-
zählung des Livius (I 27, 7) König Tullus Hostilius im Kampfe mit den
Albanern Heiligtümer {fana) in Rom gelobte; ob diese aber wirklich exi-
stiert haben, ist bei dem Mangel eines jeden anderen Zeugnisses und
gegenüber der Thatsache, dass der Parallelbericht des Dionys von Hali-
karnass (IH 32, 4) ihrer nicht gedenkt, immerhin zweifelhaft.')
Zum Kreise des Mars, wenn auch als jüngere Gestalten, darf man
mit grosser Wahrscheinlichkeit auch das engverbundene Paar^) Honos
unä Virtus rechnen: denn dass beide Eigenschaften ganz speziell im
soldatischen Sinne aufgefasst wurden, zeigen noch die Soldateninschriften
der Kaiserzeit, ^) und auf ein enges Verhältnis zu Mars lässt die Thatsache
schliessen, dass der angesehenste Tempel von Honos und Virtus vor der
Porta Capena in unmittelbarer Nähe des dortigen Marstempels gelegen
war, so dass uns die Gewährsmänner als Ausgangspunkt für die dort be-
ginnende Ritterparade bald den Tempel des Mars (Dion. Hai. ant. VI 13)
bald den des Honos (Vict. v. ill. 32, 3) angeben. Letzteres Heiligtum war
als Tempel des Honos von Q. Fabius Maximus Verrucosus 521 = 233 im
Kampfe mit den Ligurern gelobt und nachher geweiht worden, M. Claudius
Marcellus stellte es wieder her und wollte es auf Grund eines in der
Schlacht bei Glastidium gethanen, nach der Eroberung von Syrakus er-
neuerten Gelübdes zu einem gemeinsamen Tempel von Honos und Virtus
umändern ; als dies Vorhaben bei den Pontifices Bedenken erregte , fand
er den Ausweg, einen eigenen Tempel der Virtus hinzuzufügen, den sein
Sohn im J. 549 = 205 dedicierte:^) dies Doppelheiligtum wird wegen der
die Ergftnzang von CIL VI 476 gesichert ist;
vgl. auch Marti sive Numiterno (dazu Tert.
ad nat. II 8) CIL X 5046.
^) Paul. p. 100 und Wissowa in Roschers
Lexik. 1 2298.
*j CIL X 8375; vgl. Mommsbn, Hermes
XVII 637.
') Alle vorliegenden Erwähnungen der
Gottheiten stammen direkt oder indirekt aus
Livius, nicht nur Minua Fei. 25, 8 = Cypr.
qu. idol. dei n. s. 4. Tert. adv. Marc. I 18.
Lact. I 20, 11. August, c. d. IV 23 (und
Seneca ebd.); de cons. evang. I 18; epist.
17, 2; in psalm. CIV 11. Mart. Cap. 1 55,
sondern auch Serv. Aen. VIII 285, der durch
falsche Verbindung der Worte des Livius
{duodecim vavit Saltos fanaque Pallori ac
Pavori) zu der missverständlichen Annahme
von SalH Pavorii und PaUx>rii kommt; B.
Maubbnbrichbr, Jahrb. f. Philol Suppl. XXI
316 ff. richtet arge Confusion an, indem er
die Worte des Servius als solche des Varro
(angeblich de 1. 1. VI 14, wo nichts der Art
steht) citiert und dann natürlich findet, dass
Servius den Varro wOrtlich ausgeschrieben
habe. Die lange allgemein verbreitete An-
sicht, dass die auf den Denaren des L. Ho-
stilius Sasema (Babblon, Monn. cons. I 552 f.)
dargestellten Köpfe mit wirrem Haar auf
Pavor und Pallor zu beziehen seien, ist von
W. Fröhnbb, Philol. Suppl V 84 und R. Mo-
WAT, Rev. numism. 3. s4r. IX 1891, 279 ff.
endgiltig widerlegt worden.
^) Vgl. Symm. ep. I 21. August, c. d.
V 12.
*) V. DoMASZBWSKi, Wostd. Zeitschr. XFV
40 ff.; sonstige Weihungen an Honos und
Virtus gemeinsam CIL VIII 6951. XI 2910 f.
•) Cic. de nat. deor. II 61. Liv. XXVII
25, 7. XXIX 11, 3. Val. Max. I 1, 8. Plut.
Marc. 28.
136
Religion und Knltiis der Römer. II. Götterlehre.
reichen Kunstscbätze, mit denen es namentlich aus der sicilischen Beute
ausgestattet war, oft erwähnt, ^ und noch Vespasian unterzog es einer
Renovation und liess es durch angesehene Künstler ausmalen (Plin. n. h.
XXXV 120); wenn daher Cass. Dio LIV 18, 2 berichtet, dass Augustus im
J. 737 = 17 das Fest des Honos und der Yirtus auf den noch zu des
Erzählers Zeit geltenden Termin verlegt habe, so bezieht sich diese An-
gabe gewiss auf den Festtag dieses angesehensten Tempels des Götter-
paares, und zwar war dieser, wie Mommsen (CIL P p. 319) einleuchtend
vermutet, der Tag der von ihm ausgehenden transvectio equüum. Einen
zweiten Tempel beider Gottheiten erbaute C. Marius de manubiis dmbricis
et Teutonicis*) auf einer der Anhöhen Roms, aber unterhalb des Gipfels
(Fest. p. 344); er war ein Werk des Architekten C. Mucius und wird
wegen seiner harmonischen Verhältnisse von Vitruv (III 2, 5. VII praef. 17)
gerühmt. Dass auch Pompejus dem gleichen Paare Verehrung zollte,
beweist der Umstand, dass er, wie der Venus Victrix und der Felicitas,
auch Honos und Virtus auf der Höhe des von ihm erbauten steinernen
Theaters Heiligtümer errichtete, die alle zusammen am 12. August ihr
Jahresfest begingen (CIL P p. 324). Daneben gab es noch ein Einzel-
heiligtum des Honos vor Porta CoUina, erbaut, weil man dort zufallig ein
Blechplättchen mit der Aufschrift Honoris gefunden hatte,^) und einen
vom jüngeren Scipio nach der Einnahme von Numantia errichteten Altar
der Virtus (Plut. de fort. Rom. 5). Auf Münzen der ausgehenden Republik
begegnen uns die Köpfe von Honos und Virtus bald vereint, bald ge-
trennt, ersterer lockig und bekränzt, letzterer behelmt,^) in der Kaiserzeit
findet sich Honos allein auf Münzen der älteren Zeit von Galba bis Marc
Aurel, Virtus noch etwas länger, beide zusammen auf Münzen des Galba:
die Darstellungsform ist im wesentlichen immer die gleiche, Honos wird
gebildet als halbbekleideter Jüngling mit Speer und Füllhorn, Virtus mit
Helm und Schwert, gestiefelt und im kurzen Gewände nach Art der Ama-
zonen;') ausserdem weisen die Münzen der späteren Kaiserzeit noch sehr
häufig Umschriften wie Virtus Augusti (auch mit Beifügung des Namens),
Virtus Romanorum, Virtus exercitus, Virtus militum ohne Darstellung ihrer
Gestalt auf. In der Dichtung spielt Virtus als Vertreterin mannhafter
Tüchtigkeit eine erheblich grössere Rolle als Honos, ^) im Kulte jedoch
^) Zeugnisse in Roschbrs Lexikon 1 2708;
zeitweise (vor 565 = 189) wird die kleine
bronzene aedictda Camenarum, angeblich eine
Stiftung Nuraas, hier aufbewahrt, Serv. Aen.
I 8; das Bild der Virtus stürzt um im J. 716
= 38, Cass. Dio XLVHI 43, 4.
«) CIL P p. 195 elog. XVIII = CIL XI
1831; sonst wird der Tempel nur noch er-
wähnt bei einer der für die Rückberufung
Ciceros wichtigen Senatsverhandlungen, bald
als templum Virtutis (Cic. Sest. 116), bald
als monumentum Marti (Cic. Plane. 78; de
div. I 59 = Val. Max. I 7, 5), vgl. Schol.
Bob. p. 209. 305 Or., der aus Missverständnis
der Stelle Sest. 116 von ludi Honoris atque
Virtutis spricht, die es in Rom nie gegeben
hat, wohl aber in Tarracina (CIL X 8260).
*) Cic. de leg. II 58; in der Gegend ge-
funden ist die archaische Inschrift CIL VI
3692.
^) Beide zusammen Babblon, Monn. cons.
I 512; Honos allein ebd. I 469 f. II 148;
Virtus allein ebd. I 213.
») Vgl. RosoHKES Mythol. Lexik. I 2708 f.
und s. über sonstige Denkmäler E. Pitrgold,
Archaeol. Bemerk, zu Claudian und Sidonius
(1878) S. 26 ff.; Miscell. Capitolina (1879)
S. 22 ff. F. WiBSELBR, Abhandl. d. Götting.
Gesellsch. d. Wissensch. XXX 24 ff. M. Matbb,
Aroh. Zeit. XLII 1884 S. 280.
') Einiges bei R. Ekoblhabd, De per-
sonificat. quae in poesi atque arte Roman,
inveniuntur p. 18 f.
A. Di indigetes. 23, Mani.
137
scheint dieser voran gestanden zu haben ; >) die Arvalen wenigstens opfern
nie der Virtus, aber einmal (im J. 66 wegen der Entdeckung der pisoni-
schen Verschwörung, CIL VI 2044 I 5) dem Bonos, und zwar auffälliger-
weise eine Kuh, im Widerspruch mit der Vorschrift der römischen Sakral-
ordnung, nach welcher das Geschlecht der Opfertiere dem der Gottheit ent-
sprechen muss.^) Da der griechische Ritus diese Vorschrift nicht kennt, ^) so
lässt sich diese Abweichung — an einen Fehler im Protokoll ist nicht zu
denken — ^) nur unter der Voraussetzung verstehen, dass dem Honos graeco
ritu geopfert wurde, und diese Annahme findet ihre direkte Bestätigung
durch das Zeugnis des Plutarch (Qu. Rom. 13), dass man beim Opfer an
Honos das Haupt unbedeckt liess, also ebenfalls dem griechischen Cere-
moniell folgte. Da deutliche Anzeichen darauf hinweisen, dass im Mars-
tempel vor der Porta Capena der griechische Ritus früh Eingang fand (s. oben
S. 133 Anm. 8), so wird er von diesem auf den benachbarten und innerlich
von ihm abhängigen Gottesdienst des Honos übertragen worden sein.
In andrer Weise als Nerio steht neben Mars Bellona:^) nicht wie
jene eine alte Kultgenossin des Gottes, stellt sie vielmehr in derselben
Weise eine Verselbständigung der Haupteigenschaft und Hauptwirksamkeit
des Mars dar, wie Fides gegenüber Juppiter. Wie diese hat sie sich in
verhältnismässig kurzer Zeit zu eigner Persönlichkeit entwickelt; denn
schon in der Devotionsformel des P. Decius Mus (Liv. VHI 9, 6) erscheint
sie hinter der Trias Juppiter, Mars, Quirinus und vor den Lares (militares),
und eine der aus der Zeit etwa des ersten punischen Krieges stammen-
den schwarzen Trinkschalen mit Götterbildern trägt ihren Namen, wenn
auch in entstellter Form.^') Ein eigner Tempel wurde ihr von Ap. Clau-
dius Caecus im J. 458 = 296 in der Not des Kampfes gegen die ver-
einigten Etrusker und Samniter gelobt und einige Jahre nachher am
3. Juni eingeweiht ;0 er lag, wie es sich bei dem engen Zusammenhange
der Gottheiten von selbst ergab, in unmittelbarer Nähe der alten ara
Mariis zwischen dieser und dem (späteren) Circus Flaminius^) und wird
sehr häufig erwähnt als Sitzungslokal des Senates bei solchen Verhand-
lungen, die ausserhalb des Pomeriums stattfinden mussten, namentlich beim
Empfang von Gesandten mit Rom nicht im Vertragsverhältnis stehender
*) Aedes Honorus in Puteoli im J. 649
= 105 CIL X 1781; colUgium Virtutia in
Nepet CIL XI 3205; collegium Honoris et
Virtutis in Narbo CIL XII 4371.
•) Arnob. VII 19; vgl. Cic. de leg. II 29.
») P. Stkkobl, Jahrb. f Pbilol. CXXXIJI
1886 8. 324 fif.
^) So Oldenbibo, De sacris fratr. Arval.
p. 36 und dagegen C. Kbaüsb, De Roma-
nonun hostiis quaestiones selectae (Marpurgi
1894) p. 19 f.
') In älterer Form natürlich Duelona^
8. CIL I 196, 2. Varro de 1. 1. V 73. VII
49. Prise. III 497 K.
«) Bdolai pocolom CIL I 44 mit Dar-
stellnng eines scblangenharigen Frauenkopfes
(s. die Abbildung bei Jobdan, Symb. ad bist.
relig.Ital. alterae p. 14), d.h. der griechischen
Enyo.
') Liv. X 19, 17. Ovid. fast. VI 199 ff
CIL I* p. 319 und p. 192 elog. X 10 (= CIL
XI 1827). Plin. n. h. XXXV 12, wo ürlichs
richtig gesehen hat, dass die Angabe, der
Stifter des Tempels sei Ap. Claudius Cos.
259 = 495 gewesen, auf Interpolation beruht.
^) Dass die Ansetzung an der Westseite
des Circus (so z. B. Eibfbbt-Hülsen) unzu-
treffend ist und der Tempel viel weiter nach
Norden an die ara Martis und die Villa
publica hinaufzurücken ist, zeigt die Er-
zählung von dem Blutbade, das Sulla im
J. 672 = 82 in der Villa publica anrichten
liess, während er im benachbarten Bellona-
tempel Senat hielt (Cass. Dio frg. 105, 5
Melb. Liv. per. 88. Sen. de dem. 1 12, 2 u. a.).
138
Religion nnd KultiiB der Römer, ü. GOtterlehre.
Staaten und bei Beratungen über die Bewilligung von Triumphen.*) Vor
dem Tempel stand die columna bellica, an welche sich eine Ceremonie
des ins fetiale knüpfte: seit man die Kriege mit ausseritalischen Gegnern
führte und es nicht mehr thunlich war, wie der alte Brauch es verlangte,
durch Hineinwerfen einer hasta sanguinea praeusta aus dem römischen Ge-
biete in das feindliche Land die Kriegserklärung zu vollziehen,*) ersetzte
man das durch einen stellvertretenden Akt: ein beim Gircus Flaminius
gelegenes Stück Land wurde durch Rechtsfiktion (angeblich zuerst bei der
Kriegserklärung gegen Pyrrhus, indem- man einen kriegsgefangenen Sol-
daten des Pyrrhus nötigte, es zu kaufen) zu Feindesland gemacht und in
dieses von der als Grenzsäule gedachten columna bellica aus die Lanze ge-
worfen,^) eine Ceremonie, die nicht nur Augustus, sondern auch Marc
Aurel noch in Anwendung brachten.^) Sonst hat Bellona im Kulte selbst
bei den Soldaten keine Bedeutung gehabt, da sie seit dem Ausgange der
Republik durch die unter dem gleichen Namen in Rom verehrte kappa-
dokische Göttin von Komana (s. unten § 56) völlig in den Hintergrund ge-
drängt wurde; auf diese beziehen sich so gut wie ausschliesslich die
erhaltenen Weihinschriften,^) und auch im mythologischen Apparate der
Dichter bedeutet der Name nicht die altrömische Göttin, sondern entweder
die Kappadokierin oder die griechische Enyo.
Die sehr zahlreichen Weihinschriften und die Münzdarstellungen der
Kaiserzeit, die noch einer Sichtung und eingehenderen Prüfung bedürfen,
ergeben für die Auffassung des Gottes Mars nichts wesentlich Neues. Er
erscheint durchweg als der Kriegsgott, meist als der siegreiche Vor-
kämpfer ( Victor, Propugnator), auch als Bewahrer (Conservator) und Mehrer
des Reiches (Propagator imperii) und schirmender Begleiter des Kaisers
(Comes Augusti), oft auch als der durch die Gewalt der Waffen den Frieden
schützende Gott {Pamfer). Am häufigsten sind die Zeugnisse seiner Ver-
ehrung naturgemäss in den militärisch besetzten Grenzprovinzen, <^) und die
Soldaten fremder Nationalität haben mit Vorliebe ihre einheimischen
Götter, namentlich solche von hervorragender Bedeutung, wie den kel-
tischen Toutates*) und den germanischen Tiu,®) unter diesem Namen an-
gerufen.*)
Litteratnr: W. H. Roscheb, Stadien zur vergleichenden Mythologie der Griechen
und Römer. I. Apollon und Mars. Leipzig 1873; Mythol. Lexikon II 2385 ff. U. Useneb,
Rhein. Museum XKX 182 ff.
') Fest. p. 347; die Zeugnisse hei Momm-
BEN, Staatsr. III 930, 5.
*) Marqüabdt, Staatsverw. IN 422 und
8. unten den Abschnitt über die Fetialen.
»j Serv. Aen. IX 52. Ovid. fast. Vi 205 ff.
Paul. p. 33. Placid. p. 14, 2 Deuerl.
*) Cass. Dio L 4, 5. LXXI 33, 3.
•) Nur in der Verbindung Virtuti Bei-
lonae (CIL V 6507. Obelli 4983) möchte man
geneigt sein, einen Nachklang der älteren
Auffassung zu sehen (vgl. Plaut Amph. 42 f.
Viriutem Victariam Martern Bellonam); aber
die eine Inschrift (Orrlli 4983) scheint zu
den Taurobolien zu gehören (Litteratur bei
LiEBENAM, Vereinsw. S. 302 f.), und auf den
orientalischen Kult gehen jedenfalls die Worte
des Lact. I 21, 16 (sacra) Virtutis, quam ean-
dem Bellonam vocant, in quibtM ipsi sacer-
dotes non alieno sed «uo crtwre sacrificant.
*) Ueber den Aufschwung des Mars-
kultes im Heere seit der Mitte des 3. Jahrh.
vgl. V. DoMASZBWSKi, Westd. Ztschr. XIV
34 ff.
») CIL III 5320. VII 84.
^) Vgl. namentlich über Mars Thingsos
(Eph. ep. VII 1040) W. Schebeb, Sitz.Ber.
d. ßerl. Akad. 1884 S. 571 ff
^) Sammlungen bei Roscheb, Mythol.
Lexik. II 2397 ff.
A. Di indigetea. S4. Qnirinna.
189
24. Qnirinus. Quirinus pater^) gehört zu der gi^ossen Zahl der-
jenigen Gottheiten, welche, obwohl in der ältesten Zeit von hoher Be-
deutung, später derart verschollen sind, dass wir zu einer klaren Vor-
stellung von ihrem Wesen und ihrer Bedeutung nicht mehr gelangen
können: die Nachrichten über Form und Inhalt seines Kultes sind überaus
spärlich, und was die alten Schriftsteller über den Gott berichten, ist
fast ausnahmslos ohne Wert, weil es auf überwiegend ganz willkürlichen
Kombinationen beruht und ausserdem meistenteils die nachweislich spät
vorgenommene Identifikation des Quirinus mit dem vergötterten Romulus
zur Voraussetzung hat. Der Name, über dessen Herleitung in alter und
neuer Zeit viel gestritten worden ist,') ist der Bildung nach sicher ad-
jektivisch, mithin von Haus aus nicht Eigenname, sondern Attiibut einer
Gottheit und in dieser Geltung bei Janus (s. oben S. 96) und Juppiter
(CIL IX 3303) nachweisbar. Die Vermutung, dass auch Mars ursprüng-
lich diesen Beinamen führte und somit der Gott Quirinus eine selb-
ständig gewordene Seite des römischen Kriegsgottes darstellt,') findet
ihre Bestätigung sowohl in dem Umstände, dass einmal von den Waffen
des Quirinus die Rede ist,^) als auch darin, dass ihm die agonensischen
Salier in ganz derselben Weise dienen, wie die palatinischen dem Mars:^)
auch hat sich in der Gegend des alten Quirinustempels neben einer diesem
Gotte geweihten archaischen Inschrift (CIL VI 565) eine zweite an Mars
gerichtete gefunden (CIL VI 475, vgl. Mommsbn, CIL V p. 22). Nach einer
Nachricht^) trat in Quirinus mehr die friedliche Seite des Kriegsgottes
hervor, so dass er sozusagen ein Gott des bewaffneten Friedens, der auch
im Frieden stets kampfbereiten Bürgerschaft gewesen wäre, und diese
Überlieferung passt sehr wohl zu dem Namen, da bekanntlich Quirites
in derselben Weise im Gegensatze zu milites gebraucht wird.
' Ist somit in der alten Göttertrias Juppiter, Mars, Quirinus der letzt-
genannte nur eine von der zweiten Gottheit gewissermassen abgespaltete
*) Enn. aon. frg. 71 B. Lucil. frg. 8 B.
Verg. Aen. VI 859. Liv. V 52, 7.
') Die Alten leiten ihn entweder von
Cures ab (Ovid. f. II 480, vgl. Varro de 1. 1.
y 51. Fest. p. 185. 254) oder von angeb-
lich sabinischem quiris = Lanze (Ovid. f. II
478 f. Plut. Rom. 29. Serv. Aen. I 292);
letztere Etymologie, die auch bei den Neueren
vielfach Beifall gefunden hat (Bcbsu, Die
Gutturalen und ihre Verbindung mit v im
Lateinischen, Berlin 1885 S. 118 f., s. aber
auch MoHMSXN, Staatsr. III 5, 2) bietet nicht
nur lautliche, sondern auch sachliche Schwie-
rigkeiten, da ein ,speerschwingender* Janus
unerhört sein wfirde. Am meisten hat es
für sich, mit Nibbuhr (Rdm. Gesch. 1 321)
Quirites und Quirinus von einem alten Orts-
namen *Quiriufn abzuleiten, wie Samnites
und Latinus von Samnium und Latium. Vgl.
auch Bist, De Romae urbis nomine (Mar-
burg 1887) p. XIV f.
*) Dion. Hai. II 48. Plut. Rom. 29 u. a.
Vgl. MoMMSXN, Rom. Gesch. I 51. 161.
*) Fest. p. 217: persiUum ... rudus-
culum picatum, ex quo unguine fiamen Por-
tunalis arma Quirini unguit. Auf Denaren
des N. Fabius Pictor (Babbloh, Monn. cons.
I 484) sieht man allerdings in der Dar-
stellimg eines behelmten, mit Speer und
Schild ausgerüsteten Mannes mit der Bei-
schrift QVIRIN seit Eckhel meist mit Recht
nicht den Gott Quirinus (so Elüeomann,
Ztschr. f. Numism. VII 65), sondern den Fla-
men Quirinalis Q. Fabius Pictor; aber die
an dem Priester auffallende Bewaffnung wird
wohl von seinem Gotte auf ihn übertragen
sein.
^) Mabquabdt, Staatsverw. III 429.
•) Serv. Aen. I 292. VI 860: Quirinus
autem est Mars, qui probest paci et intra
civitatem colitur, nam belli Mars extra civi-
tatem templum habet. Birt a. 0. p. XVI ver-
weist auch auf Claudian. de IV cons. Hon. 8:
positisque parumper belhrum signis sequitur
vexilla Quirini.
140
Religion nnd KnltiiB der BOmer. II, GOtterlehre.
Person, so erklärt es sich, dass sein Priester unter den drei grossen Fla-
mines den niedrigsten Rang einnahm. Doch muss die Abspaltung bereits
in vorhistorischer Zeit erfolgt sein, da Quirinus in den ältesten sakralen
Urkunden schon als selbständiger Gott erscheint. Wenn Varro die Ein-
führung seines Kultes dem Könige T. Tatius zuschrieb und Quirinus zu
den ursprünglich sabinischen Göttern rechnete, die dieser König in Rom
heimisch gemacht haben sollte, >) so stützte sich das nur darauf, dass der
Kult des Gottes auf dem Collis Quirinalis lokalisiert war und Varro die
auf diesem Hügel angesiedelte Sondergemeinde für eine sabinische er-
klärte.') Das uralte Heiligtum des Gottes lag auf diesem Hügel nahe
der Porta Quirinalis; an seine Stelle trat im J. 461 = 293 durch L. Pa-
pirius Cursor ein hervorragender Tempel, welcher später, als er im J. 705
= 49 niedergebrannt war, von Augustus mit besonderer Pracht wieder-
hergestellt wurde; bei der Einweihung dieses Neubaues im J. 738 = 16
wurde der bisher am 29. Juni begangene Stiftungstag auf den 17. Februar
verlegt.') Dies ist zugleich der alte Festtag des Gottes, von dessen Feier
wir leider garnichts wissen, da die Erklärer des Festkalenders zu diesem
Tage nur von dem zuföUig auf ihn fallenden Schlussakte der Fornacalia,
den sogenannten stultorum feriae (s. unten S. 142) zu berichten wissen, die
an sich mit Quirinus nichts zu thun haben. ^) Auch was uns von den Ob-
liegenheiten des Flamen Quirinalis bekannt ist, gibt uns über das Wesen des
Gottes keinen Aufschluss: denn wenn wir ihn an Kulthandlungen im Dienste
andrer Gottheiten, der Larenta (Gell. VH 7, 7), des Robigus (Ovid. fa«t.
IV 910), des Consus (Tertull. de spect. 5), beteiligt finden und an ihm ge-
wisse Beziehungen zum Vestakulte zu bemerken glauben,*) so dürfen wir
daraus kaum auf eine innere Verwandtschaft dieser Gottheiten unter
einander schliessen, sondern es gewinnt den Anschein, als sei der im
eigenen Dienste wenig beschäftigte Priester aushilfsweise auch für die
Verehrung anderer Gottheiten, die keinen besonderen Priester hatten,
herangezogen worden. Weihinschriften fehlen ausser der oben erwähnten
vollständig, •) dass man bei ihm mit dem Ausdrucke equirine schwur, wissen
wir aus einem vereinzelten Zeugnisse (Paul. p. 81). Von Interesse ist eine
Notiz des Arvalkalenders zum 23. August (CIL P p. 326), wonach an diesem
Tage, den Volcanalia, einer Reihe von Gottheiten behufs Abwendung von
Feuersgefahr ein wahrscheinlich von Augustus angeordnetes Opfer dar-
gebracht wurde, und zwar ausser Volcanus den Nymphen, (der Juturna?),
der Ops Opifera und dem Quirinus;^) wie Quirinus in diese Gesellschaft
kommt, vermögen wir allerdings nicht mehr zu ermitteln.
*) Varro de 1. 1. V 74 (vgl. denselben
bei Dion. Ual. 11 48, wo Quirinus in der
Stammsage von Cures als Vater des Stadt-
gründers Modius Fabidius erscheint). Dion.
Hai. II 50. Ambrosch, Studien u. Andeu-
tungen S. 169 f.
^) S. dagegen Momhsen, Rom. Gesch.
I 53.
») Lanoiani, Bull. arch. com. XVII (1889)
S. 386 ff. 379 ff. WissoWA, Hermes XXVI
137 ff.; Analecta Romana topographica (Halis
1897) p. 13 ff
*) Varro de 1. 1. VI 13. Fest. p. 254.
Ovid. f. II 475 ff. Plut. Q. R. 89 Haltlose
Combinationen bei Gilbert, Topogr. II 132 f.
*) Mabquabdt, Staatsverw. 111 336, 2.
*) Die Schlüsse, die M. Büdivgeb, Jahrb.
f. Philol. LXXV 1857 S. 198 ff. aus der Le-
gende vom hlg. Quirinus auf Bedeutung und
Fortdauer des Quirinuskultes bis ins späteste
Altertum zieht, sind nicht zwingend.
^) Jordan, Eph epigr. I p. 229. Aust,
De aedibus sacris p. 41. Wissowa, De feriis
anni Rom. p. VII; Hermes XXVI 141, 1.
A. Di.lndigetea. 26. Vesta«
141
Seit dem letzten Jahrhundert der Republik^) kommt, wir wissen
nicht durch wen, die Meinung zur allgemeinen Geltung, dass Quirinus
nichts anderes sei als der zum Gotte erhobene Stadtgründer Romulus,
dessen Kult durch Numa eingesetzt worden sei;^) Caesar und Augustus,
von denen der erstere eine Statue im Quirinustempel erhielt,') der zweite
selbst als Quirinus gefeiert wurde,^) scheinen diese neue Version beson-
ders begünstigt zu haben, ^) und seitdem kommt der Name in der Litteratur
kaum anders vor als in Anwendung auf Romulus.^)
Diese Umgestaltung hat sich auch auf eine mit Quirinus verbundene
Gottheit erstreckt. In alten Gebetsformeln wurde neben ihm eine Hora
Quirini genannt, von der ausser dem Namen nichts bekannt war;^) als
man Romulus mit Quirinus identifizierte, setzte man auch des ersteren
Gemahlin Hersilia^) mit Hora gleich, und Ovid erzählt, wie die nach der
Entrückung ihres Gemahles trostlose Hersilia von Juno auf den Quirinal
beschieden wird und von da in den Himmel gelangt, wo sie als Hora
neben ihrem zum Gotte Quirinus erhobenen Gemahle verehrt wird.^) Unter-
geordnete Gottheiten dieses Kreises sind dieVirites Quirini, von denen
wir nichts als den Namen aus jenen nämlichen alten Gebetsformeln (Gell.
Xin 23, 2) kennen, ohne ihr Wesen genauer bestimmen zu können; denn
mit den Vires oder Virae,*®) die uns namentlich in Oberitalien in Gesell-
schaft der Nymphen begegnen, haben sie ganz gewiss nichts zu thun.
25. Yesta. Vesta mater, das einzige weibliche Mitglied des Kreises
der obersten Götter der alten Rangordnung, steht in naher Beziehung zu
Janas pater, und dieses Paar, dessen Kult von späteren Veränderungen
weniger betroffen worden ist, als die meisten andern Gottesdienste, ver-
körperte dem Römer der Folgezeit so recht die Religion der Altvorderen:")
auf den Zusammenhang beider weisen sowohl alte, halbverschollene rituelle
Beziehungen der vestalischen Jungfrauen zum Rex sacrorum, dem Priester
des Janus, hin,'«) wie namentlich die bereits erwähnte (S. 91) Vorschrift
') Das älteste Zeugnis ist vielleicht der
Quirinoskopf auf Denaren des G. Memmius
(etwa 694 = 60, Babblon, Monn. cons. II
218), falls MoMXSBKS Vermutung (Manzw.
S. 642) richtig ist, dass die Memmier als
angeblich troische Famihe ihren Stammbaum
bis auf Romulus-Quirinus zurückführten. Bei
Cicero de offic. Ill 41 (peecavit igitur, pace veJ
Quirini vel Romuli dixerim) zeigt der Wortlaut,
dass die Identifikation noch ziemlich neu ist.
») Ovid. met. XIV 805 ff.; fast. II 475 ff.
Dien. Hai. II 63. Flut. Rom. 29; Num. 7.
Plin. n. h. XV 120. Serv. Aen. I 292.
») Cass. Dio XLIII 45; vgl. Cic. ad Att.
XII 45, 3. XIII 28, 3.
<) Verg. Georg. III 27; vgl. Serv. Georg,
m 27; Aen. I 292.
*) Dieselbe hat daher auch in das pom-
pejaniscbe Elogium des Romulus (CIL X
o09) Aufnahme gefunden: receptu8que in
deorum numerum Quirinus appelJatus est,
>) Vgl. auch die eigentümliche Wendung
geminos . . Quirinos (Juven. 11, 105) für Ro-
mulus und Remus.
') Gell. Xlll 23, 2. Enn. ann. frg. 71 B.;
Flut. Q. R. 46 verwechselt mit ihr eine sonst
unbekannte Göttin Herta, deren Tempel nach
seiner Angabe stets geöffnet war.
■) üeber diese vgl. Flut. Rom. 14. Liv.
I 11, 2.
») Ovid. met. XfV 829 ff.; vgl. Wis-
sowA, Fhilol. Abhandl. M. Hertz dargebracht
S. 167.
»») Fest. p. 261. Nymphis et Viribus
Äugustis CIL XI 1162; Lgmfis Viribus CIL
5648 (Gbutkb 1011, 1 Dianae Victrici et
Viribus ist unecht = CIL VI 3200*); TtV»-
bus allein CIL VI 797 (mit JagdrelieO- V
1964. 4285 (neben Neptun). 8247. 8248; beim
Taurobolium CIL V 6961 f. Vi divinai CIL
V 837. üeber die Virgines divae der Arval-
akten (s. auch CIL XII 1838) vgl. Hbbzbn,
Acta fr. Arv. p. 145.
»») Vgl. z. B. Juven. 6, 386: et farre et
vino lanum Vestamque rogabat.
»*) Serv. Aen. X 228: virgines Vestaies
certa die ibant ad regem sacrorum et dice-
bant: ,vigilasne rex? rigila*.
142
Religion und Knltna der Römer. EL. Götterlehre.
der rdmischen Opferregel, wonach in den zur Anrufung gelangenden Götter-
reihen überall Vesta an letzter, Janus an erster Stelle genannt werden
musste. Während uns aber Janus nur auf römischem Gebiete begeg*
nete, sind sowohl der Name wie die Grundanschauungen des Vestakultes
den Italikem mit den Griechen gemeinsam, und wir müssen annehmen,
dass schon in der Zeit vor der Trennung beider Völker diese Göttin bei
ihnen Verehrung fand. Demnach muss der Kult auch Gemeingut aller
italischen Stämme gewesen sein: doch finden sich ausserhalb Latiums nir-
gends mehr sichere Spuren desselben, und man wird annehmen dürfen,
dass erst auf latinischem Boden ^) und speziell in Rom diejenigen Anschau-
ungen zur Ausgestaltung gelangten, die dem Vestakulte eine so hervor-
ragende Bedeutung in der privaten und öffentlichen Gottesverehrung
sicherten. Name und Ritual der Göttin lassen daran keinen Zweifel auf-
kommen, dass sie die göttliche Verkörperung des Herdfeuers ist:*) am
Herde, gewissermassen im Herzen des Hauses, waltet die Hausfrau, und
sie ist es, welcher naturgemäss die Pflege des Kultes der Herdgöttin zu-
föllt: Cato (de agric. 143) zählt unter den Obliegenheiten der vüica auch
die auf focum purum circumversum coiidie^ priusquam cubitum eat, habeatf
und in dieser Fürsorge für die Reinheit des Herdes, welche die Grund-
lage für die Verehrung der Vesta bildet, ist die vüica natürlich nur die
Stellvertreterin der Hausfrau. Als Göttin des Herdes, auf dem die Nah-
rung für die Hausgenossen zubereitet wird, hat Vesta auch die Aufsicht
über die gesamte Herstellung der Nahrungsmittel, und darum ist sie auch
bei der ländlichen Darbringung eines Imbisses {daps) an Juppiter Dapalis
(Cato de agric. 132; s. oben S. 105) beteiligt. Ausser dem Herde ist ihr
auch das pistrinum mit der Mühle und dem die Mühle drehenden Esel
heilig,*) und das Staatsfest der Göttin, die Vestalia am 9. Juni, wird nicht
nur von den Hausfrauen mit Speiseopfern begangen, sondern ist auch ein
besonderer Festtag der Bäcker und Müller.^) Ein Fest von verwandter
Art waren die im Februar auf Ansage des Curio maximus als Staatsfest
pro curiis gefeierten Fornacalia, die in den einzelnen Gurien an verschie-
denen Tagen begangen wurden und schliesslich in den — mit den Quiri-
nalia zusammenfallenden — stultorum feriae am 17. Februar ihren Abschluss
fanden, an welchem Tage alle diejenigen opfern' konnten, die aus Nach-
lässigkeit oder Unkenntnis ihrer Curienzugehörigkeit das eigentliche Opfer
versäumt hatten.^) Eine Göttin Fornax hat erst der übel angebrachte
Scharfsinn späterer Zeit daraus erschlossen,^) in der That galt die Feier
den fornaces, den Dörröfen, in denen man den Spelt röstete, ehe man ihn
stampfte,^) ein Verfahren, das später nach Einführung der Mühlen seine
Bedeutung verlor; offenbar war es ein Fest der Genossenschaften, die einen
') Vestakult und vestalische Jungfranen
kennen wir in Lavinium (Serv. Aen. II 296.
lil 12. Macr. S. III 4, 11), Alba (Juv. 4, 61.
Ascon. p. 35. CIL VI 2172) und Tibur (CIL
XIV 3677. 3679).
«) Vgl. Verg. Georg. IV 384: ier liquido
ardentem perfudit nectare Vestam,
») WissowA, Annali d. Inst 1888 S. 160 ff.;
vgl. JoRDAK, Der Tempel der Vesta und das
Haus der Vestalinnen S. 18 f.
*) Ovid. fast. VI 309 ff. 0. Jah», Ab-
handl. d. sächs. Gesellscb. d. Wissensch. V
314 f.
*) Ovid. fast. II 513 ff. Varro de 1. L
VI 13. Fest. p. 254. 317. Plut. Q. R. 89.
«) Ovid. f. II 525. Lactant. I 20, 35.
') Farris torrendi feriae Plin. n. h
XVIII 8. Paul p. 83. 93.
A. Di indigetes. 25. Vesta.
143
gemeinsamen Dörrofen benützten (analog den Gompitalia, Terminalia u. a.)
und wurde so zum Gurienfeste; die Zeit der Feier ist dadurch gegeben,
dass das Dörren der im Laufe des Winters ausgedroschenen Frucht im
Februar beendet war.
Die Vesta des Privathauses und der Einzelgenossenschaft tritt jedoch
in unserer Überlieferung stark zurück gegen die Yesta publica populi
Romani Quiritium. Die römische Anschauung, welche Gemeinde und
Familie stets in Parallele setzt, findet ihren eigensten Ausdruck in der
Errichtung eines Staatsherdes, an welchem in Vertretung der Hausfrau
die sechs vestalischen Jungfrauen für die Unterhaltung des Feuers und
die Bereitung der Nahrung sorgen, nur mit dem Unterschiede, dass die
letztere nicht dazu bestimmt ist, von Menschen genossen zu werden, son-
dern bei den Staatsopfern Verwendung findet. Zu diesem Behufe em-
pfangen die Vestalinnen im Mai (7. — 14. Mai) die Speltähren der neuen
Ernte, welche sie dörren, zerstampfen und mahlen, um aus diesem Mehl
an drei bestimmten Tagen des Jahres (Lupercalia, Vestalia und Idus des
September) durch Zusatz von Salz das Opferschrot {mola scdsa) zu bereiten
(Serv. Ed. VIII 82); die aus gestossenem, gerösteten und in Wasser ge-
lösten Salze bestehende Lake, die dabei zur Verwendung kam, führte den
Namen muries (Paul. p. 159). Der noch jetzt in Resten erhaltene kleine
Rundtempel der Vesta ist der älteste Tempel Roms und hat nie ein Bild
der Göttin,^) sondern stets nur den heiligen Herd umschlossen, auf dem
das immerwährende, an jedem 1. März (dem alten Neujahr) unter be-
stimmtem Ceremoniell erneuerte Feuer der Göttin brannte.') Im Innern
des Raumes befand sich ein mit Teppichen verhängtes Allerheiligstes, der
penus Vestae, in dem die von den Vestalinnen bereiteten Opferingredien-
zien und andre Opfervorräte aufbewahrt wurden und welches nach der
Meinung vieler auch gewisse geheimnisvolle Symbole und Unterpfander
der römischen Macht, wie namentlich das angeblich troische Palladium,
bergen sollte.') Ein Wissen über diese Dinge war nicht möglich, denn
Tempel und Penus durften nur von den Priesterinnen und ihrem Aufseher,
dem Pontifex maximus, betreten werden;^) nur um die Zeit des Festes
der Vestalia, in den Tagen vom 7.— 15. Juni, wo die grosse Reinigung
des Tempels vorgenommen wurde, war den Frauen der Zutritt gestattet.
Die Wegschaffung des Kehrichts aus dem Tempel geschah nach besonderen
Vorschriften: es wurde am 15. Juni (der Tag war bis zum Abschlüsse
dieses Aktes ein dies nefastus und ist daher im Kalender mit der Note
Q{uando) ST{ercu8) Dielatum) F(as) bezeichnet) nach einem eigenen Auf-
bewahrungsorte am capitolinischen Bergwege gebracht und von da, so
') Das bezeugt Ovid. fast VI 296 ans-
drficklich; die en^egenstebende Ueberliefe-
rang (s. Jobdan, Tempel der Vesta S. 68)
beweist hScbstens die Existenz eines Bildes
vor oder neben dem Tempel. Ueber die
Darstellungen der römischen Vesta auf Denk-
mälern 8. WissowA, Annali d. Inst. 1883
S. 160 f. Wenn S. Rbinach (Revue arch^ol.
XXXI 1897 p. 313 ff.) auf einem gallischen
Altar ein ganz eigenartiges Bild der Vesta,
das er für das .altrömische" hält, nachweisen
zu können glaubt, so beruht das auf der irr-
tümlichen Voraussetzung, dass Ovid. fast. III
45 f. eine Vestastatue beschreibe.
») Ovid. fast. III 143 ff. Macr. S. I 12, 6.
») Fest. p. 2.')0. Plut. Camill. 20. Dion.
Hai. II 66; vgl. Marqüabdt, Staataverw. III
250, 7.
*) Dion. Hai. II 66. Hist. Aug. Elag. 6.
144
Religion und Knltos der Römer. II. GOtterlehre.
oft das Behältnis voll war, in den Tiber abgeführt. 0 Überhaupt herrscht
im Kulte der Vesta allerwege ein uraltes, bis ins kleinste ausgebildetes
Geremoniell: nur Quell wasser, nicht aus Leitungen entnommenes, darf in
ihrem Dienste zur Verwendung kommen, und in älterer Zeit müssen die
Vestalinnen selbst den täglichen Bedarf aus dem Quell der Egeria vor
Porta Gapena holen ;^) die Erneuerung des infolge von Unachtsamkeit einer
Vestalin erloschenen Feuers erfolgt in uralter Weise durch Reiben eines
Holzstückes auf einer Tafel vom Holze einer arbor felix (Paul. p. 106);
das Tempelgeschirr war von der einfachsten Art und — wenigstens teil-
weise — ohne Hilfe der Töpferscheibe gearbeitet:^) so umgab den ganzen
Kult der Nimbus hohen Alters und äusserster Ehrwürdigkeit, und auch
auf die Priesterinnen der Göttin fiel ein starker Abglanz dieser Ehrfurcht.
Als Herrin des Staatsherdes wird die Qöttin auch in besonderer Weise
bei allen Fährnissen und Bedrängnissen des öffentlichen Lebens von Staats-
wegen angerufen, und dem Gebete ihrer Priesterinnen wohnt der allge-
meinen Überzeugung nach eine ausserge wohnliche Kraft inne.^) Der
höchste Staatspriester, der Pontifex maximus, steht als rechtlicher Ver-
treter und Vorgesetzter der Vestalinnen in nächster Beziehung zu diesem
Kulte und wird darum vereinzelt geradezu als sacerdos Vestae bezeichnet i^)
daher setzt der Festkalender von Cumae zur Erinnerung an den Tag,
an welchem Augustus die Würde des Pontifex maximus übernahm (6. März
742 = 12 V. Chr.), eine supplkatio Vestae dis publicis penatibus p. R. Q.
an,<^) und der Kaiser gründet bei dieser Gelegenheit auf dem Palatino)
in unmittelbarer Verbindung mit seinem Palaste ein neues Heiligtum der
Vesta, dessen Stiftungsfest am 28. April begangen wird und dessen Tempel-
bild (die sitzende Göttin trägt das troische Palladium auf der ausgestreckten
Hand) uns häufig auf den Münzen der Kaiserzeit begegnet:^) so gewinnt
der Herd des kaiserlichen Hauses und seine Göttin eine besonders hohe
Bedeutung (s. oben S. 69).
Im Privatkulte der späteren Zeit, wie ihn uns die Weihinschriften
kennen lehren, spielt Vesta eine ganz untergeordnete Rolle, indem sie
hinter den weiteren Begriff der Penaten zurücktritt; im Staatskulte aber
ist ihre Stellung als Hauptvertreterin der altrömischen Religion bis zum
Untergange des Heidentums unangetastet geblieben: das tritt namentlich
darin hervor, dass, als unter Aurelian der neu eingeführte orientalische
Sonnendienst einer neu geschaffenen geistlichen Behörde, den pontifices
Solisj unterstellt wird, die alten Pontifen zum Unterschiede allmälig die
Bezeichnung pontifices Vestae annehmen, die in ihrer nahen Beziehung zum
Vestakulte begründet ist.^)
Sehr früh verschollen ist eine Gottheit von anscheinend verwandter
Natur, die Caca, welche in Rom eine Kapelle besass und wie Vesta
0 Varro de 1. 1. VI 32. Fest. p. 344.
Ovid. f. VI 713.
*) Fest. p. 161. Plut. Numa 13; vgl.
Tac. bist. IV 53.
») Val. Max. IV 4, 11; vgl. Paul. p. 159.
<) Cic. pro Font. 46. Hor. c. I 2, 26.
») Ovid. fast. Ill 699. V 573.
•) CIL X 8375. Ovid. fast. III 417.
') Vgl. WissowA, Hermes XXI 144. Hül-
sen, Rom. Mitt. X 1895 S. 28 flf.
^) Stbvenson, Dictionaiy of Roman coins
S. 854 f.
*) P. Habbl, De pontificnm Romanoram
condicioue publica (1888) p. 99.
A. Di indigetes. 26. Di penatee.
145
durch ein immer brennendes Feuer verehrt wurde ;0 aetiologische Erfin-
dung hat ihre Verehrung mit der Erzählung vom Kampfe des Hercules
und Cacus zusammengebracht,*) in Wahrheit scheinen Cacus und Gaca
ein altes Götterpaar darzustellen, das schon vor Fixierung des Kalenders
zurücktrat und später gänzlich in Vergessenheit geriet.')
Litteratnr: A. Pbsünbb, Hestda-Vesta. Ein Cyclas religionsgeschichtlioher For-
Bchangen. Tübingen 1864. H. Jordan, Der Tempel der Vesta und das Haus der Vesta-
linnen. Berlin 1886.
26. Di penates. Da der Herd im Hause zugleich die Stelle des
Altars vertrat, so bildete er die Verehrungsstätte nicht nur für die eigent-
liche Herdgottheit Vesta, sondern auch für alle andern Hausgötter, d. h.
Penaten, Laren und Genius. Entsprechend der Nachbarschaft von Herd
(bezw. Küche) und Vorratskammer war die Verbindung von Vesta und
den Penaten die engste, und die Frage, ob Vesta in die Penaten mit ein-
begriffen oder nur ihre ständige Begleiterin sei, ein Gegenstand gelehrter
Erörterung.*) Der Name penates^ der wie alle Bildungen auf -as {nostras,
infemas u. s. w.) die lokale Zugehörigkeit ausdrückt, kennzeichnet sie als
die im penus, in der Vorratskammer, wohnenden und waltenden Götter;
er kommt ausschliesslich im Plural vor und heisst in offizieller Form und
genauem Ausdrucke stets di penates, nicht schlechtweg Penates; das be-
weist, dass wir es hier nicht wie bei den Lares (nicht di lares), Castores,
Lymphae u. a. mit einem Eigennamen, der Bezeichnung bestimmter Götter-
individuen, zu thun haben, sondern dass der Name ähnlich wie di indi-
getes, di consentes, di agrestes u. a. eine Zusammenfassung verschiedner
Gottheiten unter einem bestimmten Gesichtspunkte enthält. Es sind die-
jenigen Gottheiten, die über den Vorrat, also den Wohlstand des Hauses
wachen, mithin die eigentlichen Schutzgötter der Wirtschaft,'*) di fami-
liäres.*) Unter dieser Vorstellung können in jedem Hause andre Zusam-
menstellungen von Göttern verehrt werden, da an sich jeder Gott in den
Kreis der Penaten dieser oder jener Familie eintreten kann. Lehrreich
hierfür sind namentlich die Wandmalereien, welche sich zu Pompei in den
Küchen vieler Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft des Herdes ge-
funden haben ; ') zwischen den beiden Laren und oft neben dem opfernden
Genius begegnen uns Göttervereinigungen, deren Personal ein wechselndes
ist, Vesta, Juppiter, Venus (die Stadtgöttin von Pompeji), Vulcan, Mercur,
Fortuna u. a. treten in den verschiedensten Kombinationen, meist in
Gruppen zu zwei, auf, und mit vollem Rechte hat man in ihnen die Penaten
der betreffenden Häuser erkannt.®) Die Frage, ob Vesta neben den Pe-
*) Serv. Aen. VIII 190: sacellum meruit,
in quo ei pervigili igne siciU Vestae sacri-
fieabatur; so die Lesung des cod. Floria-
censis, wahrend die Vulgata bietet: in quo
ei per virginea Veatae sacrifieahatur,
*) Serv. a. a. 0. Lact. I 20, 36.
*) WissowA in Roschers Lexik. I 842
und s. unten § 41.
*J Macr. S. III 4, IL Serv. Aen. II 296.
^) Serv. Aen. II 514: penates sunt om-
nes dei qui domi eoluntur; vgl. III 12. Cic.
de nat deor. II 68.
Eandbucb der Uubm. AltertumswineDschaft. V, 4.
•) CIL IX 4776. Obblli 2118.
^) Mit gleicher Bestimmung finden sich
auch entsprechende Gröttergruppen alsBronce-
figürchen innerhalb kleiner aediculae; z. B.
ScHBBiBBR, Bilderatlas Taf. XVIII 6; vgl.
Mabquardt-Mau, Privatl. I 240.
•) Hblbig, Wandgem. d. v. Vesuv ver-
schfltteten Städte Campaniens S. 19 ff. Nach-
träge bei SoouANo, Pittnre murali Gampane
Nr. 33 flF. Vgl. A. Db-Mabchi, U culto pri-
vate I 79 ff.
10
146
Religion und KnltOB der BOmer. IL GOtterlehre.
naten oder als eine von ihnen verehrt wurde, findet durch diese Bilder
im letzteren Sinne ihre Beantwortung, und es erklärt sich auf diese Weise,
warum wir so selten von der häuslichen Verehrung der Yesta, um so
häufiger aber von der der Penaten hören. ^) Der Kult dieser Penaten hielt
sich streng innerhalb der Grenzen des einzelnen Hauses, nur haben in
der Eaiserzeit die Penaten des Kaiserhauses auch öffentliche Verehrung
genossen, und die Arvalbrüder opfern pro salute et reditu des Nero ante
dotnum Domitianam dis penatibus vaccam.^)
Natürlich ist anzunehmen, dass die Verehrung der Penaten ur-
sprünglich eine bildlose war und man überhaupt mit dem Namen nicht
die Vorstellung von bestimmten menschenähnlichen Wesen verband, sondern
ähnlich wie bei den allgemeinen Anrufungsformeln (s. oben S. 33) mit
der Zusammenfassung der Hausgötter unter einer derartigen generellen
und dehnbaren Bezeichnung den Zweck verfolgte, ja keinem göttlichen
Ansprüche zu nahe zu treten.') Noch deutlicher als im Hauskulte zeigt
sich das in der Staatsreligion, die ebenso wie eine Vesta publica p. R. Q.
auch Di penates publici p. R. Q. verehrt, und zwar ursprünglich jeden-
falls zusammen mit Vesta am Staatsherde, da ja der Vestatempel sowohl
diesen wie den penus des Staates umschliesst. Wie allgemein die Vor*
Stellung ist, die sich mit dem Begriffe di penates verbindet, zeigt sich am
klarsten darin, dass der Beamteneid der republikanischen Zeit — in der
Eaiserzeit treten der Genius des regierenden Kaisers und die Divi impe-
ratores hinzu — nur bei Juppiter und den di penates geschworen wird,*)
was nur verständlich ist, wenn der letztgenannte Ausdruck sämtliche für
Wohlstand und Wohlergehen der Gemeinde verantwortlichen Götter be-
zeichnet ; daher tritt vereinzelt im untechnischen Ausdrucke für di penates
die Fassung ceteri di omnes immortales ein.^) Auch sonst denkt man im
Sprachgebrauche des täglichen Lebens bei Di penates meist an den In-
begriff der römischen . Staatsgötter, und in diesem allgemeinen Sinne ist
wohl auch die Mehrzahl der den Di penates, namentlich in Verbindung
mit Juppiter,^) gewidmeten Inschriften der Kaiserzeit aufzufassen, wo der
Name dann nicht viel mehr bedeutet als das geläufige di deaeque omnes
und ähnliche Wendungen. Der Kult von Vesta und den Penaten, d. lu
den Göttern des römischen Staatsherdes, war nach der Anschauung der
republikanischen Zeit von Lavinium und Alba Longa entlehnt, da diese
nach allgemein herrschender Vorstellung die Muttergemeinden von Rom
waren und natürlich die neugegründete Stadt ihre Götter aus der Heimat
mitbringt; darum galten die Vesta und die Penaten von Lavinium (und
ebenso die des einstmaligen Alba) für identisch mit den römischen'') und
») Vgl. z. B. Verg. Aen. I 704: cura
penum atruere et flammU adoUre penates y
wo penates geradezu für foeus gesetzt ist,
wie sonst (oben S. 142 Anm. 2) Vesta. Serv.
Aen. XI 211. III 176. II 469.
') Henzik, Acta fratr. Arval. p. 85.
*) Einmal (Obblu 2118) heisst es sogar
ganz vorsichtig dis deabus penatibus.
*) MoMMSEN, Abhandl. d. sächs. Gesellsch.
d. Wissensch. IH 460; Staatsr. II 783.
') So in der Eidesformel von Aritinm
in Lositania CIL II 172: luppiter optimus
maximtis ae divus Augustus eeterique omnes
di immartcUes.
•) CIL X 331. III 1081 n. a. Der Privat-
mann schwört per genium deosque penates
(Hör. epist. I 7, 94).
0 Varro de 1. 1. V 144. Dion. Hai. I
67. Plut. Coriol. 29; in einer pompejanischen
Inschrift aus der Zeit des ClandiUB (CIL X
A. Di indigetee. 26. Di penatee. 147
wurde ihnen alljährlich durch die römischen Consuln bald nach ihrem
Amtsantritte ein Staatsopfer in Lavinium dargebracht.^) Wann die Di
penates publici p. R. Quiritium in Rom einen eigenen Tempel erhielten,
lässt sich nicht mit voller Sicherheit ermitteln; erwähnt wird die aedes
deum penatium in Velia zuerst 587 = 167 (Liv. XLV 16, 5), doch macht
die Lage und die ganze Beschaffenheit des Tempels, der uns von einem
Augenzeugen augusteischer Zeit (Dion. Hai. I 68) als ein kleines, von über-
ragenden Baulichkeiten fast verdecktes Gebäude geschildert wird, ein er-
heblich höheres Alter wahrscheinlich ; durch Augustus wurde das Heiligtum
wiederhergestellt.*) In diesem Tempel erfuhr die Vorstellung von den
Staatspenaten eine eigentümliche Veränderung und Vei*flachung. Der
Wunsch, nach griechischem Vorbilde die verehrten Götter im Bilde dar-
zustellen, nötigte an die Stelle des undarstellbaren allgemeinen Begriffes
von Gottheiten des Staatswohles bestimmte göttliche Individuen zu setzen ;
wie die Privatleute nach Ausweis der pompejanischen Bilder sich einzelne
Götter zu Penaten ihres Hauses wählten, so musste auch der Staat unter
den von ihm anerkannten Göttern zu diesem Zwecke eine Auswahl treffen,
und diese fiel auf die Dioskuren, deren Kult früh in Latium eingedrungen
und zu grossem Ansehen gelangt war und die sich als reisige Vorkämpfer
zu Schutzgöttern einer vorwiegend ki*iegerischen Gemeinde besonders
trefflich zu eignen schienen. Bilder im Typus der griechischen Dioskuren
waren es, die Dionys von Halikarnass im Penatentempel sah und beschreibt
(I 68), und Dioskurenköpfe zeigen auch Familienmünzen der sullanischen
Zeit, auf denen nach der Umschrift die d{i) pienates) p{ublici) dargestellt
sind.') Dass diese Spezialisierung der Penaten auf die Dioskuren dem
ursprünglichen Gedanken des Kultes wenig entsprach, ist einem gelehrten
Kenner der heimischen Religionsvorstellungen wie Varro nicht verborgen
geblieben; er leugnete ausdrücklich,^) dass die im Tempel an der Velia
dargestellten Götter die wahren Penaten seien; dieselben wären vielmehr
in gewissen geheimnisvollen Symbolen, die im Penus Vestae aufbewahrt
würden, verkörpert. Dieser Ausführung liegt der durchaus richtige Ge-
danke zu Grunde, dass Penaten und Vesta zusammengehören und ur-
sprünglich am Staatsherde ebenso gemeinsam verehrt wurden wie 9m
Herde des Privathauses ;^) ob jedoch derartige die Penaten darstellende
sigüla, wie Varro sie nennt, im Penus Vestäe wirklich existierten und
wie sie beschaffen waren, davon konnte bei der Unzugänglichkeit des
Heiligtums niemand etwas wissen. Um so ungestörter durfte die freie
Kombination schalten, und es sind über Bedeutung und Herkunft der rö-
mischen Penaten zahlreiche Hypothesen aufgestellt worden,^) die teils von
den Statuen im Tempel an der Velia, teils von jenen geheimnisvollen Sym-
797) werden erwähnt die scicra principia *) Varro de 1. 1. V 58; vgl. Schol. Veron.
p, B. QuirU, nominisque Latini quae apud Aen. II 717. Serv. Aen. III 148. Dion. Hai.
Laurentis coluntur,
') MoMMBBN, Staatsr. I 597. Marquabdt,
Staatsverw. III 252. 478.
') Mon. Anc. 4, 8; vgl. Jordan, Topogr.
I 2 S. 416 ff.
*) Babblon, Monn. consul. II 471. I 555.
I 68. II 66.
^) Daher heisst es vom Neronischen
Brande bei Tac. ann. XV 41 : delubrum Ve-
stae cum penatibus poptUi Romani exusta,
•) Macr. S. III 4, 6 ff. Amob. III 40.
Serv. Aen. I 378. II 296. 325. III 119. 148.
10*
148
Religion und Knltas der Römer, n. GOtterlehre.
holen ausgingen. Der Umstand, dass die ersteren in der Tempelinschrift
als di magni bezeichnet waren, veranlasste den Annalisten Cassius Hemina
(oder seinen Gewährsmann), sie mit den ^grossen Göttern'' von Samothrake
zu identifizieren,^) eine Annahme, die auch dann nicht aufgegeben wurde,
als die zuerst von Timaios verfochtene Ansicht vom troischen Ursprünge
der römischen Penaten allgemeinen Beifall fand ; die conciliatorische Kritik
Varros vermittelte in der Art, dass sie die Götter von Samothrake nach
Troja und von da durch Aeneas nach Italien gelangen liess; die troische
Herkunft der Götter des römischen Staatsherdes (Vesta und Penaten) ist
sodann seit Caesar und Augustus Staatsdogma.*) Die verschiedenen Hypo-
thesen über die Bedeutung der angebUch im Penus Vestae aufbewahrten
Penatensymbole und die durch sie versinnbildlichten Götter (man dachte
an Himmel und Erde, Juppiter, Juno und Minerva, Apollon und Poseidon)
sowie die Versuche, auch in der etruskischen Religion ähnliche Vorstel-
lungen nachzuweisen, dürfen als willkürliche Beantwortungen einer falsch
gestellten Frage keinen Wert beanspruchen.
Für die gesamte Vorstellung von Vesta und den Penaten ist es
schliesslich von grossem Interesse zu sehen, wie die Römer die Analogie
des Herdes im Privathause nicht nur auf den Staat, sondern auch auf die
Götter weit übertragen und einen Götter her d nebst den zugehörigen Kulten
voraussetzen; wenigstens kann es kaum anders verstanden werden, wenn
die Arvalbrüder bei den Piacularopfern neben Vesta mater auch die Vesta
deorum dearumque anrufen') und — ^ allerdings in einer späten Quelle^)
— von eigenen penates lovis die Rede ist.
Litteratur: Klaüsbn, Aeneas und die Penaten S. 620 ff. L. Ebabnbb, Penaten,
in Erach und Grabers AUg. Encyclop. Sect. III Bd. XV S. 409 ff. Rubino, Beitr. z. Vor-
gesch. Italiens S. 196 ff. Q. Wissowa, Hermes XXII 29- 57. A. Db-Mabohi, II culto pri-
vate di Roma antioa (1896) I 55 ff.
27. Lares. Mit Vesta und den Penaten zusammen wird in der Stadt
am Herde eines jeden Hauses der Lar familiaris verehrt, der aber in
diesen Kreis der Herdgottheiten nicht von Haus aus gehört, sondern dem
ländlichen Kulte entstammt. Noch Cicero (de leg. U 19, vgl. 27) stellt den
delubra der Götter in den Städten die Lamm sedes auf dem flachen Lande
(in agris) gegenüber und weist der religio Lamm ihre Stätte an in fundo
viUaeque in conspectu. Die Laren werden auf dem Lande verehrt an den
compita, d. h. an den Kreuzwegen bezw. an den Stellen, wo mehrere
Grundstücke zusammenkommen; dort steht die Larenkapelle, ebenfalls
compüum genannt, mit so vielen Eingängen, als dort Besitzungen an*
grenzen, und ebenso vielen Altären, deren jeder 15 Fuss vor dem betref-
fenden Eingange steht, so dass jeder Anlieger angesichts des Compitum
auf seinem eigenen Grund und Boden opfern kann.^) An diesen Compita
') Die Herleitung der Penaten aus Sa-
mothrake ist neuerdings gebilligt worden
von H. NissBK, Rhein. Mus. XLIl 61.
') Zeugnisse bei Prbuneb, Hestia- Vesta
S. 247.
') Hbnzsn, Acta fr. Arv. p. 147.
*) Mart. Cap. l 41; vgl. auch Nigid.
Figul. bei Amob. III 40.
') Ausführliche Beschreibung Grom. lat.
p. 302, 20 ff. und dazu Mommsen, Unterital.
Dial. S. 141. Ueber den Begriff des compUum,
für den die Zugehörigkeit zum ländlichen
Gau im Gegensatze zur städtischen Ansied-
lung wesentlich ist, vgl. Varro de 1. 1. VI 25.
Verg. Georg. II 382 und dazu Philargyrius.
Pers. IV 28. und Schol. CIL IX 1618. Isidor.
orig. XV 2, 15.
A. Di indigetes. 27. Lares.
149
vereinigte einmal alljährlich ein fröhliches Volksfest die Gaugenossen, die
Compitalia oder Laralia (Fest. p. 253), an denen jedes zu einem Compitum
gehörige Haus einen Opferkuchen beisteuerte und man es sieh bei Schmaus
und allerlei Lustbarkeit (ludi) wohl sein liess;^) ein besondrer Festbrauch
war es, an diesem Tage Puppen (maniae) und Bälle (pilcie) aus Wolle an
den Gompita und vor den HausthOren aufzuhängen.') Die Compitalia sind
in erster Linie eine Festfeier für die familia, d. h. das unfreie Gesinde,
welches an diesem Tage ähnliche Vorrechte geniesst wie an den Satur-
nalien und eine Extraration Wein erhält;') der (unfreie) Vogt (vüicus)
darf sogar an diesem Tage im Namen des Hausstandes ein Opfer dar-
bringen, eine Befugnis, die ihm sonst nie zusteht.^) Das Fest gehört
sicher der ältesten Festordnung an, wenn es auch im Kalender eine Stelle
darum nicht finden konnte, weil es ein Wandelfest (feriae conceptivae) war,*)
dessen Ansetzung durch den Praetor bald nach den Satumalien erfolgte;^)
gewöhnlich fiel es in die ersten Tage des Januar, und die Ealendarien des
4. Jahrhunderts v. Chr. fixieren es auf den 3.--5. Januar.'')
Die am Compitum verehrten Laren sind die Beschützer der vor ihren
Augen liegenden Felder {agri custodes Tibull. 1 1, 20), aber auch des Hauses;^)
so entwickelt sich am Herde des Hauses ein häuslicher Larenkult, der
gewissermassen eine Abzweigung vom Kulte des Compitum darstellt: am
deutlichsten tritt dies in dem Hochzeitsbrauche hervor, dass die Braut
ausser einem As, den sie ihrem Manne überreicht, je einen As auf dem
Herde vor dem Lar familiaris und am nächsten Compitum niederlegt.')
Dieser Lar familiaris erscheint bis auf die augusteische Reform stets in
der Einzahl ^^) und ist, wie sein Name zeigt, der Beschützer der gesamten
familia mit Einschluss der Sklaven und sogar mit besonderer Beziehung
auf dieselben: der Schaffnerin {vilica) liegt die Bekränzung des Herdes
und das Gebet an den Lar ob (Cato de agr. 143), vor dem Herde und an-
gesichts des Lar familiaris versammelt sich das Gesinde an langen Tischen
zur Mahlzeit, von der auch der Gott seinen Anteil erhält. >^) Aber auch
sonst wird der Lar familiaris mit reichlichen Spenden von Kränzen, Weih-
rauch und Wein, seltener durch Tieropfer, geehrt, sowohl an allen Ka-
lendae, Nonae und Idus, als an allen regelmässig wiederkehrenden oder
ausserordentlichen Familienfesten, bei Geburt und Hochzeit, bei Abreise
>) DioD. Hai. IV 14; uncia Compitalia
Verg. Catal. 5, 27.
') Yarro sat. Menipp. frg. 463 Bnech.
Macr. S. I 7, 34 ff. Paid. p. 121. 239; Aber
ähnliche Brftuche s. Böttiohbr, Baumkultus
S. 80 ff.
*) Dion. Hai. IV 14. Cato de agric. 57.
^) Cato de agric. 5, 3: rem divinam
nisi Campitafibua in compito aut in foco ne
faeiat,
*) Varro de 1. 1. VI 25. 29. Paul. p. 62.
Macr. 8. I 16, 6. Auson. de fer. 17 f. p. 105
Peip.
•) Gell. X 24, 3; vgl. Dion. Hai. IV 14.
Plin. n. h. XIX 114.
') CIL P p. 305 f.
") Enn. frg. 311 Baehr.: vosque, Laves,
tectum nostrum qui funditus curant,
*) Varro de vita p. R. bei Non. p. 531,
vgl. Dion. Hai. IV 15, 4.
*^) Laves familiavea im Plural bezeichnet
entweder coUectivisch die Summe der in den
verschiedenen Häusern verehrten Einzellaren
(Varro a. a. 0. Cic. de rep. V 7) oder ist
in ungenauer Ausdrucksweise von allen am
Herde verehrten Hausgottheiten, Vesta, Ijaren
und Penaten, gemeinsam zu verstehen (Plaut.
Rud. 1206. Cic. de leg. II 42; de domo 108;
pro Quinct. 85 u. a.).
^>) Colum. XI 1, 19. Hör. epod. 2, 65 f.;
serra. II 5, 12 ff. 6, 64 f. Ovid. fast. VI 305 f.
Vgl. Mabquabdt, Staatsverw. III 126.
150
Religion und Knliiui der BOmer. ü. QOtierlelire.
und Rückkehr eines Familienmitgliedes, beim Einzüge in ein neues Haus oder
bei der Mündigsprechung eines Haussohnes ;0 auch nach einem Todesfalle
erfolgt die Reinigung des Hauses und der Familie durch ein Opfer an ihn,
das in diesem Falle ein blutiges ist und aus Hammeln besteht.') So wird
der Lar familiaris zu einem mit den Schicksalen der Familie aufs engste
verknüpften Hausgeiste (familiai Lar pater Plaut. Merc. 834, vgl. Aulul. 2 ff.),
und die Sage wusste davon zu erzählen, dass hervorragende Männer der
Vorzeit wie Romulus oder Servius Tullius Söhne des Hauslaren, am Herde
mit einer Jungfrau gezeugt, gewesen seien ; ") die Sprache trug dem Ver-
hältnisse dadurch Rechnung, dass sie seit dem letzten Jahrhundert v. Chr.
zunächst den Singular Lar, nachher ebenso auch den Plural Lares meto-
nymisch für „Haus' gebrauchte.*)
In dem ältesten ländlichen Larenkulte tritt es deutlich hervor, dass die
Laren in ihrer Grundbedeutung als Ortsgottheiten aufzufassen sind, die an
ein bestimmtes Lokal gebunden und innerhalb desselben waltend gedacht
werden, am Compitum, auf dem einzelnen Grundstück,^) im einzelnen
Hause. ^) Wie die Gompita, so stehen überhaupt die Wege, die viae und
semitae, unter ihrer Obhut, und namentlich die Reisenden empfehlen sich
dem Schutze der Lares vial es ^) oder, wenn die Fahrt über See geht, der
Lares permarini. Letztere besassen sogar einen 564 = 190 in einem See-
gefecht des Krieges gegen Antiochus von Praetor L. Aemilius Regillus
gelobten und am 22. Dezember 575 = 179 von Censor M. Aemilius Le-
pidus geweihten Staatstempel im Marsfelde. ^) Auch die Lares mili-
tares, denen die Arvalbrüder {ob salutem victoriamque Oermanicam des
Caracalla) opfern,') gehören in dasselbe Gebiet als die im Kriegsfelde Wal-
tenden, und ebenso wohl auch die nur einmal erwähnten Lares hostüii
(Paul. p. 102) als die Beschützer in Feindesland; an diese kriegerischen
Laren ist wohl auch in erster Linie zu denken, wenn in der Devotion des
P. Decius Mus (Liv. VIH 9, 6) die Lares neben Bellona und hinter den
römischen Hauptgöttern Janus, Juppiter, Mars, Quirinus, Vesta erscheinen.
Aber wie jeder Acker seine Laren hat, so gibt es naturgemäss auch Laren
der römischen Gemeindeflur, ^o) und diese sind es, welche in dem ältesten
») Plaut. Aulul. 23 f. 385 ff.; Trin. 39 ff.;
Rad. 1206 ff.; Mero. 834 ff.; Mil. glor. 1339.
Cato de agric. 2. 143. Fers. V 31. Tibull.
I 3, 34. 10, 15 ff. II 1, 59 f. und mehr bei
pRELLBB - Jordan, Rom. Myihol. II 106 ff.
De-Marohi, Culto privaio l 209 ff.
') Cic. de leg. II 55; vgl. Henzbk, Act.
fratr. Arval. p. 145.
•) Plut. Romul. 2. Plin. n. h. XXXVI
204. Dion. Hai. IV 2 = Plut. de fort. Rom.
10 (vgl. Ovid. fast. VI 627 ff.); s. Schwbo-
LSB, Rom. Qesch. I 714 ff.
*) Aelteste Belegstellen für Lar in die-
sem Sinne Laber. frg. 110. Trag. ine. frg.
ine. 199 Ribb. Sali. Gatil. 20, 11 u. s. w.;
far Lares Prop. V 1, 128. 8, 50. Lucan.
V 528.
•) Larea praediorum . . . CIL VI 455 ;
Lares Volusiani CIL VI 10266 f.
«) Lares domestiei CIL III 4160; Lares
casanici CIL IX 725 (vgl. Silvanus damesti-
rus III 3491 u. s. Silvanus c<uanicus iX
2100).
») CIL XI 3079 (Falerii): Laribus con-
pitalibus, vialihus, semitalibus (semitales dei
Verg. Catal. 8, 20). Plaut. Merc. 865. CIL
II 2417. 2518. 2572. 2987; Suppl. 5634. 5734.
VIII 9755. Lar viaJis im Singular CIL III
1422 und bei einem Opfer der Arvalen,
Ubnzbv, Acta fr. Arval. p. 122. Lares magni
et viatorii CIL XII 4320.
•) Liv. XL 52, 4 ff. Macr. S. I 10, 10.
CIL I« p. 338.
*) Henzbn, Acta fr. Arval. p. 86; vgl.
CIL III 3460. 3463. Mart. Cap. I 46. 48.
'^) Daher die Scheidung von Lares pu-
blici und privativ Plin. n. h. XXI 11. Einen
Tempel der Lares publici von Pompeji will
A. Maü, Rom. Mitt. XI 1896 S. 300 in der
sog. Curie erkennen.
A. Di indigetes. 87. Lares.
151
Zeugnisse des römischen Larendienstes, dem uralten Gesänge der Acker-
brüderschaft, in Verbindung mit Mars^) für das Gedeihen der römischen
Feldmark angerufen werden *) und deren dieselben Arvalbrüder (zusammen
mit der nur hier genannten Mater Lamm) auch bei den Piacularopfem
gedenken (Henzen, Acta fr. Arv. p. 145). Diese nämlichen Laren sind es
jedenfalls, welche unter dem Namen der Lares praestites einen alten
Altar und Bilder besassen, die sie nach Art der Dioskuren als speertra-
gende Jünglinge, aber mit Hundsfellen bekleidet und von einem Hunde,
dem steten Gefährten des Flurhüters, begleitet, darstellten. >) Dieser Altar
der Lares praestites ist wieder nicht zu trennen von der auf der Höhe
der Sacra via am Palatin gelegenen aedes Lamm, welche Augustus wieder-
herstellte;^) allerdings unterscheidet Ovid die ara Lamm praestüum von
dem Larentempel, indem er die Stiftung der ersteren am 1. Mai (fast.
V 129), die des letzteren am 27. Juni erwähnt (fast. VI 791 f.); doch ist
aller Wahrscheinlichkeit nach der erstgenannte Tag der Stiftungstag des
ursprünglichen Heiligtums, der zweite der des augusteischen Neubaues,
was Ovid bei Benutzung verschiedener Quellen nicht gemerkt hat.^) Ein
von Varro (de 1. 1. V 49) erwähntes Lamm Querquetulanum saceUum auf dem
Esquilin war vielleicht eine Compitalkapelle, jedenfalls keine aedes sacra.
Der von Haus aus ländliche Dienst der Lares compitales hatte
auch in Rom Eingang gefunden, wo sich aber in republikanischer Zeit
die Compita auf die städtischen pagi im Gegensatze zu der alten Sakral-
gemeinde des Septimontium ^) beschränkt zu haben scheinen. Um die ein-
zelnen Compita bildeten sich Bezirksvereine, collegia compüalicia, deren
Vorstände als magistri vicorum die Ausrichtung der Compitalienfeier mit
den zugehörigen Spielen übernahmen; 7) es waren nicht Staatsbeamte,
sondern Privatwürdenträger niederen Ranges, dem Freigelassenen- und
Sklavenstande angehörig, wie überhaupt die schon hervorgehobene Be-
ziehung der Sklaven zum Larendienste sich auch hier darin zeigt, dass sich
die Collegia compitalicia überwiegend aus Unfreien und Freigelassenen
rekrutierten.^) In den Wirren der Bürgerkriege waren diese Vereine von
Leuten der untersten Bevölkerungsschichten bei Wahlumtrieben und Tu-
multen in der Hand dessen, der sie zu gewinnen wusste, eine beachtens-
werte Macht,') und darum hat der Senat im J. 690 = 64 die Aufhebung
der Collegia compitalicia verfügt, die allerdings schon sechs Jahre später
*) Mit Mars und Consos verbunden er-
scheinen die Laren auf dem angeblich ur-
alten Altar im Circus bei Tertull. de spect. 5.
') Hier hat der Name die alte Form
Loses (vgl. Varro de 1. 1. VI 2. Paul. p. 264.
Quintil. inst. or. I 4, 18 u. a.); die Etymo-
logie ist ganz unsicher.
») Ovid. fast. V 129 ff. und Flut. Q. R.
51 (beide aus Varro; vgl. auch de 1. 1. V 74).
Nachbildung der Bilder auf Denaren des
L. Caesius, Babblok, Monn. cons. I 281.
<) Monum. Anc. 4, 7; vgl. Solin. 1, 23.
Cic. de n. d. III 63 = Plin, n. h. II 16.
Tac. ann. XII 24. Obseq. 41; vgl. 0. Gil-
bert, Philologus XLV 449 ff.
^) WissowA, Analecta Bomana topo-
graphica p. 18 f.
*) S. darüber Moxxsek, Staatsrecht III 1
p. VIII und 112 ff. VITissowA, Satura Via-
drina (Breslau 1896) S. 1 ff.
^) Voraugusteische magistri vicorum in
Rom CIL VI 1824. 2221, auch 835 und Rom.
Mitt. IV 262. in Pompeji CIL IV 60; vgL
auch V 4087. X 8789. Liv. XXXIV 7, 2;
KofineraXiaarai auf Dolos 97 v. Chr. Bull,
de corresp. hell. VII 12 ff.
') Cic. in Pis. 9; de domo 54; de hanup.
resp. 22.
*) Q. Cic. de pet consnl. 30.
152
Religion und Knltoa der BOmer. IL Mtierlehre.
durch eine lex Clodia wieder rückgängig gemacht, aber schliesslich von
Caesar endgültig durchgeführt wurde. 0 Bald aber fand diese ganze Orga-
nisation in etwas veränderter Form neue Verwertung. Augustus nämlich
gab bei seiner Einteilung der Gesamtstadt in Regiones und Vici jedem
Yicus ein Gompitum zum sakralen Mittelpunkte und setzte für jedes solche
Compitum vier magistri vici ein, die alljährlich aus den Bewohnern des
Yicus zu wählen waren und für die Erhaltung und Ausschmückung der
Compita und die Ausrichtung der Ludi compitalicii zu sorgen hatten.*)
Das Wesentliche an der Umgestaltung war jedoch die Thatsache, dass
die Compita nunmehr zu Stätten des Kaiserkultes wurden, indem an ihnen
zwischen den beiden Lares compitales oder, wie sie jetzt heissen, Lares
augusti der Genius des regierenden Kaisers verehrt wurde;') römische
Altäre, von den Magistri einzelner Vici geweiht,^) zeigen den Genius
Augusti in der Gestalt eines opfernden Togatus (in besserer Ausführung
mit den Porträtzügen des Kaisers), zu beiden Seiten desselben die Laren
als tanzende Jünglinge mit lockigem Haare, in kurzer gegürteter Toga,
mit der einen Hand eine Schale haltend, in die sie mit dem hoch erho-
benen andern Arme aus einem Trinkhom einschenken.^) Diese einem
griechischen bakchischen Typus entlehnte Darstellung der Compitallaren
war schon zu des Naevius Zeiten üblich gewesen und sollte die Laren
offenbar als die Yortänzer bei der ausgelassenen Fröhlichkeit der Compi-
talienfeier wiedergeben.^) Dieser neue Larendienst findet nach römischem
Yorbilde (Laribus d, d, Romano more dedicata heisst es in einer Inschrift
von Amiternum CHj IX 4185) in vielen Städten Italiens und nachher auch
der Provinzen Nachahmung, in denen uns magistri Larum (augustorum)
begegnen^) und eigene coUegia Larum et imaginis augustae (CIL YI 307)
entstehen,^) und Weihinschriften an die Lares Augusti besitzen wir fast
aus allen Teilen des Reiches. Aber auch der häusliche Larenkult erfährt
eine völlige Umgestaltung, indem auch hier an die Stelle des einen Lar
familiaris die Doppellaren des Compitaldienstes treten, zwischen denen
häufig der Genius erscheint, der aber hier nicht als der des Kaisers,
sondern als der des Hausherrn aufzufassen ist;^) nicht nur zahlreiche In-
schriften, sondern auch eine grosse Menge pompejanischer Wandgemälde
>) Cic. in Pia. 8 f. Ascon. p. 6 ff. Suet.
Caes. 42. Mohhsen, De colleg. et sodal. 74 ff.
LiEBEifAii, Zur Gesch. u. Organisation d. röm.
Vereinswes. S. 20 ff.
») Suet. Aug. 30. 31. Cass. Dio LV 8.
CIL VI 445-454. Eph. epigr. IV 746 f.
Bull. arch. com. XV 1887, 33. XVII 1889,
69 ff. Die Reform hat längere Zeit in An-
spruch genommen und ist im J. 747 = 7
abgeschlossen worden. Moxmsen, Hermes
XV 109. Marquabdt, Staatsverw. III 204 ff.
•) Ovid. fast. V 145. Hör. carm. IV
5 34.
^) CIL VI 445 = Visconti, Mus. Pio-
Clem. IV 45. 45*^; CIL VI 448 = Zjlnhoni,
Galleria di Firenze IV 3, 142-144; Bull,
arch. com. XVII 1889, 69 ff. Taf. III.
') Schöne Broncestatuette Annali d. Inst.
1882 Taf. N; über die zahlreichen Laren-
figttrchen aus Bronce vgl. FmEDSsicBs, Klei-
nere Kunst und Industrie S. 438 ff.
«) Naev. com. frg. 99 ff. Ribb.; aber das
griechische Vorbild Wissowa, Annali d. Inst.
1883, 156 ff.
») CIL XI 2998. IX 423. 3657. 6293.
X 137. 205. 1269. 1584. 5161 f. 6556. 7953.
V 792. 3257. XII 406. U 2013. 2181. 2233.
3113. 4293. 4297. 4304. 4306. 4307. 6106.
Fttr Pompeji sind Wandgemälde an den Com-
pita beweisend, Hblbio, Wandgem. Nr. 41 ff.
») CIL III 4038. IX 3887. XIV 3561.
Eph. epigr. V 813.
*) Das beweisen Inschriften wie CIL X
861: Genio M{arci) n{08tri) et Laribus. II
4082; Laribus et Tutelae Genio L{ucii) n(ostri).
A. Di indigetea. 27. Larea.
153
(Helbio, Wandgem. Nr. 35 S. Sogliano, Pitture murali Gampane Nr. 12 S.)
und einige andere Denkmäler*) legen für diese Neugestaltung des häus-
lichen Larendienstes Zeugnis ab, welcher sich in dieser Form mit grosser
Beständigkeit bis zum Ausgange des Heidentums erhalten hat.^)
Der Scharfsinn der römischen Theologen hat sich mit Eifer der
Frage nach der eigentlichen tieferen Bedeutung der Larenverehrung zu-
gewandt, deren Beantwortung wie bei den Penaten dadurch erschwert
wurde, dass es an nahe liegenden gi*iechischen Parallelen fehlte. Wie
man für die Penaten in den grossen Göttern von Samothrake Analogien
zu finden glaubte, so zog für die Laren Nigidius Figulus die Eureten,
Eorybanten und idaeischen Daktylen zum Vergleiche heran,') ohne, wie es
scheint, damit viel Anklang zu finden. Um so nachhaltiger hat die von
Varro vertretene Meinung gewirkt, nach dem die Laren identisch mit den
Manen sein und eine Vergöttlichung der ^eelen der Verstorbenen dar-
stellen sollten,^) weshalb auch die Griechen sie mit ihren rJQtosg identifi-
zierten;^) man berief sich zur Stütze dieser Auffassung nicht nur auf die
vermeintliche Identität der Mania mit der Mutter der Laren, sondern vor
allem darauf, dass der häusliche Larenkult in der angeblich uralten Sitte.
die Toten im Hause zu bestatten, seine Wurzel habe.^) Noch weiter geht
eine spätere Theorie, deren ältester Vertreter für uns Apulejus ist; nach
ihm stehen die Lemures als Seelen der Verstorbenen den Genii der Le-
benden gegenüber und zerfallen ihrerseits in Lares, Larvae und Manes,
je nachdem die Geister nach ihrem Vorleben und der Stellung der Über-
lebenden zu ihnen als gute, böse oder unentschiedene zu gelten haben. ^)
Obwohl neuere Gelehrte auf diese Spekulationen die Herleitung der Laren-
verehrung aus dem Seelen- und Ahnenkult aufgebaut haben,^) sind die-
selben für die Gewinnung der dieser Seite der römischen Religion ur-
sprünglich zu Grunde liegenden Vorstellungen ebenso wertlos, wie die auf
allerlei synkretistischen Voraussetzungen beruhenden Erfindungen der
Dichter, z. B. Ovids Erzählung von der durch Mercur vergewaltigten Lara
oder Dea Tacita, der Mutter der Lares compitales.*)
Litteratar: 6. A. B. Hbbtzbbro, De diis Romanorum patriis, Halae 1840. G. F.
ScHOBMANN, Opasc. acad. I 850 ff. R. Soharbb, De Geniis Manibns et Laribus dissertatio,
Casani 1854. fi. Jobdan, Annali d. InBt. 1862, 800 ff. 1872, 19 ff.; Vesta und die Laren,
>) z. B. der Altar aus Caere CIL XI
3616 = Monnm. d. Inst. VI 13; vgl. auch
Annali d. Inst 1862 tav. R 4.
') Sieugnisse bei Mabqüabdt, Staatsverw.
III 126 f. Der Name Lar hat in der spä-
teren Kaiserzeit zuweilen ganz allgemeine
Bedeutung; vgl. z. B. Lar agrestis = Sil-
vanuB CIL VI 646, Lar vietor CIL XI 2096,
Mortis et pacis Lar CIRh. 484.
>) Amob. m 41. Diomed. I p. 478 £.
Hygin. fab. 139.
*) Amob. III 41. Augustin. c. d. VII 6.
Mart Cap. II 155. Paul. p. 121. 239. Macr.
8. I 7, 85. Serv. Aen. Ill 802.
*) Mon. Anc. gr. 10, 11. 18, 23. Dion.
Hai. ITI 70. IV 2. 14. Corp. gloss. II 121,
14; vgl MoMiiSBN zu CIL X 3757.
•) Serv. Aen. V 64. VI 152, dazu Lubb-
bbbt, Comment. pontif. 71. Jobdan, Topogr.
I 1 S. 171. Die ganz dunkeln Lares grun-
dules (Cass. Hemina bei Diom. I 884 K. Non.
p. 114. Amob. I 28) sind erst durch Neuere
auf Grand einer Angabe des Fälschers Ful-
gentius de abstr. serm. p. 560 Merc. hier
hereingezogen worden.
') Apul. de deo Socr. 15 (= Serv. Aen.
m 68. August, c. d. IX 11). Mart. Cap.
II 162 f.
*) FUSTBL DB COÜLANOBS, La cit^ BUti-
que p. 20. Nissbn, Templum S. 148 f. Rohdb,
Psyche 232.
•) Ovid. fast. 571 ff.; vgl. Wissowa,
Philo]. Abhandl. M. Hertz dargebrachtS. 165 f.
154
Religion nnd Knltna der Bömer. II. GOtterlehre.
Berlin 1865. A. Rritfbbschbid, Annali d. Inst. 1863, 121 ff. A. Pbeunsr, Hestia-Vesta
S. 232 ff.; Philologus XXIV 248 ff. G. Wissowa in Roechers Lexikon II 1868 ff. A. Djs-
Marchi, II culto private di Roma antica I 27 ff.
38. Genius. Als Kaiser Theodosius im J. 892 nicht nur die öffent-
liche, sondern auch die häusliche Ausübung heidnischer Religionshand-
lungen untersagte, geschah dies durch die Verfügung (cod. Theod. XVI
10, 2): nullus otnnino secretiore piaculo Larem igne, mero Oenium, penates
odore veneratus accendat lumrna, imponat iura, serta suspendat. Hier sind
scharf und deutlich, wie es sich für einen kaiserlichen Erlass ziemt, die
drei Arten von Hausgöttern geschieden, und es ist damit allen alten und
neuen Versuchen, den Genius für ursprünglich identisch mit dem Lar
familiaris zu erklären,^) der Boden entzogen; denn das sinkende Altertum
hat wohl in weitem Umfange verschiedene Götter mit einander vermengt,
nicht aber ursprünglich einheitliche geschieden. Der Genius ist der Grund-
anschauung nach ebenso fest an die Person gebunden, wie der Lar an
den Oi*t, und wenn sich auch später der Begriff beider Gottheiten ver-
flacht hat und dadurch die Grenzlinien ihrer Wirksamkeit hie und da ver-
wischt worden sind, so ist doch ihre ursprüngliche Verschiedenheit keinem
Zweifel unterworfen. Selten spricht die Etymologie eines Götternamens
so deutlich wie hier: den Zusammenhang mit Wz. gen, gignere konnten
auch die alten Grammatiker nicht verkennen,*) wenn auch ihre Meinungen
darüber auseinandergingen, ob die Ableitung im aktiven oder passiven
Sinne vorzunehmen und wer als Subjekt zu denken sei.') Ausschlag-
gebend ist die Thatsache, dass nur der Mann einen Genius hat, während
der Frau in gleicher Bedeutung eine Juno zukommt:^) es geht daraus
hervor, dass Genius und Juno sich zu einander verhalten wie Zeugung und
Empfängnis, und dass somit der erstere die göttliche Verkörperung der
im Manne wirksamen und für den Fortbestand der Familie sorgenden
Zeugungskraft ist.^) Diese Bedeutung erweitert sich dann insofern, als
der Genius weiterhin die gesamte Kraft, Energie, Genussfähigkeit, mit
einem Worte die ganze Persönlichkeit des Mannes, sein höheres und
inneres Wesen abspiegelt und darstellt; das bringt die Sprache deutlich
zum Ausdruck sowohl in dem Worte genialis, das ursprünglich „zeugungs-
kräftig**, dann überhaupt alles Reiche, Üppige, Freigebige bezeichnet, als
auch in metaphorischen Wendungen, wie Genio aliquid praestare (wir
„seinem inneren Menschen eine Güte thun"), Genium defraudare, Genio
') Granins Flaccns bei Gensorin. 8, 2.
Rbifferschbid, Annali dell' Inst. 1863, 129.
■) Wenn es bei Paul. p. 94 (vgl. p. 95.
Mart. Gap. 11 152) heisst: Genium appella-
bant deunif qui vim ohtineret omnium rerum
gerendarum, so spielt bier vielleicbt der
verwandte Gott Geras (s. S. 158 f.) mit hinein.
') Gensorin. 3, 1 : Genius est deus, cuius
in tutela ut quisque natus est vivit, hie sive
quod ut genamur curaty sive quod una genitur
nobiscuntf sive etiam quod nos genitos suscipit
ac ttUcUur, certe a genendo Genius appellatur,
Panl. p. 94. Varro bei Angnst. c. d. VII 13.
*) Senec. epist. 110, 1: singulis enim et
Genium et lunonem dederunt. Plin. n. h.
II 16: quamohrem maior caelitum populus
etiam quam hominum intellegi potest cum
singuH quoque ex semetipsis totidem deos
faciant lunones Geniosque adoptando sibi.
GIL XI 8076: Genio Augusti et Ti. Caesaris,
lunoni Liviae (vgl. Hbnzev, Act. fr. Arv.
p. 85 f. 122) und zahlreiche Inschriften den
lunones einzelner Frauen gewidmet, z. B.
CIL VI 2128. XI 1324. XIV 1792. 3556 u. a.
Portraitherroe einer Frau mit der Unterschrift
luno Florae Scaptinae Arch. epigr. Mitt. aus
Oesterr. XIII 175 ff.
*) Daher konnte Laberias frg. 54 Ribb.
den (Genius als gener is nostri parens defi-
nieren.
A. Di indigetea. 28. Geniiui.
155
indulgere u. a.^ Jeder Mensch hat seinen Genius, bezw. seine Juno, die
mit ihm geboren werden, während seines ganzen Lebens von ihm unzer-
trennlich sind und schliesslich mit ihm sterben;^) der Genii oder Junones
Verstorbener wird nur ganz vereinzelt gedacht,") da hier ein ganz anderer
Vorstellungskreis einzutreten pflegt. Im Hause ist es der Genius des
Hausherrn, der mit den Penaten und dem Lar familiaris von allen Haus-
bewohnern verehrt wird: die Stätte seines Wirkens ist das Ehebett, der
lectus genialis,^) bei dessen Bereitung er auch angerufen wird (Arnob.
n 67); heilig ist ihm die Schlange, als beliebtes Haustier (Phin. n. h.
XXIX 72), und ihr Erscheinen symbolisiert die Anwesenheit des Genius,
ebenso wie der Tod der Hausschlange das Hinscheiden des Familienhauptes
bedeutet. In verschiedenen Versionen begegnet uns die Erzählung, dass
entweder der Genius selbst sich in Gestalt einer Schlange der Hausfrau
genaht und sie zur Mutter eines berühmten Sohnes gemacht habe,^) oder
dass ein dem Hause bevorstehendes Geschick durch die plötzliche Er-
scheinung des Genius in Schlangengestalt angezeigt worden sei.^) Man
malte daher, wie es die pompejanischen Häuser zeigen, Schlangen als
Symbole des Genius sowohl an die Aussenmauern, die dadurch gleichzeitig
vor Verunreinigung geschützt werden sollten,^) als innen an die aediculae
der Hausgötter, allein oder in Verbindung mit den Laren- und Penaten-
bildem ; wenn zwei Schlangen dargestellt sind, ist oft die eine durch den
Kamm als männlich bezeichnet, so dass wir Symbole vom Genius des Haus-
herrn und der Juno der Hausfrau zu erkennen haben. ^) Der Festtag des
Genius ist der Geburtstag seines Schützlings, an dem er als Genius naicdis^)
verehrt wird und Opfer meist unblutiger Art, wie sie ja im Hausgottes-
dienste durchweg überwiegen, erhält;^®) vor allem ist der Geburtstag des
Hausherrn ein Festtag für die ganze Familie mit Einschluss der Sklaven
und Freigelassenen, und die letzteren zeigen ihre Ergebenheit gegen den
Patron in besonderer Verehrung seines Genius, dem sie, sei es allein, sei
es zusammen mit den Laren, Weihungen darbringen. ^0 ^^^ Mitglieder
des Hausstandes schwören beim Genius des Hausherrn, wie überhaupt der
Genius als der bessere und göttliche Teil im Menschen gern bei Schwur
und Beschwörung angerufen wird.^*) Eine besondere Bedeutung erhält
') Materialsammlang bei Pbbllbb, Rom.
Myth. I 78 f.
*) Censorin. 3, 5. Hör. epist. 11 2, 187:
Genius natale comes qui tetnperat astrum,
Mart. Cap. II 152. Amm. Marc. XXI U, 3.
•) CIL V 160. 246. VIU 3695. IX 5794.
X 1009. 1023. 6597. XIV 1792. Gabbucci,
Syll. Nr. 1 152. Die oberitalischen Inschriften
CIL V 4449. 5869. 5892. 7142. 7468 sind
wohl eher als Ehreninschriften aufzufassen.
*) Rossbach, Rom. Ehe S. 367 ff.
») Gell. VI 1, 3. Liv. XXVI 19. 7. In
graecisierter Fassung auf Apollo flbertragen,
Säet Aug. 94. Cass. Dio XLV 1.
•) Cic. de div. I 36. Plut. Ti. Gracch. 1.
Obseq. 58.
') Pers. I 113: pinge duo8 anguis; pueri,
saeer est locus, extra tneite; vgl. Db-Mabchi,
Culto private I 77 f.
") Hblbig, Wandgem. S. 10; vgl. Cen-
sorin. 3, 3: nonnulU binos Genies (richtiger
Genius und Juno) in his dumtaxat domibus,
quae essent maritae, colendos putarunt,
*) Entsprechend auch luno natalis, TibuU.
IV 6, 1.
'•) Tibull. II 2. rV 5. Censor. 2; mehr
bei 0. Jahn zu Pers. p. 119.
»') z. B. CIL II 1980. V 1868. VI 257
—259. 3684. X 860. 861. XI 356. 818, vgl.
1324.
'») z. B. Plaut Capt. 977. Ter. Andr.
289. Tibull. IV 5, 8. Hör. epist. I 7, 94.
Senec. ep. 12, 2. Apul. met. VIII 20. Ebenso
bei der Juno einer Frau, z. B. Tibull. III 6,
48. IV 13, 15. Petron. 25. Schol. Juven.
2, 98.
156
Religion und Koltna der Römer, ü. GOtterlehre.
dieser Brauch in der Eaiserzeit, wo der Genius des Kaisers, der aus der
grossen Menge der Genii ebenso hervorragt, wie der Imperator aus der
Masse der Bürger, Gegenstand allgemeiner Verehrung wird. Von der-
selben zeugen — abgesehen von dem bereits S. 152 besprochenen Kulte
des Genius Augusti zwischen den Laren der Gompita — nicht nur zahl-
reiche Weihinschriften von Privatleuten und Gemeinden aus allen Teilen
des Reiches,^) sondern auch der Umstand, dass der Schwur beim Genius
des Kaisers sowohl im Beamteneide seine Stelle findet (s. oben S. 71. 146),
als auch im Privatleben häufig zur Anwendung kommt;*) ein in dieser
Form geleisteter Meineid wurde als Verbrechen gegen die Majestät ge-
ahndet.')
Die von Haus aus einfache Vorstellung vom Genius hat im Laufe
der Zeit sehr wesentliche Erweiterungen erfahren. Wenn man den Genius
des Hausvaters zugleich als Genius domus^) oder Genius familiae (CIL X
6302) auffasste, so hatte das seine volle Berechtigung. Davon ausgehend
aber entwickelte sich die Vorstellung von Genien, die nicht zu einzelnen
Personen, sondern zu ganzen Verbänden gehörten, zunächst bei solchen,
die durch Bande des Blutes zusammenhängen, dann aber auch bei künst-
lich geschaffenen Organisationen. Namentlich haben so die Genossen-
schaften und städtischen Korporationen, dann alle militärischen Truppen-
körper, schliesslich auch Gemeinden, Provinzen, Staaten ihren eigenen
Genius.^) Je weiter sich dieser Gebrauch ausdehnt, um so mehr wird der
ursprüngliche Gedanke des Genius und sein Zusammenhang mit der Person
verdunkelt. Bei Genius collegii, Genius legionis, Genius coloniae handelt es
sich doch wenigstens um Gruppen von Personen, die man allenfalls nach
Analogie der Familie auffassen kann;^) bei Wendungen, wie Genius theatri,
Genius scholae, Genius macelli ist es bereits kaum mehr möglich, anstatt
an den Ort, an die dort zusammenkommenden Personen zu denken, und
in dem sehr häufigen Gebrauche von Genius loci'') ist eine solche Erklä-
rung völlig ausgeschlossen; hier hat sich der Begriff des Genius zu der
ganz allgemeinen Bedeutung von numen, der Bezeichnung der überall
wirksamen göttlichen Gewalt, verflüchtigt. In dieser Auffassung ist der
Genius nichts weiter als der deus hi cuius tutela hie locus est,^) und heisst
darum auch geradezu deus tutelae (CIL II 3021. 3377. 4092) oder genius
tutelae (CIL II 2991), bis sich diese Tutela als selbständige Göttin los-
löst und als Tutela huius loci^) neben den Genius loci tritt oder auch —
0 z. B. CIL VI 251—256. X 1561. XI
3076. 3303. 3593. XIV 2349.
«) Cass. Dio LVII 8. Suet. Calig. 27.
Apul. met. IX 41 a. a.
») Ulp. Dig. Xn 2, 13, 6; vgl. Tertull.
apol. 28. Minuc. Fei. 29. Mokhsen, Staatsr.
II 784.
*) Genio donius auae CIL VIII 2598.
^) Genius collegii^ sodalicii, familiae mo-
netalis, corporis, curiae, decuriae; Genius
exercituSy Ugionis, cohartis, centuriae, tur-
mae, castrorum; Genius coloniae, municipii,
pagi, civitatis^ provinciae u. s. w. Belege
bieten die Indices des CIL in reicher Fülle;
über die Genii der Trappenkörper s. insbe-
sondere y. DoMASZBwsKi, Westd. S^eitscbr.
XIV 96 ff.
*) Vgl. auch Genius fori vinarii, wna-
licii, commercii, portorii, horreorum.
') Seltener mit genauerer Angabe Ge-
nius montis (CIL VI 334. IV 1176. VIII
9180), fontis (VIII 4291. VI 151), fluminis
(VIII 9749) u. a.
^) Hbvzbn, Act. fr. Arv. p. 146.
») CIL III 4445. VI 216; vgl. VI 777
und Petron. 57. 105.
A. Di indigetea. 28. Genius. 157
zum Teil anter allerlei spezialisierenden Beinamen^) — allein für sich
verehrt wird. Hie und da scheint die Tutela augusta — namentlich von
den Frauen — in ähnlicher Weise verehrt worden zu sein, wie der Genius
Augusti,*) und im ausgehenden Heidentume begegnet sie uns vereinzelt in
Verbindung mit den Laren (CIL 11 4082) und hat als eine Art weiblicher
Genius ihre Stelle im häuslichen Kulte.')
Erheblich älter als die meisten dieser erst im Verlaufe der Eaiser-
zeit zur Entwicklung gelangten Vorstellungen ist die Fixierung eines G e-
nius populi Romani, Genius publicus oder Genius urbis Romae, einer
Gottheit, die von der gesamten Gemeinde in derselben Weise verehrt
wurde, wie von' den Bewohnern eines Hauses der Genius des Hausherrn.
Da jedoch eine Person, die den Staat in derselben Weise verkörpert, wie
der Hausvater die Familie, nicht vorhanden ist, so konnte die Idee des
Genius publicus nie dieselbe Bestimmtheit gewinnen, wie die Vesta p. R.
Quiritium, die Penates publici und die Lares praestites; man Hess sogar
ursprünglich, im Widerspruche mit der ausgeprägt männlichen Grundbe-
deutung des Genius, das Geschlecht dieses Genius unbestimmt, denn auf
dem Capitol befand sich ein geweihter Schild mit der Inschrift : Genio urbis
Romae sive mas sive femina (Serv. Aen. II 351). Ein Staatsopfer an den Genius
publicus wird zuerst 536 = 218 erwähnt (Liv. XXI 62, 9), in der letzten
Zeit der Republik hat er ein Heiligtum in der Nähe des Goncordientempels
am oberen Forum,^) und die Kaiendarien verzeichnen am 9. Oktober ein
Opfer Oenio publica, Faustae FdicUati, Veneri Victrici in Capitolio; in der
Kaiserzeit findet sich der Genius populi Romani, abgesehen von zahlreichen
Dedikationen einzelner Privatleute,^) in den Götterreihen, die von den
Arvalen bei der Fürbitte für den Kaiser und sein Haus angerufen und
durch Opfer geehrt werden,*) und im 4. Jahrhundert werden ihm zu Ehren
am 11. und 12. Februar ludi Genialici begangen.^) Sein Bild, in durch-
aus typischer Auffassung {ut formari Genius publicus seiet Amm. Marc. XX
5, 10), begegnet häufig auf Münzen: er erscheint als bärtiger (später jugend-
lich), nur unterwärts mit einem Mantel bekleideter Mann, mit Füllhorn im
linken Arm und gewöhnlich mit einer Opferschale in der rechten Hand.
Dem entsprechend werden auch sonst die Genii von Städten wiedergegeben,
z. B. der von Lugudunum auf einem Thonrelief ^) und die anderer Städte
auf Münzen;*) auch der Genius theatri ist auf einem Relief von Capua^^) in
1) Tutela Tarraconensis CIL II 4091,
TuUia damus BupUianae V 3804, Tutela
Candidiana VI 776; ohne Beinamen 11 2538.
3031. 3226. 4090. V 4982. VI 774. 775. Ver-
einzelt steht die lovis Tutela V 4243, vgl.
XU 1887
*) CIL III 3349 (mit HObnbbs Anmer-
kung). 4056. V 4982.
*) Hieron. in Esai. 57 (III p. 418) und
das Relief Annali d. Inst 1866 Taf. K 4;
die Gottin, die hier, wie auf den Münzen
des Caransius (Cohek, Möd. imp. VII ' p. 36
nr. 358 ff.) dorch Inschrift sichergestellt ist,
trftgt das bezeichnende Symbol des Genios,
das Fttllhom. Andre angebliche Tutela-Dar-
stellnngen (Gaz. aroh^ol. V 1879 p. 4. 211)
gehören nicht hierher.
*) Caas. Dio XLVII 2. L 8.
») z. B. CIL VI 248. 397. Eph. ep. IV
736 u. a.; vgl. anch CIL VI 29944 i= Orelu
1684) [«»] qui8 hane ara{m) laeserit, haheat
Genium iratum populi Romani et numina
Divorum.
<) Hbnzen, Act. fr. Arv. p. 72. 121.
') MOMMSBN, CIL P p. 309.
") Fbobhkbb, Musöes de France pl. 15, 2.
CIL XII 5687, 45.
*) Imhoof-Blüxbr, Ztschr. f. Numism.
XIII 1885, 128 ff.; vgl. anch £. Cabtabi-
LovATBLLT, Bull. arch. com. XIX 1891, 246 f.
■<>) CIL X 3821. Jordan. Annali d. Inst.
1862, 333.
158
Religion nnd Knltaa der Rftmer. IL GOtterlehre.
ähnlicher Weise dargestellt, und überhaupt ist diese mehr ideale Fassung
(in griechischer Tracht und nur unterwärts bekleidet) für all die zahl-
reichen Bilder von Genii exercituum, locorum, coUegiorum u. s. w. zur
Anwendung gekommen. 0 Dagegen geschieht in abweichender Form die
Bildung von Personalgenien, sei es des Kaisers, sei es von Privaten: sie
führen zwar auch das Füllhorn, welches als Symbol der genialis copia das
eigentliche unterscheidende Attribut des Genius ist,') zeigen aber in rea-
listischer Auffassung Römer in der Toga und — soweit es sich um feiner
ausgeführte Denkmäler handelt — mit Porträtzügen, sozusagen das Ideal-
bild des civis Romanus; mit Vorliebe wird der Genius opfernd dargestellt,
wobei er den Zipfel des Gewandes über das Hinterhaupt hinaufgezogen
hat und die Opferschale in der rechten Hand hält: zahlreiche Reliefs
und Wandgemälde, auch einige Statuen, sind die Repräsentanten dieses
Typus.
Eigenartig, aber wohl nicht zur vollen Entwicklung gelangt ist die
Anschauung, dass auch die Götter und Göttinnen, ebenso wie sie eine
Vesta deorum dearumque besitzen (oben S. 148), ebenso je ihren Genius,
bezw. ihre Juno haben. Im Tempel des Juppiter Liber zu Furfo wurde
in republikanischer Zeit neben diesem Gotte selbst auch dem Genius Jovis
Liberi geopfert (CIL IX 3513), und die Arvalbrüder bringen bei den sacra
piacularia nicht nur der Dea Dia, sondern auch der Juno Deae Diae Opfer
dar;^) auf Inschriften und in sonstigen Zeugnissen der Kaiserzeit begegnen
noch Genii und Junones verschiedener Götter und Göttinnen,^) ohne dass
wir dadurch genaueren Aufschluss über die zu Grunde liegende Auffassung
erhielten, da hier die Genii und Junones nicht neben den betreffenden
Gottheiten, sondern an deren Stelle genannt werden. Jedenfalls zeigt das
Verhältnis der Opfertiere bei den Arvalen, wo Dea Dia zwei Kühe, Juno
Deae Diae nur zwei Schafe erhält, dass die letztere eine etwas unterge-
ordnete Stellung einnahm: der Genius eines Gottes neben diesem selbst
wird ähnlich aufzufassen sein wie die Schlange neben dem Genius. Ana-
loge Anschauungen treten uns in den religiösen Denkmälern der ver-
wandten italischen Völker entgegen. Bei den Umbrem von Iguvium wird
neben Mars ein Cetfus Martins verehrt, auch erhalten mehrere Gottheiten
beiderlei Geschlechts das Beiwort cerfius: mit vollem Rechte hat man
diese Worte, ebenso wie das paelignische Cerfus^) mit dem lateinischen
^) Die Deutung der bewaffneten Figur
auf oskischen Münzen (FbibdlIkdrr, Osk.
Münzen S. 76 Taf. 9, 1-5) als Genius Ita-
liae entbehrt jeder Begründung.
*) Daher ist die Verhüllung desselben
ein Zeichen nahenden Unheils (Amm. Marc.
XXV 2, 3). Münzen des Galba (Cohen, Möd.
imp. P p. 344 f.) mit der Umschrift Oenio
p. B. zeigen neben dem Kopfe des Genius
das Füllhorn als Beizeichen.
') Hbnzbn, Act. fr. Arv. p. 144.
*) Genius lovis (CIL II 2407, vgl. Ge-
nius lovialis bei Amob. III 40), Martis (CIL
II 2407. CIRh. 1611. 1701), Mercurii Alauni
(ClRh. 1717), UbeH Augusti (CIL V 326),
numinis Priapi (XIV 3565, vgl Petron. 21),
numinis Fontis (CIL VI 151); Genius Vic-
toriae (CIL II 2407, vgl. den Genius lunonis
bei Mart. Cap. I 53); luno Isidis Victricis
(CIL IX 5179, Lesung unsicher), luno Gon-
eordiae Auaustae (CIL VIII 4197) u. a. Ob
wir bildliche Darstellungen solcher Genii
deorum besitzen, ist zweifelhaft; denn C. L.
Viscontis Deutung einer nackten jugend-
lichen Figur mit Aegis und Füllhorn auf
den Genius Jovis (Bull. com. X 1882, 173 ff.
mit Taf. XVIII/XIX) ist nicht überzeugend.
^) BuECHELER, Rhein. Mus. XXXIH 281;
Umbrica p. 80.
A. Di indigetea. 29. Gottheiten der Erde nnd des Landbana.
159
Namen Cerua^) zusammengebracht, der im Liede der Salier in der Form
duonus cerus oder cert^ tnanus als Beiname des Janus vorkam;^) da dieses
Wort ebenso mit der Wurzel von creare zusammenhängt wie Genius mit
gigner e, so entspricht Cerfus Martins lateinischem Genius Martis und cerfius
wird ebenso als == genialis aufzufassen sein, wie das auf der oskischen In-
schrift von Agnone mehreren Gottheiten beigelegte Attribut kerriios:^) die
Bezeichnung der Götter als geniale und die Entwicklung eigner Genii
deorum entstammen offenbar der gleichen Grundanschauung.
Litteratur: Jordan, Annali d. Inst. 1872, 19 S. Th. Bibt in Roscfaers Lexik.
I 1613 ff. (über Jnnones M. Ihm ebd. II 615 ff.). De-Mabohi, II culio privato di Roma
antica I 69 ff.
39. Gottheiten der Erde und des Landbaus. Selbstverständlich
mussten in der Götterordnung einer vorwiegend bäuerlichen Gemeinde die
Gottheiten des Ackerbaues und der damit zusammenhängenden ländlichen
Beschäftigungen nach Zahl und Bedeutung einen hervorragenden Platz
beanspruchen. Aus der Thätigkeit des Landmannes haben die beiden
wichtigsten Momente, der Ausgangspunkt und das Ziel seiner Arbeit,
Aussaat und Ernte, in Saturnus und Consus eigene göttliche Vertreter
erhalten, von denen in besonderen Abschnitten zu handeln sein wird;
neben ihnen aber wird noch eine Reihe weiblicher Gottheiten verehrt,
von deren Gnade das Gedeihen der Frucht abhängt. An ihrer Spitze steht
Tellus mater, die Göttin des Saatfeldes, das den Samen aufnimmt und
in seinem Schosse sich entwickeln lässt, daher von den Pontifices als
die nährende und schützende Göttin in ihren Gebeten angerufen.^) Das
Hauptfest wird ihr im Frühjahre gefeiert, wenn alle Saaten in der Erde
liegen und zum Gedeihen ihres Segens am meisten bedürfen: zu dieser
Zeit begeht man am 15. April das Fest der Fordicidia,^) so genannt von
dem Opfer der fordae boves, trächtiger Kühe, die ihr an diesem Tage so-
wohl in den einzelnen Curien als seitens der Pontifices auf dem Capitoi
geschlachtet wurden;*) auch an einigen anderen Orten, vermutlich an den
Grenzen der römischen Ackerflur, fanden feierliche Handlungen statt. ^
Dass dies Fest der Tellus galt, ist ausdrücklich bezeugt;^) seine Ergän-
zung findet es in den vier Tage später,^) am 19. April, stattfindenden
Cerialia, an denen die mit Tellus im altrömischen Kulte aufs engste ver-
bundene Göttin des pflanzlichen Wachstums Ceres *®) gefeiert wird. Die
*) Eigentlich Cerrus (Kerrua, vgl. Büe-
CBELKR, Umbrica p. 98 f.), mit Ceres direkt
msammenhängend als adjektivische Bildung
Cer{e)B'U8f Cerrtia.
«) Paul. p. 122. Varro de I. I. VII 26;
vgl. die Gefftssinschrift CIL I 46 Keri pa-
eahm.
*) ZvRTAiBFF, Syll. inscr. Oscar, p. 116.
*) Varro bei August, c. d. VII 23 (vgl.
IV 10): pontifices ... faeiuiU rem divinam
TeUuri TeJlumoni AUari RusoH; Tellumo
scheint ebenso wie Altor und Rusor eine
Indigitation der Tellus zu sein, während
Varro und Neuere (z. B. Nissen, Pomp. Stud.
8. 382) darin ein mftnnliches Gegenstück zu
Tellus (vgl. den TeUurus bei Mart. Gap. I
49) sehen wollen.
*) Aeltere Form Hordicidia, vgl. Paul,
p. 102. Varro r. r. II 5, 6.
•} Varro de I. 1. VI 15. Ovid. fast. IV
629 ff.
n Lyd. de mens. lY 49^
, Ovid. fast. IV 634; Lyd. de mens.
IV 49 übersetzt Tellus mit Jr^fitjxr^Q, wie
häufig geschieht, z. B. bei der Saecularfeier
Zosim. II 5 vgl. mit Act. lud. saec. £ph.
epigr. VIII p. 232 [Terra mater),
') üeber die Bedeutung dieses Zeitab-
standes s. WissowA, De feriis anni Rom.
p. VIII ff.
^^) Der Name a creando Serv. Georg. I 7;
anders a gerendo Varro de I. 1. V 64. Cic.
nat. deor. 11 67. III 52; s. oben Anm.. 1.
160
Religion nnd Koltna der Römer. IL GOtterlehre.
nämlichen beiden Gottheiten begegnen uns vereint an einem zweiten Feste,
das wie viele der^mit der Landwirtschaft zusammenhängenden Festfeiem
nicht auf einen bestimmten Tag festgelegt war, sondern entsprechend
dem Stande der Feldarbeiten eines jeden Jahres angesetzt wurde. Es ist
dies das nach beendeter Aussaat an zwei durch eine Woche getrennten
Tagen ^) des Januar gefeierte Saatfest, feriae sementivae, au welchem man
den beiden Göttinnen Spelt opferte und eine trächtige Sau schlachtete.*)
Im Zusammenhange mit diesem Feste scheint ein schon beim Beginne der
Aussaat durch einen der Flamines, jedenfalls den (noch in der Kaiserzeit
nachweisbaren) Flamen Gerialis') der Tellus und Ceres dargebrachtes Opfer zu
stehen, bei welchem die Gottheit unter zwölf verschiedenen Namen für all
die einzelnen Arbeiten der Landwirtschaft und ihren Erfolg angerufen
wurde ;^) demgemäss steht auch die Saat, solange sie sich auf dem Felde
befindet, im Schutze der Ceres, und wer sich an jener vergreift, ist der
Göttin mit seinem Leben verfallen.^) Ganz entsprechend erhalten vor
Beginn der Ernte Tellus und Ceres vereint das Opfer der porca prcteci-
danea,^) das zu den regelmässigen Opfern des Landmannes gehört und wie
die Fornacalia, Parilia, Compitalia zu den popularia sacra gerechnet wird
(Fest. p. 253): es ist eine heilige Handlung von doppelter Bedeutung,
einerseits Einleitung der Ernte, andererseits zugleich ein Sühnopfer für
eine etwa vorgefallene Verletzung des ins manium; ursprünglich wurde
die porca praecidanea nur von dem geopfert, der im Laufe des Jahres eine
ihm zustehende Pflicht der Beerdigung nicht oder nicht gehörig erfüllt
hatte (qui mortuo iusta non fecisset), nachher aber wurde der Brauch, wohl
in der Annahme; dass jeder eine vielleicht unbewusste Versündigung dieser
Art zu sühnen habe, ein allgemeiner,^) und schliesslich war, wie die vonCato
gegebene Beschreibung der Ceremonie zeigt, dem opfernden Landmanne
nur noch die Beziehung auf die Ernte klar bewusst. Diese Verschiebung
findet auch darin ihren Ausdruck, dass die meisten Zeugen als EmpflLngerin
des Opfers nur Ceres nennen:^) denn von den beiden Beziehungen der
heiligen Handlung ist offenbar die auf den Totendienst mehr in Tellus
verkörpert, die uns hier in einer auch sonst nachweisbaren (s. unten) Ver-
bindung mit den Di manes entgegentritt, während der Ceres als der Göttin
des Wachstums das Ernteopfer ebenso gilt, wie ihr auch als besondere
Weihegabe der erste Ährenschnitt, das praemetium, zukonmit.*)
^) Lyd. de mens. III 6.
») Ovid. fast. I 657 ff. Varro de 1. 1.
VI 26. Paul. p. 337. Für Tellus und Ceres
(Ovid. V. 671. 673) nennt Lyd. de mens. III 6
JrjufjtfjQ und Koqij. Die Beteiligung der
Tellus geht auch aus Varro r. r. I 2, 1 hervor.
') fiamini Ceriali Romae Inschrift von
Mevania Arch. epigr. Mitt. XV 29 = CIL
XI 5028.
*) Serv. Georg. I 21 : Fabius Picior hos
de08 enumerat, quo8 invocat flamen sacrum
ceriale faciens Telluri et Cereri: Vervactorem,
Redaratorem (Hs. Reparatorem), Itnporcito-
rem, Insitorenif Obaratorem, Occaioremf Sarri-
torem, Subruneinatorem, Measorem, Convec-
tarem, Conditorem, Promitorem,
^) Paul. p. 319; vgl. 235.
*) Frugem quidem aratro quaesUam für-
Hm noctu pavisse ac secuisse jmberi XII ta-
btUis capital erat suspensumgue Cereri necari
iubebant, Plin. n. h. XVIII 12.
*) Cato agric. 134. Varro bei Non.
p. 163. Paul. p. 219. 223. Gell. IV 6. 7.
Mar. Vict. p. 25; auch die Bemerkung des
Fest. p. 238, dass man der Ceres bei einer
bestimmten Gelegenheit anstatt des Opfer-
tieres eine goldne und eine silberne porca
dargebracht habe, bezieht sich vielleicht auf
dieses Opfer.
")Vgl.LüBBBBT,Commentat.pontific.p.78.
') Beide Göttinnen hat nur Varro bei
Non. p. 163.
A« Di indigetea. 29. Gottheiten der Erde nnd des Landbana.
161
Bei all diesen Gelegenheiten ist die Verbindung von Tellus und
Ceres eine alte und ursprüngliche; dagegen scheint in andern Fällen letzt-
genannte Göttin erst unter dem Einflüsse griechischer Vorstellungen, durch
welche ja der römische Geresdienst eine völlige Umgestaltung erfuhr (s.
unten § 46), neben die Erdgöttin getreten zu sein oder sie gar verdrängt
zu haben. Wenn am Stiftungstage des unten zu erwähnenden Tellus-
tempels ausser Tellus auch Ceres ein Opfer erhält, so zeigt die Erwähnung
eines lectisternium bei dieser Gelegenheit,^) dass wir es hier mit dem grie-
chischen Kulte zu thun haben, und wenn einmal*) bei der römischen Ehe-
schliessung auch Ceres erwähnt wird, so ist sie jedenfalls unter dem Ein-
flüsse der griechischen Jri^rivrjQ &€afio^Qog^) an die Stelle der Tellus ge-
treten, deren Anrufung bei der Eheschliessung gut bezeugt ist>) Auch
das angesichts der Leiche dargebrachte Opfer der praesentanea porca, dessen
Empfängerin nach Fest. p. 250 (vgl. Mar. Vict. p. 25) Ceres war, hat wohl
von Haus aus der Tellus oder höchstens, wie die porca praeddanea, Tellus
und Ceres gemeinsam gegolten, und die Bezeichnung der Unterweltsöffnung
als mundus Cereris^) ist ebensowenig das Ursprüngliche (s. unten § 35)
wie die Angabe, dass der mundus den griechischen Göttern Dis und Pro-
serpina heilig sei (Macr. S. I 16, 17). Im sicher überlieferten altrömischen
Ritual erscheint als Vertreterin der Unterwelt nie Ceres, sondern nur
Tellus; so namentlich in der Devotionsformel, wo der Devovierende sich
und das Heer der Feinde Telluri ac dis manibus weiht*) und am Schlüsse
Tellus mater und Juppiter pater zu Zeugen genommen und als Vertreter
der unterirdischen und der himmlischen Götter dadurch gekennzeichnet
werden, dass der Sprechende bei dem Namen Tellus mit den Händen die
Erde berührt, bei dem Namen Juppiter dieselben gen Himmel erhebt (Macr.
S. m 9, 11 f.).
Durch dieses Eindringen griechischer Vorstellungen ist der alte Kult
der Tellus immer mehr zurückgedrängt worden. Der auffallendste Beweis
dafür ist die Thatsache, dass bei den Gebeten und Opfern der Arvalbrüder
ihrer überhaupt nicht gedacht wird; doch gibt es dafür wohl eine Er-
klärung: der Name Dea Dia, den die von den Ackerbrüdern in erster
Linie verehrte Gottheit führt, ist ebensowenig ein Eigenname wie z. B.
Bona dea, sondern nur der Beiname einer Gottheit, deren individuelle Be-
>) CIL P p. 336 f.
*) Paul. p. 87 : facem in nuptiis in hono-
rem Cereris praeferebant. Dies ist das ein-
zige Zeugnis, denn die Stelle des Licinins
Galvus bei Serv. Aen. IV 58 bezieht sich
offenbar auf die griechische Demeter, und
die eigenen Ausführungen des Servius sind
ebenso willkürlich wie seine Angabe (Aen.
III 139) über Ceres als Göttin der Eheschei-
dung, die Rossbach, Rom. Ehe S. 134. 302
mit Unrecht ernst nimmt; Plut. Romul. 22
beweist jedenfalls nichts dafür; s. unten
§46.
•) Legifera Ceres bei Verg. Aen. IV 58.
Ueber Demeter als Ehegöttin vgl. Flut, praec.
coning. Auf.
Buidbuoh der tili. AltertnnMWlMeiiMbalt. V, 4.
*) Verg. Aen. IV 166 und Serv. z. d. St.:
quidam sane Tellur em praeesae nuptiis trc^
duni: nam et in auspiciis nuptiarum vocatur;
cui etiam virgines vel cum ire cid domum
mariti coeperint vel iam ibi positae diversis
nominibtM vel ritu sacrificant,
^) Fest. p. 142; vgl. die sacerdos Cericdis
mundalis in Capua, CIL X 3926.
•) Liv. VIII 6, 10. 9, 8. X 28, 13. Aehn-
lich auch in Verwünschungen z. B. Suet.
Tib. 75. Aur. Vict. Caes. 33, 31. Dieselbe
Verbindung auf einer römischen Grabschrift
CIL VI 16398 (vgl. Bull. arch. com. XIV
1886, 281): Dis manibus et Terrae matri
trium Corneliorum.
11
162
Religion und Knltna der Bömer. ü. GOtterlehre.
Zeichnung hinter diesem verschwunden ist, und es kann wohl keinem
Zweifel unterliegen, dass dieser Beiname ursprünglich entweder der Tellus
oder der mit ihr eng verbundenen italischen Ceres zukam ^). Ein Heilig-
tum der Tellus mag sich von alters her am Abhänge des Esquilin in der^
selben Gegend befunden haben, wo die Göttin seit dem J. 486 = 268 einen
vom Consul Ti. Sempronius Sophus bei Gelegenheit eines Erdbebens im
Kampfe mit den Picentern gelobten ansehnlichen Tempel besass.*) Dedi-
cationen an Tellus oder, wie sie später häufiger genannt wird. Terra mater,
sind verhältnismässig selten,^) von besonderem Interesse ist eine durch
die Inschrift Terrae matri deae piae gesicherte statuarische Darstellung,^)
in welcher die Göttin im Gegensatz zu der auch auf römischen Denk-
mälern häufig begegnenden griechischen Bildung der gelagerten Erd-
göttin ^) in einer Aedicula thronend erscheint, verschleiert, mit Ähren be-
ki'änzt, Scepter und Opferschale in den Händen.
In unmittelbarer Nachbarschaft der Hauptfeste von Tellus und Ceres,
Fordicidia und Cerialia, liegen (abgesehen von den vier Tage nach den
Cerialia am 23. April stattfindenden Vinalia, s. oben S. 102) noch mehrere
Festlichkeiten von Gottheiten verwandter Art, die im Frühjahr für das
Gedeihen der Frucht und die Fernhaltung alles Feldschadens angerufen
werden.*) In letzterer Hinsicht feierte man insbesondere am 25. April
zur Abwehr des Rostes von den Getreidefeldern die Robigalia,^) an denen
man in feierlicher Prozession zu dem am 5. Meilensteine der Via Claudia
gelegenen Haine des Robigus^) zog und vom Flamen Quirinalis ein Hund
geopfert wurde. Die örtlichkeit*) ist wohl gewählt als einer der Grenz-
punkte der alten römischen Feldmark, von der die Gefahr durch Opfer
und Gebet femgehalten werden sollte und welche in früheren Zeiten,
als die Gemarkung noch klein war, von der Prozession wahrscheinlich
ganz umwandelt worden war, die Zeit mit Rücksicht darauf, dass gerade
im Frühjahr das Getreide der Rostkrankheit am meisten ausgesetzt ist;
das Hundsopfer spielt im ländlichen Kulte überhaupt eine grosse Rolle
') Benzen, Act. fr, Arv. p. 48. Eine
andere Indigitation derselben Göttin ist viel-
leicht auch der Doppelname Panda Cela: s.
Varro Menipp. frg. 506 Buech. und mehr
bei R. Peteb in Roschers Lexik. II 210 f.
»j Flor. I 14. CIL I« p. 337. Gilbert,
Topogr. I 193 ff. III 356. C. L. Visconti,
Bull. arch. com. XV 1887, 248 f. Elteb, De
forma urbis Romae I 19. Lanciani, BuU.
arch. com. XX 1892, 32 ff. Hülsen, Rom.
Mitt. Vlil 1893, 301 f.
») Tellus CIL II 2526. VI 769. 772. VIII
8305. 8246. 8247. 8309. X 6104; Terra mater
(stets so) II 3527. lU 996. 1152. 1284. 1285.
1364. 1555. 1599. 6313. VI 770. 771. 3731.
XII 359. XIV 67.
*) Bull. arch. com. I 1872 Taf. III. CIL
VI 3731.
<") B. Stark, De Tellure dea (Jena 1848)
p. 36 ff.
') Mit einem dieser Feste wird der dies
tinearum ac murium identisch sein, gegen
dessen Feier noch im 6. Jhdt. Martin von
Bracara (de correct. rustic. c. 11, vgl. Caspari
z. d. St.) predigt; mit welchem, ist nicht
sicher zu sagen.
») Varro de 1. 1. VI 16; de r. r. I 1, 6.
Fast. Praen. Paul. p. 267. Plin. n. h. XVIII
285. Ovid. fast. IV 905 ff. Colum. X 342 f.
Serv. Georg. I 151.
*) Dass nur diese Namensform gut tiber-
liefert ist, betont mit Recht Jordan zu
Prbllkr, R. M. II 44, 2; Sobigus bieten die
fast. Praen., Varro, Paulus, Plinius, Servins
aa. 00., ausserdem Gell. V 12, 14, eine
Göttin kohigo kennen nur Ovid und Colu-
mella aa. 00. und aus ihnen die Kirchen-
väter (Tertull. de spect. 5. Lact. I 20, 17.
August, c. d. IV 21).
•) Vgl. über diese Mousrn CIL P
p. 316 f. UsEKER, Religionsgesch. Untersuch.
I 299 f.
A. Di indigetea. 29. Gottheiten der Erde nnd des Landbana.
163
und wird z. B. als geläufiges Sühnopfer vom Bauer in dem Falle dar-
gebracht, dass er sich genötigt sieht, eine dringende Arbeit ausnahms-
weise an einem dies feriatus vorzunehmen. ^ In demselben Sinne wie an
den Robigalia findet das Hundsopfer von Staatswegeh noch einmal statt,
bei dem sogenannten Augurium canarium, welches alljährlich an
einem von den Pontifices eigens dafür anberaumten Tage durch ein Opfer
rötlicher Hunde begangen wurde,*) und zwar zu der Zeit, wo die Ähren
des Getreides noch in den Scheiden lagerten,') also nicht weit entfernt
von den Robigalia: dass es trotzdem verschiedene Festlichkeiten waren,
geht einerseits aus dem Umstände hervor, dass das sacrum canarium zu
den feriae conceptivae gehörte, während die Robigalia an einen bestimmten
Tag ein für allemal gebunden waren, andererseits aus der Verschieden-
heit des Ortes, da das Augurium canarium nicht, wie die Robigalia,
an der Grenze der römischen Flur, sondern unweit eines römischen
Stadtthores stattfand, das davon Porta Catularia hiess (Paul. p. 45) : der
aus der Übereinstimmung von Zeit, Bestimmung und Opfertieren zu er-
schliessende Zusammenhang beider Opfer lässt sich im einzelnen nicht
mehr genau erkennen: doch sind die rötlichen Hunde, die hier geopfert
werden, gewiss ebenso ein Symbol des die Saaten verheerenden Sonnen-
brandes, wie die Füchse, die man nach altem Brauche am Feste der
Cerialia hetzte, nachdem man ihnen brennende Fackeln an die Schwänze
gebunden hatte (Ovid. fast. IV 681 f.).
Zusammen mit den Robigalia pflegen die alten Gewährsmänner die
Floralia zu nennen als eine Feier, die in derselben Weise der Fürbitte
für das blühende Getreide gelte, wie die Robigalia der für Erhaltung des
sprossenden.^) Jedoch besteht zwischen beiden ein tiefgreifender Unter-
schied insofern, als die Robigalia zu den Feriae der ältesten Festtafel ge-
hören, während die Ludi Florales erst in verhältnismässig später Zeit ein-
gesetzt sind. Im J. 516 = 238 nämlich wurde auf Anordnung der sibyl-
linischen Bücher beim Circus maximus ein Tempel der Flora erbaut^)
und am 28. April durch Spiele eingeweiht, welche seit dem J. 581 == 178
ständig wurden und in der caesarischen Zeit volle 6 Tage (28. April bis
3. Mai) dauerten. <^) Die Erwähnung der sibyllinischen Bücher und der
ausgelassene Charakter der Spiele, bei denen besonders Mimen aufgeführt
wurden und die Tänzerinnen auf Verlangen des Publikums nackt auftreten
mussten,^) lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier ein griechi-
scher Eult^) unter dem Deckmantel eines italischen Namens eingeführt
*) Colmn. II 21, 4: sed ne aementeni
quidemadministrare, niaiprius catulo feceris,
nee faenum seeare, vineire atU vehere ac ne
vindemiam quidem cogi per religiones ponti-
fieum feriis licet nee oves (andere, nisi ai
eatido feeeria,
«) Fest. p. 285. Philargyr. zu Verg.
Georg. IV 425.
*) Plin. n. h. XVIII 14: üa enim est in
commentariis pontifieum: augurio eanario
agendo dies eonatituantur priusquam fru-
metUa vaginia exeant nee antequam in vaginaa
perveniant.
*) Varro r. r. I 1, 6. Plin. n. h. XVIII
285 f.
») Plin. n. h. XVIII 286. Vell. Fat l 14,
8. Tac. ann. II 49. Der Tempel wurde wieder-
holt restauriert, zuletzt noch im J. 391 durch
Q. Aurelius Symmachus; vgl. Ausr, De
aedib. sacr. p. 17 Nr. 37.
>) MOMMBEN CIL V p. 317.
^) Die Zeugnisse bei Mabquardt. Staats-
verw. III 379. 502; in der Eaiserzeit wurden
die Spiele auch ausserhalb Roms begangen,
CIL VIII 6958.
") Eine nfthere Bestimmung desselben
11*
164
Religion und Knltna der Römer. II. GOtterlehre.
wurde. Von Haus aus jedoch ist Flora eine italische Göttin, deren Ver-
ehrung sich noch bei den Oskern und Sabinern nachweisen lässt^) and
von welcher bei den letzteren ein Monat den Namen mese Flusare (= mensis
Floralis) führte.') Dass sie schon im ältesten römischen Gottesdienste ihre
Stelle hatte, wird bewiesen zwar nicht durch die Angabe des Varro (de
1. 1. V 74), dass T. Tatius ihr in Rom einen Altar gestiftet habe, wohl
aber durch das Vorhandensein eines eigenen Flamen Floralis') sowie durch
die Thatsache, dass die Arvalbrüder, deren Piacularopfer nur an alt-
römische Gottheiten gerichtet sind, auch ihr opfern.^) Wenn die älteste
Festtafel keine Feier der Flora anführt, so erklärt sich das wohl daraus,
dass dieselbe wie andre ländliche Feste conceptiv war; wir werden kaum
fehlgehen mit der Annahme, dass schon in ältester Zeit ein wandelbares
Fest der Flora alljährlich Ende April oder Anfang Mai gefeiert wurde,
das nachher durch die Ludi Florales zurückgedrängt wurde; der Name
steht vielleicht noch bei Paul. p. 91 : FlorifeHum dictum, quod eo die spicae
feruntur ad sacrarium <Florae>.^) Das Heiligtum der alten italischen rustica
Flora (Martial. V 22, 4) lag auf dem Quirinal, zwischen dem Quirinus-
tempel und dem Capitolium vetus,®) und bestand noch am Ausgange des
Altertums; doch war es kaum eine wirkliche aedes sacra — die Ealen-
darien verzeichnen den Stiftungstag nicht — sondern nur ein bescheidnes
sacellum. Jedenfalls aber zeigt der Fortbestand dieses Heiligtums und
des Flamen Floralis, sowie die Stelle der Göttin im Dienste der Arvalen,^)
dass die altrömische Flora durch den griechischen Kult gleichen Namens
nicht völlig verdrängt wurde, sondern neben ihm weiterlebte.
Dass wie die Blüte, so auch die Frucht in der ältesten römischen
Götterordnung ihren eignen Vertreter und Beschirmer besass, beweist das
Vorhandensein eines Flamen Pomonalis, der in der Rangfolge der Flamines
die unterste Stelle einnahm;^) ein Pomonal, wohl ein heiliger Hain, lag
zwölf Milien von Rom entfernt seitwärts der Strasse nach Ostia.*) Er-
gänzt werden diese spärlichen Zeugnisse durch sakrale Urkunden der ver-
wandten italischen Stämme: in den iguvinischen Tafeln begegnet uns ein
Götterpaar Puemunus publicus mit Vesuna Puemuni publici,^^) und wenn
sich auch der Name der letztgenannten, auch bei den Marsern verehrten ^^)
erscheint nnmöglicli ; Ovids Deutung (fast.
V 195 ff.) auf Ghloris beruht wohl nur auf
Kombination.
') Auf der Tafel von Agnone (Zyetaieff,
Inscr. It. inf. dial. Nr. 87) und auf einer
oskischen Inschrift von Pompeji, Zvetaieff
a. a. 0. Nr. 147.
*) Zvetaieff a. a. 0. Nr. 10 und CIL IX
3518.
») Varro de 1. 1. VII 45; das Amt wird
noch in der Eaiserzeit besetzt, CIL IX 705.
*) Benzen, Act. fr. Arv. p. 146.
*) Varro de 1. 1. V 158. Vitruv. VII 9,
4; vgl. Bbgkbr, Topogr. S. 577. Ht^LSBN,
Rhein. Mus. XLIX 407.
^) Diese Ergänzung scheint durch die
von Verrius Flacous vorgeschlagene Ety-
mologie gefordert; diese selbst aber ist kaum
zutreffend, sondern der Name hängt wohl
mit fertum (eine Art Opferkuchen) zusammen.
') Weihinschriften sind selten: CIL XIV
8486. £ph. epigr. IV 725 (vervollständigt
Bull. arch. com. X 1882, 149 f.).
8) Fest. p. 154. Varro de 1. 1. Vn 45.
^) Fest. p. 250; vgl. Desjabdins, Essai
sur la topographie du Latium (Paris 1854)
p. 218.
^^) BüECHELBE, Umbrica p. 162. Auf einem
etruskischen Spiegel (Gebhard-Eobbte, Etr.
Spiegel. V Taf. 85) ist Vesuna mit Phuphluns
ebenso gepaart wie sonst Ariadne, doch be-
tont Koebte im Text S. 45 f. mit Recht,
dass wir daraus auf die Bedeutung der
Vesuna keine Rückschlüsse ziehen dürfen.
^0 Vesune Erinie et Erine patre CIL IX
3808 = Zvetaieff, Inscr. Ital. infer. dial.
A. Di indigetea. 29. Gottheiten der Erde nnd des Landbana.
165
Göttin einer sicheren Erklärung entzieht, so wird man doch den Zusammen-
hang des umbrischen Puemunus mit der römischen Pomona um so we-
niger in Zweifel ziehen dürfen, als sich auch bei den Sabinern von Ami-
temum^) und in Unteritalien dieselbe Gottheit unter dem Namen Poimunis
oder Pomonis findet.^) Es muss dahingestellt bleiben, ob es in Rom ur-
sprünglich ein Götterpaar Pomonus und Pomona (wie Faunus und Fauna
u. a.) gab, oder ob Pomonal und Flamen Pomonalis in der That zu einem
männlichen Pomonus gehören und dies Verhältnis erst später dadurch
verkannt wurde, dass man eine Göttin Pomona ansetzte. 3) Jedenfalls
beruht es auf ganz freier Erfindung, wenn Ovid von der Werbung des
Vertumnus um Pomona zu erzählen weiss (met. XIV 623 flf.) oder andre
sie zur Gemahlin des durch Circo in einen Specht verwandelten Laurenter-
königs Picus machten.^)
Mitten unter den Festen des April, zwischen den Fordicidia und
Cerialia auf der einen, den Robigalia und dem wahrscheinlich anzuneh-
menden wandelbaren Florafeste auf der andern Seite steht das Hauptfest
der Hirten und Viehzüchter, *) die Parilia (21. April). Der Name, durch
Dissimilation B,\xa Palüia gebildet,*) weist auf eine Gottheit Namens Pa/^;
aber während die Späteren durchweg von einer dea Poles reden, bezeugt
uns Varro die Existenz eines männlichen Pales,^) und da es ebensowenig
angeht, dieses Zeugnis einfach zu verwerfen, wie ein Götterpaar von zwei
Gottheiten gleichen Namens aber verschiedenen Geschlechtes anzusetzen,
so bleibt nur die Annahme übrig, dass, was soeben für Pomonus-Pomona
als Möglichkeit hingestellt wurde, bei Pales wirklich geschehen ist, dass
nämlich die nur von dem Feste ausgehende Kombination aus diesem will-
kürlich auf eine weibliche Gottheit schloss, während dem Varro noch
Zeugnisse dafür vorlagen, dass der älteste Kultus Pales männlich aufTasste.
Leider wissen wir von dem im J. 487 = 267 von M. Atilius Regulus ge-
lobten templum Palis nichts weiter als die Thatsache seiner Existenz^) und
kennen weder das Geschlecht der Gottheit, welcher es galt, noch die Lage
des Heiligtums. Ein weibliches Gegenstück zu dem männlichen Pales ist
wahrscheinlich die dem Namen nach von ihm nicht zu trennende diva
PaUiiua, welche einen eignen Flamen Palatualis besass^) und von der Berg-
Nr. 41, Tgl. ebd. Nr. 43 Vesune; über die
hier neben ihr erscheinende männliche Gott-
heit ist nichts zu ermitteln.
*) ZvBTAiEFF a. a. 0. Nr. 10: mesene
flusare poimunien atmo, von Deecke bei
Zybtaibff p. 176 erklärt als Poimuni en
Äterno = Fomoni in A{mi)terno. Vgl. Büe-
cuELEB, Umbr. p. 158 f.
') CIL X 581: ad exornandam aedem
Pomonis.
') Identisch mit ihr ist wohl kaum die
Poemana der spanischen Inschrift CIL II
257a.
*) 8erv. Aen. VII 190; bei Verg. Aen.
VIF 189 und Val. Flacc. VII 232 (vgl. Plut.
Q. R. 21) ist Circe selbst Gattin des Picus,
bei Ovid. met. XIV 320 ff. eine Nymphe
Canens. Vgl. Wissowa, Philol. Abhandl. M.
Hertz dargebr. S. 163 f.
^) Ungewissen Alters sind die nur ein-
mal (Plin. n. h. XVill 12) erwähnten houm
causa gefeierten Judi bubetiif die wohl mit
der Göttin Bubona (August, c. d. IV 24. 34)
zusammenhängen.
^) üeber den Namen s. Gobssbn, Aus-
sprache I 223. Falsche Ableitungen apartu
pecoris Paul. p. 222, a partu Iliae Solin. 1,
19. Charis. p. 58 E. Schol. Pers. I 72. Polem.
Silv.
^) Serv. Georg. III 1 ; vgl. Amob. III 40.
Mart. Cap. I 50.
•) Flor. I 20. Schol. Veron. Verg. Georg.
in 1.
•) Varro de I. 1. VII 45. Fest. p. 245;
nicht verschieden von ihm ist der (ritter-
liche) pontifex Palatualis CIL VIII 10500.
166 Religion nnd KoltoB der Eömer. IL GOtterlehre.
gemeinde {montani) des Palatin als besondre Schutzgottheit verehrt und
beim Feste des Septimontium durch ein Opfer, Pcdafuar genannt, gefeiert
wurde (Fest. p. 348): in der augusteischen Zeit war diese Diva Palatua
ebenso verschollen wie der männliche Pales und an beider Stelle die Qöttin
Pales getreten, von der aber niemand etwas anderes zu erzählen weiss,
als dass ihr das Fest der Parilia gelte. Dieses Fest selbst mit seinen
uns von Augenzeugen ausführlich beschriebenen Bräuchen gibt über die
Beschaffenheit des ganzen Kultes hinreichende Auskunft. Die Feier war
sowohl eine staatliche wie eine private,*) doch nur von der letzteren haben
wir genauere Kunde. ^) Man beging das Fest als Sühnfeier für Herden
und Hirten: die Vestalinnen verteilen an jedermann die Sühnmittel, näm-
lich die Asche der an den Fordicidia aus den fordae boves herausgeschnit-
tenen und verbrannten Kälber, das Blut des Oktoberrosses und Bohnen-
stroh, die Ställe werden ausgefegt und bekränzt, vermittels eines Lorbeer-
zweiges besprengt und mit Schwefel ausgeräuchert; die Opfer sind un-
blutige,^) Kuchen, Milch und ländliche Speisen, und ein lustiges, oft aus-
gelassenes Mahl krönt das Fest. Der wichtigste Festbrauch aber besteht
darin, dass man Feuer von Stroh und Heu anzündet und dann durch die-
selben hindurchspringt, auch wohl die Herden darüber hinwegtreibt, wie
die Alten selbst deutlich erkannten, ein Akt der Lustration,^) für den
Yiehstand von ähnlicher Bedeutung wie die lusfratio agri für die Felder.
Wenn man später — wir können nicht feststellen, seit wann*) — die
Parilien als Gründungstag der Stadt Rom feierte, so kann der Grund
dafür kaum ein anderer gewesen sein als der, dass Pales-Palatua aufs
engste mit dem Palatin, dem Orte der ersten Ansiedlung, zusammenhängen.
Schon zu Caesars Zeit einmal eine Weile mit Circusspielen gefeiert, •) er-
hielt das Fest seit Hadrian unter dem Namen 'Pcö^ar« (Athen. VHI 361 P)
eine besonders glänzende Ausstattung und wurde noch im 5. Jahrhundert
als natalis urbis Romae festlich begangen.*^)
Litteratur: Pbeller-Jordan, Rom. Mythologie II 1 ff. Wissowa, Real-Encykl. III
1970 ff.
30. Gonsus und Ops. In Consus und Ops haben wir ein altes Paar
von Göttern des Erntesegens vor uns. Consus ist ebensowohl durch seinen
Namen wie durch die Festzeiten und das Ritual seines Kultes als agra-
rische Gottheit deutlich gekennzeichnet. Der Name, früher fälschlich wie
Cofisevius u. a. mit der Wurzel sa- säen in Beziehung gesetzt,®) ist rait
Sicherheit von condere abzuleiten und = Condius (vgl. condus promus
Plaut. Pseud. 608; conditor promifor Serv. Georg. I 21), bezeichnet ihn also
als den Gott der glücklich in den Scheuern geborgenen Feldfrucht.*) Dazu
stimmt die Thatsache, dass sein uralter Altar, der im Circusthale am Süd-
>) Varro bei Schol. Pers. I 72. 444 f.
•) Ovid. fast. IV 721 ff., vgl. Tibull. II •) Cass. Dio XLITI 42. XLV 6.
5, 87 ff. Prop. Vi, 19. 4, 75 ff. Pers. I 72. | ») Momksen CIL P p. 316; vgl.NissBN,
>) Plat. Rom. 12. Solin. 1, 19. Tempium S. 202. Dürr, Reisen Hadrians
*) Dion. Hai. I 88. Varro bei Pers. I 72. I S. 26.
') Die Sache ist jedenfalls viel älter als i ") Vgl. namentlich Rossbach, R5m. Ehe
die ältesten bekannten Zeugnisse Cic. de ! S. 330 ff.
divin. 11 98. Varro de r. r. II 1, 9; das ganze | ^) Momitsen CIL P p. 326.
Material bei Schwkglbr, Rom. Gesch. I
A. Di indigetes, 80. ConsiiB nnd Ops.
167
fusse des Palatin bei den unteren metae gelegen war,^) ein unterirdischer
war und nur an den Festtagen aufgedeckt wurde ; Mommsen hat mit Recht
darin eine Anlehnung an den aus der ältesten Landwirtschaft verschie-
dener Länder bekannten Brauch gesehen, das Getreide in unterirdischen
Räumen aufzubewahren. Nach einer vereinzelten Nachricht (Tertull. de
spect. 5) wurde hier am 7. Juli durch die sacerdotes publici, d. h. die
Pontifices, ein Opfer dargebracht; die eigentlichen Festtage aber waren die
Consualia, die im ältesten Kalender an zwei Tagen, dem 21. August und
15. Dezember, verzeichnet sind; der erste Tag, der als Hauptfest aufzu-
fassen scheint,^) kann als eigentliches Erntefest gelten, während der zweite
vielleicht den Schluss des Ausdrusches bezeichnet. Die Festfeier trug einen
durchaus ländlichen Charakter: Erstlinge der Ernte werden geopfert (Dien.
Hai. II 31), wir hören von Turnspielen der Hirtenbevölkerung (Varro bei
Non. p. 21), die Arbeitstiere des Landmannes, Pferde und Esel, ruhen und
werden mit Blumen bekränzt,") insbesondere aber finden ludi circenses statt,
und zwar in Form von Wettrennen der Maultiere, die als die wichtigsten
Zugtiere unter dem besonderen Schutze des Consus stehen.^) Ein Tempel
wurde dem Consus im J. 482 = 272 durch L. Papirius Cursor auf dem
Aventin erbaut; sein Stiftungstag fiel mit den Consualia des 21. August
zusammen, bis er bei einer durch Augustus (nach dem J. 7 n. Chr.) vor-
genommenen Restauration auf den 12. Dezember verlegt wurde.^) Die
Deutungsversuche der Alten waren wenig glücklich:^) teils knüpfte man
an die Rennspiele an^) und sah daher in Consus einen Poseidon Inniog,
wobei freilich die unterirdische Anlage des Altars keine Erklärung fand;
gerade von dieser gingen andere aus, indem sie Consus als den Urheber
geheimer Ratschläge {Consus == deus consüii) auffassten und ihn insbeson-
dere dem Romulus den Anschlag zum Raube der Sabinerinnen, den die
Überlieferung darum auch auf das Fest der Consualia verlegte, eingeben
Hessen. Man sieht, dass der Gott frühzeitig in Vergessenheit gerathen
war, wenn auch sein Fest noch in augusteischer Zeit begangen wurde. ^)
') Varro de 1. 1. VI 20. Dion. Hall. II
31. Plut. Rom. 14. Tert. de spect. 5. 8. Serv.
Aen. VITI 636; die von Tertall. de spect. 5
mitgeteilte Inschrift des Altars Consus con-
süio Mars dueUo Lares f coillo potentes kann
in dieser Form keinenfalls authentisch sein,
wenn auch die Verbindung des Consus mit
Mars nnd den Laren an sich wohl ver-
st&ndlich wäre (vgl. Wissowa in Roschers
Lexik. II 1870).
') Varro de 1. 1. VI 20 erwähnt nur ihn,
und Tert. de spect. 5 gedenkt eines an
diesem Tage vom Flamen Quirinalis und den
vestalischen Jungfrauen an dem unterirdi-
schen Altare dargebrachten Opfers; auch
dass der Stiftungstag des aventinischen
Consusheiligtums auf diesen Tag gelegt
wurde, spricht dafür, dass er der Hauptfest-
tag war. An den Consualia des 15. Dezember
war nach den Bruchstficken der praenesti-
nischen Fasten der Rex sacrorum irgendwie
beteiligt. Die Angabe des Plut. Rom. 15,
der die Consualia auf den 18. August setzt,
beruht auf Irrtum, und ihre Verlegung in
den März bei Serv. Aen. VIH 636 auf Ver-
wechslung mit den Equirria.
») Plut. Q. R. 48. Dion. Hai. I 33. Fast.
Praen. z. 15. Dec.
*) Dion. Hai. II 31. Serv. Aen. VIII
635 f. Ps. Ascon. p. 142 Or. Paul. p. 148;
vgl. Mommsen, Rom. Forsch. II 42 f.
^) AusT, De aedib. sacris p. 14. 43.
MoMMSBN CIL P p. 326.
*) Zeugnisse bei Wissowa in Roschers
Lexik. I 926.
^) Einige verglichen die arkadischen
'InnoxQiheia und erklärten daher den Ar-
kader Euander für den Grflnder des Consus-
kultes (Dion. Hai. I 33).
8) Strab. V 230. Dion. Hai. II 31. üeber
eine angebliche Darstellung der Consualia
auf einem Sarkophagrelief vgl. A. Riese,
Arch. Zeit. XXII 1864 S. 250* ff. E. HObneb
ebd. 260*.
168
Religion nnd Knltna der ROmer. IL GOtterlehre.
In engster Beziehung zu Consus steht die Göttin Ops, eine Ver-
körperung des reichen Erntesegens, die meist fölschlich als Erdgottheit
aufgefasst und mit Saturnus in Verbindung gebracht wird, während sie
als Genossin des Consus sowohl ihr Eultbeiname Ops Gonsiva^) (ebenso
zu fassen wie Here Martea, Janus Junonius u. a.) wie die Lage ihrer
alten Feste kennzeichnet: es sind dies die Opiconsivia am 25. August und
die Opalia am 19. Dezember, beide je 4 Tage nach den beiden Gonsualia
fallend, also ebenso wie diese in deutlicher Beziehung zur Ernte stehend.
Ein eignes Heiligtum besass Ops in älterer Zeit nicht, und das Opfer an
den Opiconsivia fand in einer Kapelle der Regia statt, zu welcher ausser
dem Pontifex maximus und den Vestalinnen niemand Zutritt hatte;') diese
Abgeschlossenheit, die zu der Verborgenheit des unterirdischen Consus-
altares in unverkennbarer Beziehung steht, wurde später Veranlassung
dazu, in Ops Consiva die geheime Schutzgottheit der Stadt Rom, deren
Name nicht verraten werden durfte, zu vermuten (Macr. S. III 9, 4). Wo
und auf welche Weise die Opalia gefeiert wurden, wissen wir nicht.
Später war mit jedem der beiden Feste die Stiftungsfeier eines Tempels
der Ops verbunden, mit den Opiconsivia die eines auf dem Capitol, mit
den Opalia die eines am Forum gelegenen; ersterer wird zuerst im J.
568 — 186 erwähnt,') letzterer ist vielleicht das Heiligtum der Ops Opi-
fera, welches zwischen 631 = 123 und 640 = 114 vom Pontifex L. Cae-
cilius Metellus Delmaticus geweiht wurde (Plin. n. h. XI 174). Wenn wir
dieser Ops Opifera auch unter den Gottheiten begegnen, denen am Tage
der Volcanalia (23. August) ein Kollektivopfer zur Abwehr von Feuersnot
dargebracht wurde,^) so erklärt sich das wohl daraus, dass sie besonders
zum Schutze des in den Scheuern aufgespeicherten Getreides gegen Feuers-
gefahr angerufen wird; es ist also kein Zufall, dass dies Opfer gerade
mitten zwischen* C!onsualia und Opiconsivia fällt. Als man dann für alle
römischen Gottheiten griechische Parallelen suchte, fand man die nächste
Verwandtschaft mit Ops in Rhea, und so galt sie später allgemein als die
Gattin des mit Kronos identifizierten Saturnus,^) wofür die benachbarte
Lage ihrer Feste (Saturnalia 17. Dezember, Opalia 19. Dezember) eine Be-
stätigung abzugeben schien.^) An diese hellenisierte Ops ist wohl gedacht
») Varro de 1. 1. VI 21. Fest. p. 186.
Macr. S. III 9, 4. Vgl. Jobdak, Heimes XV
15 f. and zu Pbellbb, Rom. Myth. II 21, 1.
24, 2. WissowA, De feriis anni Roman, p. IV.
») Varro de 1. 1. VI 21. Fest. p. 186.
») Jobdan, Topogr. 1 2 S. 43, vgl. S. 364 f.
AusT, De aedib. sacr. p. 23 Nr. 56; ganz wirr
6U.BBBT, Topogr. I 247 ff. Der Tempel wird
ausser in den Arvalakten auch in den Akten
der Saecularspiele des Augustus (Eph. epigr.
VllI p. 254) und in dem Militärdiplome vom
9. Juni 83 erwähnt (Eph. epigr. V p. 613:
Bomae in Capitolio intra ianuam Opis ad
latus dextrum).
*) Fast. Arv. CIL P p. 326: Volcano [in
cireo Flam{inio). lutumae et nymp\hi8 in
eamp{o), Opi Opifer(ae) [in foro'f], Quir(ino)
in colle. Volk(ano) [in] comii{io). Vgl. oben
S. 140 und unten S. 185.
') So schon Plaut. Cist. 515; Mil. glor.
1082; Persa 252; vgl. Enn. Euhem. frg. 515.
516 Baehr. Die alte Inschrift des Dressei-
schen Gefässes (Schnrideb, Dial. Ital. exempla
I nr. 19), wo angeblich Sat{urnu8) und Ops
Toitesia vereint vorkommen, ist gerade in
dem Namen des Saturnus, der in der ganz
singulären Abkürzung Sat erblickt wird,
gewiss nicht richtig gedeutet.
•) Varro de 1. 1. V 57. 64. Fest. p. 186.
Macr. I 10, 19 ff. Der von Macr. S. I 10, 21
berichtete Brauch: huie deae sedentes tfota
concipiunt terramque de industria tangunt
bezieht sich nicht auf Ops, sondern auf die
griechische Rhea; über Analogien im grie-
chischen Kulte s. Stengel, Griech. Kultus-
altert. S. 58.
A. Di indigetes. 31. Satumufl und Lna.
169
bei der Errichtung eines Altars der Ops Augusta, der zusammen mit einem
solchen der Ceres mater im J. 760 = 7 n. Chr., wahrscheinlich zu Ehren
der Kaiserin Livia, geweiht und jährlich am 10. August durch Feriae ge-
feiert wurde. ^) Die spärlichen auf den Kult der Ops bezüglichen italischen
Weihinschriften >) darf man dagegen wohl noch auf die alte Erntegöttin
beziehen.
31. Satnmus und Lua. Dass Saturnus der Gott der Aussaat ist,
geht sowohl aus dem bereits von den Alten meist richtig gedeuteten^)
Namen (ursprünglich Saeturnus),^) als aus der Lage seines Festes, der
Satumalia, hervor, welches auf den 17. Dezember, an den Schluss der
Winteraussaat, föllt. Dass er eine allgemeinere Bedeutung als chthonische
Gottheit besessen habe, hat man wegen seiner Verbindung mit der ver-
meintlichen Erdgöttin Ops angenommen, die jedoch nicht ursprünglich,
sondern erst unter griechischem Einflüsse entstanden ist;^) auch mit Dis
pater haben ihn erst die hellenisierenden Erzählungen Späterer in Verbindung
gebracht,*) und wenn man ihm neuerdings eine Stelle im altitalischen Toten-
kult hat anweisen wollen, so beruht das nur auf dem mehr als fragwürdigen
Zeugnisse (s. oben S. 168 Anm. 5) der noch keineswegs sicher gedeuteten
Inschrift des esquilinischen Thongefässes.^) Allerdings ist auch kaum
eines andern altrömischen Gottes Wesen durch graecisierende Umbildung
so früh und so stark verdunkelt worden, wie es bei Saturnus der Fall
gewesen ist. Ein Altar des Gottes lag seit unvordenklichen Zeiten am
Fusse des Clivus Capitolinus am Forum, und schon im J. 257 = 497
wurde ihm an derselben Stelle ein Tempel geweiht, dessen Stiftungstag
mit der Festfeier der Saturnalia zusammenfiel ; dieses Heiligtum ist nächst
dem capitolinischen das älteste Gotteshaus Roms, über dessen Stiftung
eine Aufzeichnung vorhanden war, und wie jenes das sakrale Centrum
der Staatsverwaltung bildete, so spielt auch der Saturntempel im öffeni>-
lichen Leben eine wichtige Rolle, da in seinen Kellern der Staatsschatz,
das aerarium Satumij geborgen ist.®) Von den ursprünglichen Formen
des Kultes und der Festfeier haben wir keine Kunde, da unsere Nach-
richten sich sämtlich auf eine Zeit beziehen, in welcher bereits die völlige
Hellenisierung dieses Gottesdienstes eingetreten war ; man opferte in heller
historischer Zeit dem Saturnus mit unbedecktem Haupte, also graeco ritu.
') MoMxssN CIL P p. 324.
') Tempel der Ops in Praeneste CIL
XIV 3007 ; Weihinschriften aas Alba Fucens
(IX 3912) and Aesernia (IX 2633), letztere
Opi divinae (jedoch nicht anverdächtig, s.
CIL XIV 270*. 273*), was sich aach auf
MttDzen des Pertinaz findet (Cohen nr. 13 f.
39 f.; Ops augusta aaf Mttnzen des Ante-
ninus Pias, Cohen nr. 201. 698—700). Opi
aug. m Africa CIL VIII Sappl. 16527.
*) Varro de 1. 1. V 64 und bei Aug. c.
d. VI 8. VII 13. 19. Tert. ad nat. II 12.
Fest. p. 186. 325. Macr.S. I 10, 10; anders
Cic. nat. d. II 64. III 62; vgl. Schwrolbb,
R. G. I 224 f.
^) Saetumtis ist bezeugt durch die alte
Gefftssinschrift CIL I 48 und durch die von
RiTSCHL hergestellte Glosse des Paul. p. 323;
vgl RiTSCHL, Opusc. IV 270 ff. B. Mausen-
BRECHBB, Arch. f. Ist. Lexicogr. VIII 292 f.
*) S. oben S. 168 und Wissowa, De
feriis anni Roman, p. IV ff.
') Zeugnisse bei R. Peter in Roschers
Lexik. I 1181 ff. Das von Macr. 8. I 11, 48
erwähnte sacellum Ditis (vgl. 17, 30) arae
Saturni cohaerens hat in Rom nie existiert,
s. unten § 50.
') H. Dkessel, Annali d. Inst. 1880, 187.
Jobdan, Hermes XVI 241.
^) Zeugnisse über den Tempel voUstftn-
dig bei Jordan, Topogr. I 2 S. 360 ff.
170
Beligion und Knltiui der Römer. II. GOtterlehre.
was Veranlassung zu der Hypothese gab, dass sein alter Altar eine Grün-
dung griechischer Einwanderer sei;*) das Tempelbild war das des grie-
chischen Kronos mit der Sichel (ursprünglich Krummschwert oder Harpe)
in der Hand,*) und seine Füsse waren mit Wollenbinden umwickelt, die
nur am Tage des Festes gelöst wurden, ein Brauch, für den sich Ana-
logien im griechischen Ritual finden.^) Der Zeitpunkt der Umwandlung
des latinischen Kultes in einen griechischen ist in diesem Falle bekannt:
im J. 537 = 217 wurde nicht nur beim Saturn tempel ein Lectistemium
abgehalten, sondern auch eine neue Art der Saturnalienfeier eingeführt;
postremo Decembri tarn mense ad aedem Saturni Romae iminolatum est lec-
tisterniumque imperatum — et eum lectum senatores straverunt — et conti-
vium publicum ac per urbem Saturnalia diem ac noctem clamata populusque
eum diem festum habere ac servare in perpetuum iussus (Liv. XXII 1, 19);
seitdem ist die Festfeier eine griechische geblieben.^) Ob sich in ihr
neben den weit überwiegenden griechischen Elementen auch noch Reste
der alten nationalen Feier erhalten haben, ist zweifelhaft; die Bewirtung
der Sklaven durch ihre Herren, die man als besonders charakteristisch
für die Saturnalien anzusehen gewohnt ist, findet jedenfalls zahlreiche
Analogien in griechischen Festgebräuchen, ^) und auch für die Sitte, sich
bei diesem Feste mit Kerzen und thönernen Puppen {sigiUaria) zu be-
schenken, steht einer Herleitung aus dem Griechischen wenigstens nichts
im Wege. Warum man Saturnus grade mit Kronos identificierte,*) ist
nicht mehr zu ermitteln; wenn Welckeb (Gr. Götterl. I 160) meint, die
Ähnlichkeit der dem Saturnus von Haus aus zukommenden Sichel mit
dem Krummsch werte des Kronos habe den Anknüpfungspunkt geboten,
so widerspricht dem nicht nur die allgemeine Thatsache, dass wir ein-
heimische, von den griechischen unbeeinflusste Göttertypen in Rom über-
haupt nicht kennen, sondern auch die Erwägung, dass dem Saturnus als
Saatgotte die Sichel ja gar nicht zukommt. Jedenfalls wurde die Identi-
fikation der beiden Götter namentlich auch in der Richtung durchgeführt,
dass die Sage von dem dereinst unter der Regierung des Kronos vor-
handenen goldenen Zeitalter auf Saturnus übertragen wurde, der nun als
ein alter König von Latium und Repräsentant der ältesten Kultur Italiens
erschien; die ganze Halbinsel sowie viele einzelne Städte, insbesondere
auch eine alte Niederlassung auf dem capitolinischen Hügel, sollten nach
ihm den Namen Saturnia geführt haben, er galt als der Begründer höherer
Gesittung, und alle Erinnerungen an eine einfachere, glücklichere, unver-
dorbene Vorzeit knüpften sich an seinen Namen.') Nach Dionys von
») Fest. p. 322. Paul. p. 119. Dion.
Hai. I 34. Vr 1. Flut, Q. R. 11. Macr. S. I 8,
2 10 22
») Fest. p. 186. 325. Macr. S. I 7, 24
und mehr bei Schwbolbb, R. 6. I 223, 3.
3) Macr. S. I 8, 5. Stat. eilv. I 6, 4.
Arnob. IV 24; vgl. Marquabdt, Staatsverw.
TU 252, 2. E. RoHDB, Psyche S. 178, 2.
*) Graeco ritu fiehantur Saturnalia sagt
Cato frg. p. 48, 14 Jord. = Priscian. VIII
p. 377 H.
») Athen. XIV 639 B. Ueber die römi-
schen Saturnalia, ihre Geschichte und Ge-
bräuche reichhaltige Stellensammlung bei
Mabquabdt, Staatsverw. lil 586 ff.
^) Schon Livius Andronicus (Odiss. frg. 2.
15 Baehr.) gibt K^oyidtjg mit Saturni fiUus
(puer) wieder.
^) Das Material vollständig bei Schwbo-
lbb, R. G. I 212 ff. Die meisten Neueren
(z. B. Pbbunbb, Hestia-Veste S. 389) behan-
deln diese Erzählungen als altitalische Sagen.
A. Di indigetes. 31. Satnmiis und Lna. 171
Halikarnass (ant. I 34) hätten zahlreiche Heiligtümer im ganzen Lande
von der Verehrung des Saturnus Zeugnis gegeben, aber die uns bekannten
Thatsachen bestätigen diese Angabe nicht, sondern lassen den Kult fast
ganz auf Rom beschränkt erscheinen. Die Annahme eines alten etrus-
kischen Saturnkultes ^ steht auf sehr schwachen Füssen, und eine antike
Hypothese, die den Saturnus zu den angeblich von Titus Tatius in Rom
eingebürgerten sabinischen Gottheiten rechnete, ist schon von Ambbosch
(Stud. u. Andeut. S. 148 £f.) u. a. mit Recht zurückgewiesen worden; so
sind uns in Italien nur ganz vereinzelt in Yenafrum cuüores Saturni be-
zeugt,') während Weihinschriften ganz fehlen. Das Satumalienfest aber
ist im Osten wie im Westen des Reiches bis zum Siege des Christentums
und darüber hinaus wohl das populärste und beliebteste Fest des alten
Kalenders gewesen, eine Art antiker Karneval, der von allen Ständen,
auch beim Heere, ^) gefeiert wurde und unter dessen Bräuchen namentlich
auch der erwähnt wird, durchs Loos einen König {Saturnalicius princeps
Senec. apoc. 8) für die Festzeit zu bestimmen, dem alle sich zu fügen
hatten;^) in der Spätzeit scheinen auch hier mancherlei orientalische
Einflüsse sich geltend gemacht zu haben, wie überhaupt der Name Sa-
turnus auch manchen ausserhalb des griechisch-römischen Religions-
kreises stehenden Gott gedeckt hat. So gelten im Tridentinischen^) und
in Afrika^) die zahlreichen an Saturnus gerichteten Inschriften einheimi-
schen Gottheiten, auf die man den römischen Namen übertragen hatte;
in Afrika ist es der phönicische Ba'alchammän, der diesen Namen führt,
und auf ihn beziehen sich die namentlich bei den Kirchenvätern häufig
auftretenden Erwähnungen von dem Saturnus dargebrachten Menschen-
opfern.')
Im Kulte ist mit Saturnus die Lua mater als Lua Saturni^) gepaart,
die neben Mars und Minerva (d. h. Nerio) unter den Gottheiten erscheint,
quibus spolia hostium dicare ins fasque est, und von der wir zweimal hören,
dass ihr die den Feinden abgenommenen Waffen geweiht und verbrannt
werden.') Das weist darauf hin, dass es eine unholde Macht war, die
man zu versöhnen wünschte, und auf eine solche deutet auch der Name,
der von Ines gewiss nicht zu trennen ist; als eine Feindin der Saaten,
also gewissermassen als das feindliche Gegenspiel ihres Kultgenossen
Saturnus, wird sie geradezu bezeichnet in einem von Pbelleb (Rom. Myth.
1) Dkeckb, Etnisk. Forsch. II 65 ff.
») Cic. ad Att. V 20, 5. Tac. hist.
III 78.
*) Tac. ann. XIII 15. Epict. diss. I 25,
8. Luc. Sat. 2—4. 9; vgl. dazu die darch
die nengefandenen Märtyrerakten des Da-
sius (Anal. Bolland. XVI 1897, 5 ff.) veran-
lassten Erörterungen von L. Pabmentibr
und F. CuMONT, Revue de philol. XXI 1897,
143 ff. und von P. Wbndlakp, Hermes XXXII
175 ff.
') CIL X4854; XI 1555 (aus Faesulae)
ist die Ergänzung unsicher.
») CIL V 3291-3293. 8844(Verona). 3916.
4013. 4198 (hier heisst der Gott Alus Sa-
turnus, 4197 nur Alus), 5000. 5021—5024.
5068. 5068». 5069; versprengt 2382 (Ferrara).
III 1796 (Narona).
•) CIL VIII Index p. 1085. Ueber den
Kult des punischen Saturnus J. Toütain, De
Saturni dei in Africa Romana cuUu, Paris
1895.
') Die Stellen bei Gehler zu Tertull.
apolog. 9. üeber Ba'alchamm&n Ed. Mbtbb
in Roschers Lexik. I 2869 ff.
«) GelL XIII 23, 2. Varro de 1. L VIII 36.
•) Liv. VIII 1, 6. XLV 33, 2.
172
Beligion und Knltna der Römer. II. GOtterlehre.
II 22, 3) überzeugend verbesserten Zeugnisse eines Yergilkommentators.O
Inschriftliche Denkmäler ihrer Verehrung fehlen.*)
32. Faunus. Fauna. Silyanus. Alter und Bedeutung des Faunus-
kultes ergeben sich aus der Stellung seines Spezialpriestertums, der Luperci,
und aus dem Ansehen seines Jahresfestes, der Lupercalia,'') das sicher zu
den ältesten der römischen Festordnung gehört, da es noch ganz an die
älteste Stadtbegrenzung, das antiquum oppidum Palatinum, gebunden er-
scheint. Am Nordwestabhange des Palatin lag die Wolfsgrotte, das
Lupercal, welche seit unvordenklichen Zeiten den Sitz der Verehrung des
Gottes bildete ;*•) um den Fuss des Berges ging der sühnende Umlauf, den
alljährlich am Feste der Lupercalia (15. Februar) die Luperci vollzogen; 5)
zur ältesten Palatingemeinde muss auch das Geschlecht der Quinctii gehört
haben, dem ursprünglich die Bekleidung des Priestertums allein oblag,
bis später nach Vollzug des Synoecismus mit der Gemeinde der Hügel-
römer aus letzterer zu den alten Luperci Quinctiales die Luperci Fabiani
hinzutraten.*) Der Name lupercus, der sicher nichts weiter bedeutet als
„Wolf**, wenn auch der Sinn dieser Benennung nicht völlig klar ist,')
bezeichnet nicht den Gott, sondern seinen Priester und ist von da auf
das Fest und die Kultstätte übertragen worden; die nächste Analogie
bieten (um von den aqxxoi^ nähaacu^ xavgoi griechischer Kulte hier abzu-
sehen) die durch ihre Lustrationsriten, darunter das Überschreiten glü-
hender Kohlen, bekannten Priester des Gottes vom Berge Soracte, die
ebenfalls den Namen hirpi d. i. Wölfe führen.®) Die Gebräuche der Luper-
calienfeier^) lassen die Bedeutung und das Wesen des Gottes, dem sie
gelten, noch mit hinreichender Deutlichkeit erkennen. Einerseits ist es
ein Hirtenfest, ^^) wie namentlich der äussere Aufzug der Luperci zeigt;
sie erscheinen nackt bis auf ein um die Hüften geschlagenes Ziegenfell, ^^
und ganz ebenso stellte ein später im Lupercal aufgestelltes Bild auch
den Gott selbst dar. ^2) Auf der andern Seite weisen wesentliche Elemente
in den bei der Feier zur Anwendung kommenden Ritualvorschriften auf
>) Serv, Aen. III 139 (zu den Worten
arhoribusque aatisqtie lues): quidam dicunt
diversis numinibus vel bene vel male faciendi
potestatem dicatam, tU , . , , sterilitatem tarn
Saturno, quam Luae (Hss. Lunae); hanc
enim aictU Saturnum orbandi potestatem
habere.
^) Die Inschrift bei Garrucci, Sylloge
Nr. 553 = Fabrbtti-Gamurrini, Corp. inscr.
Ital. append. Nr. 921 mit den Worten luad
ma ist noch nicht sicher gedeutet. Reihbsius,
Synt. I 238 = CIL X 730* ist unecht.
') Dass die Lupercalia dem Faunus gel-
ten, sagen ausdrücklich Ovid. fast. II 268.
V 101 und Flut. Rom^ 21 ; sonst wird dafür
gewöhnlich Tlay AvxaTog genannt (auch von
Römern), wegen der Anknüpfung von luper-
cus an Xvxatog^ oder Epitheta des Faunus
(Inuus, Februus u. a.) eingesetzt; vgl. unten
S. 173 f. Anm. 10.
*) Dion. Hai. I 31, vgl. 79; es wurde
von Augustus wiederhergesteUt, Monum.
Anc. 4, 2.
^) Genaue Angabe der durch cippi noch
in der Kaiserzeit gesicherten Linie bei Tac.
ann. XII 24.
*) MoMMSEN. Rom. Gesch. I 51.
'') Jordan, Krit. Beitr. 164 f.; darum
fand nach Varro (bei Arnob. IV 3; vgl. Lact.
I 20, 2) die Wölfin, welche Romulus und
Remus gesäugt hatte, als Luperca göttliche
Verehrung.
•) Plin. n. h. VII 19. Serv. Aen. XI 785.
*) Vollständige Materialsaromlung bei
Mavquardt, Staatsverw. III 442 ff.
»<>) Cic. pro Cael. 26. Flut. Caes.ei.
»>) Dion. Hai. I 80. Serv. Aen. VIII 663
u. a. Sie heissen darum selbst ereppi, d. h.
Böcke, Paul. p. 57 und dazu S. Buoob,
Jahrb. f. Philol. CV 1872, 92 f.
^*) Justin. XL1 II 1, 7. Ueber erhaltene
Faunusdarstellungen zuletzt noch A. Milch-
höfer, Jahrb. d. Vereins v. Altertumsfr. im
Rheinl. XC 1891, 8 ff.
A. Di indigetes. 82. Fannas. Fauna. Bilyanna. 173
Reinigung und Sühnung hin,^) und zwar mit spezieller Beziehung auf die
Fortpflanzung und Vermehrung der Gemeinde sowohl wie ihrer Herden.
Hierher gehört das auch sonst gerade bei Lustrationen gebräuchliche Opfer
eines Hundes,') die Geremonie, dass zwei Jünglinge mit dem blutigen
Opfermesser an der Stirn berührt und dann sofort mit in Milch getauchter
Wolle gereinigt wurden, worauf sie laut auflachen mussten,*) ferner der
als Lustrationsakt typische Umlauf, endlich die Sitte der Luperci, mit den
aus dem Fell des geopferten Bockes geschnittenen Riemen {februa) die
sich ihnen entgegenstellenden Frauen zu schlagen, um ihnen dadurch
Fruchtbarkeit zu verleihen.^) Dieser letztgenannte Brauch, der das Fest
auch zum Kulte der Geburtsgöttin Juno (s. oben S. 119) in gewisse Be-
ziehungen setzt, kennzeichnet den Faunus deutlich als einen Gott der
animalischen Befruchtung, und in dieser Auffassung wird er auch ganz
besonders auf dem Lande als Schützer der Viehzucht verehrt. Hier feiern
ihm die einzelnen pagi besondre Feste, ^) und hier hat er sich auch zu
einer reicheren Wirksamkeit entfaltet, indem er als Schirmherr des länd-
lichen Lebens nach all seinen Seiten hin gilt; er ist der deus agrestis
schlechtweg (Ovid. fast. H 193. HI 315), und nicht nur die Herde, sondern
auch Ackerwirtschaft und Jagd erfreuen sich seiner Obhut. ^) Man ver-
ehrt ihn dementsprechend in ländlicher Weise, durch das Opfer eines
jungen Tieres der Herde, ^) im Freien unter einem heiligen Baume (Verg.
Aen. XII 766), vor allem im Walde, der als sein Lieblingssitz gilt. Als
Waldgeist fasst man ihn weiter einerseits als den Herrn der im Walde
vernehmbaren geheimnisvollen Stimmen* der Natur und darum als zu-
kunftskundigen, weissagenden Gott,^) andererseits als übermütigen und
spukhaften Kobold, der die Menschen neckt und plagt und sie nachts als
Alp (Incubo) überfällt;*) auch glaubte man, dass er mit den Tieren der
Herde sich geschlechtlich vermische, und leitete daher den alten Namen
Inuus, der entweder ein Beiname des Gottes oder die Sonderbezeichnung
einer nachher mit Faunus zusammengeflossenen Gottheit ist,^^) ab ineundo
') Varro de 1. 1. VI 13. 34. Ovid. fast.
II 31 u. a.
>) Plat. Rom. 21; Qu. Rom. 111.
') Fiat. Rom. 21 and dazu Disls, Sibyll.
BlAtter 69, 2.
«) Flut. Rom. 21. Ovid. fast. II 425 ff.
Juven. 2, 142 m. Schol. Serv. Aen. VIII 343.
Nach Qelasios adv. Andrem. (Thibl, Epist.
pontif. Rom. I 601) hatte Livias in der
zweiten Dekade davon gesprochen, dass die
Laperoalia propter sterUUatem mulierum,
quae iunc aeeideraiy exsolvendam eingesetzt
worden wären; möglicherweise fand wirklich
in jener Zeit eine Erweiterung des nrsprttng-
liehen Festbraaches statt (doch versetzen
Ovid. fast. II 425 ff. and Serv. Aen. VIII
343 die Beziehung des Festes auf die Frucht-
barkeit der Frauen schon in die Zeit des
Romulus), aber die von Q. F. Ungbb, Rhein.
in pratis vaeat otio8o cum bave pagus) am
5. Dezember schildert Horaz carm. Ilt 18;
solche Feste meint wohl Prob, zu Verg.
Georg. I 10: ei in Italia quidam annuum
8acrum celehrant, alii menstruum. Vgl. auch
S. 174 Anm. 9.
*) Fauntu quod frugibus faveat Serv.
Georg. I 10. Prep. V 2, 33.
») Hör. c. I 4, 12. Ovid. fast II 361.
•) Fatuus Serv. Aen. VI 775. VlI 47.
VlII 314; daher verkflndet in Schlachten
seine aus dem Walde ertönende Stimme den
Sieg, Dion. Hai. V 16, vgl. Cic. de div. I
101; de nat. deor. II 6. ÜI 15; fatidieus
Verg. Aen. V[1 82; man denkt sich die Orakel
des Faunus in Versen und macht ihn so
zum nQxVY^^V^ ^^^ Dichter, Enn. bei Varro
de 1. 1. VII 36. Fest. p. 325. Hör. carm. II
17, 28.
Mus. XXXVI 1881, 59 ff. an die Nachricht , •) Plin. n. h. XXV 29, vgl. VIII 151.
geknfipften Combinationen sind ganz haltlos. I Serv. Aen. VI 775.
*) Ein solches Qaufest (v. 11 f.: featus , *®) Inuus wird mit Faunus gleichgesetzt
174
Religion und Knltos der Römer. IL GOtterlehre.
passim cum omnibus animalibus (Serv. Aen. VI 775) ab. In diesem Vor-
stellungskreise ist es sehr schwer zu scheiden, was volkstümliche italische
Anschauung, was Entlehnung aus verwandten Gebieten griechischer Reli-
gion und Mythologie ist. Denn schon ziemlich früh ist unter dem Ein-
drucke des Bocksgewandes der Luperci die Identifikation des Faunus mit
dem griechischen Pan vollzogen worden, dessen Kult man durch den Ar-
kader Euander in Rom eingeführt glaubte;^) das ursprüngliche Wesen des
Gottes wurde dadurch derartig verwischt, dass man sich ihn nicht nur
als gehörnten und bocksbeinigen Gesellen vorstellte,') sondern ihn auch
zum sterblichen Halbgotte degradierte') und entsprechend den griechischen
Satyrn und Panisken von einer Mehrheit von Fauni zu reden sich ge-
wöhnte.^) Auf der andern Seite bemächtigte sich auch die rationalisie-
rende Pseudohistorie des Faunus, um ihm in der Liste der Laurenterkönige
seinen Platz zwischen Picus und Latinus anzuweisen und unter seiner
Regierung die Einwanderung des Euander anzusetzen:^) Picus und Faunus
zusammen wurden dann die Helden eines dem Proteusabenteuer der
Odyssee nachgebildeten Märchens, nach welchem Numa sie im Schlafe
überlistet und ihrer Weissagekunst die Offenbarung der Blitzsühne ab-
zwingt.^)
Die Verehrung des Faunus hat sich, soviel wir wissen, ganz auf
Rom und dessen nächste Umgebung beschränkt ; ^) für Tibur bezeugen
Vergil (Aen. VII 82 flf.) und Ovid (fast. IV 649 flF.) ein Traumorakel in
einem heiligen Haine des Faunus, ohne dass sich mit Sicherheit ermitteln
Hesse, wieviel an der Schilderung desselben der Phantasie der Dichter
verdankt wird. In Rom erhielt der Gott im Jahre 560 = 194 einen auf
der Tiberinsel gelegenen Tempel,^) dessen Stiftungsfest möglichst nahe
an die Lupercalia, auf den 13. Februar, gelegt wurde.*) Die Lupercalia
selbst aber haben, durch Augustus wiederhergestellt (Suet. Aug. 81), als
bei Serv. Aen. VI 775. Prob, zu Verg. Georg.
I 10. Rutil. Nam. I 234. (Aur. Vict.] origo
4, 6; mit gesuchter Gelehrsamkeit setzt
Macr. S. I 22, 2 ff. seinen Namen für den
griechischen Pan ein, ebenso Arnob. 111 28
{pecorum gregibtts Poles praesunt Inutisque
cuatodea) für Faunus: daher darf man auch
aus Liy. I 5, 2, der den Gott der Lupercalia
nennt: Lyca^utn Pana . . ., quem Ramani
deinde vocaverunt Inuum, nicht schliessen,
dass das Fest dem Inuus gegolten hätte,
sondern Livius hat nur einen Namen für den
andern gesetzt, da beide als gleichwertig
galten. Dass Inuus von Hause aus ein eigner
Gott gewesen sein kann, soll nicht geleug-
net werden, es spricht dafür der lateinische
Ortsname Castrum Inui (Verg. Aen. VI 775;
vgl. Hülsen, Realencycl. III 1769); nur hat
er mit den Lupercalia nichts zu thun, und
auf keinen Fall durfte ihn G. F. Unobb
(Rhein. Mus. XXXVI 1881, 75 ff.) für eine
etruskische Gottheit halten ; denn dass Rutil.
Namat. I 232 einen Ort Castrum Inui in
Südetrurien nennt, beruht nur auf einer Ver-
wechlung (es heisst Castrum novum, vgl.
Bormann CIL XI p. 531).
^) Serv. Georg. I 10. Schwbqlbr, Rom.
Gesch. I 351 f.
*) z. B. Ovid. fast II 359. lll 312. V 93.
99 u. a.
») Serv. Aen. I 372.
*) z. B. Lucr. IV 580 ff. Ovid. Ib. 81 f. ;
vgl. WissowA, Rom. Mitt. I 1886, 164 f.
*) RuBiNO, Beiträge zur Vorgesch. Ita-
liens S. 62 ff.
') Valer. Antias bei Arnob. Vif. und
Plut. Numa 15. Ovid. fast. III 291 ff.
^) Vgl. Prob, zu Verg. Georg. I 10:
rusticia persuaaum est ineolentihua eam par-
tem Italiae, qtiae suburhana est, sciepe eos
(nämlich Faunos) in agria conspici.
«) Liv. XXXll 42. 10. XXXIV 53, 3 f.;
vgl. Jobdan, Comm. Momms. p. 362.
») Ovid. fast. II 193 f. und die Fasti
Esquilini, dazu Wissowa, Hermes XXVI
140, 2. Die Schilderungen ländlicher Frflh-
lingsfeste des Faunus bei Borat, carm. 1 4,
11. Calpurn. ecl. 5, 24 ff. haben mit diesem
natalis tempH nichts zu thun.
A. Di indigetes. 82. Fannns. Fauna. Bilyanns.
175
ein besonders angesehenes und hochwichtiges Fest die ganze Kaiserzeit
hindurch fortbestanden, und ihre Bedeutung für den Volksglauben erhellt
insbesondere daraus, dass noch am Ausgange des 5. Jahrhunderts n. Chr.
um Fortbestand oder Aufhebung der Lupercalia heftige Kämpfe zwischen
der römischen Bevölkerung und der Kirchenbehörde stattfanden.*) Um
so mehr muss es auf den ersten Anblick befremden, dass dem Gotte
Faunus geltende Weihinschriften nicht vorliegen^) und sich auch in lit-
terarischen Zeugnissen der nachaugusteischen Zeit so gut wie keine Er-
wähnung der privaten Verehrung des Gottes erhalten hat. Die Erklärung
dafür kann nur darin gefunden werden, dass, während im Staatskult die
offizielle Feier des Faunus an den Lupercalia fortbestand, im Gottesdienste
des täglichen Lebens Faunus in den Hintergrund gedrängt wurde durch
einen erst aus ihm selbst hervorgegangenen Gott von ursprünglich enger
begrenztem Wirkungskreise, durch Silvanus. Die adjektivische Bildung
dieses Namens zeigt, dass dieser ursprünglich Epitheton eines andern Gottes
war, und das kann kein andrer als der süvicola Faunus (Verg. Aen. X 551)
gewesen sein, mit dem er stets in den Hauptzügen seines Wesens nahe
Verwandtschaft behalten hat.^) Einen Staatskult des Silvanus hat es nie
gegeben, die öffentliche Beligionsordnung kennt weder einen Tempel, noch
ein Fest, noch einen Priester des Gottes; ein Bild des Silvanus, das am
Forum unterhalb des Saturntempels unter einem alten Feigenbaume stand
(Plin. n. h. XV 77), ist gewiss ebenso eine private Weihung gewesen, wie
die mehrfach inschriftlich bezeugten Altäre und aediculae des Gottes in
Rom,^) unter denen in der Kaiserzeit namentlich ein auf dem CoUis hor-
torum. gelegenes Heiligtum hervorragt.^) Silvanus hat auch in der Stadt
nichts zu thun, denn, wie sein Name besagt, ist er der Gott des Waldes,
zugleich aber auch einerseits, da die »ilvatica pastio in der älteren Zeit
überwiegt, der Beschützer des im Walde weidenden Viehes,^) andererseits,
da die Wälder die ältesten Grenzscheiden bilden, der Schirmherr der
Grenze. 0 Je mehr dann der Wald der menschlichen Kultur weicht, um
80 mehr wird Silvanus zum Gotte der an die Stelle des Waldes tretenden
ländlichen Niederlassung, der vüla-^ daher zeigt das typische Bild des
Gottes ihn einerseits als unkultivierten Waldbewohner ^) mit struppigem
') Gelasius ady. Andromacham bei Tbibl,
Episi poDÜf. Rom. I 598 ff. und dazu BÜ-
DivGBB, Jahrb. f. Philol. LXXV 1857, 201.
UsBNBSy Religionsgesch. Untersuch. I 303 f.
318; 8. auch oben S. 89.
') Die einzige Ausnahme bildet eine von
Gaucklbr, Bull, arcb^ol. du comit^ des trav.
bist. 1894, 241 Nr. 24 veröffentlichte späte
Inschrift von Thabraca in Africa: Fauno
aug{}t8to) 8acr{um) u. s. w. Wahrscheinlich
liegt hier eine gesucht« Herbeiziebung des
altrOmischen Göttemamens vor, wie auch
bei den africanischen Weihungen an Janus
(CIL VIII 2608. 4576; Suppl. 15577. 16417).
*) Selbst die Gabe der Weissagung
schrieb der Volksglaube ihm ebenso zu wie
dem Faunus, denn als den Urheber der das
Ergebnis der Schlacht am Walde Arsia ver-
kündenden Stimme nennt Liv. II 7, 2 den
Silvanus st^tt des Faunus (Dion. Hai. V 16);
als spukender Waldkobold thtt Silvanus
ebenso auf wie Faunus (August, c. d. XV 23,
vgl. VI 9).
<) Vgl. z. B. CIL VI 576. 597. 607. 629.
656.
») G. Gatti, Bull. arch. com. XVI 1888,
402 (die Lage auf dem »Gartenhttger ist ge-
wiss kein Zufall); auf diesen Tempel bezieht
sich vielleicht Hist. Aug. Tac. 17, 1. Sonst
s. UüLSBN-EiBPBBT, Form. urb. Rom. p. 65.
^) Artorum pecorisque deus Verg. Aen.
VIII 600.
^) Tutor finium Hör. epod. 2, 22; vgl.
Gromat. vet. p. 302.
^) Horridus Hör. carm. III 29, 23. Mart.
X 92, 6.
176
Beligion und Kaltus der Bömer. IL GOtterlehre.
Barte, einen Pinienkranz auf dem Haupte und einen Baum oder Baumast
im Arm/) andererseits mit den Emblemen höherer Kultur ausgerüstet: er
hält ein sicheiartig gekrümmtes Gärtnermesser in der Hand, ein Fell oder
Schurz mit Früchten hängt an seinem Halse und zu seinen Füssen sitzt der
Hund, der treue Wächter des Grundstückes. >) Sein Kult ist, den ländlichen
Verhältnissen entsprechend, durchweg ein sehr einfacher: ein Hain oder
ein einzelner Baum oder ein aus Stein und Rasen schnell aufgebauter
Altar bilden die Stätten seiner Verehrung, 3) Milch oder ein Tier der
Heerde das Opfer. ^) Der alte Cato (de agric. 83) beschreibt das Opfer,
das der Landmann pro bubus uti valeant dem Mars (s. oben S. 132 Anm. 3)
und dem Silvanus darbrachte ; dabei ist von Interesse die auch anderweit
bezeugte ^) Bestimmung, dass kein Weib dem Opfer beiwohnen und dessen
Hergang beobachten durfte, eine Parallele zu dem Ausschlüsse der Männer
von dem Gottesdienste der Fauna (s. unten S. 177). Die Verehrung des
Silvanus war eine so allgemeine, dass jedes Grundstück seinen eignen Sil-
vanus besass^') und damit sein Kult zu dem der nach den einzelnen Häusern
individualisierten Laren und Penaten in die engste Beziehung trat;^)
ebenso wie diese ist er häufig Patron von Vereinen und Kollegien,^) als
welcher er auch oft neben dem Genius der Korporation genannt wird;^)
auch mit dem Hercules domesticus (s. unten § 41), Diana, Liber, den
Nymphen und andern Göttern des Landes und Waldes finden wir ihn
häufig verbunden. >o) Die Zahl der Denkmäler seines Kultes ist eine ausser-
ordentlich grosse und umfasst so ziemlich alle Teile des Reiches, wenn auch
naturgemäss die einzelnen Vorstellungen unter dem Einflüsse lokal-einhei-
mischer Anschauungen in den verschiedenen Gegenden stark von einander ab-
gewichen sein mögen. '^) Die Behandlung des Silvanus durch die Dichter
entfernte sich von der Volksreligion recht weit; man setzte ihn teils mit
Pan,**) teils mit Silen^^) gleich, vei*flocht ihn demgemäss in Mythen grie-
chischer Herkunft ^^) und vervielfältigte ihn ebenso wie Faunus zu einem
Gattungsbegriffe von Silvani, die mit den Fauni Satyri Nymphae in dem
') Vgl. Verg. Ecl. 10, 24 f.; Georg. I
20. Martian. Cap. V 425; daher Silvanus
dendrophorus CIL VI 640 f.
*) Visconti, Bull. arch. com. II 1874,
182 ff. WissowA, Rom. Mitteil. I 161 ff.
») Verg. Aen. VIII 600 ff. CIL VI 610.
Prop. V 4, 5. Mart. X 92, 6 ff.
*) Hör. epiat. U 1, 143. Juven. 6, 447.
Mart. a. a. 0.
') Schol. Juven. 6, 447 : caedere Silvano
porcum] quia Silvano mulieres non licet
saerificare; vgl. CIL VI 579 und H. Jordan,
Vindiciae serm. lat. antiquiss. (1882) p. 5 ff.
**) Daher Bezeichnungen wie Silvantis
Flaviorum CIL VI 644, Silvanus Naevianus
VI 645, Silvanus Caesarianensis IX 2113,
Silvanus Staianus IX 1552, Silvanus Vetu-
rianus XI 3289 u. a.
') z. B. CIL VI 582. 630. XIV 20. Sil-
vanus selbst heisst Lar agrestis VI 646.
8) z^ B. CIL VI 612. 630. 631. 632. 647.
3713. X 444. 5709. XIV 309; mehr bei
LiEBENAX, Zur Gesch. u. Organ, d. röm. Ver-
einswesens S. 293.
^) z. B. Sancto deo Silvano, Genio coüegii
Zeunitorum CIL VI 693; Silvano et Genio
eq. sing, aug. VI 3712.
»0) z. B. mit Hercules CIL VI 288. 298
-297. 309. 310. 329. 597. 607. 629. 645.
834 (mit den Nymphen). 3690. XIV 17. 2894.
IX 4499.
^0 Vgl. z. B. über die Silvani und SO-
vanae in Dalmatien R. Schmbidbb, Arch. epigr.
Mitt. aus Oesterr. IX 1885, 35 ff.
»*) z. B. Plaut. Aulul. 674. 766. Acc.
trag. frg. 405. Stat. Theb. VI 111.
»») Verg. Georg. II 494. Ovid. met. XIV
638.
^*) So in die Kyparissossage (Serv. Georg.
I 20; Ecl. 10, 26) an Stelle des ApoUon
(Serv. Aen. III 64. 680. Ovid. met. X 106 ff.);
eine Erzählung von der Geburt des Silvan
bei Prob, zu Verg. Georg. 1 20.
A. Di indigeiefl. 88. Fannos. Fauna. BilTanna.
177
semideum genus des bakchischen Thiasos auftreten.^) Schliesslich liess ihn
die gelehrte Spekulation ebenso wie den griechischen Pan zum kosmogo-
gonischen Gotte werden und deutete den Namen Silvanus als x^sog vhxog^
d. h. deus materiae^ eine Theorie, in der die Vorstellungen von einem
Silvanus Gaelestis (CIL VI 638), Silvanus Pantheus') u. ähnl. sowie seine
Aufnahme in den Mithraskult ') ihre Erklärung finden.
Sehr stark verwischt ist das Bild der neben Faunus verehrten alt-
römischen Fauna, die in der hellenisierenden Auffassung der römischen
Gelehrten bald zur Gattin, bald zur Schwester, bald zur Tochter des Faunus
geworden ist, da der rituelle Ausdruck Fauna Fauni (wie Inno loviSy
Nerio Martis) alle Deutungen zuliess.^) Der Synkretismus späterer Zeit
hat sie mit manchen andern göttlichen Gestalten, namentlich mit Ops und
Maja, identifiziert, ohne dass darauf Wert zu legen wäre ; wohl aber kommt
ihr noch ein zweiter Name zu, Bona Dea, ursprünglich ein blosses At-
tribut der Göttin (wie duonus cerus), das aber nachher zum Eigennamen
geworden ist und den Namen Fauna ganz verdrängt hat.'^) Die altein-
heimische Auffassung dieser bona dea Fauna ist jedoch schon früh dadurch
stark verdunkelt worden, dass ein in Rom eingedrungener griechischer
Kult sich des Namens Bona Dea bemächtigte und dergestalt wenigstens
im staatlichen Gottesdienste die alten Vorstellungen völlig in den Schatten
stellte. Diese Göttin war nach der Angabe des Verrius Flaccus^) die in
Troizen, Epidauros, Aigina und Tarent nachweisbare Damia, eine durch
Geheimriten verehrte Frauengottheit ; ^) dass der Kult von Tarent nach
Rom kam, ist wahrscheinlich,^) dass sie gerade mit Fauna-Bona Dea gleich-
gesetzt wurde, hat seinen Grund wohl darin, dass auch vom Kulte dieser
Göttin die Männer ausgeschlossen waren. ^) Der Zeitpunkt der Reception
ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln, der Umstand, dass von dem Namen
der Göttin Damia und des Festes Damium für die Priesterin eine latei-
nische Benennung damiatrix gebildet wurde (s. Anm. 6), verbietet zu weit
herunterzugehen; am nächsten liegt es, die Aufnahme des Kultes mit der
Eroberung Tarents 482 = 272 zusammenzubringen. Das damals in Rom
eingeführte Fest^®) war eine griechische Ttavvvxtg, die in einer alljährlich
neu bestimmten Nacht zu Anfang Dezember ^0 ^^^ Geheimfeier unter strenger
») Ovid. met. I 193. Lucan. III 403. Plin.
n. h. XII 3.
>) CIL VI 695; vgl. die Statue des Pan
Pantheus bei E. Baumann, Die antiken
Marmorskulpturen des Grossh. Antiquariums
zu Mannheim, Festschr. z. 36. Philol. Ver-
samml. in Karlsruhe, 1882, S. 16 ff.
•) Vgl. F. CüMONT, Revue archöol. 1892
r 186 ff.
*) Varro de l. 1. VII 36. Serv. Aen. VII
47. VIII 814. Lact. inst. I 22, 11. Macr.
S. I 12, 21 ff. Amob. I 36. Tert. ad nat. II 9.
') Die gleiche Bedeutung hat die bei
den Picentem (Strab. V 241. Momxsbn CIL
IX p. 502) und Umbrem (Bubchslbb, Um-
brica p. 173) verehrte Göttin Cupra (von
cup' = bonua). Vgl. Wissowa in Roschers
Lex. I 931 f.
*) PauL p. 68: damium sacrificium, quod
BkndbQch der kUM, AltertamcwteenaohafU Y, 4.
fiebat in operto in honorem Bonae De(ie, dic-
tum a contrarietcUe, quod minime esset uafio-
Ciov id est publicum, dea quoque ipsa Damia
et sacerdos eius damiatrix appellahatur,
') 'ü yvkaixeia &66e heisst sie Macr. S. I
12, 27. Plut. Q. R. 20; Caes. 9; Cic. 19; vgl.
Prep. V 9, 25. R. Pbteb in Roschers Lexik.
1 943 ff.
8) DiELS, Sibyll. Blätter S. 44 f. Zib-
UNSKi, Quaest. com. p. 100, 7; vgl. auch
Cbusius, Philologus XLIX 675. A. Dibtbbich
ebd. LH 8 f.
•) Macr. 8. I 12, 28. Prep. V 9; vgl.
den Ausschluss der Frauen vom Kulte des
(Faunus- )Silvanu8, oben S. 176.
*°) Zeugnisse bei Mabqüabdt, Staatsverw.
III 345 f.
^^) Dass der Termin kein fester war (die
Nacht vom 3./4. Dezember ist es im J. 691
12
178
Beligion und KnltuB der Römer, n. Mtterlehre,
Fernhaltung der Männer^) von Siaatswegen pro populo^) begangen wurde;
die Feiernden sind die Frauen Roms, der Staat bringt das Opfer dar durch
die Frau eines Magistrates cum imperio, in dessen Hause auch die Feier
stattfindet,^) und durch die Yestalinnen, die hier wie überall die am Staats-
herde waltende Hausfrau vertreten.^) Der Festraum war mit Weinranken
geschmückt (Plut. Caes. 9), das Opfer bestand in einer porca (Marc. S. I 12,
23. Juven. 2, 86), der Wein spielte dabei eine grosse Rolle,^) Musik und
Tanz begleiteten die Feier. ^) Die griechische Göttin brachte auch ihren
ItQog Xoyog mit nach Rom, der aetiologisch die Eultgebräuche erklärte, den
Ausschluss der Männer, die Fernhaltung der Myrthe, die Anwendung des
Weines unter falscher Benennung ^) u. a. ; diese Legende, die uns in zwei
verschiedenen Versionen vorliegt,^) ist bis auf die Namen durchaus grie-
chisch^) und darf auf keinen Fall als einheimische Überlieferung angesehen
werden. Dieser griechischen Göttin galt der am Abhänge des Aventin
unterhalb des sogen, saxum sacrum gelegene Tempel der Bona Dea, der
von Livia wiederhergestellt wurde und sein Stiftungsfest am 1. Mai be-
ging ; ^0) auch hier war Männern der Zutritt versagt (Fest. p. 278). Von
grossem Interesse ist die Angabe (Macr. S. I 12, 25 f.), dass mit diesem
Tempel eine Apotheke verbunden war und dass dort Schlangen gehalten
wurden, wie in den griechischen Asklepieia; die Göttin trug also den
Charakter einer Heilgottheit, wie auch zahlreiche Inschriften der Kaiser-
zeit bezeugen.^*) Insbesondere sind es die Frauen, welche in Krankheits-
fällen ihre Hilfe anrufen, und Frauen versehen auch den Dienst an
diesen sakralen Heilstätten der Göttin, von denen wir ausser dem aven-
tinischen Tempel durch Inschriften namentlich noch ein Heiligtum in
Trastevere^') und ausserhalb Roms eines in Aquileja^^) nachweisen können;
diese dienstthuenden Frauen, deren Mitwirkung bei der Heilung zuweilen
= 63, Plut. Cic. 19. Cass. Dio XXXVII 35)
zeigt Cic. ad Att V 21, 14. VI 1, 26. XV 25.
*) Cic. de har. resp. 37 ; die zahlreicheD
sonstigen Belegstellen Real-Encykl. III 688 f.
*) Cic. de har. resp. 37; de leg. II 21;
ad AU. I 12, 3. 13, 3. Ascon. p. 43. 47.
Sen. epist. 97, 2. Juven. 9, 117. Cass. Dio
XXXVII 35.
') Cic. de har. resp. 37. Plut. Caes. 9;
Cic. 19. Cass. Dio XXXVII 45.
*) Cic. de har. resp. 37; ad Att I 13, 2;
de leg. II 21. Ascon. p. 43. Plut. Cass. Dio
aa. 00. ; vgl. dazu Jobdan, Tempel d. Vesta
S. 52. 56.
») Juven. 2, 87. 9, 117; vgl. 6, 314 flf.
Amob. V 18. Lact. I 22, 11.
<") Plut. Caes. 9. Juven. 6, 314 ff.
') Macr. S. I 12, 25: vinum in templum
eiu8 non suo nomine soleat inferri, sed vas
in quo inditum est meUarium nominetur ei
vinum lac nuncupetur; vgl. dazu Lobbck,
Aglaoph. p 879. Dibls, Sibyll. Blätter S. 7 1, 1.
^) Die ältere und bessere, auf Varro
zurückgehende Fassung bei Macr. S. I 12,
24 ff. Lact. inst. I 22, 9 ff. Tert. ad nat.
II 9. Serv. Aen. VIII 314; die jQngere, ratio-
nalisirende nach Sex, Clodius »exto de dis
graeco bei Amob. V 18; vgl. Lact. 1 22, 11.
Plut. Q. R. 20.
*) Hinweis auf griechische Parallelen
bei DiBTBBiCH a. a. 0. S. 9.
»0) Ovid. fast. V 148 ff. Macr. S. I 12,
21; die Angabe Ovids, dass eine Vestalin
Claudia die Stifterin sei, beruht auf einer
Entstellung der bei Cic. de domo 136 er-
zählten Geschichte, wonach im J. 631 = 123
die von einer Vestalin Licinia vorgenommene
Weihung einer ciedictila (nicht ctedea) Bonae
deae sub saxo als initissu poptdi geschehen
von den Pontifices nicht anerkannt wurde.
1') Bona dea Uygia CIL VI 72; dea
[bona V]aletudo Eph. epigr. V 1299; f&r
Heilung von Augenkrankheiten CIL VI 68.
75, von Ohrenleiden V 759 (Auribus Bonae
Deae; vgl. CIL III 986 und das Relief CIL
XII 654).
»«) CIL VI 65-68. 75; vgl. auch Hist
Aug. Hadr. 19, 11.
•») CIL V 756-762. 847. 8242; hier
steht ein einheimischer Gott Fonio neben ihr,
V 757 f.
A« Di indigetefl. 83. Die Gottheiten des Wasaen.
179
eigens hervorgehoben wird,^) heissen bald sacerdotes bald magistrae und
ministrae der Bona Dea.') Dieser ganze Zweig des Kultes der Bona Dea
gehört offenbar zum Dienste der griechischen Damia; die Erinnerung an
die alte Fauna-Bona Dea ist nicht vollkommen verschwunden, aber die
Bedeutung dieser Göttin hat sich im Laufe der Zeit stark verallgemeinert
und verflacht : wenn sie als Göttin des Landbaus, und zwar besonders von
den Gaugenossen, verehrt wird (wie Faunus, so oben S. 173),^) so kann
darin sehr wohl noch eine Erinnerung an die altrömische Fauna stecken;
sonst aber wird Bona Dea auch als Schutzgottheit bestimmter Örtlichkeiten
fast gleichbedeutend mit dem Genius loci angerufen,^) und in einer Reihe
von Beispielen ist sogar Bona dea einfach als Attribut zu dem Namen
einer andern Gottheit hinzugetreten.^) Der Anlass zu dieser Yerflachung
liegt in der wenig ausgeprägten Bedeutung des Namens, der die verschie-
densten Auffassungen zuliess; es lässt sich darum auch nicht ausmachen,
in wie weit an den namentlich in Latium ^) und den Nachbargebieten
zahlreich nachweisbaren^) Kultstätten der Göttin diese oder jene Grund-
anschauung vertreten war. Auch eine bei Albano gefundene inschriftlich
gesicherte Statue der Bona Dea^) trägt denselben unbestimmten Charakter ;
es ist eine vollbekleidete thronende Frau in einem aus unzähligen Vari-
ationen verschiedenster Bedeutung bekannten Typus mit dem ganz farblosen
Attribute des Füllhorns; nicht einmal das anderweitig bezeugte^) Symbol
der Schlange ist ihr beigegeben.
Litteratur: M. Mottt, De Fanno et Fauna sive Bona, Dea eiosque mysteriis,
Berolini 1840. D. db' Guidobaldi, Damia o Bona Dea ad occasione d'una iscrizione Osca
opistografa, Napoli 1865. A. Rbiffbbscheid, Annali d. Inst. 1866, 210 ff. G. Wissowa in
Hoscfaers Lexikon T 1453 ff. und Real-Encycl. 111 686 ff. R. Pbtbb in Röschere Lexikon I
789 ff. D. Vaglibbi bei Rüqgibuo, Dizion. epigraf. I 1012 ff.
33. Die Gottheiten des Wassers. Das fliessende Wasser natür-
licher Quellen, die aqua iugis,^^) spielt im Ritual des altrömischen Kultus
eine hervorragende Rolle; denn für alle sakralen Zwecke, namentlich für
die Reinigung vor dem Opfer oder zur Lustration nach vorangegangener
0 Per eam (d. h. Bona Dea) restittUa
omnia ministerio Canniae Fartunatcte CIL
VI 68.
«) Sacerdotes in Rom CIL VI 2236 f.
2240. Eph. epigr. IV 873 ; magistratus collegi
Bonae Deae VI 2239, tnagisterium Bonae
Deae XIV 4057; magistrae CIL VI 2288. IX
805. XI 3866. XIV 3437. Eph. epigr. VIII
624; ministrae CLL XU 654. Notiz, d. scavi
1881, 22; magistrae und ministrae in Aqui-
leja CIL V 757-759. 762.
') Cereria heisst sie CIL V 761, pagana
V 762 (vgl. die Weihung der magistri Laver-
neis . . pagi decreto CIL 11279 = IX 8138);
Bildwerke, die auf Landbau hinweisen, X
4615. Zur Vorsicht mahnt jedoch CIL VI 68,
wo die Göttin Bona Dea agrestis felix heisst,
die Weihung aber erfolgt oh luminihus
restUutis,
*) HoMxssN zu Ephem. ep. IV 723 ^
Daher Bona Dea castrensis (Eph. ep. IV 723.
CIL V 760, vgl. VI 70), Bona Dea arcensis
triumphalis (Eph. ep. VIII 183), Bona Dea
Annianensis (CIL VI 69), Bona Dea Sevina
(CIL XIV 3437) u. a.
*) Bona dea luno (CIL II l 3507), Venus
Cnidia (CIL VI 76), Isis (XI 3243 mit Bor-
manns Anmerkung), Caelestis (X 4849. XIV
3530).
^) Ausser den inschriftlichen Zeugnissen
(CIL XIV 2251. 3437. 3530. 4001. 4057) vgl.
Cic. pro Mil. 86 (s. auch Ascon. p. 27), der
eines sacrarium Bonae Deae bei Bovillae
gedenkt.
') Ausserhalb Italiens selten; z. B. CIL
VIII 4509. 10765. 11795. XII 654. 5830.
*) 0. Mabucchi, Bull. arch. com. VII
1879 227 ff
») Plut. Caes. 9; vgl Macr. 8. I 12, 25.
CIL VI 55.
•ö) Hör. serm. 11 6, 2; epist. I 15, 16.
Serv. Aen. II 719. Fest. p. 161 u. a.
12*
180
Religion nnd Kultus der Römer. II. GOtterlehre.
Befleckung, ist nur das vivo flumine^) geschöpfte Wasser brauchbar, nicht
das aus Cisternen oder Leitungen entnommene. In besonders alten und
mit strengem Geremoniell umgebenen Kulten ist für die Entnahme des
zur Reinigung des Tempels und zu sonstigen Eultzwecken nötigen
Wassers sogar ein bestimmter Quell vorgeschrieben. So mussten im
Dienste der Yesta ihre jungfräulichen Priesterinnen ursprünglich täglich
den Bedarf an Wasser selbst aus dem vor der Porta Capena gelegenen
Haine der Gamenae holen,') in dem eine Quelle besonders guten Wassers
entsprang.^) Diese Gamenae, welche in dem Haine eine kleine eherne
Aedicula^) besassen und Opfer von Wasser und Milch erhielten (Serv.
Ecl. 7, 21), sind sicher von Haus aus Quellgöttinnen und als solche auch
verstanden worden,^) wenn man sie auch zugleich früh^) und allgemein
mit den griechischen Musen identifizierte, anknüpfend an die ältere Namens-
form Casmenae, die- man von Carmen {*casmen) herleitete.') Zweifelhaft
bleibt es, ob die Gamenae zugleich auch als Geburtsgöttinnen angesehen
worden sind, wie die am Quell des Haines von Aricia verehrte Egeria, die
bei der Übertragung des aricinischen Dianendienstes nach Rom im Haine
der Gamenae ihre Kultstätte fand (s. unten § 37). Nahe gelegt wird
diese Vermutung durch die im Namen gegebene Beziehung der Gamenae
zur Göttin Garmentis oder Garmenta®), welche, ursprünglich wahrscheinlich
ebenfalls Quellgottheit, ^) als besondre Beschützerin der gebärenden Frauen
angerufen wurde. ^^) Von den beiden Hauptlagen, die das Kind bei der
Geburt einnimmt, führte sie den Doppelbeinamen Prorsa Postverta^^) (ge-
bildet wie Patulcius Clusivius, Condus PromuSy Panda Cela u. a.), woraus
man später missverständlich eine Mehrheit von Garmentes oder Beglei-
terinnen (Schwestern) der Hauptgöttin machte; auch die Beinamen Nona
Decimaj^^) hergenommen von den beiden hauptsächlich für die Geburt ent-
scheidenden Monaten, kommen wahrscheinlich der Garmenta zu (s. unten
§ 39). Die Bedeutung der Göttin im ältesten Kultus erhellt daraus, dass
sie nicht nur einen eigenen Flamen Garmentalis^') besass, sondern ihr Fest
(Varro, Verrius, Vergil, Ovid, Geilius, Servius
u. a.), Ckirmenta hat nur liv. I 7, 8 (aber
V 47, 2 ad Cartnentis). Hygin. fab. 277.
Solio. 1, 18. [Aur. Vict.] origo5 (letztere beiden
haben Carmenta and Carmentia dicht neben
einander) und (KaQfjiäyTtj) die Griechen (Strabo,
Dionys v. Halikamass, Plutarch).
') Darauf führt wenigstens die Bezeich-
nung als Nymphe, die sie häufig erhftlt,
z. B. bei Verg. Aen. VllI 336 (und dazu
Serv.). 339. Strabo V 230. [Aur. Vict.] origo
5 u. a.; vgl. Pbkukeb, Hestia-Vesta S. 3d4.
'») Plut. Rom. 21; Q. R. 56.
'*) Diese Namensformen gibt Varro bei
Gell. XVI 16, 4 und Tert. ad nat. 11 II;
Porrima und Postverta Ovid. fast. I 633.
Serv. Aen. VIU 336; Äntevorta und Post-
varta Macr. S. 1 17, 20.
»«) Varro bei Gell. HI 16, 10. Tert de
an. 37.
») Cic. Brut. 56. CIL VI 3720. Ephem.
epigr. IV 759.
1) Vgl. z. B. Verg. Aen. II 719 und Serv.
z. d. St. Liv. I 45. 6 = Aur. Vict. v. ill. 7.
Ovid. fast. IV 778. Val. Flacc. III 422. Tac.
bist. IV 53 u. a.
*) Plut. Numa 18; vgl. Jobdan, Tempel
der Vesta S. 63.
») Vitruv. VUl 3, 1. Liv. I 21. 3.
*) Sie wurde später vom Blitze ge-
troffen und erst in dem benachbarten Tempel
von Honos und Virtus, dann in der aedes
Herculis Mtisarum des Fulvius Nobilior auf-
gestellt (Serv. Aen. I 8); die von Plin. n. h.
XXXIV 19 erw&hnte aedes Camenarum ist
vielleicht eben diese aedea Herculis Musarum,
*) Varro bei Serv. Ecl. 7, 21. Tertull.
adv. Marc. I 13.
') Schon Liv. Andren. Odiss. frg. 1;
vgl. Varro de 1. 1, VII 26 f. Paul. p. 43. 67.
JoBDAN, Krit. Beiträge S. 131 ff.
') Anders Catnenae quasi canenae Macr.
comm. II 3, 4; vgl. Serv. EcL 3, 59. Paul,
p. 43.
*) Cartnentis ist die gewöhnliche Form
A. Di indigetes. 33. Die Gottheiten des Wassers.
181
ein zweitägiges war, in der Art, dass zwischen den beiden Festtagen (11.
und 15. Januar) der in der ältesten Festordnung mehrfach als bedeutungs-
voll zu beobachtende Zwischenraum von 3 Tagen lag.^) Mit der Erklä-
rung der Zweitägigkeit hat man sich im Altertume viele Mühe gegeben
und zur Begründung der Hinzufügung des zweiten Tages mancherlei Hy-
pothesen aufgestellt : die einen führten sie auf ein Gelöbnis bei einer Be-
lagerung von Fidenae zurück,') die andern wussten zu erzählen, dass sich
einst die Matronen Roms die versagte Erlaubnis, sich in der Stadt des
Wagens {carpentum) zu bedienen, durch Verweigerung der ehelichen und
mütterlichen Pflichterfüllung erkämpft hätten und der zweite Festtag der
Erinnerung an die erfolgte Versöhnung diene. ^) Liegt auch hier die Her-
leitung der ganzen Kombination aus der etymologischen Spielerei mit
Carmenta und carpenta auf der Hand, so hat doch die aetiologische Er-
findung mit Bedacht gerade die römischen Matronen zu Trägerinnen der
Handlung gemacht, weil deren Beziehungen zum Dienste der Göttin ausser
Zweifel standen. Als eine Stiftung der römischen Matronen galt das zwi-
schen Capitol und Fluss, nahe der danach benannten Porta Carmentalis,
gelegene alte Heiligtum,^) aus dessen Ritual wir die eine Bestimmung
kennen, dass nichts Ledernes (scortea), also von einem toten Körper Her-
rührendes hineingebracht werden durfte, weil dem Heiligtume der Geburts-
göttin jedes omen morticinum femgehalten werden musste.*) In der Lifc-
teratur tritt die Eigenschaft der Carmenta als Geburtsgöttin zurück hinter
der Betonung ihrer Weissagegabe, die wohl ebenfalls schon der ältesten
Auffassung der Göttin angehört, da wir diese Vereinigung von Quell-, Ge-
burts- und Weissagegottheiten auch sonst finden: man bezeichnete darum
Carmenta als eine Geburtsparze, die den Neugeborenen ihr Geschick singe, ^)
leitete ihren Namen nicht nur von den carmina,'') sondern von der sehe-
rischen Verzückung, dem carere mente,^) ab und erklärte die Beinamen
Antevorta und Postvorta von ihrem auf Vergangenheit und Zukunft in
gleicher Weise gerichteten Blicke.®) In den Erzählungen der römischen
Dichter tritt sie daher vielfach als Prophetin der künftigen Grösse Roms
oder einzelner Ereignisse auf ^^) und wird auch in die Vorgeschichte Roms
in der Art verflochten, dass man sie zur Mutter (oder Gattin, Plut. Rom.
21) des Euander und zur Arkaderin machte und mit den von der grie-
chischen Tradition an gleicher Stelle genannten Nymphen, Themis, Niko-
strate u. a., identifizierte.") So spielt sie in der Litteratur eine grosse
>) CIL I» p. 307. Ovid. fast. I 461 ff.
617 ff.; vgl. Varro de 1. 1. VI 12. Macr. S. I
16, 6. Fiat. Rom. 21; über den Stägigen
Zwischenramn Wissowa, De feriis anni Rom.
p. VIII.
') Fast. Praen. 15. Jan., vg]. Mommsbn
CIL I« p. 807.
•) Ovid. fast. I 617 ff. Plut. Q. R. 56.
*) Plut. Q. R. 56; fanum Carmentis
Gell. XVIII 7, 2. Solin. 1, 13, sacellum Ovid.
fast. I 629; gewöhnlich ist nur von einem
Altar (zwei arae Varro bei Gell. XVI 16, 4)
die Rede. Verg. Äen. VIII 337 und Serv.
z. d. St. Dion. Hai. ant. I 32.
») Ovid. fast. I 629 f. Fast. Praen.
11. Jan.; vgl. Varro de 1. L VII 84. Serv.
Aen. IV 518.
^) Quae fata nascentibua canunt August,
c. d. IV 11; vgL Plut. Rom 21; Q. R. 56.
Fast. Praen. 11. Jan.
') Plut. aa.OO. Solin. 1, 10. Mart. Cap.
II 159. Isid. orig. I 4.
«) Plut. aa. 00.
•) Macr. S. I 7, 20. Ovid. fast. I 685 f.
»0) z. B. Verg. Aen. VIII 333 ff. Ovid.
fast. 1 461 ff. VI 529 ff. Strab. V 230. Dion.
Hai. ant I 40.
'») Verg. Aen. VIII 333 ff. Ovid. fast I
182
Religion nnd Kultus der Römer. IL GOtterlehre.
Rolle, die nicht recht im Verhältnis steht zu der Bedeutung, die ihr im
Kulte der späteren Zeit zukam: denn, wie das völlige Fehlen von Weih-
inschriften zeigt, trat sie gegen Gottheiten verwandter Funktion wie Mater
Matuta, Diana, Juno Lucina völlig in den Hintergrund.
Ihren allgemeinen Ausdruck fand die Verehrung der Quellen im
Staatskulte durch das Quellenfest Fontinalia am 13. Oktober, bei dem man
Blumengewinde in die Quellen warf und die Brunnen bekränzte.^) Der
Gott F 0 n s ^) als Repräsentant aller Quellen erhielt einen Tempel im J. 523
==231 durch G. Papirius Maso (Cic. de nat. deor. UI 52), ausserhalb der
Stadt in der Nähe eines Thores,*) jedenfalls wohl der porta ForUinalis;^)
dort mag schon vorher ein sacellum des Gottes bestanden haben, während
eine andre ara Fontis in der Nähe des angeblichen Grabes des Numa (Cic.
de leg. II 56), d. h. auf dem Janiculum, gelegen war und die genealogische
Konstruktion ihn daher zu einem Sohne des Janus (und der Quellnymphe
Juturna) machte (Arnob. III 29). Bei den Piacularopfem der Arvalen er-
scheint Föns mit dem Opfer von zwei Hammeln;^) dagegen ist es bei den
zahlreichen inschriftlich erhaltenen Privatweihungen nicht sicher zu ent-
scheiden, ob an den Gott des Staatskultes oder an das numen einer be-
stimmten einzelnen Quelle gedacht ist;^) letzteres ist in den weitaus mei-
sten Fällen das wahrscheinlichere und wird oft durch individualisierende
Beinamen bewiesen (z. B. fons Lollianus CIL VI 162, fons Scaurianus ebd.
164 f. u. a.). Denn eine jede Quelle ist heilig und Gegenstand göttlicher
Verehrung:') jede Verunreinigung wird aufs strengste ferngehalten, Wein-
spenden und Tieropfer an festlichen Tagen dargebracht,^) auch Tempel
über oder an der Quelle erbaut.®) Die Verehrung gilt oft auch den fontes
in der Mehrzahl oder den Lymphae,^^) die als Gottheiten der befruchtenden
und heilenden Kraft des Wassers verehrt wurden^') und später den grie-
chischen Nymphae Platz machten.^*) Die Verehrer waren die Anlieger und
461 ff. Strabo V 230. Liv. I 7. Dion. Hai.
ant. 1 31. [Aur. Vict.] origo 5. Flut. Rom. 21 ;
Q. R. 56. Solin. 1, 10. Serv. Aen. VÜI 51.
130. 836.
») Varro de 1. 1. VI 22; vgl. Paul. p. 85.
CIL I« jp. 332.
>) Die Form FotUus hat Arnob. III 29;
Fontanus findet sich auf zwei Inschriften,
CIL X 6071 und (mit Fontana) U 150.
') Dies zeigt die Notiz eines 1894 ge-
fundenen Kalenderbruchstückes (Bull. arch.
com. XXII 1894, 221 ff.) zum 13. October:
Fonti extra p[ortam ....].
*) Ueber deren Lage s. jetzt Hülsen,
Rhein. Mus. XLIX 411 f.
') Hbnzbn, Acta fr. Arv. p. 146.
*) Vgl. Genio nutninis fontis Sermon,
CIL VI 152; numini nympharum aquae ebd.
547; fontana numina Ovid. fast. IV 759 f.
') Frontin. de aqu. 4. Serv. Aen, VII 84:
nufliM enim fons non saeer; vgl. fontes divini
CIL V 4938. 11 2005; fons sanctissimus CIL
VI 153.
») Hör. carm. III 18; vgl. Ovid. fast. III
300. Martial. VI 47. Die Verehrung der
Quellen, z. B. das panem in fontem mittere,
gehört zu den letzten Resten des Heiden*
tums, gegen welche die christlichen Prediger
noch im 6. Jhdt. eifern, s. Martin v. Bra-
cara de correct. rust. c. 16 und Caspari
z. d. St.
>) Aedes fontis CIL VIII 2656, vgl.
Vitruv. I 2, 5.
»«) Aeltere Form Lumpae CIL IV 815;
Lumpheis CIL IX 4644; Lumphis Vitruv. I
2, 5; Lumphieis CIL X 6797; osk. diumpais
auf der Inschrift von Agnone, Zvetaikpf,
Syll. inscr. Ose. Nr. 9.
") Varro de 1. 1. V 71; de re r. I 1, 6
und mehr bei Wissowa in Roschers Lexik.
II 2205 f.
>') Ueber die aedes Nympharum in eampo
vgl. AusT, De aedib. sacr. p. 29 Nr. 80; Über
Nymphaea in Rom Gilbert, Topogr. III 282 f.
Weihungen an die Nymphen sind häufig,
namentlich bei Heilquellen, z. B. CIL X
6786- 6799 (Ischia). XI 8286 ff. (Vicarello).
A. Di indigetes. 88. Die Qottheiten des Waaaers.
183
Benutzer der einzelnen Quelle, teils Einzelpersonen, teils Korporationen,
insbesondere von solchen Handwerkern, die zu ihrem Betriebe des Wassers
in ausgedehntem Masse bedurften, wie z. B. die Walker. 0 In Rom hat
dann die Göttin einer bestimmten Quelle die besondere Verehrung aller
mit Wasser arbeitenden Handwerker (qui artificium aqua exercent Serv.
Aen. Xn 139) gewissermassen auf sich konzentriert, Juturna oder, wie
sie mit älterem Namen heisst, Diutuma-J) der ursprünglich an einer Quelle
im Gebiete von Lavinium haftende Name (Serv. a. a. 0.) wurde auf eine
römische Quelle, den nahe beim Vestatempel gelegenen locus luturnaef^)
übertragen und am Ende des ersten punischen Krieges durch Q. Lutatius
Catulus im Marsfelde, dort wo später der Endpunkt der Aqua Yirgo war
(Ovid. faist. I 464), ein Staatstempel der Juturna erbaut, dessen Stiftungs-
tag am 11. Januar {IiUumalia Serv. a. a. 0.) insbesondere von den ge-
nannten Handwerkern begangen wurde.^) Auch die heilende Kraft des
Quellwassers wurde durch Juturna vertreten, deren Namen man a iuvando
herleitete, quod laborantes iuvare consuevü,^) und ebenso scheint man zur
Abwehr von Feuersgefahr neben den Nymphen auch sie zu Hilfe gerufen
zu haben.*) In die dichterische Ausgestaltung der latihischen Urgeschichte
ist sie von Yergil als Schwester des Turnus verflochten worden, während
Ovid von einem bei Yergil nur angedeuteten Liebesverhältnisse zu Jup-
piter ausführlich zu erzählen weiss ^) und andere (Arnob. HI 29) sie zur
Gattin des Janus und Mutter des Fontus machten.
Wie die Quellen, so haben auch die Flüsse in Italien überall uralten
Kult, wenn es auch natürlich bei der jeweiligen lokalen Beschränkung
desselben vom Zufall abhängt, ob wir von der Yerehrung des einzelnen
Flusses etwas wissen. Besonders berühmt waren der noch in der Kaiser-
zeit blühende Kult des Glitumnus in Umbrien^) und der des Numicus
von Lavinium, der mit dem Dienste des dortigen Juppiter Indiges in
engster Beziehung stand;') auch die Yerehrung des neapolitanischen Sebe-
thus (CIL X 1480 und dazu Mommsen) und des Padus pater (Bull. d. inst.
1876, 85) sind inschriftlich belegt, während die Deutung mancher sonst
unbekannter Namen der Weihinschriften, wie z. B. des Turpenus pater
von Praeneste (CIL XIY 2902), auf Flussgötter unsicher ist.*®) Um so mehr
*) Geradezu als collegia fontanorum be-
zeichnet CIL VI 266 -268. 1078 und dazu
MoMMSBN, Ztschr. f. gescbichtl. Rechtswiss.
XV 326 ff., vgl. auch Rudorff ebd. 214 ff.
*) CIL VI 3700. Cic. p. Cluent. 101. Flor.
I 28 und dazu Momjcssn, Eph. epigr. I p. 36;
CIL I« p. 327.
•) JoRDAK, Topogr. I 2 S. 370. Gilbert
Topogr. I 363 f.
*) AusT, De aed. sacr. p. 17 Nr. 35, vgl.
p. 29 zu Nr. 80 und p. 46.
») Varro de L 1. V 71. Serv. Aen. XII
139.
«) Mommsen CIL P p. 826 f.; vgl. unten
S. 185.
') Verg. Aen. XIT 134 ff. 222 ff. 446 ff.
843 ff. Ovid. fast. II 583 ff.
») Plin. ep. VIII 8; luppUer Clitumnus
bei Vib. Sequ. p. 148 Biese; vgL Wissowa
in Roschers Lexikon I 912.
') Vgl. AusT in Roschers Lexikon II
645 f. und oben S. 108.
^°) Vgl. Jordan zu Prellsr, Rom. Myth.
I 56, 1, der auch den divus pater Falacer
des ältesten römischen Indigetenkreises
(flamen Falacer Varro de 1. 1. V 84. VII 45)
für einen Flussgott halten möchte (anders
BuECHBLBR, UmbricR p. 156). Der Albsis
(d. h. Albensis) pater des Erztäfelchens CIL
IX 4177 =^ VI 8672 ist kein Flussgott, son-
dern der deus patrius (vgl. CIL XIV 3. X
1553. 1805. 1881. 3704) von Alba Fucens,
wie der Reatinus pater (CIL IX 4676) von
Reate und der pater Pyrgensis (CIL XI 3710)
184
Religion nnd Ealtiui der Römer. II. Oötterlehre.
muss es auf den ersten Blick befremden, dass in der ältesten Fest- und
Priesterordnung Roms der Name des Tiberis fehlt, zumal wir aus zu-
fälligen Erwähnungen wissen, dass er in den Gebetsformeln sowohl der
Pontifices wie der Augurn vorkam. *) Die Schwierigkeit ist von Moiocsen
gelöst worden durch die Erkenntnis, dass der Gott Volt um us, der einen
eigenen Flamen (Varro de 1. 1. VH 45. Paul. p. 379) und ein Fest Voltui^
nalia am 27. August*) besitzt, nichts anderes ist als der Fluss schlecht-
hin, benannt von den sich dahinwälzenden (volvere) Wogenmassen. Dieser
allgemeine Flussname, der sich im campanischen Yolturnus') als Eigen-
name lokalisiert hat, erhielt in Rom seine genauere Bestimmung durch
die adjektivische Hinzufügung TiAerinus^) oder Tiberinus pater. Ein auf
der Tiberinsel gelegenes Heiligtum dieses Gottes beging seinen Stiftungstag
am 8. Dezember,^) und möglicherweise galt ihm auch das alljährlich am
7. Juni trans Tiberim begangene Innungsfest der Tiberfischer (des corpus
piscatorum et urinatorum totius alvei Tiberis CIL VI 1872), die ludi pisca-
torii.^) Dichtung und Kunst haben später den Gott des heimischen Stromes
vielfach dargestellt: man bildete ihn nach Art der griechischen Flussgötter
als gelagerten langbärtigen Greis, mit Schilfrohr beki*änzt, der einer üme
seinen Fluss entströmen lässt,^) und in ähnlicher Gestalt lässt ihn auch
Yergil (Aen. YIH 31 ff.) dem Wasser entsteigen. Genealogisch machte man
ihn zum Sohne des Janus und der Gamasene (Serv. A^n. VHI 330), oder
man reihte ihn als Sohn des Gapetus in die albanische Eönigsliste ein
und erzählte, dass er in dem damals noch Albula genannten Flusse er-
trunken sei und ihm seinen Namen gegeben habe,») oder man machte ihn
zum Könige von Yeji und liess ihn im Kampfe gegen Glaukos, den Sohn
des Minos, fallen.^)
34. Yolcanus und Maja. Der Gott des feurigen Elementes, Vol-
canus, hat in der ältesten Kultusordnung sowohl seinen eigenen Flamen, ^<^)
wie sein Fest, die Yolcanalia am 23. August, und einen geweihten Platz,
die area Volcani oder das Volcanal, oberhalb des Comitium, jedenfalls mit
einem Altar oder sacellum;^^) die gelehrte Überlieferung rechnete den Kult
zu den vom König Titus Tatius eingeführten. ^>) Neben ihm wurde als
von Pyrgi ; vgl. auch den Sardius) pater auf
den Münzen des M. Atius Balbos (Babblon,
Monn. cons. I 223 und dazu Klbbs, Real-
Encycl. II 2253 f.).
*) A pontifieibus indigitari aolet Serv.
Aen. VIII 330; in augurum precatione Cic.
de nat. deor. III 52, vgl. Serv. Aen. VIII 95;
in scuiris Serv. Aen. VIII 63.
«) CIL I» p. 327. Varro de 1. 1. VI 21;
VdUurno flumini aacrificium fast. Vall.
') Aach dieser erfahr göttliche Ver-
ehrong; vgl. die Inschrift Ephem. epigr. VIII
576.
*) Dies ist die alleinige Form der Sacral-
sprache (Serv. Aen. VIII 31 : in aacris Tibe-
rinus, in coenolexia Tiberia, in poemate
Thybria vocatur) und der Inschriften: CIL
VI 773. XI 3057 (Herta). XIV 376 (Ostia);
divo Tiberino Obblli 4946 (Tader). Ebenso
wie Tiberiniia zu Tiberia verhält sich Numi-
ciua zu Numicua.
^) CIL V p. 336; die von Mommsbn ebd.
p. 335 verfochtene Identit&t von Tiberinus
und Portunus hat zur Stütze nur die That-
sache, dass der späte Philocalus die in pwriu
Tiberino gefeierten Portunalia (s. oben S. 99)
ungenau als Tiberinalia bezeichnet.
«) Fest. p. 210. 238. Ovid. fast. VI 235 ff.
^) Vgl. A. Gebbbb, Jahrb. f. Philol.
SuppLXIII 273 ff.
») Liv. I 3, 8. Dion. Hai. ant. I 71. Ovid.
met. XIV 614; fast. IV 47 f. u. a.; vgL Varro
de L L V 30. Verg. Aen. VIII 333 f.
•) Varro a. a. 0. Serv. Aen. VIII 72. 330.
") Varro de 1. 1. V 84. Macr. S. I 13, 18.
CIL VI 1628.
>•) Jobdan, Topogr. I 2 S. 339 f.
») Varro de 1. 1. V 74. Dion. Hai. II 50.
August, c. d. IV 23.
A. Di indigetea. 84. Voloanns und Maja.
185
seine Genossin eine Göttin Maja oder Majesta verehrt, von der nichts
weiter bekannt ist, als dass ihr am 1. Mai durch den Flamen Volcanalis
ein Opfer dargebracht wurde. ^) Man scheint bei diesem Kulte von alters
her vorwiegend die furchtbare und verheerende Gewalt des Feuers im
Auge gehabt und Yolcanus als einen gefahrdrohenden Gott, dessen Groll
versöhnt werden müsse, verehrt zu haben: darauf weist der Brauch, ihm
an seinem Festtage stellvertretende Opfer in Gestalt lebender Fische ins
Feuer zu werfen,*) sowie ihm nach der Schlacht die eroberten Waffen
zu verbrennen.*) Der Volcanus-Kult der historischen Zeit gilt jedenfalls
durchaus und ausschliesslich dem Beschützer vor Feuersgefahr, und darum
lag sein, jedenfalls vor dem J. 539 = 215 erbauter (Liv. XXIV 10, 9)
Tempel, dessen Stiftungstag mit den Yolcanalia zusammenfiel, ausserhalb
des Pomerium, am Gircus Flaminius.^) Eine besondre Hebung erfuhr der
Kult des Gottes bei Gelegenheit der augusteischen Neuordnung der städti-
schen Bezirkseinteilung: denn da diese mit dem Feuerlöschwesen im eng-
sten Zusammenhang stand, so pflegten die magistri vicorum insbesondere
die Verehrung des Volcanus als Volcanus quietus augustus^) und der ihm
gesellten Göttin Stata mater,^) der man die Macht zuschrieb, die Feuers-
brünste zum Stehen zu bringen, und deren Bild schon früher^ wie es scheint
seit der suUanischen Zeit, auf dem Forum — vielleicht unweit des Vol-
canal — gestanden hatte.'') Mit derselben Neuordnung hängt auch die
Weihung zusammen, welche Augustus im J. 745 = 9 dem Volcanus machte
ex stipe, quam populus Romanus anno novo apsenti eontulit (CIL VI 457, vgl.
MoMMSEN, Res gest. D. Aug.' p. 82), und die Einsetzung eines Opfers, das
am Tage der Volcanalia dem Volcanus nebst andern in Feuersnöten gnä-
digen Gottheiten, den Njnnphen (und Juturna?), die für Wasser zum Löschen
sorgen, ausserdem der Ops Opifera (s. oben S. 168) und dem Quirinus (s.
oben S. 140), je bei ihren Tempeln, dargebracht wurde;®) ebenso verordnete
Domitian, als er zum Andenken an den neronischen Brand Altäre incen-
diorum arcendorum causa errichten Hess, dass an ihnen alljährlich am Tage
der Volcanalia das Opfer eines roten Kalbes und eines Schweines (vüulo
robeo et verre) stattfinden solle.*) In Ostia genoss Volcanus eine sehr
hohe Verehrung, ^<>) weil für die Docks und Speicher der Hafenstadt die
Feuersgefahr ganz besonders zu fürchten war; aus ähnlichen Gründen
^) Gell. XIII 23, 2. Macr. S. I 12, 18.
«) Varro de 1. 1. VI 20. Fest. p. 238.
•) Liv. I 37, 5. XXX 6, 9. XLI 12, 6;
▼gl. VIII 10, 13. Serv. Aen. VIII 562.
*) Vitr. I 7, 1: extra murum Veneria
Vclcani Mariis fana ideo conlocari, uti . , .
Voleani , . vi e moenibus religionibus et
sacrifieiia evoccUa ab timore incendiorum aedi-
ficia videantur liberari. Flut. Qu. rom. 47;
über den Tempel vgl. Jobdan, Eph. epigr. I
p. 230 f. AusT, De aedib. sacr. p. 18.
») CIL VI 801. 802; WeibinBchriffc eines
Praefectas yigilum VI 798.
•) CIL VI 761-766; einmal (761) heisst
sie Stata Fortuna augusta, einen vicus Staiae
Siccianae in der 14. Region nennt die capi-
toiinische Basis CIL VI 975; ausserhalb
Roms findet sie sich in Forum Cassi (CIL
XI 3321) und in Aequiculi (? CIL IX 4113).
^) Fest. p. 317: Statae matris aimula-
crum in foro colebatur, postquam id Sulla
stravit (so Jordan, Topogr. IIS. 525; coüa-
straint Hs.), ne lapidea igne corrumperentur,
qui plurimus ibi fiebat noctumo tempore,
magna pars populi in suos quique vicoB
rettulerunt eius deae eultum,
») MoxMSEN CIL P p. 326 f. Wissowa,
De feriis anni Rom. p. VII; Hermes XXVI
141. 1.
») CIL VI 826 = 30833; vgl Lanciani,
Bull. arch. com. XVII 1889, 331 ff. Hülsbn,
R5m. Mitt. IX 1894, 94 ff.
»0) Dessau CIL XIV p. 5.
186
Religion and Knltna der Römer. II. Oötterlehre.
wurde in Perugia nach der Einäscherung der Stadt im J. 713 = 41 Vol-
canus als Stadtgott verehrt. >) Dass Yolcanus auch als Gott der Schmiede-
kunst angesehen worden sei, ist aus dem Kulte nicht nachweisbar und
nicht wahrscheinlich. Denn der alte Beiname Mulciber, den man gewöhn-
lich mit dem Schmelzen des Metalls im Feuer zusammenbringt,') bezeichnet
vielmehr den Besänftiger der Feuersbrunst.') Allerdings wird das im
ältesten Kalender zum 23. Mai notierte Fest Tubilustrium in den Zusätzen
der Steinkalender als feriae Volcano bezeichnet, und Ovid (fast. V 726)
stimmt damit überein, wenn er sagt: lustrantur purae, quas facit ille (Vol-
canus), tubae; da aber das zweite Fest gleichen Namens (am 23. März)
sicher dem Mars gilt (s. oben S. 131) und beide nicht getrennt werden
können, so dürften wir es hier mit einem durch das Eindringen der grie-
chischen Vorstellungen veranlassten Irrtume zu thun haben. ^) Auch als
Gott des Herdfeuers ist Volcanus im römischen Kulte nicht gefasst worden :
allerdings galt der sagenhafte Gründer von Praeneste, Gaeculus, dessen
Mutter ihn durch eine vom Herdfeuer in ihren Schoss gesprungene Kohle
empfangen haben sollte, als Sohn des Yolcanus,^) und auch Servius Tul-
lius, der ja der Sage nach ebenfalls vom Gotte des Herdes erzeugt war,
heisst zuweilen Sohn des Volcanus;^) aber in diesem letzteren Falle nennt
eine andre Überlieferung^) vielmehr den Lar familiaris als Erzeuger, und
das ist ohne Frage die bessere, der älteren römischen Anschauung ent-
sprechende Vorstellung (s. oben S. 150), während Volcanus erst durch die
hellenisierende Tendenz hineingebracht wurde. ^) Mit Vesta gepaart erscheint
Volcanus erst bei dem Lectisternium des J. 537 = 217 (Liv. XXH 10, 9),
also sicher unter griechischem Einflüsse, und diese Verbindung findet sich
auch nachher noch einige Male;^) wie sehr der Gott später in den Bereich
des graecus ritus gezogen war, zeigt die Thatsache, dass im J. 64 n. Chr. auf
Grund eines sibyllinischen Orakels Volcanus, Ceres und Proserpina eine supplin
catio erhalten (Tac. ann. XV 44). Bei den Dichtern der augusteischen und
späteren Zeit wird für Volcanus schlechthin der griechische Hephaistos sub-
stituiert, und dementsprechend finden wir ihn z. B. auf dem pompejani-
schen Zwölfgötterbilde (Helbio Nr. 7) mit Venus zu einem Paare ver-
bunden. In der Kaiserzeit, in der die Volcanalia — wir wissen nicht seit
wann — mit Circusspielen gefeiert wurden, »o) erfreute sich dieses Fest
einer besonderen Beliebtheit namentlich bei der Landbevölkerung, wie
schon daraus hervorgeht, dass es im Bauernkalender mit Vorliebe zur Be-
0 Appian. b. c. V 49; vgl. Gass. Dio
XLVIII 14.
«) Paul. p. 144. Macr. S. VF, 5, 2. Serv.
Aen. VIII 724; Preunbr, Hestia- Vesta S. 221
hält Mulciber für einen eignen Gott.
«) CIL V 4295: Volk(ano) miti sive
mtUeibero; vgl. Wissowa, De feriis anni
Rom. p. XIV.
*) 8. Wissowa a. a. 0. p. XV.
«) Cato bei Schol. Veron. Aen. VII 681.
Serv. Aen. VII 681. Verg. Aen. VII 679.
X 544.
•) Ovid. fast. VI 626 ff. Dion. Hai. IV 2.
Flut, de fort. Rom. 10.
^) Plin n. h. XXXVI 204. Dion. Hai. u.
Plut. aa. 00.
') ScHWBOLBR) Rom. Gesch. I 714 ff.;
vgl. RuBiKo, Beitr. z. Vorgesch. Italiens S. 236 f.
Wissowa a. a. 0.
') z. B. auf einem pompejanischen Pe-
natenbilde (Helbig Nr 63) und in einer In-
schrift von Lyon (Hbnzsn 5686).
*^) Macrinos schaffte sie im J. 217 ab
(Cass. Dio LXXVIII 254), aber sie müssen
bald nachher wieder eingeführt worden sein
und bestehen noch im 5. Jhdt.; vgl. Momic-
SBN CIL I« p. 326.
A. Di indigeies. 85. ünterwelta- nnd TotengOtter.
187
Stimmung der Zeit ländlicher Arbeiten verwendet wird:^) es nimmt daher
nicht Wunder, wenn die Volcanalia zu denjenigen Festen des alten Kalen-
ders gehören, die den Untergang des Heidentums am längsten überlebt
haben. *)
35. ünterwelts- und Totengötter. Die älteste Festtafel verzeichnet
im Laufe des Jahres mehrere staatliche Totenfeiern, von denen die all-
gemeinste und ausgedehnteste in den Februar föUt,') weshalb dieser Monat
als der Monat der Unterirdischen angesehen wurde und Spätere seinen
Namen, statt von den februa der Luperealien (s. oben S. 173), von einem
mit Dis pater identifizierten (Serv. Georg. I 43) angeblichen Unterwelts-
gotte Februus ableiteten.^) Am Mittage des 13. Februar beginnen die
dies parentaleSf während deren die Obrigkeiten die Praetexta ablegen, die
Tempel geschlossen bleiben, Hochzeiten nicht gehalten werden dürfen und
ein jeder die Gräber seiner Angehörigen nach besten Kräften schmückt
und die Geister der Abgeschiedenen mit bescheidenen Opfergaben ehrt.^)
Dieser den Toten geweihte Zeitraum erstreckt sich über 9 Tage®) und
schliesst am 21. Februar mit dem Festtage der Feralia, der allein von
den dies parentales zu den feriae publicae gehört.^) Wie der Name Paren-
talia zeigt, gilt die private Feier den di parentum, den Geistern der ver-
storbenen Voreltern, die auch weiterhin über dem Hause waltend gedacht
werden und denen der Frevler gegen die heiligen Satzungen der Familie
mit Leib und Leben verfallen ist:^) sehr sinnreich schliesst sich daher an
dieses Totenfest am nächstfolgenden Tage (22. Februar) das Familienfest
{feriae privatem Fest. p. 242) der Garistia^) oder Gara cognatio^^) an, an dem
die Angehörigen der Verwandtschaft sich zu einem Festschmause ver-
einigen. In welcher Weise und durch welche sakralen Akte der Staat
die allgemeine Totenfeier beging, ist nicht überliefert; nur bemerkt der
Kalender des Philocalus zum 13. Februar Virgo Vesta{lis) parentat^ eine
Notiz, welche Mohmsen (CIL I' p. 309) mit grosser Wahrscheinlichkeit auf
das anderweitig erwähnte Opfer am Grabe der Tarpeja^O bezogen hat.
>) z. B. Plin. n. h. XI 40. XVII 260.
XVIII 132. 314. XIX 83 (vgl. auch Plin. ep.
III 5, 8. Sali. bist. III 50 Maur.), daher auch
in den Menologia rustica und dem diesen
gleichartigen Kalender von Guidizzolo (CIL
I« p. 253) erwähnt.
«) S. oben S. 90. Der von Paulin. Nol.
c. 32^ 137 f. erwähnte Festbranch {otnnis
credula turha suspendunt Soli per VolcancUia
vestes) ist nicht recht verständlich ; Bubsians
(8.Ber. Akad. München 1880 I 18) Deutung
der Worte scheint unmöglich.
*) Macr. S. I 13, 8. 14, 7. Athen. III
98 B.
*) Macr. S. I 13, 3. Serv. Georg. 1 43.
Lyd. de mens. IV 20.
^) Ovid. fast. II 538 ff. Lyd. de mens.
IV 24.
') Deber die Bedeutung der Neunzahl
DiELS, Sibyllin. Blätter S. 41. A. Kaboi, Phi-
lologische Abhandlangen fSr H. Schweizer-
Sidler S. 52 ff.
') Varro de L 1. VI 13. Paul. p. 85; ttber
den Unterschied von Parentalia und Feralia
s. Marquabdt, Staatsverw. III 310 f.
^) Gesetz des Servius Tullius bei Fest,
p. 230: si par entern puer verber ü, ast olle
plorassitf puer divis parentum acicer eato;
f(lr die ganze Auffassung ist lehrreich epist.
Comeliae Gracch. (Cornel. Nepos ed. Halm
p. 128, 23): ubi nwrtua ero parentahis mihi
et inffocabia deum parentem ; vgl. CIL X 4255
deis inferum parentum aacrum n% vioUUo,
Selten erscheint auf späteren Inschriften die
Wendung dis parenttbus illitia an Stelle des
geläufigen dis manibus: Bull. d. Inst. 1876,
198. CIL VI 9659. X 8249. V 3283—3290;
vgl. Jordan, Hermes XV 530 ff.
») Philocal. CIL I« p. 258. Ovid. fast. H
617. Val. Max. II 1, 8.
»») Menol. rust. und Polem. Silv. CIL I«
p. 280. 259. CIL VI 10284, 13. TertuU. idol.
10; vgl. Ovid. a. a. 0. Martial. IX 54, 5.
") Piso bei Dion. Hai. ant. II 40; vgl.
ScBWKGLER, Röm. Gcsch. I 486.
188
Religion und Enltiui der Römer. TL, Oötterlehre.
Ist diese Vermutung zutreffend, so tritt diese Totenfeier in eine bemerkens-
werte Parallele zu dem am 23. Dezember gefeierten Staatsfeste der Laren-
talia, an welchem die Pontifices und der Flamen Quirinalis an dem im
Velabrum gelegenen ,Grabe' der Laren ta ein Totenopfer (parentatio oder
parentalia) darbrachten. 0 Es waren also zwei gleichartige Totenfeste
(MoMMSEN, CIL I * p. 309 hält die Parentalia des Februar für jüngeren Ur-
sprungs), und wenn von D. Junius Brutus, Cos. 616 = 138, erzählt wird,
dass er nicht im Februar, sondern im Dezember die häusliche Totenfeier
beging,*) so heisst das doch wohl nichts andres, als dass er sie nicht, wie
die meisten, im Anschlüsse an die Feralia, sondern an die Larentalia
feierte. Von den beiden Göttinnen, denen die beiden parentcUiones gelten,
ist Tarpeja nur noch als Heldin der bekannten aetiologischen Sage') in
Erinnerung geblieben, als Göttin aber verschollen; an die Göttin der Laren-
talia hat sich später Acca Larentina (so die bessere Überlieferung) oder
Larentia angeschlossen, die Heldin verschiedener Märchen, die bald als
Dirne und Geliebte des Hercules, bald als göttliche Pflegemutter des Ro-
mulus und Remus auftritt,^) und so sind die ursprünglichen Züge ihres
Wesens fast ganz verwischt worden. Der Festname Larentalia^) weist
jedenfalls auf eine Göttin Lärenta,®) die, wie schon die Quantität der
ersten Silbe zeigt, mit den Läres nichts zu thun haben kann, wohl aber
nicht zu trennen ist von der bei Varro (de 1. 1. V 74) unter den von T. Tatius
eingeführten sabinischen Gottheiten genannten Lärunda.^) Dass der Ort,
an dem der Larenta-Larunda geopfert wurde, nicht, wie die Schriftsteller
behaupten, ein Grab gewesen sein kann, beweist schon seine Lage; wenn
wir aber erfahren, dass dort den di manes, d. h. den unterirdischen Ge-
walten, geopfert wurde (Varro de 1. 1. VI 23), so haben wir daraus zu
schliessen, dass es ein sog. mundtis war, d. h. eine für gewöhnlich ge-
schlossene und nur am Tage des Festes geöffnete Grube, wie sie nach
römischer Vorstellung die geeignete Opferstätte für die di inferi abgab, ^)
da sie gewissermassen die Verbindung zwischen Oberwelt und Unterwelt
herstellte. Im speziellen Sinne führte den Namen mundus eine bei der
Stadtgründung im Mittelpunkte der Niederlassung angelegte Grube, in die
man Erstlinge aller Früchte und sonstige Gaben hineinwarf: *) der mundus
>) Varro de 1. 1. VI 23 f. Cic. ad Brut.
I 15. 8. Gell. VII 7, 7. Macr. S. 110, 11 ff.
Plut. Rom. 4. 5; Qu. Rom. 34. 35. Fast.
Praen., vgl. CIL P p. 338; die an demselben
Tage gefeierten feriae lovis (s. oben S. 102)
haben mit den Larentalia, mit denen sie nur
zufällig zusammenfallen, nichts zu thun.
«) Plut. Qu. Rom. 34; vgl. Cic. de leg.
II 54. Andere Auffassung bei Mommsen,
Staatsr. I 579, 3.
*) L. Krahnbr, Die Sage von der Tar-
peja nach der üeberlieferung dargestellt,
IfViedland 1858. Jordan, Topogr. I 2 S. 129.
^) MoxMSBN, Rom. Forsch. II 1 ff. Zis-
LiNSKi, Quaestiones comicae (Petropoli 1887)
p. 80 ff. E. Babhbbns, Jahrb. f. Philol.
CXXXI 1885, 777 ff. (ganz haltlos und ver-
fehlt). WissowA, Realencykl. I 131 ff.
^) Nur diese Form haben Varro de 1. 1.
VI 23. Fest. p. 119; Ovid. fast. III 57 (Laren-
talia)) Larentinalia spätere Nebenform bei
Lact. I 20, 4. Macr. S. I 10, 11.
') Ovid. fast. III 55; LäreiUina misst
Prudent. c. Symm. II 562 f.: ai Brennum
Antiochum Fersen Pyrrhum MUhridatem
Fhra Matuta Ceres et Larentina subegit),
^) Auson. technop. VIII 9 p. 161 Peip.:
nee genius domum Lärunda progenitu» Lar;
Placid. gl. p. 60, 25 Deuerl. identificirt sie
mit der gespenstigen Lamia.
^) Serv. Aen. III 134: quidam aras su-
perorum deorum volunt esse, medioximorum
id est marinorum focos (s. dazu oben S. 33
Anm. 5), inferorum vero mundos.
») Ovid. fast. IV 821 ff. Plut. Rom. 10.
Fest. p. 258; entstellt Lyd. de mens IV 50.
A. Di indigeiea. 85. ünterwelts- und Totengötter.
189
der ältesten Ansiedlung auf dem Palatin befand sich dort noch später vor
dem Apollotempel ^) und wurde alljährlich an drei Tagen (24. August,
5. Oktober, 8. November) geöffnet, welche in ähnlicher Weise wie die
dies parentales des Februar für alle staatlichen und sakralen Vornahmen
untauglich waren.*) Aber es gab derartiger Gruben noch mehrere, vor
allem eine auf dem Forum, an welche sich die Erzählung von der Selbst-
aufopferung des M. Curtius knüpfte') und die noch später zur Aufnahme
von Weihegaben an die Unterirdischen diente, wenn man auch nicht mehr
Menschenleben, sondern Geldspenden devovierte.'^) In denselben Anschau-
ungskreis gehören auch die sogenannten Gräber der Tarpeja und der La-
renta, und ihr Dienst kennzeichnet sich als der von ünterweltsgottheiten.
Eine Indigitation der Larenta war wahrscheinlich die Bezeichnung dea
tacüa^^) welche dem Ovid Anlass zur Erfindung einer Erzählung gab, in
der er unter Gleichsetzung der Göttin mit der uns nur aus den Piacular-
opfem der Arvalbrüder bekannten mater Lamm (s. oben S. 151) und will-
kürlicher Umgestaltung ihres Namens zu dea muta^) berichtete, wie sie
ihre Sprache verloren habe und Mutter der Laren geworden sei.
Die diesen Totenfesten zu Grunde liegende Anschauung, dass die
Geister der Verstorbenen zu gewissen Zeiten wieder die Oberwelt heim-
suchen und, damit sie den Lebenden nicht schaden, durch besondere
Gaben versöhnt werden müssen, tritt mit voller Deutlichkeit bei dem drei-
tägigen Totenfeste der Lemuria (9., 11., 13. Mai) hervor, an dem eben-
falls, wie während der dies parentales des Februar, die Tempel geschlossen
blieben und Eheschliessungen unstatthaft waren (Ovid. fast. V 485 ff.) :
unter Lemures verstand man in historischer Zeit dasselbe wie unter
larvae,'^) d. h. die nächtlich umherschweifenden Seelen der Abgeschiedenen,')
speziell der eigenen Anverwandten, also der divi parentum {manes exite
patemi Ovid. a. a. 0. 443) ; um sie vom Hause fernzuhalten , wirft an den
Lemuria der Hausvater um Mitternacht unter bestimmten Geremonien neun-
mal schwarze Bohnen als Opfergabe für sie aus.*) Bohnen spielen über-
haupt im Kulte der Unterirdischen eine hervorragende Rolle, weshalb dem
Priester des Himmelsgottes, dem Flamen Dialis, Genuss und Berührung
dieser Frucht, ja sogar die Nennung ihres Namens verboten ist. ^^) Ausser
an den Lemuria und an den Parentalia^O kommen sie auch an einem
') Ueber die Lage 0. Richtsb, Die
älteste Wohnst&tte des röm. Volkes (Berlin
1891) S. 7 f. HüLSKK, Röm. Mitteü. V 76 f.
VII 293 f. XI 202 ff.
») Pest. p. 142. 154. Macr. S. I 16, 17 f.
*) Varro de 1. 1. V 148 ff. und mehr bei
ScHWSQLBB, Rom. Gesch. I 484, 2; vgl. auch
GuBiBT, Topogr. I 334 ff.
*) Suet. Aug. 57: omnes ardines in
laeum Curti quotannia ex voto pro aalute
eins atipem iaeiebant; einen Altar beim locus
Curtius erwähnt Ovid. fast. VI 403.
») Plut Numa 8. Ovid. fast. II 571 ff.
') Ebenso nennt er die Göttin statt
Lärunda vielmehr Lara, um den Namen
aus griech. XaXos zu erklilren; die Bezeich-
nungen dea muta und Lara sind ausschliess-
liches Eigentum des Ovid, denn Lact. I 20,
35 schöpft aus ihm. Vgl. Wissowa, Philol.
Abhandl. M. Uertz dargebracht S. 165 f.
») Paul. p. 87 {faha) Lemuralibus iaeUur
larvia; über larvae z. B. Plaut. Aulul. 642;
Capt 598. Apul. met. IX 29. Amm. Marc.
XIV 11 17.
•) Ovid. fast. V 483. Horat. epist. II 2,
209 und dazu Porph. Pers. V 185 m. Schol.
») Ovid. fast. V 41? ff. Varro bei Non.
p. 135; Analogien bei Rohdb, Psyche S. 219.
'«) Paul. p. 87. Plin. n. h. XVIII 119.
GeU. X 15, 12.
«») Paul. p. 87. Plin. n. h. XVIII 118 f.
Ovid. fast. II 576. Calp. ecl. 8, 82.
190
Religion und Ealtaa der Römer. II. QOtierlehre.
dritten Tage zur Verwendung, dessen Charakter als Totenfest vor allem
durch diesen umstand erwiesen wird. Am 1. Juni nämlich opferte man
der Göttin Carna, welche ein angeblich von L. Junius Brutus gegründetes
Heiligtum auf dem Gaelius besass (Macr. S. I 12, 31 ; vgl. Tert. ad nat. IT 9),
sowohl von Staatswegen wie im Hause Bohnenbrei, wovon der Tag die
volkstümliche Bezeichnung Kalendae fabariae erhielt;^) der eigentliche Name
des Festes, den die Hemerologien, weil es mit den Kalendae zusammen-
föUt, nicht notieren, lautete Carnaria, wie aus einer Inschrift von Emona
(CIL III 3893) hervorgeht, in welcher testamentarisch angeordnet wird uti
rosas Carnar{iis) ducant: da solche Rosenfeiern eine aus vielen Zeugnissen
bekannte Gattung von Totenopfern bilden,^) so schwindet jeder Zweifel
an der Zugehörigkeit der Göttin Carna zu diesem Kreise. Eine ver-
schollene Unterweltsgöttin ist wahrscheinlich auch Laverna, die am
Aventin, nahe der nach ihr benannten Porta Lavemalis, einen Altar (Varro
de 1. 1. V 163) und ausserdem einen heiligen Hain^) besass: wir kennen
sie ausser durch die Inschrift einer Thonschale (CIL I 47) nur aus zahl-
reichen Erwähnungen römischer Dichter,^) bei denen die Göttin des Dunkels
zur Schützerin der Spitzbuben geworden ist : aber noch in einem Zeugnisse
aus der Zeit Hadrians^) wird Laverna als Vertreterin der Unterwelt den
— durch Pallas repräsentierten — himmlischen Gottheiten gegenüber-
gestellt.
Genau in der Mitte zwischen den Lemuria und den Carnaria notiert
die alte Festtafel am 21. Mai ein agonium, welches^ nach der Beischrift
der Fasti Venusini (CIL I* p. 318) dem Gotte Vediovis galt; obwohl dies
Zeugnis vereinzelt dasteht, verdient es doch Glauben, da die Zugehörig-
keit des Gottes zum ältesten Kultus ausser Frage steht und die Lage des
Festes sehr wohl zu dem Wenigen passt, was sich sonst über die Bedeu-
tung des Gottes ermitteln lässt. Der Name, der in den Formen Vediovis,
Vedius,^) Vejovis auftritt, kennzeichnet ihn deutlich als das Gegenbild des
Diovis, Dius, Jovis, also des Himmelsgottes, und wenn er in der Devotions-
formel bei Macr. S. lU 9, 10 zusammen mit den di manes ^) angerufen wird,
so weist das mit Bestimmtheit auf einen Unterweltsgott hin ; wahrschein-
lich ist auch der von Dion. Hai. II 10, 3 mit Zevg xatax^oviog wiederge-
gebene Gott, dem nach einem auf Romulus zurückgeführten und auch
in die Zwölf Tafeln aufgenommenen Gesetze®) der Frevler gegen die
Satzungen des Clientelverhältnisses verfallen sein sollte, kein andrer als
Vejovis.*) Die offenbar bereits in einer jüngeren Fassung vorliegende
») Varro bei Non. p. 841. Macr. S. I 12,
31 ff. Ovid. fast. VI 101 ff.; ebenso heissen
die in der Kaiserzeit an diesem Tage ge-
feierten Spiele ludi fabarici, CIL U p. 319.
*) S. vorläufig Marquabdt, Staatsverw.
III 311 ff.
') Paul. p. 117; vgl. Ps. Acre zu Hör.
epist. I 16, 16. Plut. Sulla 6 (?).
*) Stellen bei Wissowa in Rosebers
Lexik. II 1918.
") Septim. Seren, frg. 6 Baebr.: inferis
manu sinistra immolamus pocula; laeva quae
videa Lavernae,Palladi sunt dextera; vgl. dazu
R. Wünsch, Defixion. tabellae Atticae p. IV.
^) Vediovis ist inschriftlicb und durch
Gell. V 12 bezeugt, Vediua gibt ausser Mart.
Cap. II 142. 166 und Mythogr. Vatic. III 6, 1
auch die Ueberliefemng bei Varro de 1. 1.
V 74.
^) Vejovis und di manes werden ebenso
verbunden wie Jappiter und di penates (s.
oben S. 146); damit erledigt sich der Ein-
wurf von Jordan zu Prbllbr, Rom. Myth.
I 268, 1.
•"j Vgl. MoxMSBN, Rom. Forsch. I 384.
') Plut. an vitios. ad infel. suffic. 3 nennt
A. Di indigeiea. 36. ünterwelta- und TotengOtter.
191
Devotionsformel nennt vor Yejovis und den Manen den griechischen Unter-
weltsgott Dis pater, der hier noch neben Yejovis steht, bald aber diesen
derartig verdrängt und ersetzt hat, dass die augusteische Zeit über Wesen
und Bedeutung des alten Gottes völlig im Unklaren war und sich in den
verschiedensten Vermutungen darüber erging.^) Während sich ausserhalb
Latiums keine Spur seiner Verehrung findet und das einzige ausserrömische
Denkmal, der bei Bovillae gefundene, von den genteües luliei dem Vediovis
pater geweihte Altar ist (CIL I 807 = XIV 2387), erhielt der Gott in Rom
am Anfange des 2. Jahrhunderts v. Chr. fast gleichzeitig zwei Tempel:
der eine, von L. Furius Purpureo in seiner Praetur 554 == 200 gelobt und
während seines Consulates 558 = 196 begonnen, lag auf der Tiberinsel
und wurde am 1. Januar 560 = 194 eingeweiht;^) der andre, in der Ein-
sattelung zwischen Capitol und Burg inter duos lucos gelegen, wurde
562 = 192 gestiftet und beging das Fest seiner Gründung am 7. März.')
In dem letztgenannten Tempel befand sich eine Statue des Gottes aus
Cypressenholz, die ihn in jugendlicher Bildung, mit Pfeilen in der Hand
und mit einer Ziege zur Seite darstellte:^) indem man sich dabei der
griechischen Erzählung von der Aufnährung des jugendlichen Zeus durch
die Ziege Amaltheia erinnerte und den Namen Ve-iovis nach Analogie von
vegrandis, vescus u. a. erklärte, deutete man den Gott als einen .kleinen
Juppiter",») während das Bild in der That einen Apollo,«) und zwar als
Todesgott mit den verderbenbringenden Pfeilen ausgerüstet, darstellte, die
Ziege aber aus dem römischen Vorstellungskreise heraus beigegeben war;
denn dass die Ziege den Römern als ein Tier der ünterii*dischen gilt,
geht aus der Kitualvorschrift hervor, dass der Flamen Dialis eine Ziege
ebensowenig berühren oder nennen darf,') wie eine Leiche oder Bohnen
(s. oben S. 189). Dieselbe Gleichsetzung des Totengottes mit Apollo be-
gegnet auch bei dem auf dem Berge Soracte bei Falerii verehrten Gotte,
den Vergil (Aen. XI 785) und andere») für Apollo erklären, während da-
neben die richtige Vorstellung, dass es sich dort um einen Totenkult han-
delt, nicht völlig verloren gegangen ist.^)
Eine mit lebendiger Phantasie ausgestaltete Vorstellung von einem
als den Gott, dem die Devotion des Decius
gilt, KjQovog.
*) Die Gleichsetzung von Yejovis und
Dis hat noch Mart. Cap. II 166 : Pluton, quem
etiam Ditetn Veiovemque dixere; vgl. Myth.
Vat lll 6, 1.
') Liv. XXXI 21, 12 (wo mit Mbrkbl
statt deo lovi der Hss. Vedi4m zu lesen ist).
XXXIV 53, 7. Ovid. fast. I 293; an den
beiden letzten Stellen wie bei Vitr. III 2, 3
ist ans Unkenntnis Juppiter statt Yejovis ge-
nannt. Ygl. auch MoMJiSBN, CIL 1* p. 305.
*) Liy. XXXY 41, 8, der jedoch aus
aedes Vediovis in CJapitolio vielmehr aedes
duae lovis in Capitolio gemacht hat und
diese durch Yermeugung mit dem Tempel
auf der Tiberinsel beide auf L. Furius Pur-
pureo zurflckf&hrt Ovid. fast III 429 ff.
Vitr. lY 8, 4. Ygl. Jordan, Comment. Momm-
sen. p. 359 ff.; Topogr. I 2 S. 111 f.
*) Ovid. fast. III 437 ff. Gell. Y 12, 11 f.
Plin. n. h. XYI 216, der ungenau das Bild
in arce (statt inter arcem et CapitoUum)
steheu lässt. Ueber angebliche Yejovis-Köpfe
auf römischen Familienmttnzen (Overbbck,
Griech. Kunstmyth. I 200 f. Babblon, Monn.
cons. 1 505 ff.) vgl. Klübomank, Arch. Zeit.
XXXYI 1878 S. 106 ff.
*) Paul. p. 379. Ovid. a. a. 0.
•) Gell. Y 12, 12; vgl. Serv. Aen. II 761.
n Gell X 15, 12. Plut. Qu. Rom. 111.
») Plin. n. h. YII 19. Sil. Ital. Y 175 ff.
YII 662. YIII 492.
•) Serv. Aen. XI 785 : cum .... Düi
patri sacrum persolveretur (nam dis manibus
consecratus est). Ueber den Kult auf dem
Soracte vgl. Wissowa in Roschers Lexikon I
2693 f.
192
Religion und Kultna der Römer. IL Qötterlehre.
Fortleben und einer Vergeltung nach dem Tode und dem Treiben im
Schattenreiche haben die Römer nicht besessen; denn die gespenstigen
Erscheinungen der larvae und des Orcus, die nicht der Religion, sondern
dem volkstümlichen Aberglauben angehören, haben stets etwas ganz un-
bestimmtes behalten und nie feste charakteristische Züge angenommen;
was wir aber bei römischen Dichtern von der Unterwelt und ihren Schrecken
lesen/) beruht ebenso auf griechischen Vorbildern, wie die Darstellungen
etruskischer Grabgemälde. Im altrömischen Gottesdienst vereinigen sich
alle Vorstellungen von Tod und Unterwelt in dem schwankenden Begriffe
der Di manes^ d. h. der guten Götter,') wie sie euphemistisch genannt
werden, einem Namen, der nicht bestimmte göttliche Personen kenn-
zeichnet, sondern die nach Zahl und Wesen unbestimmte Masse der im
Totenreiche waltenden Gottheiten, der di inferi, zusammenfasst. Sie er-
scheinen überall wo es sich um Totenfeiern und Anrufung der Unter-
irdischen handelt, so bei all den verschiedenen parentationes,^) beim Offen-
stehen des mundus (Fest. p. 154), bei der Devotion,*) bei Verwünschungen:*)
wer seine Ehefrau verkauft, ist nach einem Gesetze des Romulus dis ma--
nibus sacer {d-vsad-ai x^^^''^^^ x^eoTg Plut. Rom. 22). Insbesondere werden
sämtliche Pflichten der Überlebenden gegen die Abgeschiedenen unter dem
Begriffe der iura deorum manium (Gic. de leg. U 22) zusammengefasst, und
die Gräber stehen als Eigentum der Unterirdischen unter dem Schutze der
di manes.^) Dagegen ist der älteren römischen Religion die Auffassung
der di manes als der zu Göttern erhobenen Seelen der Verstorbenen und
ihre Spezialisierung auf die Abgeschiedenen bestimmter Familien und Per-
sonen {infernos Silanorum manes invocare Tac. ann. XIII 14) fremd; diese
Anschauung kommt erst in der Kaiserzeit zugleich mit dem Zurücktreten
des Begriffes der di parentum (s. oben S. 187) zur Geltung und findet ihren
Ausdruck in der geläufigen Gestaltung der Grabschrift nach der Formel dis
manibus Ulius (oder illi).'^) Nur von dieser jüngeren Auffassung geht die
gelehrte Spekulation über die Grundbedeutung der di manes aus, wenn sie
dieselben nicht nur mit denLomures und Larvae, sondern auch mit denLares
und Genii^) zusammenwirft und eine Theorie aufstellt, nach welcher der Name
Lemures den Zustand bezeichnet, in den die Seelen unmittelbar nach dem
Tode gelangen, während sie nachher je nach ihrem Vorleben und der Für-
sorge, die die Überlebenden ihrem Kulte angedeihen lassen, sich einerseits
zu gütigen Lares familiäres, andererseits zu feindseligen Larvae differen-
>) A. ZiNOBBLE, El. philol. Abhandl. III
61 ff. G. Ettio, Acheruntica (Leipz. Stud.
XIII) 8. 860 ff. E. Norden, Hermes XXVIII
360 ff. A. DiBTBBicH, Nekyia S. 150 ff.
•j Fest. p. 146. Paul. p. 122. 125. Non.
p. 66. Serv. Aen. I US. III 63; andere Ab-
leitung (von manare) bei Fest. p. 129. 157.
Serv. Aen. IV 490.
») z. B. Varro de 1. 1. VI 24. Ovid. fast.
II 570. Macr. S. I 13, 3.
^) Bei der Devotion des M. Curtius, Varro
de 1. 1. V 148. Liv. VII 6, 4; mit Tellus
bei der Devotion der Decier, Liv. VIII 9, 8,
vgl. 6, 10. X 28, 13. 29, 4. Val. Max I 7,
3; mit Dis pater und Vejovis, Macr. S. III
9, 10 (s. oben S. 190 f.).
^) Terram matrem deosque manes Suet.
Tib. 75. Aur. Vict. Caes. 33, 31 ; vgl. Wühsch,
Delix, tabellae Attic. p. XXIX.
•) Vgl. CIL I 1410 deum ma^nium (als
Bezeichnung eines Grabes) und Wendungen
wie d{i8) tn(anibus) locus consacratus CIL
VI 5176 u. a.
7) Hübner, Handb. I 529. B. Santoro,
Rivista di filol. XVII 1889, 1 ff.
•) Serv. Aen. III 63. 302. VI 743.
A. Di indigetes. 86. Sonatige Gottheiten des ältesten KreieoB. 193
zieren, oder aber, wenn ihre Stellung unentschieden bleibt, den Namen
di manes führen. 1) Eine Göttin Mania, die von Varro mit der mater
Larutn (s. oben S. 151) identifiziert wurde,*) ist im Kulte nirgends mehr
nachweisbar und verdankt ihre Scheinexistenz wohl nur gelehrter Kom-
bination, indem man aus dem Namen mania, den die bei den Compitalia
(s. oben S. 149) und anderen Gelegenheiten aufgehängten Puppen führten,
auf eine Göttin dieses Namens schloss.
Litteratur: Stbudino in Roschers Lexikon II 234 ff. 2316 ff. lieber Vejovis speziell
L. Prbllbr, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss. 1855, 203 ff. = Ausgew. Aufs, aus der
Altertumswiss. S. 268 ff.
36. Sonstige Gottheiten des ältesten S^reises. Die Reihe derjenigen
Oottheiten, die in der ältesten Kultordnung durch eigne Priester und Feste
vertreten sind, ist durch die vorstehenden Darlegungen ziemlich erschöpft.
Es bleiben nur ein paar Namen übrig, deren Bedeutung bereits in der
Zeit Varros völlig verschollen war, wie der rätselhafte Falacer (s. oben
S. 183 Anm. 10) und die Göttin Furrina: obwohl diese letztere nicht nur
einen eignen Flamen Furrinalis,') sondern auch ein Fest, die Furrinalia am
25. Juli,^) und einen heiligen Hain in Trastevere^) besass, so bezeugt doch
Varro, dass zu seiner Zeit kaum ihr Name noch einzelnen Leuten bekannt
war, und es ist blosse Spielerei mit dem Namen, wenn Cicero sie für
gleichbedeutend mit den Furiae oder Eumeniden erklärt^) und wenn
Neuere sie mit den in zwei stadtrömischen Inschriften erwähnten Forinae')
zusammengebracht haben, bei denen sowohl die Namensform wie die Mehr-
zahl beweist, dass sie mit Furrina nichts zu thun haben. Etwas weiter
kann man im Verständnisse der Diva Angerona gelangen, welcher das
am 21. Dezember begangene Fest der Divalia (so die Steinkalender) oder
Angeronalia (so Varro de 1. 1. VI 23. Paul. p. 17) galt, an dem ihr von den
Pontifices im sacellum Volupiae^) (nach Varro a. a. 0, in der curia Acculeia)
ein Opfer gebracht wurde :^) ebenda stand in späterer Zeit ein Bild der
Göttin, welches sie mit verschlossenem Munde oder den Finger an die
Lippen legend darstellte. i<^) Die Deutungsversuche der Mythologen des
Altertums gehen weit auseinander und stützen sich teils auf den Namen
der Göttin, den sie von der Krankheit angina oder a peUendis angoribus
herleiten, oder auf den Habitus des Bildes, in dem man den Hinweis auf
irgend ein zu wahrendes Geheimnis, z. B. auf den Geheimnamen der Stadt
Rom, erblickte. ^1) Gegenüber diesen ganz haltlosen Kombinationen hat
*) Apul. de deo Socr. 15 p. 15 Lütjoh.,
Tgl. apol. 64. August, c. d. IX 11. Mart.
Cap. II 162.
») Varro de 1. 1. IX 61 und bei Arnob.
11141. Macr. S. 1 7, 35. Paul. p. 129, vgl. 145.
») Varro de 1. 1. V 84. VI 19. VII 45.
*) CIL V p. 323; vgl. Varro de 1. 1. V
84. VI 19. Paul. p. 88.
*) Cic. ad Qu. fr. III 1, 4; de nat. deor.
in 46. Aur. Vict. vir. iD. 65.
•) Cic. de nat. deor. III 46; vgl. Plut. C.
Gracch. 17. Mart. Cap. II 164; ein andrer
Deutnngsversuch bei Buecheler, Umbrica
p. 71.
^ CIL VI 422 (Genio Forinarum) und
Eandbnch der klam. Altertnnuiwlfnenfichaft. V, 4.
10200 {ckI aram Forinarum); nicht einmal,
ob wir hier überhaupt einen Eigen- oder
Göttemamen vor uns haben, steht fest.
*^) An der Nordecke des Palatin, beim
Abstieg von der Porta Romanula zur Nova
Via, Varro de L 1. V 164.
») CIL I* p. 337. Macr. S. I 10, 7.
'^) Ore obligcUo obsignatoque Plin. n. h.
III 65 = Solin. 1, 6. Macr. 8. 1 10, 8; digito
ad 08 admoto Macr. S. III 9, 4.
»1) Fast. Praen. z. 21. Dec. Macr. S. I
10, 7 ff., vgl III 9, 4. Plin. a.a.O. üeber
angeblich erhaltene Angerona- Bilder vgl.
WissowA in Roschers Lexik. I 350. A.
Chabouillet, 6az. arch^ol. VIII 1883, 260 ff.
13
194
Religion nnd Knltiis der Aömer. n. Gfttterlehre«
MoHHSEN den Weg zu einer zwar nicht alle Schwierigkeiten lösenden/)
aber doch ausserordentlich ansprechenden Erklärung gewiesen, indem er
aus der Lage des Festes in der Zeit der Wintersonnenwende schloss, dass
die Göttin zu dem neu beginnenden Sonnenlaufe in Beziehung gestanden
habe: die verstümmelte Notiz des praenestinischen Kalenders zu diesem
Tage') scheint geradezu einen Hinweis auf das beginnende neue Sonnen-
jahr enthalten zu haben, und der Name der Göttin lässt sich bei dieser
Deutung zwanglos ableiten ab angerendo, dno tov dvag>€Q€a&ai tov rjhov.
Einer solchen Gottheit des Zeitenwechsels in der ältesten Religionsordnung
zu begegnen hat nichts AufßÜliges, da sich unter den di indigetes auch
eine mit Sicherheit erkennbare Jahresgöttin befindet, Anna Perenna; in
deren Namen sich die Beziehung auf Jahresanfang und Jahresschluss
deutlich kundgibt.^) Daher fällt ihr Fest (15. März) in den ersten Monat
des alten bürgerlichen Jahres und trägt durchaus den Charakter einer
fröhlichen und oft ausgelassenen Neujahrsfeier, ^) deren Schauplatz der
ausserhalb der Stadt am ersten Meilensteine der Via Flaminia gelegene
Hain der Göttin ist.^) Was alte und neue Gelehrte im Anschlüsse an eine
falsche Etymologie des Namens (von amnis perennis) oder unter Heran-
ziehung der phoenikischen Anna, der Schwester der Dido, über Anna
Perenna zusammengefabelt haben, ^) ist in diesem Falle glücklicherweise
nicht imstande gewesen, die Erkenntnis ihrer wirklichen Bedeutung dauernd
zu trüben.^)
Gross ist die Zahl von Gottheiten zweiten und dritten Ranges, die
uns nur aus vereinzelten Notizen über ihre Heiligtümer, Geremonien, An-
rufungen u. s. w. bekannt sind und deren Zugehörigkeit zum ältesten
Götterkreise, wenn auch an sich wahrscheinlich, darum nicht sicher er-
wiesen werden kann, weil sie zu untergeordnet waren, um eigne Feste und
Priester zu erhalten, und im Kulte vielmehr nur im Anschlüsse an höhere
Gottheiten verwandter Funktion gefeiert wurden, vielfach wohl auch nur
private, nicht staatliche Verehrung fanden. Sehr hohes Alter darf man
zweifellos für das innerhalb des Gircus gelegene sacellum Murciae^) in An-
spruch nehmen, einer Göttin, für deren Deutung man sich in historischer
*) Unerklärt bleibt der Habitus des
Bildes; doch will das nicht allzuviel bedeu-
ten, da die Statue jedenfalls eine griechische
war und ihre Uebertragung auf Angerona
auf sehr willkürlichen, jedenfalls nicht mehr
verfolgbaren Erwägungen beruht haben kann.
*) [Sjunt tarnen [qui fieri id 8acru\fn
aiunt ob an\num novum; mani]fe8tum esse
[enitn principiu]m [a]nni nov[i], nach der
Ergänzung von Moxmbbn.
') Man betet zu ihr ut annare peranna'
reque commode liceat (Macr. S. 1 12, 6), wo-
bei annare den Eintritt in das neue Jahr,
perannare das zu Ende fClhren desselben
(Suet. Vesp. 5) bezeichnet. Anna ac Peranna
heisst sie bei Varro sat. Men. frg. 506 Buech.
*) CIL I« p. 311. Ovid. fast III 523 ff.,
vgl. Macr. a. a. 0. Lyd. de mens. IV 36;
über die Zugehörigkeit des Festes zu den
ältesten feriat s. Wissowa, De feriis anni
Roman, p. XI.
^) Fast. Vatic. z. 15. März. Martial. IV
64, 17.
*) Ovid. fast. III 543 ff. Klausbm, Aeneas
und die Penaten S. 717 ff. E. Tbltsghkb,
Ueber das Wesen der Anna Perenna und der
Dido, Mitterburg 1877.
') Vgl. namentlich Usevbb, Rhein. Mus.
XXX 206 ff.
•) Varro de 1. 1. V 154. Paul. p. 148;
Murcia vallis Serv. Aen. VIII 636. Symm.
relat. 9, 6. Glaud. de cons. Stil. II 404; ad
Mureiae Liv. I 33, 5. CIL V p 189 elog.
V 13, vgl. Fest p. 344; metat Mureiae Apnl.
met. VI 8. Tert. de spect. 8. Wibsowa, De
Veneris simulacris Roman, p. 3 f. und in
Rosebers Lexikon II 3231 ff.
A. Di indigetes. d6. Sonstige Gottheiten des ältesten Kreises.
195
Zeit nicht anders zu helfen wusste als mit etymologischen Spielereien, in-
dem man Murcia = Myrtea ansetzte und daraufhin die Oöttin mit Aphrodite-
Venus identifizierte,') oder den Namen mit murcidus zusammenbrachte,')
oder ihn endlich von einem angeblich alten Namen des Aventin, Murcus,
herleitete.^) Ebenfalls im Gircus, wahrscheinlich in sachlichem Zusammen-
hange mit dem dort gelegenen Altar des Emtegottes Consus (s. oben S. 166 f.),
standen die Bilder dreier Göttinnen, deren Wirksamkeit sich auf den Schutz
der Saaten sowohl unter wie über der Erde als in der Scheuer erstreckte,
Seia, Segetia und Tutüina:*) der Name der letztgenannten (Plin. n. h.
XVni 8) oder auch aller drei Göttinnen durfte nach sakraler Vorschrift
nicht ausgesprochen werden, wer es doch that, musste zur Sühne ferias
observare (Macr. S. I 16, 8). Eine besonders grosse Menge verschollener
Kulte haftet am Palatin und seiner nächsten Umgebung. So lag hier
nahe am Lupercal das Sacellum der Diva Rumina, ''^) in welchem — ein
Beweis für das hohe Alter des Kultes — die Verwendung des Weines
beim Opfer verpönt war und Milch an dessen Stelle trat:^) die allgemein
recipierte Herleitung des Namens von ruma = mamma und die Ver-
gleichung des Juppiter Ruminus^) bringen die Götter unserem Verständ-
nisse ebensowenig näher wie die spätere Hineinziehung der bei ihrem
Heiligtume stehenden ficus Buminalis in die Romuluslegende.^) Auf dem
Palatin lag femer das sacellum deae Viriplacae, in welchem nach Valer.
Max. n 1, 6 entzweite Ehegatten zu Aussprache und Versöhnung zusammen-
zukommen pflegten: ist der Kult alt (es kann auch eine auf Grund eines
persönlichen Anlasses erbaute Privatkapelle jüngerer Zeit gewesen sein),
so ist diese Angabe gewiss nichts weiter als ein aus dem Namen heraus-
gesponnenes ahiov. Die an den Palatin anstossende Velia trägt das Sa-
cellum des Mutunus Tutunus,') eines Gottes, dem die Frauen verschleiert
opferten ^^) und der bei den Hochzeitsceremonien eine von den christlichen
Apologeten oft als anstössig betonte Rolle spielte, indem die Neuvermählte
auf sein fascinum gesetzt wurde :^^) wir haben es hier zweifellos mit einer
über die Geschlechtsbeziehungen zwischen Mann und Weib waltenden Gott-
heit zu thun, deren Natur auch in dem von den beiderseitigen Geschlechts-
») Varro de 1. 1. V 154. Plin. n. h. XV
121. Flut. Qa. Rom. 20. Serv. Aen. VII] 636.
*) Serv. a. a. 0. Augast c. d. IV 16;
vgl. Amob. IV 9.
*) Paul. p. 148. Serv. a. a. 0.
^) So die Ueberlieferung bei Augustin.
c. d. IV 8 und Macr. 8. 1 16, 8, ebenso bei
Plin. n. h. XVIII 8, nur dass dieser Segeata
statt Seia gibt; abweichend Tert. de spect. 8:
columnae (in cireo) Sessiaa a sementationilma,
Me88ias a messüms, TutuUntM a tutela fruc-
tuum 8ustinent. Mit den Tutilinae loca bei
Vurro de 1. 1. V 163 ist jedenfalls die Stelle
im CircuB gemeint; ausserdem erwfthnt
Tutilina Varro sat. Menipp. frg. 216 Buech.,
Segetia August, c. d. IV 24. 34. V 21, und
die dea Segetia ist noch auf einer Münze der
Salonina, der Qattin des Qallienus, darge-
stellt, EcKBBL, D. N. VII 419.
*) Dies die offizielle Namensform: Varro
de re rust. II 11, 5. August c. d. IV 11. VI
10. VII 11, herzusteUen auch bei Tert. ad
nat. II 11 (für una rundnia); s. auch oben
S. 115 Anm. 3.
^) Varro a. a. 0. und bei Non. p. 167,
23. Plut. Rom. 4; Qu. Rom. 57.
') August, c. d. VII 11; vgl. auch Rumon
als Indigitation des Tiberinus pater Serv.
Aen. VIII 63. 90.
») SoHWEQLEB, Rom. Gosch. I 420 ff.
*) Ueber die Namensform s. R. Petbb
in Roschers Lexik. II 204.
^^) Fest. p. 154 (verstammelt).
>*) Tert. apol. 25; ad nat II 11. Amob.
IV 7. 11. August, c. d. IV 11, der ihn mit
dem griechischen Priapos identifiziert (IV 34.
VI 9. VII 24). Lact. inst. I 20, 36.
13
196
Religion und Enltiui der Römer. TL. Qötterlehre.
teilen (einerseits muUo, andererseits einem fast ganz verschollenen tüus)
hergeleiteten Namen zum Ausdrucke kommt. 0 Denn diese in der alt-
römischen Religion sehr häufigen Doppelnamen umfassen gewissermassen
den Begriff der Gottheit von seinen entgegengesetzten Polen her, wie z. B.
Anna Perenna, Prorsa Postverta, Panda Cela, Patulcius Clusivius, Conditor
Promitor u. s. w. Zu dieser Gattung von Bildungen gehört auch Genita
Mana, der Name einer in Werden und Vergehen, Geburt und Sterben
zugleich wirksamen Gottheit, die man im häuslichen Kulte durch Hunde-
opfer gnädig zu stimmen suchte, damit keiner der Hausgenossen zum
manus werden, d. h. sterben möge;*) ferner Pilumnus und Picumnus,
ein Götterpaar, das man als di coniugales bei Geburten durch Aufstellung
eines lectus zusammen mit Deverra und Intercidona (Augustin. c. d.
VI 9) zum Schutze der Neugeborenen herbeirief,*) endlich auch VicaPota,
die Inhaberin eines am Abhänge der Velia nach dem Forum zu gelegenen
Heiligtums,^) deren Namen die alten Grammatiker teils von vincere und
potiri,^) teils von vidus und potus^) herleiteten. Auf dem Höhepunkte der
Sacra Via, dort wo sie die Velia überschritt, nahe dem Larentempel, lag
das fanum der Orbona,^) an ihrem äussersten Ende im Thale des Golos-
seum Kapelle und Hain der Strenia,^) die man mit dem Brauche der
Neujahrsgeschenke (streniae) zusammenbrachte.*) Für all diese Götter und
manche andre ^^) muss zur Zeit auf jeden Versuch einer Deutung und
historischen Einreihung verzichtet werden, da die thatsächlichen Angaben
der Quellen keinen ausreichenden Anhalt geben und die Deutungen der
antiken Gelehrten nur auf sehr gewagten, zum Teil nachweislich ver-
kehrten Etymologien beruhen: nur macht die Lage der Heiligtümer im
Herzen der Altstadt Roms es wahrscheinlich, dass die Mehrzahl dieser
verschollenen Götter der ältesten Religionsordnung angehört, wenn auch
im einzelnen Falle der Beweis schwer zu erbringen ist und namentlich
die Möglichkeit offen gelassen werden muss, dass dieses oder jenes saceUum
aus privater Stiftung herrührte. Noch unsicherer ist das Alter solcher
^) Vgl. R. Peteb a. a. 0. 206, der auch
die sonstigen Deutungsversuche zusammen-
stellt, üeber mutto und titua s. Bübobelbr,
Archiv, f. lat. Lexikogr. II 119 f. 508 und
A. SoNKY ebd. X 382 f.: unsicher ist die
Verteilung der Worte auf die beiden Ge-
schlechter, da mvtto zwar = mentula ist,
aber Hesycbios fivrrog * ro yvyaixeioy hat,
während andererseits nach Schol. Pers. I 20
titus das membrum virile bezeichnet, Photios
aber tuLg mit yvyaixetov aidoToy , . . xal
rj x^Qxog erklärt.
*) Plut. Qu. Rom. 62. Plin. n. h. XXIX
58; vgl. WissowA in Roschers Lexik. I 1612.
•) Varro bei Non. p. 528. Serv. Aen. IX
4. X 76; eine andre Auffassung, welche
Picumnus mit Picus und Pilumnus mit dem
pilum zusammenbrachte, sah in ihnen länd-
liche Gottheiten, die Erfinder des Dfingens
und des Kornstampfens; die Stellen bei R.
Peter in Roschers Lexik. II 214 f.
*; Liv. II 7, 12. Plut. Popl. 10.
*) Gic. de leg. II 28; dieser Deutung
folgt Ascon. p. 12, wenn er schlechtweg Vic-
toria für Vica Pota einsetzt.
*) Arnob. III 25 (Hs. vita et patua);
diese Auffassung scheint auch bei Seneca
apocol. 9 zu Grunde zu liegen.
') Cic. de nat. deor. IIl 63 = Plin. n. h.
II 16; der Name wird ab orbitate abgeleitet
von Tert. ad nat. II 15 = Cypr. qnod idola
dii non sint 4. Arnob. IV 7.
*) Varro de 1. 1. V 47. Pest. p. 290.
Symm. relat. 15, 1.
*) Symmach. a. a. 0. Lyd. de mens. IV
4; andre Erklärung (qiuie faceret strenuum)
bei August, c. d. IV 11. 16.
'^) Hierher gehört auch der sehr frag-
würdige Gott Minutus, von dessen benach-
bartem Heiligtume eine porta Minutia den
Namen haben sollte (Paul. p. 122. 147), die
doch in Wahrheit gewiss eine porta Mimwia
war; vgl. Jordan, Topogr. IIS. 236.
A. Di indigetes. 86. Sonstige Oottheiten des ältesten KreiseB.
197
Kulte, deren Stätten vom Mittelpunkte der alten Stadt weiter entfernt
lagen, wie der Hain der Albionae am rechten Tiberufer, ^) das Sacellum
der Naenia vor der Porta Viminalis,*) der am Tiber gelegene Hain der
Stimula, der bei dem Baccbanalienskandal von 568 == 186 eine Rolle
spielt,^) und das Heiligtum eines Gottes Viduus irgendwo ausserhalb der
Stadtmauern.^) Hier spricht manches für einen etwas jQngeren Ursprung
der Kulte, aber nur selten ist dieser so sicher zu erweisen, wie bei der
Kloakengöttin Cloacina, deren Heiligtum auf dem Forum lag:^) denn die
Anlage der Kloaken fällt sicher später als der Abschluss des Kreises der
di indigetes. Die Begräbnisgöttin Libitina, die man später vielfach mit
einer von ihr verschiedenen Göttin Lubentia^) zusammenwaif und unter
Ableitung des letzteren Namens von lubere, lubido zu einer Aphrodite-
Venus machte, gehört wahrscheinlich ebenfalls bereits in die Reihe der di
novensides: denn der Hain dieser Göttin bildet den Mittelpunkt des städti-
schen Begräbniswesens und der Sterbestatistik, ^) eine Verknüpfung des
Kultes mit dem praktischen Leben des Tages, für die man in der ältesten
Religionsübung vergeblich nach Analogien sucht. Auch für den an meh-
reren Stellen der römischen Höhen angesiedelten Kult der Göttin Febris^)
fehlt es an einer genügenden Grundlage zur Altersbestimmung, wenn auch
die Thatsache, dass die angesehenste ihrer Kultstätten auf dem Palatin
lag, für ein hohes Alter und die Zugehörigkeit zur ältesten Götterord-
nung spricht: in diesen Heiligtümern weihte man die remedia, quae cor-
poribus aegrorum adnexa fuerant (Val. Max. H 5, 6), indem man das nutnen,
das man in der verheerenden Krankheit wirksam fühlte, aber nicht näher
zu bezeichnen wusste, selbst als dea Febris verehrte,^) eine Anschauung,
die noch in späterer Zeit lebendig ist, wie Inschriftensteine der römischen
*) Paul. p. 4: Albiona ager Irans Tihe-
Hm dicitur a luco Albi&narum, quo loco hos
alba sacrificabatur.
«) Fest. p. 161 (Paul. p. 163); Göttin
der Totenklage nach Arnob. IV 7. Aagust.
c. d. VI 9.
») Liv. XXXIX 12, 3 = Schol. Juv. 2, 3.
Ovid. fast. VI 503, der sie mit Semele identi-
fiziert (vgl. CIL VI 9897 lucus Semeies); dass
der Hain an der Tibermflndung lag, folgt
aus Ovids Worten nicht. Deutung der Göt-
tin de sHmulis bei August, c. d. IV 11. 16.
*) Tert. ad nat. II 15 — Cypr. qu. idol.
dii non sint 4; eine (allerdings nicht ganz
sichere) Weihinschrift an Viduus aus Sar-
dinien CIL X 7844.
») Liv. III 48, 5. Plin. n. h. XV 119.
Plaut. Cure. 471 ; vgl. dazu Jobdan, Topogr.
I 2 S. 398. Hülsen, Rom. Mitteil. VIII 284. 1.
Venus Cloacina heisst die Göttin bei Plin.
a. a 0. und Serv. Aen. I 720; ihr Kult gilt
als eine Gründung des Titus Tatius nach
Minuc. Fei. 25, 8. August, c. d. IV 23. VI
10. Lact. inst. I 20, 11 u. a.
*) Plant. Asin. 268 ; Libentina oder Luben-
tina Arnob. IV 9. August, c. d. IV 8; Venus
lAbüina oder Lubentina Varro de 1. I. VI
47. Cic.de nat. deor. II 61. Serv. Aen. 1 720.
') Dion. Hai. IV 15. Ascon. p. 29. Plut.
Qu. Rom. 23 und mehr bei Wissowa in
Roschers Lexik. II 2034.
') Val. Max. II 5, 6 nennt drei templa
der Febris, unum in Palatio, alterum in
area Marianarum monumentorum, tertium in
summa parte vid longi, von denen nur das
erstgenannte auch anderweitig erwähnt wird
(Cic. de leg. II 28; de nat. deor. HI 63 = Plin.
n. h. II 16. Aelian. v. h. XII 11); auf dieses
wird man daher auch die Stellen beziehen
dfirfen, an denen ohne Ortsangabe von tem-
plum (August, c. d. III 25, vgl. IV 15), fanum
(Seneca apoc. 6) oder aedes Febris (Theod.
Prise. IV fol. 310^ ed. Aid. 1547) die Rede ist.
*) Diese VergöttJichnng einer feindlichen
und schädlichen Macht bUdet einen steten
Angriffspunkt für die Kirchenväter: Minuc.
Fei. 25, 8 = Cypr. qu. idola dii non sint 4.
Lact. inst. I 20, 17. August, c. d. ü 14. HI
12. 25. IV 15. 23; epist 17, 2; de cons.
evang. I 18; in psalm. CIV 11 (= Mionb,
Patrol. lat. XXXIH 84. XXXIV 1053. XXXVIl
1396). Hieron. in Joel 3 (= Mionb XXV
980). Pmdent. hamart. 157 f. Acta SS. Jul.
V 144.
198
Religion und Ealtaa der BOmer. II. Götterlehre.
Provinzen mit Weihungen an die dea Tertiana (CIL VII 999) und an Quar-
tana (CIL Xn 3129), d. h. die Göttinnen des drei- oder Wertägig wieder-
kehrenden Wechselfiebers, beweisen. Einem verwandten Gedankenkreise ent-
stammt endlieh auch die Verehrung der Mefitis, d. h. der göttlichen Ge-
walt, deren Bethätigung man überall da erblickte, wo dem Boden schädliche
Ausdünstungen, insbesondere Schwefeldämpfe, entstiegen: das derartige
Ausdünstungen bezeichnende Wort mefitis^) ist zugleich der Name der Gott-
heit, der wir, entsprechend der vulkanischen Natur der Halbinsel, an vielen
Stellen Italiens begegnen. Die zufällig auf uns gekommenen Zeugnisse
erlauben uns, ihren Kult von Potentia (CIL X 130 — 133) und Grumentum
(CIL X 203) in Lucanien bis hinauf ins transpadanische Gallien*) zu ver-
folgen, seine eigentliche Heimat aber scheint das mittlere Italien gewesen
zu sein, 3) und es ist nicht mehr als natürlich, dass uns auch für Rom
ein Tempel und Hain der Mefitis auf dem Mens Cispius bezeugt ist:*) aber
ausser dieser Thatsache hören wir von der Göttin nichts, und weder der
Umstand, dass stellenweise eine Mehrzahl von Mefites verehrt worden zu
sein scheint (s. Mohhsen, CIL X p. 976), noch das unerklärte oskische Bei-
wort fisica, das sie einmal erhält (CIL X 203), wie anderweit Venus (CIL
IV 1520. X 928), geben uns über die Art ihres Dienstes näheren Auf-
schluss.
Zweiter Abschnitt.
Di novensides italischer Herkunft/)
37. Diana. Unter den Neuaufnahmen, durch welche der älteste
römische Götterkreis seit den Zeiten der tarquinischen Könige erweitert
wurde, steht sowohl dem Alter wie der Stellung im Staatskulte nach der
Gottesdienst der Diana obenan. Wie schon der Name^) zeigt, von itali-
scher Herkunft, hat die Göttin in den verschiedensten Teilen der Halbinsel
von Alters her Verehrung genossen: in Pisaurum nennt eine der alten
Weihinschriften (CIL 1 168) ihren Namen, und am Berge Tifata bei Gapua
besass sie ein hochangesehenes, noch später durch eine von Vespasian
bestätigte Schenkung Sullas reich begütertes Heiligtum ;0 vor allem aber
sind in Latium und bei den nächsten Nachbarn der Latiner die Eultstätten
») Verg. Aen. VII 82 und Serv. z. d. St.
Pen. III 99 m. Schol. Porphyr, zu Hör. o.
m 18, 1. Prise, ü 328 H.
>) CIL V 6353 ans Laus Pompei; Tempel
in Cremona, Tac. hist m 33.
«) Am See Ampsanctos im flirpiner-
lande, Plin. n. h. II 108; in Aequum Tuti-
cum CIL IX 1421, Capua X 3811 (Add.),
Atina X 5047.
*) Varro de 1. 1. V 49. Fest. p. 351.
^) Fflr die Sonderung der in Rom re-
cipierten Gottheiten in solche italischer und
griechischer Herkunft war nach den oben
in § 8 und 9 dargelegten Gesichtspunkten
entscheidend nicht die ursprOngliche Heimat
des Gottes, sondern die Beantwortung der
Frage, ob die Römer seinen Kult aus einer
Stadt italischer oder griechischer Zunge er-
halten haben.
') Von Wz. div ^glftnzen* abzuleiten
(vgl. Lucina), s. Curtivs, Grundz.*^ S. 236.
Die Form Deana ist nicht archaisch, sondern
vulgäre EntsteUung (CIL VI 118. 122. 126.
132. X 5045. 5671. XI 1211. 8552. XIV 2212
u. a.), ebenso lana (octavo lanam lunam bei
Varro de re rust. I 37, 3 und lanium fQr Dt-
aniutn bei Oros. V 12, 6).
») Vell. Pat. II 25, 4. CIL X 3828 und
zahlreiche Weihinschriften; s. Moxmben, CIL
X p. 366 f.
B. Di noTensideB italischer Herkunft. 87. Diana.
199
der Diana ausserordentlich zahlreich. Entsprechend den Gepflogenheiten
des ältesten Gottesdienstes sind es durchweg heilige Haine, ^) in denen der
Dienst der Göttin geübt wird, weitaus am berühmtesten unter ihnen der
am Albanergebirge östlich von Aricia am Ufer eines als speculum Dianae
bezeichneten Sees') gelegene, der xat' i^ox^v Nemus Dianae hiess und
der Göttin den Namen Diana Nemorensis gab.') Da Aricia einstmals,
wahrscheinlich seit dem Sturze von Alba Longa, der Vorort eines Bundes
von Latinerstädten war, zu dem (falls die Liste vollständig ist) ausser ihm
selbst Tusculum, Tibur, Lanuvium, Laurentum, sowie Ardea, Suessa Po-
metia und Cora gehörten, so wurde die aricinische Diana die göttliche
Schirmherrin dieses Bundes, der ihr in einer Lichtung des Haines durch
den damals (das Jahr ist nicht zu bestimmen) als Bundesoberhaupt fun-
gierenden Dictator Egerius Laevius von Tusculum einen Bundesaltai* weihen
liess.^) Es hängt gewiss damit zusammen, dass der Priester der Diana
Nemorensis den aussergewöhnlichen Ehrentitel rex Nemorensis {Sxxet. Galig. 85)
führt; ein offenbar uraltes Sakralgesetz schrieb vor, dass diese Würde nur
durch einen Zweikampf mit dem bisherigen Inhaber, bei welchem ein
Zweig von einem bestimmten Baume des Haines die Waffe bilden musste
(Serv. Aen. VI 136), errungen werden konnte, und dieser Brauch führte
in römischer Zeit dazu, dass nur flüchtige Sklaven sich der Gefahr dieses
Duells aussetzten und durch Tötung ihres Vorgängers das natürlich in
seiner Schätzung sehr gesunkene^) Amt erwarben.^) Zur Bundesgöttin
wurde Diana nicht wegen bestimmter Eigenschaften ihres göttlichen Wesens,
sondern nur, weil sie die Hauptgottheit der führenden Stadt Aricia war;
denn sie war keineswegs eine politische Gottheit, sondern eine Schützerin
und Helferin der Frauen in den Nöten ihres Geschlechts. Das beweisen
für die Kaiserzeit, in der das Heiligtum zu Nemi von Rom und ander-
wärts aus sehr viel besucht wurde, 7) die zu ihrem Tempel ziehenden Pro-
cessionen bekränzter und fackeltragender Frauen ^) und die bei den Ausgra-
bungen im heiligen Bezirke aufgefundenen Votivgegenstände, unter denen
Vulven, Phallen, Statuetten von Müttern mit Säuglingen u. ä. die Hauptrolle
') Est in suburbano Tusculani a^ri
eoüe . . . lueus antiqua religione Dianae sa-
cratus a Laüo, Plin. n. b. XVI 242 ; ad com-
pitum Anagninum in luco Dianae, Liv.
XXVII 4, 12; nemarum eoma, quaecumque . .
prominet Algido, Hör. c.1 21, 6, vgl. c. saec.
69. Dbsjabdinb, Topogr. du Latiuin p. 211 f.
*) Serv. Aon. VII 515; vgl. auch CIL
XIV 2772 mit Dbssaus Bemerkung.
*) Auch die um das Heiligtum sich grup-
pierende Niederlassung heisst mit Eigennamen
Nemus (Nefios Strab. V 239. App. b. c. V 24),
heute Nemi, ebenso wie sich aus dem lueus
Angitiae im Marserlande (s. oben S. 44 Anm. 2)
die Gemeinde der Lucenses, heute Luco, ent-
wickelte (MoMMSEN, CIL IX p. 367). Im all-
gemeinen vgl. über das Heiligtum von Nemi
BoBMAKV, Altlatin. ChorographieS. 134 ff. und
Dbssau, CIL XIV p. 204.
*) So verstehe ich das Fragment des
Cato bei Prise. IV p. 129 = VII p. 337 H.:
Lucum Dianium in nemore Aricino Egerius
Laevius Tusculanus dedieavit dictator Lati-
nuSf ki populi communiter u. s. w., vgl. Fest,
p. 145 Manius Egeri[us lucum] Nemorensem
Dianete eonseeravU. Anders Jobdait, Caton.
reliqu. p. XLII ff. Bf loch, Der italische Bund
S. 179 f.
^) Abieetae eondieionis et extremae sor-
tis, Suet. Calig. 35.
•) Paus. II 27, 4. Strab. V 239. Ovid. a.
a. I 298; fast HI 271 f. Val. Flacc. H 305.
Stat. silv. III 1, 55. Vgl Jobdan, Die Könige
im alten Latium S. 42 ff.
') Darum ist der cliwis Aricini*s (oder
cHpus Virbi Fers. VI 56) Sammelpunkt der
Bettler, Martial. 11 19, 3. X 68, 4. XU 32, 10.
Juv. 3, 117. Ootavian machte bei dem Tem-
pel eine Anleihe, Appian. b. c. V 24.
•) Prop. II 32, 9. Ovid. fast. III 269 f.;
vgl. Gratt. cyn. 484. Stat. silv. III 1, 56 f.
200
Beligion and Kaltns der BOmer. II. Götterlehre.
spielen.^) Dass diese Auffassung aber nicht etwa auf einer späteren Um-
bildung beruht, sondern die ursprüngliche ist, geht zur Evidenz aus der
Thatsache hervor, dass neben Diana Nemorensis an der den Hain durch-
strömenden Quelle (Strab. V 239) eine untergeordnete Gottheit Egeria
verehrt wurde, deren Eigenschaft als Geburtsgöttin vollkommen sicher
steht. ^) Aus demselben Anschauungskreise ist auch eine in dem Haine
ansässige dienende Gottheit männlichen Geschlechts, wahrscheinlich ein
bei der Entbindung hilfreicher Dämon,') Namens Yirbius^) zu erklären,
den man später als älteren Mann, wahrscheinlich im Typus des griechischen
Asklepios, zur Darstellung brachte.^) Name und Bedeutung des Gottes
waren in historischer Zeit unverständlich geworden,^) und die hellenisierende
Gelehrsamkeit der ausgehenden Republik, die den aricinischen Dianenkult
wegen der barbarischen Zweikämpfe mit dem taurischen Artemisdienste
zusammenbrachte,^) identifizierte, gestützt auf die Thatsache, dass der
aricinische Hain von Pferden nicht betreten werden durfte,®) den Virbius
mit dem von seinen Rossen zu Tode geschleiften Hippolytos, der, durch
Asklepios neu belebt, von Artemis unter veränderter Gestalt und neuem
Namen hier geborgen sein sollte.^)
Dieser aricinische Kult ist es, von dem der römische Dianendienst
seinen Ausgangspunkt genommen hat. Zwar leitete Varro (de 1. 1. V 74)
diesen, wie viele andre römische Kulte, von den Sabinern her, und bei
manchen kleinen Dianenkapellen (Diania) in Rom, von deren Existenz wir
wissen, ^0) ist Alter und Herkunft nicht mit Sicherheit festzustellen. Das aber
ist gewiss, dass der älteste und bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. einzige wirk-
liche Tempel der Diana, die aedes Dianae in Aventino, der Mittelpunkt des
^) Ueber die Ausgrabungen in Nemi
zusammenfassender Beriebt von 0. Ross-
BAOH, Verband!, d. Philol. Versamml. in Gör-
litz 1889 S. 147 ff., dazu nocb Notiz, d. Scavi
1895, 424 ff. Die Inscbriften CIL XIV 2212
-2214. 4182—4186. 4202. 4270 f., darunter
mehrere arcbaiscbe; vgl. aucb die tibur-
tinische Inschrift CIL XIV 3537 Dianai opi-
fer(ai) Nemorensei und eine von Narona CIL
III 1778.
*) Paul. p. 77 Egeriae n^phae aacri-
ficdbant praegnantes^ quod eam putabatU fa-
ciU canceptam alvum egerere; vgl. Wissowa
in Rosebers Lexik. I 1217.
') Vgl. Ober fthnliehe griechiscbe Vor-
stellungen F. Mabx, Atben. Mitteil. X 1885
S. 198 f., über die angeblichen römischen
Nixi di (Fest. p. 174) Wissowa, Philol. Ab-
handl. M. Hertz dargebracht S. 157 f. und
in Roschers Lexik. III 444 f.
^) De dis minorihua unus numine sub
daminae l^Ueo atoue acetnseor üli^ Ovid. met.
XV 545 f., vgl. Serv. Aen. VII 84. 761. Ein
Flamen Virbialis kommt in Neapel vor, CIL
X 1498; dagegen ist Obblli 2212 = 4022
falsch gelesen (s. CIL XII 2288).
') Ovid. met. XV 589, dazu Ealkmann,
Archaeol. Zeit. XLI 1883 S. 89. Serv. Aen. VII
776 euiu8 Hmulacrum non est fas atiingere.
*) Virbium qttaai bis vtrui», Serv. Aen.
VII 761. Schol. Pers. VI 56; mehrere Etymo-
logien bei Martyr. Gramm, lat. VII 181, 8,
darunt-er auch deum qui Viribus praesit (über
diese Vires s. oben S. 141). Quidam solem
ptäant esse, cuiits simufeterutn non est fas
atiingere f quia nee sol tangitur, Serv. Aen.
VII 776.
') 'Jq)idQVfÄa tijg TavQonoXov Strab. V
289; Scythica Diana Lucan. III 86. Solin. 2,
11; Orestea Diana Ovid. met. XV 489; My-
cenaea Diana Lucan. VI 74; vgl. Serv. Aen.
II 116. VI 186.
•) Verg. Aen. VII 778 f. Ovid. fast. III
266.
») Verg. Aen. VII 761 ff. Ovid. met. XV
497 ff.; fast. VI 787 ff. Paus. II 27, 4. Serv.
Aen. VII 761. Hyg. fab. 251. Schol. Pers. VI
56. Vereinzelt steht Vib. Sequ. p. 152, 6
Riese: Virbius Laconices {flumen), ubi Hip-
polytum Aeseulapius arte medicinae reddidit
vitae, unde et Virbius dictus.
10) Maximum et sanctissimum Dianae so-
cellum in Caeliculo, Cio. de har. resp. 32;
Dianium auf der Höhe des Es^uilin an der
Ecke des Clivus Urbius und Vicus Cyprius,
Liv. I 48, 6 : Kapelle im Vicus Patricias, nur
Frauen zugänglich, Plut. Qu. Rom. 8.
B. Di noTenaides italischer Herknnft. 37. DianA.
201
ganzen römischen Dianendienstes, eine Filiale des aricinischen Heiligtumes
war: nicht nur, dass beide in gleicher Weise den Charakter eines Bundes-
tempels tragen (s. unten), auch der Stiftungstag beider Tempel fällt auf
das gleiche Datum, die Iden des August,^) entscheidend aber ist es, dass
mit Diana auch die aricinische Egeria nach Rom gewandert ist und in der
Nachbarschaft des Dianentempels, in dem unterhalb des Aventin vor Porta
Capena gelegenen Haine der Gamenae (s. oben S. 180), eine Eultstätte er-
halten hat.') Ein Hinweis darauf, dass auch die aventinische Diana als
Frauengottheit aufgefasst wurde, liegt darin, dass am Stiftungstage des
Tempels, dem 13. August, die römischen Frauen ihr Haar sorgfaltig kämmen
und ihren Kopf reinigen (Plut. Qu. Rom. 100), doch wohl zu Ehren der
Göttin, wie umgekehi*t bei Trauer- und Sühnfesten die Flaminica Dialis
neqtte cotnit caput neque crinem depedit (Gell. X 15, 30; vgl. Ovid. fast. HI 397).
Der Tempel, der als eine Gründung des Servius TuUius angesehen wurde,')
war — wie die noch zur Zeit des Dionysios von Halikamass erhaltene,
auf einer ehernen Säule aufgezeichnete Stiftungsurkunde besagte — ein
Bundesheiligtum der Latiner (commune Latinorum Dianae templum Varro
de 1. 1. V 43), so dass die Eigenschaft des sakralen Bundescentrums von
dem aricinischen Heiligtume auf die römische Filiale überging;^) sein
Tempelstatut, die lex Dianae in Aventino, das erste der Art, hatte noch
in der Kaiserzeit vorbildliche Bedeutung (s. oben S. 34). Dass der Stiftungs-
tag des Tempels zum Feste der Sklaven {servorum dies) wurde, mag damit
zusammenhängen, dass er das älteste römische Heiligtum einer nicht zum
Kreise der Di indigetes gehörigen Gottheit ist, und dass in der ältesten
Zeit zur römischen Sklavenschaft gerade kriegsgefangene Latiner ein erheb-
liches Kontingent gestellt haben müssen ; die Überlieferung weiss die Be-
ziehung der Sklaven zur aventinischen Diana nur entweder mit dem Hin-
weise darauf zu begründen, dass der Stifter des Tempels, Servius TuUius, von
unfreier Abkunft gewesen sei, oder mit dem albernen Wortwitze, dass Diana
die Göttin der Hirsche sei und die flüchtigen Sklaven a celerüate cervi
genannt worden seien. ^)
Diese italisch-römischen Vorstellungen sind durch das Eindringen des
griechischen Artemisdienstes früh und nachhaltig beeinflusst und verändert
worden. Zur Gleichsetzung mit Artemis, die zunächst als Kultgenossin
des Apollo in Rom Aufnahme fand^) und wie dieser schon beim ersten
Lectisternium im Jahre 355 = 399 erscheint,') führte einerseits die Ver-
') Für das aventiniBche Heiligtam vgl.
MoMMBEN, CIL P p. 325, fOr das aricinische
Stat. silv. III 1, 59 f., der zwar den Monat
der Hecateides Idus nicht nennt, aber zeigt,
dass sie in den Hochsommer fallen. Auch
in Lanuyium wird der 13. August als nata-
lis Dianae gefeiert, CIL XIV 2112 1 5. n 12.
Vgl. auch Martial. XII 67, 2. Auson. de fer. 6.
s) Plut. Numa 13. Liv. I 21, 3. Juven. 3,
1 1 ff
*») Liv. I 45. Dion. HaL IV 26. Zonar. VII
9. Aur. Vict. vir. ill. 7, 9.
^) Auf dieser Voraussetzung beiiiht auch
die bekannte Erzählung von dem für die
Hegemonie in Latium entscheidenden Kuh-
opfer im Dianentempel (Liv. I 45, 3 ff. Val.
Max. VII 3, 1. Plut. Qu. Elom. 4; vgl. Momm-
SEN, Rom. Mflnzw. 8. 617).
») Fest. p. 343. Plut. Qu. Rom. 100.
') Diana wird mit Apollo gemeinsam
verehrt wahrscheinlich in dem Tempel des
Apollo beim Marcellustheater (CIL VI 32,
vgl. fast. ürb. CIL P p. 252), sicher im pala-
tinischen Apollotempel (Prop. II 31, 15; da-
her ist sie auch mit Apollo an der Saecu-
larfeier des Augustus beteiligt, s. Mommskn,
Eph. epigr. VIIl p. 259).
') Liv. V 13. Dion. Hai. XII 9.
202
Beligion und Kaltns der BfVmer. II. (iötterlehre.
gleichung der Frauengottheit Diana rniVAgrc/ng j^oxfcc und ßXsi&via, anderer-
seits der Umstand, dass die dea Nemorensis leicht allgemein als nemorum
incola (vgl. CIL VI 124) und als Beschützerin des Waldes und des Wildes
angesehen werden konnte. Eine eigne Kultstätte erhielt diese griechische
Diana-Artemis in dem 567 =187 von M. Aemilius Lepidus gelobten und 8 Jahre
später geweihten Tempel beim Circus Flaminius;^) wichtiger aber ist es,
dass die griechischen Vorstellungen seitdem auch in die älteren Dianen-
kulte eindringen. Das Tempelbild des aventinischen Heiligtums, dessen
Alter wir nicht kennen, gab den Typus der ephesischen Artemis wieder,*)
was zu der Aufstellung Anlass bot, dass das Artemision zu Ephesos als
Bundesheiligtum der ionischen Städte das Vorbild gewesen sei fftr das
commune Latinorum Dianae templum,^) Die erhaltenen Bilder der Tifatina
sowohl wie der aricinischen Diana stellen die Göttin nach griechischem
Vorbilde als Jägerin dar, in kurzem Chiton, mit Köcher und Jagdstiefeln,
in der Hand als ständiges Attribut eine Fackel haltend.^) Dement-
sprechend feiern nicht nur die Dichter Diana ganz im Sinne der griechi-
schen Artemis als Elkeix^ma^ als Jägerin und Herrin des Waldes, als
Mondgöttin und Trivia, d. h. Hekate TgioiTrig,^) sondern auch in den Denk-
mälern des Kultus äussern sich ähnliche Anschauungen; insbesondere
verehren die Jäger ^) sie als umbrarum ac nemorum incolam, ferarum
domitricem, Dianam deam virginem (CIL VI 124), und als Beschützerin
des Waldes wird sie häufig mit Silvanus verbunden und wie dieser (s.
oben S. 176 Anm. 6) durch individualisierende Beinamen als Schutzgott-
heit eines bestimmten Grundstückes bezeichnet.'') Ihre Verehrung, vielfach
durch Kultgenossenschaften ausgeübt,^) erstreckt sich in der Kaiserzeit
über alle Theile des Reiches, wobei aber in zahlreichen Fällen der Name
Diana nicht die römische oder griechische Göttin, sondern eine fremde
Gottheit bezeicnnet, die ihren Namen angenommen hat: so finden wir
unter der Bezeichnung Diana verehrt ausser Hekate^) die Göttin von
Hierapolis in Syrien,^^) die keltische Arduinna^^) und eine dalmatinische
») Liv. XXXIX 2, 8. XL 52. 1 ff.
') Denn es war nach Strab. IV 180 ein
Abbild der Artemis von Massilia, diese selbst
aber war die epbesische (ebd. 179).
») Liv. I 45, 2. Dion. Hai. IV 25; vgl.
F. BoEsoH, De XII tabulamm lege a Grae-
eis petita quaestiones pbilologae, Diss. Got-
ting. 1893. p. 67.
*) Ueber die Tifatina Minebvini, Com-
roeni Mommsen. S. 600 ff., über die Aricina
0. Robsbach a. a. 0. 8. 161 f.
'j Insbesondere GatuU. 34. Hör. carm. I
21. III 22, aucb die inschriftlicben Gedicbte
CIL II 2660. X 3796; Trivia = Diana seit
Ennios (trag. frg. 362 Ribb.) ganz allgemein,
auch CIL X 3795 Dianae Tifatinae Triviae;
vgl. auch Bull. arch. com. XIV 1886, 181.
^) Venatorea immunes cum custode vivo-
riif CIL VI 130; coUegium venatorum sacer-
dotum Dianae f CIL X 567 1 ; vgl. 8ignum Di-
anae et venatianem et salientes, CIL V 3222.
') Diana Cariciana (der Weibende heisst
M. Aurelius Caricus) CIL VI 131 ; Diana Va-
leriana (der Weihende P. Valerius Bassus)
CIL VI 135; Diana Planciana VI 2210; Di-
ana Pamnetiana X 5960 u. a. Diana mit Sil-
vanus z. B. CIL VI 658, vgl. Rbiffebschbid,
Annali d. Inst. 1866, 219 f.
*) CoUegium Larum praediarum , . . et
Dianae CIL VI 455; coUegium 8alutare cul-
torum Dianae et Antinoi in Lanuvium XIV
2112; coUegius Dianes in Volsinii XI 2720;
iuvenes Dianenses in Nepet XI 8210; cul-
tores Diane8es in Tusculum XIV 2683; cul-
tores Dia{nae) in Saguntum CIL 11 8821 f.
') Diese ist z. B. gemeint, wenn die 8pira
Traianensium (vgl. Eaibbl, Inscr. graeo. Sicil.
nr. 925) in Ostia der Diana iohen8 eine
Weihung macht (CIL XIV 4), denn CIL VI
261 steht die Dedikation einer spira auf der
Basis einer Hekatestatue ; vgl. Wissowa in
Roschers Lexik. II 2028.
^0) Gran. Licin. p. 9, 18 Bonn.
»«) CIL VI 46 und Ihm bei Padly-Wis-
sowA, Real-Encyol. II 616.
&. Di noTensides italischer Herkanft. 88. Minerva.
203
Waldgöttin, ^) welche die Griechen mit Artemis und dann ihnen folgend
die Römer mit Diana glichen.
Litteratur: Pbbllbr-Jobdan, Rom. Mythol. I 812 ff. Bist in Roechers Lexik.
I 1002 ff.
38. Minerva. Die Verehrung der Minerva ist, wie das Fehlen ihres
Namens in der ältesten Fest- und Priesterordnung beweist, der römischen
Religion ursprünglich fremd: Eingang fand die Göttin in Rom zuerst wohl
als Mitglied der griechisch-etruskischen Trias vom Capitol (s. oben S. 36).
Doch ist der Kult nach Ausweis des rein italischen Namens der Göttin')
auch kein eigentlich etruskischer, sondern mancherlei Indicien führen
darauf hin, seine Heimat in Falerii zu suchen, wo alter Minervendienst
inschriftlich bezeugt ist,') während die sonstigen Spuren altitalischer
Minervenkulte sehr spärlich sind.^) Nach der Eroberung und Zerstörung
von Falerii im Jahre 513 = 241 wurde auch der Kult der faliskischen
Minerva annektiert, und die eroberte Göttin erhielt als Minerva Capta^)
ein kleines sacdlum auf dem nach den Garinen zu gelegenen Abhänge des
Gaelius.^) Viel wichtiger aber und sicher auch erheblich älter war der
Tempel der Minerva auf dem Aventin,^) dessen Stiftungsfeier am 19. März
mit dem alten Marsfeste der Quinquatrus (s. oben S. 131) zusammenfiel^)
und dieses im Laufe der Zeit, wenn auch nicht im offiziellen Staatskulte,
so doch in der volkstümlichen Religionsübung zu einem Minervenfeste
umgestaltete (Mommsen, GIL P p. 312); bei einer Restauration des Tempels
durch Augustus (Monum. Anc. 4, 6) wurde der Stiftungstag auf den 19. Juni
verlegt,') ohne dass darum die Quinquatrus aufgehört hätten, auch weiter-
hin als Festtag der Minerva begangen zu werden. Die Göttin wurde in Rom
als die Beschützerin des Handwerks und der gewerblichen Kunstfertigkeit
verehrt, 10) und die staatlich anerkannten Handwerkerverbände gruppierten
sich in der Weise um ihren Tempel als sakralen Mittelpunkt, dass die
Verleihung des Rechtes, im Tempel der Minerva zusammenzukommen, an
') R. Y. ScBHEiDBB, Afch. epigr. Mitteil, aus
Oesterr. IX 68 ff.; vgl. auch Ober ApoUo und
Diana als Hauptgottheiten der Westthraker
Y. DoMASZBWSKi» Westd. Zeitschr. XIV 53.
*) Altlateinisch Menerva (CIL VI 523.
XIV 4105. V 703. 799. Gamubbini, Appen-
dice 812. Bull. arch. com. XV 1887, 154),
ehenso faÜskisch (CIL XI 3081) und etrus-
kisch (GoBBSBH, Sprache der Etrnsker I 370
ff.). Zur Etymologie G. Cusnus, Grundzüge'
S. 312 f. Jobdan, Hermes XV 9; antike Ety-
mologie und Deutungen Cic. de nat. deor. II 67.
Paul. p. 123. Amob. III 31.
') CIL XI 3081 (vgl. Dbbgkb, Falisker
S. 89 ff.); über etruskischen MinerYenkult
Mülleb-Dbbckb, Etrusk. II 46 ff.
*) Alter Tempel in OrYinium (Dion. Hai.
ant. 1 14), weshalb Varro de 1. 1. V 74 Mi-
nerva zu den Gottheiten sabinischer Her-
kunft zfthlt; Tempel in Tarracina, Obsequ.
12 [71] ; Heiligtümer der griechischen Athena
am pramarUorium Minervae bei Surrentum
(Sen. epist. 77, 2. Stat. silv. II 2, 2. III 2, 24.
V 3, 165 f., vgl. Strab. V 247) und in Cala-
brien (Strab. VI 281 u. a.; Solin. 2, 9 nennt
fälschlich Bmttium).
*) Ovid. fast. HI 843 f.; vgl. Jobdan, Her-
mes IV 243 f. Pbbllbb- Jobdan, Rom. Mythol.
I 292, 2.
•) Minervium, Varro de 1. 1. V 47. Ovid.
fast. III 835 ff. GiLBBBT, Topogr. II 33, 2.
^) Ueber die genauere Lage Gilbbbt a.
a. 0. n238, 1.
B) Fest. p. 257. Fast. Praen. z. 19. März.
^) Ovid. fast. VI 728. Fast. Esquil. Amit.
z. 19. Juni. Irre gemacht durch den dop-
pelten Stiftungstag, den er in seinen Quellen
fand, hat Ovid (fast. III 837) den 19. März
zum ncUcdis der Minerva Capta auf dem Cae-
lius gemacht, deren Heiligtum als blosses
sacellum gar keinen im Kalender verzeich-
neten Stiftungstag besitzen konnte; vgl. Aust,
De aedibus sacris p. 42 f. Wissowa, Ana-
lecta Elomana topographica (Halis Saz. 1897)
p. 15 ff.; anders Jobdan, Ephem. epigr. I
p. 238. MoMMSBN, CIL I* p. 312. 320.
'^) Ovid. fast. III 821 ff., vgl. Lact. inst.
I 18, 23. CIL III 3136 arHfidbus Mmervae.
204
Beligion and Enltas der BOmer. II. Götterlehre.
irgend eine Vereinigung von Handwerkern gleichbedeutend war mit der
Zuerkennung von Korporationsrechten: so wurden im Jahre 547 = 207
die scribae et histriones zum Danke für die dem Staate durch ein vom
Dichter Livius Andronicus verfasstes Processions- und Sühnlied geleisteten
Dienste als Gilde dadurch anerkannt, dass ihnen publice atfributa est in
Aventino aedes MinetDae, in qua liceret scribis hiatrionibusque consistere ac
dona ponere,^) Dementsprechend waren auch die Quinquatrus, während
sie von Staatswegen durch Umzüge der Salier als Marsfest begangen
wurden (s. oben S. 131), für das Volk in erster Linie ein Handwerkerfest
(artificum dies Fast. Praen.), das unter grosser Beteiligung dieser Stände
gefeiert wurde und auf Grund einer falschen Etymologie des Festnamens*)
schon im 2. Jahrhundert v. Chr. (Liv.XLIV20, 1) eine Ausdehnung über 5 Tage
gewonnen hatte. ^) Unter den an diesem Handwerkerfeste beteih'gten Zünften
werden besonders häufig die Walker^) genannt, aber auch die Arzte ^)
und insbesondere die Schullehrer haben ihren Teil an der Feier, und noch
in der ausgehenden Kaiserzeit waren die Quinquatrus Schulfeiertage ^) und
boten Gelegenheit zur Verabreichung eines Extradouceurs (Minerval Varro
de re rust. HI 2,18) an den Lehrer.*^) Nur eine Gilde besass neben den
Quinquatrus noch ihren Separatfesttag: das collegiutn tibicinum Romanorum ^
qui sacris publicis praesto sunt,^) dessen Mitglieder bei den Staatsopfern
mitwirkten und darum besondere Bevorrechtigungen genossen, hatte zwar,
wie alle andern Zünfte, an dem aventinischen Minerventempel Anteil,^)
beging aber sein Jahresfest an einem Juppitertage, den Iden des Juni,^^)
mit einem Festmahle im capitolinischen Tempel ^^) und maskierten Um-
zügen, i>) welche Festbräuche die aetiologische Dichtung durch die lustige
Erzählung von einer einstmals glücklich wieder beigelegten Arbeitsein-
stellung und Secession der Pfeiferzunft zu erklären versuchte;^') da das
Fest, wie die Quinquatrus, ein Gildenfest war, so wurde es im Volksmunde
als Quinquatrus minusculae bezeichnet,**) mit dem Minervendienste aber
hatte es unmittelbar nichts zu thun.
Die römische Minerva ist ausschliesslich Göttin des Handwerks (im
>) Fest. p. 333 (vgl. Liv. XXVII 87 und
DiBLS, Sibyll. Blätter S. 90, 8). 0. Jahn, Ber.
d. Sachs. Gesellsch. d. Wiss. 1856, 294 ff.
') Ovid. fast. III 810 und dagegen Varro
de 1. 1. VI 14. Fest. p. 254. Ueber die rich-
tige Deutung von Quinquatrus = post diem
quintum s. 0. Qbüppb, Hermes XV 624. Wis-
sowA, De feriis anni Rom. p. X.
'j Seit Augustus werden am 2.— 4. Tage
Gladiatorenspiele gegeben, Ovid. fast. III
813 f. Cass. Dio LIV 28, 3. Tac ann. XIV
12. Ueber sonstige Belustigungen an den
Quinquatrus s. Suet. Aug. 71; Nero 34. Tac.
ann. XIV 4.
^) Novius bei Non. p. 508. Plin. n. h.
XXXV 143; vgl. 0. Jahn, Abhandl. d. sächs.
GeseUsch. d. Wiss. V 1868, 809.
^) Zu Varros Menippea Quinquatrus s.
£. NoBDEK, Jahrb. f. Philol. Suppl. XIX 397.
•) Hör. epist 112, 197. Juven. 10, 115 f.
Symm. epist. V 85.
') Tertull. de idol. 10. Hieron. in Eph.
VI 4 = MiOHB, Patrol. lat XXVI 540; vgl.
Macr. S. 1 12, 7 und über sonstige Quin-
quatrustrinkgelder Plaut, mil. glor. 691 f.
«) CIL VI 240. 1054. 2191. 3696. 3877.
3P77a.
•) Varro de 1. 1. VI 17. Fest. p. 149.
»0) MOMMSBN, CIL I« p. 320.
'^) Weihung der magistri quinqtiennales
des collegium teibidnum u. s. w. an Juppiter
Epulo CIL VI 3696.
»«) Varro de 1. 1. VI 17. Censor. 15, 3.
Babblon, Monnaies consul. 11 325 f.
»») Ovid. fast. VI 651 ff. Plut. Qu. Rom.
55. Liv. IX 30, 5 ff. = Val. Max. 11 5, 4; vgl
Zbllbb, Vorträge und Abhandl. II 136 ff.
»*) Varro de 1. I. VI 17. Censor. 12, 2.
Fest. p. 149.
B. Di noTeniiideB italischer Herkunft. 88. Minerva. 205
weitesten Sinne), und wahrscheinlich waren es südetrurische Handwerker,
die ihren Dienst nach Rom verpflanzten; die griechische Auffassung der
Göttin als einer kriegerischen^) und politischen Gottheit liegt ihr — ab-
gesehen von dem Dienste der capitolinischen Trias, in dem Minerva nach
griechischer Vorstellung als nokiovxog gedacht ist (s. oben S. 36) — ganz
fern. Wenn Minerva auch als Heilgottheit verehrt wird,*) so erklärt sich
das, auch ohne dass man eine Einwirkung der griechischen Vorstellungen
von 'Ax^rjva ^YyUia u. a. anzunehmen brauchte, aus ihrer Stellung als Schutz-
patronin der Ärzte: als Minerva Medica besass sie schon in republikanischer
Zeit einen Tempel auf dem Esquilin,') und ausserhalb Roms kennen wir
durch Inschriftenfunde ein viel besuchtes Heiligtum der Minerva Memor
oder Minerva Medica Gabardiacensis in der Nähe von Placentia.^) Seit
dem hannibalischen Kriege — beim Lectisternium erscheint Minerva zuerst
im Jahre 537 = 217 (s. oben S. 55) — wurde aber auch der Minervendienst
hellenisiert, und die ihr am Ausgange der Republik und in der Kaiserzeit
errichteten Heiligtümer gelten in der That vielmehr der griechischen Athena:
so verehrt sie Cn. Pompejus als siegverleihende Göttin (Plin. n. h. VH 97),
Cicero als custos urbis (vgl. CHj VI 529) d. h. als nokidg,^) Augustus und
Domitian erbauen Tempel der Minerva Chalcidica.^) Letztgenannter Kaiser,
der den Minervendienst geradezu als Sport betrieb und sich bis zu der
Geschmacklosigkeit verstieg, sich für einen Sohn der jungfräulichen Göttin
auszugeben, 7) gründete noch zwei Miner ventempel, einen an der Nordwest-
seite des Palatin,^) den andern auf dem von ihm begonnenen und nachher
von Nerva vollendeten Forum transitorium :^) die teilweise noch erhaltenen
Friesreliefs des letzteren Tempels feiern die Göttin als die Beschirmerin
gewerblicher Thätigkeit, aber in griechischer Auffassung. ^^) Die von Domitian
vorgenommene Ausgestaltung der Quinquatrusfeier zu einer durch dichterische
und rednerische Wettkämpfe verherrlichten Festlichkeit ^i) und die Um-
wandlung der früheren Neronia in einen Agon Minervae durch Gordian^^)
beruhen ganz auf griechischer Grundlage.
Zeugnisse für den Kult der Minerva finden wir in der Kaiserzeit in
allen Teilen des Reiches, ohne dass er irgendwo mit besonderer Stärke
hervorträte: die Auffassung ist noch ganz überwiegend die alte römische,
Minerva wird von Handwerkern und Gewerbetreibenden, mit Einschluss
1) Ueber Mars, Minerva (d. h. Nerio) j 1 146. Gilbert, Topogr. III 381, 1.
nnd Lua bei der Verbrennung der Spolien I ') Quint. X 1, 91. Suet. Dum. 15. Cass.
Dio LXVII 1, 2. 16, 1. Philostr. Apoll. Tyan.
VII 24 u. a.
*) MoMMSSN, Chron. min. I 146 und auf
den Militärdiplomen seit 90 n. Chr.: in muro
Fnnde Bull, arch.com. XV 1887, 154 fF. 167 fr. i post templum divi ÄugusH ad Minertmm;
XVI 1888, 125 f. I vgl. Martial. IV 53, 1.
s. oben S. 171.
•) Sine medico tnedicifiam dabit Minerva,
Cic. de div. II 128.
») Notit. reg. V. CIL VI 10133. Neue
♦) CIL XI 1292-1310; vgl. Bebtolotti,
Bull. d. Inst. 1867, 219 ff. 237 ff.
') Cic. de leg. II 42; de domo 144; epist.
XII 25, 1. Plut. Cic. 31. Cass. Dio XXXVIII
17, 5. XLV 17, 3.
*) Augustus: Cass. Dio LI 22. Monum.
Anc. 4, 1 und dazu Mommsbn, Res gestae D.
Aug. p. 79. Domitian : Mommsbn, Chron. min.
•) Aur. Vict. Caes. 12, 2. CIL VI 953;
vgl. JoBDAK, Topogr. I 2 S. 449 ff.
") Monum. d. Inst. X 40^41a, dazu
H. Blümmer, Annali d. Inst. 1877, 5 ff., vgl.
E. Pbtbbsbn, Rom. Mitt. IV 1889, 88.
>») Cass. Dio LXVII 1,2. Suet. Dom. 4.
Fbibdlamdbr, Sitt. Gesch. IIP 381.
^') Mommsbn, Chron. min. 1 147.
206
Religion and XnltaB der &5mer. H. Qötterlehre.
namentlich auch der Musiker, als ihre Schirmherrin verehrt,^) und im Heere
ist sie die Patronin nicht nur der Spielleute, sondern auch der Militär-
schreiber und Exerzier meister.') In Beneventum ist die Grosse Mutter
zur Minerva Berecynthia geworden (CIL IX 1538—1542), und auch auf
keltischem Gebiete fanden die Römer Gottheiten vor, die sie nach wirk-
lichen oder vermeintlichen Ähnlichkeiten mit Minerva verglichen (Gaes.
b. g. VI 17,2), namentlich die Göttin der warmen Quellen von Bath (Aquae
Sulis) im südlichen Britannien.')
Litteratur: Pbellbr-Jobdak, Rom. Mythol. I 289 ff. Wissowa in Rosohers Lexik,
ir 2982 ff.
39. Fortuna. Wenn die antike Überlieferung mit grosser Ein-
mütigkeit^) den römischen Fortunenkult auf Servius Tullius zurückführt,
so liegt darin das Richtige, dass diese Gottheit der Religion des Numa
d. h. dem Kreise der di indigetes fremd ist. Den aus dem Sklavenstande
auf den Thron erhobenen König zum Liebling und Geliebten der Glücks-
göttin zu machen, lag nahe genug, und die Dichter wussten von dem
Verkehr Beider Anmutiges zu erzählen.*) Seiner Verehrung der Fortuna
gab der König der Sage nach Ausdruck nicht nur durch die Stiftung einer
Menge von kleinen Kapellen, in denen die Göttin unter den verschiedensten
Beinamen verehrt wurde, ^) sondern insbesondere auch durch die Weihung
von zwei grossen, noch in späterer Zeit bestehenden und angesehenen
Tempeln. Der eine ist das fanum Fortis Fortunae^ ausserhalb der Stadt
am rechten Tiberufer gelegen, 7) der andere die aedes Fortunae in foro
boario, in der ein vollkommen verhülltes Holzbild stand, das nach den
einen den König Servius Tullius, nach den andern die Fortuna darstellte.^)
Das wirkliche Alter beider Tempel mit Sicherheit zu bestimmen, ist nicht
möglich, wohl aber lässt sich erkennen, dass in beiden die Göttin in
wesentlich anderem Sinne zur Verehrung kam, als in der späteren Auf-
fassung als Glücksgöttin. Zu dem angeblich servianischen Tempel der
Fors Fortuna in Trastevere gesellte sich im Jahre 461 = 293 ein vom
Consul Sp. Garvilius gelobtes Heiligtum derselben Gottheit (Liv. X 46, 14)
in der Weise, dass das eine am. ersten, das andere am sechsten Meilen-
steine der Via Portuensis gelegen war:^) beide begingen nach dem Kalender
am 24. Juni ihr Jahresfest, das besonders von den Angehörigen der
niederen Stände in fröhlicher Ausgelassenheit gefeiert wurde. ^^) Da noch
') Tubicines CIL III Suppl. 10997; aene-
atores CIRh. 1738; comicines CIL VI 524;
Walker: CIL VI 268 (fontani). I 1406 (fulkh
nes). V 801 (lotores); stuppaiorea CIL XIV
44; fahrt Notiz, d. scavi 1880, 261. CIL IX
3148. II 4498. VII 11.
*) y. D0MA8ZEW8KI, WeBtd. Zeitschr.
XIV 29 flF.
») Solin. 22, 10; dea Sul Minerva CIL
VII 39. 42. 43, vgl. XII 2974 und s. auch
M. Ihm, Jahrb. d. Vereins d. Altertsfr. im
Rheinl. LXXXIII 1887, 81 f.
*) Nur Plut. de fort. Rom. 5 bezeichnet
Anous Marcius als den Grttnder des arsten
Fortunenheiligtums.
*) Ovid. fast. VI 573 ff. Plut. de fort.
Rom. 10; Qu. Rom. 36.
•) Plut. de fort. Rom. 10; Qu. Rom. 74.
») Varro de 1. 1. VI 17. Dion. Hai. ant.
IV 27, 7 (der fanum Fortis Fortunae fälsch-
lich mit Ugoy Tvxv^ ardgeiag übersetzt; vgl.
Plut. de fort. Rom. 5). Ovid. fast. VI 783 f.
•) Ovid. fast. VI 569 ff. Dion. Hai. IV 40,
7. Val. Max. I 8. 11. Plin. n.h. VIII 194. 197,
vgl. Varro bei Non. p. 189; ttber den Tempel
s. Jordan, Topogr. 12 8. 484.
•) MoMMSBN, CiL I' p. 320. Ovid. fast.
VI 788 f., der beide Tempel dem Servius
Tullius zuschreibt.
»0) Ovid. fast. VI 775 ff., vgl. Cic. de fin.
B. Di noTensides italischer fierknnlt. 8d. Portiina.
207
die späteren Bauernkalender (CIL P p. 280) das Fest verzeichnen und
Golumella (X 316) nach glücklich eingebrachter Ernte ausdrücklich auf-
fordert: celebres Fortis Fortunae dicUe laudeSj so ist der Schluss von Marquardt
(Staatsverw. III 578) nicht abzuweisen, dass Fors Fortuna in älterer Zeit
wesentlich als eine ländliche Gottheit, die göttliche Vertretung der über
der Arbeit des Landmanns unberechenbar waltenden Fügung, aufgefasst
wurde, weshalb ihre Tempel auch draussen vor der Stadt in den Feldern
lagen; später freilich verstand man unter ihr die Gottheit des blinden
Zufallswaltens (Gic. de leg. II 28), und in diesem Sinne weihte ihr Tiberius
einen dritten Tempel in Trastevere, in den caesarischen Gärten gelegen:^)
von dieser Vorstellung aus fasste man auch die Feier des 24. Juni als
das Fest der Leute, die ihr Fortkommen dem Zufall anheimgestellt hatten.^)
Auch die Fortuna des Forum boarium muss ihrer Bedeutung nach eine
ganz andre Göttin gewesen sein als die Glücksgöttin der späteren Ver-
ehrungsformen. Sie steht in den allerengsten Beziehungen zu der Geburts-
göttin Mater Matuta: nicht nur führt die Überlieferung die Begründung
des Dienstes beider Göttinnen auf denselben Urheber, Servius Tullius,
zurück,^) sondern ihre Tempel sind auch lokal so nahe benachbart, dass
sie stets vereint genannt werden,^) und begehen — was am wichtigsten
ist — beide ihren Stiftungstag an demselben Tage, dem 11. Juni, d. h.
dem alten Feste der Mater Matuta (Ovid. fast. VI 569): das alles weist
unbedingt auf eine innere Wesensverwandtschaft beider Göttinnen hin
und nötigt zu der Annahme, dass auch in Fortuna eine Frauengöttin zu
erkennen sei. Die eigentümliche Verhüllung des Tempelbildes, welche
Veranlassung dazu gab, das Bild auch als eine Pudicitia zu deuten,^) und
der durch Varro ^) eben für die Göttin des Forum boarium bezeugte Name
Fortuna Virgo bestätigen diese Annahme umsomehr, als nach Arnobius
(II 67) die Bräute bei der Verheiratung dieser Fortuna virginalis ihre
Mädchenkleider zu weihen pflegten.^) Derselben Frauengottheit war ein
weiteres Heiligtum am vierten Meilensteine der Via Latina gewidmet:^)
hier führte die Göttin ausdrücklich den Namen Fortuna muliebris, und
das Betreten des Heiligtums und die Berührung des Bildes war nur solchen
y 70. Vatro bei Non. p. 144. 425. Ueber viel-
leicht zum Tempel der Fors Fortuna gehö-
rige Funde von Votivgaben kleiner Leute
vgl. HüLSKN, R5m. Mitt. IV 290 f.; Weihin-
sdiriften von dem Heiligtume am 6. Meilen-
steine CIL VI 167-169.
>) Tac. ann. II 41 ; bei Gass Dio XLII 26
wird der Tempel irrtümlich schon im J.
707 = 47 erwähnt.
') Fors Fortuna est, cuius diem festutn
coluiU, gut sine arte cdiqua vivtmt, Donat.
zu Ter. Phorm. 841; daher wird die Göttin
dargestellt mit dem Steuer in der Hand auf
einer Kugel stehend (auf dem Altar CIL V
8219 und ähnlich auf Mttnzen, vgl. Eokhbl,
D. N. VIll 38 f.).
») Liv. V 19, 6. Ovid. fast. VI 479 f. 569.
*) Liv. XXIV 47, 16. XXV 7, 6. XXXIII
27, 8 f.
^) Fest. p. 242 Ptidicüiae Signum m
foro boario . . . eam quidam Fortunam esse
existitnant muss, wie Ovid. fast. VI 620
zeigt, auf den Fortunentempel gehen; da-
nach ist auch das von Liv. X 23, 3 erwähnte
scicellum Pudicitiae patrici<ie in foro boario
mit dem Fortunentempel identisch. Vgl.
WissowA, Analecta Komana topographica
p. 5 ff.
•) Bei Non. p. 189; ein U^oy Tr/iyc
nuQ&^yov nennt Flut, de fort. Rom. 10 (vgl.
Qu. Rom. 74) na^a tijy Mowfxtaüay xaXovfii^
yijy x^^yfjy,
') Dasselbe meint offenbar Verginia bei
Liv. X 28, 5 se et patriciam et pudicam in
patriciae Pudicitiae templum ingressam et
uni nuptam, ad quem virgo deducfa sit.
») Fest. p. 242. Val. Max. I 8, 4.
208 Aeligion und Koltna der fiömer. II. Oötterlelufe.
Frauen gestattet, die als univiriae in erster und einziger Ehe lebten,^)
eine Bestimmung, die sich genau ebenso im Kulte der Mater Matuta
(Tert. de monog. 17) und der mit der Fortuna des Forum boarium iden-
tischen Pudicitia (Liv. X 23, 9) wiederfindet. Von der Weihung des Kult-
bildes durch die römischen Matronen erzählte noch eine Wundergeschichte,
nach welcher die Gottheit aus dem Bilde heraus zweimal mit lauter Stimme
erklärt haben sollte: rite me, matronae, dedistis riteque dedicastis;*) den
Anlass der Weihung aber glaubte man durch Kombination einerseits aus
dem Namen Fortuna muliebris und der Beteiligung der Matronen am Kulte,
andererseits aus der Lage des Heiligtums erschliessen zu können, und
führte ihn auf die Bedrohung Roms durch Coriolan zurück, die der Sage
nach etwa in der Gegend des Tempels durch das Eingreifen der römischen
Frauen unter Führung der Mutter und der Gattin des Angreifers abge-
wendet worden war:^) der allgemeine Glaube an diese Entstehungs-
geschichte Hess schliesslich die ursprüngliche Bedeutung der Fortuna
muliebris stark in Vergessenheit geraten. Aber noch eine dritte ältere
Form des Fortunendienstes hat — wenn auch mehr im Gegensinne — Be-
ziehungen zum weiblichen Geschlechte gehabt: über die Fortuna virilis
nämlich ist nur das bekannt, dass am 1. April die Frauen geringeren
Standes zu ihr beteten, und zwar zum Teil in den Männerbädem,^) eine Ab-
sonderlichkeit, welche zeigt, ^) dass diese Fortuna virilis im ausgesprochenen
Gegensatze steht zu den als Beschützerinnen der weiblichen Schamhaftig-
keit gefassten Fortunae vom Forum boarium und der Via Latina: es ist
daher wohl auch kein Zufall, dass ihr Festtag mit den Veneralia zusammen-
fällt (s. § 44) und ihr Bild neben einem Altar der Venus aufgestellt war.^)
Etwas völlig Sicheres ist über die Herkunft dieser ältesten römischen
Fortunenkulte nicht zu ermitteln, doch ist es in hohem Masse wahrschein-
lich, dass die Römer sie im Austausche religiöser Vorstellungen mit ihren
latinischen Nachbarn erhalten haben. Denn alter Fortunendienst ist nicht
nur durch Varro (de 1. 1. V 74) für die Sabiner bezeugt,^) sondern nament-
lich auch in Latium an verschiedenen Stellen nachweisbar, namentlich auf
>) Dion.Hal.ant.VIlI56,4. Fest. p. 242.
Serv. Aen. IV 19. Tert. de monog. 17. Ist bei
Dion. a. a. O. die überlieferte Lesung riyV di
rifÄtjy xai &6Qaneiay avrov {tov lorrVov) nä~
aay anodedoa&ai rttT<s vBoytifAoig richtig
(es liegt nahe fAoyoydfioig zu korrigieren),
so bietet diese Hervorhebung der Neuver-
mählten eine Analogie zu dem Opfer der
Bräute bei der Fortuna des Forum boarium.
«) Val. Max. 1 8, 4. Dion. Hai. ant. VIII
50. Plut. Coriol. 37; de fort. Rom. 5; vgl.
Lact. inst. II 7, 11. August, c. d. IV 19.
») Dion. Hai. VIII 55. Plut. Coriol. 37;
de fort. Rom. 5; vgl. Liv. II 40, 12. Val. Max.
V 2, 1. Ueber den angeblichen doppelten
Stiftungstag (1. Dez. und 6. Juli) dieses Tem-
pels bei Dion. Hai. a. a. 0. s. Wissowa a. a.
0. p. 15 f. (gegen Jordan, Ephem. epigr. 1
p. 234 f.) ' Schrift aus Calabrien, CIL IX 258.
^) Fast. Praen. z. 1. April und dazu
MoMMSBN, CIL P p. 314; vgl. Ovid. fast. IV
145 ff. I^d. de mens. IV 45.
^) Est Signum adulterae lavari cum vi-
ris Quintil. inst. V 9, 14; vgl. die merkwür-
dige Inschrift CIL VI 579: Imperio Silvani,
Ni qua mulier velü in piscina virili descen-
dere; si minus, ipsa de se queretur . hoc
enim Signum sanctum est.
•) Plut. de fort. Rom. 10: naQu tov xijg
'J<PQodirt]s hutaXaQLov (? man erwartete
iniatQOfpiasy da die Venus des 1. April die
Verticordia ist) ßto/noy aQQcyos Tt'XVS i^og,
^) Ueber einen doppelten Tempel der
Fortuna zwischen Cales und Teanum s. Strab.
V 249. CIL X 4633; Tempel in Capua 545 =
209, Liv. XXVII 11, 2; FortuncU poblicai
Sacra, archaische Inschrift aus Benevent,
CIL IX 1543; Fortunai pocolo, ßecherin-
B. Di novenaides italischer Herkanft. 89« Fortuna« 209
dem Mona Algidus, wo die Römer im Jahre 536 = 218 eine Supplikation
zur Sühnung von Prodigien anordneten,^) und an den beiden altberühmten
Sitzen des Fortunenkultes, in Antium und in Praeneste. Von dem anti-
atischen Gottesdienste wissen wir nicht viel mehr, als dass daselbst ein
Schwesterpaai' von Fortunae verehrt wurde*) und dass der Tempel,
wenigstens am Ausgange der Republik, ein angesehenes Orakel besass:^)
nicht einmal, dass eine der beiden Göttinnen kriegerisch, die andre friedlich
aufgefasst gewesen wäre, kann man aus der helmartigen Kopfbedeckung
der einen Göttin auf einem Denare des Q. Rustius^) mit Sicherheit schliessen,
da dies Kennzeichen auf andern Denaren desselben Typus und Münzmeisters
fehlt, und die berühmte Fortuna-Ode des Horaz (I 35) ist viel zu sehr
von den allgemeinen Tyche-Fortuna-Yorstellungen erfüllt, als dass sie uns
für die spezielle Auffassung der Göttin von Antium, deren Namen sie an
die Spitze stellt, etwas lehren könnte. Dagegen ist der ganz eigenartige
praenestinische Kult in neuerer Zeit namentlich durch einen inschriftlichen
Fund^) unserem Verständnisse nicht unwesentlich nähergebracht worden.
Diese archaische Inschrift (CIL XIY 2863) bezeichnet die Göttin als For-
tuna Diovo füea primocenia, jüngere Inschriften nennen sie^ unter Be-
wahrung eines noch älteren Sprachgebrauches, ß) Fortuna lovis puer primi-
genia (CIL XIV 2862, vgl. 2868): sie war also die erstgeborene Tochter
des Juppiter in einer der italischen Religion, die keine Götterkindschaften
kennt, sonst durchaus fremden Auffassung, welche sich gewiss nicht zufällig
nur in dem von fremden Einflüssen stark durchsetzten Praeneste nach-
weisen lässt. Für die Deutung der Göttin ist es von Wichtigkeit, dass
jene älteste Weihinschrift ihr von einer Matrone nationu crcttia, d. h. für
Kindersegen,'') dargebracht wird; ausserdem erfahren wir, dass es in einem
von dem grossen Fortunentempel getrennten Heiligtume ein von den
matres, d. h. den mit Kindern gesegneten Matronen, verehrtes Bild der
Fortuna gab, die zwei Kinder an ihrer Brust säugte (Cic. de divin. II 85),
offenbar also ebenfalls als eine mütterliche Gottheit gedacht war:^) die
allgemeine Deutung erklärte die Kinder für Juppiter und Juno und sah
in dem ersteren den luppüer puer, den man auf dem Wege falscher
Interpretation aus dem Namen Fortuna lovis puer primig enia entnahm.
Der Haupttempel der Fortuna Primigenia, von dem noch namhafte Reste
<) Liv. XXI 62, 8; hierher gehört viel- j XIX 453 ff.; C[L XIV p. 295 f.
leicht die archaische Inschrift von Tusculom '] Ueber puer = filia s. Gharis. p. 84.
CIL XIV 2577 (de praidad Fortune), Priscian I p. 232 H.
') Martial. V 1, 3. Macr. S. I 23, 13. Suet.
Calig. 57. Tac. ann. XV 23. CIL X 6555.
6638 {aedüus Forttmarum); wenn Stat. silv.
I 3, 80 von den Praenestinae swores spricht,
^) So richtig Jobdan a. a. 0. p. 4 gegen
MoMMSBN bei Dbssau, Hermes XIX 455.
*) An die Analogie der aus zahlreichen
Terracottafigoren bekannten, noch nicht
so verwechselt er die Fortunenkulte von * überzeugend gedeuteten , Muttergottheit von
Praeneste und Antium.
') Macr. Suet. Mart. aa. 00. ; Über den
Reichtum des Tempels vgl. App. b. c. V 24.
Schol. Horat. c. I 35, 1.
*) Babelon, Monn. consul. II 412.
Capua* (litteratur bei A. Pbeukbb, Jahres-
ber. f. Altertumswiss. XXV 439; vgl. auch
W.GuBLiTT, Archaeol. epigr. Mitt. ausOesterr.
XIX 1896 S. 18) erinnert Jordan a. a. 0. p.
10; da es in Capua einen Tempel der For-
») S. namentlich H. Jobdam, Symbolae ' tunagab(Liv. XXVII 11,2; vgl. CIL X 3775),
ad histonam religionum Italicarum alterae so wäre es nicht unmöglich, dass die Göttin
(Regimont. 1885) p. 3—13. Dbbsau, Hermes | Fortuna zu benennen wäre.
Bandbnch der Uasii. AltertnmRWtaeDaohaft. Y, 4. 14
210 Beligion und Enltas der BOmer. II. OOiterlehre.
erhalten sind,^) verdankte sein Ansehen*) und seinen Reichtum der Orakel-
erteilung, die hier durch Lose (sortes) geschah, d. h. durch beschriebene
Eichenstäbe, die durch die Hand eines Knaben gemischt und gezogen
wurden;^) von der aus dem Holze eines wunderthätigen Ölbaums ange-
fertigten arca, in welcher diese Losstabe aufbewahrt wurden (Cic. a. a. 0.),
führte der in Praeneste neben Fortuna verehrte Juppiter den Beinamen
Arkanus;^) das Hauptfest der Göttin fiel auf den 11. und 12. April.*) Die
Fremdartigkeit des ganzen Gottesdienstes und insbesondere der Orakel-
erteilung trugen offenbar die Schuld daran, dass die Römer sich lange
gegen diesen Kult ablehnend verhielten und noch zur Zeit des ersten
punischen Krieges der Senat gegen den Consul Q. Lutatius Cerco einschritt,
als dieser sich bei den praenestinischen sortes Rat erholen wollte.^) Erst
die Not des hannibalischen Krieges führte zur Aufnahme auch dieses
Gottesdienstes: in dem Kampfe bei Kroton 550 = 204 gelobte der Consul
P. Sempronius Tuditanus für den Fall des Sieges der Fortuna Primigenia
einen Tempel, der auf dem Quirinal erbaut und im Jahre 560 = 194 ein-
geweiht wurde. ^) Dass es die Göttin von Praeneste ist, der dieses Heilig-
tum gilt, beweist der Name Primigenia, der durchaus dem praenestinischen
Kulte eigentümlich ist; in Rom aber wurde dem Gedanken, dass diese
praenestinische Göttin nunmehr in erster Linie über das römische Staats-
wohl walten solle, auch im Namen offiziell Ausdruck gegeben; denn die
Steinkalender verzeichnen den auf den 25. Mai angesetzten Stiftungstag
des Tempels teilweise (fast. Caer. Esquil.) in der Form Fortunae p{ublicae)
p(opuli) R{omani) Q{uirüium) in colle Quirin{ali), teilweise (fast. Venus.)
Fortun(ae) priin{igeniae) in col{l€): mit gutem Rechte hat man daraus ge-
schlossen, dass der volle Name Fortuna publica populi Romani Quiritium
primigenia lautete.^) Ein zweiter Tempel der Fortuna publica (nicht Primi-
genia) unbekannter Gründungszeit, der seinen Stiftungstag am 5. April
feierte, lag ebenfalls auf dem Quirinal, mehr nach der Stadt zu, und führte
darum den unterscheidenden Namen aedes Fortunen publicae citerioris in
coUe;^) den Stiftungstag eines dritten Tempels verzeichnet der Kalender
der Arvalbrüder zum 13. November in der Form Fortunae prim(igeniae) in
cfoUeJ: da wir nun wissen, dass auf dem Quirinal nahe beieinander drei
*) A. Bobmann, Altlatin. Chorogr. S.
207 ff. 0. Mabücchi, BuU. d. Inst. 1881 , 248 ff.
Blondbl, M^langes d'arch^ol. et d'hist. II
1882, 168 ff.
*) z. B. opfert im J. 587 = 167 König
Prasias von Bithynien Romae in Capüolio
et Praeneste Fortunae (Liv. XLV 44, 8); vgl.
aucb die bewundernde Aeussening des Ear-
neades bei Cic. de div. II 87.
») Cic. de div. II 85 f., vgl. l 34; ein
sortilegtis Fortunae Pritnigeniae zu Prae-
neste CIL XIV 2989. Zur Illustration können
die bronzenen sortes von Patavium (CIL 1
1438 ff. = BuBCHBLBR, Authol. epigr. nr. 331)
und Parma (CIL XI 1129) dienen.
*) CIL XIV 2937. 2972 und das Gedicbt
ebd. 2852 = Buechbler, Anthol. epigr. nr.
249, 17; dass in Praeneste auch Juno neben
Fortuna verehrt worden sei, folgt aus CIL
XIV 2867 nicht.
*) Fast. Praen. z. 1 1. April (CIL P p. 339) :
[hoc bidiM 8acrißci]um maximu[m] For-
tunae prim[i]g{eniae), utro eorum die ora-
dum patet. Ilviri vitulum i[mmolant].
•) Val. Max. epit. I 3. 2; vgl. CIL XIV
2929 mit Dessaus Bemerkung.
') Liv. XXIX 36. 8. XXXIV 53. 5 (an der
zweiten Stelle wird der Consul P. Sempro-
nius Sopbus genannt und fälschlich hinzu-
gefügt, er habe den Tempel in seiner Censur
begonnen, während diese thatsächlich vor
sein Consulat fiel); vgl. XLIII 13, 5.
B) MoMHSEN, CIL I' p. 319; Ovid. fast. V
729 f. nennt die Göttin populi Fortuna po-
tefitis publica.
») CIL I« p. 315. Ovid. fast. IV 375 f.
B. Di noTensidea italischer Herkunft. 89. Fortuna, 211
verschiedene Fortunentempel lagen, von denen die ganze Gegend den
Namen ad tres Fortunas führte,^} so ist es das Nächstliegende, bei der
Notiz des Arvalenkalenders eben an den dritten dieser drei Tempel zu
denken.') Demnach wurde Fortuna in zwei von den drei quirinalischen Tem-
peln als Primigenia verehrt; eine dritte Kultstätte besass dieselbe Göttin
auf dem Capitol,*) und von ihrer Verehrung in Rom zeugen mehrere er-
haltene Inschriften,^) ohne dass wir aber darüber Aufschluss erhielten, in
welcher Richtung man sich die Göttin wirksam dachte. Wahrscheinlich
war es in diesen römischen Kulten der Fortuna Primigenia weder die
mütterliche Gottheit von Praeneste, noch die am Forum boarium und an
der Via Latina verehrte Frauengottheit, die man anbetete, sondern die
Glücksgöttin: für diese Veränderung der Auffassung bot der praenesti-
nische Kult mit seinen sortes die Handhabe, indem aus der zukunftkündenden
Gottheit leicht eine glückverleihende werden konnte, zugleich aber wird
der Einfluss der in der hellenistischen Zeit so reich entwickelten griechi-
schen Tyche-Vorstellungen mitgewirkt haben. Es ist aber für die römische
Denkart bezeichnend, dass in Rom Fortuna im Kulte — anders natürlich
in der ganz von griechischen Vorbildern abhängigen Dichtung — nicht
eine allwaltende Schicksalsgöttin ist,^) sondern stets nur in unendlich
vielen Spezialisierungen den glücklichen Ausgang mit Beziehung auf eine
bestimmte Thätigkeit, eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Gruppe von
Individuen u. ä. verkörpert. Am deutlichsten tritt das hervor in der Gestalt
der Fortuna huiusce diei (Gic. de leg. II 28), die einen von Q. Lutatius
Catulus in der Cimbernschlacht bei Vercellae 653 = 101 gelobten Tempel
auf dem Marsfelde, ^) vielleicht auch einen zweiten, älteren auf dem Pa-
latino) besass: es ist nichts als das seiner speziellen Wesenheit nach un-
bekannte numen, dem der glückliche Ausgang jenes Tages verdankt wurde,
sozusagen die Fortuna du jour. Auch die Fortuna equestris, der wäh-
rend eines heftigen Reiterkampfes im celtiberischen Kriege 574 = 180 vom
Diktator Q. Fulvius Flaccus ein Tempel gelobt und 581 = 173 geweiht
wurde,®) ist nichts als die Verkörperung des glücklichen Erfolges der
römischen Reiterei, nicht wesentlich verschieden etwa von einem Genius
equitum Romanorum. ^) Dieser völlig uferlosen Allgemeinheit des Begriffes
') Vitr. III 2, 2. Erinagoras Anth. Plan.
IV 40, 1.
*) Ueber die drei Tempel s. Jobdan,
Archaeol. Zeit. 1871 S. 77 ff. Mokmsbn, CIL
I* p. 315; Ygl. auch Viscofti, Bull. arch.
com. I 1873, 201 ff
*) Plut. de fort. Rom. 10. Wenn in dem
Weihgedicht CIL XIV 2852 = Buboheleb,
Anth. epigr. nr. 249 der Praenestiner T. Cae-
sius Primus seine heimische Fortuna als
Tarpeio vicina Tonanti bezeichnet, so nötigt
das Wort Tarpeio unbedingt an das römische
det, dessen Fest am 1. Januar gefeiert wurde,
mit der Bestimmung, dass ausser dem
Opfernden selbst niemand vom Opferfleische
geniessen dürfe.
8) Plut. Mar. 26; dass der in campo ge-
legene Tempel eben der damals gelobte ist,
geht aus der Thatsache hervor, dass sein
Stiftungstag der 30. Juli (CIL P p. 323).
d. h. eben der Tag der Schlacht von Vercel-
* »j Plin. n. h. XXXIV 54. 60 und dazu
AvsT, De aedib. saer. p. 26, der nur die Stelle
Capitol, nicht an die Burg von Praeneste I Plut. Mar. 26 nicht hierher beziehen durfte,
zu denken; anders Jobdak, Topogr. I 2 S. 64. i ^) Liv. XL 40, 10. 44, 9. XLII 10, 5 und
♦) CIL VI 192—195. 3681; ausserhalb mehr bei Aüst a. a. 0. p. 25 f. nr. 63. Die-
Roms und Praenestes nur CIL XI 1. 1415(?). selbe Göttin hatte auch bei Antium einen
') Erst Trajan hat nach Lyd. de mens. Tempel, Tac. ann. III 71.
IV 7 rfi nuyxtoy Tv'xn einen Tempel gegrün- •) Daher wird Fortuna gern mit dem
14
*
212
Religion und Knltns der Römer« n. Mtterlehre.
und der unbegrenzten Fähigkeit, sich zu spezialisieren, verdankt Fortuna
die ungeheuer grosse Anzahl von Kapellen und Altären, die ihr unter
den verschiedensten Beinamen zu teil wurden. Diese Namenreihe^) be-
ginnt mit den allgemeinsten Bezeichnungen wie Fortuna bona,*) Fortuna
mala, 3) Fortuna dubia,*) Fortuna brevis,*) Fortuna stabilis,*) Fortuna ob-
sequens,^) Fortuna respiciens^) und geht dann weiter zu immer spezielleren
Differenzierungen, wie Fortuna publica,*) Fortuna privata,*®) Fortuna bar-
bata^^) u. a., ja am häufigsten wird sie geradezu als die Fortuna einzelner
Collegia,**)Familien,i5) Personen") oder Örtlichkeiten **) angerufen; manche
Namen, wie z. B. der der Fortuna viscata,^^) entziehen sich jeder Deutung.
In der Eaiserzeit gewann eine besondere Bedeutung die Fortuna Redux,
welcher bei der Rückkehr des Augustus aus dem Orient 735 = 19 ein
Altar nahe der Porta Capena geweiht wurde: der offizielle natalia des
Heiligtums, der Tag der Einweihung, war der 15. Dezember, aber noch
feierlicher wurde der Tag begangen, an dem damals die Rückkehr des
Augustus erfolgt und die Errichtung der ara Fortunae Reducis beschlossen
worden war: er fand unter dem Namen Augustalia Aufnahme unter die
feriae publicae p. R. und wurde mit Spielen zu Ehren des Augustus und
der Fortuna Redux begangen, die seit dem Tode des Augustus ständig
waren und sich zur Zeit des Claudius über 10 Tage (3. bis 12. Oktober)
erstreckten.^^) Seitdem äussert sich die Loyalität der Unterthanen gegen
den Kaiser nicht nur in zahlreichen Privatweihungen pro salute et reditu
imperatoris an diese Göttin, die den Kaiser aus allen Feldzügen siegreich
und wohlbehalten zurückführt,^^) sondern auch die Staatspriester opfern
ihr feierlich ob salutem victoriamque, wenn der Kaiser ins Feld zieht, wie
die Arvalakten zeigen :i^) einmal wird nach diesen auch für die glück-
liche Hinreise des Kaisers zum Heere der Fortuna Dux geopfert. 'o) Aus
demselben Bedürfnisse nach Äusserungen der Ergebenheit für das regie-
Genius (z. B. CIL VI 236. X 1568. 6302. III
1008. 4289. 4558. VII 370) oder mit Tutela
(CIL VI 177—179; Genio et Fortunae Tu-
telaeque huius loci coliortium praetoriarum
CIL VI 216) verbunden.
*) Lange Aufzählung solcher Namen bei
Plut. de fort. Rom. 10; Qu. Rom. 74.
>) z. B. CIL VI 183 f. III 1009. 4355.
') Altar auf dem Palatin in Rom, Cic.
nat. deor. III 68; de leg. II 28. Plin. n. h.
II 16.
*) CIL VI 975 {vicus Fortunae dubiae).
») Plut. Qu. Rom. 74.
•) CIL III 5156a.
') Plut. aa. 00. Cic. de leg. II 28. Cass.
DioXLII 26. 4. Fronte p. 157 Nah. CIL VI
181. 975 {vicus Fortunae obsequentiis)). IX
5178. XI 347. 817.
*) Plut. aa. 00. Plaut. Asin. 716. CIL
VI 191. 975 {vic*M Fortunae re8picient(i8)).
V 5247. X 6509.
*) Ausserhalb Roms z. ß. CIL IX 1543.
X 1558.
»0) Plut. de fort. Rom. 10.
") August. 0. d. IV 11. VI 1. Tertull.
ad nat. II 11.
**) Numini Fortunae col{legii) fab{rum)
CIL VI 3678, vgl. auch Liebbkam, Gesch. u.
Organis. d. röm. Vereinswesens S. 293 f.;
eine Fortuna legionis CIL [II Suppl. 10992.
*•) z. B. Fortuna Crassianu (CIL VI
186), Flavia (ebd. 187), luveniana (189),
Torquatiana (204), Tulliana (8706) u. a.
>*) Fortunae Claudiae lustae CIL VI
3679.
»») Fortuna balneorum (CIL VI 182. If
2701. 2763. Fronte p. 157 Nah.), horreorum
(CIL VI 188. 236) u. a.
»•) Plut. aa. 00.
>') Die Zeugnisse vollständig bei Momm-
SEN, Res gestae D. Aug.* p. 46 f.; CIL I*p.
330; einen domitianischen Tempel der For-
tuna Redux auf dem Marsfelde erwfthnt
Martial. VIII 65.
^") Daher auch Fortuna Redux mit Vic-
toria und Pax verbunden, CIL VI 196 f.
*') Henzbn, Acta fratr. Arval. p. 80.
122. 124.
") Hbnzbn a. a. 0. p. 122, vgl. CIL IX
2194.
B« Di noTenflideB italiscber Herkanft. 39. Fortuna.
213
rende Haus sind auch die zahlreichen Weihungen an Fortuna Augusta^)
hervorgegangen, deren Verehrung sich innerlich mit der des Genius Au-
gusti nahe berührt. Von Ausdehnung und Bedeutung des Fortunenkultes
in der Kaiserzeit geben in weit höherem Grade als die vereinzelten lit-
terarischen Zeugnisse (s. unter diesen namentlich Plin. n. h. II 22) die zahl-
losen inschriftlichen und namentlich auch monumentalen Überreste Kunde,
insbesondere die sehr zahlreichen Münzbilder und die kaum zu übersehende
Menge von Statuen und Bronzen:^) letztere stammen zum weitaus grössten
Teile aus den Hauskapellen, in denen, wie schon die pompejanischen
Sakralbilder (Helbio, Wandgem. nr. 73 flf.) zeigen, Fortuna unter den Pe-
naten selten gefehlt haben wird. Die ständigen Attribute der Göttin sind
Steuerruder und Füllhorn, doch kommt oft mancherlei Beiwerk (Kugel,
Modius, Schiffsprora) hinzu, und in den Zeiten der späten Theokrasie
äussert sich die Anpassungsfähigkeit des Begriffes der Fortuna darin, dass
sie mit anderen Gottheiten, namentlich mit Isis, durch Annahme ihrer
Attribute sich verschmilzt oder gar als Fortuna Panthea (CIL X 5800, vgl.
1557) die Zeichen aller möglichen Gottheiten in sich vereinigt (s. oben S. 82).
Entsprechend der Neigung des Römers, sich mit göttlicher Ver-
körperung des Nächstliegenden und Konkreten zu begnügen, ist der all-
gemeine Begriff einer über Welt und Menschheit im weitesten Umfange
waltenden Schicksalsgottheit in der römischen Religion überhaupt nicht
zur Ausprägung gelangt. Denn die Parca, die man auf Grund der falschen
Ableitung ihres Namens von pars mit der griechischen MoXqa identifizierte
und demgemäss auch den drei Moiren entsprechend vervielföltigte, ist
ursprünglich eine Geburtsgöttin bezw. Beiname einer solchen.') Der Be-
griff des Fatum aber hat nie in der Religion seinen Platz gefunden, son-
dern ist als Übersetzung und Verdolmetschung der griechischen Aiaa aus-
schliesslich ein dichterischer und philosophischer Terminus; erst der Plural
Fata, ursprünglich rein abstrakt die Summe unverrückbarer Schicksals-
satzungen bezeichnend, hat allmälig etwas mehr Körperlichkeit gewonnen,
indem man die griechischen Vertreterinnen dieser Schicksalssatzungen,
die drei Moiren, als Fata oder tria Fata verdeutlichte:^) daher finden wir
>) z. B. CIL VI 4.S. 180 f. 3680. XIV
2040. 3561 (cultores domus divinae et For-
tuncLe aug. Lares augustos d. d., Tibur).
3581. IX 6378. X 820 flf. (Pompeji, vgl. Nis-
sen, Pompejan. Stud. S. 182 ff. A. Mau, R5m.
Mitteü. XI 1896, 269 ff).
') Reiche Materialsammlnng bei R. Petbb
in Roschers Lexik. I 1503 ff. 1530 ff. Drex-
LEB ebd. 1549 ff.
*) Varro bei Gell. III 16, 10 fasst Paroa,
Nona, Decima als tria Fata zusammen, Gae-
sellius Vindex ebd. § 1 1 nennt Nona, Decima,
Moria als nomina Parcarum, wobei schon
der Widerspruch der Ansichten zeigt, dass
die Gruppierung der Namen eine willkürliche,
keine überlieferte ist: wahrscheinlich gehört
der Beiname Nona Decima zu Garmenta (s.
oben S. 180), während Parca Morta einen
ebensolchen Doppelnamen bildet wie Genita
Mana (s. oben 8. 196), mit dem er sich in-
haltlich vollkommen deckt. Die namentlich
auf oberitalischen und gallischen Steinen
(die Inschriften bei M. Ihm, Jahrb. d. Alter-
tumsfr. im Rheinl. LXXXIII 180 f., vgl. ebd.
S. 65 ff. und dagegen Sibboubg, Westd.
Zeitschr. VII 111 ff.) zuweilen vorkommenden
Parcae haben mit der altrömischen Parca
nichts zu thun; wenn es nicht einheimische
Gottheiten sind, so sind damit die Moiren
gemeint.
*) Plaut. Bacch. 953 ff. Varro bei Gell.
III 6, 19. Apul. de mundo 38. Auson. Griph.
19 p. 201 Peip. CIL V 3143. Ephem. epigr.
VIII 128; in der capuanischen Inschrift CIL
X 3812 IiMtitiae NemesiFaHs quam voverat
aram . . poauü zeigt die danebenstehende
griechische Fassung (Kaibbl, Epigr. gr. nr.
837) Jeanoiun Nefjieaei xal avyyaoiai &€oun
u. s. w., dass es sich um die Moiren neben
Nemesis und Themis handelt. Ueber die
21-i
Religion und EnltiiB der Römer. II. Götterlehre«
der Weihinschrift FcUis wiederholt die Abbildung von drei Frauen bei-
gegeben,^) die wir unbedenklich für die griechischen Moiren erklären
dürfen. Daneben kennen wir aber durch eine Reihe vorwiegend auf kelti-
schem Boden gefundener Inschriften^) eine geschlechtliche Differenzierung
von Fati und Fatae, die nicht wohl anders als in Anlehnung an in jenen
Gegenden heimische Vorstellungen entstanden sein kann : wäre es in den-
jenigen Fällen, wo nur Fatae erwähnt werden, 3) möglich, die weibliche
Form von dem Geschlechte der griechischen MoXqai herzuleiten, so ver-
sagt dieses Auskunftsmittel dort, wo männliche und weibliche Faten zu-
sammen- oder gegenübergestellt werden:^) hier haben unbedingt fremde,
ausserrömische Vorstellungen eingegriffen, und wir verstehen es jetzt, wenn
auf einer Inschrift von Aquileja (CIL V 775) ausdrücklich unterschieden
wird Fatis divin{is) et barbariclis), d. h. zwischen den römischen und den
barbarischen Gottheiten gleichen Namens. In Rom hat diese geschlecht-
liche Differenzierung von Fati und Fatae nicht Platz gegriffen; denn wenn
bei Petron (c. 42. 71. 77) und auf einigen Grabschriften von mcdus Fatus
oder Fatus meus die Rede ist, so ist das nur eine der in der Vulgärsprache
häufigen Ersetzungen des Neutrums durch eine masculine Bildung, nicht
etwa, wie man gemeint hat,^) ein göttliches Gegenbild zum Genius, wie mit
Deutlichkeit schon daraus hervorgeht, dass auf Grabschriften Fatus meus
ganz ebenso von Frauen^) wie von Männern gebraucht wird. Ganz vereinzelt
und darum auch nicht sicher zu deuten ist die Notiz TertuUians,^) dass am
neunten Tage nach der Geburt eines Kindes die schreibenden Fata, Fata
Scribunda, angerufen worden seien ;^) die gewöhnliche Annahme, dass diese
Göttinnen mit den etruskischen Darstellungen einer schreibenden Schicksals-
gottheit und mit den Figuren schreibender Parzen auf römischen Sarko-
phagen zusammenhängen, unterliegt schweren Bedenken, es ist sogar frag-
lich, ob an der TertuUianstelle überhaupt von einer Göttin die Rede ist.^)
Jungen Datums ist die Verehrung der Felicitas, der Göttin des
glücklichen Erfolges, ^^) welcher zuerst L. Licinius LucuUus kurz nach 608
tria Fata auf dem römischen Forum s. Job-
dan, Topogr. II 482. I 2 S. 349. Hierher ge-
hören auch die Darstellungen der drei Moiren
mit der Beischrift Fatia victricibus auf Mün-
zen des Diocletian und Maximian (Eckhel,
D. N. VTII 6), sowie die im Kalender des
Philocalns zum 29. und 80. Septemher ver-
zeichneten ludi fatales.
») CIL II 3727. m 4151. XII 1281. 3045.
VI 145 (nur sechs Fttsse erhalten); ein Mann
zwischen zwei Frauen mit der Beischrift
Fata divina auf dem Grabgemälde der Vibia
(CIL VI 142, vgl. Maass, Orpheus S. 221);
eine weibliche Gestalt, den Fuss auf ein
Rad gestützt (Oberkörper weggebrochen),
mit der Beischriffc Fatia CIL VI 2189.
') M. SiBBOUBU, De Sulevis Campestri-
bus Fatis (Diss. Bonn. 1886) p. 25 ff. 39 f.
M. Ihm a. a. 0. 8. 98 ff.
*) Fatahus CIL V 4209; qtMt faU (d. h.
cui Fatae) cancesserunt vwere annis
XXXX V CIL II 89.
*) Fatis masculis CIL V 5002; Fatis
Fata[bti8] ebd. 5005.
^) Jobdan, Hermes VII 197 und ihm
zustimmend Ihm a. a. 0. S. 99.
•) CIL VI 4379. 11592. 25703 = Bük-
CHELBB, Anthol. epigr. nr. 81. 146. 1537 B.
') Tertull. de anima 39 dum per totam
hebdomadam lunoni mensa proponitur, dum
ultima die Fata scribunda advoctxntur; vgl.
CIL VI 29426 (= Bubchblbb, Anth. epigr.
nr. 1164) v. 5 quo matri multos scripsit
(Parca), multos quoque patri ingratis annos?
') Die Auffassung Jordans (zu Pbbllbb,
Rom. Myth. II 194, 3), es sei eine schrei-
bende Fata im Singular zu verstehen, findet
im Texte TertuUians keine Stütze.
•) J. Wbiswbilbb, Jahrb. für Philol.
CXXXIX: 1889, 39 f.
*^) Obwohl der Zusammenhang von fdix
mit feo, fetus, fecundus sichersteht, ist doch
bei der späten Schöpfang der Göttin Feliei-
tas an eine Gottheit der fVuchtbarkeit (Pbsl-
B. Di noTensides italisoher Herkunft. 39. Fortnna.
215
= 146 einen im Velabrum gelegenen Tempel weihte,^) deren hohes An-
sehen sich aber erst von den Zeiten des Sulla Felix herschreibt. Hatte
dieser seine Schutzgöttin Venus als die glückbringende (Venus felix) ver-
ehrt (s. unten § 44), so folgte Cn. Pompejus diesem Beispiele mit der
Modifikation, dass er vielmehr mit der siegreichen Venus (Venus victrix),
deren Tempel er auf der Höhe seines steinernen Theaters anlegte, die
Felicitas paarte,^) eine Vereinigung, die in gleicher Weise auch bei einem
Heiligtume auf dem Capitol wiederkehrt, s) Einen eigenen Tempel erhielt
Felicitas auf Betreiben Caesars, der schon in der Schlacht bei Thapsus
ihren Namen als Parole ausgegeben hatte (Bell. Afr. 83), durch M. Aemi-
lius Lepidus an der Stelle, wo Faustus Sulla seinen Neubau der Curie auf-
geführt hatte (Cass. Dio XLIV 5). Von den weiteren Schicksalen dieses
Heiligtums erfahren wir nichts, wohl aber sehen wir, dass Felicitas von
nun an unter den Göttern des Staates und des Kaiserhauses eine wichtige
Rolle spielt: dass Augustus besondere Beziehungen zu ihrem Kulte unter-
hielt, geht daraus hervor, dass in Rom der Tag, an welchem Tiberius
dem numen Augusti einen Altar errichtet hatte, durch ein Opfer an Feli-
citas begangen wurde,^) und beim Augustustempel in Cumae zur Erinne-
rung an die erste Imperatorenacclamation des Kaisers alljährlich eine
suppliccUio FelicUati imperi stattfand ;^) ebenso ehrte der Senat den Tiberius
durch Aufstellung einer Statue der Felicitas in seinem Geburtsorte Fundi.^)
Daher erscheint auch nicht nur ihr Bild häufig auf den Münzen der Kaiserzeit,
um die felicitas saeculi zu veranschaulichen, sondern die Göttin findet auch als
göttliche Verkörperung der dem Kaisertume verdankten Segnungen zusammen
mit Salus (s. oben S. 122) in den Götterreihen, die von Staatswegen, insbe-
sondere am Jahrestage des Regierungsantrittes des Kaisers, 7) oder von Pri-
vaten^) für das Wohl des kaiserlichen Hauses angerufen werden, an hervor-
ragender Stelle, unmittelbar hinter der capitolinischen Trias ihren Platz.
Eine ziemlich untergeordnete Rolle spielt neben Felicitas die männ-
liche Vertretung des glücklichen Ausganges, der Gott Bonus Eventus.
Von Haus aus wohl mit besonderer Beziehung auf das gute Aufgehen der
Saat*) verehrt und darum noch von Varro (de re rust. I 1, 6) in den von
LEB, Rom. Myth. II 255) ebensowenig zu
denken wie bei Venus felix, Mercurius felix,
Roma felix u. a.
') Cass. Dio frg. 75, 2 Melb. Strab. VIII
381. Gic. VeiT. IV 4 und mehr bei Jordak,
Topogr. I 2 S. 486.
•) Fast. Amit. (vgl. Allif.) z. 12. Aug.:
Veneri victrici, Hon(ori) Virt{ut%), Felici-
tati in theatro marmoreo, CIL P p. 324.
») Fast. Amit. (vgl. fast. Arv.) z. 9. Ok-
tober: Genio ptihlic(o\ faustae Felicitati,
Vener(i) vict(rici) in Capüol(io); vgl. fast.
Ant. 1. Juli: Felicitati in Cap[it]ol{io). Momm-
SBN, CIL I'' p. 331 bezieht beide Angaben auf
den Tempel am Comitinm, dagegen mit
Recht Jobdan, Topogr. I 2 S. 46. Unsicher
ist die Beziehung des in einem Kalender-
bmohstflcke (CIL P p. 339) zu einem nicht
mehr bestimmbaren Tage verzeichneten
Opfers FdicitcUi in cam(po) Mart{io).
*) Fast. Praen. z. 17. Januar und dazu
MOHMSEK, CIL P p. 308.
^) MoMMSEN, CIL P p. 315; Hermes XVII
635 f. Auch Horaz c. IV 5, 18 redet die
Göttin an, indem er den Namen fausta Fe-
licitas dichterisch in Faustüas umsetzt.
•) Suet. Tib. 5; vgl. die Inschrift Fe-
licitas Tiberi im Schilde der sitzenden Kaiser-
statue auf dem sog. Schwerte des Tiberius
ClRh. 1108.
') z. B. bei den Arvalen, Hbnzen, Acta
fratr. Arval. p. 71 f., vgl. 84 f. 168.
>) z. B. CIL XI 1331 und in den In-
schriften der Equites singulares (s. oben
S. 77); vgl. WissowA in der Strena Helbi-
giana, Leipz. 1899.
') Vgl. das Gebet bei Cato de agric.
141: cum divis volenttbus quodque bene
eveniat . . . utt tu fruges . . grandire he-
neque e venire siris; dagegen im Gebete
216 Religion und Knltas der Römer. II. Götterlehre.
ihm zusammengestellten ländlichen Zwölfgötterkreis eingereiht, ist er in
den vorliegenden Zeugnissen seines Kultes der Verleiher glücklichen Er-
folges bei jeder Art von Unternehmungen^) und hat als solcher, wie die
Inschriften bezeugen, namentlich in den Provinzen ausgedehnte Verehrung
gefunden.^) Dagegen tritt er im Staatskulte zurück: seinen im Marsfelde
gelegenen Tempel, dessen Gründungszeit unbekannt ist, kennen wir nur
durch eine zuföllige Erwähnung später Zeit;^) der durch Beischrift ge-
sicherte Kopf des Gottes findet sich auf Denaren aus der Zeit Caesars
und dann häufig auf Münzen der Kaiserzeit.^) Für die statuarische Dar-
stellung wählte man in Erinnerung an die ursprüngliche ländliche Be-
deutung des Gottes den Typus des griechischen Triptolemos, und zwei
solche Statuen, nach Plinius (n, h. XXXIV 77. XXXVI 23) Werke des Praxi-
teles und des Euphranor, standen auf dem Capitol; nach ihnen ist auf
den Münzen Bonus Eventus in der Regel als Jüngling dargestellt, der
mit der einen Hand aus einer Schale auf einen Altar libiert, in der an-
dern aber Ähren (zuweilen ein Füllhorn) hält; auch in Reliefs und statuari-
schen Werken tritt uns der Gott in ähnlicher Auffassung entgegen.*)
Litteratur: Pbelleb- Jobdan, Rom. Mythol. II 179 ff. R. Pbtbb in Roschers Lexikon
I 1500—1558, vgl. 1444 ff.
40. Castor und Polluz. Einer der ältesten römischen Tempel, deren
die Stadtchronik gedachte, war der am unteren Ende des Forums nahe
dem Vestatempel gelegene Dioskurentempel oder, wie er im offiziellen
Sprachgebrauche heisst, die aedes Castoris (in der Kaiserzeit auch aedes
Castorum), deren Einweihung die Annalen (Liv. II 42, 5) unter dem J. 270
= 484 verzeichneten.^) Gelobt worden war er angeblich bereits 15 Jahre
früher, 255 = 499, in der Schlacht am See Regillus durch den Diktator
A. Postumius (Liv. II 20, 12), und eine Legende, deren griechische Vorlage
wir in diesem Falle noch nachzuweisen im Stande sind, wusste zu erzählen,
wie die göttlichen Brüder erst als reisige Vorkämpfer dem römischen Heere
voranzogen und dann als erste die Siegesbotschaft nach Rom brachten. '')
Da das angebliche Datum der Schlacht der 15. Juli, d. h. der Tag der
der Arvalbrüder bei den vota annua (Ben-
zen, Acta fratr. Arval. p. 100 ff.) eosque sal-
V08 servaveris expericiUis si qua sunt erunive
ante etim diem eventumque bonum uti
no8 sentimus dicere dederis,
*) MoMMSEN, Arch. Anz. 1860, 74*f. und
über Bonus Eventus im Lagerkult v. Doiia-
8ZEW8KI, Westd. Zeitschr. XIV 44.
•) CIL 11 1471. 2412. 3095. 4612. III
1128. 6223; Suppl. 8244. V 3218. 4208. VI
144. 795. VII 77. 97. 425. VIII Suppl. 16366.
17213. IX 1560. XI 622. CIRhen. 983. 1034.
Orelli 1781. 1894.
1878, 205 ff. WissowA und Aust aa. 00.
') Vollständige Sammlung der Zeugnisse
bei Josdan, Topogr. I 2 S. 369 ff., vgl. auch
RuGGiBBO, Dizion. epigr. I 175 f.; zu den
Ausführungen von 6. Tomassetti, Bull. arch.
com. XVIII 1890, 209 ff. s. Hülsen, Rom.
Mitteil. VI 1891, 90 f.
') Dion. Hai. VI 13 und mehr bei
Sghwbgler, Rom. Gesch. II 64; vgl. auch
die Denare des A. Postumius Sp. f. Albinus
bei Babblon, Monn. consul. II 379 f. Die
Geschichte ist Zug um Zug der Erzählung
von der Mitwirkung der Dioskuren beim
*) Amm. Marc. XXIX 6, 19; vgl. Lan- Kampfe der Lokrer gegen die Erotoniaten
ciANi. Bull. arch. com. XIX 1891, 224 ff. am Flusse Sagra (E. Meter, Gesch. d. Altert.
*) Babelon, Monn. consul. II 427 ; über
die Eaisermttnzen (von Galba an) s. die Zu-
sammenstellungen von WissowA in Roschers
Lexik. I 796 und E. Aust bei Paüly-Wis-
II § 420) nachgebildet; ähnliche Greschichten
wurden auch später vom Siege bei Pydna
(ScHWEGLBB B. B. 0. II 202, 2), vou der Nieder-
lage der Cimbem (Plin. n. h. VII 86. Flor.
sowA, Realencycl. III 715. I 37) und von der Schlacht be Pharsalus
^) 0. Mabvcchi, Bull. arch. com. VI (Gass. Dio XLI 61) erzählt.
B. Di noveiiBideB italischer Herkunft. 40. Castor und Pollnx.
217
grossen Reiterparade (s. unten) war,*) so setzt Livius (11 42, 5; vgl. Plut.
Coriol. 3) auch die Einweihung des Tempels auf diesen Tag, während die
Hemerologien sie unter dem 27. Januar verzeichnen;^) dass dieses der
ursprüngliche natalis des Tempels ist und nicht etwa zu einer der mehr-
fachen Restaurationen desselben gehört,^) geht aus der Thatsache hervor,
dass auch zu Ostia an demselben Tage Spiele zu Ehren der Dioskuren
gefeiert wurden (s. unten). Dass in so alter Zeit eine Kultstätte von
Gottheiten zweifellos griechischer Herkunft auf dem römischen Forum,
also innerhalb des Pomeriums, Platz fand, fiel bereits den Alten auf ^) und
bedarf um so mehr der Erklärung, als die Verehrung des Castorf) schon
früh auch im öffentlichen Leben eine Rolle spielt, indem er zum Patron
der Ritterschaft wird und die seit der Censur des Q. Fabius Maximus
450 = 304 alljährlich am 15. Juli stattfindende Reiterparade (transvectio
equitum) mit einem Opfer an ihn beginnt.^) Der in den unteritalischen
Griechenstädten, namentlich in Lokri, Tarent, Rhegium u. a., blühende
Kult der Dioskuren ist von dort aus vordringend schon früh in Mittel-
italien heimisch geworden: wir kennen aus litterarischen und inschrift-
lichen Zeugnissen Tempel des Castor und Pollux oder der Castores'^) in
Capua (CIL X 3778. 3781), Larinum (CIL IX 724), Asisium (Henzen 6126),
Cora (CIL X 6505 f.), Ardea,») Ostia») und vor allem in Tusculum.i») Ist
es auch unmöglich, das Alter dieser verschiedenen Lokalkulte, die sämt-
lich ziemlich hoch hinauf zu reichen scheinen, im einzelnen festzustellen,
so lässt sich doch in einem Falle die zeitliche Priorität des ausserrömi-
schen Dioskurendienstes vor dem römischen noch mit Sicherheit erweisen.
Während es in Rom auffällt, dass der Kult der Castores, obwohl griechi-
scher Herkunft, von den durch die sibyllinischen Bücher eingeführten
Gottesdiensten streng geschieden ist und nie zum Amtsbereiche der Xviri
sacris faciundis gehört hat,^^) insbesondere auch, dass die Dioskuren nie
») Dion. Hai. a. a. 0. Plut. Coriol. 3.
«) CIL I* p. 308. Ovid. fast. 1 705 ff. ; vgl.
Lyd. de mens. lY 18.
') So meinte Aüst, De aedib. sacr. p. 43;
dagegen Jordak, Ephem. epigr. I p. 286.
MoMMSEN, CIL I< p. 308. Eher könnte der
von Philocalus zum 8. April verzeichnete
nataiis Ccmtoris et Pollucia einer der Re-
stitutionen angehören.
*) Strabo V 232 (von Jobdän, Topogr.
I 2 S. 370 A. 77 arg missverstanden): Deme-
trios Poliorketes gibt seiner Befremdung
darfiber Ausdruck, dass die Römer iv fikv tu
avoQ^ JtoaxoiJQwy Uqov l^Qvaafxipov^ xi,fjtdv
ovs ndvtB^ atatrJQai 6vo/4ttiotHnyy ei^ (f^ ttjy
'EXXä^a nifinei^v rrjp ixeiytoy ittti^iSa rovg
XerjXatijaovtas,
*) Hinter dem älteren Bruder tritt, wie
im Namen des Tempels (s. oben), so auch
sonst im Kulte Pollux (aber die Bildung des
Namens PoUuces, Pollux aus TloXv^evxtjg s.
Jordan, Krit. Beitr. S. 29) sehr zurück,
spielt jedenfalls keinerlei selbständige Rolle
(vgl. die Anekdote bei Suet. Caes. 10. Cass.
Dio. XXXVII 8, 2).
«) Dion. Hai. VI 18, 4 und über den
ganzen Akt Mommsen, Staatsr. III 493.
') So inscbHftlich CIL II 1287. VI 85.
413. XII 2821. XIV 2576.
") Serv. Aen. I 44; der Tempel war ur-
alt nach Plin. n. h. XXXV 17.
») CIL XIV 376; über die ludi Castoris
s. unten.
*®) Cic. de div. I 98; aeditui Castoris et
Pollucis CIL XIV 2620. 2629. 2637. 2639.
2918, auch VI 2202 f. Daher zeigen die
Goldmünzen des L. Servius Sulpicius Rufus
(710/11 = 44/48, Babelon a. a. 0. II 475)
zur Erinnerung an die Einnahme von Tus-
culnm durch seinen Vorfahren Servius Sul-
picius im J. 377 = 377 (Liv. VI 38) auf dem
Avers die Köpfe der Dioskuren, auf der
Rückseite die Mauern von Tusculum.
'') Mebokliks Hypothese (Jahrb. f. Philol.
LXXV 1857, 626 f.), welcher durch Kombi-
nation von Dion. Hai. II 64, 3 und VI 13, 4
zu der Vermutung gelangt, der Dienst der
Castores sei den Tribuni celerum als Vor-
stehern der Ritterschaft zugewiesen gewesen,
ist ansprechend, aber unbeweisbar.
218
Religion und Enltiui der Bömer. IL GAtterlehre.
bei den Lectisternien erscheinen, verdanken wir einer Notiz des Festus
(p. 313, vgl. 347) die Nachricht, dass im tusculanischen Castordienste pulvi"
naria vorkamen, also der Ritus der Lectisternien obwaltete. Da nun der
Brauch solcher Götterbewirtungen gerade im griechischen Dioskurenkulte
zu Hause ist,^) so haben hier offenkundig die Tusculaner das ursprüng-
liche Ceremoniell bewahrt, während die Römer den Kult nicht direkt von
den Griechen, sondern eben von Tusculum übernahmen und ihn darum so
wenig als einen griechischen empfanden, dass sie ihm wie einem ein-
heimisch latinischen seine Stätte intra pomerium anwiesen. Eine Erinne-
rung an den tusculanischen Ursprung der Dioskurenverehrung hat sich
nicht nur in der Legende erhalten, die ihre Einführung in Rom gerade
mit der Schlacht am See Regillus verknüpfte, in welcher die Tusculaner
unter Octavius Mamilius die Hauptgegner der Römer waren (Schwegleb,
Rom. Gesch. H 60 ff.), sondern auch darin, dass römische Familien, die
ihre Herkunft aus Tusculum ableiteten, wie die Cordii und Fonteji, die
Köpfe der Dioskuren auf ihren Münzen führten.^) Wie sich in Rom häufig
der Begriff rezipierter Gottheiten verengt hat, so scheinen hier die Dios-
kuren im Staatskulte nie anders denn als die Patrone der Ritterschaft
und Beschützer ritterlicher Übungen, also auch der Wagenrennen, auf-
gefasst worden zu sein: daher gelten im Circus die eiförmigen Zeichen
{ova)y durch deren Herabnehmen man die Zahl der erledigten Umläufe
kontrollierte, als ihnen geweiht,') und ein jüngerer Tempel des Castor
und PoUux lag beim Circus Flaminius.^) Dass man für das älteste römische
Silbergeld zum Reverstypus die mit eingelegter Lanze nebeneinander dahin-
sprengenden Dioskuren wählte, hat mit dem Kulte der Castores nichts
zu thun, sondern beruht auf Herübernahme einer unteritalischen Prägung;
ebenso hängt die Wahl des Dioskurentypus für die Darstellung der Lares
praestites (s. oben S. 151) und der Penates publici p. R. Q. (s. oben S. 147)
mit dem Gottesdienste am Forum nicht zusammen : man bedurfte für diese
in der Zweizahl gedachten Gottheiten des Bildes eines engverbundenen
Götterpaares, und die lanzenbewehrten Dioskuren erschienen in beiden
Fällen geeignet, die göttlichen Vertreter eines kriegerischen Volkes dar-
zustellen.^) Die Auffassung der Dioskuren als Retter zur See ist zwar
der römischen Litteratur aus der griechischen wohl bekannt,^) im Staats-
kulte aber kam sie nicht zum Ausdruck, und keine der erhaltenen Weih-
inschriften bezieht sich auf Rettung aus Seegefahr, "^j Dagegen scheint in
') F.Dbnbkbn, De iheoxeniis (Diss. Berol.
1881) p. 4 ff.
') Babelon, Mono, conaul. I 383 (Denare
des M'. Cordius Rufus; vgl. dazu Boroubsi,
Oeuvres 1 270 und Dbssau zu CIL XIV 2603).
503 ff.
^) Tert. de spect. 8 singula omamenta
drei singula templa sunt: ova hon ort Ca-
storum adscribunt, qui illos ovo editos cre-
dendo de cygno love non erubescunt; von
einer aedicula oder gar aedes ist keine Rede,
und damit erledigt sich der Versuch Mohm-
SBKS (CIL P D. 315), den natcdis Castoris et
Pollucis am 8. Aprü (s. oben S. 217 Anm.3)
hierher zu beziehen.
*) Vitr. IV 8, 4; Stiftungstag am 13. Aug.,
CIL P p. 325.
^) Den Dioskuren in Delphi weiht T.
Quinctius Flamininus nach dem Siege über
Philipp von Makedonien silberne Schilde mit
metrischer Aufschrift, Plut. Flam. 12 = Prk-
OER, Inscr. gr. metr. nr. 93.
«) Hör. c. I 3, 2. 12, 25 ff. IV 8, 31 f.
Senec. nat. qu. I 1. 13. Plin. n. h. II 101 u. a.
') Gbütbr 1016, 3 (ob felicetn in pa-
triam redüum sujyeratis tot naufragü peri-
cvUis) ist eine Fälschung, s. CIL VI 3199*.
B. Di noTensideB itAlisoher Herkanft. 41. HercvleB. 219
der Hafenstadt Ostia die Verehrung von Castor und Pollux wesentlich in
diesem Sinne stattgefunden zu haben: jedenfalls fasste man den Dienst
in der Kaiserzeit so auf,^) wo das — gewiss alte — Fest der Gastores in
Ostia alljährlich am 27. Januar von Rom aus durch den Stadtpraetor,
später durch den Praefectus urbi begangen wurde. ^) Sonst sind Zeug-
nisse für den Kult der Dioskuren aus der Kaiserzeit in Italien^) wie in
den Provinzen*) selten, etwas häufiger nur in Gallia Narbonensis,*) wo
man Pollux mit dem einheimischen Gotte Vintius identifizierte (CIL Xu
2561 f.): alle sind aber so farblos, dass für das Verständnis der Götter
aus ihnen nichts Wesentliches zu entnehmen ist. So bleibt in der Stellung
der Dioskuren zur römischen Volksreligion manches dunkel, namentlich
wie man dazu kam, bei Castor und Pollux in der Weise zu schwören,
dass die Beteuerung ecastor oder mecastor den Frauen vorbehalten blieb,
wähi'end edepol von diesen seltener angewendet wurde als von den Män-
nern:*) eine Volksetymologie mag dabei mit im Spiele sein,^) aber das
Wunderbarste liegt darin, dass die Dioskuren überhaupt für das römische
Volk zu Schwurgöttern wurden, namentlich Pollux, der doch sonst hinter
dem Bruder ganz verschwindet.
Litteratur: M. Albbbt, Le culte de Castor et Pollux en Italie, Paris 1883 (dilet-
tantisch, s. H. Jobdan, Deutsche Litt.-Zeit. 1883, 1503 ff.). D. Vaolisbi bei Ruooibbo. Dizion.
epigr. 11 132 ff.
41. Hercules. An die Geschichte des römischen Herculeskultes
knüpfen sich eine Reihe ausserordentlich schwieriger, zum Teil wohl
überhaupt nicht mit Sicherheit zu beantwortender Fragen. Schon darüber
kann man im Zweifel sein, an welcher Stelle Hercules in das System der
römischen Staatsgottheiten einzureihen ist: wenn er hier an dieser Stelle,
im unmittelbaren Anschlüsse an den Castorenkult, zur Behandlung kommt,
so ist das darum geschehen, weil wir in beiden Fällen zweifellos grie-
chische Gottesdienste vor uns haben, die jedoch — im Gegensatze zu den
auf Grund sibyllinischer Orakel rezipierten griechischen Kulten von Apollo,
Ceres u. s. w. — seit alter Zeit innerhalb des Weichbildes angesiedelt
worden sind: der Grund für diese Ausnahmestellung ist bei Hercules aller
Wahrscheinlichkeit nach derselbe wie bei den Dioskuren, nämlich die
Thatsache, dass die Römer ihn ebenso wie die Dioskuren nicht direkt
>) Amm. Marc. XIX 10, 4: im J. 359 ») CIL V 4154. VI 85. 413. X 38. XI
tritt nach langandauemden StQrmen, welche 8777.
die Verproviantierung der Stadt verhindert
hahen, plötzlich Meeresstille ein, dum Ter-
tullus (der Stadtpräfekt) apud Ostiam in
aede sacrxficat Castorum; hierauf bezieht
sich auch der Tadel des Papstes Gelasius
(Thiel, Epist. pontif. Rom. I p. 603): Casto-
*) CIL II 2100. 2122; Suppl. 6070. III
493. 1287. 2743. VIII 6940. 8193. Obelu
1568 f. 1993.
ft) CIL XII 1904. 2526. 2821. 2999.
') Varro bei Gell. XI 6, nach dem auch
edepol ursprQnglich nur weiblicher Schwur
res (Thibl will mit Unrecht pastorea lesen) ' gewesen wäre (so auch Chans, p. 198); doch
resiri certe, a quorum ctdtu desistere nölu
istis, cur vobts opportuna maria minime
praehuerunt?
*) Weihgedicht des Praetor nrbanus
Catius Sabinus (Cos. II 216 n. Chr.) CIL XIV
1 = BuBCHBLBR, Auth. opigr. nr. 251. [Aethic]
cosmogr. p. 83 Riese. Amm. Marc. a. a. 0. ;
das Datum bei Polem. Silv. CIL I* p. 308, p. XIV f.
vgl. MomcsBN, Staatsr. II 1021.
ergibt für den plautinischen Sprachgebrauch
die Statistik von Th. Hubrich, De diis Plau-
tinis Terentianisque (Diss. Regiment. 1883)
p. 127 ein starkes Ueberwiegen der von
Männern gebrauchten edepol und pol.
^) Gewöhnlich denkt man an castus)
anders Tb. Birt, De Romas urbis nomine
220 Religion und Knltas der Römer. II. GOtterlehre.
von den Griechen, sondern durch Vermittlung einer latinischen Nachbar-
gemeinde übernommen haben. Dass der römische Herdes, Hercoles, Her-
cules kein andrer ist als der rezipierte griechische Herakles, beweist schon
der Name, den wir in seinen Wandlungen auf italischem Boden mühelos
verfolgen können.^) Denn die Angabe des Dionysios von Halikarnass
(I 40, 6), dass der Gott an vielen Orten Italiens seine heiligen Bezirke
und Altäre habe und man nicht leicht eine Gegend finde, die seinen Kult
nicht kenne, wird durch die inschriftlichen und sonstigen Zeugnisse im
vollen Umfange bestätigt: insbesondere zeigt uns die hervorragende Rolle,
die der Herculeskult bei den Oskern Campaniens spielt, den Weg, auf
dem der griechische Gott nach Latium kam. Unter den Griechenstädten
Unteritaliens, von denen die meisten den Hercules an bevorzugter Stelle
verehren, weist namentlich Cumae in seinen Heraklessagen so deutliche
Beziehungen zu den Erzählungen auf, die später als Ursprungslegende des
römischen Herculeskultes galten,^) dass wir wohl hier Ausgangspunkt und
Centrum des gesamten italischen Herculesdienstes zu suchen haben. Den
Weg, auf dem dieser Kult in früher Zeit von Campanien her in Latium
eindrang, im einzelnen zu verfolgen, sind wir nicht mehr im Stande: jeden-
falls besitzen die Hauptstädte der latinischen Landschaft, Tusculum (CIL
X 3808), Praeneste,*) Lanuvium (Tertull. ad nat. H 7) und namentlich Tibur
alten Herculesdienst, und der Gedanke, dass dieser erst von Rom dahin
verpflanzt sei, ist bei der weiten Verbreitung dieser ganzen Religion un-
bedingt von der Hand zu weisen. Vielmehr führt umgekehrt vom tibur-
tinischen Hercules^) die Brücke direkt zum römischen hinüber. Der Stadt-
gott des Herculeum Tibur (Prop. HI 32, 5 u. a.) ist Hercules Victor
(seltener Invictus^) genannt), dessen Dienst durch Salier ausgeübt^) und
dessen reicher Tempelschatz durch Weihungen von decumae genährt wird:^)
der Kult steht in enger Beziehung zu dem des Juppiter Praestes, dessen
Altar nach dem Zeugnisse der Inschrift CIL XIV 3555 lovi Praestiii Her-
cules Victor dicavit, Blandus pr(aetor) restituit als von Hercules selbst ge-
gründet angesehen wurde. ^) Dies Verhältnis kehrt ganz analog in Rom
') Die den Uebergang zwischen 'Hga-
xX^g und Herdes bildende unsynkopierte
Form ist in osk. Hereklos erhalten; vgl. im
allgemeinen Jordan, Krit. Beitr. S. 15 ff.
MoMMSBNs früherer Versuch, Hercules von
lat. liercere (herciscere) abzuleiten (ünterital.
Dial. S. 262), ist von ihm selbst später auf-
gegeben worden (vgl. Rom. Gesch. I 178).
•) Pbbllbb, Griech. Mythol. II 213 f.;
Rom. Mythol. II 280 f.; vgl. auch R. Rbitzek-
STEIN, Ined. poet. graec. fragm. II 11. 24.
») CIL XIV 2890-2892; vgl. Jordan,
Observat. Roman, subsicivae (1883) p. 10 ff.
*) Ueber Herculeskult nnd Hercules-
tempel von Tibur s. Bormann, Altlatin. Cho-
rographie S. 225 ff. Borsari, Notiz, d. Scavi
') CIL I 1113 = XIV 3541 Herculei C,
Antestius Cn. f. cens{or) decuma facta ite-
rum dat.
') Wenn derselbe Mann auch den Altar
CIL XIV 3556 lunoni Argeiae C. Blandus
procos. errichtet, so beweist das bei der
verschiedenen Entstehungszeit beider Wei-
hungen nichts für einen inneren Zusammen-
hang der tiburtinischen Kulte von Hercules
und Juno, sondern nur, dass jener C. Rubel-
lius Blandus (Consul unter Tiberius, s. Aber
ihn Drssau zu CIL XIV 3576 und Prosop.
imp. Rom. III 136 nr. 82) sich die Wieder-
herstellung alter oder angeblich alter Kult-
wahizeichen seiner Vaterstadt Tibur ange-
legen sein Hess: denn Tibur galt bekannt-
1887, 25 ff. Dessau, CIL XIV p. 367 f. lieh wegen seines Junokultes (s. oben S. 114 f.)
*) CIL XIV 3545. 3548. 4234. i für Argeo posiium colono (Hör. c. II 6, 5j
*) Macr. S. III 12, 7. Serv. Aen. VIII und die dortige Juno Quiritis fttr identisch
285 und Inschriften, s. CIL XIV p. 577. \ mit der argivischen Hera.
B. Di noveiuiides italisoher Herkunft. 41, HeronleB.
221
wieder, wo unfern des alten Herculesheiligtumes, der Ära maxima, bei
der Porta Trigemina ein Altar des Juppiter Inventor lag, den die Legende
von Hercules selbst errichtet sein liess:^) hier zeigt schon ein Vergleich
der Beinamen des Juppiter, Inventor und Praestes,^) welcher von beiden
Kulten die ältere und ursprünglichere Fassung enthält. In Rom lag der
alte Altar des Hercules, nachmals im Gegensatze zu den zahlreichen
jüngeren Kultstätten des Gottes als ara maxima bezeichnet, unterhalb der
Westecke des Palatins am Forum boarium,') nahe dem Eingange des
Circus maximus {post ianuas drei maximi Serv. Aen. VHI 271, vgl. Schol.
Juv. 8, 13): er war dem Hercules Invictus*) geweiht und wurde für
eine Stiftung des Euander angesehen;^) für das hohe Alter der Gründung
sprach jedenfalls die bescheidene Ausstattung der heiligen Stätte (ti;
xa%aax€vij nokv ti^q io^tfi xaxadsäaxBQoq Dion. Hai. I 40, 6), die ausser aus
dem Altar aus einem eingefriedigten und konsekrierten Täfievog bestand,^)
in das sich dem Volksglauben nach weder Hunde noch Fliegen hinein-
wagten. 7) Nach dem ausdrücklichen Zeugnisse des Tacitus (ann. XH 24)
lag dieses Heiligtum innerhalb des noch zur Zeit des Gewährsmannes
durch cippi bezeichneten Pomeriums der alten palatinischen Ansiedlung,
und wenn diese Angabe auch nicht beweist, dass die Ara maxima bereits
zur Zeit des antiquum oppidum Palatinum bestand, so sichert sie doch
die Thatsache, dass sie nie anders als intra pomerium gelegen hat, der
Kult also trotz der griechischen Herkunft des Gottes sakralrechtlich nicht
als ein fremder behandelt wurde. Die zwar von allerlei aetiologischen
Erfindungen überwucherte, aber in ihrem Kerne gewiss zuverlässige Über-
lieferung^) berichtet, die Ausübung des Kultes habe zwei patrizischen
Geschlechtern, den Potitii und Pinarii, als soUemne familiae ministerium
(Liv. I 7, 14) in der Weise angehört, dass die Potitii die eigentliche Vor-
^) Jiog EvQßciov ßwfMg, og iaxi, xijg
'hüfÄfjg naQ(< Tfl TgM/Äfp Tivkij Dion. Hai. I
39, 4; aram . . patri Inventori . . ubi Tri-
gemina nunc porta Solin. 1, 7; 8U& Aventino
Inventori patri [Aur. Vict.] origo 6, 5; lup-
piter allein Ovid. fast. I 579.
') Analogien zum Namen bieten ausser
den Lares praestites (s. oben 8. 151) die um-
brische Prestota (Bxtbohblbb, Umbricap. 98)
und die verschollene römische Göttin Prae-
stana (Amob. IV 3) oder Praestitia (Tert. ad
nat. II 11); vgl. auch oben S. 108 Anm. 7.
') Ueber die topographischen Fragen s.
Db Rossi, Annali d. Inst. 1854, 28 ff. Klubg-
MANN, Arch. Zeit. XXXV 1877, 107 ff. Jordan,
Topogr. I 2 S. 477 ff. Hülsen, Rom. Mitteil.
VII 1892, 294.
^) Diese Bezeichnung geben (mit einer
Ausnahme) die Praetoreninschriften (s. unten),
die Beischriften des Festkalenders, Varro
bei Macr. S. III 12, 6 u. a. ; dagegen beziehen
sich die ältesten inschriftlichen Zeugnisse
fUr den Beinamen Victor nicht auf den Kult
an der Ara maxima (CIL VI 331. IX 4672 =
I 541 f.), wo diese Bezeichnung erst im Ge-
folge der Erzählung von der Besiegung des
Gacus Eingang und Uebergewioht gewann.
*) Strab. V 230. Dion. Hai. I 40, 2. Plut.
Qu.Rom.90. Tac.ann.XV41. Serv. Aen. VIII
269; vgl. Plin. n. h. XXXIV 33. Verg. Aen.
VIII 271. Die andere Version, nach welcher
Hercules selbst seinen Altar und Kult grtln-
det (Prop. V 9, 67. Ovid. fast. I 581. Liv. IX
34, 18, vgl. I 7, 11. Solin. 1, 10}, ist sicher
jünger und fiberträgt die Erzählung von der
Stiftung des Altars des Juppiter Inventor
auf die Ara maxima.
•) So Strab. V 230; Ugoy d^ioXoyoy Dion.
Hai. IV 21, 4; fanum Tac. ann. XV 41.
') Varro bei Plut. Qu. Rom. 90 (iytog raSy
TtiQißoXfoy). Plin. n. h. X 79 (in aedem). So-
lin. 1, 10 {consaeptum sacellum); vgl. Cleni.
Alex, protr. II 38 (HgaxXi^s *An6f4vioi).
') Das Material bei Schwbglbb, Rom.
Gesch. I 353 f. (hinzuzufügen CIL VI 313).
Die genaueste Kunde scheint noch Vergil
zu verraten, welcher unterscheidet Aen. VIII
269 f. primusque Potitius auctor et domus
Herculei custos Pinaria sacrif was die
Scholien nicht mehr verstehen und verschie-
dentlich autoschediasmatisch erklären.
222
Religion nnd KnltiM der Römer, ü. Qötterlehre.
standschaft innehatten, während den Pinarii die Bewachung des Heilig-
tums und wahrscheinlich der untergeordnete Opferdienst oblag, bis in der
Censur des Ap. Claudius Caecus 442 = 312 die Übernahme dieses Gentil-
kultes auf den Staat erfolgte: wenn hinzugefügt wird, dass zur Strafe
für die Preisgabe der gentilen Herculesverehrung die Gens Potitia inner-
halb kürzester Frist bis auf den letzten Mann ausgestorben sei, so soll
damit der Thatsache Rechnung getragen werden, dass das Geschlecht in
der Zeit der ausgehenden Republik nicht mehr existiert; für die andere
Thatsache, dass die Gens Pinaria weiterbestand (Mohhsen, Rom. Forsch.
I IIB), ihre Beteiligung am Herculesdienste der Ära maxima aber auf-
gehört hat, erhalten wir keine Erklärung. Die Verstaatlichung geschah
in der Weise, dass von nun an einmal alljährlich von Staats wegen an
der Ära maxima durch den Praetor urbanus ein Opfer dargebracht wurde,
während Aufsicht und Tagesdienst beim Heiligtume, also die Geschäfte
des Aedituus, von servi publici ausgeübt wurden.^) Die Opferhandlung
beim Jahresfeste fand graeco rüu statt,*) d. h. der opfernde Praetor han-
delte unbedeckten Hauptes, s) aber mit Lorbeer bekränzt;^) das Opfei*tier
war eine vom Joche noch nicht berührte Färse,^) die Weinspende geschah
aus dem angeblich von Hercules selbst zurückgelassenen, mit Pech ge-
dichteten Holzbecher {scyphus, Serv. Aen. VHI 278); im Gegensatze zu der
beim römischen Opfer üblichen generalis invocatio (s. oben S. 33) durfte
hier keines andern Gottes Name genannt werden (Yarro bei Plut. Qu.
Rom. 90). Ob dies Ritual in allen Stücken genau dasselbe ist wie das,
welches zu der Zeit galt, als der Kult noch ein sacrum gentilicium der
Potitii und Pinarii war, oder ob bei der Übernahme auf den Staat Ab-
änderungen des Ceremoniells im Sinne eines engeren Anschlusses an grie-
chische Kultsitte vorgenommen worden sind, ist nicht mit Sicherheit zu
entscheiden; letzteres wird dadurch wahrscheinlich gemacht, dass ein so
gut unterrichteter Autor wie Vergil^) von Bekränzung mit Pappellaub
und von Tänzen und Gesängen von Saliern an der Ära maxima zu er-
zählen weiss: wollen wir darin nicht einfach willkürliche Erfindungen
erblicken, so können wir diese Angaben über ein von dem späteren vei*-
schiedenes Ritual nur auf die Zeit vor der Verstaatlichung des Kultes
beziehen und müssen annehmen, dass die beiden wahrscheinlich aus Tibur
stammenden*^) Familien der Potitii und Pinarii den Gott zu Rom in der
Weise ihrer Heimat verehrten, indem sie gentilizische Salierkollegien (wie
^) Dies letztere drückt die Ueberliefe-
rung so aus, dass die Potitii ab Appio Clau-
dio praemio corrupH sacra servis publicis
prodiderunt (Macr. S. III 6, 10). Da diese
Staatssklaven doch in keinem Falle ein
Priestertum wahrnehmen können, so ist
MoMMSBNs (De colleg. et sodalic. p. 12) Auf-
fassung des ganzen Vorganges {,,n(m sacrum
sed aacerdotium cesserunt reipviblicae* Po-
titii) unmöglich.
«) Varro bei Macr. S. III 6, 17. Serv.
Aen. VIII 276. Liv. I 7, 3; ^valay 'EXXfjyixrjy
Strab. V 230, e^eaiv tlkXfjyixoh Dion. Hai. I
40, 3.
») Macr. S. III 6, 17. Serv. Aen. 111 407.
VIIl 288
*) Macr. S. III 12, 2. Serv. Aen. VIH 276.
^) iuvenca Varro de 1. 1. VI 54; nCvya
^itfiaUv Dion. Hai. a. a. 0. ; hos eximia Liv.
I 7, 12.
») Aen. VIII 276 -288 (danach Prud. c.
Symm. I 120 f.); die Priester heissen bei
ihm V. 282 pellibus in moretn cincti,
^) Tiburtinische Inschrift des Gn. Pina-
rius Severus, Consuls unter Trajan, CIL
XIV 3604.
B. Di noTensides italisoher Herkunft. 41. HerouleB. 223
die Luperci Quinctiales und Fabiani) bildeten. Das praetorische Opfer an
der Ära maxima hat, wie die in der Gegend des Heiligtums gefundenen,
aus dem 2.-4. Jahrhundert n. Chr. stammenden Inschriften von Praetores
urbani (CIL VI 312 — 319) beweisen, bis in die Zeit Constantins bestanden.
Der Tag desselben ist nicht überliefert, wird aber durch eine annähernd
sichere Kombination erschlossen: nach den Hemerologien (fast. Allif. und
Amit.) fand am 12. August ein Opfer statt Herculi invicto ad circum
maxim{um)y es war dies also der Stiftungstag eines der Ära maxima be-
nachbarten Herculestempels,^) der offenbar ebenso neben diese getreten
war, wie die aedes Martis in campo neben die alte ara Martis (oben S. 133),
und dessen natalis nach römischem Brauche (s. Aust, De aedib. sacris
p. 34 ff.) ebenso auf den alten Jahresfesttag der Ara maxima gelegt war,
wie z. B. der Stiftungstag des Saturntempels auf die Saturnalia. Ein
zweiter Tempel des Hercules Invictus lag nicht weit davon an der Porta
Trigemina, also bei dem Altar des Juppiter Inventor,^) und beging nach
dem Zeugnisse der Fasti Allif ani sein Stiftungsfest am 13. August: es
bezeugen also Lage, Stiftungstag und Beiname in gleicher Weise die enge
Zusammengehörigkeit beider Heiligtümer, ohne dass wir allerdings diese
sonst weiter zu verfolgen im Stande wären.
Wenn der Herculeskult der Ara maxima, wie oben wahrscheinlich
gemacht wurde, bei seiner Verstaatlichung Abänderungen im hellenisie-
renden Sinne erfuhr, so erklärt sich das daraus, dass schon vor jenem
Akte neben dem tiburtinischen Familiendienste auch die rein griechische
Verehrung des Hercules in Rom Eingang gefunden hatte. Schon bei dem
ersten Lectisternium, das die Orakelbewahrer im Pestjahre 355 = 399
auf Veranlassung sibyllinischer Orakel anordneten, erscheint Hercules,*)
und er behält diesen Platz auch bei den Wiederholungen dieser Cere-
monie bis zu dem grossen Zwölfgötter-Lectisternium des J. 537 = 217,
in dem er keine Stelle mehr findet (Liv. XXII 10, 9); dafür hatte er aber
im vorausgehenden Jahre 536 =218 zusammen mit Juventas ein eignes
Lectisternium und eine supplkatio bei seinem Tempel erhalten,*) und 30
Jahre später (566 = 188) wurde in aede Herculis Signum dei ipsius ex
decemvirorum response aufgestellt (Liv. XXXVIII 35, 4). Bei all diesen
Nachrichten ist der Gedanke an den Hercules der Ara maxima (und der
benachbarten Heiligtümer) ausgeschlossen, da wir das ausdrückliche Zeugnis
*) Es war nach Vitr. fll 3, 5 ein araeo-
atyler und nach etruskischer Weise mit Thon-
ornamenten ausgeschmückter, also offenbar
recht alter Tempel, der von Gn. Pompejus
malte (Plin. n. h. XXXV 19). Vgl. über die
Scheidung dieser Tempel Wissowa, Analecta
Romana topographica p. 9 ff.
•) Varro bei Macr. S. III 6, 10 = Serv.
wiederhergestellt oder neu ausgeschmückt Aen.VlII 363; auch Flut. Qu. Rom. 60 denkt
wurde, weshalb ihn Vitruv als aedes Herculis
Pompeianiy Plin. n. h. XXXIV 57 als aedes
Fotnpei Magni bezeichnet (vgl. auch Plin.
n. h. XXXV 157. Martial. XIV 178). Ver-
schieden von ihm ist ein am Forum boarium
gelegener Rundtempel des Hercules, den
L. Aemilius PauUus baute oder wiederher-
stellte {Äemiliana aedes Fest. p. 242 nach
ScALiOBRS Emendation) und Pacuvius aus-
an das Heiligtum bei Porta Trijgemina, wenn
er die Ara maxima als dveiy ßoifiüiy tov
fieiCoycc bezeichnet.
») Liv. V 13, 6. Dion. Hai. XII 9.
*) Liv. XXI 62, 9: Romae quoque et
lectisternium luventati et supplicatio ad
aedem Hei'cuJis nominatim, denique unirerso
populo circa omnia pulvinaria indicta; s.
dazu WissowA a. a. 0. p. 12.
224 Religion und Enltns der Römer. II. OOtterlehre«
besitzen: apud aram maximam observatum, ne ledisternium fiat;^) obwohl
griechischer Herkunft und graeco rüu verehrt, hat dieser ohne Mitwirkung
der sibyllinischen Bücher in Rom eingedrungene Gott mit dem Ritus der
Lectisternien und den verwandten Kultakten des decemviralen Amtskreises
keine Berührung. Es muss also mindestens im J. 536 = 218 auch einen
auf Sibyllenspruch hin errichteten Tempel des griechischen Herakles in
Rom gegeben haben, und dies war aller Wahrscheinlichkeit nach die aedes
Herculis Magni Custodis in circo Maminio, deren Stiftungstag nach den Fasti
Venusini und Ovid (fast. VI 209 flf.) auf den 4. Juni fiel:*) Ovid bezeugt,
dass seine Erbauung durch sibyllinische Orakel angeordnet worden war
(v. 210 Euboico carmine) und dass die Inschrift Sulla als den Vollender des
Baues nannte (v. 212 SuUa probavit opus): dieser suUanische Bau war aber
gewiss nur die Wiederherstellung eines älteren Tempels, dessen Bedeutung
schon daraus hervorgeht, dass sein als sacrum Herculi sogar in den Bauern-
kalender (CIL P p. 280) aufgenommener Stiftungstag noch in der Kaiser-
zeit eine grosse Rolle spielt und durch Circusspiele gefeiert wird.') Wie
Ovid hier den Wiederhersteller des Tempels, Sulla, an Stelle des ersten
Gründers nennt, so hat er das Gleiche auch bei der Erwähnung der eben-
falls in Circo Flaminio gelegenen aedes Herculis Musarum gethan, die wir
nach seinen Worten (fast, VI 797 flf. zum 30. Juni) für eine Neuschöpfung
des L. Marcius Philippus halten müssten, wenn wir nicht durch anderweitige
Zeugnisse darüber unterrichtet wären, dass jener nur der Wiederhersteller
des von M. Fulvius Nobilior nach der Eroberung von Ambracia (565 =
189) gestifteten Tempels war.^) Die griechische Herkunft auch dieses
Kultes steht ausser Frage; wir haben also in Rom zwei Gruppen von
Herculesheiligtümern, die des tiburtinischen Hercules beim Circus maximus
und die des griechischen beim Circus Flaminius, und sie verhalten sich
zu einander etwa so wie die beiden Castortempel am Forum und beim
Circus Flaminius; die Regel des Vitruv (I 7, 1), man müsse Tempel bauen
Herculi, in quibus civitatibus non sunt gymnasia neque amphitheatra, ad circum,
ist wohl nur aus den thatsächlichen römischen Verhältnissen abstrahiert
und berechtigt nicht zu Schlüssen auf eine innere Beziehung des Hercules
zu den Circusspielen. Ein vor der Porta Collina gelegenes Herculis iem-
plum wird nur einmal bei Gelegenheit von Hannibals Erscheinen vor Rom
im J. 543 =211 erwähnt^) und war vielleicht ebenso nur eine kleine
M Cornelius Balbos bei Macr. S. III 6, 16. ebensowenig erklärt, wie das von Lyd. de
Serv. Aen. VIII 176. mens. IV 46 zum 3. April notierte Fest des
') In den Fasti Vallenses ist das Opfer | 'HgaxX^s iniyixios ola vyielag ^otiJQ.
durch Verwechslung mit dem Hercules In- | *) Eumen. de restaur. schol. 7. Suet.
victus am Circus maximus zum 12. August , Aug. 29. Macr. S. I 12,16. PI ut. Qu. Rom. 59.
notiert; vgl. Mommsek, CIL I* p. 324 (gegen ! Plin. n. h. XXXV 66. Cic. pro Archia 27.
AusT, De aedib. sacris p. 28) und im allge- ; Serv. Aen. I 8 ; vgl. Klübgmann a. a. O.
meinen Elübomann, Commentat. Momnisen. p. 262 ff.
p. 266 f. WissowA a. a. 0. p. 12 f.
') Philocal. und Polem. Silv., s. Mom-
SEK CIL I* p. 319 und dazu Bist. Aug.
Commod. 16, 5. Der bei Philocalus mit
c{ircense8) m{i8sus) XXIV verzeichnete
fi{atali8) Herculis (vgl. Auson. de fer. 23 f.
natalis Herculeus) am 1. Februar ist noch
^) Liv. XXVI 10, 3. Aus diesem Heilig-
tume stammt vielleicht die (bei San Lorenzo
fuori le mura gefundene) Peperinbasis dee
Diktators M. Minucius vom J. 537 = 217
(CIL VI 284 = I 1503: Hercolei sacrom
M. Miniici C. f. dictator vovit; vgl. Klubo-
MANN, Arch. Zeit. XXXV 109 f.) und die beim
B. Di noveiiBideB italisoher Herknnffc. 41. Heroules.
225
aedicula privater Gründung wie das von L. Mummius Achaicus gestiftete
Heiligtum, dessen Inschrift (CIL VI 331 = I 541) erhalten, ist, und zahl-
reiche sonstige Herculeskapellen in und um Rom.
Eine einschneidende Bedeutung für die Religionsübung des täglichen
Lebens haben die griechischen Herakleskulte des Circus Flaminius nicht
gewonnen; um so grösser ist die Popularität des an der Ära maxima ver-
ehrten Gottes. Die namentlich durch A. Härtung und A. Reifferscheid
geistreich begründete und neuerdings wieder von R. Peter mit umfassender
Gelehrsamkeit verfochtene Hypothese, dass in diesem Kulte der griechische
Name einen italischen Gott decke und man hier älteste einheimische Re-
ligionsvorstellungen, ja sogar etwas wie einen Ansatz zu einer eignen
italischen Mythologie noch wiedergewinnen könne, findet bei einer kriti-
schen Betrachtung der Thatsachen des Kultes keine Stütze. Der am
meisten ins Auge fallende Brauch im Gottesdienste der Ära maxima ist
die dort übliche Weihung von decumae mit den daran sich anschliessenden
Yolksbewirtungen. Ausgegangen ist dieser Brauch ganz sicher vom kauf-
männischen Verkehr, in welchem man bei einem gefahrvollen und un-
sicheren Geschäfte den göttlichen Beistand sich dadurch sicherte, dass
man dem Hercules durch Gelübde eine Gewinnbeteiligung {pars Herculanea,
Plaut. Truc. 562) in Aussicht stellte; dass das die Grundanschauung ist,
zeigen sowohl die Stellen der Komödie, an denen dieser Sitte gedacht
wird,i) als die Erzählung bei Macr. S. IH 6, 11 = Serv. Aen. VIH 363:
M. Octavius Hersenn us, von Haus aus Pfeifer, gibt diese Kunst, in der
er nicht das gehörige Fortkommen findet, auf und widmet sich dem Handel,
wobei er den zehnten Teil des Gewinnes dem Hercules als Anteil gelobt
und weiht;*) bei der Fortsetzung dieses Geschäftsbetriebes wird er einst
von Seeräubern überfallen, bleibt aber in tapferer Gegenwehr Sieger, und
zwar, wie er nachher durch einen Traum erfährt, vermöge des Beistandes
des Hercules, dem er darum einen Tempel und eine Statue mit der Auf-
schrift Hercules Victor weiht. Da der Name des Helden nach Tibur ge-
hört,') so ist die Erzählung offenbar für das dortige Heiligtum des Her-
cules Victor bestimmt, und die Seeräubergeschichte ist nur deshalb er-
funden, um den mit der Verehrung des Gottes durch die Kaufleute scheinbai*
im Widerspruche stehenden Beinamen Victor zu erklären. Wenn später
Leute wie Crassus von ihrem ganzen Vermögen den Zehnten dem Her-
cules darbringen,*) so ist das nur eine protzenhafte Weiterbildung jenes
Bau des Finanzministeriams gefundene In-
schrift Ephem. emgr. IV 734 = CIL VI 30899
(vgl. Jordan, Hennes XIV 572). Haltlose
Kombinationen bei G. Bossi, Stndj e Docu-
menti di Storia e Diritto XI 1890. 75 ff.
1) Am deutlichsten Plaut. Stich. 232 f.:
haec venüsae tarn opus est quantum polest,
ut decumam partetn HerciUi polluceam; 386
HerctUes decumam esse adauctam tibi, quam
rovi, grcUtdor; vgl. Bacch. 665 f.; Mosteil.
984. Naev. com. 26-29 Ribb.
') Wie eine Illustration dazu liest sich
die Inschrift der Vertuleii von Sora CIL X
5708 = I 1175 = BuEOHELEB, Anth. epigr.
HftDdbnch der kla«. AltertamiwiaeiiMhAft. Y. i.
nr. 4): quod re sua d[if]feidefis asper afteicta
(vgl. Macr. a. a. 0. postquam arti suae dif-
fisus est) parens titnens heic vovit, voto hoc
solut[o de]cuma facta poloucta leibereis lu-
betes donu danunt Hercolei maxsume mereto,
semol te orant se [v]oti crebro condemnes.
Andre Weihungen von decumae aus Tibur
CIL XIV 3541. Aquila IX 3569, Garsioli IX
4071*, Capua X 3956.
') Ein Octavius Hersennius hat nach
Macr. S. III 12. 7 ein Buch de sacris salia-
ribus Tiburtium geschrieben; vgl. auch
Dessau CIL XFV p. 367 Anm. 2.
*) Plut Grass. 2; vgl. Sulla 35; Qu. Rom.
15
226
Religion und Ealtas der Römer, n. Götterlehre.
Brauches, und auch wenn die Triumphatoren von der Kriegsbeute den
Zehnten dem Hercules abgeben, i) findet das seine Erklärung darin, dass
nach ursprünglicher Auffassung die Beute ebenso den Ertrag des Kriegs-
zuges darstellt, wie der Öeschäftsgewinn den der Handelsfahrt, nicht etwa
in besonderen kriegerischen Eigenschaften des Gottes der Ära maxima.^)
Die Darbringung der Decuma findet innerhalb einer Frist von 10 Tagen,
nachdem der Gelobende voH reus geworden ist, statt,') und zwar in Form
eines Opferschmauses, bei dem alle essbaren und trinkbaren Dinge (omnia
esculenta poculenta Fest. p. 253) zugelassen sind. Diese Zehntengabe wurde
als Ganzes dem Hercules geweiht (dafür gilt der Ausdruck pollucere^)),
aber nur ein geringer Teil davon blieb im Tempel, das Meiste wurde am
Abend*) dem Volke preisgegeben (profanare) und zur Bewirtung desselben
verwendet: das Volk erschien, ebenso wie der Darbringende, mit Lorbeer
bekränzt, ö) bei der Darbringung waren ursprünglich die Potitii, später
Staatssklaven als Gehilfen thätig (Fest. p. 237); eine eigne Verordnung be-
stimmte, dass von dem ganzen Schmause nichts übrig bleiben durfte.^)
Dieses ganze Ceremoniell ist von Anfang bis zu Ende unrömisch: die Be-
kränzung mit Lorbeer ist ebenso sicher griechisch, wie die Volksbewirtung
und überhaupt der ganze Brauch der Zehntendarbringung,^) die uns in
Rom sonst nur noch gegenüber Apollo, also ebenfalls einem rein griechi-
schen Gotte, begegnet.^) In denselben Anschauungskreis wie die Decuma
gehört das propter viam genannte Opfer, das man in Rom dem Hercules
— jedenfalls an der Ära maxima — bei Antritt einer Reise {proficiscendi
gratia) brachte r^^) auch für dies Opfer gilt die eben bei der Decuma er-
wähnte Bestimmung, dass vom Opfermahle nichts übrig bleiben durfte,
sondern etwaige Reste verbrannt werden mussten (Macr. S. H 2, 4), und
der innere Zusammenhang zwischen beiden Akten ist offenbar der, dass
man bei dem Opfer propter viam den Zehnten gelobte, den man nach glück-
lichem Ausgange der Reise darbrachte. Hier ist deutlich Hercules überall
in erster Linie als göttlicher Beschützer des Verkehrs, speziell des Handels-
18. Dion. Hai. I 40, 6. Diod. IV 21, 3, wo He-
rakles geradezu verspricht roTg ev^afjiipotg
'HQttxXel TiyV ovalay avfißtjfferav lov ßloy
evdaifjioviaxBQOP ex6iy.
») CIL IX 4672 = I 542. Posidonius
FHG III 262 = Athen. IV 163 C, vgl. V 221 F.
Bei dieser Gelegenheit wird die Bekleidung
des Herculesbildes mit dem Triumphal-
gewande erfolgt sein, von der Plin. n. h.
XXXIV 33 spricht.
") Vgl. MoMMSEH CIL P p. 149 f. 240.
') Das ist der Sinn der Worte des Varro
sat. Menipp. frg. 413 Buech. = Macr. S. III
12, 2: matores solitos decimam Herculi vovere
nee decem dies intermittere, quin poll'ocerent
ac popitlutn aavfißoXoy cum Corona laurea
dimitterent cubitum,
*) Ueber poUucere und profanare s.
LCbbbbt, Comment. pontific p. 3 fl. Mab-
QUABDT, Staatsverw. III 148 ff.
*) Serv. Aen. VIII 269: ut mane et
vespere ei (dem Hercules) sacrificaretur ; per-
fecto itaque matutino sacrificio cum circa
solis occasum essent sacra repetenda u. s. w.
(folgt die Erwähnung des Schmauses).
«) Varro a. a. 0. Macr. S. III 12, 3 =
Serv. Aen. VIII 276.
*) Serv. Aen. VIII 183: ad aram maxi-
mam aliquid servari de tauro nefas est:
nam et corium eius ma^ndunt; die ebenda
gemachte damit unvereinbare Angabe de hoc
hove immolato Herculi cames carius vende-
bantur causa religionis et inde alter redi-
mehatur, qui ex illius pretio comparattts
quasi perpetuus esse videhati4r, ist erfunden,
um die Worte Vergils perpetui tergo hovi^f
zu erklären.
*) Ueber ttjy xsQ^itoy dexatBvfAara
(Callim. epigr. 39, 6) vgl. Hebxakn- Stark,
Gottesdienstl. Altert. § 20, 4; über Volks-
bewirtungen Stengel, Kultusalt>ert. S. 80 ff.
*) Camillus bei der Belagerung von Veji,
s. ScHWEGLEB, Röm. Gosch. III 214; vgl.
auch CIL VI 29 = I 187.
'0) Fest. p. 229; vgl. Plaut. Rud. 150.
B. Di noTensides italifloher Herkunft. 41. HerouleB. 227
Verkehrs und des damit verbundenen Gewinnes aufgefasst,^) eine Vor-
stellung, die im griechischen ^HQaxXrjg rjYs/^ioviog vorgebildet ist; auch in
späterer Zeit kommt diese Anschauung noch in der geläufigen Verbindung
von Hercules mit Mercurius^) sowie darin zum Ausdruck, dass Hercules
über die Richtigkeit von Gewicht und Münze wacht.') Dass unter diesen
Umständen die Ära maxima als ein geeigneter Ort erscheint, um dort
Schwüre abzulegen und Verträge abzuschliessen (Dion. Hai. 1 40, 6), ist eben-
sowenig auffallend, wie der Ausschluss der Frauen von diesem Kulte und
vom Schwüre bei Hercules.*) Der ausserordentlich geläufige Schwur mehercle
ist es vor allem gewesen, der durch den Vergleich mit der Beteuerungs-
formel me dius fidius die römischen Gelehrten veranlasste, Hercules mit
Dius Fidius und damit auch mit Semo Sancus (s. oben S. 120 f.) zu identifi-
zieren, wobei die Etymologie des Aelius Stilo Dius Fidius = Diovis filius
Beistand leistete;^) doch hinderte das andere Gelehrte nicht, Hercules
vielmehr für identisch mit Mars zu halten, weil beide durch Salier ver-
ehrt wurden.^) Während diese letztere Identifikation von der neueren
Forschung mit vollem Rechte als eine verunglückte Hypothese beiseite
geschoben worden ist, hat die erstgenannte Aufnahme und weitere Aus-
bildung gefunden, indem man annahm, dass der vorausgesetzte italische
Gott, der sich unter der Maske des griechischen Herakles verstecke, kein
anderer sei als eben Dius Fidius oder der — wie man annahm — im
Grunde von diesem nicht verschiedene Genius oder speziell der Genius
Jovis. Für diese Hypothese hat Reifferscheid^) in bestechender Argu-
mentation namentlich eine Reihe von Bildwerken ins Feld geführt, in
denen Hercules teils in feindlichem Gegensatze, teils in inniger Verbindung
mit Juno erscheint, und dies aus dem bekannten Verhältnisse von Genius
und Juno als göttlichen Vertretern der beiden Geschlechter (s. oben S. 154)
erklärt. Aber so gern man auch zugeben wird, dass die anderweit ver-
suchten Deutungen dieser Darstellungen nicht befriedigen, so wenig ist
es doch zulässig, aus diesen Denkmälern verschiedenster Herkunft, von
denen keines zum Kulte und speziell zum römischen Kulte die geringste
Beziehung hat — es handelt sich um eine Spiegelzeichnung aus Praeneste,
eine Kandelaberbasis aus Perusia, einen Goldring etruskischen Fundortes
und um Henkelstützen etruskischer Gefasse — , Folgerungen für die reli-
giösen Vorstellungen der Römer zu ziehen: angenommen, diese Darstellungen
brächten wirklich — was ich weit entfernt bin zu glauben — mytholo-
gische Beziehungen italischer Götter zum Ausdrucke, so würden sie doch
>) Aehnlich schon Mommsen, Rom. Gesch. i Prop. V 9, 69. Gell. XI 6, 2; vgl. auch Ter-
I 178: «als Gott des gewagten Gewinns und
der ausserordentlichen Vermögensvermeh-
rung . . . Oberhaupt der Gott der kaufmän-
nischen Verträge*.
«) CIL III 633. VI 46. VIII 2498. XII
tull. ad nat. II 7.
6) Varro de 1. 1. V 66. Fest. p. 229.
Paul. p. 147. Prop. V 9, 71 flf. Chans, p. 198.
17 K. Tertull. de idol. 20.
•) Varro bei Macr. 8. III 12, 5 ff. Serv.
1904 und mehrfach auf Bildwerken (s. R. ! Aen. Vlli 275.
Pbteb in Roschers Lexik. I 2961); Hercules ! ') Annali d. Inst. 1867, 352 ff.; danach
und Fortuna z. B. CIL IX 4674. dann die bequeme Znsammenstellung und
■) Hercules ponderum CIL VI 336, vgl. | Würdigung des ganzen Denkmälervorrates
282; Weihungen von Münzarbeiten CIL VI mit Abbildungen bei R. Pbtbr in Roschers
44. 298. Lexik. I 2259 ff.
*) Plut. Qu. Rom. 60. Macr. S. I 12, 28.
15
^*
228 Beligion und Kultus der Römer, ü. GOtterlehre.
als Zeugnisse nur für die Religionsvorstellungen ihrer speziellen Heimat,
also Etruriens, gelten können, für die Deutung etruskischer Denkmäler
aber haben wir wieder kein Recht dasjenige heranzuziehen, was uns vom
römischen Genius und Dius Fidius bekannt ist.^) Dazu kommt weiter,
dass die Annahme der Identität von Dius Fidius und Genius oder Genius
Jovis, die für die ganze Hypothese Ausgangspunkt und Grundlage bildet,
nicht nur unbeweisbar, sondern auch sicher unzutreffend ist. Für die
Identität von Dius Fidius und Hercules würde die Nachricht des Plutarch
(Qu. Rom. 28) sprechen, man habe die Knaben angewiesen, otuv ofivvaun
Tov ^HgaxXäa ... elg vnai^gov nQoiävai (s. oben S. 121), wenn nicht offenbar
Plutarch hier einer Quelle folgte, die von dem Brauche sprach, bei Dius
Fidius nur unter freiem Himmel zu schwören, und dabei einfach Hercules
für den nach seiner Meinung mit ihm identischen Dius Fidius einsetzte.
Dass in der oskischen Weihinschrift von Agnone Hereklos das Beiwort
kerriios = genialis erhält, darf schon deshalb nicht als Beweis für die
Identität von Hercules und Genius angeführt werden, weil er dieses Epi-
theton dort mit einer ganzen Reihe von Gottheiten teilt, ja es spricht
geradezu gegen die Gleichsetzung, da man das Beiwort genialis allen mög-
lichen Göttern zuteilen kann, nur nicht dem Genius selbst; ebenso liefern
einen Gegenbeweis die römischen Weihinschriften, in denen Hercules
neben dem Genius erscheint.*) Die Notiz der Berner Yergilscholien end-
lich (zu Ecl. 4, 62) nobilibus pueris editis in atrio domus lunoni Lucinae
lecttis, Herculi mensa ponebatur^) weist im Vergleich mit der Angabe des
Varro bei Nonius p. 528 (vgl. Serv. Aen. X 76) natus $i erat vüalis . . . diis
coniugalibus Püumno et Picumno in aedibus lectus stemebatur auf einen jün-
geren Brauch, und der aus der Kombination beider Stellen gezogene Schluss,
dass auch Juno und Hercules als di coniugales zu fassen seien, ist un-
berechtigt: als Ehegötter konnten doch nur der Genius des Hausvaters
und die Juno seiner Gattin verehrt werden, hier ist aber Juno ausdrück-
lich als Lucina bezeichnet, also als Geburtsgöttin aufgefasst. Wenn neben
sie Hercules tritt, so thut er das in seiner Eigenschaft als Hercules domesticus
(CIL XIV 3542), d. h. als an dem Wohlergehen des Hauses interessierter
und Unheil von ihm abwehrender Gott; als solcher wird er insbesondere
auf dem Lande verehrt,^) wo er häufig mit den göttlichen Beschützern
des ländlichen Anwesens, Silvanus und Liber, vereint angerufen wird^)
^) Die Bemerkung von ü. von Wila- j Ritus der Ära maxima, wo man sitzend,
xowiTZ-MoBLLBMDOBFF, EuHp. Herakles P ' nicht liegend, schmaust (Macr. 8. III 6, 16)
S. 25 Anm. 49 , übrigens folgt aus der Eni- und auch eine mensa sich befindet (Macr.
lehnung, dass es unerlaubt ist, die Vorstel-
lungen, die der Latiner mit Hercules ver-
bindet, ohne weiteres auf den Campaner
Samniten Brettier zu übertragen, vielmehr
wird nur die Differenziirung ein wissen-
schaftlich haltbares Ergebnis liefern*, trifft,
wie gewöhnlich, den Kernpunkt.
0 z. B. CIL VI 210-224. 226 f. 237;
8.111 11, 7).
*) Porph. zu Hör. sat. II 6, 12: undepu-
tant et quod res rt^^tica in tutela 8Ü eitis.
nam Uli sctcrificia reddunt rustici, cum tu-
vencos domaverint. Wenn Commodus einen
Günstling sacerdotio Herculis Rustici prae-
posuit (Hist. aug. Comm. 10, 9), so handelt
es sich wohl um einen kaiserlichen Privat-
ebenso steht auf den pompejanischen Penaten- kult auf seinen Landgütern.
bildem Helbio, Wandgem. nr. 69. 69 ^ Her-
cules neben dem Genius.
') Dass Hercules nicht einen lecttu, son-
dern eine sacra mensa erhfilt, stimmt zum
B) Alle drei CIL VI 294, Hercules und
8ilvanu8 sehr oft, z. B. CIL VI 288. 293.
295—297. 309 f. u. a., vgl. auch den Altar
bei ViscoNTi-GuATTANi, Mus. Chiar. Tf. 21.
B. Di noTenaideB italisoher HerknnfL 41. Hercules.
229
und wie diese nach den einzelnen Grundstücken individualisierende Bei-
namen ffihrt;^) auch das (in den Hemerologien fehlende) Opfer, das nach
Macr. S. in 11, 10 am 21. Dezember dem Hercules und der Ceres gemein-
sam dargebracht wurde, sue praegnate, panibus, mulso, gilt offenbar diesem
ländlichen Hercules. Den Ausgangspunkt für diese Verehrung des Her-
cules als Tutor (CIL X 3799 Herculi Tutori domus Novelliana), Defensor (CIL
VI 210. 308. 333), Conservator (CIL VI 305—307 u. a.), Salutaris (CIL VI
237. 338 f.) u. ähnl. bildet nicht seine Identität mit dem Genius, sondern
die griechische Vorstellung von ^H^axl^g äXs^ixaxog,^) die in der Anwen-
dung auf den Schutz des Privathauses durch den Gott ihren klarsten Aus-
druck findet in der bekannten Thüraufschrift o tov Jiog natg xaXUvixog
^HQaxkrjg iv^dds xaTOMcT, fitjiiv eigiärm xaxov,^) oder in lateinischer Wieder-
gabe (CIL VI 329 = BuECHELEB, Anthol. epigr. nr. 23) Hercules invicte, sande
Silvani nepos, huc advenisti: ne quid hie fiat mali. Damit erklärt sich auch
das häufige Vorkommen des Hercules unter den Penaten, welches die
pompejanischen Bilder^) und zahlreiche kleine Bronze-Statuetten des Gottes
bezeugen, und die hervorragende Rolle, die Hercules als comes et conser-
vator dominorum nostrorum (CIL VI 305) auf Weihinschriften und Münzen
der Kaiserzeit spielt. Wenn sich dagegen die Kaiser selbst, wie nament-
lich Nero, Domitian, Commodus (s. oben S. 83), Maximian als Hercules
feiern lassen,'^) so ist dabei an den unbesieglichen Überwinder aUer Ge-
fahren und Ungeheuer gedacht, wie ihn der griechische Mythos darstellte.^)
Unter den Sagen, in welche die römische Dichtung und Geschicht-
schreibung in Anlehnung an griechische Vorbilder den Hercules verflocht,
ist die von seinem Abenteuer mit Cacus darum wichtig, weil man in ihr
die italische Fassung eines uralten indogermanischen Mythos zu erkennen
geglaubt und darum aus ihr weitgehende Schlüsse auf Alter und Wesen-
heit des italischen Herculeskultes gezogen hat.^) Und doch ist gerade in
dieser Erzählung die Übertragung und aetiologische Umbildung einer grie-
chischen Sage aufs deutlichste zu erkennen. Die zuerst bei Vergilt) auf-
tretende Erzählung vom feuerschnaubenden Volcanussohne Cacus, der dem
0 z. B. Hercules Aelianus CIL IX 1095,
Coceeianus VI 3687, lulianua VI 337 u. a.
>) CIL VI 309 wird der lateinische Text
Herculi defenaori Papirii auf der Rückseite
griechisch mit den Worten wiedergegeben
HQaxXer aXe^ixaxt^ naneiQioi.
*) Eaibel, Epigr. gr. nr. 1138 und dazu
DiLTHET, Epigrammata graeca in mnris picta
duo (Gottingae 1878) p. 3- 10.
«) Vgl. z. B. auch Rom. Mitt. VIII 26.
^) Reiche Materialsammlung bei R. Pstsb
in Roschers Lexik. I 2980 ff.
*) Die im 4. Jhdt. vorkommende priester-
liche Würde eines curialis Herculis (CIL VI
1779, vgl. 1778, Vettius Agorius Praetextatus)
oder ponHfex Herculis et rector decwriae
HercuUae (Bull. arch. com. XX 1892, 57)
ist noch nicht befriedigend erklärt; in der
langen Aafzfihlting sakraler Titel CIL VI 1779
steht sie hinter den Staatspriestertümem
(augur, pontifex Vestcie, pontifex Solis, quin-
decimvir) und vor den Priesterschaften der
Fremdkulte (s. oben S. 87 Anm. 3).
') A. Kuhn, Ztschr. f. deutsch. Altert.
VI 1848, 117 ff. M. Bk&äl, Hercule et Cacus,
Paris 1863. R. Pbter in Roschers Lexik. I
2279 ff. Oldenberg, Religion des Veda S. 144.
Zum folgenden s. Wissowa, Real-Encycl. III
1165 ff. Die etruskische Spiegelzeichnung
mit den Beischriften Cacu, ArtÜe, Caile Vi-
pinaa und Avle Vipinas (Gbbhakd-EObte,
Etrusk. Spiegel V Taf. 127, vgl. S. 166 ff.)
wage ich bei der in der Erklärung dieser
ganzen Denkmftlergattung herrschenden Un-
sicherheit nicht heranzuziehen; vgl. auch
F. MüHZEB, Rhein. Mus. LIII 598 ff.
8)Aen.VIII190ff.; aus ihm Prep. V 9, 1 ff.
Ovid. fast. I 543 ff.; jüngere Fassung bei Liv.
I 7, 3 ff. Dion. Hai. I 39; historisierende Um-
deutung bei Dion. Hai. I 42, 2 f., euhemeristi-
sehe Auffassung bei Serv. Aen. VIII 190 =
Mythogr. Vat.I 66. II 153. [Aur. Vict.] origo 6.
230 Religion and KnltiiB der Römer. IL GOtterlehre.
schlafenden Hercules mit listigem Kniffe einen Teil der Rinder des Geryones
stiehlt und zur Strafe dafttr von dem Gotte nach vergeblicher Gegenwehr
in seiner flöhle am Aventin erschlagen wird, ist mit offenbarer Anlehnung
an die griechischen Sagen von den Abenteuern des Herakles mit Alkyo-
neus und Geryones und vom Rinderdiebstahl des Hermes erfunden und
im einzelnen derartig ausgestattet, dass sie der aetiologischen Erklärung
der römischen Localität und ihrer Heiligtümer dient: durch den Namen
des Forum boarium, die benachbarten Kulte des Hercules Invictus, Jup-
piter Inventor und vielleicht auch des Euander,^) endlich die von der
Gegend der Ära maxima nach dem Palatin hinaufführenden scalae Caciae^)
waren alle Elemente der Dichtung gegeben, deren Ursprung weit über
Yergil hinaufzudatieren wir kein Recht und keine Veranlassung haben.
Zum unmittelbaren Vorbilde hat möglicherweise eine unteritalische Sagen-
version gedient, da die Zeichnung eines capuanischen Bronzegefässes
(Monum. d. Inst. V 25) auf eine campanische Erzählung verwandten In-
haltes von der Bestrafung eines herdenraubenden Unholdes durch Herakles
hinzuweisen scheint;^) aber Cacus ist der Gegner des Hercules sicher erst
in Rom genannt worden, wo eine alte Göttin Caca bezeugt und die ehe-
malige Existenz eines Götterpaares Cacus-Caca sehr wahrscheinlich ist
(s. oben S. 144 f.). Wenn Timaios bei Diod. IV 21 von zwei angesehenen
Bürgern der Palatingemeinde, Kakios und Pinarios, zu erzählen wusste, die
den Herakles gastlich aufnahmen, und der Annalist Gn.Gellius (bei Solin. 1, 8)
den Cacus zu einem Herrscher am Volturnus machte, der, als er das Gebiet
der (palatinischen) Arkader antastete, von Hercules gestürzt wurde, so sind
das selbständige und aller Wahrscheinlichkeit nach ältere aetiologische Ver-
suche, die Cacustreppe in der Nachbarschaft des Herculesbezirks zu erklären,
während die ganz vereinzelte Angabe des Verrius Flaccus,^) dass der Gegner
des Cacus nicht Hercules, sondern ein Hirt Namens Garanus gewesen sei,
dem man wegen seiner ausserordentlichen Körperkraft den Namen Hercules
gegeben habe, nur eine recht nichtsnutzige euhemeristische Umdeutung der
Geschichte vom Kampfe des Hercules und Cacus darstellt. — Das burleske
Märchen von Hercules und Acca Larentina'^) hat mit der Religion nichts zu
thun und geht wahrscheinlich in seinen Grundzügen auf eine unteritalische
Phlyakenposse zurück.^) Die Erzählungen endlich, welche die Abschaffung
der Menschenopfer in Italien und die Einführung der Argeerceremonie mit
der Anwesenheit des Hercules in Rom in Verbindung bringen oder ihn in
die Stammbäume latinischer Königsgeschlechter genealogisch einreihen, be-
ruhen auf dem Bestreben, die älteste römische Geschichte mit der griechi-
schen zu verknüpfen, und lassen die aetiologischen Anhaltspunkte, von
denen sie ausgehen, oft noch deutlich erkennen. 7)
Hennes III 408 f. und zu Pbbllbk, Rom.
Myth. II 283, 4.
*) Macr. S. I 10, 12 flF. Flut. Rom. 5 ;
Qu. Rom. 85. Tertull. ad nat. II 10. August,
c. d. VI 7.
*) Zi£LiNSKi,Quae8tione8Comicae(PeterB*
bürg 1887) p. 113 ff.; s. auch oben S. 188
und WissowA, Real-Encycl. I 131 ff.
7) SoHWEGLEB, Röm. Gesch. I 352—383.
1) Bion. Hai. I 32, 2 EväydQi^ &vaias
dfAtt&oy vno 'P(o/Aaioiy änueXovfjiiyas . . . ngos
. . AvByjiyü) . . . rijg TQidvfAOv nvXijg ov noocto,
«) Solm. 1, 18. Diod. IV 21, 2; vgl. Flut.
Rom. 20. Notit. urb. reg. VIII.
') Vgl. dazu auch C. Robbbt, Hermes
XIX 1884, 480.
*) Serv. Aen. VIII 203 {Garanus). [Aur.
Vict] origo 6, 1. 8, 1 {Becaranus); vgl. Jobdan,
B. Di noTenaideB italisoher Herknnft. 42. Feronia. 231
Schliesslich sei noch der Thatsache Erwähnung gethan, dass Hercules
als interpretatio Romana barbarischer Götter namentlich in den germanischen
und keltischen Provinzen eine hervorragende Rolle spielt, wofür der Grund
einerseits in einer wirklichen oder vermeintlichen Wesensverwandtschaft
dieser nordischen Gottheiten mit ihm zu suchen ist, andererseits, und zwar
in noch höherem Masse, darin, dass der gegen Gelobung der Decuma Ge-
winn und Beute verleihende Gott sowohl beim römischen Kaufmannsstande
wie beim römischen Heere in besonders hohem Ansehen stand und darum,
etwa wie Mars und Mercurius, als nächstliegende Gottheit zur Gleichung
mit den neu entgegentretenden Hauptgöttern der fremden Völker mit
Vorliebe herangezogen wurde , zumal es gerade von dem vielgewanderten
Helden der griechischen Sage sich leicht glaubhaft machen liess, dass er
auf seinen Abenteuerfahrten auch in die entlegenen Länder des Westens
und Nordens gekommen sei und dort seinen Kult begründet habeJ) Wir
finden daher in diesen Ländergebieten nicht nur vielfach epichorische
Gottheiten mit dem Namen des Hercules bezeichnet, wie den Hercules
Saxanus des Brohlthales oder den Hercules Magusanus der Bataver, sondern
die Namen Mars, Hercules, Mercurius bezeichnen geradezu eine germanische
Göttertrias, die nicht nur durch Tacitus (Germ. 9) bezeugt wird, sondern
uns auch in den Weihinschriften der keltisch-germanischen Equites sin-
gulares (s. oben S. 77), vereinzelt auch sonst, entgegentritt.
Litteratur: J. A. Härtung, Ueber den rOmischen Hercoles, Erlangen 1835 und
Religion der Römer II 21 ff. W. Hillen, De Herculis Romani fabula et cultu, Dissert.
Monasterii 1856. A. Rbiffrbbcheid, Annali d. Inst. 1867, 352 ff. R. Peter in Roschers
Lexikon I 2253 ff. und 2901 ff.
42. Feronia. Dass Feronia unter die römischen Staatsgötter gehörte
und einen Tempel im Marsfelde besass, ist erst durch den Festkalender
der Arvalbrüder festgestellt worden, der zum 13. November*) notiert:
Feroniae in [ca]mp(o); dadurch tritt die Nachricht des Livius (XXII 1, 18),
dass im J. 537 = 217 auf sibyllinische Weisung die Frauen freigelassenen
Standes eine Geldsammlung veranstalteten, um der Feronia ein Geschenk
zu machen, erst in die richtige Beleuchtung; denn da sie bei dem Fehlen
jedes andern Hinweises zweifellos auf den römischen Tempel zu beziehen
ist, so gewinnen wir damit einen festen Terminus ante quem für die Re-
zeption der Göttin. Auf die Frage nach der Herkunft des Kultes gibt die
Behauptung Varros (de 1. 1. V 74), Feronia gehöre mit Minerva und den
Novensides zu den von den Sabinern entlehnten Gottheiten, keine Ant-
wort. Inschriftliche Zeugnisse lassen uns die Verbreitung des Feronia-
dienstes im ganzen mittleren Italien mit Ausnahme des eigentlichen La-
tium») erkennen: sie begegnet uns bei den Vestinern (Aveja, CIL IX 3602),
Sabinern,*) Picentem (Orelli-Henzen 6000), ümbrern (CIL I 169) und im
südlichen Etrurien (Nepet, CIL XI 3199); ihre beiden bekanntesten Kult-
») z. B. für Gallien Diod. IV 19, für
Germanien Tac. Germ. 3, f&r Britannien
Parthen. erot. 30 n. b. w.
') Ueber den Tag s. Elüegmakn, Philol.
XXVIII 492 f. MoMMSKN CIL P p. 335.
') FOr Praeneste beweist die Dichtung
Vergils (Aen. VIII 561 £f.)i der den mit drei-
fachem Leben ausgestatteten EOnig Endus
(oder HeriUus) von Praeneste zum Sohne der
Feronia macht, nichts; die Inschrift Orelli
1756 = CIL XIV 284* ist gefluscht. Mit
der ^Qtayitt noXtg in Sardinien bei Ptol. III
3, 4 ist nichts anzufangen, die Kombinationen
von C. MüLLBR z. d. St. sind ganz haltlos.
*) CIL IX 4180. 4321 (Amitemum).
4873—4875 (Trebula Mutuesca).
232
Religion und Kultna der Römer. II. Götterlehre.
statten aber lagen die eine bei Tarracina, die andre bei Capena. Am
erstgenannten Orte befand sich etwas vor der Stadt (Plin. n. h. 11 146.
Tac. bist. Hl 76) ein Hain mit einer Quelle ^) und ein Tempel, m welchem
die Freigelassenen mit geschorenem Haupte den pilleus, das Zeichen der
Freiheit, zu empfangen pflegten, und wo ein Sessel die Inschrift trug: bene
meriti servi sedeant, surgant liberi.*) Weit berühmter noch waren Hain
(lucus Capenatis Cato frg. 30 Peter, vgl. Verg. Aen. VH 697) und Heiligtum
der Feronia im Gebiete von Capena am Fusse des Berges Soracte, wo
sich gegen Ende der Republik ein eignes Gemeinwesen Lucus Feroniae ent-
wickelte.') Seit alter Zeit war dieses an der Grenze zwischen Etruskern,
Latinern und Sabinern gelegene Heiligtum die Stätte eines viel besuchten
Marktes,*) und der Tempel hatte durch reiche Spenden der Anwohner und
Besucher ein grosses Vermögen erworben, welches im J. 543 = 211 Hanni-
bal zur Plünderung veranlasste.^) Es kann bei der nahen Nachbarschaft
und den vielen Beziehungen kaum einem Zweifel unterliegen, dass der
römische Feroniakult ein Abkömmling des capenatischen ist, übertragen
wahrscheinlich bei der Annexion von Capena bald nach dem Falle Vejis.
Über die Bedeutung des Namens und der Göttin selbst war man völlig
im Unklaren: Varro fasste sie, anknüpfend an die Freilassungen im Tempel
von Tarracina, als eine Art Libertas und deutete Feronia = Fidonia (Serv.
Aen. Yin 564), Dionysios von Halikarnass (I 49, 5) weiss zu erzählen, dass
die Sabiner von Spartanern abstammten, die einst an der pomptinischen
Küste gelandet wären und dort das Heiligtum der <PoQ<ovia oder (PtQcovia
ccTio T»;$ nsXayiov qoQtjaewg benannt hätten; andere verdolmetschten den
Namen griechisch als ^Avx^oifoqoq oder (Pikoaräfpavog oder negaetporrj (Dion.
Hai. HI 32, 1) oder deuteten die Göttin als Ortsgenossin des ebenfalls in
Tarracina verehrten jugendlichen Juppiter Anxurus (s. oben S. 109 Anm. 1)
als Inno virgo,^) Die Neueren haben gewöhnlich diese Paarung der
Göttin mit dem Juppiter Anxurus von Tarracina oder dem Apollo Soranus
vom Soracte zur Grundlage ihrer Deutungsversuche genommen:^) aber
wenn hier wirklich mehr vorliegen sollte als ein zufälliges örtliches Zu-
sammentreffen — eine Kultverbindung ist nicht bezeugt — , so würde uns
*) Viridi gaudens Feronia Itico Verg.
Aen. Vll 800 und Serv. z. d. St.; manusqtie
tua latnmuSy Feronia, lympha Hör. sat. 1 5,
24; daher nennt Serv. Aen. VIII 564 die
Feronia eine nympha Campaniae. Vib. Sequ.
p. 153, 10 Riese verzeichnet Feronia Terra-
cinae unter den lacus.
') Serv. Aen. VI II 564 und dazu Bubohb-
LER, Rhein. Mus. XLI 1 f. Vermutungen
über das Kultbild bei De la Blanchebb,
Revue arch^ol. XLI 1881, 370 ff.
») Strab. V 24Ü. Plin. n. h. III 51. Ptol.
III 1, 43 (mit Aovxa xoXtayia verwechselt,
darum falsch eingereiht, s. C. Müller z. d.
St.). Lib. col. p. 256, 19, vgl. Grom. lat.
46, 17. 47, 19 = 77, 20. 78, 14; Lucofero-
nenses CIL XI 3938. VI 2584. Vgl. E. Bor-
XANN CIL XI p. 570 f.
<) Liv. I 30, 5. Dion. Hai. III 32, 1; vgl
Strab. a. a. 0., der fälschlich die dem Kulte
des Apollo Soranus (oben S. 191) angehörende
Ceremonie des Schreitens über glflhende
Kohlen (WisaoWAinRoschers Lexik. I 2693 f.)
dem der Feronia zuweist.
*) Liv. XXVI 11, 8 f. Sü. Ital. XUI 83 ff. ;
Prodigien werden von hier nach Rom ge-
meldet und prokuriert in den Jahren 544=
210 und 558 = 196, Liv. XX VII 4, 14 f. XXXIII
26, 7. lieber Reste des Heiligtums s. Lan-
oiANi, Bull. d. Inst. 1870, 26 ff.
•) Serv. Aen. VII 799; die Inschrift CIL
V 412 lunoni Feroniae ist wohl als Wei-
hung an beide Göttinnen aufzufassen; Obblli
1315 = CIL XI 481'* lunoni Beg{inae) et
Feroniae ist gefälscht.
') A. Kuhn, üerabkunft des Feuers
S. 30 ff. Mankhardt, Ant. Wald- und Feld-
kulte S. 327 ff. Steudino in Roschers Lexik.
I 1477 ff.
B. Di noTensides italiaoher Herkunft. 48. VortimmaB.
233
das nicht, weiter helfen, da die Auffassung der genannten beiden Götter
als Sonnengötter eine ganz willkürliche, für den Gott vom Soracte sogar
nachweisbar falsche ist. Das Bild der Feronia, wie es sich auf den De-
naren des P. Petronius Turpilianus findet,^) ein Kopf mit Zackenkrone und
Perlenhalsband, lehrt nichts. Dass die einzige stadtrömische Weihinschrift
an Feronia (CIL VI 147) von einer ancUla herrührt, passt ja vortrefflich zu
dem, was sonst über die Beziehung der Göttin zu den Freigelassenen be-
kannt ist, aber dafür, dass in Aquileja, wo die Verehrung der Feronia mehr-
fach bezeugt ist (CIL V 776. 8218), ein coUegium aquatorum sich als tero*
nienses bezeichnet (CIL V 8307 f.), fehlt jede ausreichende Erklärung, und
der bei Fest. p. 197, 13 erwähnte picu8 Feronius ist — angenommen, dass
er überhaupt zu der Göttin gehört — vollends rätselhaft.
43. Vortnmnns. Auf dem Aventin lag ein Tempel des Vortumnus,
dessen Stiftungstag die Hemerologien (CIL V p. 325) am 13. August ver-
zeichnen und von dem wir ausserdem wissen, dass in ihm ein Gemälde
den M. Fulvius Flaccus als Triumphator in der Purpurtoga darstellte
(Fest. p. 209), offenbar als den Stifter des Tempels; da nun überliefert ist,
dass der Gott Vortumnus in Volsinii zu Hause war und diese seine Heimat
itUer proelia mit Rom vertauschte (Prep. V 2, 3 f.), M. Fulvius Flaccus
aber im J. 490 = 264 de Vulsinimsihus triumphierte (CIL P p. 172), so ist
damit die Gründungsgeschichte des Tempels gegeben :>) während der im
genannten Jahre gegen die mächtige Etruskerstadt Volsinii geführten
Kämpfe wurde der Hauptgott der Stadt, vielleicht des ganzen etruskischen
Städtebundes, 3) evoziert und erhielt seinen Tempel in Rom. Dass der Gott^
dessen Verehrung wir sonst (aus Rom stammt CIL VI 803) nur vereinzelt
in Canusium (CIL IX 327), Ancona (CIL IX 5892) und Segusio (CIL V 7235)
nachweisen können,^) unabhängig von jener Rezeption schon vorher in
Rom heimisch gewesen sei, wird durch nichts wahrscheinlich gemacht.
Varro freilich (de 1. 1. V 74) rechnete ihn unter die von Titus Tatius ein-
geführten Gottheiten, indem er sich für das hohe Alter des Kultes auf
eine vielfach erwähnte^) Erzstatue des Gottes im Vicus Tuscus berief,
deren Ursprung man aUgemein in die entlegene Vorzeit hinaufrückte :^)
aber wenn man selbst das hohe Alter des Bildes zugäbe, so bewiese
dieses doch durchaus nichts für einen so alten Kult, am wenigsten für
einen Staatskult des Vortumnus; dass das Bild des Gottes von Volsinii
gerade in der Tuskergasse stand, war doch gewiss kein Zufall.^) So oft
*) Babelok, Mono, consol. II 295 £f.; vgl
BoBOHBsi, Oeuvres II 105 £f.
') Vgl. Jobdan, De Vortumni et Consi
aedibus Avenünensibus (Festschr v. Königs-
berg z. Jabil. d. aroh. Instituts), 1879. Aüst,
De aedib. saoris p. 15.
») Deus Etruriae princeps nennt ihn
Varro de 1. 1. V 46. Auch die etruskische
Göttin Voltumna, bei deren fanum im Ge-
biete von Volsinii die Bundesversammlungen
stattfinden (MOllbb-Debckb, Etrusker 1 329 £f.,
vgl. MoxMSBir, Staatsr. III 666 f. Anm. 1), kann
von Vortumnus nicht wohl getrennt werden.
*) CIL X 129 (aus Potentia) Cereri vert
8ac{rum) u. s. w. hat mit Vortumnus gewiss
nichts zu thun.
») Varro de 1. L V 46. Cic. Verr. I 154.
Liv. XLFV 16, 10; ein sacellum nennt fälsch-
lich Porph. zu Hör. epist. I 20, 1, der auch
(wie ebenso Ps. Asoon. z. Cic. Verr. p. 199
Or.) nach Hör. epist. II 1, 269 aus dem vicus
Tuscus einen vicus turariiM macht. Mehr
bei Jobdan, Topogr. I 2 S. 373 f.
•) S. namentlich Prop. V 2, 59 ff.
') An eine tuskische Invasion, welche
den Romulus gegen Titus Tatius unterstützt
hätte, denken Varro de 1. 1. V 46 und Prop.
V 2, 49 ff.
234
Beligion nnd Kultus der Römer, II. Götierlehre.
auch der Statue, deren Wiederherstellung noch zur Zeit des Diocletian
und Maximian die erhaltene Basisinschrift bezeugt, ^) gedacht wird, so
erfahren wir doch nie etwas Genaueres über ihr Aussehen; nur dass der
Gott jugendlich dargestellt war, wird man nach den Andeutungen der
Dichter (z. B. Ovid. met. XIV 684. 766) annehmen dürfen, wahrscheinlich
auch, dass er einen Schurz trug, den man je nach der Jahreszeit mit
verschiedenen Früchten zu füllen pflegte.') Doch gab das für Deutungs-
versuche eine zu unsichere Basis, und man zog es daher vor, sich an den
Namen und dessen unbezweifelbaren Zusammenhang mit vertere zu halten,
sei es dass man — der Wahrheit gewiss am nächsten kommend — den
Gott als den Vertreter des annus vertens auffasste,^) sei es dass man ihn
(ib amne verso erklärte, weil er die Gewässer des regelmässig austretenden
Tiberstromes vom Velabrum, wo sein Bild stand, zurückgewendet habe,^)
oder auch, da der Vicus Tuscus eine Gegend reichen Handelsbetriebes
war, als praeses vertendarum verum hoc est emendarum ac vendendarum
deutete,^) oder endlich, und dies am liebsten, ihm die Fähigkeit zuschrieb,
sich in alle möglichen Gestalten zu verwandeln;^) in diesem Sinne machte
ihn Ovid (met. XIV 623 ff.) zum Liebhaber der spröden Pomona, der er in
allen Erscheinungsformen nachgeht, bis er sie in seiner natürlichen Gestalt
als schöner Jüngling gewinnt.
Eine spezielle Landsmännin von Vortumnus ist Nortia, die aus-
schliesslich in Volsinii verehrt wurde ^) und in den römischen Staatskult
keine Aufnahme fand, weshalb ihrer hier nur anhangsweise gedacht wird.
Bekannt ist von ihr durch das Zeugnis des Antiquars Cincius (bei Liv.
Vn 3, 7) aUein die Thatsache, dass in ihrem Tempel zum Zwecke der
Jahreszählung Nägel eingeschlagen wurden: da die Nageleinschlagung
zugleich ein sehr geläufiges Symbol der Schicksalsfestigung ist,®) so hat
man die Göttin in alter und neuer Zeit gewöhnlich als eine Schicksals-
göttin verstanden.®)
44r. Venus. Dass der Name Venus im alten Festkalender und über-
haupt in den ältesten sacralen Urkunden fehlte, fiel bereits den römischen
Gelehrten auf und wurde von ihnen als Beweisgrund allen denen gegen-
>) CIL VI 804 ; vgl. auch VI 9393 faber
arg, [ad Vö]rtumnum,
'^) Prop. V 2, 11 flF.; vgl. A. Rbipfbb-
scHBiD, Anoali d. Inst. 1866, 212 f. Benn-
DOBF-ScHOBNB, Lateran. Museum S. 52. Hbl-
BIO, Bull. d. Inst. 1877, 55; verfehlt L. A.
MiLAHi, Notiz, d. Scavi 1884, 270 ff.
») Prop. V 2, 11 ff.
*) Prop. V 2, 9 f. Ovid. fast. VI 409 f.
Öerv. Aen. VIII 90.
*) Porph. zu Hör. epist. I 20, 1. Ps.
Ascon. zu Gic. Verr. p. 199, angedeutet schon
von Plaut. Cure. 484 (vgl. dazu Jobdan,
Hermes XV 1880, 123); Colum. X 308 mer-
cibu8 et vemis dives Vertumnus ainmdet
scheint diese Deutung mit der als Jahres-
und Frühlingsgott zu kombinieren.
•) Tib. IV 2, 3. Prop. V 2, 19 ff. Ovid.
jnet. XIV 643 ff.; fast. VI 409; auch Hör.
sat. n 7, 14 geht daitiuf.
'') Als Spezialgottheit von Volsinii er-
wähnt sie Tertull. apolog. 24; ad nat. II 8,
als Beschützerin des aus Volsinii stammen-
den Sejan Juven. 10, 74; ebendort ist der
Dichter Rufius Festus Avienns zu Hanse
{Jiare cretus VulsinieThsi)^ von dem wir ein
Weihgedicht an Nortia besitzen, CIL VI 537 =
BuBCHBLBB, Authol. opigr. nr. 1530 A. Weih-
inschriften an sie aus Volsinii CIL XI 2685 f.
«) Hör. c. I 35, 18. ÜI 24, 5 m. d. Erkl.
0. Jahk, Ber. d. sftchs. Gesellsch. d. Wiss.
1855, 106 ff. R. WünscH, Defixionum tabellae
Atticae (1897) p. III.
») Schol. Juv. 10, 74 Fartunam vtUt
intellegi, Mart. Cap. I 88 alü Sortem asse^
runt Nemesimque nonnulli Tychenque quam
plures aut Nortiam; vgl. Mt^LLBR-DsBCKB,
Etrusker II 52 f.
B. Di noTensideB italisoher Herkunft. 44. Venus. 235
über zur Geltung gebracht, die den Namen des Monats Aprilis von Venus-
Aphrodite herleiteten.^) Auf der andern Seite aber beweist der echt
italische Name, dass schon vor der Rezeption des griechischen Aphrodite-
dienstes unter diesem Namen eine einheimische Göttin in Rom Verehrung
gefunden hatte: dieser Name bezeichnete, wie es scheint, entsprechend
dem griechichen x^Q^^^ zunächst appellativisch den Reiz und die Blüte in
der Natur, dann die in diesen waltende Göttin, die sich dem praktischen
Sinne des Römers zu einer Schützerin der Gärten und des Gemüsebaues
spezifizierte;^) als dann das Appellativum sich zur Bezeichnung der An-
mut und Schönheit im allgemeinen erweiterte, hat zwar die italische Göttin,
soviel wir sehen können, diese Wandlung nicht mitgemacht, aber der
Name war geeignet geworden, die griechische Liebes- und Schönheits-
göttin Aphrodite in Rom einzuführen und vorzustellen. Da uns nun be-
kannt ist, dass sich in nächster Nähe von Rom zwei alte und angesehene
Venusheiligtümer befanden, das eine unmittelbar bei Ardea gelegen, das
andere, allen (oder mehreren?) latinischen Gemeinden gemeinsame, aber
ebenfalls unter der Vorstandschaft der Ardeaten stehende bei Lavinium,^)
und dass im J. 537 = 217 auf Grund schwerer Prodigien die Decemviri
sacris faciundis u. a. auch in Ardea, d. h. eben der dortigen Venus, opfern
(Liv. yyn 1, 19), wie man das bei den Mutterheiligtümem römischer
Kulte zu thun pflegte, so spricht alles dafür, dass der römische Venuskult
eben von dem ardeatischen herstammt. Die beiden ältesten nachweisbaren
Heiligtümer der Göttin in Rom, von denen das eine im Haine der Libitina,
das andere beim Gircus maximus gelegen war, feierten ihren Stiftungstag
am gleichen Datum, dem 19. August, am Tage der Vinalia rustica (Fest,
p. 265): das Alter des ersteren Tempels, dessen Lage mit dazu beitrug,
die Identifikation von Libitina und Venus zu empfehlen (s. oben S. 197),
kennen wir nicht, der zweite war im J. 459 = 295 von dem curulischen
Aedilen Q. Fabius Gurges begonnen und etwas später geweiht worden.^)
Die Ansetzung beider Stiftungstage auf die Vinalia rustica, welche zur
Folge hatte, dass dieses Juppiterfest später gemeinhin vielmehr als eine
Feier der Venus angesehen wurde, ^) gründet sich darauf, dass die italische
Venus insbesondere Gartengöttin und Schirmherrin der holUores ist, die
den 19. August als ihren Festtag begehen (Varro de 1. 1. VI 20): es lag
darum nicht fern, sie auch zum Weinbau, der ja als Teil des Garten-
baues gerechnet wird, in Beziehung zu setzen. Diese ursprüngliche Be-
deutung ist zwar späterhin keineswegs ganz vergessen worden,^) aber sie
') Cincms und Varro bei Macr. S. I 12, *) Liv. X 31, 9. Fast. Vau. z. 19. Aug.:
12 f. Varro de 1. 1. VI 33. i Veneri ctd circum mcuvimum; die Bezeich -
') Varro de 1. 1. VI 20; de r. r. I 1, 6. 1 nung dieser Venus als Venus Obsequens (vgl.
Fest. p. 265, vgl. 289. Fun. n. h. XIX 50; 1 die nicht verdachtfreie tiburtinische Inschrift
metonymisch Fenu« = ^{«ra Naev. com. frg. CIL XIV 3569) bei Serv. Aen. I 720 ist
121 Ribb. bei Paul. p. 58 (s. oben S. 9). willkürlich.
») Strab. V 232: Aaoviyioy ^x^y xotvoV ») Varro de 1. I. VI 20; de r. r. 1 1, 6;
jtay Aariytay Uqoy 'JfpQodirtjs * inifjieXovyTtt^ ganz analog ist das Verhältnis zwischen dem
di avTov dui nganoXcjy ^AQdBaxai. Btra Aav- Marsfeste der Quinquatrus und dem auf den-
QByjoy. wiiqxBixa^ di rovttay ij *A^äa . . . selben Tag fallenden Stiftungstage der Mi-
Ion da xai ravtfjg nXrjüloy *Aq)Qodiciovy ov nerva auf dem Aventin, s. oben S. 203.
riaytjyv^lCova$y Aariyoi; vgl. Pomp. Mela ! •) CIL IV 2776 sie te amat quae custo-
l\ 71. Plin. n. h. III 56 f. du oriu{m) Venus; vgl. auch die inschrift-
236
Religion und KnltiiB der Römer. II. Götierlehre.
ist doch stark in den Hintergrund getreten, als die griechische Aphrodite
in Rom Aufnahme fand und sich den Namen Venus aneignete, ebenso wie
sie bei den Oskem Unteritaliens mit der dort heimischen Herentas^) und
anderswo mit einer sonst verschollenen Göttin Frutis') gleichgesetzt
wurde. Den Ausgangspunkt für diesen griechischen Gottesdienst bildete
das auch ausserhalb der Grenzen Siciliens in ganz Unteritalien ^) weitbe-
rühmte und hochangesehene Aphroditeheiligtum des Berges Eryx,^) das
die Römer noch später als die Mutterstätte ihres Yenuskultes durch Opfer
und staatliche Fürsorge auszeichneten.^) Die römischen Heere mögen
während des ersten punischen Krieges mit diesem Heiligtume und seiner
Bedeutung näher bekannt geworden sein, und als Tochterkult (oupdQVfia
Strab. VI 272) erwuchs dann seit der Zeit des hannibalischen Krieges in
Rom der Kult der Venus Erucina: der erste Tempel dieser Göttin, auf
dem Capitol gelegen, wurde auf Veranlassung der sibyllinischen Bücher
im J. 537 = 217 vom Dictator Q. Fabius Maximus gelobt und zwei Jahre
später eingeweiht,^) ein noch bedeutenderer Tempel vor der Porta Gollina
wurde im J. 573 = 181 auf Grund eines drei Jahre vorher im ligurischen
Kriege vom Consul L. Porcius gethanen Gelöbnisses erbaut:^) der Stiftungs-
tag war der 23. April, der Tag der Vinalia priora,®) was der falschen An-
sicht, dass die Vinalia nicht dem Juppiter, sondern der Venus zugehörten,^)
weitere Stützen zu geben schien. Einen dritten Tempel erhielt die grie-
chische Aphrodite als ^Anoa%QOipia,^^) ebenfalls auf Geheiss der sibyllini-
schen Orakel, unter dem Namen Venus Verticordia im J. 640 = 114 zur
Sühne für den Incest dreier Vestalinnen und ein damit zusammenhängendes
Prodigium;^^) die Lage des Heiligtumes ist unbekannt,^^) der Stiftungstag
lieh mehrfach bezeugte Venus hortorum
Sallustianorum, Lanoiani, Bull. arch. com.
XVI 1888, 8 ff. und dazu Hülsen, Rom. Mitth.
IV 270 ff.
*) Herentatei herukinai = Veneri Em-
c.nae steht auf einer Tischplatte aus Her-
calaneum, Zybtaieff, Syll. inscr. Ose. nr. 60^;
sonst 8. aber Herentas Wissowa in Roschers
Lexik. I 2298.
*) Venus mater quae IBVutis dicitur
nennt Cassius Hemina bei Solin. 2, 14 die
Göttin, welcher Aeneas in agro Laurenti
das aus Sicilien mitgebrachte Aphroditebild
weiht; vgl. Paul. p. 90 Frutinal templum
Veneris i^uti, Jordan zu Prblleb, Rom.
Mythol. I 436, 4.
*) Venus Eiucina (Erycina) ausser in
Sicüien (CIL X 7121. 7253-7255. 7257) in
Potentia (CIL X 134) und Puteoli (X 8042, 1).
*) Vgl. K. Tümpel bei Pault- Wissowa,
Real-Encycl. I 2765.
*) Diod. IV 83. Tac. Ann. IV 43. Suet.
Claud. 25.
•) Liv. XXII 9, 7 ff. 10, 10. XXUI 30,
13 ff. 31,9; eine Venus Capüolina erwfihnt
Suet. Galig. 7; Galba 18. Der Stiftungstag
ist nicht überliefert; sollte sich die Notiz der
Hemerologien (CIL 1« p. 331) zum 9. Oktober
Genio ptiblic{o), faustae FelicUati, Venerii)
victr{ici) in Capüol(io) auf diesen Tempel
beziehen, so mflssten Name und Bedeutung
der Göttin im Laufe der Zeit eine wesent-
liche Aenderung erfahren haben.
') Liv. XL 34, 4; erwähnt auch Liv.
XXX 38, 10. App. b. c. I 93. Strab. VI 272.
Ovid. rem. am. 549, wahrscheinlich auch
CIL VI 2274. Lanciani (s. oben S. 235 Anm. 6)
hält den Tempel für identisch mit dem der
Venus hortorum Sallustianorum, deren aedi-
tui mehrfach erwähnt werden.
•) CIL P p. 316; Ovid. fast. IV 863 ff.
wirft sowohl die Vinalia rustica und priora
als auch die beiden Tempel der Venus Eru-
cina auf dem Capitol und vor der Porta
CoUina durcheinander.
») Ovid. a. a. 0. 877. Plut. Qu. Rom. 45 ;
Polemik dagegen bei Varro de 1. 1. VI 20.
^^) d. h. die vor leidenschaftlichen Ver-
irrungen bewahrende, s. Pbeller-Robbbt, Gr.
Myth. I 368.
") Ovid. fast. IV 133 ff. Obseq. 37 (vgl.
Gros. V 15, 22); um etwa 100 Jahre früher
liegt die Weihung eines Bildes der Venus
Verticordia durch Sulpicia, die Gattin des Q.
Fulvius Flaccus, von der Val. Max. VIII 15, 12.
Plin. n. h. VII 120= Solin. 1, 126 erzählen.
") Wenn Serv. Aen. VIII 636 von einem
fanum Veneris Verticordiae im Circusthale
B. Di noTenBldes Italisoher Herknnft. 44. Veniui.
237
war der 1. April, der von den Matronen als Festtag begangen wurde und
noch im Kalender des Philocalus den Namen Veneralia führt. ^) Wissen wir
auch von den Einzelheiten der Kultübung in diesen Heiligtümern nichts,
so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass ebenso wie die Kultbilder^)
auch sämtliche dem Gottesdienste zu Grunde liegenden Vorstellungen grie-
chische waren: der Kult der Erucina muss in seinen Formen ausschwei-
fender gewesen sein, als der der Yerticordia, bei welchem die Beteiligung
der Matronen und die Beziehung des Dienstes auf die Erhaltung der Sitt-
samkeit stets hervorgehoben wird, während der Stiftungstag des Tempels
vor Porta CoUina geradezu als Festtag der meretrices galt.') Der gleiche
Name deckte also offenbar recht verschiedenartige Vorstellungen, und diese
Mannigfaltigkeit wurde eine noch grössere, als im letzten Jahrhundert des
Freistaates die Verehrung der Venus in verschiedenen Richtungen durch
die damaligen Machthaber besondere Förderung erfuhr. Sulla, der sich
für einen besonderen Liebling der Aphrodite hielt und seinen Beinamen
Felix griechisch durch ^EnatfQodiiog wiedergab (Flut, de fort. Rom. 4), ver-
ehrte die Venus insbesondere als Glücksgöttin unter dem Namen Venus
Felix, und ihr mit den Attributen der Fortuna und der Felicitas, dem
Steuerruder und dem ramua felicis olivae ausgestattetes Bild kennen wir
aus zahlreichen Darstellungen der Venus Pompeiana,^) d. h. der Stadtgöttin
der suUanischen Kolonie {colonia Veneria Cornelia) Pompeji:**) das ist sicher
nicht, wie vielfach geglaubt worden ist, eine in Campanien heimische^)
Göttin weiblicher Fruchtbarkeit (vgl. oben S.214 Anm. 10), sondern eine erst
durch Sulla eingeführte^) Vermengung der Vorstellungen von Venus- Aphro-
dite und Felicitas, die auch später noch darin zum Ausdrucke kommt, dass
sowohl mit der auf dem Gapitol verehrten Venus (s. oben S. 286 Anm. 6)
als mit der Venus Victr ix, welcher Gn. Pompejus auf der Höhe des von
ihm erbauten Theaters einen am 12. August des J. 699 = 55 eingeweihten
Tempel errichtete,®) Felicitas als avvvaoq verbunden ist (s. oben S. 215).
Diese neue Gestalt der Venus als einer siegverleihenden Göttin, die wahr-
scheinlich in der pergamenischen Uq>Qoi(Tt] vixr^tpoQog^) ihr Vorbild hat.
spricht, so meint er, wie der Zusammenhang
zeigt, damit die Kapelle der Morcia (s. oben
S. 194 Anm. 8), die er willkflrlich als Venus
Yerticordia deutet.
») CIL P p. 814. Ovid. a. a. 0. Lyd. de
mens. IV 45. Macr. S. 1 12, 15. Flut. Num. 19.
') WissowA, De Veneris simulacris Ro-
manis p. 10 ff.; auf das Eultbild des Tem-
pels an der Porta Collina bezieht E. Pbtkbsen,
Itdm. Mitt. VJI 77 ff. sehr ansprechend
einen Marmorthron und Kopf aus Villa Lu-
dovisi.
') Fast. Praen. z. 25. April: festus est
pt^erorum lenocintorum, quia proximus su-
perior meretricum est. Ovid. fast. IV 865 f. ;
vgl. auch den Titel von Varros Satura Me-
nippea VincUia negi dg>Qodioltav.
*) CIL IV 26. 538. 1520. 2457.
^) Nachgewiesen von Wissowa a. a. 0.
p. 15 ff.
*) Campanien und überhaupt ganz Unter-
italien sind reich an Venuskulten, von denen
die Venus fisica von Pompeji (CIL IV 520.
X 928; vgl. oben S. 198) und die Venus
lovia von Capua (CIL X 3776. Eph. epigr.
VIII 460) hervorzuheben sind. Ueber ge-
meinsamen Kult von Venus und Ce»es s.
unten § 46.
^) Die inschriftlichen Zeugnisse sind
jedenfalls sftmtlich jfinger: CIL VI 781. 782.
8710 {aedüuus Veneris felicis). IX 3429
(sctcerdos Veneris felicis in Peltuinum). X
4570; nicht hierher gehörig CIL VI 756. XIV
2793.
«) Tertull. de spect. 10. Plin. n. h. VIII
20 und mehr bei Gilbert, Topogr. d. Stadt
Rom III 823, 2. CIL P p. 824 (fast Amit.
AUif.): Veneri victricif Hon{ori) Virt{uti),
Felicitati in theatro marmoreo.
•) Liv. XXXII 33 f. = Polyb. XVII 2;
vgl. Pbrllbb-Robbbt, Griech. Mythol. I 347,
5. 350, 3.
238
Religion und Knltas der Römer. II. Götterlehre.
hat weiterhin viel Anklang gefunden, sie wird namentlich in den mili-
tärisch besetzten Grenzprovinzen ^) häufig verehrt, völlig im gleichen Sinne
wie Victoria,*) die auf Denkmälern auch nicht selten neben Venus er-
scheint. 8) In der nächsten Zeit werden allerdings Venus Felix wie Venus
Victrix völlig in den Schatten gestellt durch die caesarische Venus Geni-
trix. Im Gefolge des erycinischen Venusdienstes hatte die Aeneassage
und weiterhin die Legende vom troischen Ursprünge Roms Verbreitung
gefunden, und manche Familien, die sich troischer Abstammung rühmten,
wie die Julier und Memmier, setzten das Bild der erycinischen Venus auf
ihre Münzen.^) Caesar selbst hatte vor der Schlacht bei Pharsalos für
den Fall des Sieges der Venus Victrix einen Tempel gelobt (App. b. c. 11
68 f.); als aber dies Gelübde zur Erfüllung kam, weihte er den Tempel,
der den Mittelpunkt des von ihm angelegten Forum Julium bildete,^) nicht
der Venus Victrix, sondern der Venus Genitrix, d. h. der Stammmutter
der Aeneaden, zu denen das julische Geschlecht sich rechnete: die den
Griechen entlehnte Verbindung von Mars und Venus, die schon beim
Lectistemium von 537 = 217 übernommen worden war (s. oben S. 55),
erhielt nunmehr eine neue Bedeutung, indem Mars als Vater des Stadt-
gründers Romulus und Venus als Stammmutter der herrschenden Dynastie
zu einem göttlichen Eltempaare des neuen Staates verbunden wurden,')
das nicht nur in dem genannten Tempel, sondern auch in dem von Augustus
erbauten Tempel des Mars Ultor^) und im Pantheon (Cass. Dio LIII 27)
gemeinsame Verehrung genoss. Die am 26. September 708 = 46 erfolgte
Einweihung des Tempels der Venus Genitrix feierte Caesar durch Spiele
(Cass. Dio XLIII 22), deren dauernde Fortführung noch bei seinen Leb-
zeiten ein Collegium und nachher, als dieses seine Pflichten vernachlässigte,
an dessen Stelle Augustus übernahm:^) dies sind die in den Kalendern
der augusteischen Zeit vom 20.— 30. Juli verzeichneten ludi Vidoriae Cae-
saris,^) die jedoch das Ende der julisch-claudischen Dynastie kaum über-
lebt haben werden; denn die ganz persönliche Beziehung der Venus Geni-
trix zum julischen Hause brachte es naturgemäss mit sich, dass sie einen
Kult in weiteren Kreisen nicht wohl finden konnte.^'^) Immerhin aber
mag die durch Caesar herbeigeführte enge Verbindung des Venuskultes
*) z. B. in den Donaalfindern CIL III
864 = 7663. 1115. 1797. 1964 f. 2770. 2805.
3l6a 4152. 4167.
«) Insbesondere vgl. CIL III 2770 Ve-
neri victrici Parthicae im Sinne von Vic-
toriae Parthicae (s. oben S. 129) und Momm-
SKN z. d. Inschr. nnd CIL l* p. 328. Varro de
1. 1. V 62.
•) WissowA a. a. 0. p. 39.
*) WissowA a. a. 0. p. 13 f. F. Mabx,
Bonner Studien R. Kekol^ gewidmet S. 115 ff.
*) Die Zeugnisse bei Jobdan, Topogr.
1 2 S. 439 f. ; Aber das von Arkesilaos ange-
fertigte Kultbild WissowA a. a. 0. p. 25 ff.
L. Ublichs, Arkesilaos (WOrzburg 1887) S.
9 ff.
^) Darum wird nach dem Festkalender
von Cumae (CIL X 8375) der Geburtstag
Caesars (12. Juli) durch eine supplicatio an
Mars Ultor und Venus Genitrix gefeiert.
^) Reiffebschbid, Annali d. Inst. 1863,
368 f. WissowA a. a. 0. p. 43 f. ; s. auch oben
S. 133.
•) Cass. Dio XLV 6. Suet. Aug. 10; pro
collegio Obseq. 68, vgl. Plin. n. h. II 93;
im J. 722 = 32 nennt Cass. Dio XLIX 42
die Consuln als Spielgeber.
*) Ueber die Verschiedenheit des Namens
und Datums s. Momksen, CIL I* p. 322 f.
Eine Nachahmung sind die ludi Veneris in
der Colonia Julia Genetiva(MoxMSEK, Ephem.
epigr. III p. 102).
'^) Die wenigen inschriftlichen Erwäh-
nungen der Venus Genitrix (CIL II 3270. IX
1553. 2199. XIV 2903) lassen keine sichere
Beziehung auf die julische Göttin zu.
C. Di noTensides griechisoher Herkunft. 46. Apollo. 239
mit dem Gedanken an die Dynastie und den Staat für Hadrian den Anlass
geboten haben, in seinem grossartigen templum ürbis, dessen Stiftungstag
auf den natalis urbis Romae, d. h. den 21. April, fiel (s. oben S. 166), zur
Stadtgöttin Roma gerade die Venus zu gesellen.^)
Dritter Abschnitt.
Di novensides griechischer Herkunft.
45. Apollo. Unter allen in Rom rezipierten griechischen Kulten
steht der des Apollo sowohl nach der Zeit seiner Aufnahme wie durch
seine Bedeutung obenan. Dass die ,Religion des Numa' den Apollo nicht
kannte, bedürfte für uns keines ausdrücklichen Zeugnisses ;>) die Rezeption
muss aber bereit« am Ende der Königszeit erfolgt sein. Einen festen
Terminus ante quem dafür gibt die erste sicher bezeugte Befragung der
sibyllinischen Bücher im J. 258 = 496, die zur Aufnahme des Kultes von
Demeter, Dionysos und Köre führte: 3) denn da die Sibylle und ihre Sprüche
in unlösbarer Verbindung mit dem Dienste des Apollo stehen^) und der
Römer selbst die sibyllinischen Orakel als die fatorum praediäiones ApoU
linis (Cic. de bar. resp. 18 = Yal. Max. 11,1) auffasste, so kann kein Zweifel
daran bestehen, dass Apollokult und Sibyllensprüche gleichzeitig ihren
Einzug in Rom hielten, während die übrigen griechischen Gottesdienste
erst auf Grand sibyllinischer Weissagungen, also gewissermassen im Ge-
folge des Apollokultes, Aufnahme fanden. Damit ist auch die Frage nach
der Herkunft der römischen Apolloreligion entschieden, denn an dem von
den Alten allerwege bezeugten cumanischen Ursprünge der römischen
Sibyllenorakel kann nicht gerüttelt werden:^) dass der römische Apollo
ein Abkömmling des Burggottes von Gumae^) war, hat der römische Staat
selbst dadurch anerkannt; dass er bei bestimmten Anlässen durch die Staats-
priester — wahrscheinlich die Decemviri sacris faciundis — im cumani-
schen Apollotempel opfern und Geschenke aufstellen liess.^) Von Cumae
scheint überhaupt der nicht nur in Campanien und Unteritalien, sondern
auch in Latium und bis nach Umbrien hinein schon in früher Zeit nach-
weisbare ApoUokult^) durchweg seinen Ausgang genommen zu haben.
Über Zeit und Anlass seiner Einführung in Rom fehlen alle Nachrichten;
aber es lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass ebenso, wie zur Rezep-
tion der griechischen Demeter eine Hungersnot den Anstoss gab (s. § 46),
>) S. Gilbert, Topogr. III 186, 1 und
unten § 55.
') Amob. II 73: doctorum in litteris can-
tinetur ÄpoUinis namen Pompiliana indi-
ffitamenta nescire.
s) Dion. Hai. VI 17; s. unten §46.
^) Zeugnisse bei Marquabdt, Staats-
verw. III 359.
^) SoHWEOLEB, Rom. Gesch. I 802; ygl.
vgl. die cumanische Inschrift CIL X 3688
und das collegium ApoUinarium ebd. 3684.
7) August, c. d. III 11. Obseq. 28 [87]
zum J. 624 = 130.
*) Nachweise gibt Wbrnicke bei Pauly-
WissowA, Real-Encycl. II 77—79. Wichtig
ist besonders, dass unter den archaischen
Weihinschriften von Pisaurum Apollo sich
als einziger fremder Gott findet (CIL I 167)
DiELS, Sibyll. Blätter S. 80 f. Rbitzerstein, ' und dass er in Praeneste mit der Stadtgöttin
Ined. poet. graec. fragm. II 10 f. Fortuna Primigenia und Juppiter Arcanus in
•) Serv. Aen. VI 9. Liv. XLIIl 13, 4; Verbindung steht (CIL XIV 2852, vgl 2867).
240
Religion und Kultus der Römer. II« Götterlehre.
die Aufnahme Apollos unter dem Drucke einer schweren Seuche erfolgt
ist. Denn Apollo ist während der älteren Zeit in Rom stets in erster
Linie Heilgott gewesen und in dieser Eigenschaft erst später hinter Aescu-
lapius zurückgetreten: darum fand er mit der Indigitationsformel Apollo
medice, Apollo Paean selbst in den Gebeten der Yestalinnen seine Stelle
(Macr. S. I 17, 15), ApoUo medicus heisst er offiziell in dem sogleich zu
erwähnenden Tempel, der in Zeiten schwerer Pestilenz pro valetudine populi
gelobt wurde (Liv. IV 25, 3. XL 51, 6), als salutaris et medicinalis wurde
er von Hilfesuchenden verehrt (CIL VI 39), und heilkräftige Quellen galten,
wie sonst in Italien,^) so auch in Rom als seinem Schutze unterstellt.^)
Seine älteste Eultstätte in Rom, das Apollinar, lag — selbstverständlich
ausserhalb des Pomeriums — auf den prata Flaminia vor der Porta Car-
men talis: 3) an Stelle dieses fanum wurde ein wirklicher Tempel erst bei
Gelegenheit der Pest des J. 321 = 433 gelobt und 323 = 431 durch den
Consul Cn. Julius eingeweiht (Liv. IV 25, 3. 29, 7); er lag zwischen dem
Forum holitorium und dem Circus Flaminius und blieb nach dem be-
stimmten Zeugnisse des Asconius (p. 81 K.-S.) bis auf Augustus der ein-
zige Apollotempel in Rom, so dass sich mehrere Zeugnisse, die scheinbar
von Neugründungen apollinischer Heiligtümer sprechen, nur auf Wieder-
herstellungen dieses Tempels beziehen können.^) Sein Stiftungstag wurde
in augusteischer Zeit am 23. September begangen (Fast. Arval.), und der
Gottesdienst galt neben Apollo auch der Latona und Diana, ^) wie sich
insbesondere bei der Einführung des neuen griechischen Ritus der Lecti-
sternien im J. 355 = 399 zeigt, wo diese Göttertrias die Reihe eröffnet
(Liv. V 13, 6. Dion. Hai. XII 9). Wie hier steht dieser Tempel auch sonst
bei allen Kulthandlungen griechischer Herkunft im Vordergrunde: die
Supplikationen nehmen von ihm ihren Ausgang (Liv. XXVII 37, 11), und
die Leiter des gesamten graecus ritus, die Decemviri sacris faciundis, werden
von Livius (X 8, 2) als antistites ApoUinaris sacri bezeichnet. Einen be-
sonderen Aufschwung nahm wie alle griechischen Gottesdienste vor allem
auch der Apollokult seit der Zeit des zweiten punischen Krieges: im
J. 542 = 212 wurde durch die Orakel des Sehers Marcius unter Zustim-
mung der sibyllinischen Bücher die Einsetzung von ludi ApoUinares an-
geordnet, victoriae, non valetudinis ergo, wie Livius,^) polemisierend gegen
eine abweichende, vielleicht richtige Ansicht, betont; nachdem diese Spiele
vier Jahre lang zwar alljährlich, aber als ludi votivi an nicht fest be-
M vgl. z. B. die Inschriften der aqtiae
nüroaes von Ischia CIL X 6786 ff. und der
Bftder von Vicarello CIL XJ 3285 ff.
') Frontin. de aqu. 1 4: (fontes) salubrita-
tem aegris corporibua afferre creduntur,
sicut Camenarum et Apoüinis et luturncie,
') Liv. III 63, 7. Ueber ein angebliches
zweites Apollinar auf dem Quirinal (also
intrapomerial!), das K. 0. Müller in die Ar-
geerurkonde bei Yarro de 1. 1. V 52 hinein-
emendieri hat, vgl. Stüdemund, Philologns
XLVIII 174. DiKLS, Sibyll. Blätter S. 82, 1.
AusT, De aedib. sacris p. 50, 1.
*) NamenÜich Liv. VII 20, 9 (zum J.
401 = 353) et aedea Äpoüini dediccUa est
und das templum Apoüinis Sosiani (C. Sosius
Cos. 722 = 32) bei Plin. n. h. XXXVl 28
(vgl. XIII 53); s. auch C. Pascal, Bull. arch.
com. XXI 1893, 46 ff. = Studii di antichita
e mitologia (1896) p. 3 ff.
') ApoUini Laton{ae) ad tfieatr{um)
Marc{elli) fast. ürb. CIL I« p. 252; Altar
aller drei Gottheiten CIL VI 32.
•) Liv. XXV 12, 15; vgl. auch Macr. S.
I 17, 25. 27.
C. Di noTensideB grieohischer Herkanft. 46. Apollo.
241
stimmten, sondern wechselnden Tagen gefeiert worden waren, wurden sie
im J. 546 == 208 auf Veranlassung einer Seuche unter die ständigen Spiele
des Jahres aufgenommen und auf den 13. Juli^) festgesetzt, von wo sie
sich allmälig auf die ganze Zeit vom 6. — 13. Juli ausdehnten.') Als erstes
ständiges Jahres-Spielfest einer Gottheit des graecus ritus unterstanden
sie, abweichend von den Ludi Romani und Plebei, der Leitung des Praetor
urbanus^) und unterschieden sich auch sonst von den altrömischen Spielen,
namentlich durch starkes Hervortreten der scenischen Vorführungen: es
hängt damit zusammen, dass in Rom und Italien die Schauspielergesell-
schaften sich als parasüi Apollinis unter den besonderen Schutz dieses
Gottes stellen.^)
Eine Angleichung des griechischen Apollon an irgend eine Gestalt
des heimischen Götterkreises hat im älteren römischen Kulte nicht statt-
gefunden, wie sich schon daraus ergibt, dass der griechische Name un-
verändert beibehalten wurde. ^) Als es später galt, für den altrömischen
ünterweltsgott Vejovis (s. oben S. 190 f.) ein Tempelbild zu schaffen, wählte
man dafür den Typus eines jugendlichen, mit Pfeil und Bogen bewehrten
Apollo, wie ihn die griechische Kunst als Todesgott bildete: für die Gleich-
setzung beider Gottheiten mag auch der Umstand leitend gewesen sein,
dass dem Vejovis die Ziege heilig war, die wie im griechischen so auch
im römischen Gottesdienste dem Apollo geopfert zu werden pflegte.^) Auf
die Auffassung des Apollo hat die Gleichsetzung mit Vejovis ebensowenig
einen bestimmenden Einfluss ausgeübt wie die Thatsache, dass man auch
den Semo Sancus Dius Fidius unter seinem Bilde darstellte (s. oben S. 121);
wohl aber scheint das besonders intime Verhältnis, in welchem die Gens
Julia zu Apollo stand (Serv. Aen. X 316), darin seinen Grund zu haben,
dass sie den Dienst des Vejovis als Familienkult pflegte (CIL XIV 2387)
und von ihm ihre Verehrung auf den vermeintlich mit Vejovis identischen
Apollo übertrug. 7) Dieser Umstand gewann besondere Bedeutung dadurch,
dass Augustus, der manchen als ein Sohn des Apollo galt und sogar
gelegentlich die Attribute des Gottes anlegte und in seiner Gestalt ab-
gebildet wurde,®) in den Mittelpunkt der von ihm reformierten Staats-
religion die Verehrung seiner Hausgottheiten Apollo und Diana setzte.
') Vielleicht war dies der ursprüngliche
StiftuDgstag des Apollotempels beim Mar-
cellustheater, der dann erst bei der Re-
stauration durch C. Sosins auf den 23. Sep-
tember, den Geburtstag des Augustus, ver-
legt worden wäre; über die Beziehungen des
Augustus zu Apollo s. unten.
«) Liv. XXV 12, 8 ff. Macr. S. I 17, 27 If.
Liv. XXVI 23, 3. XXVII 11, 6. 23, 5 f!. CIL
P p. 321.
*) MoxMSBN, Rom. Staatsr. II 226.
*) Fest. p. 826. Martial. IX 28, 9. CIL
VI 10118. XIV 2113. 2408. 2977. 2988. 3683.
4198. 4273 (nur in Latium).
*) Archaisch überall Apolo, Äpolones,
Apolone (CIL VI 29. X 4632. XIV 2847),
auch Apolenei (Pisaurum, CIL I 167), Apo-
line (IX 5803. X 7265), Apolinei (XI 3073);
Haodirach der klaa«. AltertanMwinaiacbaft. Y, 4.
oskisch Appelluneis (Mau, Bull. d. Inst. 1882,
189 — Zybtaibff, Inscr. Ital. infer. dial.
nr. 156*), etruskisch Aplu; s. Jordan, Krit.
Beitr. S. 17 ff., der auch den von Paul. p. 22
volksetymologisch gedeuteten, angeblich alten
Namen Aperta richtig würdigt.
^) Ziegenopfer bei den Apollinarspielen,
Liv. XXV 12, 13. Macr. S. I 17, 29; ebenso in
dem sibyllinischen Orakel bei Phlegon mirab.
10, vgl. DiBLs, Sibyll. Blätter S. 50.
^) A. KiBSSLiNO, Zu augusteischen Dich-
tem S. 92, 36. C. Pascal, Bull. arch. com.
XXII 1894, 59 ff. =Stud. d. antich. e mitoL
p. 51 ff.
«) Suet. Aug. 70. 94, Serv. Ecl. 4, 10.
Comm. Cruq. zu Hör. epist. I 3, 17. Pascal
a. a. 0. S. 62 ff. = Stud. p. 54 ff.
16
242
Religion nnd Knltus der BOmer. II. GöUerlehre.
Der am 9. Oktober 726 = 28 eingeweihte Tempel des Apollo Palatinus,^)
der in unmittelbarem Zusammenhange mit dem kaiserlichen Palaste stand,
stellte nicht nur durch die Pracht der Ausstattung alle andern Tempel
Roms in den Schatten, sondern wurde auch, obwohl an sich nur eine
Stätte des kaiserlichen Privatkultes, in seiner rechtlichen Stellung ein
gefährlicher Rival selbst des obersten Staatsheiligtums auf dem Capitol,
das u. a. die bisher in seinen Kellern aufbewahrten sibyllinischen Bücher
an ihn abgeben musste:*) die Bedeutung dieser Massregel sowie die her-
vorragende Stellung, die der Kaiser dem Götterpaare Apollo und Diana
bei den Saecularspielen des J. 737 = 17 anwies, ist bereits oben S. 67 f.
ins gehörige Licht gesetzt worden. Hat der Apollokult auch nach dem
Tode des Augustus diese dominierende Position nicht behaupten können,
so ist er doch, wie namentlich die Münzbilder beweisen, während der
ganzen Kaiserzeit bedeutsam geblieben. Die der gelehrten Spekulation
geläufige Gleichsetzung mit dem Sonnengotte hat auf die praktische Reli-
gionsübung keinen bemerkenswerten Einfluss ausgeübt;') der Gott ist viel-
mehr in Rom wie in den Provinzen in erster Linie immer noch als Heii-
gott verehrt worden,^) und es ist auch vor allem diese Seite seines Wesens
gewesen, die für die Gleichsetzung barbarischer Gottheiten mit Apollo
das Tertium comparationis abgegeben hat. So ist der keltisch-norische
Belenus von Aquileja, der seit der Belagerung dieser Stadt durch Maxi-
minus Thrax im J. 288 auch den Römern in weiterem umfange bekannt
war,^) der Gott einer Heilquelle^) und wird eben darum vielfach als Apollo
Belenus bezeichnet, ja Ausonius setzt sogar ein paarmal, um mit seiner
Gelehrsamkeit zu prunken, für Apollo einfach den Namen Belenus ebenso
ein, wie Consus für Neptunus.'^J Ein Heilgott ist sicher auch der eben-
falls keltische Apollo Grannus,^) während wir über die Natur des west-
thrakischen Götterpaares, das auf Soldateninschriften unter den Namen
Apollo und Diana erscheint,^) nichts Sicheres festzustellen vermögen.
Litter atur: R. Ubckbr, De ApoUinis apud Romanos cultu, Dissert. Lipsiae 1879.
Prsllsr-Jordan, Rom. Mythol. I 299 ff. K. Wernickb bei Pauly-Wissowa, Real-Encycl.
II 77 ff.
46. Ceres, Liber und Libera. Als im zweiten Jahrzehnt der Repu-
blik während der Kämpfe mit den Latinern um die Restauration der tar-
quinischen Dynastie in Rom eine Missernte eintrat und auch die aus-
wärtige Getreidezufuhr in grosse Unordnung geraten war, befragte man
1) GiLBBBT, Topogr. III 107 ff. Ueber
die Tempelbilder (Apollo, Diana, Latona)
vgl. HOlsbn, Rom. Mitt«il. IX 1894, 240 ff.
«) Verg. Aen. VI 72 ff. und dazu Serv.
Tibull. II 5, 17 f. Suet. Aug. 31.
') Soli Limae Apollini Dianae neben-
einander in der Weihinsohrift CIL VI 3720.
*) 8. oben S. 240 Anm. 1 und vgl. z. B.
auch die Apolloinschriften von Aquae calidae
in Hispania Tarraconensis CIL II 4487 ff.
») Herodian. VIII 3, 8. Bist. aug. Ma-
ximini duo 22, vgl. Tertull. apol. 24 ; ad nat.
II 8. Weihung der Kaiser Diocletian und
Maximian CIL V 732; vollständige Material-
sammlung bei WissowA in Roschebs Myth.
liOxik. I 755 f. und M. Ihm in Pault-VSTis-
sowas Real-Encycl. III 199 ff.
•) Fanti Beleno CIL V 754. 755. 8250.
') Auson. prof. 4, 9. 10. 19; vgl. Momx-
ssN, CIL V p. 84. WissowA a. a. 0., anders
Ihx a. a. 0. 201.
») Cass. Dio LXXVII 15, 6; verbunden
mit der sancta Hygia CIL III 5873, mit den
Nymphen III 5861, S^ugnisse und Litteratur
in RoscHBRS Mythol. Lexik. I 1738 ff.
•) V. DoMASZBwsKi, Wostd. Zeitschrift
XIV 53.
G. Di noyenaidea grieohischer Herkanft. 46. CerM, Liber and Libera. 243
in solcher Not die sibyllinischen Bücher und erhielt von diesen die An-
weisung, die griechischen Gottheiten Demeter, Dionysos und Eore zu ver-
söhnen: ihnen gelobte im J. 258 = 496 der Dictator A. Postumius einen
Tempel, der sofort nach beendigtem Kriege in Angriff genommen und
drei Jahre später 261 = 493 durch den Gonsul Sp. Gassius eingeweiht
wurde: er lag seitwärts von den Garceres des Circus maximus nach dem
Aventin zu und war zwar nach tuskischem Grundschema gebaut, aber
von griechischen Künstlern, Damophilos und Gorgasos mit Namen, aus-
geschmückt. Aus diesem durchaus glaubhaften Berichte der Stadtchronik^)
sowie aus der Thatsache, dass zur gleichen Zeit auch der griechische
Hermes als Handelsgott Mercurius in Rom Aufnahme findet (s. unten § 47),
ergibt sich der enge Zusammenhang, in welchem die Rezeption dieser
Kulte mit dem unteritalisch-sicilischen Getreideimport nach Rom steht. ^)
Für das eigentliche Mutterheiligtum ihres Geresdienstes haben die Römer
selbst den alten Tempel der Demeter (und Persephone) zu Enna in Sicilien
angesehen, wo im J. 621 = 133 die Decemviri sacr. fac. der antiquissima
Ceres auf Grund eines Sibyllenspruches Staatsopfer darbrachten:^) es ist
aber nicht wohl glaublich, dass die Aufnahme im J. 258 = 496 direkt
vom entlegenen Innern Siciliens her erfolgt ist, vielmehr werden die näher
liegenden unteritalischen Griechenstädte die Vermittlerrolle gespielt haben ;
dafür spricht sowohl ein bestimmtes Zeugnis,*) nach welchem die Prieste-
rinnen für die Qeheimfeier der Geres überwiegend aus Neapel und Velia
bezogen wurden, als auch die Thatsache, dass gerade in Gampanien nicht
nur der Kult der Geres-Demeter,^) sondern auch der des Liber-Dionysos
in hoher Blüte stand und das ganze Land als der Gegenstand des Wett-
eifers beider Gottheiten angesehen wurde. ^) Von besonderer Bedeutung ist
es, dass die nunmehr in Rom rezipierte griechische Göttertrias nicht ihre
einheimischen Namen behält (wie Apollo, Gastor, Hercules, Aesculapius), son-
dern durch Angleichung an altrömische Indigetes dem Verständnisse näher
gerückt wird: der Tempel heisst offiziell (z. B. bei Liv. HI 55, 7. XLI 28, 2
u. s.) aedes Cereris Liberi Liberaeque, indem Demeter mit der alten Göttin des
pflanzlichen Wachstums Geres (s. oben S. 159 ff.) gleichgesetzt wird, Dionysos
und Köre aber mit Liber und Libera, einem zum ältesten Götterkreise ge-
hörenden Paare schöpferischer Naturgottheiten (vgl. oben S. 126), welches
im Festkalender des Numa durch das am 17. März verzeichnete Fest der
Liberalia vertreten war.'') Die Existenz dieses Festes in der ältesten Re-
ligionsordnung zeigt, dass wir in Liber pater (so Lucil. frg. 8 Baehr., vgl.
') Dion. Hai. VI 17. 94; vgl. Tac. ann. | *) Cic. pro Balbo 55 ^ Val. Max. 11,1;
II 49. Vitr. III 3, 5. Plin. n. h. XXXV 154. I eine li^eia JtjfÄtjtQos SeafÄO<p6Qov in Neapel
GiLBBBT, Topogr. II 242 ff. Hülsen, Diesert. ' Kaibel, Inscr. graec. Sicil. Ital. 756a; sacra
d. Pontif. Accad. Roman, di Archeol. ser. Demetros in Gamae, der Mntterstadt von
U t. VI 1896, 237 ff.
«) Unter dem J. 263 = 491 berichtet
Liv. II 34, 8 (vgl. Dion. Hai. VII 1) zum
erstenmale von Getreideankäafen der Con-
saln nicht nur in Cumae, sondern auch in
Sicilien.
») Cic. Verr. IV 108 = Val. Max. 11,1 =
Lact. inst. II 4, 29; vgl auch Cic. Verr.
V 187.
Neapel, CIL X 3685.
^) Nissen, Pompejan. Studien S. 326 ff.
•) Plin. n. h. III 60= Flor. TU; vgl.
auch Auson. Mos. 208 ff. Sil. Ital. VII 162 ff.
») CIL I« p. 312 (die Beischrift Libero
Lib(erae) haben die Fasti Caeretani); über
das zufällige Zusammenfallen des Tages mit
dem agonium MarticUe s. Wissowa, De fe-
riis anni Rom. p. XI f.
16*
244 Religion und Knltna der Römer. IL GOtterlehre.
oben S. 23 Anm. 2), der einen Altar auf dem Capitol besass,^) einen alt-
einheimischen Gott zu erkennen haben, und entzieht einer bestechenden
modernen Hypothese, die in Liber nur eine Übersetzung des griechischen
Avaioq oder 'EXev&ägiog sieht, ^) den Boden: dass sich Liber im Laufe der
Zeit von Juppiter Liber (oben S. 105 f.) zu selbständigem Dasein losgelöst
hat, wurde schon früher hervorgehoben. Von Festbräuchen der Liberalia
erfahren wir, dass alte Frauen an der Strasse sitzend Opferkuchen (liba)
feilboten, von denen sie ein Stückchen im Namen des Käufers auf einem
tragbaren Herde opferten,') femer dass man an diesem Festtage auf offner
Strasse zu speisen pflegte (Tert. apolog. 42), sowie dass man ihn mit Vor-
liebe wählte, um die Anlegung der Männertoga {toga libera) vorzunehmen >)
In manchen Gegenden Italiens wurde zu Ehren des Liber ein grosser
Phallus zu Wagen auf dem Lande umher und in die Stadt gefahren, so
namentlich in Lavinium, wo dem Gotte ein ganzer Monat geweiht war
und der Phallus, während dessen Umfahrt allerlei anzügliche Lieder und
Scherze im Schwange waren, durch eine Matrone öffentlich bekränzt wurde. ^)
Bedeutung, Alter und Herkunft dieser Festbräuche sind im einzelnen nicht
mehr zu ermitteln, doch sind wir wohl berechtigt, dies Ceremoniell für
den italischen Liber, wie er vor seiner Gleichsetzung mit dem griechischen
Dionysos verehrt wurde, in Anspruch zu nehmen; auch haben wir keinen
Grund, die Angabe Varros, das lavinische Fest habe pro eventibus seminum
stattgefunden, in Zweifel zu ziehen, zumal auch an andern Stellen der
Gott gerade mit dem tierischen und pflanzlichen Samen in Verbindung
gebracht wird.^) Eine spezielle Beziehung auf den Weinbau hat Liber
erst durch die Gleichsetzung mit Dionysos erhalten, ebenso wie Geres erst
durch die Identifikation mit Demeter zur Getreidegöttin geworden ist.
Die führende Stellung in der neuen griechischen Göttertrias nimmt
Ceres ein, ihre Kinder (Cic. de nat. deor. H 62) Liber und Libera werden
nur als trvvvaoi &€oi neben ihr verehrt wie Diana und Latona neben
Apollo; darum heisst der Tempel vielfach auch schlechtweg aedes CererUt
(Liv. n 41, 10. X 23, 13. XXVH 6, 19 u. s.), sein Stiftungstag ist auf das
alte Kalenderfest der Cerialia am 19. April gelegt, 7) und als man dieses Fest
mit Spielen begeht, gelten dieselben zwar allen drei Gottheiten,^) heissen
aber kurz nur ludi Ceriales; auch die sacerdotes puhlkae Cereris p, R. Q.^)
') Faat. Farn. CIL I' p. 312. CIL III p. ! J. 18 n. Chr.).
849 = X 1402. I 8) Cic. Verr. V 36; vgl. Serv. Georg. I 7.
«) V. Hehn, Kulturpfl. u. Haustiere* . Ovid. fast. III 785 f. Cyprian. de spect. 4.
S. 66. GiLBBBT, Topogr. II 209 f. Reitzbn- i ») CILVI2181f. Priesterinnen der Ceres
8TBIN, Epigramm u. Skolion S. 216. finden sich sehr häufig in Campanien (CIL
«) Varro de I. L VI 14. Ovid. fast. III ' X 812. 1074a Pompeji; 1585. 1812. 1829 Pu-
713 ff. I teoli; 3912. 3926 Capua; 4793 f. Teannm
^) Ovid. a. a. 0. 771 ff. Cic. ad Att. VI ! Sidicinum) und den benachbarten Gebieten
1, 12.
•) Varro bei Aueust. c. d. VII 21 ; vgl.
0. Jahn, 6er. d sächs. Gesellsch. d. Wiss.
1855, 71 f.
9; vgL VII 2. 3. 16. IV 11.
(CIL X 5073. 5145 Atina; 6103. 6109 For-
miae; 6640 Antium; XI 3933 Capena; IX
3170 Corfinium; 3358 Pinna; 4200 Amiter-
num), oft auch gemeinsame Priestennnen
•) Varro bei Angustin. c. d. VII 21. VI der Ceres und Venus (Surrentum CIL X 680.
688; Pompeji Ephem. epigr. VIII 315 = 855;
') Fast. EsquiL CIL I« p. 315; auch ! Casinum CIL X 5191 ; Suimo IX 3087. 3089.
ausserhalb Roms opfert man ihr XIII Kai, \ 3090); eine sacerdos Liberi publica in Aqui-
Mai., CIL XI 3196 (Inschrift aus Nepet vom | num CIL X 5422.
G« Di noTenaidea grieohischer Herkunft. 46. Ceres, Liber nnd Libera. 245
dienten gewiss der Verehrung des gesamten Dreivereins. ^) Von grosser
Bedeutung ist es, dass die aedes Cereris, deren Einweihung ja zeitlich mit
der Emanzipation der Plebs zusammenfallt, ein spezifisch plebejisches
Heiligtum und für die Plebs geradezu die aedes schlechthin wurde; denn
dass die plebejischen Untermagistrate, die aedües, ihren Namen von der
aedes Cereris Älhren, lässt sich nicht verkennen, wenn man die engen
Beziehungen beider zu einander ins Auge fasst: im Cerestempel befindet
sich das unter der Obhut der Aedilen stehende Archiv der Plebs^) und
ihre Kasse, in welche die von den plebejischen Beamten verhängten Straf-
gelder fiiessen,^) und auch die cura annonae der Aedilen zeigt so deutlichen
Zusammenhang mit dem Kulte der Geres,^) dass Caesar, als er das von
ihm neu hinzugefügte Aedilenpaar aediles plebei Ceriales nannte,^) damit
nur den alten Gedanken und wahrscheinlich sogar auch den ursprünglichen
Namen wieder aufnahm ; auch die Ausrichtung der ludi Ceriales lag ebenso
wie die der ludi plebei den Aediles plebei ob.^) In welchem Umfange der
Tempel von Ceres, Liber und Libera als sakraler Mittelpunkt der plebeji-
schen Sondergemeinde angesehen wurde, erkennt man nicht nur daraus,
dass die Plebs die Cerialia, d. h. den Stiftungstag des Tempels, mit Gastereien
festlich beging, 7) sondern mehr noch aus der Festsetzung, dass das Ver-
mögen dessen, der gegen die zum Schutze der plebejischen Magistratur er-
lassenen leges sacratae frevelte, eben dieser Göttertrias verfallen sein sollte.^)
.Die weitere Entwicklung des Kultes von Ceres, Liber und Libera
lässt sich nur in grossen Zügen verfolgen. Bei den Lectisternien erscheint
Ceres nicht früher als bei dem grossen Zwölfgöttermahle des J. 587 = 217,
wo sie mit Mercurius gepaart ist (Liv. XXII 10, 9, vgl. oben S. 55); wieder-
holentlich aber werden bei ihrem Tempel auf Anordnung sibyllinischer
Sprüche Supplikationen abgehalten^) oder Geldspenden (stipes) niederge-
legt, ^o) auch dass das Heiligtum Asylrecht besass, erfahren wir gelegent-
lich, ^i) Zur Zeit der Schlacht bei Cannae wurde in Rom alljährlich im
August **) durch die Matronen ein sacrum anniversarium Cereris begangen,
dessen Abhaltung damals durch die infolge jener Niederlage eingetretene
allgemeine Familientrauer unmöglich wurde, so dass der Senat sich ver-
anlasst sah, für die Zukunft die Dauer der Trauerzeit auf 30 Tage zu
beschränken. ^3) Diese erst kurz vor dem hannibalischen Kriege einge-
führte Pestfeier (Arnob. 11 73) ist eine völlig griechische und zweifellos
identisch mit denjenigen Mysterien der Ceres, die Cicero in seiner Sakral-
gesetzgebung erwähnt und allein von allen Geheimdiensten den Frauen
gestatten will:^^) die Matronen erschienen dabei in weissen Gewändern
') Vgl. auch die »(teerdos Cerialia Deia
Libera in Aesernia CIL IX 2670.
») Liv. III 55, 13; vgL Zonar. VII 15.
») Liv. X 23, 13. XXVII 6, 19. 36, 9.
XXXIII 25, 3 u. a.
^) vgl. Lacil. frg. 152 Baehr.: deficit
alma Ceres nee plebes pane potitur,
^) MoMKSEN, Staatsr. II 471.
*) MoMKSEN a. a. 0. n 509.
») Gell. XVIII 2, 11 ; vgl. Plaut. Men. 101.
«) Dion. Hah VI 89. Liv. III 55, 7; vgl.
Dion. Hai. X 42. Liv. II 41, 10.
•) Liv. XLI 28, 2; vgl. Tac. ann. XV 44.
»0) Obsequ. 43 [103]. 46 [106]. 53 [113].
**) Varro de vita p. R. bei Non. p. 44.
") Nach MoMMSBNS Vermutung (CIL !•
p. 324) am 10. August.
>») Liv. XXII 56, 4 f. XXXIV 6, 15. Val.
Max. I 1, 15. Plut. Fab. Max. 18. Paul. p. 97
(wo f&lschlich 100 Tage angegeben werden).
") Cic. de leg. II 21. 37: initienturque
€0 ritu Cereri, quo Romae initiantur.
246 Beligion and KnltaB der BOmer. IL GOtterlehre.
und mit einem besonderen Kopfputz,^) und die Hauptceremonie des an die
griechische Legende von Raub und Ruckkehr der Persephone anknüpfenden
(Paul. p. 97) Festes scheinen die den griechischen ^coya/jna*) nachgebildeten
Orci nuj)tiae,^) d. h. eine Vorführung der Vermählung von Persephone und
Pluton, gewesen zu sein, bei welchen kein Wein gespendet werden durfte,^)
die also nach dem Ritus griechischer chthonischer Opfer als vr^^dha tcQa
begangen wurden.*^) Für die ganze Festzeit war der Genuss des Brotes ver-
boten/) wahrscheinlich auch die Enthaltung von geschlechtlichem Umgang
gefordert,^) da die Priesterinnen der Göttin, Frauen griechischer Herkunft,
denen das römische Bürgerrecht verliehen wurde (Cic. pro Balbo 55), für
die Dauer ihrer Funktion die gleiche Verpflichtung eingehen und daher,
falls sie verheiratet waren, von ihren Männern sich trennen mussten.^)
Ein Fest verwandter Art, ieiunium Cereris, wurde im J. 563 = 191 durch
die sibyllinischen Bücher zur Sühnung schwerer Prodigien angeordnet, um
alle 5 Jahre begangen zu werden, in der augusteischen Zeit fand es all-
jährlich am 4. Oktober statt ;^) ausserdem wurde in derselben Zeit ständig
am 13. September, dem Stiftungstage des Tellustempels auf den Carinae
(oben S. 161 f.), ein Lectistemium zu Ehren der Ceres begangen, ^^) und
am 21. Dezember erhielten Hercules und Ceres ein gemeinsames Opfer
von einer trächtigen Sau, Brot und Met:^^) dass es sich hier überall um
Kulthandlungen des graecus ritus handelt, steht ausser Zweifel. Die Ludi
Ceriales, die uns zuerst im J. 552 = 202 als — damals bereits eine Zeit
lang bestehendes — ständiges Jahresfest bezeugt sind (Liv. XXX 39, 8),
erstreckten sich in augusteischer Zeit vom 12. — 19. April und boten man-
cherlei eigenartige Lustbarkeiten, insbesondere Ausstreuen von Nüssen
und Fuchshetzen, bei denen den Tieren Feuerbrände an die Schwänze ge-
heftet waren ;!*) der letzte (im 4. Jhdt. n. Chr. auch der erste) Tag war
Circusspielen gewidmet,^*) seit wann auch scenische Aufführungen statt-
') Tertoll. de pall. 4 ; vgl. de fcest. anim. j mit Arnob. V 16 castus tetnperatus ah alt-
2. Val. Max. I 1, 15. Juven. 6, 50; auch an monio panis; die Ergänzung der Inschrift
den Cerialia trug man weisse Kleider nach 1 CIL VI 87 (über sie neuerdings G. Pascal,
Ovid. fast. IV 619. V 355. i Hermes XXX 1895, 548 ff. = Studii d. an-
*) Namentlich in Syrakus, aber auch ' tich. e mitol. S. 207 ff.) ist ganz unsicher,
sonst gefeiert, vgl. R. Foebsteb, Raub und I ') Die Schilderung Ovids met. X 431 ff.
bezieht sich aber nicht auf das rOmische
Fest, sondern auf eine griechische Demeter-
feier.
Rückkehr der Persephone S. 23.
*) Serv. Georg. I 344: aliud est sacrum,
aliud nuj)tias Cereri celebrare, in qutbus
revera vinum adhiberi nefas fuerat, quae j *) Tertull. de monog. 17: Cereris sacer-
Orci nuptias dicebantur^ quas praesentia I dotes viventibus etiam r«m et consentienti'
bus amica separatione vidtMntur; durch
sua pontifices (gewiss ungenau) ingenti sol-
lemnitate celebrarunt. Hierher gehört wohl
auch die Notiz Serv. Aen. IV 58: Romae
cum Cereris Sacra fiuntf observatur, ne quis
Verallgemeinerung wird darum Ceres zur
Göttin der Ehescheidung gemacht, Serv.
Aen. IIl 139. IV 58.
patrem aut filiam nominet, quod fructus \ •) Liv. XXXVI 37, 4. CIL P p. 331.
• p. 336 f. Arnob VII
*) Serv. Georg. I 344. Dion. Hai. I 33, 1 ; Stelle Tertull. de idol. 10 ist füschlich hier-
matrimonii per liberos constet. \ ") CIL P p. 336 f. Arnob VlI 32; die
daher Plaut. Aulul. 355 Cereri nuptias facere her bezogen worden, vgl. Wissowa, Gott.
für ein Fest ohne Wein
^) Stengel, Griech. Eultusaltert S. 72 f.
DiBLs, Sibyll. Blätter S. 71.
gel. Anz. 1891, 29 f.
»*) Macr. S. III 11, 10, vgL oben S. 229.
") Fest. p. 177. Ovid. fast. IV 681 ff.
*) Fest. p. 154 in casto Cereris (unter , >») CIL I« p. 315; vgl. Tac. ann. XV 53
den Fällen des luctus minutus) verglichen | 74. Cass. Dio XLVII 40.
C. Di noTenaides griechieoher Herkunft. 46. Ceres, Liber und Libera. 247
fanden, ist nicht bezeugt. Augustus begann nicht nur einen, nachher von
Tiberius im J. 17 n. Chr. vollendeten Neubau des im J. 723 =^ 31 durch
eine Feuersbrunst zerstörten alten Tempels von Geres, Liber und Libera,^)
sondern errichtete auch im J. 7 n. Chr. im Vicus jugarius einen gemein-
samen Altar der Ceres mater und Ops augusta, dessen Stiftungstag
(10. August) unter die Feriae des Jahres aufgenommen wurde (CIL P
p. 324), wahrscheinlich zu Ehren der Livia, von der wir auch aus andern
Zeugnissen wissen, dass sie sich als Ceres feiern liess.^)
Was uns von Zeugnissen des Gottesdienstes von Ceres, Liber und
Libera aus spätrepublikanischer und kaiserlicher Zeit vorliegt, zeigt, dass
man Ceres ebenso ausgesprochen als Gottheit des Getreidebaues und der
Getreideeinfuhr, wie Liber als den Beschützer des Weinbaues verehrte: 3)
darum wird im Bauernkalender (CIL P p. 281) der Monat der Getreide-
ernte, der August, als tutela Cereris bezeichnet und zum Oktober ange-
merkt: vindemiae sacrum Libero, und es erhielten Liber und Libera ebenso
bei der Weinlese eine Erstlingsspende von jungem Most, sacritna genannt,
wie Ceres den ersten Ährenschnitt, das praemetium.^) Auf den Münz-
bildern wird Ceres namentlich als Beschützerin der hauptstädtischen Ge-
treideversorgung vorgeführt, thronend mit Scepter und Ähren, neben ihr
ein Getreidemass {moditts) und — zum Zeichen der überseeischen Her-
kunft des Getreides — ein Schiffsvorderteil: als ihre Dienerin und Be-
gleiterin steht häufig neben ihr die personifizierte Annona, die sich all-
mälig als selbständige Figur loslöst und mehrfach auf Inschriften und
Kunstdenkmälem begegnet.^) Zu den Verehrern der Ceres gehören daher
namentlich die mensores frumentarii,^) wie zu denen des Liber die Winzer
und Weinhändler, 7) von denen die letzteren ihn oft zusammen mit Mer-
curius anrufen, während er von den ersteren häufig durch individuali-
sierendQ Beinamen^) als Beschützer eines bestimmten Weingutes bezeichnet
und mit den ländlichen Göttern Silvanus und Hercules verbunden wird.^)
In den Provinzen ist der Kult der Ceres am verbreitetsten in Afrika, wo
die Göttin in griechischer Auffassung (Cereri graec[ae\ sacr\u\m CIL VIII
14381) mit Pluto verbunden wird (CIL VIH 8442. 9020 f.) und häufig in
der pluralen Namensform Cereres erscheint, was man richtig auf Ceres
und Proserpina (wie Castores für Castor und Pollux) gedeutet hat.^^) Das
0 Cass. Dio L 10, 3. Strab. VIII 881. Tac.
ann. II 49.
') CoHBN, Med. imp^r. I* p. 77 nr. 93.
p. 172 nr. 13; vgl. auch CIL X 7501.
») DioB. Hai. VI 17, 4 ol di (nämlich
Demeter, Dionysos, Eore) vnaxovaayxBg zijy
re y^y naQeoxevaaay avsiyM nXovciovs xa^
novg, ov fioyoy rtjy anoQifioy aXXa xai xrjy
dsv^QotfOQoy, xal rag inswxtovg dyoQug
imxXvaai fiäXXoy rj n^TSQoy; daher werden
Ceres nnd Liber zusammen angerufen bei
Varro de re rast. I 1, 5.
*) MoMMSBN, CIL P p. 332. Colnm. XII
18,4. Paul. p. 319.
*) In der Litteratur personifiziert nur
1 (Gemme). VI 22. 8470. VIII 7960. XIV 51 ;
über Eunstdarstellungen Brunn, Annali d.
Inst. 1849, 135 ff.; Sitz.-Ber. Akad. München
1881 II 119 ff.; vgl. auch Mabquabdt, Staats-
▼erw. II* 128, 4. Im allgemeinen Wissowa
in RoscHBBS Mythol. Lexik. I 359 f.
•) CIL XrV 2. 409. III 3835 (vgl. VI 22);
ein horreariu8 in Beneventum CIL IX 1545.
») CIL V 5543. VI 467. 8826.
8) CIL VI 463. 466. 1X2631.
») CIL III 3923. 3957. VI 294. IX 3603.
XII 3132
»0) CIL VIII 580. 1548. 1838. 3303. 6359.
6709. 11826. 12318. 14438 (auch in Puteoli
eine sacerdos Cerentm CIL X 1585); vgl.
beiStatsilv. 16, 38; Inschriften CIL II 4976, \ 0. Hibsohpbld, Annali d. Inst. 1866^ 51.
248
Beligion und Knltas der Römer. II. GOtterlehre.
in Rom selbst und Italien verschollene Götterpaar Liber und Libera be-
gegnet uns ausserordentlich häufig auf Weihinschriften von Dacien, Dal-
matien und Pannonien,^) wo offenbar zwei engverbundene einheimische
Gottheiten sich dieser Namen bemächtigt haben.') Mehr noch als im Kulte
der Ceres, in welchem seit Augustus auch die Einwirkung der eleusini-
sehen Mysterien sich geltend macht,') tritt in dem des Liber in Rom wie
in den Provinzen ein orgiastisch-mystischer Zug hervor. Nachdem in der
Zeit nach dem hannibalischen Kriege die von Unteritalien her in Rom
eindringenden Geheimkulte des Bacchus von der Behörde gewaltsam unter-
drückt worden waren,^) hat nach einer vereinzelt stehenden Nachricht
(Serv. Ecl. 5, 29) Caesar einen neuen Dienst des Liber in Rom eingeführt,
der jedenfalls ein halborientalischer war: diesem scheint sowohl der von
Septimius Severus erbaute Tempel (Cass. Dio LXXVI 16) anzugehören, als
die Mehrzahl der aus den Inschriften bekannten Kultgenossenschaften des
Gottes,^) die namentlich in der Spätzeit des Heidentums eine grosse Rolle
spielen^) und mit allen möglichen andern Geheim- und Fremdkulten, wie
Isis, Mithras, Magna Mater und Hekate, in naher Beziehung stehen. ?)
Litteratur: Th. Bibt in Roschers Mythol. Lexik. I 859 ff. (Geree). G. Wissowa
ebd. II 2021 ff. (Liber and Libera) und Real-Encycl. III 1970 ff. (Gerea). A. Pbstalozza
und G. Ghieba bei Ruooiebo, Dizion. epigraf. II 204 ff. A. ScHN£OBLSBBBe, De Liberi apud
Romanos cnltu capita duo, Dissert. Marporgi 1894.
47. Mercurius. Demselben Anlasse, der die Aufnahme der griechi-
schen Getreidegöttin Demeter-Ceres in Rom herbeiführte, verdankt auch der
griechische Handelsgott seine Rezeption: die Fürsorge für den Getreide-
import aus dem griechischen Süden Italiens fand im J. 259 = 495 ihren
sakralen Ausdruck in der Weihung eines Tempels des Gottes Mercurius,
mit der zugleich eine Art Getreidebörse und die Stiftung einer Kaufmanns-
gilde verbunden war.^) Der Bericht über die Gelobung des Tempels fehlt
in unsern Quellen und damit die direkte Angabe, dass dieselbe auf Grund
einer Befragung der sibyllinischen Bücher geschah: dass das letztere
jedoch der Fall war, können wir mit voller Sicherheit daraus »chliessen,
dass Mercurius schon beim ersten Lectisternium im J. 355 = 399 erscheint
(Liv. V 13, 6. Dion. Hai. XH 9). Der Tempel») lag beim Circus maximus
>) Dacien: CIL IH 792. 1093 f. 1303;
SuppL 7684. 7916; Dahnatien: CIL IIL 1790
= 6362 (noch in republikanische Zeit hinauf-
reichender Tempel in Narona). 2908; Panno-
nien: CIL HI 3234. 3298. 3466. 3506. 4297;
Suppl. 10343, dazu zahlreiche Weihungen an
Liber allein.
') V. DoMASZBWSKi, Westd. Zeitschrift
XIV 54.
»J Suet. Aug. 93, vgl. Claud. 25. Aurel.
Vict. Caes. 14, 4. Bist. aug. M. Aurel. 27, 1 ;
ein Cereris mystes aus Rom Ephem. epigr.
IV 866; sacratua Libero et Eleusi[ni]i8 und
sacrata Cereri et Eleunniis CIL VI 1779
(Ende des 4. Jhdts. n. Chr.).
*) s. oben S. 58 und Wissowa, Real-
Encycl. II 2721 f.
^) Ein thiasus Placidianus in Puteoli
verehrt Liber und die Cereres (CIL X 1583
—1585).
') Der eigentliche Name dieser Ge-
nossenschaften scheint spirae gewesen zu
sein (CIL VI 76. 261. 461 X 6510. Kaibbl,
Inscr. graec. Sicil. Ital. 925. 977); die Namen
der einzelnen Grade und Würden sind spi-
rarches (CIL VI 2251 f.), orgiophanta (CIL
X 1583), parastata (X 1584), hierophantes
(VI 507), archibucolus (VI 504. 510).
'} z. B. CiL VI 500. 504. 507. 510 u. a.
^) Liv. II 27, 5: certamen consulibus in-
ciderat, uter dedicaret Mercuri aedem, se-
flatus a 86 rem ad populum reiecit: lUri
eorum dedicatio iussu populi data esset,
eum praeesse annonae, mercatorum coh
legium instituere, sollemnia pro pontifice
iussit suscipere. Dasselbe kürzer II 21, 7;
vgl. Val. Max. IX 3, 6.
') Wahrscheinlich ein Rundtempel, Serv.
Aen. IX 408; vgl. Jordan, Tempel der Vesta
S. 77 Anm. 6.
G. Di noTensidea griechischer Herkunft. 47. Xercnrins. 249
hinter den unteren metae nach der Seite des Aventin hin,^) jedenfalls
extra pomerium; der Stiftungstag fiel auf den 15. Mai (CIL P p. 318), und
zwar war der Monat offenbar deshalb gewählt, weil man die neben Mer-
curius in seinem Tempel verehrte (s. unten Anm. 2) Mutter des Gottes
Maja mit der gleichnamigen altrömischen Göttin, der Genossin des Vol-
canus, welcher am 1. Mai geopfert wurde (s. oben S. 185), identificierte.
Der Tag war ein Spezialfesttag der Eaufmannsgilde,^) ebenso wie der Stif-
tungstag des Minervatempels auf dem Aventin von den Handwerkerzünften
als Sonderfest begangen wurde; denn dieses collegium mercatorum^) be-
trachtet sich als unter dem besonderen Schutze des Gottes stehend und
seine Mitglieder bezeichnen sich daher auch als Mercuriales.^) Diese enge
Verbindung des Gottes mit dem Eaufmannsstande und die Ersetzung des
griechischen Eigennamens durch die lateinische Bezeichnung Mercurius (zu
merces, mercariy) lassen mit aller Deutlichkeit erkennen, dass von den
verschiedenen im Wesen des griechischen Hermes vereinigten Seiten für
den römischen Kult nur seine Eigenschaft als Handelsgott in Betracht
kam : als solcher fand er auf dem Sextans der ältesten römischen Kupfer-
prägung seinen Platz, und fast ausschliesslich in dieser Auffassung feiern
ihn die inschriftlich erhaltenen Denkmäler seiner Verehrung,^) in denen
zuweilen auch Maja neben ihm erscheint, 7) sowie die aus zufalligen Er-
wähnungen bekannten römischen Kapellen und Bilder des Gottes^) und
die zahlreichen Bonzestatuetten unserer Museen, die den mit Beutel und
Caduceus ausgestatteten Mercurius darstellen;^) die auf Inschriften und
Bildwerken häufige Verbindung des Gottes mit Fortuna, ^^) vereinzelt auch
mit der Handwerkergöttin Minerva, ^^) findet so ungezwungen ihre Erklärung.
Wenn bei den Dichteiii vielfach auch griechische Vorstellungen wie die
von Hermes als dem Erfinder der Lyra oder dem Seelenführer auf den
römischen Mercurius übertragen werden, ^^) so kann das an der engeren
Begrenzung der im Kulte zum Ausdrucke kommenden Auffassung nichts
ändern, und wenn sich Augustus gelegentlich als auf die Erde herabge-
stiegenen Mercurius feiern liess,^') so hat er sich dabei wohl im wesent-
«) Ovid. fast. V 669. Apul. met. VI 8; ') CIL X 885 ß, (Pompeji). III 740. V
vgl. 0. RiCHTBB, Topogr. 843 f. Hülsbn, 6354^ Eph. ep. IV 76. V 1408; vgl. auch
Dissert. d. Pontif. Accad. Rom. di Archeol.
»er. II t. VI (1896) p. 264.
>) Macr. S. 1 12, 19. Lyd. de mens. IV 53
(beide Dennen Mercurius u.Maja). Paul.jp. 148.
') Ein solches auch in Capua, CIL X
3773; vgl. Libbenam, Vereinswesen S. 89 ff,
*) Cic. ad Qu. fr. II 5, 2. CIL XIV
2105 (identisch damit die 'E^fdaXorai auf
Delos, Bull, de corresp. hellen. VIII 94 ff.),
vgl. auch culiores Mercurii CIL VII 1069 f.,
Mercuresißs) Eph. epigr. III 179. Daher die
Anwendung von Mercuriaüs bei Hör. sat JI
3, 25 (vgl. cann. II 17, 29). Pers. 5, 112.
*) Aeltere Form Mircurius (Mirqurius),
Vel. Long. G. L. Vll 77 K. CIL I 59. loOO.
111 3076. IX 5350, vgl. Solmsbk, Stud. z.lat.
Lautgesch. S. 140 Anm. 1.
den Rundaltar mit den Bildern beider Gott-
heiten, den E. Saxtbr, Rom. Mitth. VI II
1893, 222 ff. richtig erklärt hat.
^) Mercurius malevolus Fest. p. 161,
Mercurius sobrius CIL VI 9483. 9714, Mer-
curius eptUo CIL VI 522; Weihongen der
Vicomagistri an Mercurius CIL VI 34. 288;
Mercursquelle bei Porta Capena, Ovid. fast.
V 673 ff.
*) Fbiedebichs, Kleine Kunst und In-
dustrie S. 407 ff. S. Reinach, Rupert, de la
statuaire II 154 ff.
^°) R. Petbb in Roschers Mythol. Lexik.
I 1536 f. CIL VI 23845.
»») Samtbb, Rom. Mitth. X 1895, 93 f.
»*) z. B. Hör. carm. I 10. Ovid. fast. V
665 ff. CIL VI 520 = Büechblbb, Anthol.
•)2:/ucrtrcpcr<orCILVI520;vgl.V6594. epigr. nr. 1528.
6596. Plant. Amph. 1 ff. Hör. sat. II 3, 68. ^») Hör. carm. I 2, 41 ff. und obenS. 83;
250
Religion und Kaltos der Römer. II. Qötterlehre.
liehen als den Mann hinstellen wollen, der nach den Wirren der Bürger-
kriege Handel und Wandel in seinem Reiche wieder zur Blüte brachte.
Als Gott des Handels und Verkehrs ist Mercurius endlich auch zu der be-
deutsamen Rolle gekommen, die er auf keltisch-germanischem Gebiete
spielt, wo die eindringenden Römer sowohl in dem keltischen Esus,^) wie
in dem germanischen Wuotan Züge ihres Mercurius wiederfanden und
diese Götter demgemäss benannten:') auch das Paar Mercurius-Maja, das
im Rhein- und Moselgebiete zuweilen inschriftlich begegnet,^) ist nicht
das des römischen Staatskultes, sondern die Bezeichnung eines einhei-
mischen Götterpaares, jedenfalls wohl desselben, das auf andern Denk-
mälern der gleichen Gegend die Namen Mercurius und Rosmerta führt.^)
48. Neptunus. In tiefem Dunkel liegen infolge des Mangels an
Zeugnissen Wesen und Geschichte des römischen Neptunuskultes. Dass
Neptunus pater^) zu den altrömischen Indigetes gehörte, beweist, abgesehen
von dem italischen Namen des Gottes,^) die Aufnahme des Festes der
Neptunalia in den ältesten Kalender. Diese Festfeier fiel auf den 23. Juli^)
und stand vielleicht in einer gewissen Beziehung zu dem Hainfeste der
Lucaria, dessen erster Tag (19. Juli) durch den in der römischen Festord-
nung bedeutungsvollen^) Zwischenraum von 4 Tagen von ihr getrennt ist
und an welches auch der einzige für die Neptunalia bezeugte Festbrauch,
die Errichtung von Laubhütten (umbrae,^) (xxiddsg), anzuklingen scheint.
Vielleicht war der Zweck dieses Hochsommerfestes, den Gott um Abwehr
allzu grosser Trockenheit, vor allem des Versiegens der Quellen und Wasser-
läufe zu bitten ;^^) denn die Beziehung zum Wasser scheint in Neptunus
eine ursprüngliche zu sein, wenn er auch keinesfalls von Hause aus ein
Meergott ist. Im Kulte ist ihm eine Göttin Salacia als Salacia Neptuni
gepaart, ^^) und auch eine zweite Göttin, Namens Venilia, gehört zu seinem
Kreise :^^) von beiden war den Alten nicht mehr als der nackte Name be-
aach Commodus trat als riog'EQfdfJs auf, Cass.
Dio LXXII 17. 19.
^) Comm. Bern, za Lucan. I 445; vgl.
R. MowAT, Bullet, monument. 5« sör. IV 1876
S. 838 ff. Lehner, Eorresp.Bl. d. Westd.
Zeitschr. XV 1896, 33 ff.
•j Caes. b. g. VI 17. Tac. Germ. 9;
ann. XIII 57. Paul Diac. hiet. Lang. I 9;
vgl. Zanoemeibteb, N. Heidelb. Jahrb. V 1895,
46 ff. Zahlreiche Weihungen an Mercurius
in Gallien und Germanien s. CIL XII p. 926.
Brambach GIRhen. p. 381. Mercuriusstatue
für die Arvemer von Zenodoros, PHn. n. h.
XXXI V 45; vgl. Greg. Turon. bist. Franc. I
29 und Ihm bei Pault- Wissowa, Real-Encycl.
II 1489 f.
») CIRhen. 721 f. 1763. 1845. 1876 (Maja
allein 1835). CIL XII 2570. XIII 1769.
*) CIRhen. 402. 681. 862 f. 888. Ch.
Robert, Epigraphie gallo-romaine de la Mo-
sel! e p. 65 ff.
6) So Lucü. frg. 8 Baehr. GeU. V 12, 5.
Act. Arval. CIL VI 2074 1 65. Inschrift des
Catius Sabinus CIL XIV 1 = Buecheler, An-
thol. epigr. nr. 251, 6.
^) Die Etymologie ist ganz unsicher:
a nando Cic. de nat. deor. II 66 = Firmic.
Mat. err. prof. rel. 17, 2; q%u>d mare terras
obnubit Varro de L 1. V 72. Arnob. III 31.
^) CIL I« p. 323 ; vgl. Varro de 1. 1. VI 19.
') WissowA, De feriis anni Rom. p. VIII ff.
•) Paul. p. 377 : umhrae vocantur Nep-
tundlihiM casae frondeae pro tabemcKMlis;
über die Errichtung von axuideg und cxrjyal
bei griechischen Festen vgl. J. Toepffer,
Athen. Mitteil. XVI 413 ff. = Beitr. z. griech.
Altertumswiss. S. 208.
'°) Dazu stimmt es, dass der Bauem-
kalender von Guidizzolo bei Mantua (CILP
p. 253) in seine vom Standpunkte des Land-
mannes aus angelegte Auswahl von Festen
auch die Neptunalia aufgenommen hat, und
dass dieselben auch in den Menologia rustica
(CIL P p. 281) erscheinen.
»») Gell. XIII 23, 2. Varro de L 1. V 72.
Serv. Aen. X 76. August, c. d. VI 10. VII 22,
s. auch unten S. 253 AnuL 3.
*•) Varro Serv. August, aa. 00. Schol.
Veron. Verg. Aen. X 76.
C. Di noTensidea grieohisoher Herkunft. 48. Neptuana.
251
kannt und ihr Wesen entzieht sieh jeder Deutung. Venilia, die man bald
als Nymphe auffasste, bald mit Venus identificierte,^) ist von den Dichtern
verschiedentlich als Figurantin verwendet worden, so als Mutter des Turnus
und Schwester der Amata^) oder als Geliebte des Janus und Mutter der
Canens;^) für Salacia war man ganz auf die Etymologie des Namens an-
gewiesen, den man teilweise von der aalacitas herleitete, so dass die Qöttin
zur dea meretricum wurde (Serv. Aen. I 720), meist aber mit sdLum zu-
sammenbrachte:^) dadurch erhielt man für den mit dem römischen Nep-
tunus geglichenen Poseidon die passende Qattin römischen Namens, und
darum ist in der Litteratur die Einsetzung von Salacia für Amphitrite,^)
zuweilen auch für Tethys®) ganz geläufig. Die Rezeption des griechischen
Poseidonkultes, als dessen Ausgangspunkt für Rom man am liebsten die
colonia Neptunia TBxevLixim'^) ansehen möchte, muss früh erfolgt sein; einen
festen Terminus ante quem gibt das erste Lectisternium vom Jahre 355
= 399, bei welchem Neptunus mit Mercurius ein Paar bildet,^) wohl mit
Beziehung darauf, dass sein Dienst durch den überseeischen Handel nach
Rom gebracht wurde. Ein Tempel ist dem Gotte sicher auf Grund sibyl-
linischer Weissagungen gelobt und geweiht worden, doch fehlt es uns an
jeder Nachricht über das Gründungsjahr; erst im Jahre 548 = 206 wird
bei Gelegenheit eines Prodigiums der Neptuntempel zuföllig erwähnt.^)
Er lag in der Gegend des Circus Flaminius und erfuhr durch Cn. Domitius,
Cos. 722 = 32, eine Erneuerung, bei welcher er mit berühmten Kunst-
werken des Skopas, einer Reliefdarstellung von Poseidon, Thetis, Achilleus,
Nereiden u. a. geschmückt wurde ;^^) den Stiftungstag verzeichnen die Fasti
Amitemini am 1. Dezember,^^) nach der sehr einleuchtenden Vermutung
von E. AusT (De aedibus sacris p. 42) ist dies jedoch das Datum der
Neueinweihung durch Domitius, während der ursprüngliche Stiftungstag
dem Brauche gemäss mit den Neptunalia am 23. Juli zusammenfiel. Wenn
der Kalender der Arvalbrüder auf den 23. September die Stiftungsfeier
eines Neptuntempels in campo ansetzt, so schliesst die abweichende Be-
zeichnung der Örtlichkeit die von Mommsen (CIL I* p. 330) angenommene
Identität mit dem Tempel ad circum Flatninium aus: wahrscheinlich be-
zieht sich die Notiz auf den berühmten, von M. Vipsanius Agrippa im
*) Schol. Veron. u. Serv. aa. 00.; von
venire hergeleitet August, c. d. IV 11; vgl.
Tertull. ad nai II 11.
«) Verg. Aen. X 76. Serv. Aen. VI 90.
VII 366. XII 29.
>) Ovid. met. XIV 334; vgl. oben S. 95.
*) Faul. p. 327 : Sälaciam dicebant deam
aqu<i€, quam putäbant aalum eiere, hoc est
mare movere. Varro bei August, c. d. VII
22 (vgl. de 1. 1. V 72): Venüia unda est,
quae ad littM venu, SalcLcia, quae in scdum
redit
») Pacuv. frg. 418 Ribb. Apul. met. IV
81; apol. 31. Serv. Aen. I 144.
•) Cic. Tim. 39 = Serv. Georg. I 31.
') Vell. Fat. I 15, 4. Hör. cann. 1 28, 29.
8) Liv. V 13, 6. Dion. Hai. XII 9; die-
selbe Zusammenstellung auch auf dem pom-
pejanischen Zwölf gOtterbilde, HsLBie, Wand-
gem. nr. 7.
») Liv. XXVUI 11, 4: ara Neptuni multo
manasse sudore in campo Flaminio dice-
batur; dass es nicht ein offener Altar, son-
dern ein Tempel war, zeigt der Parallel -
bericht des Cass. Die frg. 56, 62 Melb.:
l^Qwu noXXtj^ al' %B S-vgai zov Iloaet-
öütriov xai 6 ßtofAog iQQvij.
") Flin. n. h. XXXVI 26 und dazu H.
BBUifN, Sitz.Ber. d. Münch. Akad. 1876, 342 ff.
FuBTWANQLEB, lutermozzi (1896) S. 35 ff.
") CIL I« p. 335; vgl. Lyd. de mens,
frg. CaseoL p. 117 Bekk. (wo mit '^y^ocftr»;
und 'JfjtwtjQirtj Venilia und Salacia gemeint
sind). Ein aedituus aedis Neptuni quae est
in Circo Flaminio CIL VI 8423. Vgl. über
den Tempel 0. Richteb, Topogr. S. 861.
252
Beligion und Kultus der Römer. IL GOtterlehre.
Jahre 729 = 25 zur Erinnerung an seine Seesiege erbauten Neptuntempel
im Marsfelde, 0 mit welchem die nach ihrem Qemäldeschmuck so benannte
Porticus Argonautarum in Verbindung stand.') Sonst sind die Zeugnisse
für den Dienst des Gottes spärlich : bei dem Zwölfgötter-Lectisternium des
Jahres 537 = 217 (oben S. 55) ist Neptunus mit Minerva gepaart, 3) und
wie hier, so ist er auch bei den meisten sonstigen Erwähnungen im grie-
chischen Sinne als der Beherrscher des Meeres und Beschützer vor seinen
Gefahren gedacht, Staatsopfer an Juppiter und Neptunus werden gelegent-
lich erwähnt, wenn die römische Flotte in See sticht ;^) als Augustus mit
der Flotte gegen Sex. Pompejus aufbricht, opfert er nach dem Berichte
Appians (b. c. V 98) dvä/xoig evdioig xal äa^aXsici} Uwxsidoivi xai äxvfiovt
^aXdaari^ was eine glänzende Illustration erhält durch drei in Antium ge-
fundene Altäre mit den Inschriften ara Ventorum, ara Neptunij ara Tran-
quiUüatis.^) Gelübde werden dem Neptunus vor Antritt oder während
einer Seefahrt dargebracht, so z. B. von den Arvalbrüdem im Jahre 101
pro Salute et reditu et victoria.^) Nur ein anderer Ausdruck desselben Ge-
dankens ist es, wenn man anstatt des Neptunus geradezu die Stürme des
Meeres, die Tempestates, anruft und durch Weihungen zu versöhnen
sucht :^) dieselben besassen sogar einen Tempel in Rom in der Nähe der
Porta Capena, der sein Stiftungsfest am 1. Juni beging und von L. Cor-
nelius Scipio im Jahre 495 = 259 während eines Seesturmes in den cor-
sischen Gewässern gelobt worden war.^)
Während uns dieselbe hellenisierte Auffassung des Gottes auch in
den Weihinschriften aus den italischen Seestädten entgegentritt,®) hat
nicht nur die Religion der italischen Landbevölkerung die älteren Vor-
stellungen bewahrt (s. oben S. 250 Anm. 10), sondern auch in den Provinzen,
wo der Name Neptunus hie und da zur Bezeichnung einheimischer Gott-
heiten verwendet worden oder mit diesen verschmolzen ist,^^) begegnet er
uns vielfach in der weiteren Bedeutung eines Beschützers des feuchten
Elementes' in allen seinen Erscheinungsformen:^^) so wird er namentlich
an den oberitalischen Seen^<) und als Quellengott im wasserarmen Afrika^')
^j IIoaBidioyioy nennt ihn Cass. Dio
LXVI 24, bciaüica Nepttmi Hist. aug. Hadr.
19, 10, vgl. CurioB. orb. reg. IX; als Tempel
richtig gefasst z. B. von Lanciant, Annali
d. Inst. 1883, 8.
>) Cass. Dio LIII 27 und mehr bei Gil-
BBBT, Topogr. Ill 247 f.
») Liv. XXII 10, 9; vgl. CIL VII 11
[N]eptuno et Minervae tetnplum.
^) Beim Uebergange Scipios nach Afrika
550 =^ 204 Appian. Pun. 13 (doch s. dazu
V. DoMASZEwsKi, Korr.Bl. d. Westd. Zschr.
XVII 1898 S. 113,4. 114, 10); vgl. Liv. XXIX
27, 2. App.Mithr. 70. Cic. denat. deor.IIl 51.
») CIL X 6642-6644; vgl. auch die in
Hadrians Zeit von der 8. Legion in Lambaesis
geweihten Altäre CIL VUI 2609 lovi 0. M.
tempeatatium divitiarum j^otenti (ähnlich
HaNZBN 5615 I(ovi) 0. M. auctori honarum
tempeatatium) und 2610 Ventis bonarum tem-
pestcUium potentibw.
«) CIL VI 2074; vgl. auch Eckhbl, D. N.
VII 129 und die Inschriften CIL X 3813(Capua)
Neptuno . . . votum in Siculo fretu susceptum
solvü, XIV 3558 (Tibur) Neptufio adiutori,
^) CIL X 4846. XIV 2093; vgl. Hör.
epod. 10, 24. Verg. Aen. V 772 (auch UI
527) und v. Domaszewski a. a. 0. 112 ff.
•) Ovid. fast. VI 193. CIL I 32 = VI 1287.
Cic. de nat. deor. III 51 . Becker, Topogr. S. 516.
•) Ostia CIL XIV 1; Ravenna XI 126;
Parentium V 328; Formiae X 6104; Antium
X 6642; Pompei X 8157.
'^) In Oberitalien erscheint Neptunus in
Begleitung der Vires (CIL V 4285, vgl. oben
S. 141 Anm. 10) und der ebenfalls einhei-
mischen di aquatiles (CIL V 5258).
^^) S. zum Folgenden v. Domaszewski,
Korr. Bl. d. Westd. Zschr. XV 1896, 233 ff.
") CIL V 4285 f. 4874. 5098. 5258. 5279.
6565.
*•) Vgl. namentlich die aedes Neptuni
G. Di noTenaidea griechischer Herkunft. 49. Aescalapins nnd Salns. 253
verehrt und allenthalben von den Fischern und Schiffern und allen 6e-
werbtreibenden, die mit dem Wasser zu thun haben, angerufen;^) seine
Bilder und Kapellen stehen auf den Brücken,^) und die Nymphen er-
scheinen in seiner Gesellschaft.^) So spielte er in der Religion des täg-
lichen Lebens eine bedeutsame Rolle, und es hängt damit zusammen, dass
sein Fest, die Neptunalia, nicht nur während der Eaiserzeit nachweislich
fortbestanden,^) sondern im 4. Jahrhundert auch mit mehrtägigen Spielen
begangen wurden<^) und sogar den Sieg des Christentums geraume Zeit
überdauert haben. ^)
Litterat ur: Pbellsb-Jobdan, Rom. Mythol. II 120 ff. Wissowa in Roschers Lexik.
III 201 ff.
49. Aesculapius und Salus. Nach dem überreichen Zuströmen
griechischer Religionsvorstellungen während der ersten Jahrzehnte der
Republik trat begreiflicherweise ein Stillstand oder vielleicht gar ein Rück-
gang dieser Einflüsse ein, und im ganzen Verlaufe des 5. und 4. Jahr-
hunderts V. Chr. sind weitere Neuaufnahmen griechischer Gottheiten nicht
nachweisbar. Als aber nach Vollendung der Unterwerfung Italiens in Rom
die hellenisierende Tendenz mit verstärkter Gewalt einsetzt, hat sich der
Gesichtskreis der Römer in dem Masse erweitert, dass man nicht mehr
ausschliesslich auf die Kulte des benachbarten Grossgriechenland angewiesen
ist, sondern bereits vom griechischen Mutterlande selbst Entlehnungen
machen kann. War die Reihe der in Rom zur Heimatsberechtigung ge-
langten griechischen Götter durch den Heilgott Apollo, den man pro vcUe-
tudine populi anrief (oben S. 240), eröffnet worden, so fand im Anfange
des 3. Jahrhunderts v. Chr. die berufsmässige griechische Arzneikunst in
der Person ihres göttlichen Repräsentanten Asklepios Anerkennung und
Aufnahme. Als im Jahre 461 = 293 eine schwere Seuche Rom und Um-
gegend heimsuchte, verhiessen die sibyllinischen Bücher auf Befragen das
Weichen des Unheils, wenn man den Gott Aesculapius 7) aus seinem damals
als Quellheiligtam (aedes fontis) von Lam-
baesis CIL VIII 2652- 2656.
') Piacatores CIL V 7850; conttU)emium
nautarum GIRben. 1668 = 1678; molinarii
CIL III 5866; vgL auch die noaeidatyiaarai
auf Delos, Ball, de corr. heIMn. YII 468.
') C. Chbist, Jabrb. d. Altertamsfr. im
Rheinl. LXIl 1878, 20 ff. v. Domaszbwski
a. a. 0. 235
'») CIL III 3662. VI 536. XII 4186. Von
besonderem Interesse ist eine aus Wien stam-
mende unedierte Inscbrift, deren Mitteilung
ich der Freundlichkeit A. v. Domaszbwskis
verdanke: [7. o.] m. Nepiu[no 8]cdaceae
Nimp[his Danuv]io Acanno; dass die halb-
vergessene Salacia hier in später Zeit (die
Inschrift gehört wahrscheinbch ins J. 279
n. Chr.) und auf provinzialem Boden wieder
auftaucht, findet seine ParaUele in dem Er-
scheinen des Paares Mercurius-Maja auf
rheinischen Inschriften (oben S. 250 Anm. 3)
oder in dem Vorkommen von Weihinschriften
an Janus in den Donauländern und in Afrika
(oben S. 94 Anm. 9).
*) Hör. c. III 28 und oben S. 250 Anm. 10;
Neptunalia als Jahresfest auch in Gomum
(CIL V 5279) und in Ravenna (CIL XI 126).
») Philoc. zum 22. und 23. JuH (vgl.
MoMMSBN, CIL I* p. 323). Tertull. de spect. 6.
Auson. de fer. 19 f. CIL XIV 1 ■= Bueohelbb,
Anth. epigr. nr. 251.
^) Noch die frühestens in der zweiten
Hälfte des 6. Jhdts. abgefasste Homilia de
sacrilegiis (ed. C^spari, Christiania 1886,
p. 6) gedenkt der Neptunalia, wenn auch
yielleicht nicht mehr aus eigner Kenntnis
(Caspabi a. a. 0. S. 17).
') Die lateinische (Grundform Aisclapios
(Gefftssinschrift Ephem. epigr. I 5; Aeaclapius
noch CIL III 1766 f. V 727 f.) hat ihre Vor-
lage in korinthischem ^^/Ha^ioV (Robhl IGA
549 = Kaibbl, Inscr. gr. Sicil. Ital. 2282»,
dann folgen die Formen Äisculapius (CIL
VI 12), Aiscolapius (Noüz. d.8cavil892, 410),
Aescolapius (Notiz, d. scavi 1892, 267. CIL
X 7856); häufig ist auch Asclepius (z. B.
CIL VI 8. 20. X 1547. 1571. XI 3294. 3710).
Vgl. auch Jobdan, Krit. Beitr. S. 24 ff.
254
Beligion und Knltna der Römer. II. GOtterlehre.
in besonderer Blüte stehenden^) Eultorte Epidauros nach Rom überführe
(Liv. X 47, 7) : nachdem dem Gotte zunächst eine eintägige Supplication
abgehalten worden war (Liv. a. a. 0.), schickte man eine Gesandtschaft
nach Epidauros, um die heilige Schlange des Gottes zu holen : der Legende
nach') folgte diese nicht nur freiwillig den Römern auf ihr Schiff, sondern
wählte sich auch, nachdem sie bei der Ankunft in Latium im ApoUoheilig-
tume') zu Antium kurze Rast gehalten hatte, aus eigenem Antriebe die
Tiberinsel zum Aufenthalte, die seitdem dem Gotte geheiligt blieb^) und
zur Erinnerung an jenes Ereignis durch Aufmauerung der Ufer die Gestalt
eines stromaufwärts fahrenden, am Bug mit dem Bilde des Aesculapius
geschmückten Schiffes erhielt.^) An dieser Stelle, auf der ausserhalb des
städtischen Pomeriums gelegenen^) Insel, wurde der gelobte Tempel am
1. Januar des Jahres 463 = 291 eingeweiht.'') Wenn wir auch direkte
Zeugnisse dafür nicht haben, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass
der Gott seine Priester aus der Heimat mitbrachte und dass diese dann
als Vertreter griechischer Heilkunst in Rom auftraten; denn der Betrieb
in dem Heiligtume auf der Tiberinsel war völlig der eines griechischen
Asklepieion: wie in Epidauros wurden dort Schlangen und Hunde ge-
halten,^) die Kranken wurden hingebracht,^) erhielten durch Incubation
die nötige Weisung für ihre Behandlung und widmeten nach glücklich er-
zielter Heilung dem Gotte Dankinschriften und Votivgaben.io) Die Weih-
inschriften nennen häufig neben Aesculapius eine weibliche Kultgenossin,
die in den weitaus meisten Fällen als Hygia,^^) zuweilen aber auch mit dem
Namen Salus^^) bezeichnet ist. In offizieller Verwendung begegnet uns
der letztgenannte Name für die Gefährtin des Aesculapius zuerst im Jahre
574 = 180, wo zur Abwehr einer bereits im dritten Jahre in Rom und
Italien wütenden Seuche die sibyllinischen Bücher die Stiftung von Weih-
geschenken an Apollo, Aesculapius und Salus anordnen (Liv. XL 37,2);
der Zusammenhang zeigt hier deutlich, dass unter dem römischen Namen
die griechische Hygieia gemeint ist, und es stimmt dazu in auffallender
M Vgl. DiRLs. SibvU. Blätter S. 62 f.
und im allgemeinen E. Thrashbr bei Pault-
WissowA, Real-Encjcl. II 1650 f. 1666.
«) Ausführlich bei Ovid. met. XV 622 ff.
Val. Max. I 8, 2. Aur. Vict. vir. ill. 22;
kurze Erwähnungen bei Liv. per. XI. Oros.
III 22, 5. Plut. Qu. Rom. 94. Plin. n. h.
XIX 72. Strab. XII 567. Amob. VII 44. Lact,
inet. II 7, 18. August, c. d. III 17.
*) So richtig Ovid. met. XV 722; Val.
Max. und Aur. Vict. aa. 00. reden fälsch-
lich von einem Aesculaptempel.
*) Dion. Hai. V 13. Suet. Claud. 25.
Apoll. Sid. epist. I 7, 12.
') JoBDAM, Annali d. Inst 1867, 889 ff.
üeber bildliche Darstellungen der Ankunft
der Aesculapschlauge auf Münzen und Re-
liefs 8. V. DuHN, Rom. Mitteil. I 167 ff.
•) Plut. Qu. Rom. 94. Plin. n. h. XXIX
16; ist an letztgenannter Stelle der Text in
Ordnung, so muss es schon vor dem Insel-
tempel ein älteres — natürlich ebenfalls
extrapomeriales - Heiligtum des Aesculapius
in Rom gegeben haben, welches vielleicht
auch Varro de 1. 1. VII 57 meint, wenn er
Gemälde in Aesculapii aede vetere erwähnt ;
'JaxXtjnteTtt im Plural nennt in Rom Cass.
Dio XLVll 2, 8.
») Ovid. fast. I 290 ff. CIL I« p. 305;
über den Tempel vgl. Jobdan, Gomment.
Mommsen. S. 858 f. Gilbbbt, Topogr. I1172f.
") Paul. p. 110; über Epidauros s.
Thbabmeb a. a. 0. 1681 f.
^) Von dort ausgesetzten kranken Sklaven
spricht Suet. Claud. 25; vgL Cass. Dio LX 29.
»0) CIL VI 1—20. Kaibbl, Inscr. graec.
Sicil. IUI. 966—968; vgl. auch Hülsbn, Rom.
Mitt. VIII 819.
») z. B. CIL VI 17—19. IX 5823. X
1546. 1571. XI 2092; beide als Patrone von
CoUegien, vgl. das Statut des rOmischen col-
legitim Äesculapi et Hygiae CIL VI 10234
und mehr beiLiBBENAM, Vereinswesen S. 290 f.
»«) CIL VI 20. VII 164. VIII 2579. X 1547.
C. Di novensidea griechischer Herkunft. 60. Dia Pater und Proaerpina« 255
Weise die Thateache, dass die Gleichsetzung von Salus und Hygieia nicht
dem Plautus, wohl aber dem Terenz bekannt ist.^) Es erhält also in
dieser Verbindung die längst im römischen Kulte heimische Göttin des
allgemeinen Wohles, Salus (s. oben S. 122), eine engere Beziehung speziell
auf das körperliche Wohlbefinden,^) offenbar in Anlehnung daran, dass
Aesculapius namentlich pro salute cdicuius^) angerufen zu werden pflegte
und auch selbst den Beinamen salutaris führte (CIL XI 3710, vgl. III 987).
Der Kult der alten Salus ist davon im wesentlichen unberührt geblieben,
nur in einem Punkte hat die jüngere Salus-Hygieia auf sie zurückgewirkt :
nachdem man nämlich sich gewöhnt hatte, diese letztere im Typus der
griechischen Hygieia^) mit der für diese charakteristischen Anordnung
des Doppelgewandes darzustellen, übertrug man dieselbe Bildung auch
auf Salus als Personifikation des Staatswohles und von ihr weiter auf all
die zahlreichen Abstractionen und Personificationen des römischen Vorstel-
lungskreises (s. unten § 54), indem man nur durch Beigabe verschiedener
Attribute die Grundfigur abwandelte.
Die inschriftlichen Zeugnisse des Aesculapkultes aus der Kaiserzeit^)
lehren uns für die Auffassung des Gottes nichts wesentlich Neues : überall
ist er der für die leibliche Wohlfahrt seiner Verehrer sorgende Arzt (z. B.
auch beim Heere, wo er uns als Aesculapius castrorum^) entgegentritt),
der darum auch besonders an Heilquellen seine Kultstätten findet: 7) damit
hängt es wohl auch zusammen, wenn sich nach späten Nachrichten in
den Thermen Diocletians ein templum Asclepü befand,^) auf welches Jordan
wenigstens fragweise den im Kalender des Philocalus zum 11. September
notierten n{aialis) Asclepi (CIL P p. 329) bezieht.
60. Dia pater und Proserpina. Als im Jahre 505 = 249 nicht nur
der Krieg mit Karthago eine verhängnisvolle Wendung zu nehmen schien,
sondern auch aussergewöhnliche Schreckzeichen, insbesondere die Zer-
störung eines Teiles der Stadtmauer durch Blitzschlag, die Gemüter er-
regten, wurden auf Geheiss des Senates durch die Decemvirn die sibyl-
linischen Bücher befragt, und ordneten an, es sollten dem Dis pater
und der Proserpina im Marsfelde in drei aufeinander folgenden Nächten
ludi Tarentini gefeiert und schwarze Opfertiere (hostiae furvae)^ dem Dis
ein Stier, der Proserpina eine Kuh,^) dargebracht, sowie die Wieder-
holung dieser Feier nach Ablauf von hundert Jahren gelobt werden. ^o) Eine
') Ter. Hec. 338: quod te, Aesculapi, et
te, Salus, ne quid sit huiu8 oro; vgl. Kbsb-
BEBO, Qnaestiones Plantinae et Terentianae
ad religionem spectantes (Lipsiae 1884) p. 54.
') Vereinzelt kommt im gleichen Sinne
auch eine Göttin Valetndo vor, so auf den
Inschriften CIL IIl 5149. Vlir 9610. IX 3812 f.
und als Beischrift einer Hygieiadarstellung
auf dem Revers der Denare des M.* Acilius
Glabrio (Babblon, Monn. consul. 1 106), deren
Vorderseite einen bekränzten Franenkopf mit
der Beischrift Salutis zeigt. Der Name findet
sich auch bei Mart. Cap. I 55, die Existenz
eines Heiligtums der Valetudo auf dem Gapitol
hat JoBDAH, Topogr. I 2 S. 46 mit Unrecht
») CIL VI 13. 19. XI 2092 f.
*) Thbaembb in Roschers Mythol. Lexik.
1 2787 ff.
') Das Material gibt D. Vaoubbi bei
RüGOiEBO, Dizion. epigr. I 314 ff.
•) CIL VI 15; vgl. die Weihung eines
medicus c6h(prt%8) V ebd. 20.
'') ÄpoUini Silvano Asclepio Nymphis
CIL XI 3294 aus Vicarello ; vgl. CIL III 1561.
^) JoBDAK, Topogr. II 524 f. ; Comment.
Mommsen. S. 356.
») Val. Max. II 4, 5. Zosim. II 3, 3.
^®) So der zuverlässigste Bericht, der des
Varro bei Censor. 17, 8; vgl. August, c. d.
111 18 (ungenau, wie die Hereinziehung der
ans Petron. 88 gefolgert. \ Pontifices zeigt). Verrius Flaccus beim Schol.
256
Religion und Kultna der Römer, n. OOtterlehre«
solche Wiederholung hat auch — allerdings mit einer kleinen Verspätung —
im Jahre 608 = 146 stattgefunden,^) im folgenden Jahrhundert aber er-
hielt die Feier durch Augustus eine ganz neue Gestalt, in der sie sich
vom Kulte des Dis und der Proserpina völlig loslöste, wenn auch die drei
Nächte (zu denen nunmehr aber auch die dazwischen liegenden Tage
kamen) und vor allem die Örtlichkeit dieser nächtlichen Ceremonie bei-
behalten wurden (s. oben S. 68). Diese Örtlichkeit, im nördlichen Teile
des Marsfeldes nahe dem Tiber gelegen, führte selbst den Namen Tarentum,^)
und es befand sich dort ein 20 Fuss unterhalb der Oberfläche unterirdisch
angelegter Altar des Götterpaares, der nur zum Zwecke der Festfeier
freigelegt wurde, s) Beide Gottheiten waren vor der Feier des Jahres
505 = 249 der römischen Religion gänzlich fremd: wie der Name Dis,
dessen Identität mit dem griechischen nlovronv auch die Alten nicht ver-
kennen konnten,^) nichts anderes ist als die Übersetzung dieses griechischen
Namens, so kann man in Proserpina, obwohl Varro^) den Namen von
proserpere ableitete, nur eine Zustutzung und lautliche Anpassung des grie-
chischen nsqaBffovrj erkennen,^) und dass die Römer selbst ihn als einen
griechischen empfanden, geht daraus hervor, dass sie es für notwendig
hielten, ihn sich durch Gleichsetzung der Göttin mit der einheimischen
Libera zu verdolmetschen. '') Was der varronische Bericht über die Wan-
derungen der Pelasger in Italien von einem eng verbundenen Kulte des
Dis pater und Saturnus zu erzählen weiss, ^) bezieht sich selbst in der
Überlieferung gar nicht auf Rom, sondern auf die Aboriginer des Sabiner-
gaus bei Cutilia,^) und dass die angeblich früher in den Jahren 406 = 348,
305 = 449, ferner vom ersten Konsul M. Valerius Poplicola, während des
Krieges zwischen Rom und Alba unter TuUus Hostilius, endlich in unbe-
stimmter Vorzeit von einem Yalesius aus Eretum im Sabinerlande an der
Cruqa. zu Hör. c. b. 1. Liv. per. XLIX.
Zosim. II 4, 1.
») Censor. 17, 11. Liv. per. XLIX.
*) Diese Schreibung, die der besten Ueber-
lieferung der Schriftstellen entspricht (s.
ZiBUNSKi, Quaestiones comicae p. 94 ff.], ist
nunmehr durch die Akten der Saecularspiele
des Septimius Severus (III 15, Ephem. epigr.
VIII p. 284) auch inschriftlich gesichert.
») Val. Max. II 4, 5. Zosim. II 3, 2. Fest,
p. 329 (vgl. dazu Roth, Rhein. Mus. VIII
874). 351. Reste der Anlage sind vor einigen
Jahren aufgefanden worden, vgl. R. Lak-
ciANi, Monum. antichi d. Lincei I 540 ff.
HüLSKir, ROm. Mitteil. VI 127 ff.
^) Cic. de nat. deor. II 66; vgl. Enn.
Euhem. bei Lact. inst. I 14, 5. August, c.
d. VII 28 ; andre Etymologie bei Thurnetsen,
Zschr. f. vgl. Sprachwiss. XXXII 559.
*) Varro de 1. 1. V 68. August, c. d.
IV 8. VII 20. Amob. III 33.
*) So Jobdan, Krit. Beitr. S. 68 ff. und
früher auch Usenrr, Rhein. Mus. XXII 435 f.,
der aber jetzt (Göttemamen S. 77) sehr be-
stimmt sagt: „dass Proserpina und Flora
hervorragende Götter des römischeu Cultus
waren, weiss ein jeder.'
') z. B. Cic. Verr. IV 106 ff. Amob. V
21. 35.
^) Saceüum Ditis arae Satumicohaerens
Macr. S. 1 11, 48, vgl. I 7, 30: erectiaque
Diu sacello et Satumo ara. Amob. II 68.
Auf welchen GrQnden die Annahme des Varro
(bei Macr. S. I 7, 30 f. 11, 48 f.) beruht,
dass die bei der Satumalienfeier zur Ver-
wendung kommenden oscüla ad humanam
effigiem arte simulata in Beziehung zu Dis
pater ständen, ist nicht mehr zu ermitteln;
jedenfalls aber kann es sich dabei nur um
die hellenisierten Satumalien (s. oben S. 170)
handeln, so dass aus dieser Angabe, auch
wenn sie mehr als eine müssige Kombination
sein sollte, auf alte Beziehungen zwischen
Dis pater und dem römischen Satumus nicht
geschlossen werden darf.
*) Nach Rom wurde die Erzählung erst
übertragen, als man (wahrscheinlich war es
Verrius Flaccus) sie mit dem Sprichworte
sexagenarios de ponte und dem Argeeropfer
zusammenbrachte; vgl. Wissowa, Real-£n-
cycl. II 691 f.
C. Di noTensidea griechischer Herkunft. 60. Die pater und Proserpina. 257
ara Ditis in Tarento dargebrachten Opfer^) nur Annalistenerfindung (des
Valerius Antias) sind und in ähnlicher Weise einen Stammbaum der Ludi
Tarentini von 505 = 249 fingieren, wie die Commentarii der Quindecim-
virn den der augusteischen Saecularfeier, ist längst erkannt und heute
wohl kaum mehr ernsthaft bestritten.') Der griechische Charakter der
ganzen Feier steht, auch wenn wir von Rückschlüssen aus den Akten des
augusteischen Saecularfestes, in denen der Achivus ritus eigens betont
wird, absehen, ausser Zweifel dadurch, dass sie auf Anordnung der sibyl-
linischen Bücher stattfindet und bei ihr ausdrücklich Lectistemia erwähnt
werden, 3) eine Thatsache, die in richtige Beleuchtung tritt, wenn man sich
erinnert, dass in Athen gerade auch dem Pluton eine xiXvri aufgestellt
und ein Tisch gedeckt, d. h. ein Lectisternium bereitet wurde (CIA II
948 — 950). Die Frage, von wo die Römer den Dienst von Pluton und
Persephone entlehnt haben, ist zwar nicht mit voller Sicherheit zu be-
antworten, doch weist der Name der römischen Kultstätte so entschieden
auf Tarent als Ursprungsort hin, dass man trotz des Fehlens direkter
Zeugnisse nicht wohl umhin kann, dort die Heimat der ludi Tarentini zu
suchen.^) Die Römer haben die beiden fremden Kultgestalten schlechthin
übernommen, ohne sie mit älteren Figuren der eigenen Religion zu iden-
tificieren oder in Verbindung zu bringen; eine Anpassung an die ein-
heimischen Vorstellungen ist nur insofern erfolgt, als die alUiundertjährige
Wiederholung der Feier nicht griechischem Brauche entnommen war, son-
dern an den italischen Begriff des saeculum anknüpfte, der ja durch das
Einschlagen des Saeculai-nagels (oben S. 111) auch seither schon im Kultus
zur Geltung kam. Eine andere Kultstätte als den Altar auf dem Tarentum
scheinen Dis pater und Proserpina in Rom nie besessen zu haben: denn
wenn die Notitia urbis in der XL Region (Circus maximus) aedem Ditis
patris aufführt, so hat die Vermutung sehr viel für sich, dass damit die
aedes Summani cui circum maximum gemeint ist, da späterer Sprachgebrauch
einfach Summanus durch Dis pater ersetzt (s. oben S. 124). Eine irgend-
wie bedeutsame Rolle hat Dis pater, abgesehen von den Ludi Tarentini,
weder im Staats- noch im Privatkulte gespielt: wir finden seinen Namen
in der jüngeren Fassung der Devotionsformel, wie sie bei Macr. S. IQ
9, 10 vorliegt, neben Vejovis und die Di manes eingestellt;^) ein Sibyl-
0 Val. Max. II 4, 5. Zosim. II 1—4. ' ^) Lectistemia hat bei Val. Max. a. a. 0.
Ceneor. 17, 10 f. Plnt. Poplic. 21. zweimal der voIlstAndige Text, während der
*) LitteraturbeiMABQüARDT^Staatsverw. j Auszug des Paris beidemal dafür sellistemia
III 387 ff. ; vgl. ZiBLursKi a. a. 0. p. 99, 1. bietet und dies durch die Akten der auguste-
MoioiBBN, Ephem. epigr. VIII p. 237. Wis- ischen Saekularspiele (Ephem. epigr. VIII
sowA, Die Saecularfeier des Augustus, Mar- i p. 255 f.) bestätigt wird ; bei der urspröng-
bnrg 1894. Für die Annahme, dass ein alter liehen Feier des J. 505 = 249 wird man
Gentilkultus der Valerier zu Grunde liege ' Lectistemia für Dis und Sellistemia für
(so früher Mommsbn, Chronol.' S. 182 und Proserpina anzunehmen haben,
neuerdings namentlich G. Pinza, Bull. arch. \ *) Auf Analogien der tarentinischen
com. XXIV 1896, 195 ff.), bietet sich eben-
sowenig ein sicherer Anhalt wie für die
andre, ,dass die sibyllinisch-etruskischen
Saecularspiele im ersten punischen Kriege an
die SteUe des alten . . . Sühnfestes der ludi
Terentini getreten* seien (Diels, Sibyllin.
Blätter S. 44 Anm.).
'Yaxly^ia weist Ziblinski a. a. 0. p. 101 f.
hin ; jedoch setzt die römische Namengebung
einen Kult voraus, dessen Träger offiziell die
Namen nXovttjy und JJB^Btpoyri trugen.
^) Da diese Fassung der Formel auf
die Einnahme Karthagos gestellt ist, stammt
sie frühestens aus der zweiten Hälfte des
Handlmch der klaas. Altertnmgwtocniicbaft. V, 4. 17
258 Eeligion und Koltas der BOmer. IL Qotterlehre.
linenorakel des Jahres 629 = 125 ordnet wegen des Prodigiums einer
Androgynengeburt u. a. auch das Opfer eines schwarzen Stieres für 'Aidw^
vevg nkovTwv an,^) und auch ein Opfer des Kaisers Otho an Dis wird ge-
legentlich erwähnt,*) Weihinschriften für Dis wie für Proserpina sind ver-
hältnismässig recht selten. 3) Um so häufiger erscheinen beide Gottheiten
in der Poesie, wo Dis pater sowohl bei der Wiedergabe des Inhaltes der
griechischen Sage als in den dichterischen Schilderungen der Unterwelt
durchaus für den nXov%fov und "Aidrfi der griechischen Poesie eintritt,^)
ohne dass dem Bilde ein besonderer Zug römisch-italischer Götterauf-
fassung beigemischt wäre; auch in die Grabschriften, namentlich die
metrischen, sowie in die Verwünschungsformeln (defixiones) der Bleitafeln
dringt dieser Sprachgebrauch ein, zuweilen vermengt mit der römischen
Vorstellung von den Di manes.^) Es ist unter diesen Umständen kein
Wunder, wenn spätere Überlieferung den so geläufigen Namen des Gottes
auch an solchen Stellen einsetzt, an die von Haus aus nur die altrömischen
Unterweltsgottheiten gehörten, und z. B. den mundus (s. oben S. 188 f.)
als dem Dis pater und der Proserplna geweiht bezeichnet (Macr. S. I 16,
17). Schliessh'ch verwendet man den Namen Dis pater zur Bezeichnung
eines jeden wirklichen oder vermeintlichen Todes- und Unterweltsgottes
der eigenen wie fremder Religionen : wie man die römischen Götter Sum-
manus (oben S. 124 Anm. 9) und Vejovis (oben S. 191 Anm. 1), auch
Februus (oben S. 187) mit ihm identificierte, so erklärte man durch die-
selbe Gleichung auch das Wesen des faliskischen Gottes vom Berge Soracte
(oben S. 191) und des etruskischen Mantus^) und meinte denselben Gott
auch bei den Galliern (Caes. b. g. VI 18, 1) und bei den Einwohnern von
Sinope (Tac. bist. IV 83 f.) wiederzufinden.
Auf einer Reihe von späten Denkmälern ausseritalischer Provenienz,
in Rom nur auf dem berühmten Grabgemälde der Praetextatus-Katakombe
mit der Darstellung der Totenfahrt der Vibia,^) begegnet uns neben Dis
pater an der sonst von Proserpina eingenommenen Stelle eine Göttin Aera-
cura, die ausserdem einigemale auch allein, einmal (CIL VIII 5526) auch
mit Terra mater und Mater magna Idaea verbunden auftritt;^) da sich
2. Jahrhunderts ; die ältere Devotionsformel VI 6986. VII 250 {Plutoni sacrum steht auf
hei Liv. VIII 9, 6 weiss von Dis pater nichts. einer Grabschrift von Capua CIL X 3815),
>) Orakel bei Phleg. macr. 10 V. 30 und ' auf Bleitafeln CIL VI 140 f.
dazu DiBLs a. a. 0. S. 50. l ^) Schol. Veron. und Serv. Aen. X 200.
*) Suet. Otho 8: victivia Diti patri caesa \ Bei dem von Tertull. ad nat. I 10; apol. 15
liiavitf cu/ni täli sacrificio contraria exta
potiora sint.
») CIL VI 137—139. V 773. 3225; die
Ergänzung IH[ti] Diove VI 136 ist gewiss
nicht zutreffend. Ausserdem begegnet eine
sacerdos Ditis patris CIL VI 2243, eine
sacerdos Matris deum et Proaerpinae VI
508, Altar und Statue der Proserpina in Vibo
X 39, templum deae Proaerpinae in Malta
X 7494 ; endbch findet sich Peraepona auch
in dem Weihgedichte von Corfinium, Rhein.
Mus. XXXIII 283 f.
*) Zahlreiche Belege dafür bei R. Peter
in Roschers Mythol. Lexik. I 1179 ff.
^) So z. B. in Grabschriften CIL III 754.
berichteten Brauche Ditia pater . . . gladia-
torum exaequiaa cum malleo deducit hat man
wohl an eine Maske des etruskischen Oharun
zu denken, vgl. Mülleb-Debobjs, Etrusker
II 102. 0. Waseb, Charon, Charun, Charos
(Berlin 1898) S. 68.
') Die Inschriften CIL VI 142, Abbil-
dungen bei Qabbücci, Storia dell' arte christ
VI Taf. 493, zum Teil auch bei Darbkbbeo-
Saolio, Diction. II 280 fig. 2468; zuletzt be-
handelt von £. Maass, Orpheus S. 207 ff.
(m. Abbild.)
^) Die Zeugnisse bei Wissowa, Real-
Encycl. l 667.
B« Di novensidÖB grieolüsoher Herkunft. 61. Mens.
259
auf eioer istrischen Inschrift (CIL V 8970*) an der gleichen Stelle neben
Dis der einfache Name Era findet und eine mit dieser sicher identische
Hera oder Haera domina auf Inschriften derselben Gegend vorkommt (CIL
y 8126. 8200), so hat man den Namen in die beiden Bestandteile Aera
Cura zu zerlegen, und von den verschiedenen Deutungsversuchen*) ist der
ansprechendste der von H. Gaidoz,«) der in Aera Cura eine Entstellung
oder volkstümliche Anpassung des griechischen Namens ''ff^a Kvqia sieht:
für diese Erklärung spricht nicht nur der Umstand, dass die Auffassung
der ünterweltsgottheiten als Oegenbilder und Parallelen zu Zeus und Hera,
als luppüer infemus und Inno Stygia u. ähnh, eine namentlich in der
römischen Dichtung weit verbreitete ist,^) sondern mehr noch die That-
sache, dass auf afrikanischen Denkmälern (CIL VIII 9020 f.), auf denen
uns ein ganz analoges Paar, Pluto und Ceres, entgegentritt, diese ebenfalls
den Beinamen Cyria führt.
51. Mens. In dem für die römische Religionsgeschichte so wichtigen
Jahre 537 = 217 (s. oben S. 54 f.) wurden neben zahlreichen andern
sakralen Veranstaltungen, die man unter dem Eindrucke der schweren
Niederlage am trasimenischen See traf, auch zwei Tempel gelobt, der
Venus Erucina und der Mens; sie wurden im fügenden Jahre eingeweiht,
beide auf dem Capitole gelegen und derart benachbart, dass sie nur canali
uno discretae waren;*) der von M. Aemilius Scaurus, Cos. 639 = 115,
wiederhergestellte^) Tempel der Mens beging in augusteischer Zeit sein
Stiftungsfest am 8. Juni.^) Schon der enge zeitliche und örtliche Zusam-
menhang mit der sicher griechischen Göttin vom Eryx (s. oben S. 236)
weist auch Mens dem hellenischen Götterkreise zu, und das wird dadurch
bestätigt, dass, wie Livius ausdrücklich hervorhebt, die Stiftung des Kultes
auf Grund eines Gutachtens der Decemvirn nach den sibyllinischen Orakeln
erfolgte. Für die Herkunft der Göttin ist von Wichtigkeit die Thatsache,
dass uns die durch Beischrift gesicherte Gestalt einer Göttin Bona Mens
auf Münzen von Paestum begegnet, 7) und dass magistri Mentis Bonae (oder
auch nur Menüs), also Vorsteher von Kultgenossenschaften der Göttin,^)
vielfach durch Inschriften des südlichen und mittleren Italiens bezeugt
sind,») so aus Paestum selbst (CIL X 472 = Ephem. epigr. VIII 286),
Puteoli (CIL X 1550), Cales (X 4636), Cora (X 6512—6514), Alba Fucens
1) MoxMSBN, Archaeol. Anz. 1865, 88* ff.
sah in ihr die „Geldschafferin* neben dem
„reichen' Dis pater, Maass a. a. 0. S. 220,
27 fasst den Namen als Zusammensetzung
Yon^'H^a und KovQa =. KoQtj wie Isityche.
«) Rev. arch^ol. 8» s^r. XX 1892, 198 ff.
'} Belege bei Maass a. a. 0. und mehr
bei R. Pbteb a. a. 0. 1186 f.
*) Liv. XXII 9, 10. 10, 10. XXIII 31,
9 ; vgl. Ovid. fast. VI 241 ff.
») Gic. de nat. deor. II 61. Plut. de
fort. Rom. 5. 10, die beide von Scaurus als
dem ersten Stifter reden; wenn R. Pbteb
in Roschers Lexik. II 2799 meint, die Besie-
gung des Scaurus durch die Cimbern 647 =
107 habe den Anlass gegeben, so s. dagegen
£. Klebs bei Pauly-Wissowa, Real-Encjcl.
I 587 f.
«) Ovid. a. a. 0. CIL I* p. 319.
7) Cabelli, Num. Ital. vet. tab. CXXXI
84. Gabbücci, Monete d'Italia tav. CXXH
36. British Museum Catal. Italy 280. 50.
^) Wenn in den fast volistäiidig erhal-
tenen Fasti Maffeiani (CIL l* p. 222 ff.) von
den natales templorum einzig und allein der
der Mens in Capit(olio) aufgezeichnet ist, so
liegt die Vermutung nahe, dass dieser Ka-
lender eben für solch eine Kultgenossen-
schaft der Bona Mens bestimmt war.
*) Weihinschriften einzelner auch aus
Luna (CIL XI 1327), Aquileja (Arch. epigr.
Mitt. ttus Oesterr. XIX 206), Lugudunum
(CIL XIII 1673).
17
260
Beligion nnd Knltas der BOmer. IL Götterlehre.
(IX 3910 f.) und Tibur (XIV 3564). Über die Auffassung der Göttin von
Seiten ihrer Verehrer geben freilich diese Inschriften ebensowenig einen
Aufschluss wie die gelegentlichen Erwähnungen bei Schriftstellern, die,
soweit sie nicht einfach Mens mit andern göttlichen Verkörperungen
menschlicher Tugenden wie Virtus Pietas Fides zusammenstellen,^) nichts
weiter anzugeben wissen, als das, was schon der Name der Göttin sagt,
nämlich dass man zu ihr um Verleihung von bona mens gebetet habe und
dass die bona mens der heranwachsenden Knaben als ihr Geschenk ange-
sehen worden sei.^) Jedenfalls ist Mens im capitolinischen Kulte ebenso
eine Bona Mens wie anderswo, und beachtet man die Verwendung dieses
Ausdruckes und seines Gegensatzes mala mens im römischen Sprachge-
brauches) sowie den Umstand, dass die durch die Unbesonnenheit und man-
gelnde Umsicht des Feldherm herbeigeführte Niederlage am trasimenischen
See die unmittelbare Veranlassung zur Weihung des Tempels gab, so erkennt
man, dass man Mens als eine göttliche Vertreterin der verständigen Ein-
sicht, die in allen Lebenslagen das Richtige thun lehrt, anzusehen hat
und griechisch am besten mit 2ai<pQ0(fvvYj wiedergibt, wenn auch dieser
Begriff durch die römische Auffassung vielleicht nicht ganz erschöpft wird.
Wenn man aus der gleichzeitigen Einführung der Dienste von Mens und
Venus Erucina und der Nachbarschaft ihrer Heiligtümer gefolgert hat,
auch Mens müsse irgend eine Seite der griechischen Aphrodite darstellen,
so ist das gewiss ein Fehlschluss; und aus der Erzählung des Arnobius
(ni 37), dass manche Gewährsmänner die Musen als Töchter des Juppiter
und der Memoria vel Mens bezeichneten, ist, wie längst erkannt ist, nichts
zu entnehmen, da hier nur eine Übersetzung des griechischen Namens
MvrjUoavvYj vorliegt.
52. Sei und Luna. Nur in Ermangelung eines besser zu begrün-
denden Platzes lasse ich hier anhangsweise den Kult von Sol und Luna
folgen, dessen Alter und Herkunft auch nur mit annähernder Sicherheit
zu bestimmen wir zur Zeit ausser stände sind; immerhin wird die An-
nahme einer griechischen Entlehnung dadurch nahe gelegt, dass eine der
älteren Kultstätten des Sol ausdrücklich als pulvinar bezeichnet wird
(s. unten) und dieser mit den Lectisternien des graecus ritus untrennbar
verbundene Ausdruck sonst nie mit Beziehung auf eine italisch-römische
Gottheit vorkommt.^) Die Überlieferung allerdings rechnet Sol und Luna
0 Cic. de nat. deor. III 88 ; de leg. II
19. 28. Plin. n. h. II 14. Lact. inst. I 20, 13.
«) August, c. d. VII 8. IV 21 ; bei Ter-
tull. ad Dat. II 11 ist die Ergänzung des
verstümmelten Textes deam <Mentem, qitae
faciat mentem honam aequ>e et tnalam un-
sicher und bedenklich.
') Mens bona^ st qua dea es, tua nie
in sacraria condo Prep. III 24, 19; Mens
bona ducetur manibus post terga retortis et
Pudor Ovid. am. I 2, 81; Mens bona, Fama,
Fides Pers. 2, 8; mentem bonam bonamque
caletudinem petere Petron. 61. 88. Senec.
epist. 10, 4 ; ire (revertere) ad bonam mentem
Senec. epist. 41, 1. Hist. aug. Tac. 2, 4;
bonae mentis iuvenes Qnintil. II 12, 12; vgl.
auch Liv. XXX 80, 16. Senec. nat. qu. IV
praef . 7 : überall kann man hier bona mens
durch aatg>Qocvvtj wiedergeben nnd ebenso
umgekehrt mala mens (Gatnil. 15, 14. 40, 1 ;
turare se mala mente fuisse Tibull. II 5,
104. Senec. de benef. III 27, 2) durch cr^^o-
ffvyfj. Plutarch de fort. Rom. 5. 10 über-
setzt Mens mit rvtofirj und EvßovXla,
*) Vgl. £. AusT in Roschers Lexik. II
2158 f. und über den Kult yon Helios and
Selene in Griechenland W. H.Roschbb, Selene
und Verwandtes S. 7 ff. und Nachträge (War-
zen 1895) S. 2 f.
G. Di noTensideB grieohisoher Herkunft. 58. Sol nnd Lnna. 261
zum ältesten Bestände des römischen Götterkreises, und zwar (auf Grund
der Autorität des Yarro) zu den Gottheiten sabinischer Herkunft: Yarro
zählte beide zu den von Titus Tatius in Rom eingebürgerten Gottheiten,^)
und er ist es sicher auch gewesen, der den Namen der angeblich sabini-
schen Aurelii von dem Gotte Sol herleitete, für dessen Dienst der Gens
vom römischen Yolke offiziell ein Platz angewiesen worden sein sollte;^)
der Tempel der Luna auf dem Aventin galt als eine Gründung des Servius
TuUius (Tac. ann. XY 41). Aber gegen die Annahme, dass göttliche Yer-
körperungen des Tages- und des Nachtgestirnes bereits im Kreise der di
indigetes vertreten gewesen wären, spricht die Thatsache, dass weder im
Festkalender noch in der Priesterordnung sich irgendwelche Spur dieses
Gottesdienstes findet und dass auch sonst nirgendwo in Italien alter Sonnen-
und Mondkultus nachweisbar ist. Zu den ältesten Zeugnissen der Bekannt-
schaft mit diesen Gottheiten in Rom gehört das Erscheinen der auf ihrem
Zweigespann fahrenden Luna im Reversbilde der ältesten römischen Bigati
etwa aus der Zeit des zweiten punischen Krieges;^) der Typus schliesst
sich durchaus an die seit Phidias gebräuchlichste griechische Darstellungs-
form^) an, die den Sonnengott auf einem Yiergespann, die Mondgöttin auf
einem Zweigespann am Himmel auf und nieder steigen lässt.^) Es ist
sicher erst diese von den Griechen übernommene Darstellungsform gewesen,
die den Anlass gab, Sol und Luna in besonders enge Yerbindung mit
den Gircusspielen zu bringen und dem ersteren den Schutz der quadrigae,
der andern den der bigae zuzuweisen.^) Daher besass Sol mitten im Gircus
einen verhältnismässig alten Tempel mit dem Bilde des fahrenden Gottes
auf dem Dachfirst,^) und zwar galt dieses Heiligtum dem Dienste von Sol
und Luna gemeinsam, wie daraus hervorgeht, dass das Regionenbuch
(reg. XI) es als templum Solis et Lunae bezeichnet und der Kalender des
Philocalus auf den 28. August den durch Gircusspiele zu feiernden Stif-
tungstag Solis et Lunae ansetzt.^) Die gemeinsame Yerehrung von Sol
und Luna ist für Rom auch durch Inschriften (CIL YI 706. 3719 f.) be-
zeugt,*) und Yarro gibt im Eingange der Schrift de re rustica (I 1, 5)
») Varro de l. 1. V 74. Dion. Hai. II
50, 3. Augast. c. d. IV 23.
') Paul. p. 23: Aureliam famüiam ex
Sabinis oriundam a Sole dictam putant,
quod ei publice a populo Botnano datas sü
loctiSf in quo Sacra faceret Soli, qui ex hoc
Auselii dicebantur, danach zu emendieren
Varro de 1. 1. V 68 Sol ausel (sola vel die
Ueberliefenmg), quod ita Sabini; vgl. Cur-
TIU8, Griech. Etymol.^ S. 399 f. Erbtschmeb,
Einl. in die Gesch. d. griech. Sprache S. 83 f.
') Elüoxann» Zeitschr. f. Nomism. Y 62 ff.
*) 8. RoBCHBB, Selene S. 30. 37 ff. 0.
Jabh, Arch. Beitr. S. 79 ff.
^) Dass auch die andre griechische Auf-
fassung, nach der die Mondgöttin auf einem
Maultiere reitet (Pbbllbb-Robebt, Griech.
Mythol. I 444, 3) in Rom bekannt war, zeigt
Paul. p. 148: mulus vehicido Lunae habetur.
') Vetus aedes ap%^ circum Tac. ann.
XV 74 ; aedes (Solis) in medio spatio (drei)
et effigies de fastigio aedis emicat TertuU.
de spect. 8.
^) Hierher gehört auch das Fragment
der Fasti Praenestini CIL P p. 239«: [So]lis
et Ijun\ae\\ einen Altar der Mondgöttin im
Circus nennt auch Lvd. de mens. 112. Ueber
die Lage des Templum Solis et Lunae vgl.
HüLSEK, Dissert. a. Accad. Pontif. Rom. d.
Archeol. ser. II t. VI p. 266 f., der die sehr
ansprechende Vermutung äussert, dass in dem
auf den erhaltenen Darstellungen des Circus
innerhalb der Sitzreihen erscheinenden und
gewöhnlich für das sacellum Murciae (s. oben
S. 194 Anm. 8) gehaltenen Heiligtume viel-
mehr dieser Tempel zu erkennen sei.
*) Vgl. auch die Denare des L. Valerius
Acisculus mit dem Kopfe des Sol auf der
*) TertuU. de spect. 9. Cassiod. var. III Vorderseite und der Biga mit Luna auf dem
51, 6. Anthol. lat 197, 17 R. Revers, Babelon, Monn. consul. II 520 nr. 20.
262
Religion nnd Kultus der Römer, ü. Gtttterlehre.
unter den von ihm angerufenen Zwölfgöttern des Landbaues diesem Paare
die zweite Stelle sofort hinter Juppiter und Tellus. Daneben aber haben
beide Gottheiten auch ihre besonderen Kultstätten gehabt. Von Luna wird
ein Tempel auf dem Palatin erwähnt, der nachts erleuchtet war und von
dem die Göttin den Beinamen Nodüuca führte,^) und die Fasti Pinciani ver-
zeichnen unter dem 24. August ein Opfer Lunae in Graecost{asi) : darauf,
dass der Tag einer der dies religiosi ist, an denen der mundus offen stand
(oben S. 189), hat Momusen (CIL P p. 327) hingewiesen; es kann sich
mithin, da der Gedanke an eine Verbindung der Luna mit dem Dienste
der Unterirdischen ausgeschlossen ist, nur um ein jüngeres Opfer handeln,
bei dessen Ansetzung der bedenkliche Charakter des Tages ignoriert wurde.
Der Haupttempel der Luna aber lag auf der Höhe des Aventin;^) sein
Stiftungstag war der 31. März, 8) das Gründungsjahr ist nicht überliefert; er-
wähntwird er zuerst bei Gelegenheit eines Prodigiums im Jahre 572 = 182,^)
zuletzt bei seiner Zerstörung durch den neronischen Brand (Tac. ann.
XV 41). Ein Heiligtum des Sol aber lag auf dem Quirinal neben dem
Tempel des Quirinus, und wir wissen vor ihm nur, dass es dort ein pul-
üinar Solis gab^) und dass in einer ebendaselbst befindlichen Inschrift des
Abendsternes {vesperugo) gedacht war,^) zwei Momente, die beide deutlich
auf griechischen Ursprung des Kultes hinweisen: unter dieser Voraus-
setzung kann die Emchtung dieser Kultstätte nicht vor dem Beginne des
2. punischen Krieges erfolgt sein,^) da vorher die Zulassung eines grie-
chischen Gottesdienstes intra pomerium ausgeschlossen war (s. oben S. 55).
Eine noch ungelöste Schwierigkeit liegt darin, dass in den Kaiendarien
der augusteischen Zeit der Stiftungstag dieses Tempels (9. August) mit
den Worten Soli indigiti in coUe Quirinale (CIL P p. 324) verzeichnet
wird: dass es der Annahme, Sol habe zu den diindigetes der altrömischen
Religion gehört, an jeder Stütze fehlt, wurde bereits hervorgehoben; aber
auch wenn sie zuträfe, bliebe es unerklärt, warum gerade Sol und nur
er allein von allen Indigetes ausdrücklich als solcher bezeichnet würde;
vermutungsweise habe ich (De dis Roman, indig. p. VI) auf die Möglichkeit
hingewiesen, dass man in augusteischer Zeit den Sol vom Quirinal durch
das Beiwort indiges als den „einheimischen'' bezeichnet habe, nicht im
Verstände des alten Sakralrechtes, sondern im weiteren Sinne, im Gegen-
*) Varro de 1. 1. V 68; der Beiname
auch in dem Fragmente des Laevius bei
Macr. S. III 8, 3 und bei Hör. c. IV 6, 88.
>) Ueber die Lage Hülsen a.a.O. p.238 ff.,
der mit vollem Rechte den Versuchen (Jor-
dan, Ephem. epigr. III p. 70 ; Analecta epi-
graph. latina p. 7 f. Mohmsen, CIL P p« 314.
Gilbert, Topogr. II 250), diese aedes Lunae
in Aventino mit dem templum Solis et Lunae
der XL Region zusammenzuwerfen, entgegen-
tritt.
») CIL P p. 314. Ovid. fast. III 883 f.
*) Liv. XL 2, 2 ; spätere Erwähnungen
bei Gelegenheit von Weihungen des L. Mum-
mius, Vitruv. V 5, 8; beim Sturze des C.
Gracchus, Aur. Vict. v. ill. 65. Oros. V 12,
8; beim Tode des Cinna, App. b. c. I 78.
^) Sollte vielleicht auch das von Augustus
wiederhergestellte pu^mnar ad cvrcum (Mo-
num. Anc. 4, 4 ; vgl. Fest. p. 364. Suet. Aug.
45; Claud. 4. CIL VI 9822) mit dem dortigen
Sonnenkulte zusammenhängen?
^) Quintil. I 7, 12: in pulvinari Solis,
qui colitur iuxta aedem Quirini, VESPER VG
[sa-iptum est), quod vesperuginem accipimus.
^) Das spricht gegen die von E. F. Hbr>
HANN vorgeschlagene Verbesserung in der
Argeerurkunde (Varro de L 1. V 52): collis
Salutaris quarticeps adver sum Solis pulvinar
eis (adversum est püonarois Hs.) aedem Sa-
lutiSy zumal das Pulvinar nach der Angabe
des Quintil. a. a. 0. nicht zum Collis Salu-
taris, sondern zum Collis Quirinalis (im en-
geren Sinne) gehörte.
G. Di noTensides griechisoher Herkunft« 68. Magna Mater. 263
satze zu den orientalischen Sonnenkulten, die gerade in jener Periode in
Rom einzudringen begannen, wie die beiden von Augustus nach der Erobe-
rung Ägyptens dem Sonnengotte gewidmeten Obelisken (CIL VI 701. 702)
zeigen.^) Die inschriftlichen Denkmäler der Verehrung von Sol und Luna
in Rom und Italien^) beziehen sich zum weitaus grössten Teile eben auf
diesen orientalischen Gestimdienst, der seit dem Ende des 2. Jahrhunderts
über das ganze römische Reich verbreitet war (s. unten § 58) ; das älteste
Beispiel dieser Art ist das Erscheinen von Sol und Luna in der Oötter-
reihe eines im J. 754 = 1 n. Chr. geweihten stadtrömischen Altars.*)
53. Mater deum magna Idaea. Die Reihe der auf Grund sibyllini-
scher Orakel in Rom eingeführten Gottesdienste wird beschlossen durch
den Kult der grossen Mutter von Pessinus, auf welchen im J. 549 = 205
unmittelbar vor den Entscheidungskämpfen des hannibalischen Krieges ein
von den Decemvirn aufgefundener Spruch hinwies: der heilige Meteor-
stein, das Symbol der Göttin, das wahrscheinlich kurz vorher vom Könige
Attalos aus Pessinus entführt und in Pergamon in einem eigenen Tempel,
dem Megalesion, aufgestellt worden war, wurde von diesem den Römern
ausgeliefert und auf einem Prunkschiffe nach Italien gebracht, wo er im
folgenden Jahre anlangte.^) Nach der feierlichen Einholung des Steines,
an die sich allerlei Wundererzählungen knüpften,^) wurde dieser einst-
weilen bis zur Fertigstellung des zu errichtenden Heiligtums im Tempel der
Victoria auf dem Palatin untergebracht, und der Tag dieser Deposition,
der 4. April, wurde durch verschiedene festliche Veranstaltungen, eine
allgemeine Kollekte, ein Lectisternium, namentlich aber durch Festspiele
gefeiert (Liv. XXIX 14, 13). Zehn Jahre später (560 = 194) wurden an
diesem Tage zum ersten Male scenische Spiele gegeben (Liv. XXXIV 54, 3.
Val. Max. II 4, 3), und nachdem im J. 563 =191 der Tempel der Magna
Mater auf dem Palatino) dem Gebrauche übergeben und seine am 10. April
stattfindende Einweihung ebenfalls durch Bühnenfestspiele gefeiert worden
war (Liv. XXXVI 36, 4), traten diese Ludi Megalenses in die Reihe der
^) Im orientalischen Sinne war wohl
auch der Sonnengott gedacht, zu dessen Bilde
der colossiM Neronis umgeschaffen wurde,
vgl. ßECKBB, Topogr. S. 220 f.
*) Fflr Luna Verzeichnis der Inschriften
bei AusT a. a. 0. S. 2156 f.
') y. Pbembbstein, Arch. epigr. Mitt. aus
Oesterr. XV 78 ff. ; vgl. auch einen der Steine
des Equites singulares (Hbnzen, Annali d.
Inst. 1885, 260 nr. 28), auf dem Sol und
Luna unmittelbar hinter Juppiter und Juno
stehen.
*) Liv. XXIX 10. 14. Ovid. fast. IV
sei ; die im Texte gegebene Auffassung, die
L. Bloch, Philologus LH 580 ff. begründet
hat, stützt sich auf Varro de 1. 1. VI 15:
Megalesia dicta a Graecis, quod ex lihris
Stbyllinis arcessita ah Ättalo rege Pergami ;
ibi prope murum Megalesion templum eins
deae, unde advecta Bomam. Doch sahen
die ROmer selbst das Mutterheiligtum zu
Pessinus als die eigentliche Heimat ihres
Kultes an (Val. Max. I 1, 1. Arrian. tact.
83, 4).
^) Ausser den in Anm. 4 Genannten
vgl. Suet. Tib. 2. Tac. ann. IV 64. Plin. n.
255 ff. Sil. Ital. XVII 1 ff. Appian. Hann. < h. VIT 120. Lact. inst. II 7, 12 und das be-
56. Aur. Vict. v. ill. 46. Herodian. 111. Die kannte Altarrelief Müller- Wieselbr II 68,
gewöhnliche üeberlieferung lässt den Stein 816 mit der Inschrift (CIL VI 492, vgl.
direct aus Pessinus holen (Liv, XXIX 10, 7. < 498 f.) Matri deum et navi salviae (dazu
Herod. a. a. 0. Strab. XII 567. Cic. har. , L. Bloch a. a. 0. S. 581 f.).
resp. 27. Amob. VII 49. Julian, or. V 159. *) Ueber ihn s. Gilbbrt, Topogr. HI
Amm. Marc. XXII 9, 5) und motiviert die 104 ff. und Hülsen, Rom. Mitteil. X 1895,
Mitwirkung des Attalos damit, dass dieser ' 3 ff., wo auch die ältere Litteratur ange-
damals Herrscher von Phrygien gewesen ; geben ist.
264
Eeligion und Koltna der BOmer. U. Qotterlehre.
ständigen Jahresfeste ein und füllten wenigstens später die ganze Zwischen-
zeit zwischen den genannten beiden Tagen, 4. — 10. April, aus (CIL I*
p. 314). Der Hauptfesttag, dem speziell der Name Megalesia zukam (Fast.
Praen.), war der 4. April, und an diesem Tage brachte der Praetor ur-
banus der Göttin in ihrem Tempel ein Opfer dar;^) vielleicht fällt auf
denselben Tag auch die von Ovid (fast. IV 367 ff.) erwähnte Opferung
eines Kräuterklosses (moretum); auserdem wurde der Festtag in den vor-
nehmen Häusern durch sodalüates, die sich schon bei der Einholung der
Göttin ihr zu Ehren gebildet hatten (Cic. Cato mai. 45), mit üppigen
Gastereien {mutitationes) begangen.^) Ein andrer Festtag war die seit der
augusteischen Zeit^) nachweisbare lavatio am 27. März,^) bei welcher unter
Leitung der Quindecimvirn (Lucan. I 599) das Symbol der Göttin^) auf
einem von Kühen gezogenen Wagen (Ovid. fast. IV 346) vor die Porta
Capena gefahren und dort in dem kleinen in den Tiber mündenden Flüss-
chen Almo gebadet wurde. ^) Nur auf diese Akte des Kultes der Grossen
Mutter beschränkt sich die Mitwirkung der Staatsorgane und der römi-
schen Bürgerschaft;^) der ganze sonstige Dienst liegt in den Händen land-
fremder, aus der Heimat der Göttin mit ihr eingewanderter Priester, wäh-
rend den römischen Bürgern die Beteiligung an diesem Priestertume aus-
drücklich untersagt ist.^) Durch die öffentliche Reception des Kultes der
Göttermutter erhielten ihre phrygischen Priester die Berechtigung zur
ungestörten Ausübung ihres Dienstes beim TempeP) sowie das Privileg,
an bestimmten Tagen damit auch vor die weitere Öffentlichkeit zu treten,
indem sie in ihrem fremdartig bunten Aufzuge, mit allerlei Goldzierat
und Bildern behängt, die Strassen durchzogen, ihre wild aufregende Kult-
musik von Hörnern und Pauken ertönen liessen und dazu griechische
*) Dion. Hai. II 19, 4, der von arga-
Tfiyol spricht; Aber die Mitwirkung des
Praetor urbanus gerade bei griechischen
Kulten vgl. Wissowa, Real-Encycl. II 698.
«) Fast. Praen. z. 4. April. Gell. II 24,
2. XVIII 2, 11. Ovid. fast. IV 353 flf.
") Ein Aufschwung des öfifentlichen Dien-
stes der Grossen Mutter datiert vielleicht von
der Wiederherstellung ihres im J. 3 n. Chr.
niedergebrannten (Val. Max. 18, 11) Tem-
pels durch Augustus (Mon. Ancyr. 4, 8) ; jeden-
falls scheint sich auf eine Einweihungsfeier-
lichkeit bei jenem Anlasse zu beziehen Ovid.
trist. II 23: ipse quoque Ausanias Caesar
matresque nurusquc cartnina turrigerae di-
cere iussit Dpi (vgl. Idaeae currus . . . Opis
Tibull. I 4, 68).
*) Als letztes Fest des Mftrz verzeichnen
sie die Menologia mstica (CIL P p. 280),
das genaue Datum geben erst Amm. Marc.
XXIII 3, 7. Vib. Sequ. p. 146, 20 Riese
und die Kalender des Philocalus und Pole-
mius Silvius.
^) In späterer Zeit war der heilige Stein
{typus Matris deum Eist. aug. Heliog. 7, 1.
CIL XIV 86) mit einem silbernen Kopfe ver-
kleidet (Prudent. perist. X 156 f., vgl. Arnob.
VII 49). Ueber ein Bild der Gdttin beim
Tempel im griechischen Rhea-Kjbele-Typus
s. Hülsen a. a. 0. S. 7. 25 ff.; auf einem
Löwen reitend war sie im Circus dargestellt,
s. E. HüBNEB, Annali d. Inst. 1863, 160 f.
K. Zangbmbistbb ebd. 1870, 252 f.
•) Ovid. fast. IV 337 ff. Val. Flacc.
VUI 239. Sil. Ital. VHI 368. Mart. HI 47,
2. Stat. silv. V 1, 223. Arrian. tact. 33, 4.
Arnob. VII 32. Ambros. epist. I 18, 30.
Claud. de hello Gild. I 119. Prudent. peri-
steph. X 158 ff. August, c. d. II 4.
') Die der Lavatio vorausgehende Periode
der Trauer (Stat. Valer. Flacc. Arrian.
aa. 00.) betrifft nur die (phrygischen) Ver-
ehrer der Göttin, vgL Suet. Otho 8: die quo
cultores deum Matris lamentari et plangere
incipiunt,
') Dion. Hai. II 19, 4 f., ein FaU des
Verstosses gegen dieses Verbot aus dem
J. 677 = 77 bei Val. Max. VI! 7, 6 ; selbst
der Sklave eines römischen Bürgers, der
unter die Galli gegangen war, wird Irans
mare exportatus, ne umquam Romam re-
I verteretur, Obsequ. 44 (104).
') Varro sat. Menipp. frg. 149. 150, vgl.
I 131. 132 Buech.
C. Di noTensideB griechischer Herknnft. 68. Kagna Mater.
265
Hymnen zu Ehren ihrer Göttin sangen,^) um schliesslich eine Kollekte
zu Gunsten ihrer Tempelkasse zu halten. >) Die genauere Organisation
und Gliederung dieser Priesterschaft in republikanischer Zeit kennen wir
nicht, doch wissen wir, dass schon damals in ihr die Verschnittenen (Galli)
die Hauptrolle spielten und dass ein Oberpriester und eine Oberpriesterin
an ihrer Spitze standen (Dion. Hai. H 19). Die letzteren begegnen uns
auch in den durchweg erst aus der Kaiserzeit stammenden Inschriften, 3)
die uns ausserdem den Vorsteher der Galli, Archigallus,^) und ein ziemlich
umfangreiches und mannigfach abgestuftes Musikantenpersonal, ^) sowie
zahlreiche sacerdotes männlichen und weiblichen Geschlechts^) kennen lehren.
Die Priester und Priesterinnen sowie die Archigalli sind in der Kaiserzeit
sämtlich römische Bürger und Bürgerinnen, wenn auch überwiegend aus
dem Freigelassenenst-ande, es muss also die alte Beschränkung, welche
Bürger vom Dienste der Grossen Mutter ausschloss, später aufgehoben
worden sein. Wenn sich in den Inschriften Priester und Priesterinnen
der Göttermutter in italischen und gallischen Städten als sacerdotes XV-
virales bezeichnen,^) und wir erfahren, dass ihre Wahl der Bestätigung
durch die Quindecimvim bedarf,^) so ist diese ganz vereinzelt dastehende
Unterstellung munizipaler Kulte unter die römischen Quindecimvirn ofTenbar
eine Massregel der Sakralpolizei, die zu der Zeit eingeführt wurde, als
man den Zutritt zum Priestertume der Grossen Mutter den römischen
Bürgern freigab. Dies alles aber hängt zusammen mit anderen Neuerungen,
die sich seit dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. im Staatskulte der
Göttin geltend machen und von denen die Erweiterung und innere Um-
gestaltung der Märzfeier die bedeutsamste ist. Hatte diese früher nur
aus der am 27. März stattfindenden Waschung der Göttin bestanden,^) so
treten nunmehr fünf weitere Festtage hinzu, von denen der erste, im
*) Dion. Hai. a. a. 0. Diod. XXXVI 6,
vgl. Polyb. XXI 37. Serv. Georg. II 894;
häufig wird dieser Aufzug von Dichtem ge-
schildert, Catull. 63, 21 ff. Lucr. II 610 ff.
Ovid. fast. IV 181 ff. Sil. Ital. XVII 18 ff.
*) Cic. de leg. II 22 (vgl. 40) : praeter
Idcieae matris famulos eosque itistis diehus
ne quis stipem cogito. Ovid. fast. IV 350;
ex Ponte I 1, 40.
») CIL VI 508 per 8ac{erdotem) Phry-
g{ium) maonmum; eine sacerdoa maxima
CIL VI 502. 2257.
*) Ärchigallus Matris deum magnae
Idaeae et Attis poptdi Botnani CIL VI 2183;
sonst in Italien CIL XIV 34 f. (Ostia). X
3810 (Capua). Relief darstellnng eines Ärchi-
gallus in vollem Ornate Müllbb-Wibsblbr
II 63, 817.
*) Tympanistria (CIL VI 2264. IX 1542),
cymbalistrta (CIL IX 1588 cymbalistria loco
secundo. V 519), tibicen (CIL XII 1745. XIV
429), hymnologus primus {BuH. d. Inst. 1884,
155).
«) In Rom männlich CIL VI 2258, weib-
lich 2259—2261 (VI 496 bleibt wegen Un-
sicherheit der Ergänzung besser fort); in
Italien Beispiele fOr Priester CIL XIV 429
(Ostia). 3534(Tibur).|3956(Nomentum). IX 734
(Larinum). 1540 (Beneventum). 5061 (Inter-
amnia). 6099 (Bmndisium), für Priesterinnen
XIV 871. 408 (Ostia). X 6074 f. (Formiae).
IX 1100 (Aeclanura). 1540 (Beneventum).
^) Sacerdos XVviralis männlich CIL
IX 981 (Compsa). 3764 (Suessula). XII 1567
(Dea Vocontiomm). XIII 1751 (Lugudunum);
weiblich IX 1538. 1541 (Beneventum). X 129
(Potentia). 4726 (Forum Popilii). V 4400
(Brizia).
») CIL X 3698 enthält das Protokoll
über die Wahl eines sacerdos Matris deae
Baianne in Cumae und die Bestätigung
dieser Wahl durch die Quindecimvirn vom
17. August 289 n. Chr. Auch die Dendro-
phori (s. unten) von Cumae stehen unt«r der
Aufsicht der Quindecimvirn, wie CIL X 3699
zeigt, ein Verzeichnis der cumanischen Den-
drophori vom J. 251 n. Chr. mit der Ueber-
schrift ex 8. c, dendrophari creati qui sunt
süb cura XVvir{orum) s. [f.].
*) Dass die Feier der Lavatio älter ist
als die Übrigen Festtage hat zuerst Mokxsbn
ausgesprochen, CIL P p. 389 — V p. 314.
266
Beligion und Knltiis der BOmer. IL (lotterlehre.
Kalender des Philocalus als Canna intrat bezeichnet, bereits am 15. März
als eine Art Vorfeier begangen wird, während die vier andern Ärbor intrat
(22. März), Sanguen (24. März), Hüaria (25. März) und Requ(i)etio (26. März)
jenem Tage der Lavatio unmittelbar vorangehen und mit ihm zusammen
einen grossen Festcyclus bilden, dessen Höhepunkt das Freudenfest Hilaria^)
bezeichnet zu haben scheint. Der Symbolik dieses Frühlingsfestes lag
offenbar der Gedanke an das Sterben und Wiedererwachen der Vegetation
zu Grunde,^) der in gleich ausschweifenden Äusserungen des masslosesten
Schmerzes wie orgiastischer Freude zum Ausdrucke kam. Die Einzel-
heiten des Geremoniells aber, die wir nur sehr mangelhaft kennen, waren
durch den Mythus des Attis gegeben, des Lieblings der Göttermutter, der
sich in der Raserei entmannt und stirbt, nachher aber zu neuem Leben
erweckt wird.^) Das Schilffest des 15. März enthielt, wie es scheint, eine
Erinnerung an die Legende, dass Attis als Knabe im Röhricht des Gallos-
flusses ausgesetzt wurde (Julian, erat. V 165 B); es wurde an diesem Tage
durch den Oberpriester ein sechsjähriger Stier geopfert (Lyd. de mens.
IV 36), und die Cannophori, d. h. Schilfträger, hielten ihren Einzug in die
Stadt. Eine ähnliche Rolle spielten am 22. März die Dendrophori, welche
die Fichte, den heiligen Baum, unter dem Attis sich entmannt hatte, in
feierlicher Prozession nach dem palatinischen Tempel brachten.^) Den
Äusserungen des Schmerzes über den Tod des Gottes war dann der dies
sanguinis (Hist. aug. Claud. 4, 2) am 24. März gewidmet, an dem ursprüng-
lich die Galli den Akt der Selbstentmannung vornahmen, später nur der
Archigallus seinen Arm ritzte und symbolisch sein Blut verspritzte.^) Dann
folgte auf diese ganze Zeit der Trauer, die durch Enthaltsamkeit und
Fasten gefeiert wurde, ^) der Umschlag in die ausgelassenste Freude am
Tage der Hilaria,^) und nach einem Ruhetage beschloss das Bad der Göttin
im Almo, das jetzt mit viel ausschweifenderem Pompe als früher begangen
wurde (die Stellen s. oben S. 264 Anm. 6), für dieses Jahr die Festperiode.
Eine späte Überlieferung (Lyd. de mens. IV 41), welche die Neu-
gestaltung des Märzfestes unter Kaiser Claudius versetzt, beruht jeden-
falls auf einem Missverständnisse, ^) denn nachweisbar ist von all diesen
^) Diese gehören im 8. Jahrhundert zu
den höchsten Festen des Jahres, Hist. aug.
Alex. Sev. 35, 6; vgl. Aurelian. l, 1.
*) Porphyr, bei Euseb. praep. evang.
111 11, 12 und August, c. d. VII 25, vgl.
Firm. Mat. err. prof. rel. 3. Plut. Is. et Osir.
69: 4'QvyBs dlJ roy &e6y oiofisyoi ;|feijU(üyo;
xtt&evdeiy, &^govg dk iyQfjyoQ^yat, tot^ fjiky
xitJBvyaafAovg^ toik db fcyBy^Qaeig ßax^evoyjeg
f(vi(o reXovai. Andere Deutung (nach Jam-
blichos) bei Macr. S. I 21, 7-10. Julian,
orat. V 168 C.
^) Genaueres darüber bei Cumont in
Pauly-Wissowas Real-Encycl. II 2247 ff.
*) Lyd. de mens. IV 41. Julian, or. V
lt)8 C. Carmen contra pagan. (PLM III 286 ff.)
V. 108. Arnob. V 16.
*) Tertull. apol. 25; vgl. Minuc. Fei.
24, 4. Prudent. perist. X 1061 f. Ps. Cypr.
carm. ad senat. 19 ff.; die übrigen bei Mar-
QTJABDT, Staatsverw. III 372, 2 zusammen-
gestellten Zeugnisse, zum Teil aus älterer
Zeit stammend, beziehen sich nicht speciell
auf diesen Tag, sondern auf Selbstverwun-
dungen, wie sie überhaupt bei den Umzügen
der Galli üblich waren.
«) Hippel, refut. haer. V 9 p. 170 Sehn.
Julian, or. V 174 A. Arnob. V 16. Tertull.
de ieiun. 16. Hieron. epist. 107, 10; contra
Jovin. II 5 (= MiGNB XXII 876. XXIU 291).
') Macr. S. l 21. 10. Julian, or. V 168C;
dass das Fest auf dem Palatin stattfand,
zeigt Hist. aug. Aurel. 1, 2. Vgl. auch Mar-
QUABDT a. a. 0. 372, 4.
^) Den Anlass dazu gab vielleicht das,
was Hist. aug. Claud. 4, 2 vom Kaiser Clau-
dius II. Gothicus berichtet wird: nam cum
esset nuntiatum Villi Kai. Äprüis ipso
in sacrario Matris sanguinis die Claudiutn
imperatoreni factum.
G. Di noTexusideB grieohisoher Herkunft. 58. Magna Mater. 267
Festfeiern (mit Ausnahme der älteren Lavatio) keine vor dem Ausgange
des 2. Jahrhunderts,^) und auch die CoUegia-der Gannophori und Dendro-
phori, deren Existenz durch das Geremoniell der neuen Feier bedingt ist,
erscheinen nicht vor der Zeit Marc Aureis :^) früher als unter den Anto-
ninen ist daher die Umwälzung kaum erfolgt. Sie steht aber wahr-
scheinlich weiterhin im Zusammenhange mit einem neuen Elemente, das
zu dieser nämlichen Zeit in den römischen Gottesdienst der Magna Mater
eindringt, nämlich den Taurobolien. Der unmittelbar auf den Schlusstag
des beschriebenen Festcyclus folgende Tag, der 28. März, trägt nämlich
im Kalender des Philocalus die Note Initium Caianii dieses Gaianum aber,
der vom Kaiser Caligula angelegte und von Nero erweiterte Circuskomplex
im vatikanischen Gebiete am rechten Tiberufer, war zugleich Sitz eines
Heiligtums der Göttermutter (daher Oaianum et Frigianum Curios. urb.
reg. XIV), welches den Mittelpunkt für den ganzen Tauroboliendienst ge-
bildet zu haben scheint,^) wie nicht nur die zahlreichen beim Bau der
Peterskirche dort aufgefundenen Taurobolienaltäre des 4. Jahrhunderts
(CIL VI 497—504. Kaibel, Inscr. graec. SicU. Ital. 1019. 1020) zeigen, son-
dern mehr noch die Thatsache beweist, dass eine der ältesten datierten
Taurobolieninschriften, aus Lugudunum vom J. 160 stammend, den lugu-
dunensischen Taurobolienkult ausdrücklich von dem römischen Vattcanum
herleitet:^) der römische Tauroboliendienst muss also an dieser Stelle
schon zur Zeit des Antoninus Pius bestanden haben, und der Umstand,
dass keine der hier und überhaupt in Rom gefundenen Inschriften über
die Regierung des Diocletian hinaufreicht, kann nur auf Zufall beruhen.
Die Verbreitung des Taurobolienopfers nach Ort und Zeit, wie sie aus
den erhaltenen Zeugnissen ersichtlich ist, zeigt allerdings eine auffallende
Erscheinung: die zahlreichen Taurobolieninschriften aus Ostia,^) Lugudu-
num, ß) der Gallia Narbonensis,^) Lactora in Aquitanien,^) ebenso die ver-
0 Das älteste Zeugnis für einen der | Romains I (1895) 245 ff.
neuen Festtage ist Tertull. apoL 25; denn
der Tag, für den Matemus im J. 187 die
Ermordung des Gommodus geplant hatte,
scheint nach Herod. 1 10, 5 der der Lavatio
gewesen zu sein, nicht der der Hilaria.
') Gannophori sind bisher in Rom noch
nicht nachgewiesen, aber in Ostia (CIL XIV
34 ff. 40. 116 ff. 284 f.), Saepinum (CIL IX
2480), Locri (CIL X 21. 8339) und Medio-
») Vgl. A. Eltrr, Rhein. Mus. XLVI
1891 132.
*) CIL XllI 1751 : L. Äemüius Carpus
HIHI vir Aug{u8talis) item dendropharus
vires excepit et a Vaticano transtiüü; vgl.
Orelli 4983: deae Virtuti BelUmote monte^n
VcUicanum vetustatecotUabsum re8tituerun(t)
hastiferi dvitatia Mattiacor(um).
6) CIL XIV 39 ff., seit Commodus.
lanium (CIL V 5840). Das eollegium den- \ •) CIL XIII 1751-1756, aus den Jahren
drophorum Matris deum m{agnae) I(da€ae) i 160—197, dazu auch CIL XII 1782 (Tegna)
et Ättis ist für Rom zuerst bezeugt durch
die aus der Antoninenzeit stammende In-
schrift der Basilica Hilariana (Visconti, Bull,
arch. com. XVIIT 1890, 18 ff. Hülsbn, Rom.
vom J. 184.
^) Seit Commodus: CIL XII 1222 (Arau-
sio); unter Severus und Caracalla XII 251
(Forum Jiüii). 4323 (Narbo) u. a., am späte-
Mitteil.Vll891, 109f. P.BiBHKOWsKi,Eranos ' sten XII 1567 aus Dea Vocontiorum vom
Vindobonensis S. 2S5 ff.), vgl. auch CIL VI 30. Sept. 245 und XII 4324 (s. add. p. 845)
*>41. 1925. 29691 (vom J. 206: eollegium aus Narbo v. J. 263.
dendrophor(um) Romanor{um), quibus ex s. ") CIL XIII 504 ff. (darunter auf das
c. coire licet). Eine Verfügung des Hono- ; erste in Lactora abgehaltene Taurobolium
rius vom J. 415 (Cod. Theod. VI 10, 20) bezüglich nr. 504, die erste datierte Feier
löste die Dendrophori auf. , Vgl. im allge- vom 18. Oktober 176 nr. 505—507, am spÄ-
meinen J. P. Waltzing, Etüde historique testen nr. 511—519 vom 8. December 241).
sur les corporations professionelles chez les |
268
Religion nnd Knltas der BOmen U. QOtterlehre.
einzelten Zeugnisse dieses Ritus aus Italien,^) Afrika^) und Spanien^)
stammen sämtlich, soweit sie datierbar sind, aus einem Zeiträume von
etwas mehr als einem Jahrhundert, beginnend mit dem J. 160 und hinab-
reichend bis auf die Regierung des Diocletian und Maximian: aus dieser
ganzen Zeit aber besitzen wir keine einzige stadtrömische Inschrift dieser
Art, die lange Reihe dieser Denkmäler in Rom beginnt erst mit dem J. 295
(CIL VI 505) und erstreckt sich durch das ganze 4. Jahrhundert bis zum J. 390
(CIL VI 503. 512); aus derselben Periode stammen auch ausschliesslich
die ausführlicheren litterarischen Erwähnungen des Taurobolium, während
ausserhalb Roms in dieser Spätzeit nur noch Athen Taurobolieninschriften
aufweist.^) Die bei dieser Sachlage naheliegende Annahme, dass der ganze
Ritus zuerst in den westlichen Provinzen Wurzel gefasst habe und von
dort verhältnismässig spät nach der Hauptstadt gekommen sei, ist ausge-
schlossen durch die ausdrückliche Herleitung des lugudunensischen Dienstes
vom römischen Vaticanum sowie durch das Zeugnis der Biographie des
Elagabal (7, 1), wonach dieser Kaiser Matris deum sacra accepit et tauro^
boliatus est: ein plausibler Erklärungsgrund für das Fehlen aller stadt-
römischen Inschriften des Tauroboliendienstes bis auf die Zeit Diocletians
und für das Verschwinden der ausserrömischen Monumente um dieselbe
Zeit ist noch nicht gefunden. Aber auch sonst liegt über Herkunft und
Bedeutung des Taurobolium ein tiefes Dunkel. Obwohl es in den zahl-
reichen erwähnten Zeugnissen ausschliesslich mit dem Dienste der Grossen
Mutter verbunden erscheint,^) kann es doch nicht ursprünglich zu diesem
gehören, da die älteste inschriftliche Erwähnung, eine puteolanische In-
schrift vom J. 134 (CIL X 1596), seiner als eines Bestandteiles des Kultes
der Dea Caelestis von Karthago gedenkt: es war also aller Wahrschein-
lichkeit nach ein fremder Brauch, der in verschiedenen Gottesdiensten
vorübergehend Aufnahme fand und dann im Dienste der Magna Mater
feste Wurzeln fasste; eine ansprechende Vermutung«) sucht seinen ür^
Sprung im Dienste der persischen Anahita und leitet den Namen von der
Gleichsetzung dieser Göttin mit "AQvsfiig TavqonoXoq ab. Die Rätsel des
Herganges beim Taurobolium aber harren noch ihrer Lösung, die sie —
wie das bei Bräuchen eines Geheimdienstes nicht wunderbar ist — viel-
leicht nie vollständig finden werden; jedenfalls hat das Geremoniell auch
im Laufe der mehr als zwei Jahrhunderte, während deren das Taurobolium
üblich war, Abänderungen erfahren. In der älteren Zeit handelt es sich
in erster Linie um eine besondre Art von Opfer, das aus Stier und Widder
besteht^) und vielfach im Dienste des Kaiserkultus für das Wohl des
Herrschers und seines Hauses dargebracht wird;^) es dauert häufig meh-
>) CIL IX 1538 (Beneventum vom J. 228).
.3014 (Teate, um 237).
>) CIL VIII 8203 (Mileu, unter Alexander
Sevems). Caonat, Kannte äpigr. 1892 nr.
18(Probua) und 1897 nr. 121 = 1898 nr.46
(Diocletian und Maximian), beide aus Mactar.
3) CIL II 5521 (Corduba) vom J. 238.
*) CIA III 172 (ausdrücklich als das
erste Taurobolium in Athen bezeichnet, etwa
unter Julian). 173 (vom J. 387).
^) Die Annahme, dass es in den Mithras-
dienst eingedrungen sei, beruht nur auf der
gefälschten Inschrift CIL VI 736; vgL Cu-
MONT, Mithras inscr. nr. 584.
^) F. CuMONT, Revue arch^ol. XII 1888,
132 ff., vgl. Revue de philol. XVII 1893, 195 f.
^) Daher taurobolium et criobolium;
criobolium allein CIL IX 1538. XIV 41. VIII
8203, criobolium et aemobolium IX 3015.
8) 0. HlBSCHFELD, CIL XII p. 926.
C. Di noTenflideB grieohisoher Herkunft. 68. Magna Mater.
269
rere Tage, ist aber nicht an bestimmte Daten gebunden, sondern wird
aus ausserordentlichen Anlässen, auf Grund eines Traumgesichtes oder
einer vom Archigallus ausgehenden Prophezeiung begangen;^) als ausser-
ordentlicher Akt wird es auch durch die zur Erinnerung daran errichteten
Tam*obolienaItäre bezeichnet, deren Inschriften häufig genau datiert sind
und in der Regel den Namen des amtierenden Oberpriesters enthalten;
eine besondre, nicht völlig aufgeklärte Rolle spielen beim Opfer die Hoden
{v^ires) des Stieres') und bestimmte Opferschüsseln (cerna), die vielleicht
zur Aufnahme der ersteren dienten.^) Die späteren stadtrömischen Denk-
mäler aber und ebenso die Beschreibungen des Aktes bei den Schrift-
stellern^) fassen denselben vielmehr als eine Reinigungs- und Weihecere-
monie, bei welcher der Empfänger des Tauroboliums in einer mit einem
durchlöcherten Deckel bedeckten Grube stehend von dem Blute des über
dieser Grube getöteten Stieres überströmt wurde und dadurch eine , Wieder-
geburt" erfuhr, die einmal (CIL VI 510 taurobolio criobolioque in aetemum
renatus) als eine für alle Ewigkeit gültige bezeichnet wird, sonst aber
ihre Wirkung auf 20 Jahre erstreckte und nach Ablauf dieser Frist er-
neuert zu werden pflegte;^) dieser Akt scheint gleichzeitig die Weihe zum
Priester der Grossen Mutter bedeutet zu haben. ^) Bei diesen stadtrömi-
schen Taurobolien spielen die Quindecimviri sacris faciundis eine hervor-
ragende Rolle, 7) es waren dies also Akte des Staatskultes; aber auch auf
die Taurobolien der sonstigen römischen Bürgerstädte muss sich die Auf-
sicht der Quindecimvim erstreckt haben, denn in Ostia werden bei einem
für das Wohl des Marc Aurel und Commodus abgehaltenen Taurobolium
u. a. die XVviri s. f. ausdrücklich in das Gebet mit eingeschlossen (CIL
XIV 40), und in Lugudunum heisst der Priester, unter welchem daselbst
im J. 160 das erste Taurobolium gefeiert wird, a XVviris occabo et Corona
exornatus (CIL XIII 1751).
Nach alledem werden wir anzunehmen haben, dass unter der Re-
gierung des Antoninus Pius der Staatskult der Grossen Mutter eine tief-
greifende Umgestaltung erfuhr durch die Einführung des Märzfestes und
die Reception der Tauroboliensitte, für welche wahrscheinlich gleichzeitig
das neue Kultlokal im vatikanischen Gebiete geschaffen wurde, ausserdem
aber durch die Freigabe des Priestertums der Magna Mater an römische
«) CIL II 5521. XII 4321. 4323. 4325;
ex vaticincUione archigalli CIL VIII 8203.
XII 1782. XIII 1752; vgl. Frg. iur. Vatic.
§ 148: is qui in portu pro salute impera-
toris Sacra facti ex vaticmatione archigaiU,
a tutelis excusatur.
«) Vires excepü CIL XUI 1751; loco
vires conditae XII 1567; vires tauri, quo
proprie per taurobolium puh{lice) factum
fecerat, consacravit CIL XIII 522. 525.
*) Taurobolium criobol(ium) caemo per-
ceptum CIL VI 508 ; perfectis rite sacris cer-
norum crioboli et tauroboli Cagnat aa. 00.;
cemophori CIL II 179. X 103.
^) AiisfQhrlich Prudent. peristeph. X
1011 ff. ; vgl. damit Carm. contra pagan. 57 ff.
Firm. Mat. err. prof. relig. 27, 8.
*) CIL VI 504. 512. Carm. c. pagan. 62.
") Vom sacerdos als dem Empfänger der
Bluttaufe spricht ausdrücklich Prudent. a. a. 0.
1011. 1033. 1048; daher steht in den In-
schriften CIL VI 511. 1675 (vgl. Ephera.
epigr. VIII 648). 1778 f. tauroboliatus (ent-
weder allein oder mit dem Znsatze Deum
Matris) mitten unter den priesterlichen Titeln.
^) Praesentib{us) et tradentib(us) c{la-
rissimis) v{iris) ex ampliss{imo) et sanc'
tiss{imo) coU(egio) XVvir(um) s(acris) flaci-
undis) CIL VI 508; ein Quindecimvir s. f.
taurobolium movit CIL XIV 2790; vgl. Kai-
BEL, Inscr. graec. Sicil. Ital. 1020.
270 Beligion und Koltiis der BOmer« IL Qötterlehre.
Bürger und durch die Unterstellung des gesamten nicht nur stadtrömi-
schen, sondern auch italischen (und gallischen) Kultes der Göttin samt
den Taurobolien und den zugehörigen GoUegia der Cannophori und Dendro-
phori unter die Obhut der Quindecimvirn, die früher mit diesem Kulte
nicht mehr zu thun hatten, als mit allen recipierten Gottesdiensten des
graecus rüus, und nur bei den Megalesia und der Lavatio in Mitwirkung
traten. Erst seit dieser Reform löst sich der Dienst der Magna Mater
seinem ganzen Wesen nach von den griechischen Kulten los und stellt
sich vielmehr in die Reihe der sacra peregHna, da die fremdländisch orien-
talischen Elemente jetzt die Oberhand bekommen haben; aber auch von
dieser Reform an erst datiert der grosse und bestimmende Einfluss, den
er zusammen mit den Kulten von Isis und Mithras auf das religiöse Leben
des ausgehenden Heidentums geübt hat. Die ganz überwiegende Mehrzahl
der inschriftlichen Zeugnisse^) für die Verehrung der Grossen Mutter in
Italien und den Provinzen stammt erst aus dieser nachantoninischen Zeit, und
in den Jahrzehnten des Todeskampfes der heidnischen Religion hat Magna
Mater eben wegen des geheimnisvollen Reizes ihrer Bluttaufe und der sie
umgebenden Ceremonien zusammen mit Mithras die grösste Widerstandskraft
bewiesen; bei der Landbevölkerung hat dabei noch der seit der Aufnahme
der Göttin in Rom gepflegte') und nie ganz erloschene Glaube mitgewirkt,
dass die Grosse Mutter den Feldern besonders reichen Segen verleihe.^)
Mit dem Kulte der Magna Mater ist in Rom von Anfang an der
des mit ihr untrennbar zusammengehörenden Attis verbunden gewesen;
dieser Gottesdienst hat keine eigne Geschichte, sondern die Priester und
Feste der Grossen Mutter gelten — gleichviel ob das eigens zum Aus-
drucke gebracht ist^) oder nicht — ihm mit, und überall, y^o die Grosse
Mutter verehrt wird, finden wir auch Attis, niemals aber unabhängig und
ausserhalb des Kultes der Magna Mater. ^) Nur in der Zeit der wuchernden
Theokrasie tritt er etwas mehr hervor, indem man ihn mit dem gleich-
falls phrygischen Mondgotte Men identifiziert und durch den Beinamen
') Materialsammlung von Drbxleb in
Roschers Mjthol. Lexik. II 2918 ff. Als be-
merkenswert führe ich hier an ein collegium
cuUorum Magnae Matris in Rom CIL VI
494, religiosi a Matte Magna in Rom (CIL
VI 2262, vgl. 2263 religiosus de Capüolio)
und Larinum (CIL IX 734), sodales baüa-
tores Cyhelae (CIL VI 2265). Hercolanum
hatte einen alten Tempel der Magna Mater,
den Vespasian wiederherstellte (CIL X 1406),
in Beneventum wird die Göttin unter dem
Namen Minerva Berecynthia verehrt (CIL
IX 1538—1542), den Ed. Meybr in Ersch u.
Grubers Allg. Encyclop. Sect. II Bd. XXXII
S. 384 lieber auf belloua (s. § 56) beziehen
möchte.
*) Plin. n. h. XVIII 16: verum quo anno
Mater Deum advecta Romam est, maiorem
ea aestate measetn quam antecedenttbus annis
oQcaiy äyQfoy; in Augustodunum wird im
4. Jhdt. simulacrum Berecyntiae . . in car-
pento pro aaliiatione agrorum ac vinearum
herumgefahren, Greg. Turon. in glor. confess.
76. Wahrscheinlich hängt damit zusammen
auch das Beiwort Cereria, das Magna Mater
in einer Inschrift von Aquileja f&hrt (CIL
V 796), und die Weihung einer sacerdos XV -
viralis aus Potentia an Ceres (und Vertum-
nus ? s. oben S. 233 Anm. 4) CIL X 129.
*) ÄrchigaUus Matris deum magnae
Idaeae et Attis (Genetiv, falsch verstanden
von Hbnzbk, Annali d. Inst. 1856, 110) populi
Bomani CIL VI 2183; hymnologo prima
M(atris) D{eum) I(daeae) e[t] Atti[f^is publica
Bull. d. Inst. 1884, 155; collegium dendro-
pfiorum Matris deum m(agnae) I{daeae) et
Attis Bull. arch. com. XVIII 1890, 18 ff.
^) Die inschriftlichen Zeugnisse am voU-
decem factam esse tradunt. | ständigsten gesammelt von Cumont bei
^) Nach Lyd. de mens. IV 36 opfert man i Rüooibbo , Dizion. epigr. I 763 ff. und bei
am 15. März (Canna intrat) iSnig itoy iy toU \ Pauly-Wissowa, Real-Encycl. II 2247 ff.
D. NengeBohafifene Gottheiten. 64. Pereonifikationen abstrakter Begriffe. 271
Menotyrannos = Mrjv rvQavvog charakterisiert, i) oder auch nach beliebter
DeutuDgs weise als einen Sonnengott auffasst und derogemäss mit der
Strahlenkrone abbildet.^)
Litteratur: H. R. Goehleb, De Matris Magnae apud Romanos cultu, Dias. ▼. Leipzig,
Misniae 1886 (ungeDügend). Mabqüardt, Rom. Staatsverw. III 367 ff. 394 f. A. Rapp in
Roschers Mythol. Lexik. II 1666 ff. W. Drexleb, ebd. II 2910 ff. lieber das Taurobolium
Satous, Revue de rhist. des relig. XVI 1887, 137 ff. EspisAKDiEü, Inscriptions antiques
de Lectonre (Paris 1892) p. 94 ff. G. Zippbl in der Festschrift zum fünfzigjährigen Doktor-
jubilftum Ludw. Friedländers (Leipz. 1895) S. 498 ff. Die Bildwerke aus dem Kulte der
Grossen Mutter und des Attis bedOrfen nach ZofiOA (Bassirilievi antichi I 45 ff.) dringend
einer erneuten Untersuchung.
Vierter Abschnitt.
Neugeschaffene Gottheiten.
54. Personifikationen abstrakter Begriffe. Wenn Cicero, der grie-
chischen Theorie folgend, die Gesamtheit der Götter nach den drei Kate-
gorien der alten und ursprünglichen Götter, der zu den Göttern erhobenen
Heroen und endlich der Vergöttlichungen von Begriffen ordnet und als
Beispiele der dritten Kategorie Fides, Mens, Honos, Virtus, Ops, Salus,
Concordia, Libertas, Victoria, Pietas, Spes anführt, 3) so umfasst diese Liste
nach Alter und Herkunft ihres Kultes stark verschiedene Bestandteile:
Ops, von Haus aus keineswegs rein abstrakt (etwa wie Copia) gedacht,
sondern eine Verkörperung des in den Scheuem geborgenen Erntesegens,
gehört als Kultgenossin des Consus der ältesten Götterordnung an (oben
S. 168), dasselbe gilt wahrscheinlich auch von Salus (S. 122); andre dieser
Gottheiten haben sich im Laufe der Zeit als Verselbständigungen be-
stimmter Eigenschaften der alten Götter oder als Sondervertretungen ge-
wisser Seiten ihrer Wirksamkeit von ihnen abgespalten, so Fides (S. 123),
Libertas (S. 126), Victoria (S. 127) von Juppiter, Honos und Virtus (S. 135)
wahrscheinlich aus dem Marskulte; Mens endlich (S. 259) verdankt ihre
Aufnahme in den Staatskult den sibyllinischen Orakeln, entstammt also
griechischem Anschauungskreise. Alle diese Gottheiten und manche andre
verwandter Art, wie Juventas (S. 125), Felicitas (S. 214), Bonus Eventus
(S. 215), Valetudo (S. 255 Anm. 2), Pavor und PaUor (S. 135), haben ihre
Besprechung bereits an früherer Stelle gefunden, es bleiben hier nur die-
jenigen göttlichen Personifikationen zu behandeln, die ohne nachweisbare
Herleitung aus einem bestehenden Kulte als freigeschaffene Vergöttlichungen
abstrakter Vorstellungen in die römische Religion eintreten. Wenn Cicero
zwischen Personifikationen menschlicher Tugenden (z. B. Pietas, Pudicitia)
und solchen erstrebenswerter Zustände und Stimmungen (z. B. Concordia,
Spes) unterscheidet, so trifft diese Scheidung von virtutes und utilUates
keinen Wesensunterschied innerhalb dieser Götterklasse: denn man erhebt
^) CIL VI 499-501. 508. 511; vgl. auch | lieh die Statue aus dem Metroon von Ostia
W. H. RoscHBB, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Monum. d. Inst. IX 8*, 2.
Wiss. 1891, 134 f. Dbbxlbb in Keschers >) Cic. de leg. II 19. 28; de nat. deor.
Mythol. Lexik. II 2753 ff. i II 61 ; vgl. Plin. n. h. II 14, wo Pudicitia und
*) Macr. 8. 1 21, 9. Amob. V 42. Carm. , dementia hinzukommen,
c. pagan. 109. Mart. Cap. II 192 und nament- j
272 Eeligion nnd Kultus der BOmer. ü. aotierlehre.
die Tugenden nicht zu Götterrang, um seine Achtung vor ihnen zu be-
zeugen, sondern weil die Tugend ebenso eine Oabe der Gottheit ist wie
jede wünschenswerte Schickung. Wie man um Eintracht der Bürger oder
um Erfüllung der eigenen Hoffnungen betet, so erbittet man von den
Göttern auch frommen Eindessinn oder züchtige Schamhaftigkeit, und im
einen wie im andern Falle wird die Gabe, um die man bittet, selbst als
Gottheit angerufen, da man sicher gehen will und doch nicht weiss, wel-
cher Gott etwa um diese Gnade gebeten sein will: so erhalten Goncordia
und Spes, Pietas und Pudicitia ihre Altäre und Tempel. Gelöbnis und
Stiftung eines solchen Kultes geht daher immer auf einen bestimmten
Anlass zurück, bei welchem die betreffende, seitdem göttlich verehrte
Eigenschaft sich als besonders schätzbar und wünschenswert erwiesen
hatte. Dies zeigt sich am deutlichsten bei den Heiligtümern der Gon-
cordia, deren es in ßom eine ganze Anzahl gab. Der Haupttempel der
Göttin oberhalb des Forums, i) vom Diktator M. Furius Camillus 387 = 367
zur Feier der wiederhergestellten Eintracht der Stände nach dem Kampfe
um die licinischen Rogationen gegründet,^) wurde von L. Opimius im J. 633
= 121 nach Beendigung der gracchischen Unruhen erneuert^) und von
Tiberius (zugleich im Namen . seines verstorbenen Bruders Drusus) am
16. Januar des J. 10 n. Chr. unter dem Namen der Goncordia augusta
von neuem geweiht,^) auch dies wohl nicht ohne bestimmte Beziehung:
denn auch Livia hat ein Heiligtum der Göttin innerhalb der von ihr er-
bauten Porticus Livia auf dem Esquilin gestiftet (Ovid. fast. VI 637), und
wir wissen, wie grossen Wert gerade Tiberius auch später noch darauf
legte, das gute Einvernehmen mit seiner Mutter und überhaupt zwischen
den Angehörigen des kaiserlichen Hauses zu betonen.^) Ein anderer Con-
cordientempel, auf der Burg gelegen und am 5. Februar 538 = 216 ein-
geweiht, war zwei Jahre früher vom Praetor L. Manlius in Gallien aus
Anlass einer Militärrevolte gelobt worden;^) eine kleine eherne Kapelle
der Goncordia hatte in unmittelbai*er Nähe des Haupttempels 450 = 304
der Aedil Cn. Flavius für die Beilegung der durch die Censur des Ap. Clau-
dius Caecus hervorgerufenen Zwistigkeiten gestiftet,^) eine Statue der
Göttin stellte Q. Marcius Philippus als Censor 590 = 164 auf,^) da seine
ganze Amtsführung das Ziel verfolgte, die durch die Strenge der letzt-
vorhergehenden Gensoren hervorgerufene Erregung zu beschwichtigen. Als
sich nach den Wirren der Bürgerkriege die Verhältnisse zu klären be-
gannen, erhielt die Aussöhnung der Gegensätze durch Weihungen an Gon-
cordia ihren religiösen Ausdruck:^) im J. 710 = 44 beschloss der Senat,
») JoRDAW, Topogr. I 2 S. 332 ff.
«) Ovid. fast. I 637 ff. Flut. Cam. 42.
*) Appian.b. c. I 26. August, c. d. III 25.
*) CIL I« p. 308. Ovid. fast. I 637 ff. Cass.
Dio LV 8, 2. LVl 25, 1.
^) Darum fassi auch A. Mau (Ovebbbok-
Maü, Pompeji.* S. 131 ff.; Rom. Mitteü. VII
1 1 3 ff. gegen Nissen, Pompejan. Stud. S. 287 ff.)
das Gebäude der Eumachia in Pompeji, das
laut Inschrift (CIL X 810) Concordiae augustae
Livia und Tiberius.
•) Liv. XXII 33, 7 f. XXIII 21, 7. CIL
I* p. 309.
'') Liv. IX 46, 6. 14. Plin. n. h. XXIII 19.
«) Cic. de domo 130 f. 136 f.
^) Vgl. auch den durch Beischrift ge-
sicherten Concordia-Kopf auf Münzen der
caesarischen Zeit (Babblon, Monn. consul. I
122 f. 455. 510. II 242 f. 551, s. auch Klubo-
MANN, Zschr. f. Numism. VI 1878, 89 ff.).
Pietati geweiht ist, als eine Huldigung fflr | Weihinschriften an Concordia aus republi-
D. Neugesohaffene Gottheiten« 64. Peraonifikationen abstrakter Begriffe. 273
zu Ehren Caesars einen Tempel der Goncordia nova zu bauen und ein
Jahresfest einzusetzen, weil jener dem Staate die Eintracht wiedergegeben
habe (Cass. Dio XLIV 4, 5), und Augustus stellte im J. 744 = 10 Altäre
und Statuen von Goncordia, Salus populi Romani und Fax in einem Heilig-
tume auf, welches am 30. März sein Jahresfest beging;^) auch nach dem
Selbstmorde des Scribonius Libo im J. 16 n. Ghr. wurden vom Senate Dank-
geschenke an Juppiter, Mars und Goncordia beschlossen (Tac. ann. II 32),
und von den Inschriften der in Ausführung dieses Beschlusses der Gon-
cordia von Beamten dargebrachten goldnen und silbernen Weihgeschenke
haben sich noch mehrere unter den Trümmern des Goncordientempels am
Forum vorgefunden.*) Unter Nero tritt mit deutlicher Bezugnahme auf
die Verhältnisse innerhalb der kaiserlichen Familie bei den Opferhand-
lungen, die die Arvalbrüder aus Anlass der Geburtstagsfeiern des Kaisers
und der Kaiserin-Mutter Agrippina begehen, Goncordia in die Reihe der
angerufenen Götter, und das ¥riederholt sich noch einmal unter Vitellius
beim Geburtstage der Kaiserin Galeria.') Die Goncordia augusta oder
Goncordia Augustorum, die auch in den Städten des Reiches Tempel und
Altäre besitzt,^) spielt dann seit Nero eine grosse Rolle auf den Münzen
als Zeugnis für Eintracht zwischen den Mitgliedern des kaiserlichen Hauses,
namentlich wenn diese nach vorübergehenden Trübungen als von neuem
gesichert gilt; aus derselben Anschauung heraus erklärt es sich, wenn
zur Feier von Vermählungen in der kaiserlichen Familie Münzen mit dem
Bilde der Goncordia geschlagen werden und in der Darstellung der dex-
trarum iunctio geradezu Goncordia an die Stelle der Juno Pronuba (oben
S. 119) tritt. ^) Ausserdem verherrlichen Münzen auch die Concor dia mili"
tum, exercituum, provinciarum, imperii u. s. w., und auch von einzelnen Ge-
meinden oder GoUegien finden wir die eigne Goncordia verehrt.^)
Nicht ganz so durchsichtig stellt sich der Begriff der Göttin Spes
in der Geschichte ihres Kultes dar, doch liegt das nur an der Dürftigkeit
der Überlieferung, nicht daran, dass die Wirksamkeit dieser Göttin an
sich komplizierter gedacht gewesen wäre oder grössere Wandlungen durch-
gemacht hätte. Mit vollem Namen bona spes genannt,^) ist sie das numen,
zu dem man betet, dass das, was man hofft, in Erfüllung gehe.®) Der
kanischer Zeit CIL X 5159 (Casinum). 6508
(Cora).
») Cass. Dio UV 35, 2. Ovid. fast. III
881 f., der Janus hinzufügt; vielleicht hängt
die ganze Feier mit der in jenem Jahre
wenigstens beabsichtigten (s. Mommsen, Res
gestae Di vi Ang.' p. 50) Schliessung des
Jannstempels zusammen.
») CIL VI 91-94; vgl. auch 90. 3675*.
*) Hbnzbn, Acta fratr. Arval. p. 57.
*) z. B. CIL II 465. 3090. 3349. 4270.
III 1412. V 5058. VIII 4197. 8300 f.; Suppl.
14686. 15447. 17829. 18891. Erwähnenswert
ist besonders der Tempel der Concordia
augusta in Patavium, von dem sich die dor-
tigen Augustalen Concordiales Auguatales
nennen (Mommsbn CIL V p. 268); vgl. auch
oben S. 272 Anm. 5.
^) Reiches Material bei R. Petbb in
Roschers Mythol. Lexik. I 917 ff.
*) z. B. Concordiae coUegi hrattiariorum
inauratorum CIL VI 95; Concordiae Agri-
gentinorum CIL X 7192; Concordiae populi
et ordinis Thamugadi CIL VIII 2342 und
mehr bei R. Petes a. a. 0. und bei D. Vaoliebi
in RuGGiBBOS Dizion. epigr. II 572 f.
') EcKHBL, D. N. VII 154; vgl. Mens und
bona mens (oben S. 259 f.), Valetudo und hona
valetudo (CIL VIII 9610).
') Darum findet sich auch Spes in Ver-
bindung mit Fortuna, so in der Formel Spea
et Fortuna valete (Bübcheleb, Anthol. epigr.
nr. 1498 m. Comm.) und im Kulte einer Tvxri
eveXmg, deren im Vicus longus gelegenen
Altar Plutarch (de fort Rom. 10; vgl. Qu.
Rom. 74) erwähnt. Vgl. auch Plaut. Merc.
Handbnch der klaai. AltertnmswlaKnaofaafk. Y, 4. 18
274
Religion nnd Enltna der Römer. II. Götterlehre.
Gegenstand der Hoffnung ist natürlich nach Beruf und Situation des
Betenden ein verschiedner, und wenn man aus Tibull. 1 1, 9 nee Spes desti-
tuat, sed frugum aemper acervos praebeat u. s. w; entnommen hat, dass Spes
von Haus aus eine ländliche Gottheit gewesen sei, so ist das ein un-
berechtigter Schluss; denn wie der Landmann auf eine gute Ernte, so
hofft der Kaufmann auf reichen Gewinn und der Soldat in misslicher
Situation auf günstigen Ausgang, und gerade der letztgenannten Veran-
lassung verdankt der Haupttempel der Göttin in Rom seine Entstehung.
Von A. Atilius Galatinus in den Kämpfen des ersten punischen Krieges
gelobt, stand er am Forum holitorium (Stiftungstag 1. August) und wurde,
nachdem ihn im J. 723 = 31 eine Feuersbrunst zerstört hatte (Cass. Dio
L 10, 3), im J. 17 n. Chr. durch Germanicus von neuem geweiht.^) Ein
templum Spei novum führt das Regionenbuch in der 7. Region auf, wäh-
rend die Stadtgegend bei der späteren Porta Labicana von einem dort
gelegenen, vielleicht nur privaten Heiligtume den Namen ad Spem veterem
trug.^) Seit Augustus erhält auch sie eine besondre Beziehung auf das
Kaiserhaus: zur Erinnerung an den Tag, an welchem Augustus die Toga
virilis angelegt hatte (18. Oktober), ordnet das Festverzeichnis von Gumae
eine supplicatio Spei et Iuve[ntuti] an, und als im J. 63 Nero und Poppaea
nach der in Antium erfolgten Niederkunft der Kaiserin wieder in Rom
einziehen, schieben die Arvalbrüder in die Liste der Götter, denen sie bei
solchen Loyalitätsakten zu opfern pflegen, Spes ein:^) das ist die Spes
augusta, die an vielen Orten Verehrung fand^) und häufig auf den Kaiser-
münzen begegnet. Für ihr Bild, das ausser durch die Münzen auch durch
ein inschriftlich gesichertes statuarisches Exemplar^) vertreten ist, hat
man einen Typus der archaischen griechischen Kunst^) entlehnt: es zeigt
die Göttin in üntergewand und Mantel, mit der linken Hand zierlich den
Zipfel des letzteren fassend, in der Rechten eine Blüte oder Knospe hal-
tend, letztere gewiss symbolisch zu verstehen, nicht als Attribut einer
Frühlings- oder Gartengöttin.
Erheblich später hat als dritte in der Reihe dieser völlig frei-
geschaffenen Abstraktionen auch Pietas einen Tempel in Rom erhalten,
und zwar auf Grund eines Gelübdes, das der Consiü M'. Acilius Glabrio
in der Schlacht gegen Antiochos bei den Thermopylen that und sein Sohn
gleichen Namens 10 Jahre später einlöste, indem er 573 = 181 den in-
zwischen auf dem Forum holitorium erbauten Tempel der Göttin zur Ein-
weihung brachte.^) Da pietas im technischen Sinne ausschliesslich die im
867: Qui me revocat? Spes ScUus Victoria;
Bacch. 893: Spe8 Opis VirttM Venus.
^) Gic. de leg. II 28. Tac. ann. 11 49.
CIL l* p. 823; Prodigium vom J. 536 = 218
Liv. XXI 62, 4; Brand im J. 542 = 212 Liv.
XXV 7, 6.
») Liv. IT 51, 2. Dion. Hai. IX 24, 4 (8
Stadien von der Stadt entfernt); vgl. Frontin.
de aqu. 5. 19. 20. 21. 65. CIL XV 5929.
*) CIL VI 2043 II 10; mit dem gleichen
Anlasse hängt vielleicht das CoUegium der
cultores Spei augustae in Antium (CIL X
6645) zusammen.
*) CIL VI 758—760. V 707. 834; Prie-
sterin der Spea et Sodus aug. in Gabii CIL
XIV 2804. Kult der Spes schlechthin in Ostia
XIV 375, Aricia XIV 2158, Capua X 3775 u. a.
*) CIL VI 757 = ScHRKiBBB, Vüla Ludo-
visi nr. 292 ; simulacra der Spes werden er-
wähnt auch CIL XIV 2853. 2867. IX 4663.
X 8295.
") Bebnoülli, Aphrodite (Leipz. 1873)
S. 68 ff. HoMOLLB, Bull, de corr. hellen. XIV
(1890) 572 ff.
') Liv. XL 34, 4, entstellt bei Val. Max.
II 5, 1.
D. Neugesohaffene Gottheiten. 64. Persoaiflkationen abstrakter Begriffe. 275
gegenseitigen Verhältnisse von Eltern und Kindern sich kundgebende
fromme und pflichteifrige Gesinnung bezeichnet (z. B. Plaut. Asin. 506. 509),
so kann man als Anlass zu jenem Gelöbnisse einen ähnlichen Vorfall in
der Schlacht vermuten, wie er aus dem Treffen am Ticinus vom Gonsul
P. Cornelius Scipio und seinem Sohne, dem älteren Africanus, berichtet
wird.^) Die Legende freilich wusste eine rührende Geschichte zu erzählen
von einer frommen Tochter, die mit der Milch der eigenen Brust ihre im
Gefangnisse verschmachtende Mutter erhalten habe,^) eine farblose Nach-
bildung der griechischen Erzählung von Mykon und Pero,') die mit dem
Tempel recht ungeschickt nur durch die Angabe in Verbindung gesetzt
wird, dass das Gefängnis, in dem der Vorfall sich zutrug, an der Stelle
des späteren Tempels gelegen habe. Von diesem Tempel, der im J. 710
= 44 den Vorbereitungen für den Bau des späteren Marcellustheaters zum
Opfer fiel,^) ist ein nicht sehr fern davon beim Circus Flaminius gelegener
zu unterscheiden^ dessen natalis der 1. Dezember war.^) Auf das Eult-
bild eines dieser beiden Tempel geht wahrscheinlich die Darstellung der
Göttin mit dem Storch als Begleiter zurück, die uns zuerst auf Münzen
des M. Antonius vom J. 713 = 41 begegnet,^) dann in mannigfachen Varia-
tionen auf den Eaisermünzen auftritt, wobei sie zunächst noch meist dem
Hinweise auf das zärtliche Verhältnis des Kaisers zu seinen Eltern oder
Kindern dient, nachher aber allgemeiner fast gleichbedeutend mit Gon-
cordia nur das gute Einvernehmen zwischen den Angehörigen des Herr-
scherhauses versinnbildlicht. In ersterer Auffassung sehen wir sie z. B.
auf Münzen der Livia und des Tiberius (Eckhel, D. N. VI 150 f. 157), und
die Verherrlichung desselben Verhältnisses bezweckte auch der Altar, den
im J. 22 n. Chr. der Senat wegen der schweren Erkrankung der Livia
gelobte (Tac. ann. HI 64) und Claudius im J. 43 Pietati augustae dedizierte;^)
in anderem, aber verwandtem Sinne ist die Göttin zu verstehen, wenn
sie auf einem Lageraltar als Pietas leg{ioni8) XXII pr{ifnigeniae) erscheint,
d. h. als die Vertreterin derjenigen Eigenschaften, welche der Legion die
ehrenden Beinamen pia fidelis eintrugen.®)
Damit ist die Reihe derjenigen Gottheiten dieses Kreises, die bereits
in republikanischer Zeit öffentliche Verehrung genossen, abgeschlossen;
denn für Aequitas wird durch die archaische Becherinschrift Aecetiai
>) Polyb. X 8. Liv. XXI 46, 7 u. a.
«) Plin. n. h. VII 121. Val. Max. V 4, 7;
etwas abweichend Fest. p. 209, bei dem es
der Vater ist, der so vom Hungertode er-
•) Val* Max. V 4 ext. 1. Hygin. fab. 254,
vor aUem die poxnpejanischen Bilder Helbig
nr. 1876 und Sogliano nr. 599« auch Thon-
reliefs, Rom. Mitth. XllI 1898, 20; vgl. G.
Enaaok, Zschr. f. vergleich. Litt.(}esch. N. F.
XII 450 fi.
*) Plin. n. h. VII 121. Caas. Dio XLIII
49, 3.
') CIL P p. 385; erw&hnt wegen eines
Prodigiums vom J. 663 = 91 bei Obseqn. 54
[114]. Gic. de div. I 98.
*) Babblon, Monn. consol. 1 178 f.; son-
stige Darstellungen der Göttin oder ihres
Kopfes mit Beischrift ebd. I 859. II 850. 384.
Ueber die Pietät der Störche gegen ihre
Eltern s. Aristoph. Vög. 1353 ff. Aelian. hist.
an. III 28. Plat. Ale. I 185 E.
7) CIL VI 562; Pietas imp. Caesaris (des
Trajan) ebd. 568; sonstige Weihungen CIL
II 832. 896. 1474. 1611. 1668. 8265. VIII
1478. IX 2112. XIV 5826, besonders merk-
würdig ein Altar aus Veji mit der Inschrift
JPietcUis 8<x€rum, der eine Nachbildung des
römischen Puteal Libonis darstellt (CIL XI
8779 = BEmTDOBF-ScHOBNB, Lateran. Museum
nr. 440).
") V. DoMASZEWSKi, Wostd. Zschr. XIV 43.
18*
276
Religion nnd Enltiui der Römer. II. Götterlehre.
pocoloni (CIL I 43), auch wenn man die Identität von Aecetia und Aequitas
als sicher annimmt, die Existenz eines Staatskultes in Rom keineswegs
erwiesen, und Copia ist zunächst eine rein dichterische Figur, deren Per-
sonifikation aus der Wiedergabe des griechischen xsQccg Ufiald-eiccg durch
cornu copiae, nachher cornu Copiae, herstanmit,^) und der Name der im
J. 591 = 193 nach Thurii entsendeten Kolonie Copia, die das Füllhorn
auf ihren Münzen führt (Head, Hist. num. p. 73) berechtigt nicht, auf einen
römischen Staatskult der Copia in jener Periode zu schliessen. Ja auch
für die spätere Zeit steht weder für Aequitas noch für Copia sicher, dass
sie je einen Kult besessen haben; denn die Copia einer Inschrift von
Avignon (CIL XII 1023) kann sehr wohl eine epichorische Gottheit sein,
und Aequitas begegnet zwar, durch das Attribut der Wage gekennzeichnet,
sehr häufig auf den Kaisermünzen seit Galba,^) doch fehlen für den Kult
zwingende Zeugnisse.') Gleichbedeutend mit Copia tritt auf den Münzen
seit Elagabal Abundantia^) und später auch übertas (saeculi) auf, wäh-
rend neben Aequitas und sogar früher als sie (seit Tiberius) Justitia
augusta erscheint, welcher nach dem Zeugnisse der praenestinischen Fasten
am 8. Januar 13 n. Chr. eine Statue in Rom geweiht worden war und deren
göttliche Verehrung auch durch sonstige Zeugnisse gesichert ist.^)
Heiligtümer privater Weihung kennen wir aus republikanischer Zeit
von Pudicitia und Quies. Ein fanum der letzteren, eine Strecke weit vor
der Stadt an der Via Labicana gelegen, wird einmal beiläufig erwähnt,^)
ohne dass wir über die diesem Kulte zu Grunde liegende Anschauung
mehr als Vermutungen zu äussern im Stande wären: der Gedanke, dass
hier „eine Göttin des Ausruhens am Wege und der stillen Sammlung von
der Mühe des Lebens und dem Geräusche der Stadt" (Preller, Rom. Mythol.
n 222) verehrt worden sei, enthält in dieser allgemeinen Fassung sehr
viel Modernes; einen Fingerzeig zum Verständnisse eines solchen Gottes-
dienstes, der natürlich in Ereignissen im Leben des Stifters jener Kapelle
seine Begründung gehabt haben muss, geben eher die Münzen mit der
Aufschrift Quies Äugustorum, die Diocletian und Maximian nach ihrer Ab-
dankung schlagen Hessen (Eckhel, D. N. VIII 14). Pudicitia besass als
Pudicitia plebeia eine Kapelle im Vicus longus, deren Ursprung eine von
Liv. X 23, 3 ff. wiedergegebene Tradition auf den Gegensatz zu einer an-
0 Plaut. Pseud. 671. 736. Horat. c. s. 60;
epist. I 12, 28 und mehr bei R. Peteb in
Röschen Mythol. Lexik. 1 927 f., ttber xegag
'JfAuXddas auch Wbrnickb bei Pauly-Wis-
80WA, Real-Encycl. I 1721 f.
') AüST bei Fault- WiBsowA, Real-En-
cycl. I 604 f.
') Als ein solches kann weder die Wei-
hung eines Signum Aequitatis im Tempel der
praenestinischen Fortuna (CIL X IV 2860) noch
die Bemerkung des Amob. IV 1 gelten, der
Victoria, Fax, Aequitas als Götter auffährt;
ganz unmöglich ist es jedenfalls bei dem
von Cass. Dio LXXl 34, 3 erwähnten raog
EveQyBalas (s. unten S. 279 Anm. 1) an Aequi-
tas zu denken.
*) AüST a. a. 0. 125 f.
B) lusHtiae augustae CIL IX 5890 (An-
cona); sacerdos lustiticie CIL VI 2250; sta-
tua luatüiae aug, CIL IX 4133 (AequicuU) ;
der lustitiae Nemesi Fatis geweihte Altar
vonCapua (CIL X 3812 = Büechblbb, Anthol.
epigr. nr. 867) entstammt, wie die griechische
Ausfertigung der gleichen Aufschrift (Eaibbl,
Epigr. gr. nr. 837) zeigt, griechischer Reli-
gionsanschauung (s. auch oben S. 213 Anm. 4).
•) Liv. rV 41, 8 : iam consul via Labi-
cana ad fanum Quietis erat; die Notiz de»
August, c. d. IV 16 Quietem, cum aedem
Juiberet extra portam Collinamf puhiice illam
susdpere noluerunt geht wohl nur auf eine
missverständliche Auffassung der Liviusstelle
zurück.
D. NeagesohaflSene Gottheiten. 64. Pereoniflkationeii abstrakter Begriffe. 277
geblich einstmals am Forum boarium verehrten Pudicitia patricia zurück-
führte; doch hat ein Heiligtum dieser Göttin an jener Stelle nie bestanden,
sondern es wurde nur von einigen Gelehrten das im Tempel der Fortuna
stehende geheimnisvoll verhüllte Bild (S. 207) vermutungsweise auf Pudi^
citia gedeutet.^) Pudicitia ist insbesondere die Beschützerin der ehelichen
Keuschheit der Frauen und wird daher nur von den matronae univiriae
verehrt.^) In der Kaiserzeit wird auch sie mit dem Herrscherhause in
enge Verbindung gebracht, und nachdem Plotina durch Errichtung eines
Altars der Pudicitia augusta geehrt worden war,') erscheint das Bild der
Göttin häufig auf den Münzen der Kaiserinnen.
Bei allen bisher behandelten Gestalten dieses Götterkreises war,
ebenso wie früher bei Salus, Felicitas, Victoria, Virtus u. a., hervorzu-
heben, dass seit der Zeit des Caesar und Augustus ihr Dienst einen ganz
neuen Inhalt dadurch erhält, dass er in nächste Berührung mit dem Kaiser-
kulte kommt und die einzelnen Gottheiten neben oder an Stelle ihrer all-
gemeinen Bedeutung eine besondere Beziehung auf die Vorgänge im Kaiser-
hause und die Eigenschaften der Regenten erhalten. In der gleichen
Richtung entwickelt sich auch eine reiche Fülle von Neuschöpfungen, in
welchen teils die durch das Kaiserreich herbeigeführten Segnungen, teils
die individuellen Tugenden der Herrscher zum sakralen Ausdrucke kommen
sollen. Unter den Gottesdiensten der ersten Art ist der bedeutungsvollste
der der Pax, der Dank für den Frieden, den die Beendigung der Bürger-
kriege für das Reich bedeutete. Schon im Todesjahre Caesars erscheint
verfrüht der Kopf der PÄXS auf den Denaren des Münzmeisters L. Aemi-
lius Buca (Babelon, Monn. consul. H 23), aber erst Augustus bringt der
Welt wirklich den Frieden und von ihm an datiert daher der Kult seiner
Göttin.*) Als Augustus im J. 741 = 13 von dem Zuge nach Spanien und
Gallien zurückkehrte^ beschloss der Senat die Errichtung der Ära Pacis
augustae im Marsfelde, und am 30. Januar des J. 745 = 9 wurde dieser
Prachtbau eingeweiht,^) nachdem in der Zwischenzeit auch Augustus selbst
Altäre der Pax augusta, Salus publica und Concordia dediziert hatte (s. oben
S. 273); seitdem ist auch das Bild der Pax augusta, die als kennzeich-
nendes Attribut den Caduceus führt, auf den Münzen häufig. Die Arval-
brüder begehen nicht nur noch unter Caligula den Stiftungstag der Ära
Pacis durch ein Opfer (CIL VI 2028 b 8—10), sondern opfern auch im J. 66,
als Nero den Janus geschlossen und den Lorbeerkranz im Capitol nieder-
*) WissowA, Analecta Romana topogra-
phica (Balis Sax. 1897) p. 5 ff. Die vetus
ara Pudicitiae, d. h. die im Vicus longus, er-
wähnt auch Juven. 6, 308, vgl. Prep. II 2, 25.
') Ueber die univiriae s. Mabquabdt-
Mau, Privatleben der Römer« 8. 42, 6. Wis-
90WA a. a. 0. p. 8 n. 5 und oben S. 208. Auf
einer Grabschrift CIL X 6351 (c. add.) steht
Pudicitiae Caecüiae gleichbedeutend mit Ju-
noni Caecüiae,
*) Ära Pudic{itiae) auf Mttnzen der Plo-
tina, EcKHBL, D. N. VI465; vgl. auch die
InschriftClL VIII 993, wo eine flaminica Divae
Plotinae eine statua Pudicitiae aug{ustae)
weiht. Schon Val. Max. VI 1 praef. unterlässt
es nicht, Pudicitia mit der Kaiserin-Mutter
Livia in Verbindung zu bringen.
*) Darum die häufigen Erwähnungen der
Friedensgöttin in der augusteischen Poesie,
z. B. TibuU. I 10, 45. Hör. c. s. 57.
») MoMHSBN, CIL P p. 320. F. v. Duhh,
Annali d. Inst. 1881, 302 ff. E. Petersen,
Rom. Mitteil. IX 1894. 171 ff. X 1895, 138 ff.
Nachbildungen dieses Altars in Praeneste
(CIL XIV 2898) und Narbo (CIL XII 4335),
vgl. Dbssau, CIL XIV p. 494. Eckhel, D. N.
VI 268 f.
278
Religion und EaltaB der Römer. II. Odtterlehre.
gelegt hat, der Pax eine Euh;^) das Friedenaregiment der flavischen Kaiser
ist in dem grossartigen Templum Pacis mit dem zugehörigen Forum monu-
mental verewigt worden.') Die durch den Frieden und das ungetrübte
Glück ruhiger Zeitläufte hervorgerufene Stimmung findet weiter auch als
Securitas (augusta, publica, temporum u. a.) ihre Verkörperung, nicht nur
auf den Münzen, s) sondern auch im Gottesdienste: denn die Arvalbrüder
bringen am 10. Januar 69, als durch die Adoption des Piso Licinianus der
Fortbestand der Regierung Galbas gesichert erscheint, der Securitas ein
Opfer (CIL VI 2051 1 30), und in Praeneste weihen Decurionen und Volk
der Securitas aug(usta) einen Altar (CIL XIV 2899) ; auch in Cirta stiftet
zur Zeit Caracallas Caecilius Natalis eine statiia aerea SecurücUis (CIL Vm
7095). Wenn bei öffentlichem Gottesdienste das Earchengebet pro aäemitate
imperii lautet*) und Nero eigene Spiele pro aäernüate imperii einsetzte
(Suet. Nero 11), so wird in diesem Sinne Aeternitas imperii selbst zur
Göttin, der die Arvalbrüder nach der Entdeckung der pisonischen Ver-
schwörung im J. 66 opfern (CIL VI 2044 1 6) und deren Name mit dem
Bilde eines Tempels schon auf Münzen aus der Zeit des Augustus und
Tiberius erscheint.^)
In der Reihe göttlicher Personifikationen, die der Verherrlichung
kaiserlicher Tugenden dienen, steht obenan dementia, die Verkörperung
der kaiserlichen Gnade. Unter den Huldigungen, die Caesar im J. 710 = 44
dargebracht wurden, war eine der bedeutsamsten die Stiftung eines Heilig-
tumes der dementia Caesaris, in welcher die Göttin und Caesar Hand in
Hand dargestellt waren, ^) und ähnliche Stiftungen wiederholen sich in
der nächsten Zeit mehrfach bei Anlässen, die Gelegenheit boten, die Gnade
und Milde des Kaisers zu preisen. 7) Seit Hadrian wird im gleichen Sinne
auch Indulgentia verehrt, der wahrscheinlich auch ein von Marc Aurel
>) CIL VI 2044 1 12, vgl. Hbnzbn, Acta
fratr. Arval. p. 78. 82.
*) Die Zeugnisse bei Gilbsbt, Topogr.
m 135, 3, vgl. EcKHBL, D. N. VI 334; darauf
beziehen sich auch die Inschriften CIL VI
199. 200, von der tribiM Sucuaana iimiorum
der Pcuc augusta und der Pax aetema domus
imp. Caesaris Äug, liberorumque eius ge-
setzt, und CIL II 3732, wo Titus conservator
Pacis aug{ustae) heisst; vgl. sonst CIL II
1061. 3349. III 3670. VIII 6957. 8441.
') Stevenson, Diction. of Rom. coins
S. 726 f. ; vgl. WiBSELBB, Abhandl. d. Götting.
esellsch. d. Wissensch. XXX 37 ff. Die ein-
zige litterarische Erwfthnung findet sich bei
Tac. Agr. 3: nee spem modo ac votum Se-
curitas publica, sed ipsius voH fiduciam ac
robur assumpserit. Personifikationen ver-
wandter Bedeutung, die nur auf Münzen vor-
kommen, sind Hilaritas (Stevenson a. a. 0.
E, 462), Laetitia (Dbexleb in Roschers Mythol.
exik. II 1788), auch Tranquillitas (Eckhsl,
D. N. VII 328 f. 497).
*) Act. Arval. CIL VI 2064, 45. 2065 ii 9.
2067, 40; vgl. Plin. epist. ad Trai. 59. 83.
*) AüST bei Paüly- Wi8S0WA,Real-£ncycl.
I 694 f. Ueber aetemus und aeternitas {aeter-
nitas vestra ist im 4. Jhdt. gelftufige Anrede
der Kaiser) als Benennung der Kaiser und
die Beziehung dieser Beiworte auf den Ge-
stimdienst, die sich auch in den der Aeter-
nitas auf den Münzbildem gegebenen Attri-
buten von Sonne und Mond (vgl. CIL II 259
Soli aeterno Lunae pro aetemitate imperii)
ausspricht, s. die schönen Darlegungen von
F. CuMONT, Revue de Thist. et de littär.
relig. I 1896, 435 ff.; vgl. auch C. L. Visconti,
BuU. arch. com. III 1875, 221 flf.
«) Appian. b. c. II 106. Plut Caes. 57.
Gass. Dio XLIV 6, 4. Münzen des P. Sepnlliua
Macer bei Babelon a. a. 0. II 29.
^) Ära Clementiae unter Tiberius im J. 28
(Tac. ann. IV 74; vgl. damit die Mtlnzen mit
Clementiae s. c. und Moderationi s. c, Eckhbl,
D. N. VI 187), jährliches Opfer unter Cali-
gula, Cass. Dio LIX 16, 10; Opfer der Arvalen
im J. 66 aus Anlass der gn&digen Aufnahme
des Tiridates durch Nero, CIL VI 2044 1 18.
Ueber die Münzen R. Petes in Roschers
Mythol. Lexik. 1 910 f. F. Quillino, Zschr. f.
Numism. XX 1897, 210 ff.
D. Nengeschaffene Gottheiten. 64. Personifikationen abstrakter Begrüfe. 279
auf dem Capitol gestifteter Tempel galt, dessen Inhaberin der griechische
Gewährsmann als EisQyeaia bezeichnet.^) Die vom Kaiser bewiesene Um-
sicht und Fürsorge für Thron und Beich verkörpert sich in der Provi-
dentia augusta, der schon unter Augustus ein Altar errichtet worden
zu sein scheint;^) ihr wird namentlich dann geopfert, wenn eine dem
Kaiser und seinem Hause drohende Gefahr glücklich abgewendet worden
ist, z. B. nach dem Sturze des Sejan (Dessau 157. 158), nach der Ermor-
dung der Agiippina, nach der Entdeckung der pisonischen Verschwörung,
auch als Galba durch die Adoption des Piso Licinianus seine Herrschaft
und die Thronfolge von neuem befestigt hat.^) Später verschiebt sich
die Auffassung der Göttin insofern, als man nicht mehr sowohl an die
vom Kaiser bethätigte Voraussicht, als an die über dem Kaiser waltende
göttliche Vorsehung denkt, also an die Stelle der Providentia augusta
eine Providentia deorum setzt, welcher die Arvalbrüder im J. 183 pro
Salute imperatoris (des Commodus) ein Gelübde thun (CDj VI 2099 in 18)
und die seit Hadrian vereinzelt auch auf Münzen vorkommt.^) Die Ent-
bindung der Kaiserin wird durch Opfer an Fecunditas gefeiert, welcher
Göttin der Senat im J. 63 n. Chr. aus Anlass der Niederkunft der Poppaea
einen Tempel dekretiert,^) die Heeresreform des Hadrian führt zur Grün-
dung eines Kultes der Disciplina, die uns in Militärinschriften entgegen-
tritt.^) Manchmal sind es ganz persönliche Erlebnisse und Charakterzüge
der Begierenden, die auf ihren Münzen neue Personifikationen ins Leben
rufen, so z. B. wenn auf den Münzen des (Claudius und seiner Mutter An-
tonia Constantia begegnet in Erinnerung an die von Claudius stand-
haft ertragenen Anfechtungen seines Lebens vor der Thronbesteigung,
oder auf denen des Hadrian Patientia zur Kennzeichnung der geistigen
und körperlichen Abhärtung und Ausdauer, deren sich der Kaiser rühmte. 7)
Aber diese Beispiele führen bereits über die Grenzen dieser Betrachtung
hinaus, da es sich hier nicht mehr um eine Vergöttlichung von Begriffen,
sondern nur um den metaphorischen Ausdruck geschichtlicher Thatsachen
handelt, der mit der Beligion ebensowenig zu thun hat wie die Personifi-
>) Cass. Dio LXXI 34, 3: nXeuJtoy iy
€veQy$aiif difjyey, o&sy nov xal raoy avrrjg
iy rtä KtcTUTtaXit^ IdQvatcro, oyofjiaxi rtyi iSito-
xdxi^ xal fjLTJnov dxova&iyti nQoaxaXiaas
itvTijy; dass hier evsQyeaia die Wiedergabe
von indülgentia ist, wird wahrscheinlich ge-
macht durch Inschriften wie CIL VIII 8813 f.
ex indiUgentia (gleichbedeutend mit hene-
ficio) imp. Caesaris Traiani Hadria/ni aug.
fines adsignati genti Nutnidarum und durch
Mflnzaufschriften wie Indülgentia Äugg, in
Carthaginem, in Itcdiam (Eckhel, D. N. VII
183. 190. 204); eine ttedicula tetrastyla cum
statua aerea IndülgenticK domini nostri in
Cirta CIL VIII 7095.
') Die ara Providentiae augiLStae er-
wähnen die Arvalakten unter Galigula und
Claudius, CIL VI 2028 d 15. 2033, 5; vgl. die
») Act. Arv. CIL VI 2042 a 14. 2044 i 4.
2051 1 29. Providentiae imp, Caesaris (Tra-
jan) CIL X 6310, Numini et Providentiae
impp. Severi et Antonini CIL III 1439, Pro-
videntiae auguetae CIL V 1871. VIII 841.
*) EoKHBL, D. N. VI 507; vgl. Plin.
paneg. 10.
*) Tac. ann. XV 23; vgl. Hbnzen, Acta fr.
Arv. p. 85 und über die Münzbilder R. Peter
in Roschers Mythol. Lexik. I 1471 f.
•) CIL VII 896. VIII 9832. 10657. Cagnat,
L'annöe epigr. 1897 nr. 60; vgl. Eokhel, D.
N. VI 503. V. Domaszewski, Westd. Zschr.
XIV 44.
') Eokhel, D. N. VI 236. 506. Eine In-
schrift von Lambaesis aus der Zeit des An-
toninus Pius (CIL VIII 2728) zeigt über den
drei erhaltenen Schriftcolumnen drei weib-
Münzen des Augustus mit einem Altar und ' liehe Büsten mit den Unterschriften Patien-
der Beischrift Provident(iae) 8. c, Eokhel, tia, Virtus, Spes.
D. N .VI 12. 128.
280 Religion und KnltoB der Römer. II. Götterlehre.
kation als technisches Mittel der Dichtersprache. Ein weiteres Eingehen
auf die Personifikationen der Kaisermünzen (z. B. Clarüas, Nobilitas, Utüitas
publica u. s. w.) ist um so mehr ausgeschlossen, als das Vorkommen des
Namens als Münzlegende mit oder ohne Beifügung einer mit entsprechenden
Attributen ausgestatteten Figur noch keineswegs beweist, dass der be-
treffende Begriff persönlich und als Objekt göttlicher Verehrung gedacht
ist. Die Qrenze zwischen Gottheiten dieser Art wie Concordia, Fax, de-
mentia und reinen Appellativen wie Adlocutio, Gloria, Adventus u. s. w. ist
fliessend und unsicher: wenn z. B. zur Verherrlichung der kaiserlichen
Freigebigkeit, wie sie sich einerseits in Geld- und Getreidespenden, andrer-
seits in der Darbietung von Spielen kundgibt, Liberalitas und Munificenlia
auf den Münzen genannt werden, so könnte man diese Namen an sich
ebensogut als wirkliche Vergöttlichungen auffassen wie dementia oder InduU
gentia, zumal für Liberalitas wenigstens auch eine feste Darstellungsform
mit den ständigen Attributen der Tessera und des Füllhorns geschaffen
ist;^) aber der Umstand, dass dem Worte liberalitas mit Beziehung auf
die Wiederholung der Spenden Iterationsziffern beigegeben werden, be-
weist, dass es ebenso Appellativum ist wie das gleichbedeutende congiarium,
das ebenfalls mit Iterationsziffem verbunden wird. Wenn es bei Tacitus
heisst: cum Vaierius Messalinus Signum aureum in aede Martis ültariSj Cae-
cina Severus aram VUioni statuendam censuissent (ann. III 18), oder: aram
dementiae, aram Amicitiae effigiesque circum Caesaris ac Seiani censuere
(ann. IV 74), so wird man ültio und Amicitia wegen der Verbindung mit
Mars ültor und dementia für die Gottheiten zu halten geneigt sein, denen
die Altäre geweiht waren, was im ersteren Falle auch durch den Dativ ge-
fordert wird; wenn aber derselbe Schriftsteller erzählt (ann. I 14): aramque
adoptionis et älia huiuscemodi prohibuit, so scheint der Gedanke an eine
Göttin Adoptio ausgeschlossen. Zum vollen Verständnisse dieses ganzen
Vorstellungskreises ist dringend erforderlich eine genaue Untersuchung
der auf Münzen und teilweise auch in Statuen und Reliefs erhaltenen
Darstellungen von Gottheiten dieser Kategorie mit spezieller Berücksichti-
gung ihrer Attribute; denn die Römer haben es verstanden, durch immer
neue Kombinationen einer verhältnismässig kleinen Anzahl von Attributen
einen im wesentlichen sich gleichbleibenden Typus einer weiblichen Ge-
wandstatue (s. oben S. 255) für alle diese Abstraktionen (Ausnahmen bilden
Spes und Virtus) zu verwenden und zu grosser Mannigfaltigkeit abzu-
wandeln, indem sie eine klar verständliche Bildersprache schufen, die erst
von der Zeit des Hadrian und der Antonine an mehr und mehr in Ver-
wilderung gerät.
Litteratur: R. Ekoelhabd, De personificationibus, quae in poesi atque arte Roma-
norum inveniuntur, Dias. GotÜDgae 1881 (ungenügend; s. auch oben S. 48 ff.). Pbbllbr-
JoRDAN, Rom. Mythologie II 228 ff. und die auf die einzelnen Gottheiten dieses Kreises be-
züglichen Artikel von R. Pbteb (in Roschbbs Mythol. Lexikon) und E. Aüst (in Pauly-
WissowAS Real-Encjclopädie).
55. Dea Borna und die Divi imperatores. Die römischen Gelehrten
haben mit Aufwand grossen Scharfsinns die Frage diskutiert, welche Gk)tt-
^) Stbtbksov, Dict. of Rom. coins p. 515 ff., vgl. 564.
D. Neugeschaffene Gottheiten. 66. Dea Borna und die Divi imperatores. 281
heit wohl als der eigentliche deus, in cuius tutela urbs Roma est, anzusehen
sei, durch dessen Evocation seitens der Feinde die Stadt ihres göttlichen
Schutzes beraubt worden wäre und dessen Name daher naturgemäss
strengstens geheim gehalten werden musste: die Frage war thatsächlich
nicht schwer zu beantworten, der auf Juppiter 0. M. und die Di penates
gestellte Beamteneid der republikanischen Zeit (oben S. 146) gibt mit er-
wünschter Bestimmtheit Auskunft, und diesen Bescheid eigneten sich offen-
bar mit Recht diejenigen Gelehrten an, die Juppiter als den Schutzgott
B>oms bezeichneten. Andre aber, denen diese Auskunft zu simpel erschien,
benützten das Geheimnis, in das die Verehrung der Penaten und ihrer
Symbole im Penus Yestae gehüllt war (oben S. 143. 147), zu weiteren Kom-
binationen und rieten auf alle möglichen Gottheiten, deren Kult irgend
etwas Geheimnisvolles an sich hatte, so auf Ops, weil ihre Kultstätte in
einem sacrarium der Regia nur dem Pontifex maximus und den Yestalinnen
zugänglich war (oben S. 168), auf Angerona, weil der Gestus ihres Bildes
unverbrüchliches Schweigen zu heischen schien (oben S. 198), ja aus nicht
mehr zu ermittelnden Gründen auch auf Luna.^) Diese Spitzfindigkeiten
der Studierstube haben mit der Religion des Staates und Volkes nichts
zu thun, in welcher mit voller Klarheit die Anschauung hervortritt, dass
die beiden Kontrahenten des Rechtsverhältnisses, auf dem die ganze Staats-
religion beruht, einerseits die römische Gemeinde, andrerseits die Gesamt-
heit der römischen Staatsgötter sind, letztere im abgekürzten Ausdrucke
vertreten durch den vornehmsten aus ihrer Mitte, Juppiter 0. M. Bei
dieser scharfen Gegenüberstellung der Gemeinde und ihrer Götter ist es
selbstverständlich, dass die erstere nicht selbst als göttliche Personifikation
in den Kreis ihrer Götter eintreten kann, dass also der Gedanke an eine
Dea Roma der römischen Religion durchaus fremd ist. In der That ist
diese Dea Roma auch den Römern, um einen glücklichen Ausdruck Prellers
zu gebrauchen, nur von den Griechen „aufgeredet*' worden, indem einer-
seits die griechischen Historiker, die sich die Grünctungsgeschichte Roms
auf ihre Art zurechtlegten, eine eponyme Heroine erfanden und auf diese
oder jene Weise in die Genealogie und die Geschichtserzählung verflochten,')
andererseits die gi-iechischen und kleinasiatischen Städte, wenn sie mit
der mehr und mehr nach Osten übergreifenden römischen Macht in Be-
rührung kamen, ihrem Eintritte in ein Treuverhältnis zu Rom') durch
*) Macr. S. III 9, 4: Nam propterea ipH
Boniani et deum, in cuius tutela urhs Borna
est, et ipsius urbis laiinum nomen ignotum
esse voluerunt. sed dei quidem namen non-
nullis antiquarum licet inter se dissidentium
libris insitum et ideo vetusta persequentibus
quicquid de hoc putaiur innotuit, alii enim
lovetn crediderunt, alii LwMim, sunt qui
Angeronam, quae digito ad os admoto süen-
dum denuntiat, alii autem^ quorum fides
mihi mdeiur firmior, Opern Consiviam esse
dixerunt; vgl. Plin. n. h. XXVIII 18. Plut.
Qn. Rom. 61. Serv. Aen. II 351.
») Dion. Hai. I 72 f. Plut. Rom. 1 f. Fest,
p. 266—268 B. Bomam, Solin. 1, 1—3. Serv.
Aen. I 273; vgl. im aUgemeinen Niese, Histor.
Zschr. N. F. XXIII 481 ff. Hymnen auf diese
Heroine Roma von Ps. Melinno (Stob. flor.
VII 13; vgl. dazu Biet, De Romae urbis
nomine p. XII) und von Marianus (Philarg. zu
Verg. Ed. 1, 20); wenn letzterer Roma Äescih
lapi filia nennt, so kann damit der gemein-
same Kult von Roma und Salus in Pergamon
(CIL in 399) verglichen werden.
•) Die Redewendung rrjy ruiy 'Pafiaitoy
niauv ayaxaXeic&ai (Diod. XXVII 5,vgl. Liv.
XXIX 18, 19 und Moxmsen, Staatsr. III 651, 2)
wird gut illustriert durch die aus dem J. 550
= 204 stammenden Münzen der italischen
Lokrer, auf denen PSIMA von JIIITII be-
282
Religion und Enltas der Römer. IL Götterlehre.
einen Kult der Tt;x^ ^PtofiaCaov oder Dea Roma Ausdruck gaben : die Smyr-
naeer rühmten sieh, als erste bereits im J. 559 = 195 ein templum ürbis
Bomae in ihrer Stadt gegründet zu haben (Tae. ann. 11 56), und andre
Städte sind ihrem Beispiele gefolgt,^) u. a. Alabanda in Earien, wo im
J. 584 = 170 ein solcher Tempel erstand und jährliche Spiele zu Ehren
der Dea Roma eingeführt wurden (Liv. XLIII 6, 5). Das Verhältnis dieser
auswärtigen Romakulte zur römischen Staatsreligion kommt am deutlichsten
dadurch zum Ausdrucke, dass auswärtige Gemeinden dem Juppiter 0. M.
auf dem Capitol ein Bild der Roma weihen^) und dass dementsprechend
auch die Juppiterstatue des von Q. Lutatius Catulus restaurierten Capitols
eine kleine Roma auf der Hand trägt ;B) denselben Sinn hat es, wenn auf
römischen Münzbildem etwa der sullanischen Zeit Roma durch den Qenius
populi Romani bekränzt wird (Babelon, Monn. consul. I 401 f.). Roma
ist für die Römer kein Gegenstand der göttlichen Verehrung, sondern ein
Bestandteil des bildlichen Ausdruckes, mit dem Dichtung und bildende
Kunst schalten; auf den römischen Münzen begegnet sie uns etwa seit
dem letzten Drittel des 2. Jahrhunderts v. Chr., häufig namentlich mit
Victoria in leicht verständliche Zusammenstellung gebracht,^) und die
höfische Kunst der früheren Kaiserzeit macht in Poesie und Plastik von
ihrem Bilde reichlichen Gebrauch, wenn auch ein ganz fester Typus für
dasselbe noch nicht zur Herrschaft gelangt ist, da man sie sich bald nach
dem Vorbilde kleinasiatischer Städtegöttinnen nach Amazonenart mit kurzem
Gewände und entblösster einer Brust, das Haupt mit dem Helme oder der
Mauerkrone bedeckt, vorstellt, bald in der Auffassung der Pallas Ilohdg
in langem Gewände mit Schild, Speer und Helm.^) Die letztgenannte
Darstellungsform hat dann kanonische Geltung erhalten durch das Kult-
bild des von Hadrian gestifteten Doppeltempels von Venus und Roma, in
welchem beide Göttinnen sitzend dargestellt waren (Gass. Dio LXIX 4,5),
Roma aber, wie es scheint, sonst nach dem Vorbilde der Parthenos des
Phidias: wenigstens trug sie nach Ausweis der Münzbilder, wie jene, die
Victoria auf der Hand^) und unter ihren Schild schmiegte sich, wie bei
kränzt wird; vgl. Eckhbl, D. N. I 176 und
die spätere lo&sche Inschrift CIL X 16:
lovi optimo maximo düs deabusque immor-
talibus et B,omae aetemae Locrenses.
') In Rhodos finden gegen Ende des
2. Jhdts. V. Chr. VtofAata als trieterische Spiele
statt (Inscr. gr. ins. mar. Aeg. I 730, vgl
46, 2), in Astjpalaia wird im J. 649 = 105
ein ßfouog xrjg Ptofjitjs erwähnt (ebd. III 178,
50); Priester der Roma in Ephesos und Sardes,
Fbankel, Inschr. von Pergamon nr. 268 E
35. 36.
') Zweisprachige Inschrift des xoiydv rtSy
Avx[(oy CIL I 589 = VI 372 = Inscr. gr.
Sicil. Ital. nr. 986, welche weihen Boma{m)
lovei Capüolino et poplo Romano.
») Cass. Dio XL 2, 3 (vgl. Suet. Aug. 94).
*) Vgl. die vortreffliche Abhandlnng von
A. Elübohann, L'effigie di Roma nei tipi
monetarii piü antichi, Roma 1879, dem ich
namentlich auch darin vollkommen beistimme,
dass die behelmten FrauenkOpfe auf dem
Avers sowohl des Triens nnd der Uncia wie
der Denare (Göttin mit dem FlQgelhelm)
als Darstellungen der Roma nicht gelten
können.
^) Für die dringend nötige Untersuchung
der Roma-Bilder bietet nach der älteren Litte-
ratur (Zo£ga, Bassirilievi antichi I 141 f.
A. Sbnoklbb, Jahrb. d. Ver. d. Altertumsfr. im
Rheinl. XIV 1849, 74 ff. F. Ebnksb, Sitz.-
Ber. Akad. Wien XXIV 1857, 258 ff.) die beste
Vorarbeit K. Puroold, Archaeol. Bemerk, zu
Claudian und Sidonius (Gotha 1878) S. 20 ff. ;
vgl. Miscellanea Capitolina (Rom 1879) 8.22 ff.
und G. KöBTE, Archaeol. Zeit. XLIII 1885,
23 ff.
*) üeber die analoge Anordnung des
Venusbildes s. Wissowa, De Veneria simn-
lacris Romanis p. 52 f.
D. Neugeschaffene Gottheiten. 66. Dea Roma und die Divi imperatores. 283
jener, die heilige Schlange.^) Erst durch die Gründung dieses templum Urbis^)
trat Roma in den Kreis der Staatsgötter ein : der Stiftungstag wurde auf
den vermeintlichen Gründungstag der Stadt, d. h. auf das alte Palilienfest
am 21. April, gelegt und in besonders festlicher Weise von Einheimischen
und Fremden alljährlich begangen, unter anderm auch durch Circusspiele;')
wahrscheinlich wurde gleichzeitig ein eigenes Priestertum, das der XII-
viri ürbis Romae, für den Dienst der neuen Gottheit eingesetzt.^) Die
Verehrung gilt nicht sowohl einer allgemeinen Schutzgottheit des römischen
Staates und Reiches, als vielmehr einer göttlichen Verkörperung der
Reichshauptstadt, die mit ihrer grossen Vergangenheit und der ganzen
Pracht ihrer Bauten und Kunstwerke um so mehr als etwas Hohes und
Heiliges sich darstellte, je mehr sich der Gegensatz zwischen Rom (bezw.
Italien) und den Provinzen geltend machte und je bedeutsamer die letzteren
für die Geschicke des Reiches wurden. Die Roma aetema^) war gewisser-
massen in demselben Sinne zum penetrale des Weltreiches geworden, wie
früher die aetemi Vestae fod (Val. Max. IV 4, 11) das der Hauptstadt ge-
wesen waren, und wir haben es als einen in religiöse Form gekleideten
Ausdruck der Sehnsucht oder des Heimwehs nach Rom zu fassen, wenn
römische Officiere in fernen Garnisonen der Roma aetema zusammen mit
Fortuna Redux und Gottheiten verwandter Bedeutung Altäre stiften.^)
Als Rom den Rang der Welthauptstadt an Gonstantinopel abtreten musste,
trat auch die Tyche der neuen Stadt 7) an die Stelle der Dea Roma.
Eine sehr wichtige Vermittlerrolle hat die Verehrung der Roma in
den Anfangen des municipalen und provinzialen Kaiserkultes gespielt.
Hatte man schon früher im Orient, wenn man siegreichen römischen Feld-
herrn göttliche Ehren erwies, ihren Kult mit dem der Dea Roma ver-
bunden,^) so wurde das zur Regel erhoben durch einen Erlass des Augustus
*) Das besagt die von Pbellrb (Rom.
Myth. II 357, 2) bös missverstandene Stelle
des Serv. Aen. II 227: colla vero cum copt-
tibus erectis post clipeum, id est inter acu-
tum et simulaerum decte, latebant, ut est in
templo ürbis Eomae.
') SoHist.aug.Hadr. 19, 12. Amm.Marc.
XVI 10, 14; ürbis fanum Aurel. Vict. Caes.
40, 26 ; rg rrjg noXsatg Tü/p yaav xa&i^Qv-
(jiivov Athen. VIII 861 F; templum Botruze et
Veneris Moxiisbk, Cbron. min. I 146. Notit.
urb. reg. IV, vgl. Prudent. c. Symm. I 219 ff.;
rov Tfjg 'JtpQOolttjg ri^c rs Ptofzrjg raov Gass.
Dio LXIX 4, 3 {iy re r^ UtpQodiait^ t^ te
PmfzaUp ebd. LXXI 31, 1); templum Romae
MoMXBBv a. a. 0. 1 148. Curios. urb. reg. IV;
ob mit dem templum Veneris Eist. aug. trig.
tjr. 32, 5 dieser Tempel gemeint ist, scheint
sehr fraglich, die seit Panvinius übliche Be-
zeichnung templum sacrae urbis fQr das 6e-
bftnde, an dessen Wand der capitolinische
Stadtplan befestigt war (Gilbert, Topogr. III
186 f. Anm. 3) ist ohne Berechtigung. Im all-
gemeinen s. Beokeb, Topogr. S. 444 ff. und
über die Darstellung der Tempelfront auf
einem Relief Matz-Duev, Rom's antike Bild-
werke IIT nr. 3519. £. Petbbsbn, Rom. Mit-
theil. X 244 ff.
*) Athen, a.a 0. Momksek, CIL P p. 316;
vgl. auch NissEK, Templum S. 200 ff. J. DCrb,
Reisen Hadrians S. 26 f.
* ^) MoHiiSBN zu CIL VI 510; in dieser In-
schrift und CIL VIII Suppl. 1 1338 findet sich
der volle Titel, CIL VI 1700 nur duodecim-
vir; verschieden davon sind die .ausserrOmi-
schen sacerdotes ürbis Romae aetemae CIL
III 3368. 5443. V 4484. 6991. XII 1120.
Caghat, L'annöe epigr. 1894 nr. 47.
*) Vgl. Friedläitder, S.-G. I* f>4. Gümost,
Revue d'hist. et de litt^if relig. I 1896, 449 f.
•) Fortu/na^ reduci, Lari viali, Romae
aetemae CIL III 1422 (Sarmizegetusa) ; Genio
loci, FortufiJ(ae) reduci, Romae aetern{ae) et
Fato bono CIL VII 370, vgl. 392 (üxello-
dunum).
') BüROKBABDT, Zeitalter Constantins^
S. 421 f.
") Vgl. namentlich den Hymnus auf T.
Quinctins Flamininus bei Plut. Flam. 16:
fxiXnexs, xovgai, Zijya (jiiyav 'Piufiay xe Tiror
&*€i(jLa 'PtofAaifoy re nlativ (vgl. oben S. 281
Anm. 3).
284
Religion und Eultas der BOmer« II. Götterlehre.
vom Jahre 725 = 29, der auf Gesuche asiatischer und bithynischer Ge-
meinden hin anordnete, dass für die römischen Bürger beider Provinzen
gemeinsame Tempel der Dea Borna und des Divus Julius in Ephesos bezw.
Nikaia, für die Provinzialen aber Tempel des Augustus und der Dea Roma^)
in Pergamon bezw. Nikomedia errichtet werden sollten. Seitdem be-
gegnen uns Tempel und Priester Romae et Augusti^) oder ^eäg '^Pbifirjg xal
Seßaarov Kaiaaqog^) ebenso im municipalen wie im provinzialen^) Gottes-
dienste in grosser Menge, bis allmälig aus dieser Vereinigung die Göttin
Roma mehr und mehr verschwindet. Im Einzelkulte der Gemeinden, für
den es einer kaiserlichen Genehmigung nicht bedurfte, wird selbst in Italien
schon bei Lebzeiten des Augustus dieser allein ohne Zugesellung der Dea
Roma verehrt,^) und auch die später begründeten Eaiserkulte ganzer Pro-
vinzen, z. B. von Lusitania, Baetica, Gallia Narbonensis, thun der Roma
keine Erwähnung mehr.^)
Im Staatskulte aber hat sich die göttliche Verehrung der Macht-
haber in ganz anderer Form eingeführt, nämlich durch Aufnahme der ver-
storbenen Kaiser und eines Teiles ihrer Angehörigen als Divi in die
Reihe der Staatsgötter, und zwar, da für jede Erweiterung des römischen
Götterkreises der Senat die zuständige Behörde war (oben S. 40), ver-
mittels Senatusconsultes. 7) Vorbildlich dafür ist der Akt gewesen, durch
welchen Caesar als Divus Julius unter die Götter der römischen Gemeinde
eingereiht wurde: dies geschah im J. 712 = 42^) durch Beschluss von
Senat und Volk,^) durch welchen zugleich die Stiftung der 13 Jahre später,
^) GasB. Dio LI 20, der allein die ganze
Verordnung bezeugt, spricht allerdings bei
den Tempeln von Pergamon und Nikomedia
nur von Augustus, nicht von Roma; dass sie
aber beiden Gottheiten gemeinsam galten,
wird von Tac. ann. IV 37 und Suet. Aug. 52
ausdrücklich hervorgehoben und durch CIL
III Suppl. 7086, 12. Inschr. von Pergamon
nr. 374 (s. dazu Fbänkel S. 262 f.) bestätigt.
») z. B. CIL XIV 73. 353 (Ostia). X 6305
(Tarracina). 6485 (ülubrae). V 18 (Pola). XII
1731 (Tricastini).
'') z. B. Athen (CIA III 63, vgl. 334 und
Antike Denkmäler I 25. 26), Mytilene (Inscr.
gr. insul. mar. Aeg. 11 656), Eyme (GIG 3524),
Alabanda (Bull, de corr. hellen. X 809), Cae-
sarea Palaest. (Joseph, ant. XV 339 = bell.
Jud. 1 414). In Neapel wurde im J. 752 = 2
(Cass. Dio LV 10, ^, vgl. Strab. V 246) zu
Ehren des Augustus ein pentaeterischer Agon
eingerichtet, der den Namen TraAixa 'PtofÄuia
Seßaairi (Eaibbl, Inscr. graec. Sicil. Ital.
nr. 748, vgl. Dittbnbbboeb-Pubgold, Inschr.
v. Olympia nr. 56) führte; s. über ihn Cass.
Dio LVI 29, 2. LX 6, 2. Suet. Aug. 98; Claud.
11. Vell. Pat. II 123, 1. Kaibel a. a. 0. nr. 754.
755 und Add. Civitelli, Atti d. Accad. di
Archeol. etc. Napoli XVII 1894. Wissowa,
Wochenschr. f. klass. Philol. 1897 Sp. 763 flF.
*) z. B. Galatien in Ank^a (Mommsek,
Res gestae D. Aug.^ p. X), die Tres GaUiae
ad confluentem Araris et Ehodani (CIL XIII
227 ff.), Hispania citerior seit dem J. 15 n.Chr.
(Tac. ann. I 78) in Tarraco (CIL II Suppl.
p. 1132).
*) CIL IX 1556 Beneventum; X 837. 840.
945 Pompei; X 8875 Cumae; XI 1420 Pisae;
XI 3303 Forum Clodii; Hekzbn 5994 Assi-
sium; Vitr. V 1, 7 Fanum Fortunae.
^) Auf Privatinschriften kommt die Ver-
bindung von Roma und Augustus nur selten
vor; Erwähnung verdient die Inschrift CIL
XI 1331 (Luna), die ex voto suscepto pro
Salute impieratoris) Neronis geweiht ist lovi
Iuno[n%\ Minervae Felicitati Romae THvo
Augusto.
^) Das Material für die einzelnen Fälle
und die Formen der Consecration bei Bbub-
LiEB, Culte imperial S. 55 ff.
s) Cass. Dio XLVII 18,4; die Mher bei
Lebzeiten oder sofort nach dem Tode Caesars
dekretierten göttlichen Ehrungen (Suet. Caes.
76. Cass. Dio XLIV 6. Plut. Caes. 67. App.
b. c. II 106) kommen für die Schaffung eines
dauernden neuen Rechtszustandes nicht in
Betracht.
») CIL IX 2628: Genio Deivi luli pa-
rentis patriae, quem senatus populusque
Romanus in deorum numerum rettvUit; vgl.
CIL I 626 = VI 872. IX 5186. Mommskk,
Staatsr. II 733.
D, Neagesohaffene Qottheiten. 66. Dea Roma and die Divi imperatorea. 285
am 18. August 725 = 29, dedicierten aedea Divi lulii in foro^) begründet
wurde: Caesar erhielt gleichzeitig einen eigenen Flamen^) und einen Fest-
tag, d. h. sein Geburtstag wurde (wegen der Kollision mit den Ludi ApoUi-
nares vom 18. auf den 12. Juli vorgeschoben) unter die Feriae publicae
aufgenommen; 3) der Gedanke, dass der so Gonsecrierte aus dem Kreise
der Menschen ausscheide und in den der Götter übertrete, kam am deut-
lichsten durch die Anordnung zum Ausdrucke, nach welcher sein Bild
nicht mehr unter den Ahnenbildem beim Begräbnisse von Familienange-
hörigen aufgeführt werden durfte,^) dafür aber bei der Pompa circensis
auf einer Thensa unter den Götterbildern mit aufzog.^) Seit jener Con-
secration Caesars hat das Wort divus einen neuen technischen Sinn be-
kommen, es ist nicht mehr, wie früher (vgl. CIL I 632 = VI 110 «ei deo
sei deivae), schlechthin mit deus der Bedeutung nach identisch, sondern
bezeichnet die zu Götterrang erhobenen Sterblichen,^) also die consecrierten
Mitglieder der kaiserlichen Familie. Dieser neuen Klasse von Gottheiten
wird jetzt in der Staatsreligion ihr fester und bevorzugter Platz ange-
wiesen, sie treten als geschlossene Gruppe in alle Formeln und Liturgien
des älteren Gottesdienstes ein, 7) z. B. in das Schema des Beamteneides
(s. oben S. 71), in die alten Kultgesänge der Salier,^) in die Opferlitaneien
der Arvalbrüder bei den Piacularopfem:^) namentlich diese letzteren, die
sich sonst ausschliesslich an Di indigetes wenden und alle Novensides
ausschliessen, zeigen, wie sehr der neue Dienst der Divi das ganze Ritual
durchdrang; dass derselbe in den zu Ehren des Kaisers und seines Hauses
vorgenommenen Kulthandlungen der Arvalbrüder (s. oben S. 73 f.) eine her-
vorragende Rolle spielt, liegt in der Natur der Sache. Wenn bei den
Piacularopfem die Aufzeichnung einfach lautet Divis n{ufnero) XVI (bezw.
XX') verbec(es) n{uiner6) XVI (bezw. XX), so zeigt die der Zahl der Divi
gleichkommende Zahl der Opfertiere, dass jeder Divus einzeln sein eigenes
Opfer erhielt und jedenfalls auch einzeln im Gebete mit Namen angerufen
wurde, ebenso wie dies bei andern Kultakten der Arvalbrüder (z. B. CIL
VI 2041, 45) und im Beamteneide (CIL 11 1963 i 80. ll 1. 1964 iii 15) ge-
0 üeber ihn vgl. Jobdan, Topogr. I 2
8. 406 ff. 0. RiCHTEB, Jahrb. d. archaeol. Inst.
IV 1889, 137 ff.
*) Das Amt des flamen lulianus, das
M. Antonios nach seiner Aussöhnung mit
Octavian im J. 714 = 40 fibemahm (Plut.
Ant. 33) hat weiter bestanden, s. CIL III 612.
V 1812.
>) Gass. Dio XLVII 18, 5 f. Mommsbn,
CIL P p. 321.
*) Cass. Dio XLVII 19, 2; vgl. LVI 34, 2.
46,4.
*) Suet. Claud. 11. Eckhbl, D. N. VI 128.
FbibdlIhdeb bei Mabquabdt, Staatsverw.
III 510.
') Serv. Aen. V 45: discreüo, ut deos
perpetuos dicamua, divos ex hominibtis fcictos
quctsi qui diem obierint; unde divos etiam
imperatores vocamus; vgl. XII 139; Ecl. 5, 56:
Oaesarem, guiprimus divinos honorei meruit
et divus appellatus est.
') Cass. Dio LX 4, 6 : xal diä ravta x6
(jikv ovofjLtt avxov (des Caligula) ovx Iecxiv iv
t(^ xaxaXtyta xüv avxoxgaxoQtov, tov fjivrjgAfjv
ini xs xolg oqxoi^ xal int Tar$- evxats noiov-
fAS&a; vgl. LXXIV 4, 1.
") Das geschieht allerdings teilweise auch
schon bei Lebzeiten (Cass. Dio LI 20. Monum.
Anc. 2, 21 von Augustus) oder nach dem Tode
kaiserlicher Prinzen, die nicht consecriert
werden (Tac. ann. II 83. Hist. aug. M. Anrel.
21, 5); dass aber die Aufnahme des Namens
ins Saliarlied zu den regulAren Folgen der
Consecration gehört, zeigt Hist. aug. Carac.
11, 6: Jiabet tetnplum, hiabet scdios (Aber die
Bedeutung dieses Ausdruckes s. Mabini, Atti
d. frat. Arval. p. 597), habet sodales Antani-
nianos.
') Henzbn, Acta fratr. Arval. p. 148 f.
286
Religion und Enltna der Römer, ü. Göiterlehre.
schieht. In der That ist der Name Divi nur Gattungsbegriff für eine im
Laufe der Zeit in ihrem Bestände sieh verändernde Anzahl von Einzel-
kulten, deren jeder seine eigne Geschichte und seinen eignen Gottesdienst
hat. Bemerkenswert ist es, dass, obwohl Caesar zweifellos der erste Divus
ist und Augustus selbst sich in der offiziellen Nomenklatur als Imp. Caesar
Divi filius Augustus bezeichnet, sowohl im Beamteneide wie in den Gebets-
formeln der Arvalen die Reihe der Divi regelmässig erst mit Divus Au-
gustus eröffnet wird: der Grund kann nur der sein, dass Caesar noch nicht
Princeps im Sinne des Staatsrechts gewesen ist. Die Liste der Divi und
Divae lässt sich nach den Zeugnissen der Schriftsteller, Inschriften und
Münzen zwar nicht mit voller Sicherheit und Vollständigkeit, aber wenig-
stens für die Zeit bis auf Diocletian annähernd feststellen, 9 wobei immer zu
berücksichtigen ist, dass Gunst oder Abneigung der augenblicklichen Macht-
haber diesen oder jenen Kult älterer Divi mehr oder weniger hervorheben
oder zurückdrängen konnten.^) Die Consecration des verstorbenen Kaisers
wird im Laufe der Zeit mehr und mehr zur Regel: während von den 11
Kaisern bis auf Nerva nur 4 (Augustus, Claudius, Vespasian, Titus) die
Apotheose erfahren haben, finden wir die Kaiser von Nerva an in fast
ununterbrochener Folge in der Reihe der Divi; dagegen scheint seit dem
Ausgange des 2. Jahrhunderts die früher sehr geläufige^) Consecration der
kaiserlichen Frauen und anderer Anverwandter des Herrscherhauses ausser
Gebrauch gekommen zu sein. Aber auch sonst ergab es sich ganz von
selbst, dass die Divi dieser letzteren Kategorie eine etwas geringere Rolle
spielten als die verewigten Kaiser: sie nahmen zwar an den allgemeinen
Ehrungen der Divi teil, indem sie einen Flamen bezw. eine Flaminica
erhielten^) und ihr Geburtstag als Festtag in den Kalender aufgenommen
wurde, aber die Festfeier war eine bescheidenere, wohl kaum je auf die
Dauer mit Circusspielen verbundene, wie dies bei den natales der Kaiser
die Regel war (Mommsen, CIL I* p. 302 f.), und kam früher in Vergessen-
heit; der Kalender des Philocalus und das ihm angehängte Verzeichnis
der natales Caesarum (CIL P p. 255) geben ausschliesslich die Geburtstage
der consecrierten Kaiser, nicht ihrer Gattinnen und Angehörigen. Ebenso
haben die zu Divi erhobenen Kaiser von Augustus bis Marc Aurel sämtlich
jeder eine eigene aedes publica erhalten,^) die Kaiserinnen dagegen sind in der
Regel nur als avvvaoi ihrer Gatten mit diesen zusammen verehrt worden,
^) Versach einer Rekonstruktion nach
den Vorarbeiten von Eokhbl (D. N. VIII 461 ff.),
Hbkzen (Acta firatr. Arval. p. 148 f.), Mommsen
(Ephem. epigr. III p. 82), Dbsjabdins, Mowat
bei Bbubueb, Culte imperial S. 325 ff.
*) Beispiele bei Suet. Claud. 45 ; Vesp. 9.
Hist. aug. Carac. 11, 6.
') Wir kennen als consecriert Augustus'
Gemahlin Livia, Caligulas Schwester Drusilla,
Neros Tochter Claudia und Gattin Poppaea,
Titus' Tochter Julia, von Träjan Vater, Schwe-
ster (Marciana) und Gattin (Plotina), von
Hadrian Gattin (Sabina) nnd Schwiegermutter
(Matidia), endlich die beiden Faustinae, Ge-
mahlinnen des Antoninus Pius und Marc
Aurel.
^) Wenigstens wissen wir von flaminicae
der älteren Faustina (Hist. aug. Ant. Pius 6, 7)
und wohl auch der Claudia Neronis f. (Tac.
ann. XV 28).
^) Wir kennen Tempel von Augustus,
Claudius, Vespasian und Titus, Traian, Ha-
drian, Antoninus Pius, Marc Aurel (die Zeug-
nisse bei GiLBBBT, Topogr. III 121 ff. und bei
£. AüST, Die stadtrOmischen Tempelgrün-
dungen der Eaiserzeit, Frankfurt a. M. 1898,
nr. 2. 3. 7. 15. 30. 36. 37. 39; die Liste bei
Bbubueb a. a. 0. S. 332 ff. ist unvollstftndig);
von Nerva und L. Verus sind keine Tempel
nachweisbar.
D. Nengesohaifeiie Gottheiten. 66. Dea Roma and die Divi imperatoree. 287
80 Livia mit Augustus,^) Plotina mit Trajan,^) Faustina mit Antoninus
Pius (CIL VI 1005), und wo von eigenen Kultstätten die Rede ist,') scheint
es sich durchweg nur um kleinere sacdla zu handeln, die nach kurzer
Zeit spurlos verschwanden und einen eigenen Tempeldienst nicht im Ge-
folge hatten. Insbesondere aber ist auf die vergötterten Kaiser beschränkt
geblieben die dem gentilicischen Kulte nachgebildete Form der Verehrung
durch priesterliche Sodalitäten, deren für die Kaiser von Augustus bis
Marc Aurel insgesamt vier eingesetzt worden sind, nämlich die Sodales
Augustales für den Dienst des Augustus (nachher erweitert zu Sodales
Augustales Claudiales zugleich für den des Claudius), die Sodales Flaviales
für Vespasian (später als Flaviales Titiales zugleich für Titus), die Sodales
Hadrianales und die Sodales Antoniniani. Der ursprüngliche Gedanke ist
der, dass nur die derselben Familie angehörigen Divi in dem Dienste einer
und derselben Sodalität vereinigt werden können: daher werden die Sodales
Augustales ausdrücklich als luliae genti bestimmt (Tac. bist. 11 95) und als
proprium eins domus sacerdotium (Tac. ann. III 64) bezeichnet, und die
lebenden Angehörigen dieser Gens, Tiberius, Drusus, Claudius und Ger-
manicus treten bei der Stiftung der Priesterschaft sofort in sie ein (Tac.
ann. I 54) ; bei dem engen Zusammenhange des julischen und des claudi-
schen Hauses konnten dann die Sodales Augustales den Kult des Claudius
ohne Bedenken mit übernehmen. Auch der gemeinsame Dienst des Vespasian
und Titus durch die Sodales Flaviales Titiales beruht auf dem Prinzipe
des Geschlechtskultes, und vielleicht stand diese Sodalität zu dem von
Domitian auf dem Quirinal erbauten Templum gentis Flaviae^) in derselben
Beziehung, wie die Sodales Augustales (Claudiales) zu dem in Bovillae
gelegenen aacrarium gentis luliae und dem Hauskulte der Gens Claudia
und Domitia zu Antium.^) Seit dem Erlöschen der julisch-claudischen
Dynastie hat sich aber das Verhältnis vollkommen verändert. Ob für
den Divus Trajanus eine Sodalität überhaupt geschaffen wurde, wissen
wir nicht, vielleicht stehen die seit der Consecration Hadrians bestehenden
Sodales Hadrianales zu ursprünglichen Sodales ülpiales in demselben Ver-
hältnisse wie die Augustales Claudiales zu den Augustales, nur dass in
jener neuen Genossenschaft die neue Bestimmung nicht neben die alte
trat, sondern diese ganz verdrängte. Jedenfalls aber waren die im J. 161
eingesetzten Sodales Antoniniani die letzte priesterliche Sodalität des Kaiser-
kultes und insofern im Vergleiche mit den ersten Priestertümem dieser
Gattung auf eine ganz andre Basis gestellt, als sie mit dem Dienste des
') CIL VI 4222 : aedüua tempU Divi
Aug{u8ti) [e]t Divae Auguatae quod est in
PaiaHum; vgl. Gass. Dio LX 5, 2.
*) CIL VI 966 (dazu Add. p. 841). 31215.
') z. B. Cass. Dio LIX 11, 3 (arjxos fOr
Drosilla). LXIII 26, 3 {iJQt^oy der PoDpaea).
Tac. ann. XV 23 {ciedes der Claudia Neronis
f.); mehr als eine solche Kapelle war gewiss
auch das templum Matidiae der Bleiröhren-
inschrift CIL XV 7248 nicht; das Regionen-
buch (reg. IX, vgl. MoMMSBN, Chron. min.
I 545) kennt nur eine Baailica MaMiae et
MarciafMe,
*) 8uei Dom. 1. 5; vgl. Hülsen, Rhein.
Mus. XLIX 399 f.
^) Tac. ann. II 41 : sacrarium genti luliae
effigiesque JDivo Äugusto apud Baviüas di-
cantiM- (vgl. MoMMSBK zu CIL I 807). XV 23:
ludicrum circense ut luliae genti apud Bo-
villas üa Claudiae Domitiaeque apud Antium
ederetur. Eine ara gentis luliae lag auch
auf dem Capitol in Rom, vgl. Hekzbn, Acta
fratr. Arval. p. 57. Mommsbn, CIL III Suppl.
p. 2034.
288
Religion und Eoltas der BOmer. n. Qötterlehre.
consecrierten Antoninus Pius, für den sie bestimmt waren, nachträglich nicht
nur den der wenigstens durch Adoption mit diesem zusammenhängenden
Divi L. Yerus, Marc Aurel und Commodus vereinigten, sondern auch den des
Pertinax, Garacalla und Alexander Severus, ja wahrscheinlich aller nachher
noch consecrierten Kaiser, wenn auch die Erweiterung der Funktion später
nicht mehr in einer Veränderung des Namens zum Ausdrucke kam.^) Nun
ist es sicher kein Zufall, dass das Aufgeben des Brauches, für jede kaiser-
liche Dynastie eine neue Sodalität zu begründen, zusammenfallt mit dem
Aufhören der Errichtung eigener Tempel für jeden consecrierten Kaiser.
Schon früher war gelegentlich die Befürchtung aufgetreten, dass die durch
die Kreierung neuer Divi veranlasste stetige Vermehrung der Gottesdienste
und Festtage zu grossen Unzuträglichkeiten führen müsse: im J. 70 hatte
der Senat eine Kommission gewählt mit dem Auftrage, ut fastos adulatione
temporum foedatos exonerarent modumque publicis impensis facerent,^) und
es steht jedenfalls damit im Zusammenhange, dass im Dienste der Arval-
brüder seit dem Regierungsantritte Vespasians alle Opfer an den Geburts-
tagen der Mitglieder der kaiserlichen Familie, seit dem J. 81 auch die
Feier des dies imperii und sonstiger Gedenktage des regierenden Kaisers
in Wegfall kommen und aus den Gebetsformeln der Vota annua die Divi
verschwinden. Eine neue Reaktion gegen die zu weite Ausdehnung des
staatlichen Kaiserkultes zeigt sich 200 Jahre später, indem Kaiser Tacitus
die Errichtung eines Templum Divorum plante, in welchem nur die Bilder
der principes boni Aufnahme finden und Opfer an den Geburtstagen dieser
Divi, ferner an den Palilia, am Neujahrstage und am Tage der Vota
(3. Januar) stattfinden sollten (Hist. aug. Tac. 9, 5). Ob dieser Plan zur
Ausführung gekommen ist, wissen wir nicht; Thatsache aber ist, dass
schon seit dem Ende des 2. Jahrhunderts eine Einschränkung insofern
stattgefunden hatte, als — ebenso wie die Errichtung neuer Sodalitäten
aufhörte — nach Marc Aurel kein consecrierter Kaiser mehr einen eignen
Tempel erhalten hat.^) Es hängt damit zusammen, dass seit der Mitte
des 2. Jahrhunderts ein Templum Divorum auf dem Palatin besteht, das
dem gemeinsamen Dienste d^r Divi dient und in dem jeder einzelne Divus
seine eigene aedicula hat;*) da die Flamines Divorum, soweit unsere
^) Das Nähere s. im III. Teile; vorläufig
vgl. Mabqüardt, Staats verw. III 471 ff.
^) Tac. hist. IV 40; vgl. auch ann. XIII
4l:ne totum quidem annum supplicationibtM
suffieere . . . eoque oportere dividi sacros et
negotiosos dies, quis divina colerent et hu-
tnana non impedirent.
') Die allgemeine Wendung Hist. aug.
Carac. 11, 6: habet templum, habet salios,
habet sodäles Äntoninianoa beweist nichts
für einen stadtrömischen Sondertempel Gara-
Callas, noch weniger die Akklamationen Bist,
aug. Alex. Sev. 7, 5. 8, 3. 10, 7.
*) In templo Divorum in aede Divi Titi
CIL VI 10234, 8. 10. 23 vom J. 153 ; die Arval-
brttder versammeln sich in Palatio in aede
Divorum im J. 145 (Eph. epigr. VIII p. 333
Z. 24), nochmals unter Antoninus Pius (CIL
VI 2087, 41 und im J. 218 (CIL VI 2104, 6);
&6(0Qiai Tots iy r^ IIaXati(^ ijquhu erwähnt
Cass. Dio LXXVI 3, 3 zum J. 203. Die An-
nahme, dass seit den flavischen Kaisern die
aedes Divi Äugusti auf dem Palatin in ein
templum Divorum umgewandelt worden wäre
(Gilbert, Topogr. III 131 f.), wird dadurch
widerlegt, dass die Militärdiplome seit dem
J. 90 regelmässig (auch in der Zeit des Anto-
ninus Pius, aus der die Zeugnisse fOr die
aedes Divorum in Palatio stammen) das tem-
plum Divi Äugusti nennen (CIL III Suppl.
p. 2035) ; dass das letztere in den Arvalakten
seit dem Tode Neros nicht mehr erwähnt
wird, erklärt sich daraus, dass seit eben
dieser Zeit die früher bei dem Augustus-
tempel abgehaltenen Kulthandlungen aus den
Protokollen verschwinden (vgl. üienzek, Acta
E. Sacra peregrina. 66. Die kappadokisohe lÜL-Bellona.
289
Zeugnisse ein Urteil gestatten^ auch nicht weiter als bis auf Septimius
Severus hinunterreichen, so hat man wahrscheinlich am Anfange des
3. Jahrhunderts auch die Ernennung von Einzelpriestern für jeden Divus
fallen gelassen und der Dienst im Templum Divorum ist von den zu all-
gemeinen Eaiserpriestern gewordenen Sodales Antoniniani wahrgenommen
worden. Die letzte einem Divus gewidmete Kapelle ist der noch erhaltene
kleine Rundtempel, welchen Maxentius seinem im J. 309 verstorbenen und
consecrierten Sohne Uomulus weihte: nach dem Siege des Constantin auf
diesen, also den lebenden Kaiser, übertragen,^) schied er aus der Beihe
der dem Dienste der Divi geweihten Baulichkeiten aus, und gleichzeitig
hat diese ganze Klasse römischer Staatsgötter zu existieren aufgehört.
Denn wenn auch noch lange Zeit weiter die Kaiser nach ihrem Tode den
Titel Divus erhalten, so hat dieser doch alle und jede sakrale Bedeutung
verloren und ist zu einem blossen rühmenden Praedikate geworden, ebenso
wie die hie und da noch den lebenden Kaisern in den äusseren Formen
des Kultes dargebotenen Ehrungen des religiösen Charakters ganz ent-
kleidet und zu blossen Loyalitätskundgebungen herabgedrückt erscheinen:
das signifikanteste Beispiel für die veränderten Zustände gibt das Reskript
Constantins an die umbrische Gemeinde Hispellum (CUj XI 5265 = Dessau
705), worin dieser die Erbauung eines dem Provinzialkulte von Umbrien
dienenden templum Flaviae gentis gestattet wird,') jedoch mit der Ein-
schränkung, ne aedis nostro nomini dedicata cuiusquam contagiosae super^
stüionis fraudibus pollucUur.
Litteratur: Pbbllbb- Jordan, Rom. Mythol. II 358 ff. 425 ff. Mabqüabdt, Staatsverw.
III 463 ff. R. Dbsjardins, Revue de philol. III (1879) 33 ff. R. Mowat, Ball, epigr. de la
Gaule V (1885) 221 ff. 308 ff. VI (1886) 31 ff. 137 ff. 272 ff. 0. Hibschfsld, Sitz.Ber. Akad.
Berlin 1888, 833 ff. £. Bbxtblibb, Le culte imperial, son histoire et son Organisation depuiB
Auguste jusqu'ä Justinian, Paris 1891. M. Ebasobbitiiinikoff, Philologus LIII (N. F. Yll)
1894, 147 ff.
Fünfter Abschnitt.
Sacra peregrina.
56. Die kappadokisohe M&-Bellona. Für die Bekanntschaft der Römer
mit den ausschweifenden Gottesdiensten Yorderasiens sind insbesondere
die asiatischen Feldzüge des Sulla und Pompejus bedeutungsvoll geworden,
auf denen die römischen Heere eine Reihe fremdartiger Gottesdienste kennen
lernten und von ihnen um so stärkere Anregungen empfingen, als die
ganze Neigung der Zeit bei Hoch und Niedrig aller Art fremder Super-
stition und allen auf sinnlichen Effekt berechneten Eultübungen sehr weit
entgegenkam. Eine andre Yerehrungsform derselben mütterlichen Natur-
fratr. Arval. p. 70). Uusicher ist die Be-
ziehung von Suet. Galba 1 : novissimo Neronia
anno . . . tacta de caelo Caesarum aede
capita Omnibus simul Statuts deciderunt,
Augustt etiam sceptrum e manibus excus-
sum est»
') CIL VI 1147; vgl. De Rossi, ßuU.
archeol. crist. 1867, 66 ff. Lanciani, Bull.
Handlraoh der klua. Altertnnunrtaenacbalt. V, 4.
arcfa. com. X 1882, 29 ff.
') Auch in Afrika hören wir von einem
sacerdotium decretum Flaviae genti, Aur.
Vict. Caes. 40, 28 (vgl. CIL VI 1736); unter
den römischen Priestertümem wird das eines
pontifexFlavialis aufgezählt in dem Cursua
honomm des L. Aradiua Proculns, Cos. 340
(CIL VI 1690 f.).
19
290 Religion und Knltn« der EOmer. ü. OOtterlelire.
gottheit, die als Magna Mater in Rom bereits seit Ausgang des 3. Jaht^
hunderts v. Chr. ihren Kult besass (oben § 53), lernten die römischen Sol-
daten in dem kappadokischen Eomana kennen, als im J. 662 = 92 der
Propraetor Sulla in diese Landschaft einrückte: die Eigenart dieses merk-
würdigen, in die Schluchten des Antitauros eingebetteten Oottesstaates,
in dem ein königlicher Priester herrschte und die Mehrzahl der Bewohner
als Hierodulen und d-sogiogr/roi, im unmittelbaren Dienste der Göttin stand, ^)
mag auf die Soldaten nicht minder wie auf den abergläubischen Anwand-
lungen leicht zugänglichen Feldherrn ^) einen tiefen Eindinick gemacht
haben, und als weiterhin sowohl im Verlaufe der mithradatischen Kriege
als bei dem Marsche Caesars gegen Pharnakes die Römer wiederholt mit
diesem Heiligtume und seiner Filiale in dem pontischen Komana in er-
neute Berührung kamen, war das Interesse für diesen fremden Gottes-
dienst so gestiegen, dass im Gefolge der zurückkehrenden Heere die Prie-
ster der Göttin von Komana auch in Rom Einzug hielten. Diese Göttin,
deren einheimischen Namen Mä nur Strabon (XII 535) bezeugt, wurde von
den Griechen mit der taurischen Artemis, Selene, Athena oder Enyo, von
den Römern im Anschlüsse an die letztgenannte Gleichung mit Bellona
identifiziert, 3) wofür namentlich der kriegerische und blutige Charakter
des Ceremoniells massgebend war, das ihre Priester bei ihren Umzügen
zur Darstellung brachten. In unheimlich düsterer Gewandung führen sie,
durch die anreizende Musik von Pauken und Trompeten in heilige Raserei
versetzt, wilde Tänze auf, bei denen sie sich mit dem eigentümlich ge-
formten Doppelbeile selbst an Leib und Armen verwunden, um schliess-
lich, durch den Anblick oder gar den Genuss des aus den eigenen Wunden
strömenden Blutes in Verzückung zu geraten und zukunftkündende Sprüche
zum Besten zu geben. ^) Diese Diener der Bellona {bellonariij Schol. Hör.
sat. II 3, 223) spielen im religiösen Leben und im Strassenbilde Roms eine
ganz ähnliche Rolle wie die Galli der Grossen Mutter,^) Staatspriester
waren sie ebensowenig wie jene, und wie jene haben sie sich nur aus
eingewanderten Anhängern der Göttin, nicht aus römischen Bürgern rekru-
tiert. Dass aber neben diesen unter bestimmten Bedingungen für die
Öffentlichkeit zugelassenen Religionsübungen einer landfremden Kultge-
nossenschaft am Beginne der Kaiserzeit auch ein Staatskult der Bellona
bestanden hätte, wie dies bei Magna Mater thatsächlich der Fall war, ist
nicht nur nicht bezeugt, sondern wird auch dadurch widerlegt, dass im
J. 706 == 48 ein Heiligtum der Bellona von Staatswegen zerstört wurde,
wobei man angeblich Töpfe voll Menschenfleisch fand (Cass. Dio XLII 26, 2) :
') Sia-ab. XII 535 und über das Tochter- | *) TibuU. I 6, 43 ff.; vgl. Hör. sat II 3,
heiligtum in der gleichnamigen pontischen i 223. Martial. XII 57, 11. Juven. 4, 123. Hist.
Stadt XII 557 ff. 575; vgl. Th. Reinach, aug. Gommod. 9, 5. Minuc. Fei. 30, 5. TertuU.
Mithradates Eupator (deutsch von A. Gobtz) ' apol. 9; de pall. 4. Lact. inst. I 21, 16 f.
S. 238 ff. Dbbxlbr in RoscBBRS Mytbol. Lexik, i ^) Daher oft zusammen genannt, z. B.
II 2215 ff. Lucan. I 565 ff. Juven. 6, 511 ff. Lact. a. a. O.,
*) Nach Plut. Sulla 9 erscheint ihm vor auch zusammen mit den Schaustellungen der
dem Marsche gegen Rom die kappadokische Isispriester, Sen. de vita beata 26, 8; vgl. im
Qdttin im Traume. i allgemeinen über derartige Aufzüge 0. Jabn,
>) Plut. Sulla 9. Strab. XII 535. Bell. I Abbandl. Akad. München I. El. Bd. VIII
Alex. 66. , 2. Abt. S. 251 ff.
E. Bftora peregrina. 66. Die kappadokiaohe MA-Bellona. 291
dies beweist, dass es sich nur um einen zwar geduldeten, aber polizeilich
überwachten Fremdkult handelt.^) Wann die staatliche Anerkennung des
Bellona-Dienstes erfolgt ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen ; dass sie
erfolgte, darf man aus der Existenz einer aedes Bellonae Ptdvinensis^)
schliessen, die doch wohl als Staatstempel zu verstehen ist; jedenfalls liegt
kein Grund vor, der uns nötigte, dieses Heiligtum für älter zu halten als
den Anfang des 8. nachchristlichen Jahrhunderts, also als die Zeit, wo
sich überhaupt die Grenze zwischen sacra Romana und peregrina ver-
wischt (oben S. 79). Die Lage jenes Tempels ist in keiner Weise zu er-
mitteln, denn die allgemein geltende Ansicht, er habe benachbart dem
Tempel der altrömischen Bellona (oben S. 137) in der Nähe des Circus
Flaminius gelegen, beruht auf der ganz willkürlichen Voraussetzung, dass
das pulvinar, nach dem die Göttin ihren Namen führt, ein dem bekannten
pulvinar ad circum {maanmum) entsprechendes, sonst nie erwähntes pul-
vinar ad circum Flaminium sei; da es in Rom zahlreiche pulvinaria gab,
wäre die Nachbarschaft eines solchen eine wenig passende Ortsbestimmung
gewesen, vielmehr wird das pulvinar, nach dem sich die BeUona Pulvi-
nensis nennt, ebenso zum Tempel und Dienste der Bellona selbst gehört
haben, ^) wie der daselbst bezeugte (CIL VI 2232) heilige Hain. Das
Tempelpersonal wird unter dem Namen der fanatici begriflfen,*) den wir
auch für die Priester der Isis (CIL VI 2234) und der Magna Mater*) an-
gewendet finden; ausserdem wird ein cistophorus erwähnt.^) Enge Be-
ziehungen zum Dienste der wesensverwandten Grossen Mutter zeigen sich
nicht nur darin, dass die Priester der einen Gottheit Weihungen an die
andere veranstalten,^) sondern besonders in dem Zeugnisse einer Inschrift
aus Kastei bei Mainz, wo die hastiferi civitatis Mattiacor{um) deae Vir-
tuti Bellonae montem Vaticanum vetustate cordabsum restituerun{tY)j was
sicher auf das römische Taurobolienheiligtum der Göttermutter im vati-
canischen Gebiete (oben S. 267) hinweist; möglicherweise bezeichnet der
zweimal in Inschriften^) der Bellona beigelegte Name dea pedisequa sie
geradezu als zum Gefolge der Grossen Mutter gehörig. ^<>) Im übrigen er-
^) Die Worte des Lact. a. a. 0. publica
üla Sacra . . ., quorum alia sunt Matris, in
quibus homines suis ipsi virüibus litant,
älia VirttUis, quam eandem Beüonam vocant,
in quibtts ipsi sacerdotes non alieno, sed suo
cruore sacrificant, bezeugen nicht einmal fQr
des Lactanz eigene Zeit einen Staatskalt, da
die Worte publica sacra ) nichts andres be-
deuten als Sacra in publica fieri solita im
Gegensatz zu Geheimkulten.
*) CIL VI 490. 2232 f., dazu gehört ge-
wiss auch der vicus Bellonae CIL VI 2235
(vgl. 3674^) ; verschieden davon ist die ciedes
Bellonae Rufiliae CIL VI 2234, wie der
Name zeigt, eine private Gründung.
') Dass bei den Fremdkulten pulvinaria
vorkamen, zeigt die pompejanische Inschrift
CIL IV 2155 fanatici tres a pulvinar Syne-
4, 128.
') Juven.2,112. Prud. peristeph. X 1061.
8) CIL VI 2233 mit einem Reliefbilde
dieses Priesters im vollen Ornate, Dabbm-
bbrg-Saolio, Dict. I 686 fig. 815.
') CIL VI 490. IX 3146; Beziehungen
von Bellona zu Isis und Serapis CIL VI 2234.
*) Orelli 4983 (Litteratur darttber bei
LiBBBNAM, Vereinswes. S. 802 f.); Bellonae
montes erwähnt Tertull. de pall. 4, eine Jutsta
in aede Bellona(e) CIL VI 2232.
•) CIL VI 3674*. Cagnat, L'ann^e epi-
graph. 1898 nr.61 ; vgl. cistifer pedisequarius
und pedisequaria als Titel von Eingeweihten
des Liber pater in einer afrikanischen In-
schrift, Cagnat a. a. 0. 1894 nr. 85.
*^) Dagegen beruht die weit verbreitete
Annahme, der innerhalb der Frühlingsfeier
thaei. \ der Magna Mater gelegene Dies sanguinis
«) CIL VI 490. 2232. 2235; vgl.Juven. ; am 24. März (s. oben S. 266) sei ein Festtag
19
*
292
Religion und Knltiui der BOmer. IL OOtterlehre.
geben die Weihinschriffcen, die vereinzelt in verschiedenen Gegenden, in
etwas grösserer Zahl nur in Afrika vorkommen,^) für Kult und Auffassung
der Göttin so wenig, dass man im einzelnen Falle nicht einmal immer mit
Bestimmtheit sagen kann, ob dem Dedicanten die alte römische Bellona
oder die komanische Mä oder eine als Bellona gedeutete epichorische
Gottheit verwandter Natur') vorgeschwebt hat; dass für die mehrfach be-
zeugte Identifikation der Bellona mit Virtus^) der Weg über die altrömische
Bellona und deren Gleichsetzung mit Nerio-Virtus (August, c. d. VI 10, vgl.
oben S. 134) geführt habe, ist zum mindesten nicht nachweisbar, kaum
wahrscheinlich.
Litteratur: C. Tibslbb, De Bellooae cultu et sacris, Berolini 1842. Mabqüabdt,
Staatsverw. III 75 f. £. Aust bei Pault-Wissowa, Real-Eocycl. III 255 ff.
57. Isis und die Götter Ägyptens. Einen ganz analogen Ent-
wicklungsgang wie die Gottesdienste der Magna Mater und der Bellona
weist auch der römische und italische Kult der Isis und der in ihrem Ge-
folge erscheinenden ägyptisch-alexandrinischen Gottheiten, insbesondere
des Serapis, auf. Wenn eine innerhalb der römischen Gemeinde von Isis-
Verehrern bestehende Tradition deren Anfange bis in die Zeit des Sulla
zurückführte (Apul. met. XI 30), so haben wir an der Richtigkeit dieser
Überlieferung zu zweifeln um so weniger Anlass, als der Dienst der
ägyptischen Götter in den campanischen Eüstenstädten mit Sicherheit
bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar ist:^) namentlich hat die
verkehrsreiche Hafenstadt Puteoli alten Serapiskult, ^) und der Umstand,
dass dieser Hafen nicht nur im allgemeinen für den Austausch der Waaren
mit dem Orient den Hauptmittelpunkt bildete, sondern namentlich auch
enge Verkehrsbeziehungen zu Dolos unterhielt (Paul. p. 91), wo die ägjrp-
tischen Gottheiten seit dem 3. Jahrhundert an hervorragender Stelle ver-
ehrt wurden,^) zeigt uns zum mindesten einen der Kanäle, durch welche
diese Religionsanschauungen ihren Weg nach Rom und Italien fanden.
Da die Zeitverhältnisse der suUanischen Epoche dem Eindringen eines
solchen fremdartigen und geheimnisvollen Gottesdienstes durchaus günstig
waren, ist der zunächst im Verborgenen betriebene Isiskult privater Ge-
nossenschaften bald derartig störend in die Öffentlichkeit getreten, dass
ein Einschreiten der Behörden gegen diese nicht anerkannte und allem
Anscheine nach der allgemeinen Ordnung gefährliche Religionsübung not-
wendig wurde: nachdem zuerst die Gonsuln des J. 696 = 58 die Altäre
der Bellona gewesen, auf evident falscher
Interpretation von Lyd. de mens. IV 42, wo
vielmehr vom Tabilustrium (oben S. 131) und
von Nerio die Rede ist.
*) D. Vaoliebi bei Ruooiebo, Dizion. epi-
graf. I 988 f.; s. auch Notiz, d. scavi 1898,
66 f.
>) Amm. Marc. XXVII 4, 4 z. B. be-
zeichnet die Hauptgottheiten der thrakischen
Skordisker als Bellona und Mars.
*) Lact. inst. I 21, 16. Orblli 4983.
CIL V 6507. Caonat a. a. 0. 1898 nr. 61.
*) Die nach dem Erdbeben vom J. 63
n. Chr. wiederhergestellte (CIL X 846J aedes
Isidis in Pompeji stammt sicher noch ans
vorrömischer Zeit (Nissen, Pompejan. Stud.
S. 170 ff. Ovbbbeck-Maü, Pompeji 8. 105);
in Katane und Syrakus geht die Bekannt-
schaft mit dem Serapisdienste bis auf die
Zeit des Agathokles zurück (A. Holx, Ca-
tania S. 11. 44).
^) Die aedes Serapis (vgl. über sie na-
mentlich Th. Wibgand, Jahrb. f. Philol. Suppl.
XX 697 ff.) ist dort schon im J. 649 :== 105
bezeugt (CIL X 1781 1 6; vgl. X 1593 f.).
^) Litteratur bei Dbbxlbb, Mythol. Bei-
träge I S. 5 Änm. 1.
E. Sacra peregrina. 67. Isis und die Götter Aegyptene.
293
der Isis und ihres Gefolges auf dem Capitol zerstört hatten,^) wurde im
Verlaufe des folgenden Jahrzehntes noch dreimal ein ähnliches energisches
Vorgehen nötig, ^) ein Beweis dafür, dass der neue Kult bereits so er-
starkt war, dass er trotz der Verfolgungen und Vertreibungen immer
wieder von neuem sich einzunisten und Boden zu gewinnen wusste. Wenn
die Triumvirn im J. 711 = 43 mit dieser Politik der Unterdrückung
brachen und die Erbauung eines Staatstempels der Isis, also Aufnahme
ihres Kultes unter die sacra publica p, R., beschlossen (Cass. Dio XL VE
15, 4), SU war das jedenfalls eine Concession an die Vorliebe der Massen,
deren Neigung man gewinnen wollte. Dass jener Beschluss aber ausge-
führt worden wäre, ist weder bezeugt noch auch wahrscheinUch, da im
Kampfe zwischen Oetavian und Antonius die Götter Ägyptens die Be-
schützer des Staatsfeindes waren b) und Augustus als Kaiser seiner Ab-
neigung gegen die Fremdkulte (Suet. Aug. 93) bei jeder Gelegenheit Aus-
druck gegeben hat: wenn er im J. 726 = 28 die Errichtung von Privat-
kapellen der ägyptischen Gottheiten innerhalb des Pomeriums verbot (Cass.
Dio Lni 2, 4) und Agrippa während seiner Führung der städtischen Ver-
waltungsgeschäfte im J. 733 = 21 vorgekommene Verstösse gegen diese
Verordnung dazu benützt hat, diese noch zu verschärfen und die Aus-
schliessungsgrenze bis zur Bannmeile vorzurücken, so sieht man darin
deutlich das Streben nach möglichster Einschränkung einer Bewegung, die
ganz zu verhindern man ausser stände war.^) Dass Tiberius im J. 19 n. Chr.
aus Anlass eines sehr bösen Vorfalles, wo die Isismysterien zur Verge-
waltigung einer Matrone missbraucht worden waren, das betreffende Heilig-
tum zerstören und das Bild der Göttin in den Tiber werfen liess,^) wurde
bereits oben S. 79 erwähnt. All diese Massregeln treffen eine staatlich
nicht recipierte, nur mehr oder weniger geduldete Religionsübung, deren
private Kultstätten ein ziemlich zahlreiches Publikum namentlich aus den
unteren Volksschichten und insbesondere den Frauen der Halbwelt um
sich vereinigen.^) Bei der starken Zunahme der Privatkapellen ^) — von
>) Tertull. apol. 6; ad nat. I 10 (aus
Varro). Amob. II 73; die genaue Angabe
der Gonsnlnamen zeigt, dass dies das erste
bekannte Einschreiten der Behörden gegen
den Tsisdienst war, und damit verliert die
an sich ansprechende Konjektur J. Ziehens
(Hermes XXXllI 341 f.), der bei Cic. ad Att.
II 17, 2 (geschrieben Anfang Mai 695 = 59)
herstellen möchte iacet enim ille (Pompejus)
sie, ut prae hoc Isis Curiana (die Hss. sie
ut phoeis euriana) stare videatwr an Wahr-
scheinlichkeit.
«) Tm J. 701 = 53 Cass. Dio XL 47, 3;
im J. 704 = 50 Val. Max. epit. I 3, 4 (über
die Datierung s.Mabqüabdt-Wissowa, Staats-
verw. TU 77, 4); im J. 706 =- 48 Cass. Dio
XLII 26, 6.
») Verg. Aen. Vni 696 ff. Prop. IV 11,
39 ff. Ovid. met. XV 827 f.
*) Interessant ist es, dass in der In-
schrift einer im J. 754 = 1 n. Chr. von einem
L. Lucretius L. 1. Zethus in Rom gesetzten
ara Augusta (v. Pbbmbrstbin, Arch. epigr.
Mitt. ans Oesterr. XV 1892, 77 ff.) Isis be-
reits mitten in der Reihe der angerufenen
Götter erscheint; vgl. auch Ovid. ex Ponto
I 1, 37 eequis ita est audax, ut limine cogat
abire iactantem JPharia tinnula sistra manu,
*) Joseph, ant. XVIII 65 ff.; vgl. Tac.
ann. II 85. Suet. Tib. 36.
') Die ftltesten Zeugnisse sind die An-
griffe auf die Älexandrini di (Serv. Aen.
VIII 698) und die im Namen des Serapia
getriebene Kurpfuscherei in Varros menip-
peischen Satiren (frg. 128. 152; vgl. £. Nor-
den, Jahrb. f. Philol. Sunpl. XVIII 337, Ober
Serapis als Heilgott aucn Eckhbl, D. N. VII
213) und die Erwähnung der Isicici eoniec-
tores bei Cic. de div. I 132 (vgl. auch II
123; de nat. deor. III 47), dann h&ufig in
der augusteischen Poesie (TibuU. I 3, 23 ff.
7, 27 ff. Prop. III 33, 1 ff. Ovid. a. am. I
77 f.; amor. I 8, 74. II 18, 7 ff.; ex Ponto
I 1, 87 f. 51 ff).
') Ein Verzeichnis römischer Isiskapellen
bei GiLBBBT, Topogr. m 112, 1.
294
Bellgion und Kultas der BOmer. n. Gdtterlehre.
einem wirklichen Tempel der Isis oder ihrer Genossen ist unter den ersten
Kaisern noch nirgends die Rede^ — hat man sich wahrscheinlich über
die Verordnung, die sie von der inneren Stadt ausschloss, vielfach hinweg-
gesetzt: wenigstens bestand das im J. 696 = 58 kassierte Heiligtum auf
dem Capitol (oben S. 298 Anm. 1) am Ende der Regierung des Nero wieder
ungestört.*) Selbstverständlich aber musste die gesetzliche Beschränkung
innegehalten werden, als man der Isis den ersten Staatstempel erbaute:')
dieser stand ausserhalb des Pomeriums auf dem Marsfelde, weshalb auch
die Göttin de templi situ sumpto nomine als 7^ Campensis bezeichnet wurde
(Apul. met. XI 26). Das Gründungsjahr ist nicht überliefert, erwähnt wird
das Heiligtum zum erstenmale beim Triumphe des Yespasian und Titus
im J. 71, wo die beiden Fürsten die Nacht vor ihrem Einzüge in die Stadt
in ihm zubringen;^) ein sicherer Terminus post quem ergibt sich jeden-
falls aus dem gewaltsamen Vorgehen des Tiberius gegen die saera Aegyptia
im J. 19, ein Terminus ante quem aus den Worten des im J. 65 ge-
storbenen Lucan VIII 881 ff.: no8 in templa tuam Romana accepimus Isim
semideosque canes et sistra iubentia luctu8 et quem tu plangens hominem
testaris Osirim.^) Eine Bestätigung und genauere Bestimmung dieses An-
satzes liefert die Geschichte der Isisfeste, insbesondere desjenigen, auf das
Lucan anspielt, der jährlichen Trauerfeier um den Tod des Osiris (s. unten).
Während nämlich der Kalender des Philocalus die Tage vom 28. Oktober
bis 1. November als Isia bezeichnet und dem letzten Tage noch die Be-
merkung hinzufügt ex se nato (das ist Osiris) c{ircenses) m(i88us) XXIV,
notieren die sicher noch dem ersten Jahrhundert der Eaiserzeit angehörigen
Menologia rustica ein Fest Heuresis^) im November, und zwar nach dem
levis epulum des 18. November; dass es sich in beiden Fällen um das
gleiche Hauptfest der Isis handelt, unterliegt keinem Zweifel, die Ver-
schiedenheit der Ansetzung aber hat Mommsen (CIL P p. 833 f.) in ebenso
^) Man beachte die Nomenclatur: <id
Sarapm Gatnll. 10, 26; ad Isim Ovid. am.
II 2, 25; templa laidia Ovid. a. a. I 77.
III 464; Isidia aede Ovid. trist. 11 297, später
Javen. 6, 489 sacraria, 9, 22 fana.
') Dies zeigt die ErzAhlung von Demi-
tians Flucht im J. 69, der sich beim Sturme
der Vitellianer auf das Capitol rettet IHaci
celatua hahüu mterque sacrificulos vanae
superstitionis (Snet. Dom. 1. Tac. bist. III 74;
eine ganz ähnliobe ErzAhlnng von der Flucht
eines im J. 711 = 43 proscribierten Aedilen
M. Volusius bei Val. Max. YII 3, 8. App.
b. c. lY 47). Auf dasselbe Heiligtum be-
zieht sich jedenfalls auch Schol. Veron. zu
Verg. Aen. 11 714 <m Capüolu» po{8t) aedem
Opie ara est Isidis deaertae, Priester der
Isis Capäolina aus republikanischer Zeit
CIL VI 2247 f.
*) Diese Periode extrapomerialen Staats-
kultes vor der Oefinung der Pomeriums-
schranke durch Caracalla habe ich früher
▼erkannt und darum oben S. 78 f. die Re-
ception des Isisdienstes beträchtlich zu spät
angesetzt
«) Joseph, bell. Jud. VII 123 (auch f&r
die Lage des Tempels wichtig, ebenso wie
Juven. 6, 528. Mart. II 14, 7). Der Tempel
wird im J. 80 durch Feuer zerstört (Caas.
Dio LXVI 24, 2) und von Domitian wieder-
hergestellt (Eutrop. VII 23, 5 = Hieron.
chron. ad a. Abr. 2105. Moxksen, Chron.
min. I 146), später von Alezander Severos
neu ausgestattet (Hist. aug. Alex. 26, 8) und
Yon Diocletian und Maximian restauriert
(MoMXSBN a. a. 0. 148). üeber erhaltene
Reste vgl. LAKOiAia, Bull. arch. com. XI
1883, 33 ff.
^) Vgl. auch TertuU. apol. 6. Minne.
Fei. 22, 2 und namentlich Cass. Dio XL 47, 4:
ov yoQ <fi7 xot^s ^sot^g tovrovg inl noXif iv6-
fxiaay, xal ote ye xai i(6ylxtj<rsy ägte xat
drjfiwriq avtovg aißBcBtn, l|a> tov n<ofitj^iov
atpag ÜQvcayxo,
*) Auch auf der Inschrift eines sacierdos)
piüblicus) deae Isidis et Serapidis von
Acerrae (CIL X 3759) findet sieh Heuresi
als Ueberschrift.
E. Saora peregrina. 67. Isis und die Götter Aegyptens.
295
Bcharfsinniger wie überzeugender Weise damit erklärt, dass man den im
ägyptischen Kalender auf den 19. Athyr fallenden Festtag der Auffindung
des Osiris (Plut. de Is. et Osir. 39) bald als Datum des ägyptischen Wan-
deljahres bald als solches des festen alexandrinischen Gemeinjahres auf-
fasste und demgemäss in das julianische Jahr übertrug: im letzteren Falle
entspricht der 19. Athyr dem 15. November, also dem Datum der Bauern-
kalender, im ersteren muss angenommen werden, dass man dasjenige
Datum des julianischen Jahres, mit dem zufällig im Jahre der Reception
des Festes der 19. Athyr des ägyptischen Wandeljahres zusammenfiel, füi*
alle Zeiten festhielt, und es ist daher für die Ermittlung der Zeit der
Reception entscheidend, in welchen Jahren der 19. Athyr auf Julian.
31. Oktober^) fiel: dies ist der Fall in den Jahren 36—39 n. Chr., d. h.
am Ende der Regierung des Tiberius und am Anfange der des Caligula,
und letztgenannter Kaiser wird als derjenige anzusehen sein, der in Oppo-
sition gegen das Verhalten seines Vorgängers die staatliche Anerkennung
des Isisdienstes vollzog; man kann dafür auch anführen, dass bereits
Seneca (apocol. 13) den bei der Auffindung des Osiris üblichen Jubelruf
€VQrjxafA€v avyxcciQOfiev^) als etwas allgemein Bekanntes verwendet. Der
Verlauf des Festes wird uns (freilich erst von späteren Gewährsmännern)
häufig geschildert:^) Isis sucht unter lautem Wehklagen und den heftigsten
Äusserungen des Schmerzes, an denen sich die ganze Schaar der Priester
und Gläubigen beteiligt, mit Hilfe von Nephthys und Anubis die Leiche
des von Typhon getöteten und zerstückelten Osiris-Serapis, bis nach Auf-
findung und Neubelebung des wieder zusammengesetzten Körpers die
Trauer in ebenso lauten und ausgelassenen Jubel umschlägt; dieser Freu-
denstimmung sind die drei auf den Tag der Heuresis folgenden Tage
(1. — 3. November) gewidmet,^) von denen der letzte, wie der entsprechende
Tag im Frühlingsfeste der Grossen Mutter (s. oben S. 266), den Namen
Hüaria führt, während der vorletzte, vielleicht nach einem von 3x9 ==27
Beteiligten^) gesungenen Chore, als Ter novena bezeichnet ist. Wahr-
scheinlich gleichzeitig mit diesem Hauptfeste haben die Römer auch ein
Frühlingsfest der Isis aufgenommen, welches die Göttin in ihrer Eigen-
schaft als Beherrscherin des Meeres und Beschützerin der Seefahrer^)
feiert: es ist dies das ebenfalls bereits im Bauernkalender verzeichnete
*) Man wird besser diesen Tag als den
1. November fttr den Tag der Heuresis hal-
ten, da das Fest nach Plutarch a. a. 0. ein
viertägiges war und die römischen Isia am
28. Oktober beginnen; die Circusspiele am
1. November sind wahrscheinlich ebenso eine
Erweiterung der ursprünglichen Feier, wie
die bei Philocalus am 2. und 8. November
verzeichneten weiteren Festtage (s. unten).
') Juven. 8, 29 m. Schol. Firm. Mat.
err. prof. rel. 2, 9 ; vgl. übrigens auch Seneca
bei August, c. d. VI 10.
') Am ausführlichsten Minuc. Fei. 22, 1
und namentlich Firmic. Mat. a. a. 0. 2, 1—8;
vgl. auch Tert. adv. Marc. I 13. Lact. inst.
I 21, 20. Carm. c. pagan. 98 ff. Paulin.
Nol. c. 19, 110 ff. 82, 116 ff. Prud. c. Sjmm.
I 629 f. Serv. Aen. IV 609. VI 154; Georg.
I 166. Rutil. Namat. I 375 f. u. a.
*) Lyd. de mens. frg. Caseol. p. 118 Bekk. :
tß nqo t€C<fd^tay xai rgitay vtaymy NoBfißQiwy
(= 2. 8. Nov.) iy r^ yaiS r^t taidog ifvfA"
nigatXfAa tioy ioQtdiy,
') üeber die Bedeutung dieser Zahl im
Kultus 8. DiBLS, Sibyllin. Blätter 8. 42 f.
•) TibuU. I 3, 27 ff. Juven. 12, 24 ff.
Stat. silv. III 2, 101 ff. Lucian. dial. deor. 4;
diJier Pelagia genannt (aedituus ab Isim
Pelagiam CIL VI 8707, vgl. Paus. II 4, 6.
Inscr. graec. insul. maris Aeg. n 118) und
als Erfinderin des Segels gefeiert (Hygin.
fab. 277. Casaiod. var. V 17, 4).
296
ion und Knltiui der BOmer. IL GUltterlelire«
Isidis navigium^) am 5. März, eine Feier zur Wiedereröffnung der von
November bis März geschlossenen (Veget. de re mil. IV 89) Seefahrt,
wobei ein kostbar ausgestattetes und mit Spezereien angefülltes Schiff ins
Meer hinausgestossen wurde. So wenigstens schildert Apulejus (met. XI
8 — 17, vgl. 5) diese Feier in Eenchreai; wenn ihr die römische entsprach,
müssen wir sie uns, etwa in der Art wie das ostiensische Fest der Castores
(s. oben S. 219), als an der Tibermündung begangen vorstellen, wo ja
sowohl in Ostia wie in Portus der Kult von Isis und Serapis eine sehr
bedeutsame Stellung einnahm.') Ausserdem notieren die Menologia rustica
noch zwei ägyptische Feste, beide im April, das sacrum Phariae^) und die
Sarapia, letztere nach dem Kalender des Philocalus auf den 25. April
fallend, ersteres also früher anzusetzen ; sonst werden diese Feiern nirgends
erwähnt, wahrscheinlich stand eine von ihnen, wenn nicht beide, mit dem
Stiftungstage des Iseum Campense in Verbindung. Ein weiteres Fest,
Pdusia am 20. März, kennen erst Philocalus und Lydus (de mens. IV 40)
nach dem es eine von den Römern übernommene Feier der ägyptischen
Nilschwelle gewesen wäre.*)
Somit befand sich der Isiskult als Staatsgottesdienst in einer ähn-
lichen Rechtsstellung, wie sie die griechischen Kulte vor dem J. 537 = 217
eingenommen hatten (s. oben S. 55). Das wurde anders, als Caracalla
die Beschränkung der sacra Äegyptia auf die extrapomeriale Zone aufhob
und seinen prächtigen Serapistempel auf dem Quirinal erbaute,^) vielleicht
auch das Iseum et Serapeum auf dem Caelius, welches der dritten Region
ihren Namen gegeben hat:^) erst jetzt standen diese Fremdkulte den
altrömischen Gottesdiensten völlig gleich, und man konnte darum Caracalla
mit Fug und Recht als denjenigen bezeichnen, der sacra Isidis Romam
deportavit, so anstössig auch diese Behauptung angesichts des notorischen
jahrhundertelangen früheren Bestehens römischen Isisdienstes dem Bio-
graphen des Kaisers erschien. 7) Seitdem steht der Isiskult durchaus im
Vordergrunde des religiösen Lebens in Rom und Italien, und welche Herr-
schaft er über die Gemüter ausübte, zeigt nicht nur das Hohelied von der
*) Lact. inst. 1 11, 21. Auson. de fer. 24
p. 105 Peip. Glandian. carm. min. app. 11
p. 409 Birt; der griechische Name ist UXoia-
fpiüha^ Lyd. de mens. IV 32. Apul. met.
XI 17, vgl. MoMMSKf, CIL P p. 311.
>) G. Gatti, Bull. arch. com. XIV 1886,
178 ff. Dbssau, CIL XIV p. 18; über das
angesehene CoUeginm der yetaxoQoi des Sera-
Sistempels zn Portus (Eaibel, Inscr. graec.
icil. Ital. nr. 914-921. 1030. 1102—1104.
CIL XIV 188) vgl. Dessau, Bull. d. Inst.
1882, 152 ff.
") Phdiria als Beiname der Isis häufig,
z. B. Tertull. ad nat. II 8. Minuc. Fei. 21, 1.
Carm. c. pagan. 99. Inscr. graec. Sicil. Ital.
nr. 1005. Bokhbl, D. N. VIII 140.
*) Die Worte Hist. aug. M. Aurel. 23, 8
lavacra mixta summovit; mores matronarum
eomposuit diffluentes et iuvenum nobüium;
Sacra Serapidis a vulgaritate Pelusiae sum-
movü kann ich auch nach den Bemerkungen
MoMMSBirs, CIL P p. 313 nicht voll ver-
stehen.
») CIL VI 570. 573. Inscr. graec. Sicil.
Ital. nr. 1024. Hülsen, Rhein. Mus. XLIX
1894, 894 ff.
^) Hist. aug. trig. tyr. 25, 4. Notiz, d.
scavi 1888, 626. Visookti, Bull. arch. com.
XV 1887, 132 ff.
') Hist. aug. Carac. 9, 10 f.: Sacra Isidos
Romam deportavit (vgl. Aur. Vict. Caes.
21, 4) et templa übique magnifica eidem decte
fecit , , , in quo quidem mihi mirum videtur,
quemadmodum sacra Isidis primum per hunc
Romam venisse dicantttr, cum Äntoninus
Commodus ita ea celebraverit, ut et Änubin
portaret et pausas ederet (vgl. Commod. 9, 4;
Pescenn. Nig. 6, 9); nisi forte iste addidü
ceUbritaii, non eam primus invexit; vgl.
GiLBEET, Topogr. III 111, 3.
B. Baora peregrina. 67. Isis und die Götter Aegyptena.
297
Allmacht und Güte der Isis, das Apulejus im 11. Buche seiner Metamorphosen
angestimmt hat, sondern vielleicht mit noch grösserer Deutlichkeit die Heftig-
keit und Erbitterung der christlichen Polemik gerade gegen diesen Gottes-
dienst (s. oben S. 84). Auf die schaulustige Menge musste schon der bei
den öffentlichen Festen der Göttin hervortretende fremdartige Prunk einen
tiefen Eindruck machen,^) die Prozession der Gläubigen und Priester mit
ihren weissen Linnengewändern ^) und ihren kahlgeschorenen Köpfen,^) die
reizvolle Musik und das geheimnisvolle Klappern des Sistrum,^) das Ein-
hei*tragen wundersam gestalteter Symbole und Instrumente,^) endlich der
Aufzug der von Priestern dargestellten tiergestaltigen Götter selbst, ins-
besondere des hundsköpfigen Anubis und der heiligen Isiskuh.^) Aber
viel stärker war die intimere Wirkung des inneren Isisdienstes und seiner
Mysterien auf das ganze Denken und Fühlen der Gläubigen, dessen er
sich mit einer den altrömischen Kulten fernliegenden Ausschliesslichkeit
bemächtigte: Isis die Königin,^) die Trägerin zahlloser Namen, ^) die aller
andern Götter Eigenschaften und Machtbefugnisse in sich zu vereinigen
behauptet (s. oben S. 81), verlangt von ihren Anhängern die Beobachtung
eines komplicierten Rituals und zahlreicher symbolischer Gebräuche,^)
Fasten^<>) und geschlechtliche Enthaltsamkeit, ^i) namentlich auch das Be-
stehen mehrfach sich wiederholender Prüfungen, auf Grund deren der
Neophyte stufenweise in die Geheimnisse der Göttin eingeführt wird:
') Eingehende SchUdernng der Festpro-
zeseion des Navigium Isidis bei Apal. met.
XI 8—11, Tgl. auch Claudian. de IV cons.
Hon. 570 ff. Eine wichtige, noch keines-
wegs hinreichend ausgebeutete Quelle bieten
hier die Bildwerke, uamentlich Bilder aus
Pompeji und Herculanum (Helbig, Wandgem.
nr. 1 ff. 1094 ff. Sooliano, Pitture murali
nr. 487 ff.) und zahlreiche Statuen und Re-
liefs; vgl. Lafaye, Gülte des divinit^s d'Ale-
zandrie p. 235 ff.
«) Ovid. met. 1 747. Juven.6,533. Mart.
XII 29, 19. Suet. Otho 12. Apul. a. a. 0. 10.
Claudian. a. a. 0. 573 u. a.
*) Juven. Mart. aa. 00. Apul. met. II
28. XI 10. 28. 30. Minuc. Fei. 22, 1. Garm.
c. pagan. 98. Ambros. epist. 58, 3 (Mionb,
Patrol. lat. XVI 1179). Hieron. in Ezech.
Xni 44 (MiGNB XXV 437) u. a.
*) Apul. met. XI 9. In Rom gibt es
eine Ugd ra^ig ttoy naiaytfftwy xov iy 'Pvififi
J^og HXLov fxsydXov lagdrudog xal &€(oy Is^
ßaoTtoy (Inscr. graec. Sicil. Ital. nr. 1084,
vgl. 1059). üeber das Klapperblech (aeungoy)
s. Plut. de Is. et Osir. 63 und dazu Pabthby
8. 256.
') Bei Apul. met. XI 10 f. eine Lampe
in Schiffsform, Altftre {auonlia vgl. GIL XI
816), Siegespalme, Caduceus, eine geOffhete
linke Hand als Symbol der Gerechtigkeit,
eiu Goldgefftss zur Libation in Gestalt einer
weiblichen Brust, eine goldne Wanne mit
Lorbeerzweigen u. a. m. Interessant sind
auch die beiden Inventare grösserer Schen-
kungen von Ger&tschaften und Schmuck-
sachen an die Tempel der Isis und Bubastis
zu Nemi (GIL XIV 2215) und der Isis pud-
(laris) zu Acci in Spanien (GIL H 3386); vgl.
W. Henzbn, Hermes VI 8 ff.
') Apul. a. a. 0. 11.
') Isis Begina z. B. GIL VI 354. IX 1 153.
XI 1577 ff. XIV 352. Ephem. epigr. IV 875.
VII 1194; ebenso victrix z. B. GIL VI 352 f.
IX 3144. 5179. XI 695, triumphdlis GIL
VI 355.
^) üeber Isis myrianyma s. Dbbxlbb,
Mythol. Beitr. I 125 ff
*) z. B. Besprengung mit Nilwasser (Ju-
ven. 6, 528. Serv. Aen. II 116. Firm. Mat.
err. prof. rel. 2, 5), Ritualbücher in geheimnis-
voller Hieroglyphenschrift (Apul. a. a. 0. 22),
Gewänder mit eingestickten Gestalten wun-
derbarer Tiere (ebd. 24), strenge Auswahl
der Opfertiere (die Gans beliebt, Ovid. fast.
I 454; das Schaf ausgeschlossen, Schol.
Veron. zu Verg. Aen. II 714) u. a.
'^) Fasten sind in doppelter Art bezeugt,
einerseits als Enthaltung von Fleisch und
Wein (Apul. a. a. 0. 23. 28. 30), andrerseits
als temperatus ab alimonio panis (Amob.
V 16. Tertull. de ieiun. 16. Hieron. epist.
107, 10; contra Jovin. II 5 = Mjonb XXII
876. XXIII 291).
i») Ueber die puri Isidos dies (Prop. V
5, 34) klagen die Verliebten häufig, Tib. I
3, 26. Prop. III 33, 1 ff. Ovid. am. I 8, 74.
III 9, 34.
298
Religion und Knltn« der B5mer. TL MUerlehre.
aber dafür schützt sie ihre Anhänger nicht nur in allen Nöten und Fähr-
nissen des Lebens, sondern sichert ihnen auch nach ihrem Tode ein Fort-
leben in einem glücklichen Jenseits, wo sie fortfahren, ihrer Göttin an-
betend zu dienen.^) Es liegt in der Natur der Sache, dass wir von der
Art der Weihen (tdetae) und der Geheimlehren im einzelnen nichts er-
fahren, Apulejus (met. XI 28) begnügt sich mit der Andeutung: accessi
confinium mortis et calcaJto Proserpinae limine per omnia vectus eUmenta
remeavi; node media vidi solem candido coruscantem lumine; deos inferos et
deo8 superos accessi coram et adoravi de proxumo. Die über das ganze
Reich, wenn auch nicht überall in gleicher Häufigkeit, verbreiteten') Ge-
meinden der Isisverehrer') stehen unter sich derart in Verbindung, dass der
Gläubige die höheren Grade der Weihung auch in einer andern Gemeinde
als in der, in die er zuerst eingetreten ist, erreichen kann, es scheint
sogar, als habe in Rom eine Art von Centralleitung bestanden.^) Nach Apu-
lejus gab es drei Grade, von denen der erste speziell der Isis, der zweite
auch dem Osiris galt,') der dritte wohl die Aufnahme unter die eigentliche
Priesterschaft in sich schloss; der Held des Apulejus geniesst den Vorzug,
nach Erlangung der dritten Weihen sogleich in das C!oIlegium der Pasto-
phori (und zwar als Vorstandsmitglied, inter ipsos decurionum quinquennales,
met. XI 30) einzutreten, d. h. diejenigen, die das Ehrenrecht besitzen, bei
den Processionen die kleinen Kapellchen mit den Bildern und Symbolen
der Götter tragen zu dürfen;') eine ähnliche Vorzugsstellung muss die
der Anubiaci'') und Bubastiacae^) gewesen sein, die bei denselben Anlässen
im Kostüme der Gottheiten Anubis und Bubastis erschienen. An der Spitze
der zahlreichen Priesterschaft') scheint ein profäa^^) gestanden zu haben,
*). Apnl. met XI 6: vives atUem heattts,
vives in mea tuiela gloriosus, et cum apa-
Hum saecfüi tui permenstM ad inferos de-
mearis, tbi quoque m ipso subterraneo semi-
nUundo me qtiam vides ÄcTierontis tenehris
interlucentem Stygiisqite penetralibiM re-
gnantem campos Elysioa incolens ipse iihi
propüiam frequens adorahis. quodsi sedtUis
ohsequiia et religiosis ministeriis et teneuiünts
ceutimaniis numen nostrttm promerueris, scies
ultra statuta fato tao spa^ vitam quoque
tibi prorogare mihi tantum licere.
') üebersicht bei Dbbxler in Rosohbbs
Myihol. Lexik. II 373 ff.
') CoUegia Isidis CIL III 882. VI 355.
IX 3338; cultores X 5049, corporati VI 349,
telestini XI 574; sodalicium vemarum co-
lentes Isidem II 3730; Isiaci CIL IV 787.
1011. XIV 18. 302. 348. 352. Eph. epigr.
VII 1194 {Istaca VI 1780) nnd oft bei Schrift-
stellern, z. B. Val. Max. VTI 3, 8. Plin. n. h.
XXVII 58. Säet. Dom. 1. Hisi aug. Com-
med. 9, 6. Minuc. Fei. 22, 1. Fa. Cypr.
carin. ad senat. 25.
^) In Mutina nennt sich M. Aemilius
Phoebns 8<i€rorum (Isidis) ab Roma, CIL
XI 819.
") Wir kennen ftkr die Eingeweihten
die Namen scu^orum Isidis (MSnner CIL Vi
2244. XI819,8acronimctt;^orV7682; Frauen
VT 2245. XI 579, bloss sacrorum ohne Isidis
VI 2279-2282. X 1. XII 263) ond pater sor
crorum (CIL VI 2278 f., bloss pater III 882;
naxfJQ trjg nQoyay^ufjifüvfi^ rdiemg, nftmlich
reSy naiavicttHy [s. oben S.297 Anm.4] Inscr.
gr. Sic. Ital. 1084) bezw. mater $acrorum
(Obblli 2313), letztere Bezeichnangen wohl
den Eingeweihten des zweiten Grades vor-
behalten.
•) Apul. a. a. 0. 17. 27. 30. CIL V 2806.
7468. XII 714, 10. 11. Eph. epigr. IV 874;
vgl. Diod. I 29. 4. Clem. Alex. paed. III 2, 4
p. 93 S.; Strom. VI 4, 37 p. 269 S.
') CIL XII 3043. XIV 352. Eph. epigr.
VII 1194; anuboforus XII 1919; vgL Hist.
aug. Comm. 9, 4. 6; Peso. Nig. 6, 9; Carac.
9, 11. App. b. c. IV 47.
«) CIL VI 3880. XIV 21 add. ; vgl VI
2249.
^) Sacerdotes Isidis m&nnlichen Ge-
schlechts sind auf Inschriften sehr hftufig,
weibliche z. B. CIL VI 512. 2246. IX 1153.
XII 3224 add.
'«) CIL VI 846. XII 410 add. Insor. gr.
Sic. Ital. 961. 1032. 1084. Apul. met U 28
propheta primarius.
B. Baora peregrina. 68. Die ayriaohen Gottheiten.
299
der wahrscheinlich mit dem bei Apniejus wiederholt erwähnten Ober-
priester^) identisch ist; ein anderer Priester von hohem Range war der
Grammateus,') während unter dem sonstigen Eultpersonale') namentlich
die pausarii Erwähnung verdienen, die ihren Namen von den Stationen
(pausae) der Isisprozessionen führen.^)
Im innem wie im äussern Gottesdienste sind, wie es scheint, mit
Isis stets Serapis sowie die übrigen ^eol avvvaoi xal avfißafioi^^) Anubis
Harpokrates Bubastis Eanopos^) u. a., vereinigt gewesen, und es hängt
von nicht mehr feststeilbaren Elementen in der Gründungsgeschichte des
einzelnen Heiligtums ab, ob in seiner Bestimmung die eine oder die andere
Gottheit in den Vordergrund tritt.'') Von sonstigen Kulten ist zunächst
der des Antinous mit den sacra Aegyptia in Verbindung getreten,^) später
vereinigt sich das Priestertum der Isis zuweilen mit dem der Grossen
Mutter,^) auch dem der Dea Suria;^<>) als schicksalsmächtige Gottheit endlich
wird Isis auch gern mit Tyche-Fortuna zusammengebracht^^) und sogar in
kombinierter Namensform als Isityche^') verehrt.
Litteratnr: G. Rxiohbl, De Isidia apud Romanos caltn, Berlin 1849. Pbbllbb-
JoBDAN, Rom. Mythol. II 773 ff. 6. Lafatb, Qistoire du culte des divinum d'Alezandrie
S^rapis Isis Harpocrate et Anabis hors de TEgypte (Bibl. des ^coles fran9. d'Ath^nes et
de Reme fasc. 33), Paris 1884. A. Pabisotti, S^dj e Documenti di Storia e Diritto IX
1888, 43 ff. üeberreiche Materialsammlung ohne Sichtung and Ordnung bei W. Dbbxlbb,
Mythologische BeitrAge I: Der Gultus der aegyptischen Gottheiten in den Donauländem,
Leipz. 1890 und in Rosobbbs Mythol. Lexik. II 373-548.
58. Die syrischen Gottheiten. Sehr viel langsamer und allmäliger
als das Eindringen der um Isis sich gruppierenden ägyptischen Religions-
vorstellungen hat sich die Aufnahme der Gottheiten Syriens in Rom voll-
*) Summus saeerdos Apnl. a. a. 0. 16. 20,
saceräoB mcuDiiMM ebd. 17, primofirvaa 21,
prctecipuus 22.
«) Apul. a. a. 0. 17; Porph. de abst IV 8
stellt die liQOfptjtaty legoaroXiöTal und Ugo-
ygofAuatkig als höhere Qattnng dem Xomoy
reSv leQiiüy re »ai naaxotfoQtoy xal ysuxoQUfy
n^^og gegenüber.
*) Fanaticus ab Isis Serapia CIL VI
2234, Isidis scoparius in Syrakus X 7129,
megdloforus Eph. epigr. IV 875, aeditui VI
845. 8707; eine Anzahl griechischer Titel
Inscr. gr. Sic. Ital. 914.
*) Bist. aug. Peso. Nig. 6, 9: quibus
Cammodua adeo deditus fuit, ut et caput
räderet et Änulnm portaret et omnis pausas
expleret (et pausas ederet Carac. 9, 11). CIL
VI 348: pro salute domus augustae et cor-
pore pausariorum et argentariorum Isidi
et Osiridi manstonem aedificavimus, XII 734
ein pausarius Isidis.
*) CI6 2230 laidi Ugamdi 'Jyovß^di
'A^oxqoxu &€oTi avyvdoig xal avyßtSfioigj vgl.
1800. Aehnliche Zusammenstellnngen z. B.
auch bei Ovid. am. II 13, 7 ff.; met. IX 687 ff.
^) Osiris kommt in Weihinschriften aus
Rom und Italien nur zusammen mit Isis vor
(CIL VI 848. XI 1160. 1543 f.), ebenso Bu-
bastis (XIV 2215. vgl. VI 2249), die übrigen
Gottheiten überhaupt nicht (CILV 8210 ^nu6i
aug{usto) aus Aquileja).
') Der römische Tempel der Isis Cam-
pensis (oben S. 294 Anm. 4) heisst vielfach
Iseum et Serapeum (z. B. Cass. Dio LXVI
24, 2. Eist aug. Alex. Sev. 26, 8. Eutr.
VII 23, 5 n. a.), und die Inschriften bieten
massenhaft Beispiele gemeinsamer Weihungen
an Isis und Serapis, auch gemeinsamer Tempel
und Priester, wobei bald die eine bald die
andere Gottheit voransteht (CIL VI 573 f.
3709. IX 17. 4112. 4772. X 1. 3759. 6989.
7514. XIV 20. 2427. 3941); der Serapistempel
in Portus (oben S. 296 Anm. 2) ist geweiht
Jil 'flXi(^ fĀyaX(a lagamdi xal xoig avyydoii
S^eotg, ebenso der Tempel von Praeneste (CIL
XIV 2901 = Inscr. gr. Sic. Ital. 1127).
') *Ayriy6(f (rvy&goyt^ zaiy iy Aiyvntt^
&Büiy Inscr. gr. Sic. ItaL 960. 961 (Rom).
«) CIL V 4007. IX 1153. XI 3123.
XIV 429.
i«") CIL IX 6099 (Brundisium): sacierdos)
Matr(is) Magn{ae) et Suriae deae et sa-
cror{um) Isidis; vgl. gcdlus Diasuriaes ab
Isis et Serapis Eph. epigr. IV 873.
'*) Apul. met. XI 15; vgL R. Petbb in
RoscBEBS Mythol. Lexik. I 1530 ff. 1549 ff.
•2) CIL XIV 2867. Inscr. gr. Sic. Ital.
1006. Arch. epigr. Mitt. ans Oesterr. II 1878,
198 nr. 6. Bull, de corr. heU. VI 1882, 889.
300
Religion und Kultus der B5mer. ü. Qötterlehre.
zogen, und erheblich später erst sind diese zu staatlicher Anerkennung
und einem massgebenden Einflüsse durchgedrungen: immerhin aber reichen
die Anfänge des Interesses für diese Gottesdienste bis in die letzten Jahr-
zehnte der republikanischen Zeit zurück, wo die Einverleibung Syriens in
den römischen Reichsverband und der starke Zustrom von Eaufleuten
und Sklaven aus jenen Gegenden die Bekanntschaft mit ihnen vermittelte.
Der Kult des Adonis freilich, dessen römischen Gottesdienst bereits Ovid
(a. a. I 75) kennt und dessen Festfeier später in der Zeit des ausgehenden
Heidentums mehrfach erwähnt wird,^) ist wohl kaum direkt aus der Heimat
des Gottes, dem phönizischen Byblos,^) nach Rom gekommen, sondern zu-
nächst in hellenisierter Form, etwa wie der Dienst der Grossen Mutter,
übernommen worden. Aber auch ohne ihn ist die Reihe rein syrischer Gott-
heiten, deren Dienst uns in Rom begegnet, lang genug. Da es sich überall
um die unter sich nach Wesen und Eigenschaften wenig verschiedenen
Gottheiten einzelner Stämme und Städte handelt, so zeigen diese Kulte bei
ihrer Übertragung nach dem Abendlande nur selten charakteristische Unter-
schiede von einander, ihre Anziehungskraft für den Römer liegt in dem
ihnen innewohnenden monotheistischen Zuge und in dem fremdartig orien-
talischen Ritual, durch das sie sich von den römisch-griechischen Gottes-
diensten unterscheiden. Die enge Verwandtschaft dieser Kultformen mit
den bei der Verehrung der Bellona, der Magna Mater und zum Teil
auch der Isis üblichen tritt namentlich im Dienste der weiblichen Haupt-
gottheit des nördlichen Syriens hervor, die mit ihrem heimischen Namen
Atargatis heisst,^) von den Römern aber als Dea Suria^) schlechthin »ver-
ehrt wird; die Umzüge, welche die verschnittenen Bettelpriester mit dem
Bilde der Göttin halten, und ihre verzückten Tänze und Selbstverwun-
dungen, die schliesslich auf eine Kollekte bei dem schaulustigen Publikum
hinauslaufen,^) gleichen durchaus den analogen Veranstaltungen der Galli
und der Bellonarii, wenn sie auch im Strassenleben Roms nie eine so
grosse Rolle gespielt haben wie jene; dass das Priestertum der syrischen
Göttin zuweilen mit dem der Grossen Mutter und der Isis in einer Person
vereinigt wird,^) weist ebenfalls auf nahe Beziehungen dieser Kulte zu
einander hin. Das in Bambyke-Hierapolis in der nordsyrischen Land-
schaft Kyrrhestike gelegene Mutterheiligtum der Atargatis, 7) von dessen
*) Hist. aug. Heliog. 7, 4 Sälamhonem
etiam omni planctu et iadatione Syriaci
ctUtus exhibuü vgl. mit Etym. M. p. 747, 48
laXafxßdg ij daififoy . . . ort negiiQX^^^*^ ^9V'
vovaa toy "Jdiüvty. Firm. Mat. err. prof.
rel. 9, 1. Paulin. Nol. carm. 32, 139 f. CIL
III Suppl. 10392. VIII 1211.
«) Strab. XVI 755. Luc. dea Syr. 6.
Mart. Cap. II 192 v. 31. Macr. S. I 21, 1 ff.
') Ätargatim Syrorum Tert. ad oat. II 8
m der Liste von Spezialgöttern einzelner
Stämme (in der Parallelstelle apol. 24 hat
die Gesamtüberlieferung Syriae Astartes, nur
der Fuldensis Syriae Atargatis). Im allge-
meinen 8. Baudissin in Herzogs Realencycl.
f. Protest. Theol. II» 171 ß.
*) So CIL VI 399. VII 758; Suria dea
IX 6099; Diasuria III SuppL 10398. Eph.
epigr. IV 873; Diasura CIL VI 115; Da-
syriia) X 1554; Dea Syria VI 116. VII 272.
^) Lucian. Luc. 35 ff. = Apul. met. VIII
24 ff. ; über die Verschnittenen in ihrem Dienste
s. Luc. dea Syr. 50 ff. und die römische In-
schrift Eph. epigr. IV 873 gaüus Diasitriaes
db Isis et Serapis.
•) CIL IX 6099 (8. oben S. 299 Anm. 10);
vgl. Apul. met. VIII 25. IX 10. üeber Be-
ziehungen zwischen den Orgeonen der Grossen
Mutter im Piraeus und dem Dienste der
*A(pQodltrj IvQia s. Foucaat, Associat. relig.
98 ff. 196 ff. Maass, Orpheus 73 ff.
') Strab. XVI 748. Plin. n. h. V 81 u a.
B. Sacra peregrina. 68. Die syriBohen Gottheiten.
301
Anlage and Einrichtung die lucianische Schrift Ttegl zrjg 2vQ{r]g&€ov (c. 28 ff.)
ein sehr anschauliches Bild entwirft, wurde im J. 700 = 54 beim syrischen
Feldzuge des Crassus von den Römern geplündert (Plut. Grass. 17); aber
schon früher war die Göttin wenigstens in Sicilien nicht unbekannt ge-
wesen, denn schon der Führer des grossen Sklavenaufstandes von Enna,
ein aus Apameia stammender Sklave Namens Eunus, trat als verzückter
Prophet der Syrischen Göttin auf ;^) auch in den Hafenstädten Brundisium
(CIL IX 6099) und namentlich Puteoli (CIL X 1554), dem Sammelpunkte
aller orientalischen Gottesdienste, wird man die freilich erst für spätere
Zeit bezeugte Verehrung der Göttin hoch hinauf datieren dürfen. Während
ihr im Heere die aus Syrien stammenden Truppenteile Eingang ver-
schafften,*) gibt über die Eintrittswege ihres Kultes in die Hauptstadt die
Thatsache Aufschluss, dass von den auf den Sklavenmarkt bezüglichen
Weihinschriften CIL VI 396—399 eine (399) lovi o(j>timo) m{aximo) et
Deae Suriae et Oenio venalici gewidmet ist; in dem Sol divinus, der in
der sonst gleichlautenden Weihung nr. 398 an Stelle der Dea Suria er-
scheint, ist vielleicht der in Hierapolis an der Seite der Atargatis ver-
ehrte Gott zu verstehen, der mit einheimischem Namen Hadad hiess und
von Griechen und Römern für einen Sonnengott angesehen wurde. ^) Auf
zwei zusammengehörigen römischen Altären (CIL VI 116. 117), von denen
der eine der Dea Syria, der andere dem l(uppiter) o(j)timu3) m{aximus) ge-
widmet ist, ist dasselbe Götterpaar gemeint, wie die beigegebenen Reliefbilder
(die Göttin thronend zwischen zwei Löwen, der Juppiter ebenso zwischen
zwei Stieren) beweisen, die ganz und gar der von Lucian (de dea Syr. 31)
gegebenen Beschreibung der Statuen im hierapolitanischen Heiligtume ent-
sprechen.*) Jene Inschriften vom Sklavenmarkte gehören dem ersten Jahr-
hundert der Kaizerzeit an und bestätigen die anderweitig bezeugte That-
sache (Suet. Nero 56), dass die private Verehrung der Göttin schon zur
Zeit des Nero in Rom bestand und von Seiten dieses Kaisers zeitweise
besondere Förderung erfuhr, um dann bei veränderter Laune von ihm
um so verächtlicher behandelt zu werden. Von einem Staatskulte kann
in dieser Zeit noch keine Rede sein; ob Dea Suria einen solchen jemals
genossen, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln, immerhin hindert nichts
anzunehmen, dass ihr für die Zeit des Alexander Severus bezeugter, wahr-
scheinlich in Trastevere gelegener Tempel^) eine aedes publica war. Die
») Diod. XXXIV frg. 2. Flor. II 7, 4;
sp&ter besteht eine KultgenossenBchaft der
Syrischen Göttin in Syrakus, Inscr. gr. Sicil.
Ital. nr. 9.
') Dea Suria als Schatzgottheit der co/t(or8)
I Hamior[um\ auf dem britannischen Altar
CIL VII 758, vgl. V. DoMASzEwsKi, Westd.
Zschr. XIV 52. Sonstige Weihinschriften aus
den Provinzen CIL VII 272 (vgl. Inscr. gr. Sic.
Ital. 2553). III Suppl. 7864. 10893; in letzterer
Inschrift ist die Göttin verbunden mit Baltis
dia divina, die auch ebd. 10964 erscheint und
wohl nicht als eine pannonische Lokalgott-
heit, sondern als die osrhoenische Göttin
dieses Namens zu verstehen ist ; vgl. Cumont
bei Fault- WissowA, Realencycl. II 2842.
») Macr. S. l 23, 17 ff., vgl. I 17, 66 ff.
Plin. n. h. XXXVII 186. Das Paar "-^cfacfoff
und 'Aragyaug begegnet seit dem Ende des
2. Jhdts. n. Chr. häufig auf Dolos (vgl. Haü-
vbtte-Brsmault, Bull, de corr. hell. VI 1882,
470 ff.), und wahrscheinlich hat demnach der
Gottesdienst des syrischen Paares seinen
Weg nach Italien über die Etappen Hiera-
polis—Dolos - Puteoli genommen (vgl. oben
S. 292).
^) Dieselben Darstellungen finden sich
auch auf Vorder- und Rückseite einer Münze
des Alexander Severus, Egkhbl, D. N. III 262 f.
') In dem beim Chronographen vom
302
Beligion und Kultus der BAmer. IL OOUarlehre.
in der gelehrten Litteratur vorgetragenen Spekulationen über das Wesen
der Göttin und ihre Identität mit dieser oder jener Gestalt der griechischen
Götterwelt^) haben auf die Ausübung ihres Dienstes keinen bemerkbaren
Einfluss geübt, ihren Anhängern ist sie in universalistischer Auffassung
die allmächtige und allschaffende Gottheit (pmnipotens et omniparens Dea
Syria Apul. met. VIII 25), mit der Göttermutter, der Dea Caelestis u. a.
im letzten Grunde identisch.^)
Während bei dem Götterpaare Hadad-Atargatis der weibliche Teil
unzweifelhaft im Vordergrunde steht, spielt bei den übrigen Kulten gleicher
Herkunft, in denen in der Regel auch ein Ba'al mit einer Ba'alath als
Herr und Herrin eines bestimmten Ortes vereinigt ist, durchweg der männ-
liche Gott die führende Rolle, und seine Genossin verschwindet so gut
wie ganz hinter ihm. Das gilt insbesondere von dem aus der nächsten
Nachbarschaft der hierapolitanischen Göttin stammenden Ba'al der kom-
magenischen Stadt Doliche, der namentlich durch die seit den flavischen
Kaisern bestehenden cohories Commagenorum (mindestens 6) in den Pro-
vinzen weite Verbreitung fand: die ältesten Zeugnisse reichen bis in die
Zeit des Antoninus Pius und Marc Aurel hinauf,^) häufig werden sie jedoch
erst seit der für alle orientalischen Gottesdienste so wichtigen Regierung
des Septimius Severus und Garacalla. In Rom besass der Gott eine private
Kapelle (sacrarium CIL VI 414) auf dem Esquilin (extrapomerial) bereits
im J. 191,^) dagegen wird man das auf dem Aventin bei S. Alessio ge-
legene Heiligtum, welches das Regionenbuch (reg. XIII) als Dolocenum
aufführt, für einen Staatstempel halten dürfen: die hier gefundenen in-
schriftlichen Zeugnisse gehören dem 3. Jahrhundert an, das älteste (CIL
VI 410) fällt zwischen 198 und 209, eine der Inschriften (CIL VI 406)
lehrt uns ein mannigfaltig abgestuftes Kultpersonal kennen. Die zahl-
reichen bildlichen Darstellungen^) zeigen uns den Gott durchweg in der-
selben Bildung, als bärtigen Mann mit Panzer und Beinschienen, der auf
dem Rücken eines Stieres stehend in der linken Hand den Blitz, in der
J. 854 (MouBSN, ChroD. min. I 147) unter
Alezander Severus erwähnten templum la-
8urae hat Jobdak, Hermes VI 314 ff. scharf-
sinnig iaüwrae d. i. Diaswrcte erkannt und
das Heiligtum nach dem Fundorte der In-
schrift CiL VI 115 (wohl auch 116 f.) in
Trastevere gesucht; nur irrt er, wenn er
Tempel und Inschrift in die Zeit Neros hinauf-
rOcken möchte.
') Gewöhnlich wird sie mit Hera oder
Aphrodite gleichgesetzt (Plut. Grass. 17), aber
auch mit Artemis (Gran. Lic. p. 9 Bonn., vgl.
CIL IX 4187 aus Amitemum: Deanae ISy-
ri[<ie]), und Lucian (dea Syr. 32) findet in
ihrem Bilde zu Hierapolis der von Hera ent-
lehnten Grundauffassnng ZQge von Athens,
Aphrodite, Selene, Rhea, Artemis, Nemesis
und den Moiren beigemischt. Gedeutet wird
sie als (tQX^^ *^^ cniqfjiattt näaiy i| vyqtav
naqaaxova« airla xai g>ratg (Plut. a. a. 0.),
als Mutter Erde (Macr. S. I 23, 18 ff.) u. a. m.
') Fflr die Identifizierung mitRhea-Magna
Mater s. Comut. nat. deor. 6 und oben S. 300
Anm. 6; für die mit der Dea Caelestis das
an letztere gerichtete Weihgedicht CIL VII
759 = BuBCHBLBB, Auth. epigr. nr. 24.
^) CIL VII 506 unter Antoninus Pins,
Inschrift eines Centurio (s. darüber v. Doma-
szBWSKi, Westd. Zschr. XIV 58). III 5973
vom J. 163; unter Commodus CIRhen. 1752.
CIL V 1870 (beide von Centurionen her-
rührend). XIV 22.
*) CIL VI 406—413, vgl. Luoabi, BulL
arch. com. XXI 1893, 223 ff., dessen Aus-
führungen ich jedoch nicht beitreten kann.
^) Gute Sammlung und Sichtung des
ganzen Vorrates von Denkmälern und In-
schriften bei F. Hbttneb, De love Dolicbeno,
Diss. Bonn 1877, an dessen Ergebnissen auch
das seitdem neu hinzugekommene Material
nichts Wesentliches geändert hat; vgl. Ed.
Mbtbb in RoscHBBS Mythol. Lexik. I 1191 ff.
und die Abbildungen bei v. Doxaszbwski
a. a. 0. Taf. III fi«. 1. 2.
fi, Saera peregina* ttd. Die syrisohen Gottheiien*
303
rechten ein Doppelbeil (dasselbe, das wir aus dem Geremoniell der Mä-
Bellona kennen, s. oben S. 290) hält; ihm gegenüber finden wir zuweilen
eine auf einem Steinbocke (oder einem verwandten Tiere) stehende Göttin
im Typus der Hera, die auch inschriftlich ebenso als Juno bezeichnet
wird,^) wie der Oott selbst ständig den Namen luppüer optimus maximus
Dolichenus führt. Diese Oleichsetzung mit Juppiter optimus maximus teUt
der Gott von Doliche mit einer ganzen Reihe von Ba'alim anderer syrischer
Städte, die von syrischen Soldaten und Händlern {Suri negotiatores CIL HI
Suppl. 7761) nach dem Westen mitgebracht wurden. Besonders reichlich
sind diese Gottheiten in den mit orientalischer Kultur stark durchsetzten
Donauprovinzen verehrt worden, doch sind viele von ihnen auch bis nach
Rom selbst vorgedrungen, wo ihnen ihre Landsleute Kapellen errichteten
und auch wohl in den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung
Verehrer für sie warben: so wird z. B. der Inhaber eines angesehenen
Heiligtums in der Nähe von Berytos, Ba'al Marqod,') auch in Rom als
Juppiter 0. M. Balmarcodes von einem Legionscenturionen verehrt,') und
ein zwar in seiner genauen örtlichen Zugehörigkeit nicht bestimmbarer,
aber sicher syrischer Gott Beellefarus erhält nicht nur einen Altar
durch zwei aus Syrien stammende Equites singulares,^) sondern hat auch
auf dem rechten Tiberufer in der Gegend der Porta Portuensis ein Heilig-
tum besessen, von dessen Statut neuerdings ein Bruchstück zu Tage ge-
kommen ist.<^) Nicht weit davon, ausserhalb des Thores, lag ein ganzer
Complex solcher Kapellen, so eine, die einem als Sol bezeichneten, sonst
aber nicht näher zu bestimmenden orientalischen Gotte geweiht war und
sicher im J. 102 n. Chr. bestand,®) eine andere, in der ebenfalls in tra-
janischer Zeit der bald mit Mars bald mit Apollo identificierte edessenische
Gott Azizos verehrt wurde,') eine dritte jüngere endlich, die eine palmy-
renische Kultgenossenschaft den Göttern ihrer Heimat Bolus Malacfabelus
Aglibolus und laribolus geweiht hatte,®) Göttern, deren Dienst uns in der-
selben Zeit, d. h. seit Alexander Severus, auch in Dacien und Pannonien,
sowie sonst vereinzelt begegnet.^) Aus derselben Stadtgegend stammt
auch die Stele, die ein Veteran einer orientalischen Legion dem Stadt-
gotte von Damaskos, Juppiter 0. M. Damascenus (CIL VI 405), gewidmet
>) CIL VI 865—367. 413. VII 98.
*) Lebab nr. 1855 ff. CIL III 155 ff.;
Sappl. 6680 ff. Clbbxont-Ganheau, Recueil
d'archöol. Orient. I (1888) S. 94 ff. 101 ff.
•) CIL VI 403; in Potaissa in Dacien
(CIL III 7680) weiht ein Veteran einen Altar
[I(ovi) oiptimo) m{aximo)] Bal(marcodi) et
Jimo[nt], es hatte also auch dieser Ba^al
eine göttliche Genossin neben sich (vgl. CIL
HI 159 = 6669).
*) Annali d. Inst. 1885, 288 nr. 83 du
deahusque lavi BeeUefaro sacrum n. s. w.
*) Notiz, d. scavi 1887, 176; vgl. G. La-
FATB, Rey. d. Fhisi d. relig. XVII 1888,
219 ff.
•) CIL VI 31034. 52. 709; vgl. Borsari,
Ball. arch. com. XV 1887, 90 ff.
») Inscr. gr. SicU. Ital. 962 "Aqu »etp
natQtooD infjxotp vom J. 133 (vgl. Dbsxlrb,
Jahrb. 'f. Philol. CXLIX 1894, 329 f.), ge-
deutet nach Julian, or. IV 150 D. 154 A; Ober
den Kult dieses Gottes in den Lagern von
Apulum (CIL III 1130 ff.; Suppl. 7652), Po-
taissa (III 875), Lambaesis (VIII 2665) und
Camuntum s. v. Domaszewski a. a. 0. S. 64 ff.
8) CIL VI 50. 51. 710. 31046. Inscr.
gr. Sicil. Ital. 969-972 (nr. 971 ist datiert
auf 235/6 n. Chr.); vgl. Visconti, Annali d.
Inst. 1860, 415 ff. Hblbio, Führer I nr. 423.
•) CIL m 1108 (deo Soli Hierobolo);
Suppl. 7954 ff. VIII 2497. 8795. XII 1277
(= BuEOBBLBB, Auth. opigr. nr. 872). Eph.
epigr. VII 801. Cagnat, L'ann^e epigr. 1890
nr. 100. 1896 nr. 131.
304 Religion und Koltiui der EOmer. IL GN^iterlehre.
hat, und mehrere von syrischen Soldaten dem Gotte von Baalbek, Juppiter
0. M. Heliopolitanus, geweihte Altäre, die auf ein dort gelegenes Heilig-
tum schliessen lassen.^) Die beiden letztgenannten Götter sind früher als
in Rom in Puteoli durch die Mitglieder der bedeutenden tyrischen Handels-
faktorei, die dort bestand,') verehrt worden: bezeugt sind für Puteoli
sowohl sacerdotes lovis optimi maximi Vamasceni (CIL X 1575 — 1577) als
cuUores lovia Heliopolüani Berytenses,^) qui Puteolis consistunt (CIL X 1634,
vgl. 1578 f.), während sich im allgemeinen der Dienst dieses Gottes erst
seit dem 8. Jahrhundert^) in ähnlicher, wenn auch etwas spärlicherer Ver-
breitung als der des Herrn von Doliche (beide vereint CIL HI 3462. 3908)
findet. Wenn dem Juppiter Heliopolitanus auf einigen Inschriften'^) eine
als Venus bezeichnete Gottheit zur Seite steht, so ist darin natürlich die
Eultgenossin des Gottes in seinem von Antoninus Pius mit besonderer
Pracht neugebauten (Malal. XI p. 280 Dind.) heliopolitanischen Tempel zu
erkennen, dessen angesehenes Orakel schon Trajan consultiert hatte. ^) Das
Eultbild dieses Heiligtums beschreibt uns Macrobius (S. I 23, 12) als das
eines stehenden bartlosen Mannes, der in der erhobenen Rechten eine
Peitsche, in der Linken Blitz und Ähren vereint hält; erhaltene Nachbil-
dungen 7) ergänzen dies dahin, dass der Gott zwischen zwei Stieren stand,
ähnlich wie der neben der Göttin von Hierapolis verehrte Hadad (oben
S. 301).
So wenig individuell auch die Persönlichkeiten dieser nur durch die
Verschiedenheit ihrer lokalen Wirkungskreise und Verehrungsstätten unter-
schiedenen Gottheiten ausgeprägt sind, so tragen sie doch wenigstens im
Namen noch die Bestimmung ihrer Herkunft; daneben aber begegnen uns
in den Provinzen und in Rom selbst eine ganze Reihe weiterer syrischer
Gottheiten, die ihren einheimischen Namen aufgegeben haben und nur eine
ganz allgemeine Bezeichnung tragen, etwa als .der Ewige ''^) oder .der
Himmelsgott ''*) oder — und das ist besonders häufig — als der Sonnen-
gott (Serv. Aen. I 642. 729), eine Auffassung, die für den höchsten Gott
») CIL VI 422. 423, vgl. 420 f. (nr. 420,
die älteste der Inschriften, ist vom J. 186).
«) Vgl. über sie Inscr. gr. Sicil. Ital. 830
und dazu Mommsbn, Ber. d. sächs. Gesellsch.
d. Wiss. 1850, 57 ff.
") Berytier als Weihende auch CIL XII
3072. ClKhen. 1408 (in der Herstellung von
V. Dom ASZEWSKi, Korresp.Bl. d. Westd. Zschr.
1897, 172 ff.).
*) lieber ältere Steine s. v. Domaszewski,
Westd. Zschr. XIV 58.
") CIL III Suppl. 11139 f. CIRhen. 1408
(s. oben Anm. 3). Caonat, L'ann^e epigr.
1889 nr. 93.
•) Macr. S. I 23, 14 ff.; was ebd. 17 ff.
von dem Paare Hadad- Atargatis erzählt wird,
bezieht sich nicht mehr auf den Kult von
Baalbek-Heliopolis, sondern auf den von
fehlt uns zur genaueren Bestimmung dieser
unter sich verwandten, aber doch verschie-
denen Götterpaare das Material.
') F. Lenormant, Gazette arch^ol. II
1876, 78 ff. F. Stüdkiczka, Arch. epigr. Mitt
aus Oesterr. VIII 1884, 61 ff. P. Woltbbs,
Americ. Joum. of Archeol. VI 1890, 65 ff.
W. GuBLiTT, Arch. epigr. Mitt. aus Oesterr.
XIV 1891, 120 ff.
*) Aus Rom Aeterno sancto (CIL VI
3671) mit dem Bilde des Gottes (Bull. arch.
com. III 1875 Taf. 21), ausserdem zahlreiche
Steine aus den Provinzen, namentlich aus
Dacien, sämtlich nachantoninischer Zeit; vgl.
F. CüMONT, Revue archM. XI (1888) 184 ff.
und bei Pauly- Wissowa, Real-Encyd. I 696 f.
^) Optimus maximns Caelus aetemus
luppiter CIL VT 81, vgl. 83. 84. Wissowa,
Bambyke-Hierapolis. Dass auch der Ba'al Real-Encycl. III 1277. F. Cumont, Benndorf-
von Damaskos eine solche Ba'alath neben Festschrift S. 291 ff.
sich hatte, zeigt Justin. XXXVI 2, 2. Doch ,
E* Saora peregrina. 58. Die ayriBchen Qottheiteu.
305
dieser orientalischen Kulte besonders nahe lag und darum auch veranlasste,
dass manche der bisher erwähnten Ba^alim statt mit Juppiter 0. M. auch
mit Sol geglichen^) oder mit einem als Sol bezeichneten Gotte verbunden
wurden.') Einer fili* Sol oder für Sol und Luna bestimmten Weihinschrift
kann man es allerdings in den meisten Fällen nicht ansehen, ob sie sich
auf den römischen (§ 52) oder den orientalischen Kult bezieht; doch spricht
seit der Mitte des 2. Jahrhunderts die Wahrscheinlichkeit an sich für den
letzteren, und im dritten ist — um vonMithras hier abzusehen — unter
Sol kaum je ein andrer Oott als einer der syrischen Ba'alim verstanden
worden:^) Bei werte wie aeternus (CIL III 604. II 259) oder divinus^) sichern
diese Beziehung, insbesondere aber ist der Name Sol invictus oder deus
invictus ganz und gar diesem Kultkreise vorbehalten geblieben.^) Dieser
Sol invictus erhält im 3. Jahrhundert eine ganz dominierende Stellung
dadurch, dass er nach einander zur Bezeichnung zweier verschiedenen in
den römischen Staatskult aufgenommenen syrischen Gottesdienste wird,
von denen der erste allerdings nach kurzer Herrschaft bald wieder gänz-
lich verschwunden ist. Als im J. 218 der Priester des zu Hemesa in Ge-
stalt eines schwarzen Steinkegels verehrten Gottes^) den römischen Kaiser-
thron bestieg, war seine erste und vornehmste Sorge die, den Gott, dem
er bisher gedient hatte, zum Hauptgotte des römischen Staates zu machen:^)
der Fetisch wurde nach Rom gebracht und erhielt als invictus Sol Elagabal^)
(oder Älagahdl) den Platz an der Spitze der römischen Staatsgötter (Gass.
Dio LXXTX 11, 1. Herodian. y 5, 7) dergestalt, dass der Kaiser seine durch
Senatsbeschluss sanktionierte Würde als Oberpriester dieses Gottes im
Hange über die des Pontifex maximus stellte (CIL III Suppl. p. 1997 f.
X 5827). Ein Staatspriestertum für den weiteren Dienst des Gottes Elagabal
wurde eingesetzt^) und ein Jahresfest geschaffen, auch im Gottesdienste
des Heeres wusste der Eindringling Fuss zu fassen. i^) In Rom lagen die
0 z. B. Hierobolus und Melagbelns CIL
III 1108; Suppl. 7956. VI 31046; in der zwei-
sprachigen Inschrift CIL VI 710 wird der
im palmyrenischen Texte als Malakbel be-
zeichnete Gott im lateinischen Sol sancHasi-
tnu8 genannt.
') z. B. Dolichenus und Sol CIL VI 412.
30741.
>) Interessant ist z. B. CIL VI 700: Soli
sacrum, geweiht von einem natua in Suria
Nisybin, liber factus Romae,
*) CIL III Suppl. 11146. V 4948. VI 398
(vom J. 86 n. Chr., s. oben S. 301). 709.
Annali d. Inst. 1885, 259 nr. 22 (vom J. 126).
») Das älteste datierte Beispiel CIL VI
717 (Soli invicto deo) stammt aus dem J. 158;
vgl. aus der nächsten Zeit CIL III Suppl.
7483 (deo invicto), III 1111 (Soli invicto).
VI 740 (Soli invicto).
*) Vgl. über ihn im allgemeinen J.
H. MoBiKmANN, ZDMG XXXI 1877, 91 ff.
F. LsKORMANT, RoY. de rhist. d. relig. III
1881, 310 ff. Stüdniczka, Arch. epigr. Mitt.
aus Oesterr. VIII 1884, 64 ff. F. Habbl,
Eutdbnch der klaas. AltertuxDswiaseiiMhftft. Y, 4.
Comment. in honor. Studemundi (1889) S. 93 ff.
') Cass. Dio LXXIX 11 f. Herodian.
V 3 ff. Bist. aug. Heliog. 3. 6 f. Aurel. Vict.
Caes. 23.
^) Dies der offizielle Name; im übrigen
gilt das bei den orientalischen Gottheiten
übliche Schwanken der Umnennung zwischen
Juppiter und Sol auch für den Gott Yon
Hemesa (Hist. aug. Carac. 11, 7; Heliog. 1, 5.
17, 8).
*) Wir kennen nur einen 8(acerdo8} Sol(i8)
Alagabali Ti. Julius BaibiUus (CIL VI 2269 ;
vgl. 708), der schon vor der Zeit des Elagabal
sacerdoa Solis (CIL VI 2270. 1663. 2129 aus
den Jahren 199. 201. 215), d. h. Priester
eines andern syrischen Ba'al, war und nun
dem neuen Dienste sich zuwendete.
10) CIL III 4300 und dazu v. Dom aszewski,
Westd. Zschr. XIV 60 f. ; über die Bedeutung
des hier dem Gotte gegebenen Beinamens
Ämmudates (Commod. instr. I 18) s. Ed.
Mbyeb in RoscHBBS MythoL Lexik. I 291.
1229. Studniczka a. a. 0. S. 65 f. Tümpel
bei Pauly-Wissowa, Real-Encycl. I 1868 t
20
306 Religion und Kultus der BOmer. ü. Qöüerlehre.
Heiligtümer des neuen Gottes in unmittelbarer Nähe der Residenzstätten
des Kaisers, eines auf dem Palatin, angrenzend an den kaiserlichen Palast,^)
ein anderes, in das der Gott jeden Sommer zusammen mit dem Kaiser
übersiedelte, bei der Sommerresidenz in der Vorstadt ad Spem veterem.')
In den erstgenannten Tempel Hess der Kaiser nicht nur alle sonst in Rom
befindlichen anikonischen Symbole der verschiedensten Gottheiten, das
Feuer der Yesta, die Schilde der Salier, das Palladium, den Stein der
Grossen Mutter, zusammenschleppen (Hist. aug. Heliog. 3, 4. 6, 8), sondern
er feierte hier auch in den offiziellen Formen des tcgog yaiioq die Ver-
mählung seines Gottes mit der karthagischen Gaelestis (s. unten § 60),
deren Bildsäule nach Rom gebracht und nach der Hochzeitsfeier im pala-
tinischen Tempel aufgestellt wurde. ^) Nachdem dieses wüste Treiben, die
ärgste Entwürdigung, die römisches Wesen und römische Religion je er-
fahren haben^ fast drei Jahre gedauert hatte, machte der Sturz des Kaisers
und die darauf folgende damnatio memoriae dem Kulte des Gottes Elagabal
für Rom ein für allemal ein Ende,^) während der Tempel von Hemesa
als ein im ganzen Orient weithin angesehenes Heiligtum fortbestand.^) In
Rom aber hat fünfzig Jahre später abermals der Kult eines dem Sol in-
victus, und zwar diesmal zu längerer Herrschaft, Einzug gehalten, indem
Aurelian im J. 274 diesem Gotte auf dem Campus Agrippae einen gross-
artigen Tempel mit umgebenden Säulenhallen und prunkvoller Innenaus-
stattung weihte.^) Dass der Name des Sonnengottes hier wie überall in
dieser Zeit einen orientalischen Kult deckt, steht ausser Zweifel, doch hat
man darüber gestritten, welcher Gott gemeint sei: die weit verbreitete
Ansicht (z. B. Marquabdt, Staatsverw. III 83), dass Aurelian den Dienst
des Elagabal von Hemesa von neuem in Rom eingeführt habe, ist durch
die damnatio memoriae, die mit dem Kaiser notwendig auch den Gott
treffen musste, ausgeschlossen; aber auch der Gedanke an den persischen
Mithras'') wird, abgesehen von der sonst hervortretenden Verschiedenheit der
beiden Kulte und der Unmöglichkeit, sich das spelaeum des Mithrasdienstes
(s. § 59) durch einen Prachttempel ersetzt zu denken, widerlegt durch das
Zeugnis des Zosimos I 61, der im Tempel ^Hkiov xai Br^Xov clydXfjiaTa
erwähnt, was nur auf syrische Ba'alim passt. Unter diesen aber liegt der
Stadtgott von Palmyra, der als Belus oder Sol in Rom von Palmyrenern
schon früher verehrt worden war (oben S. 303, vgl. S. 305 Anm. 1),
') Hist. aug. Heliog. 3, 4, vgl. 1, 6. ' sondern von der Rücklieferung der aus
Herod. V 5, 8. Aur. Vict. Caes. 23, 1 . Mohm- | den stadtrömischen Tempeln in das pala-
SEN, Chron. min. I 147. Aust, Die stadtröm. ; tinische Elagabalheiligtum zusammenge-
Tempeigründ. d. Kaiserz. S. XXIII f. i schleppten Göttersymbole die Rede ist.
*) Herod. V 6, 6 ff., vgl. Hist aug. Heliog. ") Hist. aug. Aurel. 25, 4. Avien. orb.
18, 5. 14, 5.
terr. 1083 ff.
>) Herod. V 6, 4 f. Cass. Dio LXXIX 12; ö) Zosim. 1 61. Hist. aug. Aurel. 35, 3.
vgl. A. DiKTERiCH, Inschrift des Aberkios ; 39, 2, vgl. 1, 3. 10, 2. 25, 6. 28, 5. 48, 4;
S. 28 ff. I Tac. 9, 2 ; Firm. 8, 4. Aurel. Vict. Caes.
*) Cass. Dio LXXIX 21, 2 ö te y.Xerd- , 35, 7. Eutr. IX 15. Mommsew, Chron. min.
ßttXog aviog ix rrjg 'Pujfitji nttvxdnttaiv i^t- | I 148. Not. reg. VII. Hülsen, Bull. arch.
7iiaiv\ vgl. Herod. VI 1, 8, wo aber nicht, 1 com. XXIIl (1895) 39ff. Lanciani, ebd. 94 ff.
wie gewöhnlich angenommen wird, von der ') Usener, Pfailos. Aufsätze Ed. Zeller
(gewiss in der That erfolgten) Rücksendung ' gewidmet (1887) S. 279 f. Habel a. a. 0.
des Fetisch in den Tempel von Hemesa, S. 97 f.
E. Saora peregrina. 59. Der MiihrasdienBt.
307
deshalb am nächsten, i) weil die Gründung des Tempels in unmittelbarem
Zusammenhange mit dem Triumphe über die Einnahme Palmyras stand und
die palmyrenische Beute zu seiner Ausstattung verwendet wurde.') Dass
man Wesen und Herkunft des durch Aurelian zum Reichsgotte erhobenen
Sonnengottes so schwer genau feststellen kann, hat seinen Grund darin,
dass dieser Kaiser, weit entfernt davon, wie Elagabal den ganzen Schwulst
und Schmutz eines semitischen Ba'alsdienstes den Römern aufdrängen zu
wollen, seinen Oott vielmehr ganz in den Formen des römischen Kultes
verehren liess: nach römischem Brauche wurde der Stiftungstag des
Tempels, der 25. Dezember, zum Jahresfeste des Sol invictus,^) nach dem
Vorbilde des von Domitian eingesetzten Agon Capitolinus (oben S. 113 Anm. 6)
wurde für den neuen Gott ein alle vier Jahre wiederkehrender agon Solis*)
begründet, sein Dienst lag nicht in den Händen orientalischer Priester,
sondern eines vornehmen collegium publicum, das der ersten Priesterschaft
der alten Religion den Namen entlehnte und unter dem Namen der pon-
tifices Solls neben oder vor die alten Pontifices (jetzt auch pontifices Vestae)
trat.^) Das Bild des Gottes, wie es uns auf den Münzen Aurelians sowohl
wie der Kaiser des 4. Jahrhunderts häufig entgegentritt, zeigt daher nicht die
Fremdartigkeit der Darstellungen des Dolichenus oder Heliopolitanus, son-
dern gibt den Gott in griechisch-römischer Auffassung wieder, in der
ganzen Gestalt dem auf den Münzen der gleichen Zeit ebenfalls oft dar-
gestellten Genius populi Romani ähnlich: eine nur mit einem Mantel be-
kleidete nackte Jünglingsgestalt mit der Strahlenkrone auf dem Haupte,
die rechte Hand erhoben (manchmal mit der Peitsche des Wagenlenkers),
in der linken die Weltkugel haltend. Aus den Donauländern stammend,
in denen sich in eigentümlicher Weise griechische, römische und orien-
talische Kultur mischte und durchkreuzte, beabsichtigte der Kaiser in dem
Gotte, den er auf seinen Münzen als dominus imp{erii) Romani feiert
(EcKHEL, D. N. Vn 483), die vielgestaltigen Religionsanschauungen der ver-
schiedenen Teile des Riesenreiches zu vereinigen und zu versöhnen, und
bis zu welchem Grade ihm das gelang, zeigt noch fast ein Jahrhundert
später die (4.) Rede Julians eig tov ßaaiUa "HXiov, in der alle Mythologie
und Religion der bekannten Welt sich in eine Verherrlichung des Königs
der Götter, des Sonnengottes, umsetzt.
Litt er a tu r: Pbbller-Jobdan, Rom. Mythol. II 894 ff. J. Rbvillb, Die Religion zu
Rom unter den Severem (deutsch von G. Krüger, Leipz. 1888) S. 67 ff. 236 ff. F. Cuxont
bei Fault- WiBSowA, Real-Encycl. II 2647 ff. 2842 f.
59. Der Miihrasdienst. Mit der Mithrasreligion, die von Persien
aus bereits in hellenistischer Zeit in die Länder des östlichen Kleinasiens
vorgedrungen war, sind die Römer dem Anscheine nach zuerst bei der
Niederwerfung der kilikischen Seeräuber in Berührung gekommen, unter
') An den Gott von Baalbek-Heliopolis
denken u. a. Hülsen a. a. 0. Aust a. a. 0.
p. XXVII; doch sind keinerlei spezielle Be-
ziehungen Aurelians zu diesem Gotte nach-
weisbar.
*) Zosim. Aurel. Vict. aa. 00.
•) N[attüi$) Inincti, ciircenses) miissns)
XXX Philoc, vgl. Julian, or. IV 156 B. C
und mehr bei Moxmsbn, CIL P p. 338 f.
Die vom 19.— 22. Oktober bei Philocalus ver-
zeichneten ludi Solis sind ungewisser Her-
kunft, vgl. MoMMSEN, CIL V p. 333.
*) MoMKSBN, Chron. min. I 148. Julian,
or. IV 155 B.
B) Habbl a. a. 0. S. 100 ff.
20*
308
Religion und Knltna der BOmer. II. Götterlehre.
denen sich auch Mithrasverehrer befanden (Plut. Pomp. 24). Eine wirk-
liche Einwirkung dieses Gottesdienstes auf Rom und den Westen können
wir aber erst gegen Ende des 1. Jahrhunderts der Eaiserzeit^) bemerken,
wobei wohl die armenischen Feldzüge des Corbulo und die seit Yespasian
in weiterem Umfange stattfindende Aushebung von Auxiliartruppen in
jenen Gegenden eine Bolle gespielt haben. Wenn Statins bereits von der
Darstellung des stiertötenden Mithras in der Felsgrotte Kunde hat^) und
Plutarch (a. a. 0.) die Mithrasweihen als zu seiner Zeit bestehend erwähnt,
so stimmt dazu vollkommen die Thatsache, dass die ältesten mit Sicher-
heit datierbaren Mithraeen in Rom und Umgebung bis in die Regierungs-
zeit des Trajan und Hadrian hinaufreichen.^) Der eigentliche Aufschwung
des Mithraskultes aber datiert erst von Commodus, der, wie an den Gottes-
diensten der Isis und Bellona, auch an den Mysterien des Mithras selbst
teilnahm (Hist. aug. Comm. 9, 6) und damit diese sozusagen hoffähig
machte : nicht nur Soldaten und kleine Bürger, Sklaven und Freigelassene^)
beteiligen sich seitdem an diesem Gottesdienste, sondern die höchsten Be-
amtenkreise, bis schliesslich Diocletian und Maximian samt ihren Mit-
regenten im Lager von Carnuntum den Dens Sol invictus Mithi*as geradezu
als den fautor imperii sui verehren (CIL HI 4413). Sowohl die stadt-
römischen Mithraeen, deren wir aus Inschriften- und Denkmälerfunden
etwa ein Dutzend kennen, wie die zahlreichen, zum Teil sehr wohl er*-
haltenen Heiligtümer des Gottes in Italien (Ostia, Capri u. a.) und allen
Provinzen der westlichen Reichshälfte, namentlich den Donau- und Rhein-
ländern (Sarmizegetusa , Carnuntum, Neuenheim, Osterburken, Gross-
Erotzenburg, Heddernheim, Dormagen, Saarburg), zeigen, von unwesent-
lichen Abweichungen abgesehen, durchweg eine übereinstimmende Anlage,^)
die für die Eigenart des ganzen Gottesdienstes von hervorragender Be-
deutung ist: aus einem Vorräume steigt man auf einer Treppe in die
stets unterirdisch angelegte eigentliche Cella hinab, die an ihrer Rück-
wand in einer Nische das Reliefbild des stiertötenden Mithras zeigt,
während die beiden Längsseiten von erhöhten Podien eingenommen werden,
auf denen, wie ihre Oberflächenbeschaffenheit erkennen lässt, die Gläubigen
knieten ; im Mittelraum der Cella vor dem Bilde stehen gewöhnlich zwei Al-
täre, Spuren von Tieropfern sind noch vielfach erhalten. Diese Heiligtümer
heissen mit technischer Bezeichnung spelaea^) und sind zum Teil wirkliche
*) Eine angeblich aas Tiberius' Zeit
stammende Inschrift CIL VI 968* scheidet
als Fälschung aas.
*) Stat. Theb. I 719 seu Persei sub rupi-
bus antri indignata sequi torquentem con^ua
Miihram.
') Das älteste Denkmal aus Rom ist,
wenn die Aasführungen von Hülsen (Berl.
philol. Wochenschr. 1889, 683) zutreffen, CIL
VI 718 = 30818 aus Trajans Zeit, nicht viel
später auch VI 732 = Inscr. gr. Sic. Ital. 996.
In einem der Mithraeen von Ostia (Cumont,
Textes et monum. II p. 414 ff. 528 f.) finden
sich Inschriften aus den Jahren 142 und 148
n. Chr. (CIL XIV 67. 33); in die Zeit des
M. Aorel hinauf lassen sich ein andres Mi-
thraeum in Ostia (CIL XIV 59) und das von
Nersa (CIL IX 4109) verfolgen.
*) Interessant ist CIL VI 2271, wo ein
Freigelassener des Septimius Severus, Carä-
calla und Geta als pater et sacerdos invicti
Mithrae domus ^u^ustanae erscheint; es
bildete also das kaiserliche Gesinde eine
eigene Mithrasgemeinde.
'^) G. WoLFF, Das Römerkastell und das
Mithrasheiligtum von Gross-Erotzenburg am
Main (Cassel 1882) S. 85 ff.; Westd. Zschr.
XIII 1894, 89 ff. F. CuMONT, Notes sur un
temple Mithriaque d'Ostie, Gand 1891 und
Textes et monum. I 54 ff.
«) z. B. CIL III Suppl. 11088. 1B283.
V 810. 5795. VI 738. 8723. VIII 6975. IX
E. Sacra peregrina. 59. Der KthraBdienst. 309
Felsgrotten, zum Teil Eellerräumlichkeiten oder künstlich unterirdisch an-
gelegte Gemächer; ihre Dimensionen sind so klein, dass kaum mehr als
je hundert Gläubige in einem solchen Heiligtume Platz gefunden haben
können, aus welchem Grunde bei einer weiteren Ausdehnung des Kultes
am gleichen Orte mehrere Spelaeen (in Heddernheim 3, in Carnuntum 4,
in Ostia 5) angelegt werden mussten. Schon diese Eigentümlichkeit der
äusseren Yerehrungsformen scheidet die Mithrasreligion scharf von allen
sonstigen einheimischen wie recipierten Staatskulten und gehört zu den
Gründen, aus denen jene trotz ihrer weitreichenden Bedeutung nie offiziell
als Bestandteil der Staatsreligion anerkannt worden ist. Dazu kommt die
damit zusammenhängende strenge Gliederung der Mithrasgläubigen in Ge-
meinden von sacrati,^) deren jede ihre eigene Yorstandschaft') und eigene
Priester') besitzt: die Beschränkung eines Gottesdienstes auf derartige
Eultgenossenschaften bedeutet den direkten Gegensatz zum Staatskulte.
Die Gesamtheit der Gläubigen einer jeden Gemeinde ist nach Graden der
Einweihung geschieden, welche eigenartige und geheimnisvolle Namen
tragen:^) als Rabe (corax) beginnend erreicht der Myste über die Grade
des Geheimen (xQvtpiog) und des Streiters {miles) die Wüi'de eines Löwen
{leo)j die ihm, wie es scheint, die volle Zugehörigkeit zu der heiligen Ge-
meinschaft erschloss, während die früheren Stufen nur der Vorbereitung
dienten; die höchsten Grade der Perser (Persa), Sonnenläufer (i^hoigofiog)
und Väter (pater, auch pater sacrorum) waren naturgemäss besonders be«
vorzugten und eifrigen Mitgliedern vorbehalten; an der Spitze der patres
(diese und die leones sind die am häufigsten erwähnten Grade) stand ein
pater patrum, der vielleicht als das geistliche Oberhaupt aller Mithras-
gemeinden eines Ortes angesehen werden darf und jedenfalls mit dem von
TertuUian (de praescr. haer. 40) erwähnten summus pontifex identisch ist.
Bei der Aufnahme aus einem niederen Grade in einen höheren^) kamen
nicht nur Gebet, Enthaltsamkeit und eine Anzahl symbolischer Akte zur
Anwendung, sondern es waren auch gewisse Prüfungen zu bestehen, die,
wie die spärlichen Andeutungen unserer Quellen erkennen lassen, vor
allem darauf hinausliefen, den Neophyten in Schrecken zu setzen und seinen
Mut und seine Standhaftigkeit auf die Probe zu stellen;^) was spätere
Zeugen von Menschenopfern und grässlichen Qualen der Aufzunehmenden
zu erzählen wissen, 7) gehört offenbar in den Bereich der gruselichen Fabel.
8808; vgl. Stat. Theb. I 719. Justin. Mart.
dial. c. Tryph. 70. Porphyr, de antro nymph. 5.
TertnU. de cor. 15. Firm. Mat. err. prof.
rel. 5, 2.
») CIL VI 730. 737. 742; ein album
VI 737).
*) Hieron. epist. 107, 2 = Mionb, Patr.
lat. XXII 869. Porphyr, de abst. IV 16;
vgl. Henzbn zu CIL VI 754.
^) Der Terminus f&r den Akt der Auf-
8acrato[ruin] aus Portus CIL XIV 286, ein 1 nähme ist JUerocoracica trckdere, cryfios
Verzeichnis der ctUtorea d{ei) S{olis) i(nvicti)
Miihrcte aus Sentinum XI 5737.
«) MagvstriGXh VI 47. 717. 734. 1675;
deeem primi VI 86.
') Ausser den sehr oft erwähnten sacer-
dotes (ordo sacerdotum CIL VI 2151), die
hftufig zugleich patres sind (CIL VI 738.
2271. 3727. XIV 63), begegnen auch anti-
stiies (CIL VI 716. XIV 57. 3567 u. a.), deren
einer den Grad eines Löwen bekleidet (CIL
tradere oder ostendere, leontica, persica, he-
liaca, patrica tradere, CIL VI 749 ff. ; vgl.
Porphyr, de abstin. IV 16; de antro nymph. 15.
•) Hist, aug. Comm. 9, 6: sacra Mi-
thriaca Jicmicidio vero polluitt cum iUic ali"
quid ad speciem timoris vel dici vel fingt
soleat. Tert. de cor. 15. Porphyr, de abst.
IV 16. August, quaest. vet. et novi test. 114
= MiowB XXXV 2343.
0 Greg. Naz. or. 4, 70. 89. 39, 5 =
310
Religion und Kultus der BOmer. ü. Götterlehre.
Über den dogmatischen Inhalt der Mithrasreligion erhalten wir fast
ausschliesslich durch die Denkmäler der Mithraeen Auskunft, naturgemäss
oft nur eine recht unsichere und vieldeutige, weil uns der Schlüssel zu
der fremdartigen Symbolik dieser Darstellungen fehlt. Das in allen
Mithraeen wiederkehrende Hauptbild zeigt Mithras als jugendlichen Oott
in persischer Gewandung, wie er den nach rechts stürmenden Stier
von hinten niederreisst und ihm ein breites Messer in den Hals stösst,
während ein Hund nach der Wunde aufspringt, eine Schlange das ent-
strömende Blut aufleckt, und ein Skorpion die Hoden des gefällten Tieres,
dessen Schwanz in ein Ährenbüschel ausläuft, angreift: Zeuge der Hand-
lung ist ein dabei sitzender oder fliegender Rabe, um ein im Vordergründe
befindliches Gefäss bewegen sich ein Löwe und eine Schlange, zu beiden
Seiten der Gruppe stehen zwei Jünglinge in persischer Tracht, der eine
mit gehobener, der andere mit gesenkter Fackel; ihre Namen Cautes und
Cautopates stehen jetzt inschriftlich fest.^) Das Hauptbild wird oft um-
rahmt von einer Anzahl kleiner Reliefbilder, die in typischer Reihenfolge
und Wiederkehr Scenen eines tsQog loyog vorführen, in denen Mithras
immer wieder die handelnde Person ist, zuweilen im Verkehr mit dem
durch Strahlenkranz und Peitsche gekennzeichneten Sonnengotte, vielfach
in Verbindung mit dem Stiere, den er zähmt, reitet oder gar auf dem
Rücken fortschleppt, auch in andern Handlungen, z. B. einen Pfeil gegen
einen Felsen abschiessend, aus dem eine Quelle entspringt, namentlich
aber, wie er; als Kind gebildet, nackt bis auf die persische Mütze, in der
rechten Hand ein Messer, in der linken eine Fackel haltend, mit halbem
Leibe aus einem Felsen aufsteigt. Diese letztgenannte Darstellung, die
häufig auch selbständig statuarisch gebildet ist, ist die einzige, deren
Deutung durch Inschriften und Schriftstellerzeugnisse völlig sichergestellt
ist: es ist die Geburt des Mithras aus dem Felsen, ein Mythus, der das
erste Erscheinen des Tageslichtes auf den Berggipfeln zu versinnlichen
scheint.') Für alle andern Scenen geben uns die Quellen wohl mehr oder
minder künstliche symbolische Deutungen, 3) aber keinen Bericht über die
mythischen Vorgänge, die uns im Bilde entgegentreten und deren Kenntnis
Vorbedingung wäre für die Deutung des religiösen Inhaltes. Selbst die
Auffassung des Hauptbildes ist insofern strittig, als die einen darin die
Darstellung eines kosmogonischen Mythus der Perser, die andern ein von
Mithras zu gunsten seiner Anhänger gebrachtes Entsühnungsopfer sehen:
MiQNB, Patr. gr. XXXV 592. 620. XXXVl 340
und dazu die tatoQiai, des Nonnos (Cumont,
Textes et monum. II p. 18 ff.)-
M Die BeneunuDg ist sicher gestellt
durch die Inschriften einer Stele im dritten
Mithraeum zu Heddemheim (Gümont, Westd.
Zschr. XIII 88 f.), wodurch sich frühere Ver-
suche (zuletzt GuHONT, Rev. arch^ol. XII 1888,
95 ff.) erledigen. Beide Namen sind Bei-
namen des Mithras (CIL III 4416. VII 650.
GIRhen. 1413), mit dem die Figuren auch
in Aussehen und Kleidung ganz identisch
gebildet sind. Die Etymologie ist ebenso
unsicher, wie die eines andern Beinamens
Nabarzes (CIL III 1549. 3481 ; Suppl. 7938.
VI 722. 742).
2) Beog ix nhgae Firm. Mat. err. prof.
rel. 20, 5; vgl. Justin. Mart. dial. c. Trjrph.
70. Commod. instr. 1 13. Hieron. ady. Jovin.
I 7 = MiGNB, Patrol. lat. XXIII 219. Lyd. de
mens. III 26. Inschriften mit Petrcte genetrici
CIL III 4424. 4543; Suppl. 8679. Westd.
Ztschr. XIII 84, vgl. CIL V 5020. Im allge-
meinen s. £. Maionica, Arch. epigr. Mitt.
aus Oesterr. 11 1878, 33 ff.
') s. namentlich Porphyr, de antro nvmph.
5. 18. 24. Schol. Stat. Theb. I 717 ff.
E. Saora peregrina. 59. Der Mithrasdienst. 3X1
für die zweite dieser — übrigens miteinander keineswegs unvereinbaren —
Ansichten spricht die Bezeichnung des aus der Wunde des Stieres fliessen-
den Blutes als natna cunctis,^) das für alle vergossene heilige Nass, eine
Wendung, die es uns gleichzeitig begreifen lässt, wie die Christen den
Mithrasverehrern vom Teufel eingegebene Nachahmung christlicher Sakra-
mente vorwerfen konnten. >) Neben den aus dem persischen Mythus selbst
entnommenen Darstellungen enthalten die Mithraeen auch zahlreiche Hin-
weisungen auf den chaldäischen Gestirndienst in Bildern nicht nur von
Sol und Luna, sondern auch den Planetengöttern und den Gottheiten des
Tierkreises, ferner symbolische Darstellungen der Elemente und ihres Zu-
sammenwirkens, phantastische Gestalten des persischen Glaubens, wie z. B.
den geflügelten und von einer Schlange umwundenen löwenköpfigen Gott
mit seinen zahlreichen symbolischen Attributen, den Zoega Aion nannte,')
daneben wieder vielfach die Bilder griechischer und römischer Götter, die
man nicht durchweg als Übersetzungen persischer Gottheiten in die
Göttertypik der griechisch-römischen Kunst auffassen darf, sondern als
einen Hinweis darauf, dass die Mithrasreligion alle früheren griechischen
und römischen Götterdienste sich unterwirft und in sich aufgehen lässt.
So rätselhaft und geheimnisvoll auch der gesamte römische Mithras-
dienst ist und bleibt, so ist doch soviel klar, dass der hier verehrte Gott
sowohl in seiner Identifikation mit der Sonne, die sich in dem Namen Sol
invictus Mithras ausspricht, wie namentlich in der dominierenden Stellung,
die er über allen andern Gottheiten einnimmt, von dem gleichnamigen
Gotte des Avesta ganz beträchtlich verschieden ist,^) wie auch der ganze
Kreis von Beligionsvorstellungen, der im occidentalen Mithraskulte zum
Ausdi^ucke kommt, sicher ausser den persischen auch fremdartige, ins-
besonders chaldäische Elemente enthält. Die Darstellungen des in den
Mithraeen immer wiederkehrenden Bildercyklus, in denen Sol und Mithras
als unter sich verschiedene Gottheiten neben einander stehen, zeigen einen
merkwürdigen Widerspruch mit dem offiziellen Namen des Gottes: denn
die Bezeichnung Sol invictus Mithras beweist, dass man in Rom Mithras
prinzipiell nicht schied von der langen Reihe orientalischer Gottheiten, in
welche die ebenfalls als Sol invictus bezeichneten Ba'alim von Hemesa
und Palmyra gehören. Man darf daraus vielleicht schliessen, dass die für
den Westen des Reiches massgebend gewordene Umbildung der ursprüng-
lichen Mithrasauffassung eben in jenen Gegenden erfolgt ist, aus denen
die im vorigen Abschnitte (§ 58) charakterisierten Gottheiten nach Rom
kamen, etwa in Kommagene, möglicherweise auch in Armenien oder Kap-
padokien. Auf alle Fälle war diese Umbildung abgeschlossen, als der
Mithraskult in Rom und den westlichen Provinzen Eingang fand, denn er
tritt uns dort durchweg als' etwas vollkommen Fertiges und Einheitliches
entgegen und hat während der drei Jahrhunderte, aus denen unsere Denk-
») CIL XIV 3567; vgl. VI 719. 781.
s) Jostin. Mart. apol. I 66. Tertull. de
praescr. haeiv 40; de bapt. 5.
>) CuMOOT, Westd. Zschr. XIII 97 flf.
*) Auch dass in den Mithraeen dem Ari-
manios, d. h. dem göttlichen Vertreter des
bösen Prinzips, Altäre errichtet werden (CIL
VI 47. III 3414 f.), steht im Widersproche
mit persischer Anschauung.
312 Religion und Enltufl der BOmer. U. GOtierlehre.
inäler stammen, irgendwie nachweisbare und erhebliche Veränderungen
und Ausgestaltungen nicht erfahren. Seine Hauptblüte fällt zusammen
mit der der syrischen Gottesdienste in das ausgehende zweite und nament-
lich das dritte Jahrhundert n. Chr. ; in den Provinzen erlischt er zu Anfang
des 4. Jahrhunderts,^) in Rom hat er dagegen gerade in der zweiten
Hälfte des 4. Jahrhunderts noch einen erneuten Aufschwung genommen,
wie nicht nur die heftigen Angriffe des Firmicus Matemus, Paulinus von
Nola und des sogen. Carmen contra paganos (oben S. 88), sondern auch
die Denkmäler beweisen, vor allem die Inschriften aus dem bei San Sil-
vestro in Capite gelegenen Mithraeum (CIL VI 749 flf.), die bis in das vor-
letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts hinunterreichen: von der engen Ver-
bindung, die der Mithraskult in diesen letzten Zeiten des Heidentums mit
dem Dienste der Magna Mater und andern Fremdkulten einging, legen
zahlreiche Taurobolienaltäre der gleichen Zeit (CIL VI 500 flf.) Zeugnis
ab, deren Stifter die Priestertümer der Grossen Mutter, des Mithras, der
Hekate, des Liber und oft auch anderer Gottheiten in einer Person ver-
einigen (s. oben S. 87 Anm. 3).
Litteratur. Dieser Abschnitt konnte kurz gestaltet werden mit Rücksicht auf das
gediegene Werk von F. Güvont, Textes et monuments figur^s relatifs aux myst^res de
Mithras, dessen 2. Band (Broxelles 1896) eine erschöpfende Sammlang und Wiedergabe
des gesamten litterärischen, epigraphischen und Denkmälermaterials bietet, während von
dem die zusammenfassende Erörterung (Introduction) enthaltenden 1. Bande zur Zeit erst
die erste Hälfte (1899) vorliegt; für den fehlenden Teil treten vorläufig ergänzend ein
GuxoNTS Darlegungen in der Westd. Zeitschrift XlII 1894 S. 69 ff. und in Roschebs Mythol.
Lexik. II 3029 ff. Aus der sehr reichen älteren Litteratur verdienen Anführung noch
G. ZofiOA, Abhandlungen (herausg. von Welckbr) S. 89 ff. F. Lajabd, Introduction au culte
de Mithra, Paris 1847; Recherches sur le culte de Mithra, Paris 1867. F. Windiscqmann,
Abhandlungen f. d. Kunde des Morgenlandes I (1859) 8. 1 ff. E. B. Stabk, Zwei Mithraeen
der Grossherzogl. Altertumssamml. in Karlsruhe, Heidelberg 1866.
60. Sonstige Fremdkulte. Die Masse fremder Gottesdienste, die
seit dem Ausgange des 2. Jahrhunderts in Rom irgendwo private Aus-
übung finden, ist unübersehbar und kann hier nicht erschöpfend dargestellt
werden; nur einige Kulte, die zeitweise auch für die weitere Öffentlichkeit
eine massgebende Bedeutung gewonnen haben, sollen an dieser Stelle
kurze Würdigung finden. Obenan steht in dieser Hinsicht der Dienst der
Stadtgöttin von Karthago, die, mit ihrem einheimischen Namen n^n (Tanith)
genannt,^) alsDeaCaelestis im ausgehenden Altertume auch im reli-
giösen Leben der Hauptstadt und des Heeres eine wichtige Rolle spielte.
Diese „ himmlische Herrin'' des punischen Afrika,^) deren berühmter und
prächtiger Tempel zu Karthago^) bis zum Ende des 4. Jahrhunderts be-
*) Das jflngste Zeugnis ist wohl CIL III
4796 aus Virunum, wonach im J. Sil der
Praeses der Provinz Noricum Aurelins Her-
modorus das templum vetu8ta{te) eonläbaum,
quot fuit per annos amplitis L deserium,
wiederherstellt.
') S. namentlich Nöldeke bei v. Doma-
BZEWSKi, Westd. Zschr. XIV 74 f. und im
allgemeinen Cumont bei Pauly-Wissowa,
Real-Encycl. II 1247 ff. Rosohbb, Mythol.
Lexik. II 612 ff. . Ulpian. reg. 22, 6.
^) Caelestis Afrorum (dea) Tert. ad nat.
II 8 = apol. 24; vgl. Salvian. de gubem.
dei YIII 9. Arabros. epist. I 18, 30 = Migne
XVI 980.
*) R. Cagnat, Rev. archöol. XXIV 1894,
188 ff. ; vgl. über den karthagischen Gottes-
dienst mit seinen ausschweifenden Festen
und seinen Orakeln namentlich August, c. d.
II 4. 26. Eist. aug. Pertin. 4, 2; Macrin.
3, 1; tyr. trig. 29, 1. Herodian. V 6, 4,
E. Sacra peregrina, 60. Sonstige Fremdkalte.
313
stand^) und deren Dienst von Karthago aus auch in Numidien, Maure-
tanien und bis nach Spanien hinein Verbreitung gefunden hatte,') wurde
in Rom durch den aus Afrika gebürtigen Kaiser Septimius Severus heimisch.
Wenn eine späte Überlieferung') schon bei der Zerstörung Karthagos
durch Scipio Africanus minor die Stadtgöttin vermittels Evocation nach Rom
kommen lässt, so ist das sicher eine später zurechtgemachte Legende, die
sich einmal dadurch widerlegt, dass die Römer die Evocation und Über-
nahme von Gottheiten unterworfener und zerstörter Städte nicht über eine
eng begrenzte Zone der Nachbarschaft hinaus ausgedehnt haben (oben S. 44),
vor allem aber auch völlig unvereinbar ist mit dem Fehlen aller Zeugnisse
für einen stadtrömischen Dienst der Caelestis vor Septimius Severus. Da-
gegen erscheint ihr Bild^) auf den Münzen des genannten Kaisers (Eokhel,
D. N. yil 183), und Julia Domna lässt sich beim rheinischen Heere als
Caelestis dea Altäre errichten.^) Ein stadtrömisches Heiligtum, dessen
Existenz für das Jahr 259 bezeugt ist,®) lag an bevorzugter Stelle, auf
der nördlichen Anhöhe des capitolinischen Hügels, und ist wegen dieser
intrapomerialen Lage wohl erst als eine Gründung des Caracalla anzusehen:
wenn dieses Heiligtum nicht nach Trastevere oder in ein anderes entlegenes
Stadtviertel verwiesen wurde, sondern recht im Herzen der Stadt seinen
Platz fand, so wird man daraus auf staatliche Reception des Gottesdienstes
schliessen dürfen, und für die Wahl des Ortes ist, da man die karthagische
Göttin seit Vergil ziemlich allgemein mit Juno gleichzusetzen pflegte, 7)
gewiss die Nachbarschaft des altberühmten Tempels der Juno Moneta
massgebend gewesen. Welches Ansehen die Göttin zur Zeit des Kaisers
') Er wurde im J. 399 in eine christ-
liche Kirche verwandelt, bald daranf aber
ganz zerstört, Anct. de promiss. et praedict.
dei III 38 = Mionb, Patrol. lat. LI 835. Vict.
Vit. bist, persec. Vand. I 8; vgl. August,
enarr. in psalm. 62, 7. 98, 14; serm. 105,
12 == MiowB XXXVI 752. XXXVII 1270.
XXXVin 624.
') Die inschriftlichen Zeugnisse bei Rüg-
oixHO, Dizion. epigraf. 11 4 f., vgl. Gxtvont
a. a. 0.
■) Serv. Aen.Xll 841 ; constat hello Punicxt
secundo exoratam lunonem, tertio vero hello
a Scipione sacris qutbuadam etiam Rotnam
esse translatam; wenn bei Macr. S. III 9, 7
das Formular der evocatio auf Karthago ge-
stellt ist, so hat dies wohl erst der von Ma-
crobius indirekt benützte Serenus Sammoni-
cus, ein Zeitgenosse des Septimius Severus
(s. WissowA, Hermes XVI 502 ff.), so an-
geordnet.
*) Die Göttin sitzt auf einem rasch lau-
fenden Löwen; vgl. Apul. met. VI 4 celsae
Carthaginis, quae te virginetn vectura leonis
commeantem percolit. Cass. Dio LXXIX
12, 2. Tert. apol. 12.
*) Westd. Zschr. IX 296 = Körbeb, Rom.
Inschr. d. Mainzer Museums (1897) nr. 13;
vgl. V. DoMASZBWSKi s. s. 0. S. 72 ff. ; andre
Milit&rinschriften an Caelestis CIL III Suppl.
10407. 10955, vgl. auch III 992 f.
') Durch die neu gefundene Inschrift
Notiz, d. scavi 1892, 407, die von G. Gatti,
Dissert. d. pontif. accad. Rom. di archeol.
ser. II t. VI (1897) S. 331 ff. schön erläutert
worden ist. Sonstige stadtrömische Inschriften
CIL VI 77—80. 545. 2242.
') z. B. Hör. c. II 1, 25. Plin. n. h.Vl20.
Minuc. Fei 25, 9. Tertull. ad nat. II 17 =
apol. 25. Apul. met. VI 4. Firm. Mat. err.
prof. rel. 4, 1 ; letztgenannter Autor bezeichnet
sie zugleich als Venus virgo (luno virgo
Apul. a. a. 0.), und diese Hervorhebung der
Jungfräulichkeit findet sich ausserdem so-
wohl bei Augustin. c. d. II 4. 26. Tert. apöI.
23. Commod. instr. I 16, 9 als auch inschrift-
lich (CIL VIII 9796. Not. d. scavi 1892, 407).
Das Beiwort caelestis erhalten ausser Juno
(CIL III Suppl. 10407. VIII 1424) und Venus
(CIL V 8137 f. VI 780 IX 2562. X 1596)
auch Diana (CIL V 5765. VIII 999. XIV
3536, vgl. Herodian. V 6, 4), Fortuna (CIL
VIII 6943; vgl. Philastr. de baeres. 15: alia
haeresis quae Reginam, quam et Fortunam
caeli nuncupantf quam^H Caelestem vocant
in Africa) und Bona Dea (CIL X 4849.
XIV 3530), ohne dass die Beziehung auf
die punische Göttin dadurch flberall gesichert
wäre.
8U
Religion und Sultiui der BOmer. ü. Götterlehre.
Elagabal genoss, beweist die Thatsache, dass er gerade sie für würdig
erachtete, die Gemahlin des Sonnengottes von Hemesa (oben S. 306) zu
werden, und darum ihr aus dem karthagischen Mutterheiligtume herbei-
geholtes Bild in der feierlichen Form des teQcg ydiioq mit seinem Gotte
vermählen liess.^) Über die Formen des Kultes der Caelestis fehlt es uns
an Nachrichten: die Verehrung durch Gemeinden von Eingeweihten') und
den ausgeprägt monotheistischen Zug') hat sie mit den andern Fremd-
kulten östlichen Ursprungs gemeinsam, mit denen sie auch hin und wieder
in Verbindung tritt :^) ihre Bedeutung noch im 4. Jahrhundert beweist die
Polemik des Firmicus Maternus (de err. prof. relig. 4), der sie zusammen
mit Isis, Magna Mater und Mithras zum Gegenstande seiner heftigsten
Angriffe macht, und noch im 5. Jahrhundert eifert Salvianus (de gub. dei
VIII 9 f.) erregt gegen ihre Anhänger in Afrika. Dass die karthagische
Göttin wie jede semitische Ba'alath auch einen männlichen Kultgenossen
neben sich hatte, würde man auch ohne direktes Zeugnis anzunehmen be-
rechtigt sein: auf zwei Inschriften wird dieser Genosse als Aesculapius
bezeichnet,^) und ein Tempel dieses Gottes, d. h. des phönizischen Eschmun,
lag auf der Byrsa von Karthago,^) d. h. also in unmittelbarer Nachbar-
schaft desjenigen der Stadtgöttin. Es scheint aber auch ein Zusammen-
hang zwischen Caelestis und dem in römischer Ausdrucksweise Juppiter
optimus maximus Hammon^) genannten Gotte bestanden zu haben, in dem
sich der kyrenäische Ammon und der phönizische Ba'al Chamman ver-
einigen. ®)
Eine besondere Gruppe von grossem Interesse bilden die thrakisch-
phrygischen Gottheiten,^) unter denen der von den Griechen meist
mit Dionysos, lö) von den Römern durchweg mit Juppiter identifizierte ^0
Savazios^') obenan steht. Obwohl sein Name schon in der republikanischen
>) Herodian. Y 6, 4. Gass. Bio LXXIX
12, 1.
*) Sacratae Not. d. scavi 1892, 407 (vgl.
August, c. d. II 26), wo auch Priesterinnen
und canistrariae erwähnt werden; Priester
mehrfach in Afrika, ein princeps sacerdotium
deae Caelestis in Rom CIL VI 2242.
^) Bezeichnend dafür sind namentlich
die beiden von Bübcheleb mit Recht auf
Caelestis bezogenen Gedichte vom Hadrians-
wall und aus Auzia in Mauretanien, CIL VII
759. VIII 9018 = BuBCHBLEB, Anth. epigr.
nr. 24. 253.
*) z. B. machen leanes des Mithraskultes
eine Weihung an Caelestis, CIL VI 80.
^) Caelesti augustae et Aesculapio au-
gusto et Genio Carthaginis CIL III 993;
sacerdos publiciis deae Caelestis et Äescu-
lapi VIII Suppl. 16417.
•) Strab. XVII 882. Liv. XLI 22, 2.
XLII 24, 3.
7) CIL IIl 8463. VI 378. XI 8077; vgl
II 3729. III Suppl. 11128.
') Interessallt ist namentlich das Ge-
dicht CIL VIII 9018 = BuBCHBLBB, Anth.
epigr. nr. 253, wo Caelestis angeredet wird:
Pan]thea comigeri sacris adiuncta Tonantis,
q\ua^ Libycis Maurisque simul venerabüis
oris [his] etiam colitur terris, quam luppiter
Hammon [inter] utrumque lai[us\ i?i[e]ätam
cum Bite severe [dext]er sede tegit. Im all-
gemeinen vgl. y. Dom ASZBWSKi und Nöldsks,
Westd. Zschr. XIV 73 ff. R. Pietschmann
bei Pauly-Wissowa, Real-Encycl. I 1856.
*) Ueber die ethnographischen und reli-
gionsgeschichtlichen Zusammenhänge der
Thraker und Fhryger vgl. F. Ebbtschmbb,
Einl. in die Gesch. d. griech. Sprache S. 171 ff.,
namentlich S. 194 ff.
^») Cic. de nat. deor. III 58. Flut. Quaest.
conv. IV 6, 2. Macr. S. 1 18, 11. Lyd. de
mens. IV 38.
") Inschriftlich CIL VI 429 f. XI 1323.
XIV 2894.
^') Ueber die Namensform s. üsenbb,
Göttemamen S. 43 f. Ebetsohheb a. a. 0.
S. 195 f. Ueber den Gott im allgemeinen
s. F. Lbnobmant, Rev. archöol. N. S. XXVIII
(1874) 300 ff. 380 ff. XXIX (1875) 43 ff.
Fbelleb-Robbbt, Griech. Mythol. S. 701 f.;
vgl. auch Monum. d. Inst, suppl. t4iv. 28.
E. Sacra peregrina. 60. Sonstige Fremdknlte,
315
Zeit den Römern bekannt war und mit dem des Gottes der Juden deus
Sabaoth vermengt wurde, ^) so haben wir doch keinen Anhaltspunkt für
die Annahme, dass sein Gottesdienst und seine Mysterien, die sacra Savadia*)^
in Rom und Italien früher als gegen Ende des 2. christlichen Jahrhunderts
eingedrungen wären :^) datierte Zeugnisse, wie ein Lageraltar aus Mainz
(v. DoMASZEWSKi, Wostd. Ztschr. XIV 41) und einer der Steine der Equites
singulares (v. J. 241, Henzen, Annali d. Inst. 1885, 273), führen uns nur
bis in die Mitte des 3. Jahrhunderts hinauf, und sicher nicht älter ist
auch der Vincentius antistes Sabazis (CIL VI 142), der die mit den be-
kannten Gemälden geschmückte Grabkammer der Vibia errichten liess>)
Der Zevq Bqovxdv von Dorylaion^) hatte als Deus Bronton oder luppUer
sandus Bronton in Rom Verehrer und Priester,^) während die Annahme,
dass auch der ausschweifende Geheimdienst der thrakischen Kotyto in
Rom geübt worden sei, auf einem Missverständnisse beruht. 7) Von be-
sonderem Interesse sind die zahlreichen im Bereiche des Prätorianerlagers
gefundenen Votivsteine, die im 3. Jahrhundert von thrakischen Ange-
hörigen der cohortes praetoriae den Göttern ihrer Heimat {diis paternis)
gesetzt sind, z. B. dem Deus sanctus Heros, dem Asclepius Zimidrenus,
dem Zbelthiurdos u. a.^) Blieben auch selbstverständlich diese Gottheiten
fremder Soldaten von den Staatsgöttern eben so streng geschieden wie
z. B. die von den keltischen und germanischen Equites singulares verehrten
Fata, Suleviae und Gampestres (s. oben S. 77), so zeigt doch das Beispiel
der ebenfalls keltischen Epona, die seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. auch
in Rom selbst in ziemlich weitem Umfange zur Schutzgöttin der Ställe
geworden ist,^) wie stark unter Umständen wenigstens der Privatkult von
solchen fremden Religionsvorstellungen sich beeinflussen Hess.
Zu den in erster Linie von den Soldaten verehrten Gottheiten ge-
hört auch Nemesis, ^^) und zwar weist nicht nur die grosse Ausdehnung
>) Val. Max I 3, 3 (aus dem J. 615 =
139): It*daeo8f gut Sdbazi lovis culiu Ro-
manos inficere mores conati eranty repetere
domos suas coegit; vgl. F. Gumont, Hypsi-
stos (Rev. de Tinstruct. publ. en Belg. XL
1897 Soppl^m.) S. 5 f.
') Sacerdos sacrorum Savadiorum CIL
X 5197; vgl. Sacra et ritus initiationis ipsius^
quibus Sebadiis nomen est, Amob. \ 2\, wo
auch einige Angaben über den Inhalt der
Mysterien stehen (vgl. Clem. Alex, protr. 2.
Firm. Mat. err. prof. rel. lO, 2).
*) Apul. met. VIII 25 : omnipotens et omni-
parens Vea Syria et sanctus Sabadius et
BeUona et Mater Idaea et cum suo Adone
Venus domina caecum reddant beweist nichts
f&r römischen Kult.
*) Dass diese Gemälde eine direkte Be-
ziehung auf die Sa vazios- Mysterien hätten
(Maass, Orpheus S. 207 ff.), ist nicht er-
weislich.
*) CuMOKT bei Pauly-Wissowa, Reai-
Encycl. ITI 891.
•) CIL VI 432. 733 (vgl. unten S. 317
Anm. 3). 2241. Inscr. gr. Sicil. Ital. 982 f.
^) Die Erwähnungen der spurca Cotyttia
bei Verg. catal. 5, 19 und Hör. epod. 17, 56
sind rein litterarischer Natur und gehen
ebensowenig auf römische Verhältnisse wie
Juven. 2, 92.
8) CIL VI 2797—2860 und dazuMoMMSRN
p. 720; vgL HE17ZEN, Bull. arch. com. III
1875, 83 ff. Hekzen und Visconti ebd. IV
1876, 61 ff. Länciani ebd. VIII 1880, 12.
G. Gatti ebd. XVI 1888, 140.
») Juven. 8, 154. Minuc. Fei. 27, 7.
Tert. ad nat. I 11 = apol. 16. Prud. apoth.
197. CIL VI 293. Annali d. Inst. 1881 Tav.
d'agg. S; s. auch oben S. 77 Anm. 2. 3.
'^) Unter den zahlreichen, meist dem
3. Jhdt. angehörenden Soldateninschriften
ist beachtenswert namentlich CIL VI 2821
(vom J. 246): J. 0. M, et Marti et Nemesi
[ei\ Soli et Victoriae et omnibus diis patri-
ensibus civ{e8) ex prov{incia) Belgica Au-
g{u8ta) Viromanduoru{m) (folgen die Namen
zweier Prätorianer).
316
Religion imd Kultiui der B5mer. IL GOtterlehre.
ihres Kultes in den Dpnauländern, sondern namentlich auch die Thatsache,
dass sie im Bilde mit Diana, der Hauptgöttin der Westthraker (oben
S. 203 Anm. 1) verschmolzen wird^), auf jene Gegenden als lokalen Aus-
gangspunkt ihres Dienstes hin: bei den Truppen wird sie einerseits (an-
knüpfend an griechische Anschauungen) als die Beschützerin der Arena,*)
andererseits als eine der Schutzgottheiten des Exerzierplatzes verehrt, in
welcher Eigenschaft sie den Namen Nemesis campestris führt.') Aber auch
die auf griechischem Boden in der Eaiserzeit weit verbreitete allgemeinere
Vorstellung, die in Nemesis eine mit Tyche-Fortuna identische oder min-
destens nahe verwandte Gottheit sah,^) hat in Rom Eingang gefunden.
Ein auf dem Capitol befindliches Nemesisbild freilich, dessen der ältere
Plinius Erwähnung thut,^) diente gewiss nicht Eultzwecken, aber im
3. Jahrhundert begegnen uns nicht ganz selten sichere Zeugnisse für den
Glauben an eine den Weltlauf beherrschende, <^) aller übrigen Götter Macht
in sich vereinigende Nemesis-Fortuna,^) die von ihren Anhängern, den
Nemesiaci^), in den ausschweifenden Formen der Fremdkulte^) verehrt wird.
Doch scheint sich ihr Dienst mehr auf die unteren und mittleren Schichten
der Bevölkerung beschränkt zu haben; wenigstens finden wir unter den
fremden Gottesdiensten, deren Würden und Grade von den vornehmen
Vorkämpfern des sinkenden Heidentums im 4. Jahrhundert bekleidet werden
(oben S. 87), den der Nemesis nie erwähnt, dagegen — neben den Weihen
des Mithras, der Grossen Mutter, der Isis u. a. — fast ausnahmslos das
Priestertum der Hekate {hierophanta Hecatae),^^) mit dem sich ziemlich
regelmässig die Würde eines archibucolus dei Liieri^^) verbindet. Da die
römischen Hekatemysterien aus Aegina herstammten ^<) und die dortigen
Weihen als von Orpheus begründet galten,^') so haben die Römer wohl
1) CIL m 4788; Snppl. 10440 und mehr
bei J. ZiNOBBLB, Arch. epigr. Mitt. aus Oesterr.
XX 1897, 228 flf.
') So namentlich bei den Amphitheatern
von Aqnincnm (CIL III Sappl. 10439 ff.), Car-
nuntum (Arch. epigr. Mitt. aX 205 ff.) n. a.,
vgl. A. y. Pbemerstbiv, Philol. LIII (N. F.
VII 1894) 407 ff.
>) CIL VI 533 (herrührend von einem
campt doctor); vgl. die ganz ähnliche Wei-
hung an Mar 8 campester CIL II 4088 und
M. SiEBOüRO, De Sulevis Campestribus Fatis
(Dias. Bonn 1886) p. 86 ff.
^) Ueber die griechischen Nemesisvor-
stellungen 8. H. PosNAKSKT, Nemosis und
Adrasteia [Bresl. philol. Abhandl. V 2], Breslau
1890. 0. RossBAOH in Rosohers Mythol.
Lexik. III 117 ff.
») Plin. n. h. XI 251. XXVIII 22; vgl.
Auson. Mos. 879.
<) Regina heisst sie z. B. CIL III 827.
1488. 4008 u. a.; fisydXrj NifABütg ij ßatri-
XevoviTa rov xoafiov Inscr. gr. Sicil. Ital.
1012 = CIL VI 582.
') Amm. Marc. XIV 11, 25 ff. Mart.
Cap. I 88. CIL III 1125: deae Nemesi sive
Fortunae, Hist. aug. Max. et Balb. 8, 6:
Nemesis, id est vis quaedam Fortunae. Dasa
der Restitutionstag des Tempels der Nemesis
in Aquincum, der 24. Juni 214 (CIL III Suppl.
10439), auf das Datum des natalis Fortis
Fortunae (oben S. 206) fällt (Moxxsbn,
Ephem. epigr. IV p. 127), ist wohl nicht mehr
als ein Zufall.
^) Commod. instr. I 19. Paulin. NoI.
epist. 16, 4. Cod. Theod. XIV 8, 3.
*) Nemesis und Magna Mater zusammen
in Ostia, CIL XIV 34; mit Isis wird Nemesis
identifiziert von Apul. met. XI 2, mit der
Sonne von Macr. S. I 22, 2.
»0) CIL VI 504. 511. 1675. Eph. epigr.
VIII 648; bloss Ä^Vro/an^a CIL VI 261. 1778 f.;
${acerdos) d{eae) Hecate VI 500, hierophanta
Hecatar(um) VI 510, vgl. 507.
»') CIL VI 504. 510. 1675. Eph. epigr.
VIII 648; 8{acerdos) d{ei) L{%beri) VI 500,
hierophantes Liberi patris et Heeatarum
VI 507.
'*) Aconia Fabia Paulina, welche hiero-
phantria deae Hecatae ist (CIL VI 1780),
nennt sich sacrata apud Eginam Hecatae
(VI 1779; vgl. sacrata apudAeginam deahus
1780).
>^) Paus. II 30, 2; vgl. A. Dibtbbich, De
E. Sacra peregrina. 60. Sonstige Fremdkulte.
317
die Geheimdienste von Hekate und Dionysos gemeinsam aus Aegina er-
halten. Wo von Hecatae oder deae in der Mehrzahl die Rede ist, sind
darunter Hekate und Persephone zu verstehen (vgl. Apul. met. XI 2), die
Feier der Mysterien in nächtlichem Dunkel und unter düsterem Cere-
moniell^) entspricht dem Charakter der Göttinnen. Offen bleibt die Frage
nach der Zeit, in der der gemeinsame Geheimdienst von Hekate und
Dionysos in Rom Aufnahme fand. Die angeführten Zeugnisse stammen
sämtlich erst aus dem 4. Jahrhundert; da jedoch Mysterien des Dionysos
in Rom mit Sicherheit schon zur Zeit des Septimius Severus nachweisbar
sind (CIL VI 461) und die für diese bestimmten Kultgenossenschaften
{spirae, s. oben S. 248) schon damals Beziehungen zum Hekatedienste haben,')
so werden wir annehmen dürfen, dass dieser ganze Kult im 3. Jahrhundert
sich mehr in den niederen Kreisen der Bevölkerung hielt, im 4. Jahr-
hundert aber unter dem Drucke des siegreich vordringenden Christentums
mit den übrigen sacra peregrina in engere Beziehung trat') und daraufhin
zu jenen vornehmen Gottesdiensten gezählt wurde, durch deren Übung
und Erhaltung man dem absterbenden Heidentume neues Leben einflössen
zu können meinte.
hymnis Orphicis (1891) S. 44 f. Maass, Or-
phens S. 176.
0 Im J. 377 nennt sich Sabina o^yia
Jrjove itai (poßeQag 'Exatrj^ vvxtag inuyrafiiyfj
Inscr. gr. Sic. Ital. 1019; vgl. CIL VI 1779
= BuECHELSR, Anth. epigr. nr. 111, 28 He-
eates ministram trina secreta edoces, Zosim.
IV 3.
j) CIL VI 261 Fla{ma) Procia Cal{0'
caeri) et spira; pro salu{te) Augg, nn. M.
A'UT{eliu8) Sabinus d. d, d. 8uppl(icante) C.
Itd{io) CaXocaero ierof{anta) steht auf der
Basis einer Hekatestatue ; vgl. CIL XI 671
sacerdoB Liberi et Ecate,
*) Ein scLcerdoB dei Brontofitis et Aecate
gründet ein spelaeum des Mithras, CIL VI
783; Annäherung an Magna Mater beweist
die Wendung Cihelea triodeia signa CIL VI
511 = BuEOHELEB, Anth. epigr. nr. 1529 A 5;
unter den zahlreichen Gottheiten, deren Quali-
täten Isis in sich vereinigt, erscheint Hekate
schon bei Apul. met. XI 5.
Dritter Teil.
Die Formen der Götterverehrung.
61. Sacralrechtliche Grundlagen. Zwischen dem Römer, dem ein-
zelnen sowohl wie der Gemeinde, und der Gottheit besteht ein fester
Rechtsverkehr, der sich nach den Sätzen des vom ius humanum streng
geschiedenen ius divinum vollzieht; 0 dieses ius divinum greift sowohl in
öffentliche wie in private Rechtsverhältnisse ein, da aber der Staat nicht
nur im Namen der Gesamtheit zur Gottheit in Beziehung tritt, sondern
iauch den Einzelverkehr seiner Bürger mit ihr regelt und beaufsichtigt,
so bildet das ius sacrum einen Teil des ius publicum,^) Grundlage und
Voraussetzung für die gesamte Götterverehrung ist das Gefühl der Ab-
hängigkeit von der göttlichen Macht und Fürsorge (religio)^) und der Wunsch,
die höheren Gewalten sich gnädig zu stimmen und zu erhalten, als dessen
Ausfluss sich der gesamte öffentliche wie private Gottesdienst giebt: er
erhält seine bestimmte Gestaltung durch eine lange Reihe von Einzelfest-
setzungen, indem der Staat oder der Einzelne in rechtsverbindlicher Form
Verpflichtungen zu einmaligen oder wiederkehrenden Leistungen eingeht
und durch deren gewissenhafte Einhaltung auch die Gottheit an die Er-
füllung der mehr oder weniger ausdrücklich ausbedungenen Gegenleistungen
für gebunden erachtet, mag diese Gegenleistung in der dauernden Gewäh-
rung und Erhaltung der göttlichen Huld, wie sie sich in Fernhaltung alles
Bösen und Herbeiführung alles Guten und Erwünschten zeigt, bestehen
oder in einer Dokumentierung dieser Huld im Einzelfalle durch Abwen-
dung einer bestimmten Gefahr oder Leitung eines speziellen Beistandes.
*) Gai. II 2: summa itaque rerum divi-
sio in duo8 articulos diducituff nam aliae
sunt divini iuris, aliae humani. Serv. Georg.
I 269: fas et iura stnuntf id est divina hu-
manaque iw/apermittunt: nam ad religionem
fas, ctd homines iura pei'tinent.
*) Ulpian. Dig. II, 1, 2: publicum ius
est, quod ad statum rei Bomanae spectat.
privatum quod ad singulorum utilitatem ....
publicum ius in sacris, in sacerdotibus, in
magistratibusconsistit: vgl.MoMiiSEN, Staatsr.
II 52.
') Cic. de har. resp. 19: pietate ac re-
ligione atque hac una sapientia, quod deo-
rum numine omnia regi gubemarique per^
speocimuSy omnis gentis nationesque supera-
vimus; de inv. II 161: religio est, quae
superioris cuiusdam naiui ae, quam divinam
vocant, curam caerimoniamque affert, Cicero
leitet das Wort von relegere (Gegensatz
neglegere) ab (de nat. deor. 11 72, dagegen
Lact. inst. div. IV 28, 3 ff., vgl. Serv. Aen.
VIII 349 : religio id est meius ab eo quod
mentem religet dicta religio).
61. Saoralrechtliohe Qnmdlagen. 319
Der Grundstock der sacralen Verpflichtungen des Staates geht zurück bis
auf seine Anfänge. Wie bei der Begründung einer colonia civium Borna-
norum auf die Konstituierung des neuen Gemeinwesens sofort die Regelung
seiner sacralen Verbindlichkeiten durch die ersten Magistrate unter Mit-
wirkung des Gemeinderates erfolgt,^) so denkt man sich in der Vorzeit
die Begründung der römischen Staatsreligion : nachdem Romulus die Stadt-
gründung vollzogen und die junge Gemeinde nach aussen gesichert und
im Innern gegliedert hat, ordnet sein Nachfolger die sacra populi Romani:*)
mögen die Götter an sich auch selbstverständlich älter sein als der römische
Staat, römische Staatsgötter gibt es erst nach der Begründung des römi-
schen Staates, die römische Religion ist eine Staatseinrichtung sowohl was
die Auswahl der Götter^) als was die Form ihrer Verehrung*) anlangt.
Dieser ganze Kreis, der auf die älteste Religionsordnung zurückgehenden
Sacra patria bleibt, einmal durch Vertrag des die Gemeinde vertretenden
Königs mit der Gottheit festgesetzt, für alle Zeiten unverändert bestehen,
und es ist oben S. 15 ff. dargelegt worden, dass die Gottheiten, deren
Verhältnis zum römischen Volke als auf jenen ältesten Sacralverträgen
beruhend gedacht wurde, die di indigetes^ bestimmte Sonderrechte genossen,
indem sie allein Einzelpriester (flamines) besassen, nur ihre Festtage ein
für allemal consecriert d. h. als feriae dem menschlichen Verkehre ent-
zogen waren und nur auf ihren Dienst das schwierige und komplizierte
alte Geremonialgesetz Anwendung fand. Dieser Grundstock sacraler Ver-
pflichtungen des römischen Staates hat aber eine andauernde Vermehrung
erfahren, indem von seiten der Gemeinde stets neue Verbindlichkeiten
eingegangen wurden, sei es zu neuen Leistungen gegen die bereits aner-
kannten Staatsgötter sei es gegen neue Gottheiten zur Aufnahme ihres
Kultes.
Die Form, in welcher sich die Übernahme solcher neuen Verbind-
lichkeiten in der Regel vollzieht, ist das Votum, d. h. die in rechts-
verbindlicher Form gegebene Feststellung sowohl dessen, was der Ge-
lobende von der Gottheit erbittet, als dessen, was er für den Fall der
Gewährung seiner Bitte jener als Gegenleistung darzubringen sich ver-
') Lex. Colon. Genet. (CIL II Snppl. 5489) I de divinis, quia divinae istae ah hominibus
0. 64: -//vfr(t) quicumque post c(H(oniam) \ constitutae sunt, ?iaec rcUio est: ^sictU prior
deductam erunt, n in diebus X proxumis,
quibua eum fnag(istratum) gerere coeperint,
at decuriones referunto . . . guos ei quot dies
festos esse et quae sacra fieri pttblice placeat
et quos ea sacra facere placeat, Ueber die
zu yerehrenden Götter erübrigt sich jeder
Beschlciss, da die Kolonien als quasi effigies
parvae simülacraque populi Romani (Gell.
XVI 13, 9) natttilich die rOmiscben Staats-
götter verehren.
') Liv. 119. Cic. de rep. II 26 and mehr
bei ScHWBGLEB, Rom. Gesch. 1 540 ff.
') Liv. XXXIX 15, 2: hos esse deos, quos
colere venerari precarique maiores vestri
instituissent Varro ant. rer. div. I bei August,
c. d. VI 4 : Varronis igitur confitentis, ideo
se prius de rebus humanis scripsisse, postea
esf^ inquit „pic^or quam tabula picta, prior
faber quam aedificium, ita priores sunt et-
vitates quam ea, quae a civüatibus instituta
sunt*, dicit autem prius se scripturum
fuisse de dis, postea de hominibtis, si de
omni natura deorum scriberet,
*) Liv. I 20, 5 : pontificem deinde (Numa)
. . . legit eique sacra omnia exscripta ex-
signataque attrihuit, quibus hostiis, quibus
diebus, ad quae templa sacra fierent atque
unde in eos sumptus pecunia erogaretur,
Cic. Sest. 91 : tum res ad communem utili-
tatem, quas pubTicas appellamus, tum con-
venticula hominum, quae postea dviiates
appellatae sunt, domicilia coniuncta, quas
urbes dicimus, invento et divino iure et
humano, moenibus saepserunt.
320
Religion und Koitus der BOmer. IIL Knltns.
pflichtet. 0 Mit dem Augenblicke der feierlichen Aussprache dieses Ge-
lübdes^) ist der Gelobende bezw. die durch ihn vertretene Gemeinde an
diese Erklärung gebunden; bis zu dem Zeitpunkte, der über Erfüllung
oder Nichterfüllung seiner Bitte entscheidet, befindet er sich in derselben
Lage wie der Angeklagte bei noch schwebendem Prozesse,') sobald das
Erbetene eingetreten ist, ist er rechtskräftig zur Erfüllung der gelobten
Gegenleistung verurteilt:*) diese Erfüllung (votum solvere, reddere) geschieht
durch Vollziehung der gelobten Handlung oder durch Überweisung der
gelobten Sache an die Gottheit, die ihren Teil des Pactes erfüllt und da-
mit die Gegenleistung verdient hat: votum solvit lubens merüo ist darum
die offizielle und unzählige Male wiederkehrende Formel.^) Die Anlässe
zu den vota publica sind ebenso mannigfacher Art wie die der zahlreichen
aus den Weihinschriften uns bekannten Privatgelübde. Erstreckt sich
der Inhalt der Bitte, für deren Erfüllung das Gelübde gethan wird, auf
das Staatswohl im allgemeinen, so wird das Votum auf eine bestimmte Zeit
gestellt und nach deren Ablauf nicht nur eingelöst, sondern zugleich durch
ein neues für den gleichen Zeitraum der Zukunft ersetzt: im Verfolg
solcher regelmässig fortlaufender vota pro reipublicae salute erfolgen sowohl
die Antrittsopfer der höchsten Staatsbeamten am Tage des magistratischen
Neujahrs^) wie am Abschlüsse einer jeden Gensusperiode das Opfer des
lustrum'^) und in der Kaiserzeit die diesen nachgebildeten Feiern pro sa-
lute imperatoris einerseits am Beginne eines jeden Kalenderjahres,^) an-
dererseits für längere Perioden von 5, 10 oder 20 Jahren {vota quinquen-
nalia, decennalia, vicennalia).^) Für die Mehrzahl der Gelübde aber ist
der Anlass ein spezieller, eine ausserordentliche und gefährliche Situation
des Staates, in der man sich des besonderen Schutzes der Götter dadurch ver-
sichern will, dass man ihnen für den Fall eines guten Ausganges bestimmte
Versprechungen macht; so regelmässig beim Auszuge des Feldherrn zum
Kriege*®) oder vor der Entscheidung einer schweren Schlacht, *0 bei Seuche
') Zum Folgenden vgl. ausser Mabquabdt,
Staatsverw. III 264 ff. namentlich A. Peb-
KICE, Sitz.-Ber. Akad. Berlin 1885, 1146 ff.
^) Der Terminus dafür ist vota nun--
cupare (Varro de 1 1. VI 60. Fest. p. 178),
daher bei den Arvidbrüdem die Formel tna-
gister coUegi fratrum Arvalium nomine vota
ntmcupavit in ea verba quae infra scripta
sunt (Henzen, Acta S. 95 f.) und der Name
votorum nuncupatio für den Festact des
8. Januar (CIL 1 ' p. 305. Marqüabdt a. a. 0.
S. 267); concipere votum ist der Ausdruck
für die Feststellung des Wortlautes, sus-
cipere votum für die Anerkennung der durch
das Gelübde begründeten Verpflichtung.
") voti reus Verg. Aen. V 237. Macr.
S. III 2, 6 (reus qui suscepto voto se numi-
nüms obligat), Serv. Aen. IV 699; über die
Bedeutung von reus (omnes quorum de re
disceptatur Cic. de erat. II 183) vgl. Momic-
SBK, Strafr. 189 f.
*) voti (oder voto) damnatus Verg. Ecl.
5, 80 und dazu Serv. Nepos Timol. 4, 8. Liv.
V25, 4. VII 28,4. X 37, 16. XXVII 45, 8.
XXXIX 9, 4; ältere Zeugnisse bei Non. p. 276.
*) vgl. auch z. B. Ovid. trist IV 2, 56
ei dabitur merito laurea vota lovi und mehr
bei Bbissonius, De formulis 1 170. Für Votiv-
gaben von Privatleuten reiche Materialsamm-
lung bei A. db-Mabchi, II culto private dei
Romani I 271 ff.
^) MoMxsBN, Staatsr. I 594 f.
') Suet. Aug. 97 cum . . . lustrum con-
der et . . . vota, quae in proximum lusirufn
suscipi mos est, coüegam suum Tiberium
nuncupare iussit; mehr bei Momksbn, Staatsr.
II 406.
») Cass. Dio LI 19, 7 zum J. 724 = 80.
Henzbn, Acta fratr. Arval. S. 89 ff. Mab-
quABDT a. a. 0. 266 f.
^) Mabquabdt, a. a. 0. 268.
><>) Moxmsbn, Staatsr. I 61,6.
>>) z. B. Liv. X 19, 17: Bellona, si hodie
nobis victoriam duis, ast ego tibi templum
voveo.
61. Saoralreohtliohe Ornndlageii.
321
und Misswachs oder überhaupt jeder Bedrohung der Existenz des Staates,
wo man durch vota quinquennalia (Liv. XXXI 9, 9) oder decennalia ge-
wissermassen eine göttliche Garantie für das Fortbestehen des Staates
zu erreichen sucht ;^) in der Kaiserzeit begegnen uns dann die zahlreichen
ausserordentlichen Vota z. B. aus Anlass einer Erkrankung des Kaisers
oder seines Auszuges zum Kriege {pro valetudine, pro salute et incolumitate,
pro redüu et vidoria imperatoris).^) Nach der Beschaffenheit der im Ge-
lübde enthaltenen Bitte richtet sich die Wahl sowohl der Gottheit, an die
man sich wendet, als auch der Leistung, die man ihr darbietet. Die
regelmässigen Vota am Jahresanfang wie . die beim Auszuge zum Kriege
wenden sich an die Gottheiten des Gapitols als die höchsten Vertreter
der gesamten Staatsgötter, das Gelübde beim Lustrum an den Kriegsgott
Mars; wenn in schwankender Schlacht Mars, Bellona, Victoria, Juppiter
Victor, bei Seuchen pro valetudine populi Apollo und Aesculapius, bei einem
Erdbeben Tellus, im Seesturm die Tempestates Gelübde erhalten, so ist
das leicht zu verstehen, und die lange Reihe von Gottheiten, denen die
Arvalbrüder beim Auszuge Trajans gegen die Dacier Gelübde darbringen
(CIL VI 2074 I 23 ff.), lässt die Gesichtspunkte der Auswahl deutlich er-
kennen: überall ist es hier der Gott, in dessen Machtbereich der erbetene
Erfolg oder die abzuwendende Gefahr fallt. Aber auch andere Erwägungen
können massgebend sein, z. B. wenn man im Kampfe den Gottheiten der
Feinde ein Gelübde thut.^) Nur eine besondere Form dieses Gelübdes ist
der Ritus der Evocation, vermittels dessen man vor dem Entscheidungs-
kampfe die Götter der belagerten feindlichen Stadt bat, die Sache ihrer
bisherigen Schutzbefohlenen aufzugeben und diese den Römern zu über-
lassen, wofür ihnen in Rom Tempel und Gottesdienst zugesichert wurde :^)
dieses Gelübde ist nichts anderes als die rechtskräftige Anerkennung der
Verpflichtung des römischen Staates, in die sacralen Verbindlichkeiten der
von ihm politisch oder thatsächlich zu vernichtenden Gemeinde seinerseits
einzutreten (s. oben S. 39), einer Verpflichtung, der die Römer innerhalb
eines bestimmten lokalen Nachbarkreises ihrer Stadt (oben S. 44) un-
weigerlich nachgekommen sind, ohne sie aber über diesen hinaus für die
Gottheiten fernerer und fremderer Stämme und Völker anzuerkennen.
') z. B. Liv. XXII 10, 2: si res publica
populi Romani Qudritiutn ad quinquennium
proximum, sictU velim eam scUvam, servata
erü hisce duellis, quod duellum poptUo Bo-
mano cum Carthaginiensi est quaeque duetta
cum Gallis sunt, qui eis Alpes swnt, tum
donum duit populus Bomanus Quiritium
u. B. w.
') Hbnzbn, Acta S. 114 ff. Ueber die
Decennalia (Quinquennalia, Vicennalia) der
Kaiser s. Eckhbl, D. N.Vm473ff. Eioh-
BTAiDT, Opnsc. erat. U 208 ff. Henzbn a. a. 0.
S. 107. L. Schwabe, Die kaiaerlichen De-
cennalien nnd die alexandrinischen Münzen,
Tübingen 1896, besonders S. 26 f. Wissowa,
Beal-Encycl. IV 2265 ff.
') Das Musterbeispiel dafür in der Ueber-
lieferong ist die Gelobnng des Gastortempels
Bandbiiob der klana. Altertanunriflsenscbaft. V. 4.
durch den rümischen Diktator A. Postumius
in der Schlacht am See RegiUus (Liv. II 20,
12 ibi nihil nee divinae nee humanae opis
dictator praetermittens aedem Castori vo-
visse fertur), weil Gastor der Hauptgott von
Tusculum ist (oben S. 217 f.), unter dessen
Führung die Latiner gegen Rom kftmpfen;
diejenige Form der Ueberlieferung, die von
einem Eingreifen der Dioskuren in die Schlacht
zu Gunsten der Römer zu erzählen weiss
(ScHWEGLBB, Rom. Gosch. II 64), verkennt
das Motiv des Gelübdes.
^) evocari deum, cuius in tuiela id
oppidum esset, promittique Uli eundem aut
ampliorem apud Romanos cultum Plin. n.
b. XXVIII 18, die Formel bei Macr. S. III 9,
7 f. ; mehr oben S. 39 Anm. 8.
21
322
Religion und Koltna der Römer, m. Enltns.
Ebenso ist eine spezielle Gattung des Votum die Devotion, d. b. ein
während des Kampfes vom römischen Feldherrn den Unterirdischen 0 dar-
gebrachtes Oelübde, durch welches dieser die Preisgabe des eigenen Lebens
oder desjenigen eines von ihm bezeichneten römischen Kämpfers verspricht*)
und als Gegenleistung von den Göttern die Vernichtung der feindlichen
Heeresmacht erbittet: dabei ist das Eigenartige das, dass die gelobte
Handlung im voraus, vor Eintritt der göttlichen Gegenleistung, vollzogen
wii'd, indem der Devovierte den Tod im Kampfe sucht: findet er ihn, so
haben die Götter den Pakt angenommen und sich zur Erfüllung ihres
Teiles verpflichtet, nehmen sie aber das Opfer seines Lebens nicht an, so
bleibt der Devovierte, falls es der Feldherr selbst ist, Zeit seines Lebens
als ein mit ungelöster Gelübdeschuld Behafteter impius, während der vom
Feldherm devovierte Legionär im gleichen Falle durch eine symbolische
Ersatzleistung und ein Piacularopfer gelöst werden kann.^) Der Brauch,
der uns nur aus den Erzählungen vom Opfertode der beiden Decier be-
kannt ist,^) ist frühe verschollen,^) später hat sich im privaten Leben
wenigstens der Name der devotio noch erhalten einerseits in den Ver-
wünschungen feindlicher Personen, die man den Unterirdischen zur Hin-
rt^ung empfiehlt,^) andererseits in der zur Phrase gewordenen Selbst-
devotion für das Wohl des Princeps.')
Die im Votum den Göttern versprochenen Leistungen können sehr
mannigfacher Art sein; die bedeutsamste ist die Weihung eines Tempels
oder Altars, sei es dass damit ein neuer Gottesdienst erst begründet
wird oder ein alter eine neue Kultstätte erhält, aber auch jede andere
Art von Leistung ist vertreten, die Ansetzung ausserordentlicher feriae,
die Abhaltung von Spielen, Ausrichtung von Opfern und sonstigen sacralen
Handlungen, Stiftung von Weihgeschenken u. s. w. Geht das Gelübde auf
') Es sind die Di manes und Tellus
(Liv. VIII 6, 10. 10, 9. X 28, 13. 29, 4), und
der Hinweis darauf liegt auch in der Zu-
sammensetzung de-votio, wenn man auch
später häufig devovere ohne besondere Nuance
gleichbedeutend mit vovere gebrauchte (Bei-
spiele bei Pernice a. a. 0. S. 1156, 1).
*) Liv. VIIl 10, 11: ülud adiciendum
videtur, licere constUi dictatorique et prae-
tori, cum legiones hostium devovecU, non
utique se, sed quem velit ex legione Romana
scripta civem devovere.
') Liv. VIII 10, 12: si is homo, qui de-
votus est, moritur, probe factum videri; ni
tnoritur, tum Signum Septem pedes altum
aut maius in terram defodi et piaculum
hostiam caedi sin autem sese de-
vovere volet, sicuti Deciua devovit, ni mori-
tur, neque suum neque publicum divinum
pure faciet, sive hostia sive quo aJio volet.
*) Liv. VIII 6, 9 flf. 9, 1 flf. 10, 11 ff. (dort
aus guter antiquarischer Quelle das Formular
des cai^men devotionis und Angaben über
die Förmlichkeiten und Rechtsgrundlagen
der Devotion). X 28, 13 ff.; die Nachricht
bei Liv. V 41, 3 ist apokryph (s. unten S. 338
Anm. 7).
^) Das bei Macr. S. III 9, 10 f. mitgeteilte
Carmen verrät nicht nur dadurch, dass es
auf die Eroberung von Karthago gestellt ist
und den griechischen Dis pater erwähnt (s.
oben S. 190 f.), jüngeren Ursprung, sondern
betrifft überhaupt keine wirlcliche devotio
im technischen Sinne, sondern die consecratio
des Gebietes von Karthago (Gic. de leg. agr.
1 5. II 51); vgl.WissowA, Real-Encycl. IV 901
und V n. d. W. Devotio.
^) hunc ego apud vostrum numen de-
mando, devoveo, desacrifico, CIL XI 1823;
vgl. Mabqüabdt a. a. 0. S. 111 A. 7 und das
ganze Material bei Wünsch, Defixionum ta-
bellae Atticae p. XXV ff.
^) Auch wo es sich um wirkliches Votum
handelt, fehlt doch die Vollziehung im voraus,
Cass. Dio LIX 8, 3 ; übrigens bezeichnet Cass.
Dio LI II 20, 2 den Brauch als tdv tiay *lfii^Qmw
TQonoy (vgl. auch Val. Max. II 6, 11); er hat
mit der altrömischen Devotion ebensowenig
etwas zu thun, wie die bei Serv. Aen. III 57
(aus Petron) erwähnte massiliensische Sitte
(s. darüber H. Usenbr, Sitz-Ber. Akad. Wien
CXXXVII 1897, III 59 ff.).
61. Saoralreohtliohe Qrandlagen.
323
eine Handlung, so wird es eingelöst durch deren Vollziehung, geht es auf
eine Darbringung, gleichviel ob es sich um die Stiftung einer Eultstätte
oder um die Übergabe einer beweglichen Sache handelt, so erfolgt die
Überweisung durch den Akt der Dedication, durch den sich der Ver-
pflichtete des Eigentumsrechtes an der gelobten Sache entäussert und sie
an die Gottheit auflässt; geschieht diese Überantwortung an die Gottheit
von Staatswegen, so ist die Dedication zugleich Gonsecration, d. h. das
geweihte Objekt wird Göttergut, res sacra, und damit dauernd dem mensch-
lichen Rechtsverkehr entzogen.') Der Privatmann kann zwar von seinem
Eigentume der Gottheit dedicieren, aber diese private Dedication hat nicht
jene Veränderung des gesamten Rechtszustandes der geweihten Sache zur
Folge,*) die von einem Privatmann geweihte Örtlichkeit oder Weihgabe
wird nicht res sacra, sie bleibt profaii, wird aber eine res religiosa, d. h.
sie steht zwar als religione obligata unter göttlichem Schutze,^) doch wer
sich an ihr vergreift, begeht kein sacrilegium.*)
Wenn die Römer sich selbst gern als religiosissimi mortalium (SalL
Gat. 12, 3) bezeichnen und die Griechen, wenn sie sich die Frage nach
den Ursachen der Stärke und der Erfolge des römischen Staates vorlegen,
die Grösse Roms in seiner evaäßeia und SsKTidaifiovia begründet finden,^)
so tri£ft diese Anschauung in der That einen der Eörnpunkte des gesamten
römischen Wesens. Denn wie bei keinem andern Volke ist bei den Römern
der Verlauf des ganzen privaten und öffentlichen Lebens mit sacralen Be-
ziehungen durchsetzt und in jedem Augenblicke an die Gottheit geknüpft.
Am deutlichsten tritt dies hervor in der der römischen Religion eigen-
tümlichen Lehre von den Auspicia.^) Das Gefühl der Abhängigkeit von
der Gottheit findet darin seinen Ausdruck, dass man weder im privaten
noch im öffentlichen Leben eine wichtigere Handlung ^) anders als in Über-
einstimmung mit dem Willen der Gottheit vornehmen zu dürfen meint;
man holt daher einerseits vor einer jeden solchen Handlung in ganz be-
stimmter, durch die alte disciplina auguralis bis ins einzelnste geregelter
Form die Zeichen der göttlichen Zustimmung ein (auguria impetrativä),^)
') Ueber dedicatio und conaecratio s.
Mabquardt a. a. 0. S. 269 ff., der aber das
Verhältnis der beiden Akte zu einander nicht
richtig auffasst. Pbbnice a. a. 0. 1150 ff.
WiBsowA, Real-Encyd. IV 896 ff. 2356 ff.
*) Fest. p. 318. 321 Gaüus Aelius ait
scuTum esse, quodcumque more atque insii-
tuto dvücUis consecratum sit, swe aedis
sive ara sive Signum sive lociis sivepecunia
sive alitid, quod dis dedicatum atque conse-
cratum Sit; quod autem privati suae reli-
gionis causa aliquid earum rerum deo de-
dicent, id pontifices Romanos non existi-
mare sacrum; vgl. 6ai. II 5. Marcian. Dig.
I 8, 6, 3.
*) Masnrios Sabinns bei GeU. IV 9, 8
religiosum est, quod propter sanctitatem
aiiquam remotum ac aepositum a nohis est;
vgl. Fest. p. 278. Pernigb a. a. 0. 1153.
Die grösste Bedeutung hat der Begriff des
religiosum in der Lehre von den loca reli-
giosa, speziell im Gräberrecht (s. unten § 65).
*) Daher die Scheidung von pecuniae
publicae, sacrae, rehgioaae (Mommsen, Strafr.
S. 763, 2) und der Rechtssatz qui privata
Sacra vel aediaüas incustoditas temptaverunt,
amplius quam fures, minus quam sacrüegi
merentur (Paul. Dig. XLVIII 13, 11, 1).
') s. namentlich die berühmte Polybius-
stelle VI 56 und Poseidonios bei Athen. VI
274 A; vgl. auch Marquabdt a. a. 0. S. 54
A. 3.
•J MoMMSEN, Staatsr. 1 73 ff. 1. M. J. Va-
LETOH, Mnemos. N. 8. XVII 275 ff. 418 ff.
XVni 208 ff. 406 ff. XIX 75 ff. 229 ff.
WissowA, RealEncycl. II 2580 ff., vgl. auch
2330 ff.
') Cic. de div. 1 28 (= Val. Max. I1 1 , 1) :
nihü fere quondam maioris rei nisi auspicato
ne privatim quidem gerebatur.
") Serv. Aen. III 89: augurium est ex-
quisita deorum voluntas per consultationem
21*
324
Religion nnd Kultus der BOmer. IIL Ealtas.
andererseits unterlässt man die bereits begonnene Ausführung, wenn wäh-
rend ihres Verlaufes die Gottheit durch unverkennbare Zeichen ihrer Miss-
billigung {auguria oblativa) die vorher erteilte Zustimmung zurücknimmt.
Im privaten Kulte allmählig verkümmert, 0 hat die Auspication im öffent-
lichen Leben die bedeutsamste Rolle gespielt: da alle wichtigeren Hand-
lungen der Gemeinde in der Stadt und im Felde nur auspicato vorgenommen
werden dürfen, 2) die Einholung der Anspielen aber demselben Magistrate
zufallt, der die Handlung selbst auszuführen hat, so ist auspicium neben
imperium der Ausdruck für die Machtfülle der Obrigkeit, und da diese
Machtfülle durch die immer wieder auspicato erfolgende Neubestellung vom
Vorgänger auf den Nachfolger übergeht, so bilden diese nie unterbrochenen
auspida populi Romani, d. h. Zustimmungserklärungen der Gottheit zu den
öffentlichen Handlungen des Staates, eine einheitliche dauernde Garantie
der Gottheit für Bestand und Wohlergehen der Gemeinde. Dieser näm-
lichen Grundanschauung von der Unterstellung aller menschlichen Dinge
unter die göttliche Billigung und Aufsicht entstammt es, dass in Rom das
gesamte Privatrecht nach Form und Inhalt sich in engstem Zusammen-
hange mit dem ius sacrum entwickelt hat und die eigentlichen Bewahrer
des geistlichen Rechtes, die Pontifices, auch seit alter Zeit die Sätze des
ius civüe in ihrer Obhut hatten und erst im Laufe der Zeit diese Auf-
gabe an die weltliche Rechtswissenschaft abtraten.^) Eine Erinnerung an
diese frühere Ordnung ist es, wenn auch in späterer Zeit noch der Römer
eine Reihe privater und öffentlicher Rechtsgeschäfte interpositis rebus divinis
(Fest. p. 329) vollzieht und dadurch unter die Gewähr der Götter stellt.*)
Dies ist der Fall bei der Eheschliessung durch confarreatio, bei welcher
die certa et soUemnia verba (Gai. I 112. Ulpian. frg.9), d. h. doch wohl die die
Ehe begründende Erklärung der Brautleute, nicht nur vor zehn Zeugen,
sondern auch in Anwesenheit der Priester und im Anschlüsse an eine
Opferhandlung ausgesprochen werden.^) In welcher Weise bei der sponsio
das in ihr ursprünglich enthaltene sacrale Element^) zur Geltung kam,
avium aut signorum, quod tunc peti debet,
cum id quod animo agitamus per augurium
a diis volumus impetratum. VI 190: auguria
aut oblativa sunt, quae non poscwitur
(vgl. XII 259)^ aut impetrativa, quae optata
veniunt
') Die privaten Auspizien (vgl. Cato bei
Fest. p. 234. Liv. VI 41, 6) bestehen dem
Namen nach noch fort in den nuptiarum
auspices (Plaut. Gas. 86. Varro bei Serv. Aen.
IV 45. Cic. a. a. 0. Lucan. II 371. Tac. ann.
XI 27. XV 37. Juv. 10, 336), die den Rest
einstiger au^icia nuptiarum (Serv. Aen. IV
166; vgl. I 346. IV 45. Plin. n. h. X 21)
darstellen; vgl. Db-Mabchi, Gulto privato
I 153 flF.
') Liv. I 36, 6: ut nihil belli domique
nisi auspicato gereretur, concilia populi,
summa rerum, übt aves non admisissent,
dirimerentur, VI 41, 4: auspiciis bello ac
pace, domi müitu.eque omnia geri quis
ignoret.
*) Fest. p. 185: pontifex maximus . . .
iudex atque arbiter habetur rerum divinarum
humanarumque (andere Stellen bei Mab-
QüABDT, Staatsverw. lU 317, 4); vgl. Momksek,
Staatsr. II 33 ff. Mabqüardt a. a. 0. 302 ff.
P. Jobs, Rom. Rechtswissensch. z. Zeit d.
Repnbl. I 15 ff. R. Masohkb, Profan- und
Sakralrecht, Festschr. f. Ludw. Friedliinder
(1895) S. 322 ff.
*) Zum Folgenden s. H. A. A. Dakz,
Der sakrale Schutz im röm. Rechtsverkehr,
Jena 1857. Pernicb a. a. 0. 1159 ff.
^) Die Stellen oben S. 104, vgl. 119; s.
A. RossBAGH, Unters, über die röm. Ehe
S. 95 ff. Pbbnioe a. a. 0. 1161 f. De-Mabcbi
a. a. 0. I 155 ff. R. Lbonhabd bei Padlt-
W188OWA, Real-Encycl. IV 862 ff. (dort wei-
tere Litteratur).
•) Fest. p. 329: Verrius . . sponsum et
sponsam ex graeco dictam ait quod ii anoy^
dag interpositis rebus divinis faciant; vgl.
Pebnice a. a. 0. 1159 f.
61. Saoralreohtliohe Grundlagen.
325
wissen wir nicht, um so genauer sind wir Über die Form der mit Hilfe
der Fetiales abgeschlossenen Abmachungen von Volk zu Volk, insbesondere
über den Abschluss des foedus,^) unterrichtet: nachdem die einzelnen Be-
stimmungen des durch die beiderseitigen Feldherren vereinbarten Ver-
trages verlesen worden sind, ergreift der Priester das Wort, um die Götter
zu Zeugen*) für die Erklärung aufzurufen, dass das römische Volk an
diesem Vertrage unverbrüchlich festhalten wolle; für den Fall des bös-
willigen {publico consilio dolo malo) Vertragsbruches ruft er die Strafe der
Gottheit auf das römische Volk und auf sich selbst herab, indem er
diese Verwünschung anknüpft an das gleichzeitig von ihm in altertüm-
licher Weise vermittels des heiligen sUex (oben S. 103) vollzogene Opfer
eines Ferkels.^) Dieselbe Selbstverwünschung {exsecratio), nur ohne die
begleitende Opferhandlung und die symbolische Beziehung, finden wir in
jedem Eide: denn auch in ihm wird die Erfüllung einer Verpiflichtung
oder eines Versprechens dadurch unter höhere Garantie gestellt, dass
man die Gottheit zum Zeugen nimmt und ihr die Bestrafung des Eid-
bruches anheimstellt:^) denn ein Falscheid ist eine Beleidigung der zur
Zeugenschaft angerufenen Gottheit. Ihr bleibt auch die Bestrafung des
Meineidigen überlassen, der Staat greift auf Grund der Anschauung deorum
iniuriae dis curae (Tac. ann. I 73) nicht strafend ein,^) nur die censorische
Rüge stellt die Infamie des Sacralverbrechers (impius) fest.^) Und was
hier der Schwörende für den Fall der Verletzung seines Eides selbst auf
sich herabruft, das verhängt der Staat in seinen ältesten Strafgesetzen als
Strafe über Verbrecher: die Bestrafung des Frevlers an der Gemeinde tritt
in ihrer ältesten Form auf als consecratio capitis et bonorum,'^) der Verbrecher
samt seiner Habe wird als sacer erklärt,^) d. h. als der Gottheit, oder viel-
0 MoiofSBN, Staater. 1237 ff. Marquabdt,
SUatsverw. III 428 ff.
*) audi luppiter Liv. I 24, 7 (Juppiter
Mars Quirinus nennt genauer Polyb. III 25, 6);
dieselbe Anmfong samt der Selbstverwün-
schung für den Fall der Ungerechtigkeit der
eigenen Sache auch bei der clarigatio (Liv.
I 32, 6 f., vgl. 10), dagegen fehlt beides bei
der Kriegserklärung (Liv. I 32, 13. Gell.
XVI 4, 1).
') twn illo die, luppiter, populum Ro-
manum sie ferito, ut ego hunc porcum hie
hodie feriam Liv. 1 24, 8 (vgl. IX 5, 3. XXI
45, 8); darauf wird das Ferkel mit dem silex
erschlagen und dieser fortgeworfen mit der
Verwünschung der eigenen Person : evoQxovyji
fiiy noieiy xaya&a' ei d^aXXtog dtayofj&eitjy
T( 17 n^^aifjLi, nayttoy rtoy aXXtoy ato^o/Ä^y(oy
iy tttif i&ittig nargiaiy, iy roTg i&ioig yofjtotg,
ini XdSy iditoy ßltay IsQuy xdtptoy, iyto fioyog
ixniaoi/Äi ovratg <og o&b Xif^og yvy Polyb. III
25, 6; vgl. Paul. p. 115: si sciena fallo, tum
me Diespiter scUva urhe arceque bonis eiciat,
uti ego hunc lapidem. Plut. Sulla 10.
*) Plut. Qu. Rom. 44: nag ogxog eig
xattcgay TfAftrr^ r^g iniogxiag; Beispiele
Liv. XXII 53, 11: si sciens fallo, tum me
luppiter 0, M. domum famüiam remque
meam pessimo leto adficiat, Plin. pan. 64 :
nie iuravit expressit explanavitque vei'ba,
quibus Caput auum, domum suam, si sciens
fefellisset, deorum irae consecraret. CIL II
172: si sciens falle fefellerove, tum me
liberosque meos luppiter .0. M, ae divus
Äugustus ceterique omnes di immortales
expertem patria incolumitate fortunisque
Omnibus faxint.
») Cod. Just. IV 1, 2 (vgl. IX 8, 2): tum
iurandi contempta religio satis deum ultorem
fiabet; ganz konsequent gilt der Meineid beim
Genius des Kaisers als crimen maiestatis,
s. oben S. 156 und MoiofSBir, Strafr. S. 586.
•) Cic. de leg. II 22 : periurii poena di-
vina exitiumj humana dedecus; vgl. Momm-
SBN, Staatsr. II 366. Pebniob a. a. 0. 11 64 ff.
^) MoimsKN, Strafr. 900 ff.; Litteratur
bei Mabquabdt a. a. 0. S. 276 A. 7.
^) Fest. p. 318: sacratcte leges sunt,
quibus sanctum est, qui quid adversus eas
fecerit, sacer alicui deorum sü sicut familia
pecuniaque at homo sacer is est, quem
populus iudicavit ob maleficium; neque fas
est cum immölari, sed qui occidit parricidi
non damnatur; nam lege tribunicia prima
cai^etur *si quis cum, qui eo plebei sdto sacer
Sit, occiderit, parricida ne sit\
326
Religion und Koltns der BOmer. III. Knltaa.
mehr einer bestimmten Gottheit,*) verfallen: die Habe wird zu Gunsten
der Tempelkasse verkauft,^) der Verbrecher selbst ist durch die Sacration
ausserhalb des ius humanum gestellt, und die Ausführung der Strafe ist
ursprünglich wohl der Gottheit oder demjenigen, der sich freiwillig zu
ihrem Werkzeuge machen wollte,^) anheimgegeben worden, bis der Staat
selbst den Strafvollzug übernahm.^) Eine Erinnerung an dieses alte sacrale
Strafrecht hat sich noch erhalten in der in historischer Zeit mehrfach von
den Volkstribunen als Goercitionsmittel in Anwendung gebrachten conse-
oratio bonorum^ die in voller Abweichung vom profanen Rechtswege ohne
Prozessverfahren und sogar mit Ausschluss der Provocation in den Formen
einer Opferhandlung vor sich ging.^)
Vollziehen sich so eine Menge bedeutsamer Handlungen des privaten
und staatlichen Lebens dis itnmortalibus interpositis tum iudicibus tum testi-
bus (Cic. de leg. II 16), so entbehrt auch der Verlauf des alltäglichen Lebens
nicht der standigen Bezugnahme auf die Gottheit. Wie im häuslichen
Leben bei jeder Mahlzeit des Lar familiaris gedacht wird, bei jeder Reise
und Rückkehr der letzte und erste Gruss den Hausgöttern gilt, alle Familien-
feste und alle wichtigeren Abschnitte der Arbeit in Haus und Feld von
gottesdienstlichen Handlungen begleitet werden,^) so wird keine Versamm-
lung des Volkes oder Senates ohne Gebet abgehalten, keine wichtigere
Massregel der Verwaltung oder Kriegführung ohne sacrale Einleitung vor-
genommen, kein bedeutsames Vorkommnis regelmässiger oder ausserordent-
licher Natur spielt sich im Staatsleben ab, das nicht zu Äusserungen der
Bitte oder des Dankes an die Gottheit Anlass gäbe.^) Wie sehr solche
sacrale Akte das ganze öffentliche Leben begleiten und wiederspiegeln,
beweist die Thatsache, dass die Publicationstafeln, auf denen der Pontifex
maximus alle im Laufe des Jahres von Staatswegen zum Vollzuge ge-
langenden gottesdienstlichen Handlungen samt ihren Anlässen bekannt
machte, die Grundlage der Stadtchronik und der Geschichtschreibung werden
*) Die Belege bei Mommsbn a. a. 0. 903,
3—8.
') Liy. in 55, 7: ut qui tribunis plebis
. . . nocuisset, eius caput lovi sacrum esset,
famüia ad aedem Cereris Liberi Liberaeque
venum iret. YIII 20, 8: bona Semoni Sanco
censuerunt consecranda u. a.
") Fest. a. a. 0. Macr. S. III 7, 5: cum
cetera sacra violari nefas sit, hominetn
sacrum ius fuerit occidi, Dion. Hai. II 10
n. a.
^) Das kommt zum Ausdrucke in der
merkwürdigen Fassung des Zwölf tafelgesetzes
bei Plin. n. h. XVIII 12: frugem aratro quae-
sitam noctu pavisse ac secuisse puberi XII
tabulis Capital erat suspensumque Cereri
necari iubebant. Die Auffassung der Todes-
strafe als Opferung (Mommsbn a. a. 0. 902.
918) scheint mir unmöglich, nicht nur weil
die altrömische Sacralordnung keine Men-
schenopfer kennt, sondern vor allem darum,
weil die Opferung des Verbrechers dem
Grundsatze widersprechen würde, dass die
Opfergabe rein und vollkommen sein muss:
der mit Strafschuld beladene Verbrecher
konnte ebensowenig als eine Ehrung den
Qöttern dargebracht werden, wie die Miss-
gehurt, die man stillschweigend beseitigt
(MoMMBEN a. a. 0. 904).
^) capite velato, contione advocata, fo-
culo posito (Cic. de domo 124), foculo posito
adhibitoque tibicine (ebd. 123); Beispiele aus
den Jahren 585 = 169 (Liv. XLIU 16, 10),
623 = 131 (Plin. n. h. VII 143 f. Cic. a. a. O.
123), 684 = 70 und 696 = 58 (Cic. a. a. O.
124).
•) Beispiele bei Plaut. Aul. 23 f. 385 ff.;
Merc. 834 ff.; Mil. glor. 1339; Rud. 1206 ff.;
Trin. 39 ff. Cato de agric. 2. 5. 83. 132. 134.
139. 141. 143. Mehr bei De-Mabchi, Culto
private I 129 ff. 209 ff.
^) Gebet vor der Verhandlung mit der
Bürgerschaft Mommsbn, Staatsr. III 890, 2;
Opfer vor der Senatssitzung ebd. III 935, 2.
Bitt- und Dankceremonien am Anfang des
hannibalischen Krieges bezw. nach Hanni-
bals Abzug aus Italien Liv. XXI 17, 4. XXX
21, 10 u. a. m.
61 Saoralrechtliche Grundlagen.
327
konnten;') noch in der Eaiserzeit sind die Protokolle der Arvalbrüder eine der
wichtigsten Quellen für die Zeitgeschichte, da alle Gedenktage und wichti-
geren Tagesereignisse durch entsprechende Opferhandlungen bezeichnet sind. ')
Diese Durchsetzung des gesamten öffentlichen Lebens mit sacralen Be-
ziehungen hat zur Vorbedingung das Bestehen eines durchaus sicheren
Rechtszustandes, eines völlig ungetrübten Friedensverhältnisses zwischen
dem Staate und der Gottheit, und der erstere hat die Pflicht, für die
dauernde und unverminderte Erhaltung dieser pax et venia deum^) Sorge
zu tragen. Das Mittel, durch welches man einer Gefährdung dieses Zu-
standes vorbeugt, ist die Lustration, unter welchem Namen man die-
jenigen Eultusakte begreift, die den doppelten Zweck verfolgen, einmal
das zu lustrierende Objekt von jeder bewussten oder unbewussten Be-
fleckung zu reinigen^) und damit jeden Anlass zu etwaigem Missfallen der
Gottheit zu beseitigen,^) und zweitens es auf Grund der neu gesicherten
göttlichen Gnade vor allen von aussen her drohenden Gefahren sicher zu
stellen.^) Der doppelte Zweck der Lustrationen kommt zum Ausdrucke
einerseits in der Anwendung von allerlei symbolischen Keinigungsmitteln,
wie Wasser, Feuer, Räucherwerk (suffimenta), andererseits in dem Brauche,
das Opfertier vor der Schlachtung um das zu lustrierende Objekt herum-
zuführen und dieses dadurch in einen Kreis einzuschliessen, in welchen
kein Unheil eindringen kann: bei den unter die jährlichen Feste auf-
genommenen Lustrationsakten tritt bald die eine bald die andere Seite
mehr hervor, die Reinigung und Sühnung an den Palilien (S. 166) und an
den — freilich in ihrem speziellen Geremoniell nicht bekannten — Festen
des Armilustrium und Tubilustrium (S. 131), die schützende Umkreisung
bei den Ambarvalia, dem Amburbium und der privaten lustratio agri (S. 130)
sowie wahrscheinlich ursprünglich auch bei den Robigalia (S. 162), beides
vereint bei den Lupercalia (S. 172 f.), wo die Einkreisung nicht durch
Herumführung des Opfertieres, sondern in wohl noch älterer Form durch
Umlauf der Priester erfolgt. Solche Lustrationen geschehen aber auch
ausserordentlicher Weise, so oft eine neue Sicherung der pax deum er-
forderlich erscheint, so bei dem speziell als lustrum bezeichneten Schluss-
akte des Census,') bei der Überschreitung der Grenze oder vor der Schlacht
als lustratio exercitus^) oder lustratio classis,^) insbesondere aber, wenn
0 Vgl. über die tabula dealbata des
Pontifex maximus (Serv. Aen. I 373) und die
annales maximi zuletzt Cichobius bei Pauly-
WiBSowA, Real-Encycl. 1 2248 ff. (auch E. tioR-
MANN, Verhdl. d. Pbilol. Versamml. Bremen
1899 S. 105).
') Henzen, Acta fratr. Arval. S. 49 ff.
•) Cic. Rab. perd. 5; Fontei. 3o. Liv.
I 31, 7. XXXIX 10, 5 und mebr bei Bris-
soNius, De formulis I 138, aucb das Gebet
der Hersilia bei Gell. XIII 23, 13: Nerio
Martis te öbsecro pacem da, Jobdak, Her-
mes XVI 236 fasst die pax deum zu eng
als 'yerzeihung\
*) lustratio qua quid aolvitur ac libe-
ratur Paul. p. 120; vgl. Serv. Aen. HI 279:
lustramur, id est puryamur, ut lovi sacra
faciamus; aut certe ^lustramur lovi'' id est
expiamur.
^) Daher die ständige Formel j^acem deum
exposcere (hezw, petere, impetrare u.a.), z. B.
Liv.131,7. 1115,14. 7,7. 8,1. VII2,2.XLII2,3.
^) luendis periculis publicis Liv.X 28, 13.
') MoMMSEN, Staatsr. II406; vgl. nament-
lich Cic. de div. 1 102: in litstranda colonia
ab eo, qui eam deduceret, et cum imperator
exercitum, censor populum lustraret, bonis
nominibus qui hostias ducerent eligebantur.
*) V. DoMASZEWSKi, Arch. epigr. Mitteil,
aus Oesterr. XVI 1893, 19 ff. und Korr.Blatt
d. Westd. Ztschr. XVII 1898, 153 f.
•) Liv. XXXVI 42, 2; vgl. XXIX 27, 5
und die Beschreibung des Aktes bei Appian.
b. c. V 96.
328 Beligion und Enltns der BOmer. m. Knlins.
aussergewöhnliche Naturereignisse und Schreckenszeichen {prodigia) darauf
hinweisen, dass das normale Verhältnis zwischen Gemeinde und Gottheit
eine Störung erfahren hat und der erster en ernste Gefahren drohen. >)
Diese Anzeichen konnten ihrer Art nach sehr verschieden sein, von dem
häufigsten und am wenigsten bedrohlichen, dem Blitzschlage, an bis zu
Sonnenfinsternissen, Stein- und Blutregen, Missgeburten (namentlich Zwitter-
geburten) und anderen beängstigenden Abweichungen vom natürlichen
Laufe der Dinge. Wurden solche Prodigia nach Rom gemeldet, so hatte
zunächst der Senat auf Bericht der Gonsuln darüber zu entscheiden, ob
die Meldung zuverlässig sei und ob das Geschehnis den Staat angehe;^)
erkennt er das an, so müssen dann die Gonsuln nach Anhörung des Senates
und im Bedarfsfalle unter Heranziehung priesterlicher Gutachten die Er-
ledigung (procuratio) des Prodigiums herbeiführen ; die Formen dieser Pro-
curation sind nach Art und Schwere des Prodigiums verschieden, die wich-
tigste Geremonie aber, die ursprünglich wahrscheinlich ziemlich allgemein
zur Anwendung kam' und erst allmählig durch die complizierteren Akte
des graecus ritus mehr in den Hintergrund gedrängt wurde, ist die lu-
stratio urbis,^) d. h. eine ausserordentliche Wiederholung des alljährlich
regulär gefeierten Amburbium: ganz gleichartig ist das Verfahren der
Arvalbrüder, die in ihrem Haine eingetretene Prodigien (Blitzschlag bezw.
Hervorwachsen eines Feigenbaumes aus dem Tempelgiebel) durch ein lustrum
missum erledigen, d. h. durch Herumführung und Darbringung von Suove-
taurilia nebst Opfern an Dea Dia und alle in ihrem Haine verehrten oder
zu dem Prodigium in Beziehung stehenden Gottheiten; dieses lustrum missum
ist nichts anderes als eine ausserordentlicher Weise angeordnete Wieder^
holung der von den Arvalen an ihrem Jahresfeste begangenen lustratio
segetum.^) In ähnlicher Weise ist ein bei der staatlichen Procuration be-
stimmter Arten von Prodigien (Steinregen) nach altrömischem Brauche zur
Anwendung kommender Sühnbrauch, das novemdiale sacrum,^) nichts anderes
als die ausserordentliche Ausübung eines im häuslichen Gottesdienste regel-
^) Zum Folgenden s. F. Luterbachbb, ; gesch. Unters. I 307 ff., der nui* darin irrt,
Prodigienglaube und Prodigienstil der Römer,
Progr. Burgdorf 1880. Mabqüardt, Staats-
verw. m 259 ff. Mommsbiv, Staatsr. HI 1059 ff.
2) Liv. V 15, 1 : prodigia intei'im multa
nuntiari, qtiorum pleraque et quia singuli
auctorea erant, parum credita spretaque et
quin hostibus Etruscis per quos ea procura-
rent JiartMpices non erant, XLIII 13, 6:
diM non suscepta prodigia sunt, cUterum
quod in privato loco factum esset . . . .
alterum quod in loco peregrino. Vgl. Moiai-
SEN in 0. Jahns Ausgabe von T. Livi periochae
p. XXVIII ff.
') Capitolium lustratum Liv. III 29, 9;
urbs lustrata Liv. XXI 62, 7. XXXV 9, 5.
XXXIX 22, 4. XLII 20, 3. XLV 16, 6. Obseq.
12. 13. 44. 46. 49. 52. 63. Plin. n. h. X 36.
Tac. ann. XIII 24; bist. I 87 (vgl. IV 53 über
dass er die lustratio urbis zu den Akten
des graecus ritus rechnet.
*) Henzen, Acta fratr. Arval. 8. 140 ff.
Die von Henzen u. a. für diesen Akt ge-
wählte Bezeichnung piactda maiora wird
dem in der Verschiedenheit des Namens,
des Anlasses und des Opferritus hervortre-
tenden Unterschiede von lustrum und sacri-
ficium piaculare, den nur H. Oldenbbrg,
De sacris fratr. Arval. quaest. S. 46 ff. richtig
gewürdigt hat, nicht gerecht.
') Liv. 131, 4: Bomanis quoque ab eodem
prodigio novemdiale sacrum publice suscep-
tum est ... . mansU certe soüemne, ut,
quandoque idetn prodigium nuntiaretur,
feriae per novem dies ageientur. XXX 38, 9 :
in Palatio lapidibus pluit; id prodigium
more patrio novemdiali sacro, cetera hostüs
die Lustration der area des Gapitols). Eist. , maioribus expiata. Die Beispiele bei Luter-
aug. Aurel. 20, 3. Vgl. die Schilderung bei ; bacher a. a. 0. 25, 106.
Lucan. I 592 ff. und dazu üsbker, Religions-
61. Saoralreohtliche Chrnndlagen.
329
massig am neunten Tage nach einer Qeburt oder nach einem Begräbnis
vorgenommenen Lustrationsritus. >)
Dem Zwecke nach mit der Lustration nahe verwandt,') aber doch
in der Grundanschauung von ihr wesentlich verschieden, ist das Piacular-
opfer; beide Eultakte dienen dazu, das gestörte oder von einer Störung
bedrohte Verhältnis zur Gottheit wiederherzustellen und zu sichern, aber
während die Lustration durchaus in der Form einer Bitte, sei es um die
pax deum im allgemeinen, sei es um Schutz vor bestimmten Gefahren,
auftritt,') ist das Piacularopfer in erster Linie*) die Einlösung einer ver-
fallenen Straf busse für eine Unterlassung oder einen Verstoss gegen die
Sätze des ins sacrum, die sacralrechtliche Parallele zu der muUa des welt-
lichen Strafrechts. ^) Alle Bestimmungen des ius s(icrum, insbesondere die
der ältesten Religionsordnung, verlangen die genaueste und buchstäblichste
Beachtung, und nicht nur wer eine nach jenen alten Sacralverträgen der
Gottheit geschuldete Leistung unterlässt, sondern auch wer nur in der
Form der Darbringung im geringsten gegen die komplizierten Ritualvor-
schriften verstösst oder aus Unachtsamkeit eine nach «den Sätzen des
Sacralrechtes überhaupt oder zur Zeit unzulässige Handlung vornimmt,
begeht ein piaculum, eine Verletzung des ius sacrum.^) Die Rechtsfolgen
sind verschiedene : zunächst ist die Darbringung an die Gottheit, bei deren
Begehung etwa ein piaculum vorfiel, ohne weiteres ungiltig, sie wird als nicht
geleistet angesehen und muss wiederholt werden ;^) der Schuldige aber hat eine
^) Macr. S. I 16, 36: est etiam Nundina
Bomanorutn dea a nono die nascentium,
gut lustricus dicütAr; est autetn dies lastriciM,
quo infantes lustrantur et nomen accipiunt,
sed %8 maribus nonus, octavus est femims
(die flbrigen Zeugnisse bei Marquabdt-Mau,
Privatl. d. Rom. S. 83|). Porph. zu Hör. epod.
17, 48: novemdiode dicitur sctcrificium, quod
mortuo fit nona die qua sepultiis est (mehr
bei De-Mabchi, Culto private I 197 f.).
*) Daher finden wir im untechnischen
Sprachgebrauche zuweilen das Wort piaculum
fOr die zur Prokuration von Prodigien an-
geordneten Lustrationen gebraucht, z. B.
Liv. XL 37, 2: C. Servüius pontifex maximus
piacula irtie deum canquirere iussus. Gell.
XVI 6, 10 (= Macr. S. VI 9, 2) : ostentum
enim est et piacuiis factis procwrandum.
') Es genügt, auf der einen Seite an
die Wendung pacem deum petere, exposcere
(S. 327 Anm. 5), auf der anderen an das Gebet
bei der privaten lustratio agri (Gate de agric.
141) zu verweisen.
^) Dass man auch beim Piacularopfer
betet ut sies volens propitius mihi domo
famüiaeque meae Itberisque meis (Cato de
agric. 139) ist selbstverständlich; ein Ver-
gleich der Gebetsformel beim Piaculum
(a. a. 0.) und bei der lustratio agri (ebd. 141)
zeigt den charakteristischen Unterschied, dass
nur bei der ersteren Handlung die Wendung
vorkommt uti tibi ius est porco piaculo
faeere.
') VgL namentlich das Haingesetz von
Spoleto (ScHNKiDER, Excmpla nr. 95) : sei quis
scies violasit dolo mcUo, lovei bovid piadum
datod et a(sses) CCC moltai suntod.
®) Serv. Aen. IV 646: et sciendum, si
quid caerimoniis non fuerit observatum,
piacidum admitti, Amob. IV 31 : siin caeri-
moniis vestris rebusque divinis postüionibus
locus est et piaculi dicitur contracta esse
commissio, si per imprudentiae lapsum aut
in verbo quispiam aut simpuvio deerrarit,
aut si rursus in soUemnibus ludis curri-
culisque divinis commissum omnes statim in
religiones clamatis sacras, si ludtus con-
stiterit aut tibicen repente conticuerit aut si
patrimus et matrimus iüe qui vocitatur puer
omiserit per ignorantiam lorum aut tensam
tenere non potuerit (= Gic. de harusp. resp.
23). Beispiele Fab. Pict. bei GeU. X 15, 10:
eo die verberari piactdum est. Varro bei
Macr. 1 1 6, 19 : viros vocare feriis non oportet ;
si vocavit, piaculum esto.
') z. B. Liv. XLI 16, 1: Latinae feriae
fuere ante diem tertium noncts Maias, in
quibus quia in una hostia magistratus
Lanuvinus precatus non erat populo Bo-
mano Quiritium religioni fuit. id cum ad
senatum rdatum esset senatusque ad ponti-
ficum collegium reiecisset, pontificibus, quia
non rede factae Latinae essent, instauratis
LcUinis placuit Lanuvinos, quorum opera
instauratae essent, hostias praebere.
1
380
Beligioa nnd Knltiui der BOmer. m. KnltiiB.
Strafe verwirkt. Ist der Verstoss wissentlich und absichtlich geschehen,
so ist für ihn persönlich eine Wiederherstellung des zerstörten Verhält-
nisses zur Gottheit ausgeschlossen, er hat sich seinerseits ausserhalb des
ius divinum gestellt und ist darum, ohne die Möglichkeit einer Sühnung,
als impius^) zwar nicht weltlicher,*) wohl aber göttlicher Strafe verfallen,*)
Ist dagegen die Verfehlung unwissentlich und versehentlich begangen
worden oder ist sie erfolgt unter dem Zwange einer unausweichlichen Not-
wendigkeit,^) so geschieht die Ausgleichung durch eine sühnende Dar-
bringung, die ebenfalls piaculum heisst.^) Der Verpflichtung zu einer solchen
Sacralbusse kann die Gemeinde ebenso verfallen wie der Einzelne, soweit
das piaculum bei einer in ihrem Namen vollzogenen Handlung vorgefallen
ist^) oder sonst eine die ganze Gemeinde belastende Verfehlung enthält)
Über Art und Umfang der Piacularleistung geben meist besondere Straf-
bestimmungen der alten Religionsordnung Auskunft,^) im Zweifelsfalle ent-
scheidet priesterliches Gutachten.^)
Überall treten uns die Kulthandlungen der römischen Religion, mögen
sie vom Einzelnen oder vom Staate ausgehen, entgegen als Akte eines
durch feste Normen geregelten und in streng vorgeschriebenen Formen
*j Varro de 1. 1. VI 30: praetor qui tum
(an einen dies nefaatus) fatus est, si impru-
dens fecü, piaculari hostia facta piaiur; si
prudens dixit, Q, Mucius ambigebat cum
expiari ut impium non posse; vgl. Macr. S.
I 16, 10.
') Das vom Staate bestrafte Eigentums-
verbrechen an Göttergut (sacrilegiunif Momm-
SBN, Straf r. S. 760 ff.) ist anderer Art, hier
geht weltliche Strafe neben der göttlichen her,
vgl. das Haingesetz von Spoleto (E. Schneidbb.
Exempla nr. 95) : sei quis violasity love bovid
piaclum datod; sei quis scies violasit dolo
malOf lovei bovid piaclum datod et a(sses)
CCC moltai suntod.
*) Sacrum commitsum, quod neque ex-
piari poterit, impie commissum esto, Cic. de
leg, n 22, vgl. I 40. II 19. 25.
*) So namentlich bei Bruch der Ferien-
feier, Macr. S. 1 16, 10 f.: adfirmabatur cum,
qui talibus diebus imprudens aliquid egisset,
porco piaculum dare debere; prudentem
expiari non posse Scaevola poniifex ad-
severabat (s. oben Anm. 1). sed Umbro negat
eum pollui, qui opus vel ad deos pertinens
sacrorumve causa fecisset vel aliquid ad
urgentem vitae utilitatem respiciens acti-
tasset, Scaevola denique consuUus, quid
feriis agere liceret, respondit: quod prae-
termissum noceret, Dass auch in diesem
Falle ein piaculum nötig war, zeigen z. B.
das wegen Vornahme dringender ländlicher
Arbeiten an feriae zu bringende Hundeopfer
(Golum. II 22, 4) und noch mehr die Piacular-
opfer der Arvalbrflder ob ferrum inlatum
in aedem {de aede elaium) scripturae causa
(Hbnzbn, Acta S. 128 ff.). Ebenso kann die
mit Genehmigung der Pontifices vor sich
gehende translatio cadaveris nur geschehen
piactUo prius dato operis faciendi ove atra
(CIL X 8259, vgl. VI 1884), denn qui corpus
perpetuae sepulturae traditum . . nudaverit
. . . piaculum committit (Paul. sent. I 21, 4).
^) Zuerst so im Haingesetze von Spoleto
(oben Anm. 2) und in der Lex spoliorum
opimorum (Fest. p. 189 cuius aiispicio capta,
dis piaculum dato), dann Gato de agric. 139:
porco piaculo facito. Gell. II 28, 3: eas
ferias si quis polluisset piaculoque ob hanc
rem opus esset n. s. w.
®) Liv. XXII 9, 9: (Decemviri) inspedis
fatalibus libHs rettulerunt patribus, quod
eius belli causa votum Marti foret, id non
rite factum de integro atque amplius
faciundum esse; das amplius weist auf
Hinzufttgung eines Piacularopfers.
') z. B. wenn ein durch lex sacrcUa
Verdammter begnadigt und dadurch der
Gottheit das ihr durch die consecratio capitis
überwiesene Eigentum entzogen wird (Liv.
I 26, 12 f. und dazu Mommsbn, Sirafr. S. 903),
oder wenn der durch den römischen Feld-
herrn Devovierte den Tod im Kampfe nicht
findet (oben S. 322 Anm. 3), oder wenn ein
Magistrat sich an fremdem Tempelgut ver-
griffen hat (Liv. XXIX 19,9. 21,4. XXXI 12,4.
XXX II 1,8. XUiy, 10).
^) Vgl. z. B. ausser dem Haingesetzc
von Spoleto (oben Anm. 2) die Lex Numae
bei Gell. IV 3, 3. Paul. p. 222: paelex aram
lunonis ne tangito; si tagit, lunoni crinibus
demissis agnum feminam caedito.
%) z. B. Liv. XXIX 19. 8: sacrum piacu-
Iure fieri, ita ut prius ad collegium pontift-
cum referretur, quod sacri tfiensauri moti
violati essent, quae piacula, qutbus diis,
quibus hostiis fieri placeret.
61. fikoralreohtliohe Grundlagen.
331
sich vollziehenden Rechtsverkehrs, die sich von den privatrechtlichen Vor-
gängen, trotz vielfach hervortretender Ähnlichkeit, 0 doch in einem Punkte
wesentlich unterscheiden: es sind durchweg einseitige Rechtsgeschäfte,^)
indem bei den sacralen Verträgen (Votum) und Eigentumsübertragungen
(Dedication) von den beteiligten beiden Rechtssubjekten nur das eine eine
Erklärung abgibt, während von Seiten der Gottheit keinerlei Äusserung
des Beitritts oder der Annahme erfolgt und eine solche f Qr das Zustande-
kommen des Rechtsgeschäftes auch nicht für ei-forderlich erachtet wird.
Wo bei öffentlich sacralen Akten neben den Magistraten die Staatspriester
in Wirksamkeit treten, geschieht das nicht etwa in dem Sinne, dass sie
als Rechtsvertreter der Gottheit von der Seite dieser das Vertragsverhält-
nis zum Abschlüsse brächten : die Äusserungen von Magistrat und Priester
bei Votum (Devotion), Dedication und ähnlichen Akten stehen nicht im
Verhältnisse von Erklärung und Gegenerklärung, sondern sind miteinander
identisch, indem der Priester als Sachkundiger dem Magistrate die zur
Anwendung kommende Gebetsformel vorspricht (praeU), auch wohl die
symbolischen Handlungen und Gesten vormacht,') und damit den korrekten
und rechtskräftigen Verlauf des ganzen Vorganges sichert. Eben diese
korrekte Abwicklung des sacralen Rechtsgeschäftes von der menschlichen
Seite ersetzt nach römischer Anschauung die mangelnde Beitrittserklärung
von der andern Seite; die Gottheit gilt, ohne dass sie einen besonderen
Zustimmungsakt zu vollziehen hätte, als in das Rechtsgeschäft eingetreten
und an dessen Abmachungen gebunden, sobald der menschliche Gontrahent
an die richtige Gottheit mit der richtigen Darbringung und in der richtigen
Form sich wendet. Darüber, wie man in allen drei Richtungen das Rechte
treffen kann, geben im Zweifelsfalle die Priester auf Befragen ihr Gutachten
(decretum) ab, und zwar zunächst die Bewahrer der altrömischen caeri-
moniae et sacra, die Pontifices,^) dann je nach Befinden des Senates auch
die Ausdeuter der griechischen Orakel (Decemviri sacris faciundis) oder
die Träger der disciplina Etrusca, die Haruspices.^) Insbesondere bedarf
es eines derartigen Ermittlungsverfahrens über die Gottheit, an die man
sich zu wenden hat, häufig bei der Procuration von Prodigien und bei
vorgefallenen piacula: gibt nicht etwa der Ort, wo das Prodigium ein-
*) z. B. voti spansio, qua ohligamvr deo
Cic. de leg. II 41 ; votum debere Cic. Verr.
IV 123. Val. Max. 1 1, 8 (voti dehitor Mar-
tial. IX 42, 8) n. a. ; Feroniae mancipio do
CIL IX 4874; hunc loeum monimentumque
dia manibus do legoque CIL V 2915.
') AusgefQhrt von Psbnice a. a. 0. 1 146 ff.
') Praeeunte pontifice maximo werden
vom Magistrate vota nuncupiert (z. B. Liv.
IV 27, 1), Tempel dediciert (z. B. Liv. 1X46, 6),
die Devotionsformel gesprochen (Liv. VIII
9, 4. X 28, 14; vgl V 41, 3); die obsecratio
wird vom Volke vollzogen duumviris prae-
euntibus (Liv. IV 21, 5; vgl. Plin. n. h. XXVIII
1 1). Bei der Dedication macht der Pontifex
dem weihenden Magistrate das symbolische
postem teuere vor, daher die Formel, mit der
der Magistrat den mitwirkenden Pontifex
requiriert: adea^ . ., dum dedico , , ,, ut
mihi praeeas postemque teneas (Cic. de domo
13H). Sammlang von Beispielen bei Bbis-
soNius, De formulis I 103. 178. 192, s. auch
Marqüardt, Staatsverw. III 177. 265. 272.
^) Cic. de harusp. resp. 14: pontifices,
quorum auctoritati fidei prudentiae maiores
nostri sacra religionesque et privatas et
publicas commendarunt ; vgl. Jobs, Rom.
Rechtswissensch. I 16 ff.
^) Im privaten Kulte tritt an Stelle des
priesterlichen Gutachtens oft direkte Offen-
barung der Gottheit durch Traumgesicht oder
Orakel, daher die zahllosen Gelübde und
Weihungen ex visu, ex responso, iussu,
monitu, somnio monitus u. s. w. Beispiele
bei Mabquabdt a. a. 0. S. 100 A. 7. Ds-
Mabobi, Culto private I 285 ff.
/
332
Religion nnd Enltiia der Römer. 4J1» EnltoB.
getreten ist, oder die Handlung, bei welcher der V erstoss begangen wurde,
die nötige Auskunft, so müssen die Priester feststellen, welche Gottheiten
es sind, deren Ungnade die Gemeinde sich zugezogen hat, und zugleich
mit ihnen auch die Art der Darbringungen bezeichnen (edere), die man
ihnen zur Wiedergewinnung der pax deum zu machen habe;0 ist die Frage
nach der in Betracht kommenden Gottheit nicht sicher zu beantworten,
so hilft man sich damit, dass man sich an eine unbestimmte Adresse
wendet, entweder mit der Formel sive deo sive deae (oben S. 33) oder durch
Bildung eines neuen Namens, der nur darauf hinweist, in welchem Sinne
man die Gottheit anruft, ohne die betreffende göttliche Person bestimmt
zu bezeichnen.^) Bei Bittgelöbnissen legte der Anlass meist die Wahl
einer bestimmten Gottheit nahe (s. oben S. 321), aber es gab auch Fälle,
wo man keinem der bekannten Götter die Macht zutraute, das Erbetene
zu gewähren: die Kulte des graecus ritus sind durchweg in der Weise in
Rom rezipiert worden, dass die Decemvirn nach Einsichtnahme in die
sibyllinischen Bücher erklärten, die Gewährung dieser oder jener Bitte
(z. B. reiche Ernte, Ende einer Seuche) stehe bei dieser oder jener in Rom
bisher noch nicht verehrten griechischen Gottheit (Demeter, Apollon), an
die man sich daher mit dem Gelübde eines dauernden Kultes zu wenden
habe.') Die Wahl der Darbringung wird teilweise durch die Vorschriften
des betreffenden Kultes und durch das Herkommen erleichtert, aber da
sie sowohl auf die angerufene Gottheit als auf den Anlass des Kultaktes
Rücksicht nehmen muss, ergeben sich auch hier vielfache Schwierigkeiten,
die priesterlichen Beirat zur Lösung erfordern : *) namentlich bei der Pro-
curation von Prodigien ist die Frage, ob Opfer oder Spiele, Lectistemien
oder Supplikationen, Tempel oder Feriae darzubringen sind, nur auf Grund
genauer Kenntnis der Ritualvorschriften und der gottesdienstlichen Praxis
zu entscheiden und daher bei ihrer wesentlichen Bedeutung für die Wirk-
samkeit des Lustrationsaktes in der Regel den Priestern zur Beantwortung
Überwiesen worden, s) Endlich aber ist von der allergrössten Wichtigkeit
die richtige Art der Darbringung, sowohl was die Bewahrung aller für
die betreffende Sacralhandlung vorgeschriebenen und üblichen Formalitäten^)
') Der SeDatsbeschluss lautet: consul
P. Cornelius quibus dis quiimsqiie hostiis
edidissent decemviri (an anderen Stellen sind
es die Pontifices, z. B. XXX 2^ 13, oder die
Haruspices, z. B. XLI 13, 3) sacrificaret, Liv.
XXXVI 37, 5.
') Beispiele dafttr sind neben „ Augen-
blicksgöttern'^ wie Ajus Locutius (oben S. 49)
und den vom Flamen Cerialis beim Saat-
opfer angerufenen Beschützern der länd-
lichen Arbeiten (oben S. 22) die bei dem
Itistrum missutn der Arvalbrüder mit Opfern
verehrten numina Adolenda, Commolenda,
Coinquenda, Deferunda für die Thätigkeiten
des Herunterholens {deferre), Zerstückeins
{commolere)j Zerhackens (coinquere) und Ver-
brennens (adolere) der zu beseitigenden Baum-
stücke; vgl. W^issowA, Real-Encycl. II 1482 f.
') Die Typik des Vorganges gibt z. B.
Dion. Hai. VI 17 in der Erzählung von der
Stiftung des Tempels von Ceres, Liber und
Libera.
*) Als z. B. im J. 546 = 208 Marcellus
ein den Gottheiten Honos und Virtus ge-
machtes Gelübde einlösen will, erklären die
Pontifices die Stiftung eines gemeinsamen
Tempels beider Gottheiten für unzulässig
(oben S. 135).
^) Die Zeugnisse bei Lütebbachkb a. a. 0.
S. 20 f.
^) z. B. das Anfassen der Thtlrpfosten
bei der Dedication (Serv. Georg. III 16 und
mehr bei Mabqüardt, Staatsverw. III 272),
das Stehen auf einer Lanze bei der Devotion
(Liv. Vni 9, 5), vorgeschriebene Handbewe-
gungen beim Gebete zu bestimmten Gott-
heiten (Macr. S. III 9, 12: cum Tellurem dicU,
manibus terram tangit; cum lavem dicit,
61, Saoralreohtliohe Grandlagen.
333
und die Fernhaltung jeder Störung ^) anlangt, als namentlieh was Fassung
und Vortrag der zur Anwendung kommenden Gebetsformel ^) betrifft. Denn
das Gebet ist nach römischer Vorstellung nicht sowohl ein selbständiger
Akt der Frömmigkeit, als vielmehr die zu jeder sacralen Handlung und
Darbringung notwendig gehörende ^) mündliche Erklärung, die das sacrale
Rechtsgeschäft von Seiten des Sterblichen perfekt macht und, wenn in
richtiger Form abgegeben, zugleich auch die Gottheit in dasselbe einzu-
treten zwingt.^) Dazu gehört aber zunächst, dass man die Gottheit mit
dem richtigen Namen anrede, und die Verzeichnisse dieser Anrufungs-
formeln {indigüamenta) bildeten einen wichtigen Bestandteil des pontifikalen
Archivs ; ^) wegen der zwingenden Gewalt, die in einem mit der richtigen
Anrede an die Gottheit sich wendenden Gebete lag, musste der Staat diese
Anrufungsformeln mit dem tiefsten Geheimnisse umgeben,^) damit sie nicht
von feindlicher Seite zu seinem eigenen Schaden zur Anwendung gebracht
werden konnten.^) Femer musste aber auch die ganze Fassung des Ge-
betes und sein Vortrag durchaus den strengsten Anforderungen entsprechen ;
es muss in fest vorgeschriebener Formulierung schriftlich abgefasst^) und
manus ad ccuHum tollü; cum votum recipere
dicit, tnanibus pectus tangit), die Wendung
von rechts nach links nach beschlossenem
Gebete (Plin. n. h. XXVIII 25. Plant. Cure.
70 und mehr bei Valbton, Mnemos. N. S.
XVII 312 f., vgl. £. Samtbb, Qoaestiones
Varronianae, Berol. 1891 S. 13 f.) u. a. m.
*) Bei der Auspication, für die unbe-
dingte Stille notwendig ist, genügt das Pfeifen
einer Maus, um die ganze Handlung ungültig
zu machen (Plin. n. h. VIII 223), ebenso führt
beim Opfer jeder störende Laut oder Zwischen-
fall ein piactdum herbei (Cic. de har. resp. 23.
Amob. IV 31. Serv. Aen. VIII 110. Flut.
Coriol. 25); aber es gilt dabei (wie bei den
auguria oblcttiva) der Satz, dass nur die-
jenige Störung in Betracht kommt, die der
Handelnde bemerkt (Cato bei Fest. p. 234
von der hftnslichon Auspication: servi, an-
cülae, si quis eorutn sub centone crepuit,
quod ego non sensi, nullum mihi Vitium
facü. si cui ibidem servo aut anciUae evenü,
quod comitia prohibere solet, ne id quidem
mihi vüium facü. Plin. n. h. XXVIH 17.
Serv. Aen. XII 260), und darum verhüllt nach
römischem Ritus der Auspicierende oder
Opfernde sein Haupt mit der rückwilrts in
die Höhe gezogenen Toga (andere Erklärung
bei DiSLS, Sibyllin. Blätter S. 122. E. Samteb,
Philol. LIII 1894, 537; die Zeugnisse bei
Mabqüarot a. a. O. S. 176 A. 6).
') BoUemne precatiania Carmen Liv.
XXXIX 15, 1. Val. Max. IV 1, 10; soUemnes
precationes Liv. X 28, 16; sollemnis deorum
comprecatio Liv. XXXIX 15, 2; soliemnia
pontificalis carminis verba Sen. cons. ad Marc.
13, 1 u. a. m.
*) Plin. n. h. XXVIH 10: victimas caedi
sine precatione non videtur referre aut deos
rite eonsuli.
*) Die Gegenüberstellung bei Val. Max.
1 1, 1: prisco etiam insiituto rebus divinis
opera datur, cum aliquid commendandum
e$t,precatione,cumexpo8cendum,voto,
cum solvendum, gratulatione, cum inquiren-
dum, vel extis vel aorttbus <vel> impetrito,
cum aollemni ritu peragendum, aacrificio^ quo
etiam oatentorum ac fulgurum denuntiationea
procurantur ist nur rhetorisch, nicht technisch.
') Dass diese indigitamenta die An-
rufungsformeln an alle Gottheiten der alten
Religionsordnung enthielten, geht daraus
hervor, dass man das Fehlen des ApoUo in
ihnen als Beweis fClr das geringere Alter
dieses Gottesdienstes anführte (Amob. II 73);
sie waren also nicht verschieden von den
comprecationea deorum immortcdium, qtiae
ritu Romano fiunt, expoaitae in libria aacer-
dotum poptdi Romani (Gell. XllI 23, 1).
Vgl. WissowA, De dis Roman, indigetibus
et novensidibus p. V.
') Darum der Ausschluss bestimmter
Kategorien von Menschen von der Gegen-
wart bei der Opferhandlung (Paul. p. 82:
exeatOf extra eato; aic enim lietar in quibus-
dam aacria clamitabat: hoatia, vinctua, mulier,
virgo exeato, acüicet intereaae prohibebatur),
namentlich der (landfremden) Sklaven (Serv.
Aen. VIII 179. Suet. Claud. 22. Zosim. II 5, 2,
vgl. Dibls Sibyll. Blätter S. 96 f.).
') Serv. Aen. II 351: iure poniificum
cautum eat, ne auia nominibua dii Romani
appellarentur, ne exaugurari poaaent; vgl.
Georg. I 498. Plin. n. h. XXVIII 18. Macr. S.
ni 9, 3.
^) verba certa Cic. de nat. deor. II 10
(Devotion). Paul. p. 88 (Dedication); aoUem-
nibua verbia Cic. de domo 122. Val. Max. V
10, 1 (Dedication); conceptia aollemnibua
verbia Senec. epist. 67, 9 (Devotion), vgl. oben
334
Religion und Knltas der Römer. III. Knltne.
wörtlich übereinstimmend mit dem Formular vorgetragen werden, jedes
Abirren in einem Worte oder jedes Versprechen oder Stocken macht den
ganzen Akt rechtsungiltig. ^ Darum musste man auch den ganzen schwer-
fälligen Tenor der alten Qebetsformeln unverändert beibehalten, selbst
wenn dieser, wie es bei den cannina der Salier und Arvalbrüder sicher
der Fall war, den Vortragenden selbst unverständlich geworden war.')
Besondere Sorgfalt verlangt aber auch die Fassung des speziellen Inhaltes
des Einzelgebetes: da alle aus dem ius sacrum sich ergebenden Rechts-
fragen nach ius stridum entschieden werden und für sie der Grundsatz
gilt, uti lingua nuncupassü, ita ius esto,^) so muss der Wortlaut des Ge-
betes z. B. beim Votum so gefasst sein, dass er bei buchstäblicher Aus-
deutung weder über Art und Umfang der dem Gotte gelobten Darbringung^)
noch über den Inhalt der von diesem erwarteten Gegenleistung den ge-
ringsten Zweifel zulässt.^) Ist aber allen den genannten Anforderungen
an Anrufung und Gebet unter Wahrung aller Vorschriften und Fernhaltung
jedes Verstosses Genüge geschehen, so ist der Beitritt der Gottheit zu dem
Rechtsgeschäfte gesichert, und da so eine Bindung der Gottheit durch den
Sterblichen erfolgt, so kann man geradezu von einer legum dictio auf Seiten
des letzteren reden, wie dies bei der Einholung der auguria impetrativa ge-
schieht: vorausgesetzt, dass der auspicierende Magistrat und sein sachver-
ständiger Assistent, der Augur, die richtige Formel anwenden, ist die Gottheit
gehalten, ihre Zustimmung — falls sie dieselbe überhaupt erteilen will —
eben in der erbetenen und nicht in einer anderen Form kundzugeben.^)
Je nachdem der menschliche Contrahent im sacralen Rechtsgeschäfte
die Gemeinde oder ein einzelner Bürger bezw. eine Gruppe von Einzel-
bürgem ist, ergeben sich die streng und ohne Übergänge geschiedenen
Rechtskreise der sacra publica und sacra privata.'^) Zu den letzteren ge-
hören ausser den sacralen Beziehungen der einzelnen Individuen auch die
Anm. 2. Das de scripto praeire bezeugt
Plin. XXVIII 11, und Übereinstimmend damit
tragen die Arvalbrüder ihr Carmen vor libellis
acceptis (Hstizbh, Acta S. 33); vgl. auch Fest
p. 173: Vota nuncupata dicuntur, quae can-
siUes, praetores, cum inprovinciamprofick-
cuntur facivmt; ea in tabulas praesentihus
muliis referuntur,
') Gic. de har. resp. 23: si aedüis verbo
aut eimpuvio aherravit, ludi sunt non rite
facti. Plin. n. h. XXVIII 11: ne quid ver-
barum praetereatur aut praeposterum di-
catur; vgl. XI 174. Cic. de domo 139 f.
') Quinfc. inst. or. I 6, 40: saliorum car-
mina vix sacerdottbus suis satis intellecta;
sed üla mutari vetat religio et consecratis
utendum est.
') Fest. p. 173. Gic. de orat. I 245; vgl.
Danz, Der sacrale Schutz S. 8 ff.
*) So konnte im J. 554 = 200 innerhalb
des PontificalkoUegiums eine Meinungsver-
schiedenheit darüber entstehen, ob die Ge-
lobung von Spielen und Weihgeschenken ex
incerta pecunia, d. h. ohne Festlegung der
dafür bestimmten Summe, zulässig sei, Liv.
XXXI 9, 7 ff. Die Arvalbrüder formulieren
ihr Votum praecis: [tum tibi donumj auri
p(ondo) XxVargentip(ondo) IV ex pecunia
fratrum [Arjvaiium nomine eorum posOum
tri voveo, CIL VI 2028 a 5.
') Darum die in den Gebetsformeln der
Arvalbrüder geläufigen Formeln uH (oder
quem) nos sentimus dicere (vgl. auch das
Carmen devotionis bei Macr. S. III 9, 11: si
haec ita faxitis, ut ego sciam sentiam tn-
tellegamque und das Gelübde des Ver sacrum
bei Liv. XXII 10, 2: si res publica popuU
Romani . , . sicut velim eam salvam, servata
erit)f wodurch die Auffassung des Erbetenen
im Sinne des Bittenden gesichert wird.
*) Serv. Aen. ni 89: et est species ista
augurii, quae legum dictio appellatur; legum
dictio autem est, cum condicio ipsius augurii
certa nuncupatione verborum dicitur.
') publica privataque sacra Liv. I 20, 6 ;
Sacra religionesque et privatas et publicas
Cic. de har. resp. 14; diaiQovfxsyoi jb d^xi
tu legd xal xd /nkv avTtJv xoivd noiotJytsg
xttl noXmxdy rd di tdta xal avyysvixd Dion.
Hai. II 65, 1.
61. Saoralreohtliohe Grundlagen.
335
der Familien, Geschlechter und Corporationen, ^) zu den sacra publica nicht
nur diejenigen Akte, die im Namen der Gesamtgemeinde (pro populo) aus
Staatsmitteln durch die dazu befugten Magistrate, Priester oder sonstigen
Beauftragten vollzogen werden, sondern auch diejenigen, die innerhalb der
sacralen Unterabteilungen der Gemeinde in der Weise vor sich gehen, dass
zwar z. B. jede Berg- bezw. Gaugemeinde {montani und pcyani) oder jede
Curie oder die Anwohner jsines jeden Compitum durch ihre Vertreter für
sich opfern, die Gesamtheit dieser Opfer aber das Gemeindeopfer darstellt.')
Durchgängig wird bei diesen sacra publica, sowohl bei den sacra pro po-
pulo als bei denen der Unterverbände, die Gemeinde durch dazu befugte
Personen vertreten, die Gesamtheit beteiligt sich an den Kultakten der
alten ßeligionsordnung nur ausnahmsweise, 3) z. B. an den Palilien, wo die
Vestalinnen an jedermann die suffimenta zur Reinigung des eigenen Hauses
abgeben (oben S. 166), und an den Fornacalia, wo jeder an einem be-
stimmten Tage in seiner Curie opfert und ein eigener Tag für die Nach-
zügler vorgesehen ist, die das Opfer ihrer Curie verpasst haben (oben S. 142).
Die auf Grund der sibyllinischen Bücher angeordneten Handlungen des
graecus ritus freilich setzen eine allgemeine oder doch weitgehende Be-
teiligung der ganzen Bevölkerung z. B. an den Supplikationen und Opfeiii
ad omnia pulvinaria*) voraus und geben dafür bestimmte Vorschriften,^)
wie auch bei diesem Anlasse jeder Bürger das zum Opfer ^) oder zur
Reinigung 0 Nötige von Staatswegen erhält. Aber auch hier ist wohl ein
rechtlicher Zwang auf den Bürger nicht ausgeübt worden,^) denn die ganze
römische Anschauung führt sehr ausgeprägt dahin, vom einzelnen Bürger
^) Die geniüicia sacra stellt in Gegen-
satz zu den publica sacra Liv. V 52, 4 (vgl.
auch ebd. g 3 deos ptiblicos privatosque)^ die
Familiensacra Varro bei Non. p. 510: üaque
ut deos colere debet comtntmitus civüas, sie
singtUae famüiae debemus.
*) Fest. p. 245 : publica sacra^ quae pu-
blico sumptu pro populo fiunt, quaeque pro
moniibus pagis cuHis sacellis; at privata,
quae pro singulis hominü)us familiis genti-
bus fiunt: bei den sacra pro moniibus ist
an das Septimontinm zu denken (Fest. p. 848.
340), bei denen pro pagis an die Paganalia
(Dion. Hai. IV 15, 3 nnd mehr bei Mabquabdt,
Staatsr. III 199 f.), bei den sacra pro curiis
an die Fornacalia (S. 142), bei denen pro
sacellis an die Compitalia (S. 149), da sacdla
speziell die Larenkapellen an den compita
bezeichnet (s. unten g 65).
') Das ist offenbar die Gruppe von Festen,
welche Fest p. 253 meint: popularia sacra
suntf ut aü Labeo, quae otnnes cives faciunt
nee certis familiis attributa sunt: Fornacalia,
Parüia, Laralia {= Compitalia), Porca prae-
cidanea (dafür auch feriae praecidaneae
Gell. IV 6, 10, B. oben S. 160), aber der Sinn
hat beim Excerpieren gelitten; denn den
Gegensatz zu den vom Gesamtvolke be-
gangenen Festfeiem bilden nicht die, welche
certis familiis attributa sunt, sondern die.
deren Ausföhrung Magistraten, Priestern oder
Familien (gentes) zugewiesen ist.
*) vgl. auch Monum. Anc. 2, 18 : fprivatjim
etiam et municipatim universi [cives sacrifi-
eaverunt sempejr apud omnia pulvinaria
pro valeßudine mea],
*) z. B. Liv. VU 28, 8. XXÜ 10, 8. XXXIV
55, 3. XL 37, 3 und mehr bei Marquabdt
a. a. 0. 50 f. Obseqn. 13: pestüentia fameque
ita labortUum, lU ex Sibyllinis popuius circa
compita sacdlaque operatus sederit. Sehr
lehrreich ist es, dass die Saturnalien erst
mit der EinfQhrung des grciecus ritus (s.
oben S. 170) ein scusrum populäre wurden,
Liv. XXII 1, 20: populusque cum diem
festum habere ac servare in pcrpetuum iussus.
^) Liv. X 23, 2 : publice vinum ac tus
praebitum.
^) So werden vor den Saecularspielen
des Augustus suffimenta verteilt, Eph. epigr.
VIII p. 249 f.
*) Eine Strafandrohung für Nichtbeteili-
gung an einer öffentlichen Kulthandlung ent-
hält nur das Ausnahmegesetz, welches die
Teilnahme an der Geburtstagsfeier des Divns
Julius bei Kapital- und Geldstrafe (erstere
in der Form lovi 0. M. et Divo lulio sacer
esto) zur Pflicht machte, Cass. Dio LI 19, 5
vom J. 712 == 42.
336
Religion nnd KnltnB der Römer. III. Knltos.
wohl negativ zu verlangen, dass er in keiner Weise den öffentlichen Gottes-
dieinst störe, nicht aber ihm obligatorische Kulthandlungen aufzuerlegen
und eine positive Mitwirkung an den ^acra publica von ihm zu erwarten.^)
Die Opfer und Weihegaben, die je nach den Umständen auch der Privat-
mann in bestimmten Staatstempeln darbringt,') werden durch den Ort
ihrer Darbringung nicht etwa zu sacra publica, sondern bleiben Akte pri-
vater, nur teilweise durch das Herkommen verallgemeinerter Gottesver-
ehrung. Aber die sacra privata selbst unterstehen bis zu einem gewissen
Grade der staatlichen Aufsicht und Unterweisung. Zwar die Übernahme
sowohl wie die Lösung sacraler Verpflichtungen durch den Privatmann ist
durchaus dessen eigene Angelegenheit, der Staat greift, soweit nicht etwa
bei Ausübung privater Kulte die öffentliche Ordnung gestört und damit
polizeiliches Einschreiten herausgefordert wird,^) weder durch besondere
Vorschriften und Anforderungen in den Privatkult ein,^) noch übt er
gegen den, der seine privaten Pflichten gegen die Götter vernachlässigt,
eine Straf justiz, ^) nur ist der Schuldige als impius bescholten und damit
der censorischen Rüge verfallen.^) Aber wenn auch der Einzelne die Aus-
übung seines Hausgottesdienstes ohne priesterlichen Beistand vornehmen
kann, so steht ihm dieser doch zur Verfügung, sobald er seiner benötigt: 0
ist sich der Bürger über Art und Umfang der etwa durch ein Votum über-
nommenen Verbindlichkeiten oder über eine im speziellen Falle vorzu-
nehmende Sacralhandlung im Unklaren, so wendet er sich an die Ponti-
fices und erbittet von ihnen, wie auf dem Gebiete des civilen Rechtes die
Formel der legis actio, so hier die auf seinen Fall passende Anrufungs-
und Gebetsformel oder die geeigneten Verbal tungsmassregeln.^) Ebenso
stellen diese Priester bei einer sacralen Verfehlung des Bürgers fest, ob
^} 8. auch MoMMBBN, Strafr. S. 567 ff.
') z. B. das Opfer auf dem Capitol bei
Anlegung der Toga virilis (oben S. 113)
und anderen Anlässen (s. über Capüolium
aacendere Jordas, Topogr. 1 2 S. 89 Anm. 38),
die Weihung der Mädchenkleider an For-
tuna Yirgo bei der Verheiratung (oben S. 207)
u. ä. Auch die bei Geburten, Sterbefällen
und bei Anlegung der Toga virilis an die
Tempelkassen der Juno Lucina, Libitina nnd
Juventas zu leistende Abgabe (Piso bei Dion.
Hai. IV 15, 5) trug ursprünglich gewiss nur
den Charakter eines zwar üblichen, aber
freiwilligen Weihgeschenkes und wurde erst
obligatorisch, als man die Anmeldungen bei
diesen Tempeln zu ausserhalb des sacralen
Gebietes liegenden Zwecken der Statistik
und Verwaltung benützte.
*) MoMMSBN, Strafr. S. 578 f.
*) Eine Ausnahme ist das Senatusconsult
von 724 = 30, wonach angeordnet wurde:
iy avüairloig ov^ oie toh xtuvolg aXXa xal
ToTs idloig ndvtag avrw an^ydeiy (Cass. Dio
LI 19, 7), d. h. dass man in jedem Privat-
hause dem Augustus die für die Hausgötter
übliche Tischspende bringen solle.
^) MoMxsBN, Staatsr. II 50 f.; Strafr.
S. 36 f.
®) Fest. p. 344: Cato in ea quam acripsü
de L. Veturio de sacro (stwrificio Hs.) com*
misso, cum ei equum ademit: „gui^d tu,
quod in te fuit, aacra aiata aollemnia fca-
pite aancta deaeruiati" (wo MoimssH, Stn^.
S. 568 mit Unrecht an ein aacrum publicum
denkt); vgl. Dion. Hai. XX 13.
'') liv. I 20, 6: cetera quoque omnia
publica privataque aacra pontificia aciHs
aubiedt, ut eaaet, quo conauitum plebea vent-
ret, ne quid divini iuria neglegendo pairios
rüua peregrinoaque adaciacendo turbaretur,
Cic. de leg. II 20: qiwque kaec privcAim et
publice (et publice tilgt Bubohslsb) modo
rituque fiant diacunto ignari a publicia
aacerdoHbua; vgl. ebd. 30; de harusp.resp. 14.
Dion. Hai. II 73. Plut. Numa 9.
") z. B. Cic. de domo 182: si quid de-
liberarea, ai quid tibi aut piandum aut
inatituendum fuiaaet religione domeaüca,
tarnen inatituto ceterorum vetere ad pontt--
ficem rettüliaaea. Fest. p. 321 : ai qua aacra
privata auacepta aunt, quae ex inatituto pontu
ßcum atato die aut eerto loco facienda aint,
ea aacra appellari tamquam aacrificium.
61. SaoralreohUiche Grundlagen.
337
sie eine unsühnbare ist, die den Schuldigen zum impius macht, oder ob
eine Sühnung vorzunehmen ist und in welcher Form. ^) Andererseits aber
übernimmt der Staat gewissermassen eine Garantie gegenüber der Gottheit
für den Fortbestand der sacra privata in ihrer Gesamtheit:^) er fördert
die Übung der religio privata nicht nur dadurch, dass er ihre Anforde-
rungen im Falle einer CoUision mit den bürgerlichen Pflichten des Trägers
als voUgiltigen Entschuldigungsgrund anerkennt,^) sondern vor allem da-
durch, dass er das Erlöschen der sacralen Yerpfdchtungen innerhalb der
Familie und Gens verhindert. Darum sind alle die Akte, die eine Ver-
änderung im sacralen Rechtsstande des Einzelnen zur Folge haben, der
pontificalen Eontrole und Mitwirkung unterworfen, so namentlich die den
Übertritt der Frau in die sacra des Mannes herbeiführende^) Gonfarreation'^)
und ebenso die Arrogation,^) mit der die Aufgabe der bisherigen sacra
von Seiten des Arrogierten verbunden ist,^) aber auch die testamenti f actio ;^)
denn während die sacralen Verpflichtungen des Einzelnen mit seinem Tode,
die der Gens mit ihrem Aussterben erlöschen, gehen nach römischem
Sacralrecht ^) die sacra familiae durch Erbgang mit der Habe auch auf
ausserhalb der Familie Stehende über,^^) und darum haben die Pontifices
*) Gic. de leg. II 22 : sacrum commisaum,
quod neque expiari potent, impie commissum
esto; qw)d expiari potent, publici sacerdotes
expianto, 37: publicus scLcerdos impruden-
tiam consüio expiatam metu liberet, auda-
dam . . . damnet atque impiam iudicet,
') Cic. de leg. II 22: sacra privata per-
petua manento. 47: de sacris autem, gut
loctts patet latius, haec sit una sententia,
iU conserventur semper et deinceps famUiis
prodantur et, ut in lege posui, perpetua sint
Sacra.
*) GeU. XVI 4, 3 f.: müüibus scripHs
dies praefinibatur, quo die adessent . . .
his additis exceptionibtts: nisi harunce quae
causa erit, funus famüiare feriaeve deni-
cäles . . . morbus sonticus auspiciumve^ quod
sine pictcuilo praeterire non liceat, sacrificium
anniversarium, quod rede fieri non possit,
nisi ipsus eo die ibi sit,
*) Dion. Hai. II 25, 2: yvyaixa yafisxrjv
tijy xara yäfiovg Is^odg avyeXd-ovaay ardgl
xoivavoy dndyrtby styai> /^/uctrtt)»' te xal
IsQtiSy.
^) Die Gegenwart des Pontifex maximos
bezeugt Serv. Georg. 1 31, vgl. Boeth. ad Cic.
Top. p. 299 Or. ; ein besonderer sacerdos con-
farrecttionum et diffarreationum CIL X 6662;
Litteratar s. oben S. 324 Anm. 5.
•) Gell. V 19, 5 f. Gai. I 99. Tao. bist,
I 15. Cic. de domo 34 £f., namentlich § 34:
quae deinde causa cuique sit adoptionis,
quae ratio generum ac dignitatis, quae sa-
rorum, quaeri a pontificum collegio solet;
ebd. 36: ita adoptet, ut ne quid aut de di'
gnitate generum aut de sacrorum religione
miniMtur. Vgl. im allgemeinen MoiofSBH,
Staatar. III 38 f.
Hftndbneh der klau. AltertnmswlfHenflcluift. V. 4.
') Die Adoption hat die hereditas no^
minis pecuniae sacrorum (Cic. de domo 35)
znr Folge, und darum muss der Arrogierte
sich von seinen bisherigen sacra lossagen;
das geschieht durch die detestatio sacrorum,
wie sie Gell. XV 27, 3 (vgl. VII 12, 1), oder
aliencUio sacrorum, wie sie Cicero (orat. 144,
vgl. de leg. III 48) nennt.
") Labeo bei GeU. XV 27, 1: ecdata
comitia esse, quae pro coüegio pontificum
Jiabentur ... § 3: isdem comitiis, quae
calata appellan diximus, et sacrorum de-
tesia^io (s. Anm. 7) et testamenta fieri solc'
bant. MoiCmsen a. a. O. III 319 f.
') Anders in andern Staaten, z. B. Cato
bei Priscian III p. 129. VII p. 337 H.: si quis
mortuus est Ärpinatis, eius heredem sacra
non sequuntur,
'^) Cic. de leg. II 48: exposite haec iura
pontificum auctoritate consecuia suwt, ut,
ne motte patris familias sacrorum memoria
occideret, iis essent ea adiuncta, ad quos
eiusdem morte pecunia venerit; ebd. 52:
Sacra cum pecunia pontificum auctoritate,
niUla lege coniuncta sunt Fest. p. 290:
sine sacris hereditas in provcrbio dici solet,
cum aliquid obvenit sine Ulla incommodi
appendice, quod olim sacra non solum pu-
blica curiosissime admvnisträbant, sed etiam
privata, relictiMque Tieres si pecuniae etiam
scurorum erat; vgl. Momxsbn, Staatsr. III
20 ff., der aber an die sacra gentüicia denkt,
was mir unmöglich scheint, da doch die
gentiliciscfaen Verpflichtungen sich ebenso-
wenig über die (xrenzen der Gens hinaus
vererben können, wie die gentilicischen
Rechte; richtig Pbbfiob, Siiz.-Ber. Akad.
Berlin 1886, 1197 ff.
22
338
Religion und Kultus der BOmer. HI. Kaltns.
die Verpflichtung, die Gestaltung des Erbganges im Auge zu behalten und
dafür zu sorgen, dass nicht das Vermögen in andere Hände komme, die
Götter aber dabei mit ihren Ansprüchen ausfallen.^) Der Staat fasst also
auf diesem Gebiete seine Aufgabe so auf, dass er zwar nicht den Ein-
zelnen zur Erfüllung seiner sacralen Pflichten anzuhalten, wohl aber dafür
zu sorgen habe, dass stets ein Verpflichteter vorhanden sei, an den die
Gottheit mit ihrer Strafe sich halten mag, falls er das Seine nicht thot
-In allen Handlungen des sacralen Rechtsverkehres wird, wie die
Familie durch den Paterfamilias,') so jeder Verband, gleichviel ob privater
oder öffentlich rechtlicher Natur, durch seinen Vorsteher^) und die Gemeinde
durch ihre regelmässige Obrigkeit vertreten.^) Die Beamten cum imperio
vermögen sowohl durch votum die Gemeinde rechtskräftig zu verpflichten ^)
als bei der Einlösung des Gelübdes durch Auflassung des gelobten Ob-
jektes an die Gottheit {dedicatio) das Gemeindegut auf diese zu übertragen,^)
ebenso können nur sie die Devotion in rechtlich wirksamer Weise aus-
sprechen ; ^) ihnen fällt ferner die Ansetzung ausserordentlicher oder wandel-
barer Feste, ^) d. h. die Überweisung bestimmter Tage an den Dienst der
Götter und damit ihre Entziehung aus dem Exeise menschlicher Geschäfte,
zu, sie vollziehen die zur Lustration der Gemeinde aus Anlass von Pro-
digien angeordneten Eultakte ^) ebenso wie die in Erfüllung stets sich
>) Die auBgebUdete Kftwiifltik der pontifi-
kalen FestBetzongen und die zur Vermeidung
der tnolestia sacrarum von den Verpflich-
teten angewandten Kniffe und Umgehungs-
N, versuche lernen wir aus den Darlegungen
Ciceros de leg. 11 48 ff. (vgl. pro Mur. 27}
kennen; s. dazu Sayiony, Verm. Schriften 1
151 ff. H. BüBCKHARD, Zschr. d. Savigny-
Stift. IX 1888 Roman. Abt. S. 286 ff. B. Eüb-
LBB ebd. XI 1890, 87 ff.
') Cato de agric. 143: rem divinam
(vilica) ni faciat neve tnandet, ^gfut pro ea
faciat, inittssu domini atU dominae (vgl. c. 5).
scito dominum pro tota famüia rem divtnam
facere,
') Gewöhnlich fCLhrt er den Namen
magister, so die magistri vicorum (oben
S. 151 f.), femer bei den montani und pagani
(Bull. com. XV 1887, 156 ff. Moicmsen, Staatsr.
III 117), sowie an der Spitze verschiedener
Priesterschaften (Quindecimvim , Arvalen,
Salier, Luperci) und privater coüegia. Ganz
ebenso steht in der Curie der Curio (Mokksen,
Staatsr. ITl 101), der deshalb, weil dieThätig-
keit der Gurien später eine rein sacrale, nicht
mehr politische war, noch lange kein eigent-
licher Priester ist {magister curiae heisst er
in Afnka CIL VIII 14683). Nur der Gens
fehlt die Vertretung durch ein Oberhaupt
(MoMMSEH a. a. 0. III 17).
*) MoMMSEN, staatsr. I 233 ff. n 126 ff.
') Eine Ausnahme findet im J. 580 =174
statt, wo auf Veranlassung der Decemviri s. f.
das ganze Volk auf dem Forum das Gelübde
zweitägiger Ferien und einer Supplication
ablegt (Votum concepit), Liv. XLI 21, 11.
*) liv. IX 46, 6: cum more maiormm
negaret (der Pontifez maximus) nisi con-
sulem aut impercUorem posse templum de-
dicare,
') liv. VIII 10, 11: ülud adiciendum
videtur, licere consiUi dictatorique et prcie^
tori, cum legionea hostium devoveat, non
utique se, sed quem velü ex legUme Bamana
scripta civem devovere; wenn es also bei liv.
V 41, 3 von den beim Einrücken der Gallier
in der Stadt zurückgelassenen Greisen heisst:
sunt qui M, Folio pontifice mcußimo praefante
Carmen devovisse eos se pro p{Uria Quiri-
tibusque Romanis tradant, so verkennt diese
Ueberlieferung das Wesen der Devotion.
^) Macr. S. I 16, 6: conceptivae {feriae)
sunt quae quotannis a magistratibus vel
sacerdotibus concipiuniur in dies vel certos
vel etiam incertos, ut sunt Lcttinae (indiciert
von den Konsuln, Mommsen a. a. O. II 128,
vgl. III 1055, 3), SemenHvae (nicht von den
Pontifices angesetzt, denn Varro de 1. 1. VI 26
ist korrupt), PagancUia, Compitaiia (kon-
cipiert durch den Praetor, Gell. X 24, 3 ==
Macr. S. 1 4, 27); imperativae sunt quas eon-
süles vel praetores pro arbitrio potestatis
indicunt (solche feriae imperativae waren es
z. B., die Bibulus auf alle Comitialtage an-
setzte, um Obstruktion zu treiben, Cass. Dio
XXXV III 6, 1 ; anders freilich jetzt Momiasir,
Staatsr. III 1058, 2).
*) z. B. Liv. XXXIV 55, 2: neque senatus
haberi neque respuhliea administrari.poterat
sacrificando expiandoque occupatis con-
sulib^.
61. Saoralreohtliohe Grandlagen.
339
erneuernder Vota in jährliehen oder grösseren Abständen wiederkehrenden
sacralen Akte und Darbringungen. ^) Der Privatmann kann die Gemeinde
weder vertreten noch verpflichten noch über ihr Eigentum verfügen, es
sei denn, dass er durch Spezialauftrag (nominatim) vom Volke dazu bestellt
ist,^) wie es z. B. bei der Bestellung von duoviri aedi dedicandae^) ge-
schieht; auch die des imperium entbehrenden Beamten, selbst die Censoren,^)
bedurften einer solchen Ermächtigung durch Volksbeschluss.^) Dieser Grund-
satz der ausschliesslichen Berechtigung der Obermagistratur zur sacralen
Vertretung der Gemeinde erfährt aber eine sehr bedeutsame Einschränkung,
indem der gesamte regelmässige Dienst der Staatsgötter den Magistraten
abgenommen und den Priestern überwiesen ist.^) Wird in Einlösung eines
Gelübdes ein neuer Kult begründet, so überweist der consecrierende Magi-
strat dabei ein für allemal die Ausübung der laufenden gottesdienstlichen
Handlungen, deren Art und umfang durch das Gelübde im einzelnen ge-
geben ist, an bestimmte, in Zukunft sich selbst ergänzende und erneuernde
Träger,^) und diese Handlungen scheiden damit für alle Zeit aus dem
magistratischen Funktionskreise aus. Ganz ebenso stellt man sich den
Hergang bei der Festsetzung der ältesten Religionsordnung durch Numa
vor: die stetige Vollziehung des regelmässigen Gottesdienstes musste durch
Bestellung eigener Träger sichergestellt werden gegen jede Unterbrechung
und Störung, wie sie bei der häufigen Abwesenheit des Oberbeamten von
der Stadt sonst unvermeidlich gewesen wäre.^) Die älteste Praxis war
0 Es genügt, an die Opfer des magi-
siratisohen Neigahrs (Mommsbn, Staatsr. I
594 f.)» an das Latiar (oben S. 109) und an
die Ceremonie des Sftkularnagels (oben S. 111
und MoMMSEN, Staatsr. II 148 f.) zu erinnern;
auch das Lustrum gehörte ja ursprünglich
zum Oberamte (Mommsen a. a. 0. 323).
') Das Gutachten der Pontifices über
die Consecration von Ciceros Haus lautet:
8% neque popuU iussu neque plebia 8cüu is,
gut se dedicasse diceret, nominatim et rei
praefectiM esset neque populi iussu atU ple-
bis scitu id fctcere iussus esset, videri posse
sine religione eam partem areae M. Tidlio
restitui (Gic. ad Att IV 2, 3, vgl. de domo
106 — 141); ebenso Cic. de domo 136: quod
in loco puhlico Lidnia Gai ßia ininssu
populi dedicasset, sacrum non viderier.
') Ueber sie Mohxsen, Staatsr. II 601 ff.
*) Gegenüber dem Censor des J. 600 =
154 C. Cassius Longinus, der die Curie samt
dem Bilde der Concordia dieser Qöttin weihen
will, entscheiden die Pontifices: nisi eum
populus Bomanus nominatim praefecisset
atgue eius iussu faceret, non videri eam
posse rede dedicari (Gic. de domo 180. 136).
^) Auch der Träger des imperium kann
durch Volksbeschluss veranlasst werden, eine
Weihung zu machen (Liv. IV 20, 4: dictaior
eoronam auream libram pondo ex publica
pecunia populi iussu in Capitolio lovidonum
posiiit) oder ein Gelübde zu thun (Liv. XXll
10, 1 : pontifex maximus . . . poptUum con-
sulendum de vere sacro censet; iniussu pO'
puli voveri non posse); aber bei der Wei-
hung ist der Volksbeschluss nur eine Auf-
forderung etwas vorzunehmen, wozu der
Diktator auch von sich aus befugt gewesen
wäre, und die Forderung der Zustimmung
des Volkes zu dem ganz eigenartigen und
tief eingreifenden Gelübde des Ver sacrum
ist eine wohl verständliche Ausnahme ; übri-
gens thut das Gelübde auch in diesem Falle
nicht das Volk, sondern der Magistrat (Liv.
XXXni 44, 2: ver sacrum . . . quod . .
praetor voverat de senatus sententia po^
pulique iussu),
«) MoxMSBN, Staatsr. II 17 ff. 126 f.
^) Zu den Obliegenheiten des mit der
Dedication der aedes Mercurii (oben S. 248 f.)
betrauten Konsuls gehört nach Liv. II 27, 5
praeesse annonae (weil Getreidenot Anlass
zur Weihung gegeben hatte), mercatorum
collegium instituere, sollemnia pro pontifice
suscipere (d. h. Aussprechen der Dedications-
formel samt der für die künftige Gestaltung
des Gottesdienstes massgebenden lex templi).
•) Liv. I 20, 1 : tum sacerdotibus cre-
andis animum adiecit, quamquam ipse plu-
rima sacra obibcU . . . sed quia in civitate
bellicosa plures Romüli quam Numae simües
reges putäbat fore iturosque ipsos ad bella,
ne Sacra regiae vicis desererentwr, flaminem
lovi adsiduum sacerdotem creavit u. s. w. ;
vgLI 33, 1 : Äncus demandata cura sacrorum
flaminibus sacerdottbusque cUiis . . .profectus,
22»
340
Religion und Knltns der BOmer. UL KnltaB.
die, die Fürsorge für einen bestimmten Kult einem einzelnen Geschlechte
zu übertragen/) so dass dieses nun ausser seinen privaten sacra gentüicia
auch Sacra publica zu vollziehen hatte;') an die Stelle der Geschlechter
traten dann freie coUegia oder sodalüates ohne gentilicischen Zusammen-
hang,^) die zunächst einen rein sacerdotalen Charakter trugen; die Organi-
sation des coUegium pontificum (einschliesslich der Flamines und Vestalinnen,
dazu noch der Hex sacrorum), die mit dem Abschlüsse der ältesten Reli-
gionsordnung zusammenfällt, bedeutet die Concentrierung der sacra sol-
lemnia der di indigetes in der Hand einer vom Staate bestellten Piiester-
schaft.^) Ergänzend tritt dazu dann für den Gesamtkreis der Eultobliegen-
heiten des graecus ritus das Collegium der duoviri bezw. decemviri sacris
faciundis; alle später zur Verehrung bestimmter Gottheiten oder Übernahme
bestimmter Funktionen vom Staate eingesetzten Genossenschaften ent-
behren der priesterlichen Qualität.*^) Eine gewisse Modifikation erfahren
die für die Verteilung der sacralen Akte massgebenden Grundregeln in
Bezug auf die öffentlichen Spiele. Soweit diese integrierende Bestand-
teile regelmässiger Festfeiern älterer Ordnung sind, fallt ihre Ausrichtung
durchaus den Priestern und Eultgenossenschaften zu;^) die Spiele des
jüngeren Typus aber (s. darüber § 64), gefasst als Einlösung stetig sich
erneuernder Gelübde, sind stets magistratisch geblieben, nur sind sie, so-
bald sie ständig wurden,^) durch Volksbeschluss dem Oberamte abgenonmien
und an die beiden Aedilencollegien übertragen worden ; ^) der Grund dafür,
dass hier nicht Priester, sondern Beamte niederer Gattung an Stelle der
Obermagistratur treten, liegt darin, dass die Spiele, wenn auch von Haus
aus sacrale Veranstaltungen, doch bei der reichen und eigenartigen Aus-
^) Arnob. III38: solere Romanos reit-
giones urbium superatarum partim privatim
per famüias spargere partim publice con-
secrare meint trotz falschen Ausdruckes offen-
bar diese Praxis; vgl. im allgemeinen Momm-
Bss, De coUeg. et sodalic. 7 ff.
') Die Scheidung beider Arten von
Sacra der Geschlechter ist im einzelnen
Falle bei der Dürftigkeit der Nachrichten
sehr unsicher; zu den sacra publica ge-
hörte sicher der Kult des Sol durch die
Gens Aurelia (oben S. 261), des Hercules
durch die Gens Potitia (oben S. 221 f.), des
Tigillum Sororium (oben S. 92) durch die
Gens Horatia (Liv. 1 26, 13), dagegen war
der Minervendienst der Nautii (Sery. Aen.
II 166. V 704) und der Vejoviskult der Julii
(CIL XIV 2887, vgl. oben S. 241) wohl pri-
vater Natur.
') Am deutlichsten erkennbar bei den
Luperci, deren Bezeichnung als Quinctiales
und Fabiani die gentilicisohe Herkunft un-
widerleglich bezeugt; dasselbe spricht sich
im Namen der so dal es Titii und auch der
fratres Ärvales aus.
*) Daher heissen sie auch sacerdotes
publici oder sacerdotes schlechthin, z. B.
Varro de 1. 1. VI 21. Gell. XIII 23, 1. Tertull.
de spect. 5.
') Hierher gehören das collegium merca-
torum des Merkurtempels (oben S. 249), die
collegia compitalicia Ar den Larendienst an
den compita (S. 151), das collegium Capito^
linorum für die Ausrichtung der Ludi Gapi-
tolini (oben S. 1 12) und das für die der Ludi
Victoriae Caesaris (oben S. 238); dagegen
waren die bei der Einführung des Dienstes
der Magna Mater gestifteten sodalitates
(Cic. Cato mai. 45) private Vereinigungen,
wie schon die Mehrzahl zeigt.
') So bei den Consualia (Varro de 1. 1.
VI 20: ab sacerdotibus) und wohl auch bei
dem Wagenrennen an den Equirria und am
15. Oktober (s. oben S. 131 f.) den Pontifices^
bei den Ludi Capitolini den magistri des
collegium Capitolinorum (s. Anm. 5).
') Ausserordentliche Spiele werden stets
von den Beamten cum imperio ausgerichtet,
z. B. Cic. pro Sest. 117.
») MoHMSEN, Staatsr. II 128 f. 505 ff.
Doch liegt eine Erinnerung daran, dass
eigentlich die Aedilen als Spielgeber nur die
Magistrate cum imperio verireten, darin,
dass es einer der letzteren sein muss, der
den Vorsitz bei den Ludi Romani führt, im
Notfalle sogar ein eigens dazu gewählter
DikUtor (Liv. VHI 40, 2; vgl. XXVII 33, 6).
61. Sacralreohtliche Grundlagen.
341
gestaltung, die sie erfuhren, diesen Charakter nicht rein bewahrt habend
und stark in das öffentliche Leben eingriffen, so dass eine Angliederung
der cura ludorum an den Funktionskreis der mit der städtischen Polizei-
verwaltimg betrauten niederen Magistrate zweckmässig erschien.') Weder
an die Priesterschaft noch an die niedere Magistratur übertragen worden,
sondern mit dem magistratischen imperium in Verbindung geblieben ist die
Ausrichtung der ältesten Spiele des graecus rituSj der Ludi ApoUinares,')
sowie die Ausübung einiger weiterer Jahresakte griechischer Observanz,
so die Darbringung des Herculesopfers an der Ära maxima (oben S.222),
die Leitung der Argeerprozession *) und — durch Vermittlung der Gattin
des Magistrates — der Nachtfeier der Bona Dea (oben S. 178): nur ist hier
überall, wenn nicht durchweg rechtlich, so doch thatsächlich an die Stelle
der durch ihre Thätigkeit oft von Rom ferngehaltenen Consuln der Träger
des niederen imperium, der Praetor urbanus, getreten, dessen ständige An-
wesenheit in Rom die regelmässige Ausübung solcher wiederkehrender
und an den Tag gebundener Akte ermöglichte; im Anschlüsse daran ist
in der Eaiserzeit die Praetur die spielgebende Magistratur schlechthin ge-
worden.') Eine starke Einengung hat die Wirksamkeit der Magistrate als
sacraler Vertreter der Gemeinde durch die immer steigende Mitwirkung
des Senates erfahren. Denn je wichtiger für den Bestand des Staates die
korrekte und prompte Abwickelung des Rechtsverkehres mit den Staats-
göttem war, um so begreiflicher ist es, dass es gerade bei den ins Sacral-
wesen gehörenden Akten der Magistrate zur Regel wurde, den Senat zu
befragen und weiterhin seiner Meinung sich zu fügen, während man aus
demselben Grunde die sacralen Angelegenheiten den Zufälligkeiten der
Volksabstimmung möglichst entzog.^) Bei der Einrichtung neuer Priester-
tümer oder Vermehrung der Stellenzahl innerhalb der alten, ^) sowie bei
der Einrichtung von ständigen Spielen und Verlängerung ihrer Dauer ^)
wird ein Beschluss der Bürgerschaft herbeigeführt, dagegen ist für die
Aufnahme neuer Gottheiten in den Kreis der römischen Staatsgötter (con-
secratio) die Zustimmung des Senates ausreichend, aber auch unerlässlich
gewesen,^) und die Entscheidung über die Erneuerung {instauratio) von
') Der UnterBchied yon Opfern und
Spielen tritt deutlich hervor hei der ersten
Anordnung der Ludi Apollinares, wo die
ersteren den Decemyiri s. f. , die letzteren
dem Praetor urbanus zugewiesen werden:
his ludis faciendis praeerit praetor is, gut
iiM popülo pleheique däbtt summum, decem-
viri graeco ritu hostiis sacra fadant (Liv.
XXV 12, 10).
') Die polizeiliche Befugnis der Spiel-
geher kommt auch dadurch zum Ausdrucke,
dass sie in allen Fällen, auch die magistri
vicorum und die pnvaten domint ludorum
fwnebrium, Lictoren führen (Mohm sen, Staatsr.
I 375 f.).
») Liv. XXV 12, 10. Macr. S. I 17, 28;
nicht ganz sicher einzureihen sind die vom
Praetor ausgerichteten ludi piscatorii (Fest,
p. 238, 8. oben S. 184).
*) Dion. Hai. 1 38, 3, vgl. Jobdan, Topogr.
1 1 S. 288.
^) MoMMSEN a. a. 0. 11 226 f.; über kon-
sularische und kaiserliche Spielgebung s. ebd.
11129. 910 f.; CIL Pp. 306.
•) MoMXSBN a. a. 0. III 1049 ff.
') So bei der Einsetzung der Tresviri
epulones (Liv. XXXIII 42, 1), bei der Ver-
mehrung der Stellenzahl der Duoviri s. f.
auf 10 (Liv. VI 37, 12), der der Pontifices
und Augures durch die Lex Ogulnia (Liv. X
6, 6) und nachher aller drei PriestertUmer
durch Sulla (Liv. epit. 89).
8) Liv. XXVII 23, 7. Macr. S. I 11, 5.
Gic. Phil. II 110; vgl. Momusen a. a. 0.
m 339.
®) Tertull. apol. 5: vetus erat decretutn,
ne qui det^ ab imperatore consecraretur nisi
a senatu prohatua (s. oben S. 40); vielleicht
342
Beligion und Knltua der Römer. IIL Kultus.
Kultakten wegen vorgefallener Verstösse und über die Procuration von
Prodigien erfolgt regelmässig im Senate. 0 Für Votum und Dedieation ist
eine Zustimmung des Senates nicht erforderlich,') sofern der gelobende
Magistrat die Kosten aus den zu seiner immittelbaren Verfügung stehenden
öffentlichen Mitteln, insbesondere bei Kriegsgelübden aus dem ^Erlöse der
Beute {manubiae), zu bestreiten vermag;') ist dies aber nicht der Fall und
muss er für die Einlösung seines Gelübdes den Staatsschatz in Anspruch
nehmen, so ist eine Bewilligung der Mittel durch den Senat notwendig,
der auch die Höhe der auszuwerfenden Summe festsetzt.^)
Die Kosten des gesamten Staatskultes werden aus öffentlichen Geldern
bestritten.^) Nicht der Gott selbst erhält seinen Tempel und Gottesdienst
aus eigenen Mitteln, zum Göttergut gehört nur der Tempel mit dem Götter-
bilde und den Geräten und Weihgeschenken, Dinge, die nicht werbendes
Vermögen bedeuten, sondern für ihre Unterhaltung Kosten verursachen;
werbendes Gut kann der Gott nicht besitzen^) und nicht erwerben,^) er
bedarf dessen aber auch nicht, denn mit der Beception eines Gottesdienstes
übernimmt die Gemeinde die Verpflichtung nicht nur zur Instandhaltung
des Tempels und der übrigen res sacrae,^) sondern auch zur dauernden
bezieht sich daraaf das angeblich im J. 450
= 304 erlassene Gesetz ne quis templum
aramve iniussu senatiM aut trtbunorum
plehei partis maioris dedicaret, Liv. IX 46, 7.
') Es ist damit nicht ausgeschlossen,
dass in ganz einfachen Fällen, wo die Art
der Erledigung eines Prodigiums durch feste
Tradition oder sacrale Anordnung gegeben
ist, die Konsuln selbständig vorgehen; für
die Prokuration des in loco publico einge-
fahrenen Blitzes (oben S. 107) sind wahr-
scheinlich wie für eine regelmässig wieder-
kehrende Kulthandlung ein. für allemal die
Pontifices bestellt gewesen (Liv. I 20, 7.
Schol. Juv. 6, 587).
') Natürlich kann sie aber eingeholt
werden, z. B. Liv. VII 11, 4: (dictator) ex auc-
toritate patrum, si proapere id bellum eve-
nissett ludos magnos vovü u. a.; die zur
Prokuration von Prodigien vorgenommenen
Gelobnisse erfolgen alle ex aucioritate ae-
7iatu8,
") Die im Kriege gelobten Tempel, bei
deren Dedieation von einer Befragung des
Senates nie die Rede ist, sind offenbar sämt-
lich de manibiis gebaut worden; wenn dies
nur Liv. X 46, 14: reliquo aere aedem Fortis
Fortuncte de manubiis faciendam locavit
erwähnt wird, so geschieht dies darum, weil
hier kein Gelübde vorangegangen war. Diese
Weihung steht also auf gleicher Stufe mit
denen, welche die Aedilen ex pecunia mid'
taticia machen (Mommsen, Staatsr. 1 233;
Strafr. S. 1025).
*) Ablehnung eines solchen Antrags Liv.
XXXVI 36, 2: censfierunt, quos ludoa in-
consulto aenatu (in der Schlacht) ex aua
uniua aententia voviaaet, eoa vel de manu&tts,
ai quam pecuniam ad id reaervaaaetj vel sua
ipae impenaa faceret; dagegen Bewilligiing
Liv. XL 52, 1 : alter ex cenaaribua . . petüt
ab aenatUf ut aibi dedicationia templorum . .,
quae bello Liguatico ante annia odo vovisset,
pecunia ad ludoa decemeretur. viginti müia
aeria decreverunt, Bewilligung aus den be-
reits ins Aerar abgeführten Kriegsgeldem
Liv. XXVIII 38, 14; Normierung des Maximal-
verbrauchs Liv. XXXIX 5, 8—10. XL 44. 9 f.
') Zum Folgenden s. Mommsbn, Staatsr.
II 57 ff. Mabquabdt, Staatsverw. II 79 ff.
^) Das zeigt sich am deutlichsten darin,
dass das durch den Verkauf von Göttergnt
gewonnene Geld nicht rea aacra, sondern
profan ist, Tempelgesetz von Furfo (CIL IX
3513): aei quod ad eam aedem donum datum
donatum dedicatumque erit, utei liceat oeti,
venum dare; übet venum datum erit, id pro-
fanum eato. Auch die Thatsache, dass das
römische Sacralrecht keine Tempelsklaven
kennt, gehört hierher.
n Darum kann die Gottheit auch nicht
zum Erben eingesetzt werden, wovon erst
die Kaiserzeit u. zw. fast nur zu Gunsten
auswärtiger Götter Ausnahmen zuliess. Ulpian.
regul. 22, 6: Deoa heredea inatituere non
possumiM praeter eoa, quos aenatus consulto
conatitutionibuave principum inatituere con-
ceaaum est, aicuti lovem Tarpeium (dazu
MoMHSBN, Staatsr. II 60, 3. PbbnIce, Sitz.-
Ber. Akad. Berl. 1885, 1144), Apoüinem
Didymaeum Mileti, Mortem in Gallia, Mi-
nervam Iliensem, Herculem Gaditanum,
Matrem Deorum Sipylenen, Nemeaim, quae
Smymae colitur, et Caeleatem Saiinenaem
Carthagini.
^) In dieser Hinsicht wird Gemeindegut
61. Sacralreohtliohe Grundlagen.
343
Bestreitung aller für die regelrechte und bei der Dedieation genauer be-
stimmte Ausübung des Kultes nötigen persönlichen und sachlichen Aus-
gaben. XTm die Rechte der Götter gegen jede Willkür sicher zu stellen,
wurden diese schlechthin dauernden Ausgaben der magistratisch-senatori-
schen Bewilligung ganz entzogen, indem man sie durch Anweisung auf
den Nutzungsertrag bestimmter Staatsländereien fundierte^) oder in be-
stimmten Geldbeträgen ein für allemal fixierte;') auch wurden ursprüng-
lich die Strafgelder wohl dm*chweg in sacrum überwiesen, 3) jedenfalls die
Succumbenzbusse der im Prozesse unterlegenen Partei (sacramentum),^)
später fielen wenigstens die vom Pontifex maximus den Priestern seines
Amtskreises auferlegten multae und die Gräberbussen an die arca ponti-
ficum.^) Diese, von der die Kasse der Yestalinnen eine besondere Ab-
teilung darzustellen scheint,^) ist ein vom Aerarium abgezweigter, für die
Unterhaltung der sacra soUemnia der ältesten Religionsordnung bestimmter
Fonds, also eine Art sacraler Centralkasse, deren Verwaltung, soweit es
sich um die feststehenden Ausgaben für den regelmässigen Gottesdienst
handelt, wohl in den Händen der Pontifices lag. Ähnliche Kassen haben
auch die übrigen Priesterschaften ^) und die einzelnen Tempel für die Er-
ledigung der ihnen zufallenden regulären Aufgaben besessen, und zwar
wurden sie ausser durch die fundierte staatliche Dotation und etwaige
Geschenke gespeist durch die Antrittsgelder der Priester und Beamten des
CoUegiums^) und durch die von den Benutzern der Tempel erhobenen
Sportein. ^) Für alle ausserordentlichen Sacralhandlungen aber, d. h. alle
diejenigen, deren Ausführung nicht den Priestern überwiesen ist, sondern
den Magistraten obliegt (oben S. 338 f.), muss das Aerarium die Kosten
tragen und der Senat die erforderlichen Bewilligungen machen. >o)
Der Geltungsbereich des römischen ius saa-um und damit zugleich
des pontificalen Aufsichtsrechtes hat sich vom ursprünglichen ager Romanus
ausgedehnt auf die italischen Bürgergemeinden ^^) und umfasst seit dem
und Göttergut nicht getrennt behandelt, die
Fürsorge für die Unterhaltung beider liegt
den Censoren ob.
0 Gros. V 18, 27 (vgl. Appian. Mithr. 22):
cum penitfis exhaiMtum esset aercmum . . .
loca publica, qtuie in circuitu Capitolii pon-
iificibus, augunbus, decemviris et flaminibus
in possessionew tradita erant, cogente inopia
vendita sunt. Grom. lat. p. l62 L.: collegia
sacerdotum itemque virgines habent agrns
et terrüoria quaedam etiam determincUa et
quaedam aliquibus sacris dedicata, in eis
etiam lucos, in quibusdam etiam aedes tem-
plaque; vgl. p. 117. 235. 283. Fest. p. 189:
locus in agro Veienti, quo frui soliti pro-
duntur augures Romani.
') so namentlich die Spielgelder, Momm-
SBN, Staatsr. I 282 f. III 1129.
*) MoMMSBK, Strafr. 8. 902. 1026; vgl.
auch Lex colon. Genet. c. 65 und dazu
MoHMssir, Ephem. epigr. III p. 106.
*) Fest. p. 347 : sticramenti autem nomine
id aes dici coeptum est, quod et propter
aerari inopiam et sacrorum pt^licorum mu2'
titudinem consumebatur id in rebus divinis,
MoMMBEN, Staatsr. II 65 f.
^) MoMHSBN, Strafr. S. 559. 818 f.
«) MoMXSBN, Staatsr. II 67, 7.
^) Bezeugt für die Arvalen (Henzen,
Acta S. 101) und die Sacerdotes Laurentes
Lavinates (CIL VI 2197).
^) Benzen, Acta fratr. Arv. S. 160.
•) vectigalia templorum Tertull. apol.
42, vgl. ad nat. I 10 (=^ apol. 13): exigitis
mercedem pro solo templi, pro adiiu sacri^
pro stipibus, pro hostiis. vetiditis totam di-
vinitatem, non licet eam gratis coli. Ein
Opfertarif ist CIL VI 820.
•0) z. B. Liv. XXV 12, 12: censuerunt
patres Apollini ludos vovendos fadendosque
et, quando ludi facti essent, duodecim müia
aeris praetori ad rem divituim et diMS hostias
maiores dandas.
'') Fest. p. 157: municipalia sacra vo-
cantur, q'uae ab initio habtAcru/nt ante civi-
totem Romanam acceptam; qwie observare
344
Beligion und Kultus der BAmor. IIL EnltuB.
Bundesgenossenkriege ganz Italien ; ^) dagegen sind die Provinzen ') aUezeit
ausserhalb dieses Rechtskreises geblieben. Nur innerhalb dieses Bereiches
kann die Auspication in rechtsgiltiger Weise vorgenommen werden,') nor
solche Frodigia, die in diesem Bereiche in agro piMico vorgefallen sind,
werden nach Born gemeldet and von Staatswegen procuriert,^) nur für
diesen Kreis gilt der römische Festkalender,^) nur in agro Italico ist es
möglich, ein Grundstück der Gottheit mit der Wirkung zu dedicieren, dass
es in die Rechtsstellung der loca sacra eintritt,^) in der Provinz dagegen
trägt auch der vom römischen Volke geweihte Tempel nur den Charakter
einer Quasi-Sacertät, ^) ebenso wie dort die Grabstätte nicht zum locus
religiosus im Rechtssinne wird, sondern nur pro religibso habetur (Gai. 11 7).
Litteratur: Grundlage fClr die gesamte Darstellung sind die Darlegungen Th. Mokm-
SEHs im Rom. Staatsrecht, namentlich I 73 ff. (Lehre von den AnspiciiO- 233 ff. (Rechts-
geschftfte zwischen der Gemeinde nnd einer Gottheit). II 17 ff. (Verhältnis von Magistratur
und Priestertum). 126 ff. (Fürsorge der Konsuln f&r den Götterdienst). III 1049 ff. (Stellung
des Senats zum Sacralwesen). Ausserdem vgl. Mabqüabdt, Staatsverw. III 256 ff. 302 ff.
A. Th. Wobhigeb, Das Sacralsystem und das Provocationsverfahren der Römer, Leipzig 1843.
H. A. A. Dahz, Der sacrale Schutz im römischen Rechtsverkehr, Jena 1857. E, Lusbbkbt,
Commentationes pontificales, Berolini 1859. A. Pbbhicb, Zum römischen Sacralrechte, Sitz.
Ber. Akad. Berlin 1885, 1143 ff. 1886, 1169 ff.
62. Die gottesdienstlichen Handlungen. Die einfachste und nächst-
liegende gottesdienstliche Handlung, an der auch später noch der Aus-
druck rem divinam facere^) schlechthin gehaftet hat, ist das Opfer, die
eo8 voluerunt pontifices et eo tnore facere,
quo adsuessent antiquüus; vgl. Mommsek,
Staatsr. III 579 f.
^) Tac. ann. Ill 71: cunctasque (Meri-
monias ItcUicis in oppidis templaque et nu-
minum effigies iuris atque itnperii Bomani
esse,
') Nur Gallia Narbonensis, das ja Italia
verius quam provincia ist (Plin.n. h. III 31),
ist vielleicht in dieser Beziehung mit zu
Italien gerechnet worden; wenigstens er-
streckt sich das dem pontifikalen analoge
quindecimyirale Aufsichtsrecht über den Kult
der Grossen Mutter (oben S. 265) ausser auf
Italien auch auf Gallia Narbonensis, freilich
auch auf Lugudunum (CIL XIII 1751).
') Liv. XXVII 5, 15: patres extra Bo-
manum agrum — eum autem in Italiu
terminari — negabant dictatorem dici passe,
vgl. dazu MoMMSBN, Staatsr. II 144, 2 und
CasB. Dio XLl 48, 2. Serv. Aen. II 178.
*) MoMMSEN in 0. Jahns Ausgabe von
T. Livi periochae p. XVIIl S.
') Dass in 9aza die römischen Gonsualia
gefeiert worden wären, wie Mabqüardt,
Staatsverw. III 35, 8 behauptet, ist nicht
richtig; die dafQr angeführte Stelle des
Hieron. vita S. Hilarionis 20 = Mionb, Pa-
trol. lat. XXIII 36 f. redet von gewöhnlichen
Cirkusspielen, die nach einer bekannten ge-
lehrten Kombination (vgl. z. B. Tertull. de
spect. 5) mit Consus zusammengebracht wer-
den, lieber die seit der Einverleibung in
Rom nur noch ad sacra konservierten Ka-
lender italischer Bürgergemeinden (Ovid. fast.
III 87 ff. VI 57 ff. Censor. 20, 1 f. 22, 6) vgL
MoxKSEN, Chronol.S.217ff.; Staatsr. III 580, 2.
706 f.
*) Traian. ad Plin. 50: cum solum pere^
grinae civitatis capax non sit dedicationis,
quae fit nostro iure.
^) Gai. II 7*: item quod in provinciis
[non zu tilgen] ex auctoritate popiUi Bomani
consecratum est, proprie sacrum non est,
tarnen pro Sacra hfibetur; die Tilgung des
non wird vom Sinne verlangt, denn der Satz
sacrum quidem hoc salum existimaUtr, quod
ex auctoritate papuli Bomani consecratum
est (Gai. II 5) gilt auch für den ager Ita-
licus, während die Eigentümlichkeit des
salum pravinciale darin besteht, dass hier
auch die au^toritas populi Bomani eine
wirkliche consecratio herbeizuführen nicht
im stände ist.
^) Qtto die res deina anua fiet , . . quod
rei dinai causa fiat Haingesetz von Spoleto,
Schubideb, Exempla nr. 95; sei quei ad
templum rem deivinam fecerit Tempelgesetz
von Furfo (CIL IX 8513) und sehr oft bei den
Schriftstellern; dann abgektlrzt bloss facere
bezw. fieri mit dem Abi. Instrum. der dar-
gebrachten Opfergabe (porco piaculo facito
Cato de agric. 139; babus auratis Ilvavemus
esse futurum Act. Arval., mehr bei Brissonius,
De formulis I 28, wo auch für den tech-
nischen Gebrauch von operari = rem di-
vinam facere Belege gesammelt sind).
62. Die gotteBdienatlioben Handlungen.
345
Darbringung einer Abgabe oder eines Geschenkes an die Gottheit von
Seiten des Einzelnen oder der Gemeinde. Zur Zeit des alten Kultes, wo
noch reine Naturalwirtschaft herrscht, bestehen diese Gaben natur-
gemäss nicht aus Geld und Geldeswert, sondern von dem, was er
erntet und was er geniesst, bringt der Mensch der Gottheit den ihr zu-
kommenden Teil dar, wie der Hörige seinem Grundherrn. So erhalten die
Götter des Landbaus und des vegetativen Lebens die primitiae der Ernte,
den ersten Ährenschnitt, ^) die erste Bohne, ^) die erste Traube imd den
ersten Most,^) und bei der Gründung der Stadt werden Erstlinge der
Früchte und andere Gaben in den mundus der unterirdischen Götter ge-
worfen (oben S. 188 f.); auch das in historischer Zeit fast ganz verschollene^)
Opfer des ver 8a4:rum,^) bei dem alles, was ein Frühjahr«) von Nachwuchs
an Mensch und Vieh ^) brachte, der Gottheit gelobt und geweiht wurde,
trägt durchaus den Charakter eines ausserordentlichen Tributes. Für ge-
wöhnlich aber und speziell im häuslichen Gottesdienst erfolgt die Abgabe
an die Gottheit in der Weise, dass diese dauernd an der Nahrung des
Menschen teilnimmt: vor dem Sitze des Lar familiaris am Herde nimmt
der Hausherr oder der Vogt mit dem Gesinde die täglichen Mahlzeiten
ein und legt dem Gotte seinen Anteil auf sein Schüsselchen {patella),^)
und der Totenkult vollzieht sich noch in späterer Zeit in der Weise, dass
man den di parentum als inferiae am Grabe Mahlzeiten von bestimmter,
an ältere, einfachere Zeiten erinnernder Zusammensetzung aufstellt.^) Auch
aus besonderen Anlässen rüstet der Hausherr den Göttern, deren Beistand
er benötigt, sein Opfer in Form einer Mahlzeit, für die der alte Cato ge-
naue Vorschriften gibt: so dem Juppiter (dapalis) vor Beginn der Aussaat
Bratenstücke, Früchte und einen Krug Wein, ^o) und pro buhus uti valeant
dem Mars und Silvanus (oben S. 176) 3 Pfund Speltbrod, iV« Pfund Speck,
4 Va Pfund Fleisch und 3 Schoppen Wein. ^ *) Die sehr bestimmt auftretende
Behauptung der antiken Geschichtskonstruktion, dass der älteste römische
Opferdienst ein durchaus unblutiger gewesen sei und das Tieropfer ver-
^) Paul. p. 319 {praemetium)f vgl. p. 91
{Florifertum),
») Fest. p. 277 (refriva faha). Plin. n. h.
XVIII 119.
•) Varro de 1. 1. VI 16. Paul. p. 319
(sacrima), vgl. p. 65 (calpar),
*) Das einzige Bei^iel ist das im J. 537
= 217 gelobte (Liv. XXII 9, 10—10, 6; zur
Formel vgl. F. HasbnmülIiBB, Rhein. Mus.
XIX 402 ff.), im J. 559 = 195 vollzogene
(Liv. XXXIII 44, 1 f.) und im folgenden Jahre
wegen eines bei der Ausflihrung begangenen
Fehlers wiederholte (Liv. XXX IV 44, 1—3. 6)
Ver sacrum.
») Paul. p. 379. Fest. p. 158. 321. Serv.
Aen. VII 796. Sisenna bei Non. p. 522. Strab.
V 250; vgl Dion. Hai. I 16. II 1, 2.
^) pectts quod natum esset inter Kai.
MartÜM et pridie Kai. Maias P. Camelio
et Ti. Sempronio consulibus Liv. XXXIV44, 3.
^) quod ver cUttUerü ex suillo ovülo
caprino bovülo grege quaegueprofana erunt,
lavi fieri Liv. XXII 10, 3 ; der menschliche
Nachwuchs ist hier nicht mehr mit einge-
schlossen.
^) quocirca oportet bonum civem legibus
parere, deos colere, in patellam dare fjuxgoy
xQ^tts Varro sat. Men. 265 Buech., mehr s.
oben S. 149 A. 11.
») Varro de 1. 1. VI 13. CatuU. 59, 2.
Gic. pro Flacco 95 und mehr bei Marqüardt,
Staatsverw. III 312 f.
'^) daps lovi assaria, pecunia (dazu
Paul. p. 244: pecunia sacrificium fi^ dice-
batur, cum fruges fructusque offerebantur),
uma vini (vorher ciUigna vint), Cato de agr.
132; vgl. Paul. p. 68 : daps apud antiquos
dicebatur res divina, quae fiebat aut hibema
setnenti aut vema,
> ») farris l III et lardi p, IUI S et
pulpae p, IUI S, vini s, III, Cato de agr.
83 (vgl. 131 , wo von der Ausfuhrung des
hier Gelobten die Rede ist).
346
Beligion und Ealtua der BOmer. m. KaltnB.
schmäht habe,^) was zur Voraussetzung haben würde, dass damals auch
den Menschen der Fleischgenuss fremd gewesen wäre, trifft jedenfalls auf
die älteste für uns historisch erreichbare Entwicklungsstufe des römischen
Gottesdienstes, die durch die alte Festordnung repräsentierte, ebensowenig
zu, wie die behauptete Ausschliessung des Weines vom sacralen Gebrauche:^)
die Festnamen einerseits der Fordicidia, andererseits der Vinalia genügen
zum Beweise des Gegenteils. Es steht natürlich damit nicht im Wider-
spruche, dass nicht nur in ältester Zeit die privaten Opfergaben einer
bäuerlichen und Hirtenbevölkerung vorwiegend aus denjenigen Dingen be-
standen haben werden, die die bescheidene Nahrung der Darbringenden
ausmachten, gesalzenem Speltschrot (mola salsay) oder Brei (puls) aus
SpeltmehH) oder Bohnen, <^) allerlei Kuchen,^) Honig, Früchten, Käse und
Milch, ^) sondern dass auch solche staatliche Opfer, die eben aus diesem
einfachen Anschauungskreise herstammen, dieselbe schlichte Ausstattung
zeigen und an ihr auch später, nicht, wie man meinte, in tiefsinniger
Symbolik, sondern einfach aus historischen Gründen festgehalten haben. ^)
Im allgemeinen aber hat bereits in der ältesten für uns erkennbaren
Periode der römischen Religion das Tieropfer auch im Privatkulte seine
bestimmte Stellung, namentlich bei Lustrationen und Piacularopf ern : das
Opfer von suovetaurUia lactentia bei der lustratio agri (Cat. de agric. 141),
das Hammelopfer an den Lar familiaris zur Reinigung der funesta famüia
nach einem Todesfalle (Cic. de leg. TL 55), das Piacularopfer eines Hundes
bei Vornahme ländlicher Arbeiten am Feiertage (Colum. II 21, 4) sind offen-
bar sehr alten Ursprunges. Das weitaus beliebteste Opfertier des Privat-
kultes ist das Schwein als das häufigste und billigste Schlachttier :^) die
für gewöhnlich durch unblutige Opfergaben verehrten Haus- und Compi-
tallaren erhalten bei ausserordentlichen Gelegenheiten, z. B. bei der Hoch-
zeit, ^^) das Opfer eines porcus, und namentlich bildet ein solches die regel-
>) z. B. Plut. Rom. 12; Numa 8, 16.
Dion. Hai. II 74, 4. Plin. n. h. XVIII 7. Ovid.
fast. I 337 ff. and dazu A. Schkbkel, De Ovi-
diana Pytbagoreae doctrinae adumbratione
(Diss. Gryphisw. 1885) 33 ff.
2) Plin. n. h. XIV 88, vgl. Hblbio, Ita-
liker in der Poebene S. 71. 110.
») Serv. Ed. 8, 82; vgl. Jordan, Tempel
der Vesta S. 64.
*) Val. Max. II 5, 5. Plin. n. h. XVIII
83 f.; vgl. Hblbio a. a. O. S. 71 f.
*) Varro bei Non. p. 341. Plin n. h.
XVIII 118. Macr. S. I 12, 33; vgl. Hblbio
a. a. 0. S. 70 f.
®) 8. darüber Lobboks nocb beute klas-
siscbe «pemmatologia sacra", Aglaopbamus
II 1050 ff., vgl. Marqüardt a. a. 0. S. 169
A. 3.
0 Kilse und Milcb neben Kuchen und
Scbafen als Opfergaben beim Latiar, Dion.
Hai. IV 49, 3; vgl. Fest. p. 194 »> 26. Cic. de
div. I 18.
^) Hierher gehört es z. B., wenn die
Opfer an die Hirtengöttin Pales (Plut. Rom.
12. Solin. 1, 19. Prob, zu Verg. Georg. III 1.
Ovid. fast. IV 743 ff.) oder an den l&ndlichen
Grenzgott Terminus (Plut. Numa 16. Dion.
Hai. 1174,4; doch finden wir hier später
auch Tieropfer, Ovid. fast. II 655 f. Hör. epod.
2, 59. Plut. a. a. 0.) als ayalfiamo^ ^vclai
begangen werden, oder wenn im Dienste der
Rumina (Varro de re rust. II 11, 4 f. und
bei Non. p. 167. Plut. Qu. Rom. 57; Rom. 4),
Cunina (Varro bei Non. p. 167) und der
Gamenae {eis non vino, sed aqua et Ificte
sacrificari solet Serv. Ecl. 7, 21) Milch die
Stelle der sonst üblichen Weinspende vertritt.
») Polyb. II 15, 3. Varro de re rust. II
4, 9.
^^) Varro de re rust. II 4, 9; ähnlich
Opfer eines porcus beim Begräbnis, Cic. de
leg. II 57 (vgl. die praesentanea porca Fest.
p.250. Mar. Vict. p. 25 E.); sonstige Schweine-
opfer an die Laren Plaut. Rud. 1207. Tibull.
110,26. Hor.cIII 17,15. 23,4; sat. II 3,165.
Prep. IV 1, 23 (vgl. auch die pompejanischen
Wandbilder, z. B. Db-Marobi, Culto private
I 91 ff.), auch an Vesta (Annali d. Inst. 1883
tav. L), Silvanus (Juven. 6, 447), Terminus
(Ovid. fast. II 656) u. a.
62. Die gottMdienstlidhen Handlnngen.
347
massige Ausgleichung, wenn ein piaculum begangen worden ist oder ein
unvermeidliches piaculum im voraus unschädlich gemacht werden sollJ) Die
unblutigen Opfergaben, ausser den genannten Speisen namentlich auch die
Spende von Wein und Weihrauch,') beschränken sich mehr und mehr auf
die täglichen Darbringungen im Dienste der Hausgötter,') bei ausserordent-
lichen und feierlicheren Opfern bilden sie die praefatio sacrorum, indem
die vor dem eigentlichen Empfänger des Opfers angerufenen Götter
Wein, Weihrauch und Kuchen als Spende erhalten;^) ein Rest der alten
Darbringung von mola salsa und Wein ist auch der Brauch, das Opfer-
tier mit diesen beiden Stoffen zu bestreuen bezw. zu begiessen (s. unten
S. 352).
Wie der Gottesdienst der Gemeinde überall aus dem häuslichen her-
vorgegangen und im Prinzipe mit diesem identisch ist, so unterscheidet
sich auch das Staatsopfer von dem häuslichen nur dadurch, dass die Gabe
in demselben Masse eine grössere und reichere ist, wie die Gemeinde an
umfang und Bedeutung über der Familie steht. Daraus ergibt sich nicht
nur das ganz entschiedene Überwiegen des Tieropfers im Staatskulte und
das Zurücktreten der bescheidenen unblutigen Opfergaben in die Stellung
nebensächlicher Zuthaten, sondern auch die Thatsache, dass der Staat für
die wichtigeren Opferhandlungen des ständigen Gottesdienstes das Schwein
fast ganz verschmäht^) und die grösseren und wertvolleren Opfertiere des
genus oviUum und boviUum^) bevorzugt; innerhalb jeder Gattung bilden
dann wieder das Alter (man scheidet im allgemeinen victimae bezw. hostiae
maiores und lactentes, speziell bos, iuvencus, vUulus — ovis, agnus), das Ge-
schlecht {bos mas und bos femina, ebenso ovis mas und ovis femina),'') die
0 z. B. beim lucutn conlucare (Gato de
agr. 189), beim Brache der Feiertagsruhe
(Macr. S. I 16, 10), beim Opfer der porca
praecidanea (oben S. 160; pittculi grcUia
Gell. IV 6, 8) und des propudianus porcus
(Fest. p. 238), bei bestimmten Verstössen
gegen die Bestattungsordnung (Cio. de leg.
II 57) u. a.
*) Hat der Gebrauch des Weihrauches
wirklich erst in verhältnismftssig später Zeit
in Italien Eingang gefunden (Amob. VII 26.
Ovid. fast. I 341 u. a.), so muss im ältesten
Opferdienste ein altes einheimisches Räucher-
werk an seiner Stelle gestanden haben.
') Plaut. Aul. 24: aut iure aut vino aut
äliqui semper suppUcat (dem Lar familiaris).
Ovid. fast. II 631. 635; daher erhalten auch
im J. 458 = 296 die Barger, um die öffent-
liche Supplication im Hause mitzufeiern, auf
Staatskosten vinutn ac ttts (Liv. X 23, 2).
*) lanum lovem vino praefaniino Cato
de agric. 141 bei den lustratio agri, wo das
Opfer dem Mars gilt; ttire vino lano lovi
lunoni praefato, priusquam porcum femtnam
[d. h. die porca praecidanea an Ceres] tm-
tnolabis ebd. 134 ; die folgenden Gebete zeigen,
dass Janus und Juppiter auch strues und
fertum erhalten, und diese beiden Euchen-
arten (s. darüber Paul. p. 85. Fest. p. 310.
Gell. X 15, 14) begegnen uns auch bei den
Arvalbrüdem, wo piacula gesühnt werden
porca et agna^ struibus et feriis (Hbnzen,
Acta S. 135. 139 f.); über das ture et vino
facere der Arvalen s. Hbuzbn a. a. 0. S. 93.
^) Bei den Arvalbrüdem kommt es nur
als Piacularopfer vor (die porcae piaculares
duae lud coinquendi ei operis faciendi am
zweiten Tage des Maifestes, Hbkzbn S. 19ff.,
und porca et agna bei anderen scusra pia^
culariaf Hbnzen S. 128 ff.).
^) Diese Scheidung deckt sich so ziem-
lich mit der in hostiae und victimae (Mar-
QüABDT a. a. 0. S. 171 A. 1), nur dass den
hostiae auch alle anderen kleineren Opfer-
tiere (Schwein, Ziege, Hund u. s. w.) zu-
gerechnet wurden und man das Wort viel-
fach ungenau auch allgemein von allen
Opfertieren mit Einscbluss der Rinder ge-
brauchte. Zum Folgenden vgl. Löbbbrt.
Gomment. pontific. 107 ff. M abquabdt a. a. O.
S. 170 ff. und namentlich C. Ebausb, De Ro-
manorum hostiis quaestiones selectae, Diss.
Marpurgi 1894.
') Das sind die ursprünglichen Bezeich-
nungen, nicht taurus und vacca^ aries und
(ms; vgl. Paul. p. 195. Fest. p. 286 und dazu
Ebausb a. a. 0. S. 11 f.
348
Religion nnd Kultus der Bömer. IIL KnltiiB.
Scheidung der männlichen Tiere in verschnittene und unverschnittene
(taurus,^) bo8 — vervex, aries) weitere Unterabteikingen. Für jede Gott-
heit und für jeden Fall die richtige Wahl des Opfertieres zu treffen, ist
eine schwierige und bei der ausschlaggebenden Bedeutung, die die Dar-
bringung der richtigen Oabe für die Wirksamkeit des ganzen Aktes bat
(s. oben S. 331 f.), sehr wichtige Aufgabe, für deren Lösung die Be-
obachtung einer Menge peinlicher und vielfach sich durchkreuzender
Ritual Vorschriften notwendig ist:*) denn sowohl der Oott, der die Oabe
empfangt, wie die Art der Kulthandlung und endlich der spezielle An-
lass derselben bedingen besondere Erwägungen. Durchgehender Grund-
satz des alti'ömischen Ceremonialgesetzes ist es zunächst, dass aUen
männlichen Gottheiten männliche, den weiblichen weibliche Opfertiere
geschlachtet werden;') aber auch ausser dieser Übereinstimmung des
Geschlechtes sucht man eine gewisse innere Beziehung zwischen der
Beschaffenheit des Opfertieres und dem Wesen der Gottheit, der es dar-
gebracht wird, auf: die Himmelsgottheiten Juppiter und Juno erhalten
mit Vorliebe schnee weisse Rinder,^) Gottheiten der Unterwelt und des
Todes Opfertiere von dunkler,^) Gottheiten des Feuers solche von brand-
roter Farbe,*) trächtige Tiere bilden eine passende Darbringung für die
alles in ihrem Schosse zur Reife bringende Tellus und ihre Genossin
Geres. ^) Auch die Wahl aussergewöhnlicher Opfertiere für bestimmte
Gottheiten ergibt sich aus der Beziehung, die diese Tiere zum Macht-
bereiche der betreffenden Gottheit haben, so z. B. wenn dem Mars allein
das Pferdeopfer zukommt (oben S. 131 f.) oder wenn dem Gotte der ani-
malischen Befruchtung Faunus und der Göttin der weiblichen Empfängnis
Juno Ziegenbock und Ziege dargebracht werden (oben S. 118 f. 173). Aber
auch der Rangunterschied der Götter in der Sacralordnung (vgl. oben S. 20)
kommt dadurch zum Ausdrucke, dass innerhalb derselben Tiergattung ver-
schiedenen Göttern Tiere von verschiedener Wertschätzung geopfert werden ,
0 Dass tauTus ursprflnglich nicht der
Stier, sondern der verschnittene Ochse ist
{taura = vacca sterüis, Varro de re rust.
II 5, 6. Fest. p. 352. Serv. Aen. II 140) hat
Krause a. a. 0. S. 9 f. erwiesen.
*) Cic. de leg. II 29: nam illud ex in-
stitutis pantificum et karuspicum non mu-
tandum est, quibus hostiis immolandum
cuique deo, cui maioriöus, cui lactentibua,
cui maribfM, cui feminie.
') Amob. VII 19: diis feminis feminas,
inares martbus hostias immolare ahstriMa
et interior ratio est vulgique a cognitione
dimota ; über angebliche Ausnahmen s. Ebause
a. a. 0. S. 20 ff.
*) boves niveos Ovid. ex Ponte IV 4, 31
(vgl. Serv. Georg. II 146), bobus albis Hör.
c. s. 49, nivei tauros candoris Amob. II 68,
hostia alba lovis Paul. p. 10; boves femineae
albae Liv. XXVII 37, 11 (vgl. oben S. 114
A. 12) u. a.; in Ermangelung schneeweisser
Tiere half man der Farbe mit Kreide nach,
Lucil. frg. 697 Baehr. Juven. 10, 65.
^) bos et Ovis atri erhalten die Di manes
nach den Cenotaphia Pisana (CIL XI 1420),
verveces atri II Summanus bei den Arvalen
(Heivzen S. 146), bei der Devotion einer
Stadt (doch s. oben S. 822 A. 5) wird ovibus
atris tribus geopfert (Macr. S. III 9, 11).
Auch im griechischen Kulte des Dis pater
kommen furvae hostiae zur Verwendung
(Gensor. 17, 8. Val. Max. II 4, 5 u. a.).
•) vitulo robeo wird dem Volcanus ge-
opfert (CIL VI 826), rutilae canes beim
augurium canarium (Fest. p. 285, s. oben
S. 163).
^) fordae boves der Tellus (oben S. 159),
stis plena der Tellus (Ephem. epigr. VIII
p.263. Fest. p. 288. Amob.VlI22. Ovid. fast.
I 671. Cic. de divin. I 101), Ceres (Macr. S.
III 11, 10, vgl. Serv. Georg. I 345), Maja
(Macr. S. I 12, 20); das Gegenstück bildet
das griechische Opfer einer unfruchtbaren
Kuh an Proserpina (Verg. Aen. VI 251.
Amob. VII 21).
62. Die gQtteadienBtliohen Handlangen,
349
z. B. dem Juppiter der bos mos, dem Mars der taurus, 0 dem Yolcanus der
vitulus (CIL VI 826), oder dem Janus der aries (oben S. 91), dem Quirinus
ein agnus (Fest. p. 189). Jedoch ist diese Vorliebe der einzelnen Oötter
für bestimmte Opfertiere, die ihnen nach ihrer Eigenart und ihrem Range
zukommen,') nicht überall und unbedingt massgebend: am deutlichsten
kommt sie zur Geltung bei den sacra sollemnia, d. h. den ständigen und
regelmässigen Opferhandlungen eines jeden Kultes, für die wie alle Einzel-
heiten so auch die Wahl des Opfertieres durch das Grundgesetz des Gottes-
dienstes gegeben ist; aber auch hier begegnen je nach der Bedeutsamkeit
der einzelnen Opferhandlung mancherlei Abstufungen, z. B. wenn Juppiter
und Juno zwar in der Regel Rinder, aber bei dem allmonatlich wieder-
kehrenden Opfer an den Idus bezw. den Kalendae nur ovis bezw. <igna
erhalten.') Von diesen auf uralte Festsetzung zurückgehenden und dem-
gemäss verhältnismässig bescheidenen Opfern heben sich die im Laufe der
Zeit als Äusserungen der Bitte und des Dankes oder auf Grund einmaliger
oder sich erneuernder Vota hinzukommenden Opferhandlungen durch ihre
sehr viel grössere Üppigkeit ab: bei den ArvsJbrüdem z. B. nimmt sich
das Opfer der agna opima^ das Dea Dia an ihrem Maifeste erhält, fast
ärmlich aus im Vergleiche mit den langen Reihen von Rinderopfern,^) die
bei den zahlreichen Opfern und Gelübden für das Wohl des Kaisers und
seines Hauses zur Darbringung gelangen. Die Veränderung des Wertver-
hältnisses und die Steigerung der Ansprüche kommt auch darin zum Aus-
drucke, dass man bei den sacra sollemnia den durch die alte Satzung vor-
geschriebenen Opfergaben, an denen nichts geändert werden darf, aus
freien Stücken weitere honoris causa hinzufügt, wie z. B. die Arvalbrüder
am Maifeste ihrer Göttin ausser dem Hauptopfer der agna opima und dem
Voropfer der porciliae piaculares regelmässig auch eine vacca honoraria alba
schlachten.^) Insbesondere tritt diese Neigung zur Steigerung der Opfergaben
bei den Lustrationen hervor, wo man glaubt, auf diese Weise der Bitte um
die pax et venia deum (s. oben S. 327) einen um so grösseren Nachdruck zu
verleihen: schon die gewöhnliche Lustration der Bürgerschaft beim Census,
des Heeres vor der Schlacht, des Feldes bei der lustratio agri u. a. lässt
dies erkennen, indem bei dieser Gelegenheit und zwar bei ihr allein^)
^) Bei den Loyalitätsopfem der Arval-
brüder erhält Mars regelmässig den taurus
zum Opfer (vgl. auch Macr. S. III 10, 4), und
auch im Opfer der Snovetaurilia an Mars
ist der taurus so die Hauptsache, dass Cicero
de orai. II 268 sagen kann: (Africanus)
lustrum condidit et taurum immolavit,
') Der Terminus dafür scheint hostia
propria zu sein, vgl. Mommsen und F. Schoell,
Ephem. epigr. VIII p. 261.
*) porcam vel agnam sagt zwar Macr.
1 15, 19, doch macht die Analogie des ovis
Iduiia (oben S. 101) wahrscheinlich, dass die
agna das Hauptopfer war, die porca viel-
leicht ein einleitendes Piacularopfer, wie die
porcüiae piaculares der Arvalbrüder, Hbhzbn
S. 22.
*) Ueber den kolossalen Verbrauch von
Rindern zu Loyalitätsopfem in der Kaiserzeit
vgl. Stellen wie Suet. Cal. 14. Sen. de benef.
ni 27, 1. Ammian. Marc. XXY 4, 17.
^) HsNZBi«, Acta S. 22 und über die Be-
deutung dea Beiwortes honoraria Momxssn,
£ph. epigr. VIII p. 269 f.: das Wort steht
geradezu im Gegensatze zu sollemnia, welches
das durch Grundgesetz und Herkommen Ge*
forderte bezeichnet.
*) Der Charakter des Opfers zur Feier
der Spolia opima (Fest. p. 189) ist nicht deut-
lich, jedenfalls aber ist der Empfänger der
solitaurüia hier wie bei den oben genannten
Lustrationen (s. oben S. 130) Mars. .Nie er-
hält ein anderer Gott dieses Opfer, denn
dass auch die stwvetaurilia beim lustrum
350
Religion und Knltns der Bömer. III. Knltna.
das grosse Opfer der Saovetaurilia , ^) d. h. von Vertretern aller drei
Arten von pecora (Schwein, Schaf und Rind) zur Anwendung kommt,*)
noch mehr aber zeigt sich die gleiche Erscheinung bei den auf Grund
von Prodigien angeordneten ausserordentlichen Akten ähnlicher Art,
wo man nicht nur durch Vornahme immer neuer Sacralhandlungen
(Opfer, Lectisternien, Supplicationen u. s. w.) die Wirksamkeit der Bitte
zu erhöhen sucht, sondern auch in der Bestimmung der Opfertiere stets
sehr freigebig ist; es sind fast immer hostiae maiores,^) oft in sehr
grosser Zahl,^) die bei dieser Gelegenheit allen nach der Meinung der
Sachverständigen in Betracht kommenden Göttern dargeboten werden.^)
Viel bescheidener sind die Piacularopfer; ist das piaculum bei einer Opfer-
handlung begangen worden, so wird es ausgeglichen durch Wiederholung
dieses Opfers,®) bestand es in dem Verstösse gegen irgend eine sacrale
Vorschrift, so geben die leges sacrae des betreffenden Kultes meist die
Strafbestimmung an; in der Regel verlangen sie als Piacularopfer die Dar^
bringung desjenigen Opfertieres, das der betreffenden Gottheit als sacrum
sollemne geopfert zu werden pflegt,^) zuweilen tritt an die Stelle oder an
die Seite dieses Opfers das geläufige Schweineopfer. ^)
tnissum der Arvalbrüder dem Mars gelten,
hat H. Oldbnbbbo, De sacris fratr. Arval.
quaestiones S. 42 ff. nachgewiesen. Die Be-
hauptung des Serv. Aen. IX 624, dass triumphi
namine dem Jnppiter Suovetaurilia geopfert
worden seien, widerspricht seiner eigenen rich-
tigen Angabe Georg. II 146 (de cUbis tauris)
und beruht wahrscheinlich auf einer Ver-
wechslung mit der Feier der Spolia opima, bei
der Juppiter einen bo8 mos, Mars aber soli-
taurilia erhält. Das Opfer von vacca ovia
alba porca an Diana Maxima in der spani-
schen Opferurkunde CIL II 3820 führt nicht
den Namen Suovetaurilia und ist erst römi-
schem Ritus nachgebildet
*) Das Verhältnis der beiden Wortformen
suovetatirilia und solitaitrüia (s. Fest. p. 161.
189. 293. Charis. p. 108 K. Val. Max. IV 1, 10)
ist noch nicht gentlgend aufgeklärt, die
Versuche einer sachlichen Scheidung beider
Begriffe (Krause a. a. 0.. S. 16 ff.) sind ge-
scheitert.
*) Beim liMirumYarro de re rust.II 1, 10.
Val. Max. IV 1, 10. Dion. Hai. IV 22, 1; bei
der ItMtratio exereitus Tac. ann. VI 37, bei
der Lustration der area GapitoUi Tac. bist.
IV 53, beim lustrum missum der Arvalbrflder
Hbnzen S. 143, endlich als siwvetaurilia
lactentia d. h. porcua agnus vituliis bei
der privaten liMtrcUio agri Gate de agric.
141.
') Ausnahmen Li v. XXII 1, 15: decretum
ut ea prodigia partim maioribiM partim
ladentibus procurarentur, XXXVII 3, 6.
^) viginti hostiis matort&u« Liv. XL2,4;
guadraginta maioribua hostiisLiY. XLIII 13, 7 ;
mctumae maiores CXX Liv. XXX 21, 10;
bubus lavi trecentis Liv. XXII 10, 7; quin-
quaginta capris Liv. XLV 16, 6.
^) Bei dem Lustrationsakte der Arval-
brüder im J. 224 (CIL VI 2107) werden ausser
suovetaurilia maiora (fQr Mars, s. oben S. 349
Anm. 6), zwei KtLhen für Dea Dia und einem
tauru^ für den Genius des regierenden Kaisers
nicht weniger als 50 Tiere des genus avülum
verschiedenen Gottheiten geopfert.
^) Gato de agrio. 141 : si minus m omnis
litabü, sie verba concipito: „Mars pater^ si
quid tibi in illisce suovetaurüibus lactenttbus
neque satisf actum est, te hisce su>avetaurüibus
piaculo/* si in uno duobusve dubitabit, sie
verba concipito: „Mars pater, quod tibi iüuc
porco neque satisfactum est, te hoc porco
piaculo" Dieses zweite Opfertier heisst
hostia su^cidanea (Gell. IV 6, 6: si primis
hostiis litatum non erat, aliae post easdem
diuUae liostiae caedebantur, quae, quia prio-
ribus iam caesis luendi piaculi gratia sub-
debantur et succidebantur, succtdaneae no-
minatae, Paul. p. 803. Serv. Aen. II 140;
zu Serv. Aen. VIII 641 vgl. E[baübb a. a. O.
S. 31).
^) z. B.: sei quis molasit, love bovid
piaclum datod Haingesetz von Spoleto,
SoHNEiDBB, Exempla nr. 95; paelex aram
lunonis ne tangito; si tagit, lunoni crinibus
demissis agnum feminam (s. oben S. 849
Anm. 3) caedito Lex Numae bei Paul p. 222;
telo, super quod stans constU precatus est,
hostempoiiri fas non est; si potiatur, Marti
suovetaurüibus piaculum fieri Lrv.VIII 10, 14 ;
wenn die Reparatur eines Grabmals erfolgt
piacfüo prius dato operis faciendi ove atra
(GIL X 8259), so gilt das Opfer der ovis atra
den Manen (vgl. S. 348 Anm. 5).
^) Die Arvalbrüder opfern am Uaupt-
62, Die gQtteBdienBtliohen Handlangen.
351
Vor der Vollziehung des Opfers muss eine genaue Prüfung des Opfer-
tieres stattfinden/) denn nur tadellose und von jeder Befleckung — auch
der durch Arbeit im Dienste des Menschen^) -— unberührte Exemplare
sind eine der Gottheit wohlgefällige Opfergabe;') ja sogar der Schein muss
vermieden werden, als werde das Tier gewaltsam :zum Opfer geschleppt:
muss man es zerren oder tragen oder macht es gar einen Fluchtversuch,
so ist das ein Zeichen, dass die Gottheit es verschmähte) Mit Stirnbinden
{infulae) und lang herabhängenden Bändern {viUae) geschmückt, auch be-
kränzt und die Rinder mit vergoldeten Hörnern, so werden die Opfertiere
unter Yorantritt des opfernden Magistrates oder Priesters und deren Ge*
folge von dem Dienstpersonale zu dem vor dem Tempel stehenden Altar
geführt;^) neben dem Altar steht ein tragbarer Feuerherd (foculus) zur
Empfangnahme der einleitenden Wein- und Weihrauchspende, ^) der Opfernde
erscheint in der in eigenartiger Weise gegürteten und mit dem Rücken-
tage des Maifestes lud coinquendi et operis
faciendi porcilias piaculares duM (Hkkzen
S. 20 f.), dagegen bei allen ausserordentlichen
piacula (ob ferrum inlatum in aedem, oh
ramum vetustate delapsum a. s. w.) stets
porcam et agnam opimam (Hbnzbn, Acta
S. 128 ff.).
') Tertoll. ad nat. 1 10: Gdbinius consuJ
kalendis lanuarOs cum vix hostias proharet
prae popularium eoetu. Cic. de leg. agr. 11 93 :
erant hostiae maiorea in foro constüutae,
quae ab his praetoribus de tribunali aicut
a nobis constUibus de consüii sententia pro-
hatae ad praeconem et tibicinem immola-
hantur. Fest. p. 186: optatam hostiam, alii
optimam appeUant eam, quam aedüis (dazu
MoMxsBN, Staatsr. II 498, 2) tribus constitutis
hostiis optat, quam immolari velit; auf
was alles sich die PrQfung erstreckte,
zeigt Plin. n. h. Vlll 188: quam ob rem
victimarum probatio in vitulot ut {eauda)
articulum suffraginis contingat; breviore
nan litant.
*) Macr. S. III 5, 5. Paul. p. 113; dagegen
werden die Tiere zum Opfer gemästet (boves
altüea ad aacrificia publica sagincUi dicuntur
opimi Varro de re rust. II 1,20; opimae
victimae Plin. n. h. VIII 183. X 49 u. a.).
') Der technische Ausdruck dafür ist
purus, Paul. p. 14: Agnus dicitur a Graeco
dno xuv ayvoVf quod significat castum, eo
quod Sit hostia pwra et immolationi apta,
Varro de re rust. II 1, 20: e quis qui iam
puri stmt ad sacrificium, ut immolentur,
olim appeUati sacres, II 4, 16: a partu
decimo die Jiabentur puri et ab eo appeUa-
bantur ab antiquia saeres, quod tum ad
sacrificium idonei dicuntur primum, Plin.
n, h. VIII 206 : suis fetus sacrificio die quinto
purus est, X 156: {gallinae) ad rem dimnam
luteo röstro purae nan videntur, ad oper-
tanea sacra nigrae,
«) Plin. n. h. VIII 183: hoc quoque na-
tatum, vüulos ad aras umeris hominis ad-
latos non fere litare, sicut nee claudicante
nee aliena hostia deos placari nee trahente
se ab aris, Macr. S. III 5, 8. Serv. Aen. II 140
und mehr bei Brissomius, De formulis 1 21-24.
Mabqüardt a. a. 0. S. 180 A. 6. Das geflohene
Opfertier wird, nachdem es eingeholt ist,
getötet, nicht geopfert: sacrorum est ut fu-
giens victima, ubicumque inventa sit, occi-
datur, ne piaculum committatur, Serv. Aen.
n 104.
^) Die Belege fQr das gesamte Detail
des Opferceremoniells, auf das hier nicht
eingegangen werden kann, s. bei Bbissohius
a. a. 0. I 1—69. Schsiffelb in Paulys Beal-
Encycl. VI 670 ff. (sehr unkritisch). Mas-
QüABDT a. a. 0. S. 174 ff. Lübbebt, Gommeni.
pontific. S. 117 ff. Hbnzen, Acta fratr. Arval.
S. 22 ff. 92 ff. Von besonderem Werte sind
die zahlreichen Opferdarstellungen auf Altären
(z. B. aus Pompeji Mau, Pompeji S. 100, aus
Caere Monum. d. Inst VI 13, aus Rom Rom.
Mitt. IV 266; vgl. auch 0. Jahn, Ber. d. sächs.
Gesellsch. 1868 Taf. 4) und öffentlichen Ehren-
denkmälem (z. B. auf der Ära Pacis Monum.
d. Inst. XI 36 , auf einem Denkmale Marc
Aureis Bbunn-Bbückmasn Taf. 269, vgl.
Hblbio, Führer« II 377 nr. 561, auf der
Trajans- und der Marc - Aureis - Säule,
CiCHOBius Taf. 10. 38. 62. 63. 66. 72. 76.
Pbtebsen-y. Domaszbwski • Caldbbini Taf.
13 A. 38 B).
•) Serv. Aen. III 134: sane Varro rerum
divinarum refert, inter sacratas aras focos
quoque sacrari solere (vgl. XII 118) ... nee
Heere vel privata vel publica sacra sine foco
fieri. Willkürlich und mit den Thatsachen
nicht übereinstimmend ist die Angabe Varros
bei Serv. Ecl. 5, 66: diis superis aUaria,
terrestribus aras, inferis focos dicari (vgL
Serv. Aen, III 134: quidam aras superorum
deorum voluMt esse, medioximorum id est
marinorum focos, inferorum vero mundos).
352
Religion nnd Kaltas der Bömer. in. KnltoB.
teile über den Hinterkopf heraufgezogenen Toga,^ ein Herold gebietet
Schweigen und ein Flötenspieler begleitet den Opferakt mit den Tönen
seines Instrumentes.') Die von dem ausführenden Magistrate oder Priester
vollzogene Opferhandlung geht in drei Abschnitten vor sich: der Opfernde
bringt zunächst auf dem Feuerherd die Yorspende von Weihrauch und
Wein dar {iure et vino in igne in foculo fecit),^) sodann vollzieht er die eigent-
liche imtnolatio (immolavitque vino mala cuüroque), d. h. er besprengt das
Opfertier mit Wein, bestreut es mit mala salsa*) und deutet die Tötung
symbolisch durch einen bestimmten Gestus mit dem Messer an;^) diese selbst
aber erfolgt in historischer Zeit nicht mehr durch den Opfernden in eigener
Person, sondern durch die vidimarii; der erstere hat nur noch den Schluss-
akt des Opfers zu vollziehen, nämlich die zur Darbringung an die Gott-
heit bestimmten Teile des Tieres, nachdem sie gekocht und angerichtet
sind, durch Hinsetzen auf den Altar dem Empßlnger zu übergeben {exta
aulicocta reddidit). Denn bei allen Arten der Opfer ^) erhält die Gottheit
vom Opfertiere nur die exta, d. h. Leber, Lunge, Galle, Herz und Netz,
die in einer durch die Ritualgesetze ganz genau vorgeschriebenen Weise
zugerichtet, durch Stücke des Fleisches {augmenta und magmentd) ergänzt
und dann als prosiciae auf den Altar gesetzt und dort verbrannt werden;^)
bei einem vom Schiffe aus den Meergöttem gebrachten Opfer werden sie
roh ins Meer geworfen.^) Die Schlachtung des Tieres und die Zubereitung
*) Die offizielle Opfertracht ist der
cincttM Gabin%i8 (vgl. Maü bei Paült-Wis-
80WA, Real-Encycl. III 2558), der noch in den
Genotaphia Pisana als solche erwähnt wird
(CIL XI 1420, 25: imfmolaverjint cincti Ca-
bino ritu), aber von den beiden Eigentüm-
lichkeiten dieser Tracht, der velatio capitis
(togae parte caput velati Serv. Aen. V 755)
and der die Arme frei lassenden Gürtung
{toga sie in tergum reiecta, ut una eins
lacinia a tergo revocata hominem cingat
Serv. Aen. VII 612), hat sich nur die erste
dauernd erhalten (s. darüber auch oben
S. 333 A. 1), die andere wurde gegenstands-
los, seit der Opfernde die Tötung des Tieres
nicht mehr selbst vollzog.
«) PUn. n. h. XXVIII 11: alium vero
praeponi, qui favere Unguis iubeat, Ubicinem
canere, ne quid cdiud exaudiatur (der Flöten-
spieler fehlt auf keiner Opferdarstellung,
auch nicht auf denen häuslicher Opfer auf
den pompejanischen Wandbildern, vgl. De-
Marchi, Gulto privato 191 ff.). Darum wird
die Opferhandfung charakterisiert durch
Wendungen wie Cic. de domo 128: foculo
posito adhibitoque tibicine; ebd. 124: capite
velato . . foculo posito; de leg. agr. II 93:
ad praeconem et ad tibicinem. Plin. n. h.
XXII 11: ad tibicinem foculo posito.
>) Musterbeispiel ist das Opfer des stell-
vertretenden Magister der Arvalbrüder bei
den Vota annua des J. 87 n. Chr. (CIL VI 2065
I 18 ff.), vgl. dazu Hbnzbn, Acta S. 92 ff.
*) Cic. de div. II 87. Paul. p. 110. 140.
Serv. Aen. 11 133. IV 57. IX 641. X 541.
^) Serv. Aen. XII 173: öbliquum etiam
cultrum a fronte usqu^ ad catuU^m ante
immolationem ducere consueverant; das Ab-
schneiden und Verbrennen der Stirnhaare
(Verg. Aen. VI 245) ist als rOmischer Opfer-
brauch nicht bezeugt.
®) Dass hier zwischen Piacular- nnd
anderen Opfern kein Unterschied stattfindet,
zeigt das Protokoll der Arvalen über die
Opferhandlung am Vormittage des zweiten
Tages des Maifestes; der Promagister ad
aram extas reddidit porcüiares (der porcüiae
piacuJares) . . tn foculo argenteo cespiti
omato extam vacdnam (der vacca honorariä)
reddidit, CIL VI 2104 a 18 f. Ebenso wird
bei den Piacularopfem der Arvalen db ferrum
inlatum {elatum) eigens erwähnt extae red^
ditcie simt, Henzen, Acta S. 135. Holocausta
(Serv. Aen. VI 253) kennt das altrOmische
Ritual nicht, wenn man nicht dahin den
Brauch rechnen will, an den Volcanalia
lebendige Fische ins Feuer zu werfen (Varro
de 1. 1. VI 20. Fest. p. 238).
') Vortreffliche Erörterung der Einzel-
heiten bei LüBBBBT, Comm. pontific. S. 121 ff.;
vgl. auch die interessante Inschrift CIL II
2395 = Cagkat, L'annöe öpigr. 1898 nr. 2:
huius hostiae quae caduMt hie itnmolantur,
exta intra quadrata contra cremantwr, san'
guds hiciculis iuxta superfufndißur.
^) cruda exta victimae, uti mos est, in
mare porricit Liv. XXIX 27,5; vgL Verg.
Aen. V 237. Cic. nat. deor. III 51.
62. Die gotteadieiiBtliohen Handlungen«
353
der exta nimmt eine geraume Zeit in Anspruch, denn es findet dabei auch
eine genaue Untersuchung der inneren TeUe statt (inspicere exta): diese
bUdet den zweiten TeU der vor dem Opfer bereits begonnenen Prüfung
{probatio) des Opfertieres, i) und ist ihr Ergebnis ein ungünstiges, d. h.
zeigt sich an den eocta irgend welche Abnormität,^) so verläuft der Opfer-
akt ebenso ergebnislos, wie eine auyncato begonnene Handlung beim Ein-
tritt von auguria oblativa, oder, wie es mit dem Eunstausdrucke heisst,
die litatio ist nicht eingetreten.') Im Sinne einer solchen nochmaligen Fest-
stellung der Tadellosigkeit und Wohlgefälligkeit des Opfertieres gehört die
Untersuchung der exta nach altrömischem Ritus zu den Erfordernissen
eines jeden Opfers,^) und darum notiert auch das Protokoll der Arvalbrüder
am Haupttage ihres Maifestes: per • . promagistrum agnam opimam immo-
larunt et hostiae lüationem inspexerunt {CIL VI 2104 a 23 f.). Dagegen ist
die gesamte sehr komplizierte Theorie der Extispicin,^) die sich nicht
darauf beschränkt, Geeignetheit oder Nichtgeeignetheit des Opfertieres fest-
zustellen, sondern aus der Beschaffenheit der exta und speziell der Leber
Schlüsse auf zukünftige Ereignisse zu ziehen sich bemüht,^) durchaus un-
römisch und eine spezifisch etruskische, nur von den Haruspices geübte
Kunst/) die seit der Zeit etwa des hannibalischen Krieges bei bestimmten
Gattungen von Staatsopfern üblich wurde (s. unten g 69). Nach der Dar-
bringung der exta {extis redditis) ist der Rest des Tieres (die viscera) profan
und wird verzehrt, beim privaten Opfer von dem Darbringenden und den
etwa von ihm Geladenen,^) bei den sacerdotalen Staatsopfern von den be-
treffenden Priestern;^) wie es bei den magistratischen Opfern gehalten
^) cum hostiae prohant%Mr penes vos a
vitiosissimis scicerdoiibus, cum cuivis prae-
cordia poHus vicHmarum quam ipsorum
sacrificantium examwumtwr, Tert. apol. 30.
') Cic. de div. I 118: tum ipaum, cum
immolare veiis, extorum fieri mutatio polest,
ut aut absü tUiguid aut supersit, vgl. II 35.
Am hftufigsten wird das Fehlen des Herzens
oder des caput iecinoris gemeldet, Panl. p. 244 :
pestifa'a auspicia esse dicebant, cum cor in
extis aut caput in iocinore non fuisset;
Beispiele bei Bbissoniüs, De formulis I 34.
») z. B. Liv. XXVII 23, 4: per dies ali-
quot hostiae maiores sine litatione caesae,
XLI 15, 4: senatus maioribus hostiis usque
ad litcvtionem sacrificcm iussü. Plant. Poen.
489 : si hercle istuc umquam factum est, tum
me luppüer faciat ut semper sacrificem nee
umquam litetn. Mehr bei Henzbn, Acta S. 29.
Mabqüabdt a. a. 0. S. 182 A. 10.
*) Die Unterscheidung von hostiae con-
suUatoriae (Macr. S. III 5, 5) und hostiae
anin.aies (cum enim Trebatitis libro primo
de religionibus doceat hostiarum genera esse
duo, unum in quo volimtas dei per exta
disquirüur, alterum in quo sola anima deo
sacraiur, unde etiam haruspices animales
has hostias vocant Macr. S. III 5, 1 = Serv.
Aen. IV 56, vgl. II 119. III 281. V 483) ge-
hört ansschlieeulich der Haruspicin an und
HAndbuch der kUw. AltertnmswiBBeziflcbaft. V, 4.
ist mit Unrecht von Lübbbbt a. a. 0. S. 104 f.
und Mabqüabdt a. a. 0. S. 185 f. f&r das
altrömische Sacndrecht in Anspruch ge-
nommen worden.
^) s. über diese Müllbb-Dbbcke, Etrus-
ker II 183 ff. W. Dbbokb, Etrusk. Forsch.
V 65 ff. Mabqüabdt a. a. 0. S. 181 f.
«) z. B. Plin. n. h. XI 190: Divo Augusto
Spoleti sacrificanti primo potestatis suae die
sex victimarum iocinera replicata intrinsecus
ab ima fibra reperta sunt responswnque,
duplicaturum intra annum imperium,
^) Der Ausdruck Jiaruspicatio findet sich
daför in den Acta lud. saec. Sever. Z. 78
(Ephem. epigr. VIII p. 286).
®) Cato de agric. 83: übi res divina
facta erity stcUim ibidem consumito. 50: übi
daps profanaia comestaque erit, vgl. 132.
Plaut. Mil. glor. 711: sacrificant, dant inde
partem mihi maiorem quam sibi, abducunt
ad exta; vgl. Serv. Aen. I 211: viscera non
tantum intestina dicimus, sed quicquid sub
corio est (vgl. VI 253 viscera sunt quicquid
inter ossa et cutem est), ut in Alhano Latinis
viscercttio dabaiwr, id est coro,
') pordlias piaculares epulati sunt et
sanguem heisst es von den ArvalbrQdern
CIL VI 2104a 22, woraus folgt, dass auch
das Fleisch der Piacularopfer von den Dar-
bringenden (denn das sind hier die Arvalen)
23
354
Religion und KnltaB der Bömer. in« KnltoB.
wurde, ist nicht überliefert, es ist wohl anzunehmen, dass nicht nur die
Magistrate und die etwa ids Sachverständige beteiligten Priester an der
Opfermahlzeit teilnahmen, sondern auch der Senat sein epulandi publice ius
(Suet. Aug. 35) bei dieser Gelegenheit ausübte. Verkauf des Opferfleisches
zu Gunsten der Tempelkasse ^) und Preisgebung desselben an Unbeteiligte,
also zur Yolksbewirtung,^) begegnet nur in ausserhalb des altrömischen
Religionskreises stehenden Gottesdiensten; in diesen findet sich auch ge-
legentlich die Bestimmung, dass vom Opfertier nichts übrig bleiben darf,
sondern etwaige Reste zu verbrennen sind.^)
Die in Rom recipierten fremden Kulte italischer und namentlich grie-
chischer Herkunft brachten jeder seine eigene Eultordnung und Opfer-
satzung mit, von denen namentlich diejenigen des graecus ritus mancherlei
Abweichungen von den Grundregeln des altrömischen Opferdienstes zeigten.^)
Die wichtigste Neuerung in dieser Richtung war die, dass die sibyllinischen
Bücher in schweren Fällen staatlicher Not auch zur Anordnung von
Menschenopfern griffen, die das altrömische Ceremonialgesetz nicht
kennt; denn so sehr sich alte und neue Mythologen bemüht haben, in be-
stimmten Gebräuchen des römischen Kultes symbolische Ablösungen ehe-
maliger Menschenopfer zu finden,^) so ist doch thatsächlich im alten Gottes-
dienste nichts der Art nachzuweisen, und zum Beweise dafür, dass die
römische Religionsanschauung das Menschenopfer ausschloss {hostiis hu-
maniSj minime Romano sacro, sagt Liv. XXII 57, 6 ; vgl. auch Cic. pro Font. 31),
genügt schon der Hinweis auf die verschiedene Behandlung der Menschen
und der Tiere beim Yer sacrum : letztere werden geopfert, erstere als sacri
ausser Landes gejagt und in die Verfügung der Gottheit gestellt.®) Da-
venEehrt wurde; die Angabe des Serv. Aen.
III 231 sunt atUem hae animdles hostiae,
quae tantum immolantur et caro sacerdotibus
proficit, auf die Piacularopfer zu beziehen ist
schon darum unmöglich, weil die Worte
tantum immolantur die reddüio extorum
ausschliessen, diese aber für die Piacularopfer
der Arvalen feststeht (s. oben S. 352 A. 6).
0 Serv. Aen. VIII 188; vgl. Paul. p. 350
8. ▼. Tatmi litdi,
*) Das sind wohl die hostiae prodigivae
der augusteischen Saecularakten (Z. 90 f.
[Moeris . . hostias] prodigivas Ächivo rtYu),
denn in der Angabe des Fest. p. 250 pro-
diguae kostiae vocantur, ut ait Veranius,
quae consumwntur fehlt etwas Wesentliches,
da in dem consumi an sich (vielleicht a po-
pulo conaumuntur) nichts Unterscheidendes
liegt. Ueber die Volksbewirtungen an der
Ära maxima s. oben S. 226.
») Serv. Aen. VIII 188. Macr. S. II 2, 4.
^) So gilt z. B. das Gesetz, dass das
Opfertier im Geschlecht mit der Qottheit
übereinstimmen müsse, nicht für die grie-
chischen Kulte (P. Stenobl, Jahrb. f. Philol.
CXXXIII 1886, 324 ff.; Apollo z. B. erhält
Ziegenopfer, Liv. XXV 12, 13. Macr. 1 17,29),
und manche ihrer Opfertiere, z. B. die dem
Aescalapius dargebrachte Henne (Paul. p. 1 10},
sind dem römischen Ritus fremd.
*) z. B. in den maniae und püae der
Compitalienfeier (oben S. 149), Macr. S. I 7,
35. Paul. p. 239; in dem Brauche, sich an
den Saturnalia mit sigülaria und Kerzen zu
beschenken (oben S. 170), Macr. I 11, 49;
in der Verbrennung lebender Fische bei den
Volcanalia(obenS. 185), Fest. p. 238. Varrode
1. 1. VI 20; in den Bräuchen bei der Blitzsühne,
Ovid. fast. III 389 ff. u. a. m. Dagegen weisen
die Worte des Gell. V 12, 12 immolaturque
(dem Vediovis) ritu human o capra nicht
auf ein ehemaliges Menschenopfer, sondern
auf Totendienst; vgl. Paul. p. 103: humanum
sacrificium dicebant, quod mortui causa
fiebat
^) Td f^iy xaji&vaayj rä da xa&iiQatoay
Strabo V 250; die Annahme, dass die Ausstos-
sung an die Stelle ursprünglicher Opferung
getreten sei (Paul. p. 379: sed cum crudeU
videretur, pueros ac puellas innocentes inter^
ficere, perductos in adultam aetatem veHäbant
atque ita extra fines auos exigebant), ist
blosse Konstruktion, die Ausstossung oder
Preisgabe ist vielmehr die gegebene AusfÜh-
rungsform der consecratio lebender Wesen;
vgl. Suet. Gaes. 81 : equorum greges, quo8
in traiciendo Bubicone flumine consecrarat
ac vagoa sine custode dimiserat.
62. Die gotteBdienstliohen Handlangen.
355
gegen sind durch die sibyllinischen Bücher mindestens zweimal Menschen-
opfer angeordnet worden, beide in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts
V. Chr., nämlich einerseits die Tötung von 27 Griechen (Ärgei) durch
Herabstürzen vom Pens sublicius in den Tiber, ^) andererseits die Opferung
je eines Paares von Galliei?i und Griechen (GaUus et Gaüa, Oraecus et Oraeca)
durch Lebendigbegraben auf dem Forum boarium ; ^) beide Riten haben das
gemeinsam, dass die Opfer Landesfeinde sind und dass ihre Tötung in
einer von der festen Form des Tieropfers ganz abweichenden Art erfolgt,^)
beide sind nicht nur als einmalige Akte gedacht, sondern in kürzeren oder
längeren Abständen wiederholt worden,^) nur dass bald^) an die Stelle
der wirklichen Menschenopfer stellvertretende Ceremonien traten,^) wie
überhaupt gerade der graecus rüus von derartigen stellvertretenden und
symbolischen Opfem gelegentlich Gebrauch macht, um in Rom schwer
durchzuführende Vorschriften des heimischen Rituals wenigstens zum
Scheine festzuhalten.^)
Während sich der laufende Opferdienst der recipierten Kulte ab-
gesehen von Sondervorschriften der einzelnen Gottesdienste im wesent-
lichen in denselben Formen vollzieht, wie der der alten Religionsordnung,
sind wie die Menschenopfer, so auch andere dem römischen Sacralwesen
ursprünglich fremde Eultakte zur Anwendung gelangt insbesondere bei
den Lustrationen nach Prodigien oder in Fällen grosser öffentlicher Not,
in denen die gewöhnlichen Mittel zur Erlangung der pax deum nicht aus-
zureichen schienen und der Senat deshalb eine Befragung der sibyllini-
schen Bücher durch die dazu bestellte Priesterschaft veranlasste. Unter
den auf diesem Wege angeordneten Eultakten (von der Reception neuer
Gottesdienste auf Grund sibyllinischer Weisung, über die oben S. 44 f. ge-
handelt worden ist, wird hier abgesehen) stehen obenan die Lectisternia
oder Götterbewirtungen. ^) Die römischen Tempel der auf Geheiss der
^) Ueber Alter und Herkunft der Argeer-
Ceremonie s. Wissowa, Real-Encycl. II 689 ff.,
wo auch die Zeugnisse und die neuere Litte-
ratur vollständig verzeichnet sind.
») Zuerst im J. 528 = 226 (Oros. IV 13, 3.
Cass. Dio frg. 48 Melb. Plut. Marc. 3), dann
wieder 538 = 216 (Liv. XXII 57, 6. Plut.
Qu. Rom. 83).
*) Dagegen ist es wirklich eine üeber-
tragnng der Formen des Tieropfers auf Men-
schen, wenn Caesar im J. 708 = 46 zwei
meuternde Soldaten auf dem Marsfelde durch
die Pontifices und den Flamen Martialis
opfem und ihre EOpfe an der Regia anheften
(Cass. Dio XLIII 24, 4), d. h. das Opfer des
Oktoberrosaes (oben S. 131 f.) an ihnen voll-
ziehen lässt.
*) Der Brückensturz der Ärgei findet
alljährlich am 14. Mai statt (Ovid. fast V
621 ff., vgl. Plut. Qu. Rom. 32. 86. Dion. Hai.
1 38), die Begrabung des Gallier- und Griechen-
paares wurde noch zu Plutarchs Zeit all-
jlüirlich im November begangen (Plut Marcell.
8); vgl. auch Plin. n. h. XXVIII 12: boario
vero in foro Chrcteeum CHraecamque defoseos
aut cdiarutn gentium, cum quibus tum res
esset, etiam nostra aetas vidit.
») Vgl. Plin. n. h. XXX 12: DCL VII de-
mum anno urbis Cn, Cornelia Lentulo
P. lAcvnio Grosso coss, sencUitsconsuUum
factum est, ne hämo immolaretur, palam-
que füit in tempus iUud sacra prodigiosa
celebrtxtio; von der apokryphen Opferung
eines bestiarius bei den Feriae Latinae (oben
S. 109 A. 3) weiss also Plinius nichts.
®) Beim Argeeropfer sind es simuicicra
hominum scirpea (Varro de 1. 1. VII 44 u. a.),
bei dem Opfer von GaUus et GaUa erwähnt
Plut Marc. 3 dnoQ^tjjovs xal d^sdtag Is^
^) z. B. bei der cervaria ovis, quae pro
cerva immolabatur (Paul. p. 57), offenbar im
Kulte der Diana-Artemis (Ovid. fast. I 327.
Sil. Ital. XII 136). Im allgemeinen vgl. Serv.
Aen. II 116: et sciendum, in sacris simtUata
pro veris accipi; unde cum de animdlibtAS,
quae difficHe inveniuntwr, est sacrificandum,
de pane vel cera fiuMt et pro veris accipi-
untur,
*) Zum Folgenden vgl. F. Dbnbkbn, De
23*
356
Religion and Knltos der BOmer. in, Knltna.
sibyllinischen Bücher aufgenommenen griechischen Gottheiten enthalten
als bezeichnendes Ausstattungsstück je ein pulvinar, d. h. eine heilige xiUiTy,
auf der zunächst bei der Gründung des Heiligtums,^) dann in regelmässiger
Wiederkehr am Stiftungstage *) und ausserordentlicher Weise bei sonstigen
Anlässen ^) ein puppenartiges Bild der Gottheit niedergelegt wird, um das
Opfer in Gestalt einer Mahlzeit auf einem vor den ledus gestellten Tische
dargebracht zu erhalten:^) als ausserordentlicher Lustrationsakt aber tritt
das Lectisternium in der Weise auf, dass eine Mehrzahl von Gottheiten
dieses Kreises zu einem gemeinsamen Mahle an öffentlichem Orte^) ver^
einigt wird: zum ersten Male aus Anlass einer Seuche im J. 355 = 399
angeordnet, und zwar mit achttägiger Dauer für die drei Götterpaare
Apollo und Latona, Hercules und Diana, Mercurius und Neptunus,^) ist
diese Geremonie im Laufe der nächsten Jahrzehnte aus dem gleichen
Grunde noch viermal genau in der gleichen Weise und Ausdehnung wieder-
holt worden 7) und dann zum letzten Male in der Form des grossen Zwölf-
götter-Lectistemiums vom J. 537 = 217 (s. oben S. 55) aufgetreten (Liv.
XXn 10, 9). Wie bei diesem die Scheidung griechischer und einheimischer
Gottheiten verwischt war, so dringt in der Folgezeit der Ritus des Lecti-
sterniums auch in solche Gottesdienste ein, die nicht dem graecus rüus
angehören, und treten diese Göttermahlzeiten an die Stelle des altrömi-
Theoxenlis, Dias. Berol. 1881. Wackerkakn,
Ueber das Lectisternium, Progr. Hanau 1888.
G. Pascal, Rivista di filologia XXII 1894,
272 ff. = Studii di antich. e mitol. S. 19 ff.
Mabquabdt a. a. 0. S. 45 ff. 187 f.
^) So bei der Reception der Grossen
Mutter, Liv. XXIX 14, 14: lectisiemiumque
et ludi fuerunt, Megalesia appellata. Aus
diesem Zusammenfallen der Gründung des
Heiligtums und der Bewirtung des Gottes
durch ein Lectisternium erklärt es sich, dass
nach Antisttus Labeo (bei Fest. p. 351) fana
Sfstere gleichbedeutend war mit lectistemia
certis locis et du habere; vgl. dazu Britzen-
STEIN, Inedita poet. graec. fragm. II 10, 4.
*) Hierher gehört das lectisternium Cereris
am 18. Dezember (oben S. 246), und es be-
zieht sich darauf der Ausdruck des Livius
XXXVI 1, 2 und XLII 30, 8 in omnibtM fanis,
in quibtAS lectisternium maiorem partem anni
fieri solet.
>) Dahin gehören die Lectisterm'en für
die Fortuna in Caere und die Juventas im
J. 536 = 218 (Liv. XXI 62, 8 f.) und für
Juno Regina und Satumus im folgenden Jahre
(Liv. XXII 1, 18 f.).
*) Daher pulvinar geradezu synonym
mit lectistemium in der Lex col. Jul. Genet.
c. 128 ludos circenses sacrfijficia pulvinaria-
que facienda curent und dazu Mohjcsen,
Ephem. epigr. IT p. 130, 1.
*) Ueber den Ort derEollektivlectistemien
findet sich keine direkte Angabe, es kann
aber nicht wohl der Tempel einer der be-
teiligten Gottheiten gewesen sein, der kaum
für die Bewirtung einer Mehrheit vor Göttern
Platz bot; darum wird bei Liv. XL 59, 7
in foris publicis, übt lectistemium erat,
deorum capita, qui in lectis erant, averterunt
se nichts zu ändern sein (in fanis publicis
Dtjkbb).
') Liv. Y 13, 6: duumviri saeris faciwndis
lectistemio tunc primum in urbe Romana
facto per dies octo ApoUinem Latonamgue,
Herculem et Dianam, Mercurium atque
Nepttmum tribus quam amplissime tum
apparari poterat stratis lectis pUicavere.
privatim quoque id sa4:rum celebratum est,
tota urbe patentibus ianuis promiscttogue
iMu rerum omnium in propatulo posito notos
ignotosque passim (idvenas in ?io^itium
dudos ferunt, et cum inimicis quoque beni-
gne ac comiter sermones habitos, iurgOs ac
litibiM temperatum; vinctis quoque dempta
in eos dies vincula; religioni deinde fuisse,
quibus eam opem dei tiäissent, vinciri, Dion.
Hai. XII 9 f.; vgl. August, c. d. III 17.
^) Das zweite Lectistemium wird nicht
erwähnt, das dritte fällt 390 = 364 (Liv.
VH 2, 2), das vierte 405 = 349 (Liv. VII
27, 1), das fünfte 428 = 326, Liv.Vni25, 1:
eodem anno lectistemium Bomae, quinto
post conditam urbem, iisdem quibus ante
pUtcandis habitum est dis. Noch Marc Aorel
begeht bei der grossen Seuche vor dem
Markomanenkriege Bomano ritu (Gegensatz
ist nicht graecus rituSf sondern die vorher
erwähnten peregrini rittts, d. h. Branche
orientalischer Superstition) lectistemia per
Septem dies, Hist. aug. Anton. phi}os. 13, 2.
62. Die goitesdienatlichen Handlangen.
357
sehen Brauches, dem unpersönlich gedachten Gotte einen Tmbiss {daps)
oder Schmaus (epulum) hinzustellen, ^) insbesondere im Dienste des Juppiter
Optimus Maximus vom Capitol. Jedenfalls ist der Stiftungstag des Tem-
pels, der 13. September, von jeher in der Form eines epulum gefeiert
worden, indem man dem Gotte eine Mahlzeit bereitstellte, und dieser
Brauch ist, als der Tag zum Mittelpunkte der Ludi Romani geworden
war, als ludorum epulare sctcrificium (Cic. de erat. 111 73) beibehalten worden ;
bei den jüngeren Ludi plebei ist dieses epulum zunächst nur ein ausser-
ordentlicher Akt gewesen, der in den Jahren von 542 = 212 bis 558 = 196
im ganzen siebenmal, und zwar stets bei der Instauration der Spiele, er-
wähnt wird.') Da in das letztgenannte Jahr 558 = 196 die Einsetzung
der eigenen Priesterschaft der Tresviri epulones fällt (Liv. XXXIII 42, 1),
so spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass damals auch das lovis epu-
lum der plebejischen Spiele (am 13. November) ständig und zugleich für
beide epula der griechische Ritus der Lectisternien eingeführt wurde. Denn
dass, nachdem schon im hannibalischen Kriege einmal auf Geheiss der
sibyllinischen Bücher ein Lectisternium auf dem Capitol gefeiert worden
war (Macr. S. I 6, 13)^ in den letzten Zeiten der Republik die epula lovis
sich vollkommen in den Formen der Lectisternien vollzogen, indem Bilder
der Götter, wie Menschen geschmückt und zugerichtet, mit Speisen be-
dient wurden,') steht vollkommen fest. Nur in einem Punkte wurde der
römischen Anschauung eine Concession gemacht, indem die weiblichen Gott-
heiten^ die bei den früheren Lectisternien mit den männlichen den lectus
geteilt hatten, auf Sesseln sitzend am Mahle teilnahmen,^) und solche
sellistemia sind in der Folgezeit auch bei Akten des ursprünglichen graecus
rüu8 für weibliche Gottheiten an die Stelle des lectisternium getreten.<^)
In engem Zusammenhange mit den Lectisternien stehen die Suppli-
cationen,®) d. h. die Bitt- und Dankfeste, welche auf Anordnung der
') Nur ein HinsteUen einer solchen daps
liegt zu Grunde, wenn nach der Geburt eines
Kindes dem Pilumnus und Picunmus im
Hause ein lectus gerüstet wird (Varro bei
Non. p. 528, vgl. Serv. Aen. X 76), wof&r
dann später in vornehmen Häusern (Schol.
Bern. Verg. Ecl. 4, 62 ; vgl. TertuU. de anim.
89) die Aufstellung von lectus und mensa
für Juno (Lucina) und Hercules eintritt (s.
oben S. 228). Der lectus mag jüngere Zu-
that sein, aber ein griechisches Lectisternium
ist darum aus dem Brauche nie geworden,
weil das dafür wesentliche Hinlegen der
Götterpuppen fehlt. Altrömische Lectistemia
gibt es nicht, denn die Behauptung, dass sie
in einer lex Numae bei Plin. n. h. XXXIl 20
erwähnt gewesen wären, beruht auf Miss-
verständnis, da die Worte ut convivia pu-
blica et privata cenaeque ad pulvinaria
facüius compararentur nicht Worte des Ge-
setzes sondern des referierenden Annalisten
(Cassius Hemina) sind.
') Joris epulum fuü ludorum causa
Liv. XXV 2, 10. XXVII 36, 9. XXIX 38, 8.
XXX 39, 8. XXXI 4, 7. XXXII 7, 13. XXXIII
42, 11.
') Sehr anschauliche Schilderung des
Seneca bei August, c. d. VI 10; über Musik-
begleitung Cic. Tusc. IV 4 et dearum ptU-
vinaribus et epulis magistratuum fides prae-
cinunt; über die Teilnahme des Senates an
diesen Mahlzeiten Gell. XII 8, 2. Liv. XXX VUI
57, 5. Cass. Dio XXXIX 30, 4. XLVIH 52, 2.
*) Val. Max. II 1, 2: lovis epulo ipse in
lectulum, luno et Minerva in sellas ad
cenam invitabantur.
^) So halten bei der Saecularfeier in allen
drei Nächten die Matronen sellisternia (ao
auch Val. Max. II 4, 5) lunoni et Dianae
duabus sellis positis (£ph. epigr. VIII p. 255),
nnd bei der Sühnfeier nach dem neronischen
Brande propiiiata luno per matronas . . .
et sellistemia ac pervigüia celebravere fe-
mvnae quihv^ mariti erant, Tac. ann. XV 44.
•) Mabqüakdt a. a. 0. S. 48 «. 260 f.,
dessen Scheidung von altrömischer obsecratio
und griechischer supplicatio jedoch unhalt-
barist. LuTBRBACHBR, Prodigieuglaube S. 2 1 f.
358
Beligion und Knltna der Bömer. IIL Knltna.
Consuln bezw. des Senates vom ganzen Volke begangen werden. Alt^
römischer Brauch war es, aus Anlass drohender Prodigien oder in son-
stiger öffentlicher Not ausserordentliche feriae anzusetzen, die naturgemäss
vom Volke dazu benützt wurden, sich den Göttern mit frommer Bitte um
Femhaltung aller Gefahren und Schrecknisse zu nahen ; ') gelegentlich hat
der Senat auch geradezu das Volk zu solchen Akten der Frömmigkeit auf-
gefordert.^) Aber zu einer fest geregelten gottesdienstlichen Handlang
wurden die Supplicationen erst innerhalb des gra^ecus rüus: dass sie zu
diesem gehören, zeigt einerseits die Thatsache, dass die öffentliche Für-
bitte oder Danksagung geschieht ad (oder circa) omnia pulvinaria,^) anderer-
seits der Umstand, dass sie in der Regel ^) nach Befragung der sibyllini-
schen Bücher von den Decemviri sacris faciundis angeordnet werden und den
letzteren auch die Leitung zusteht.^) Das ganze Volk, Männer und Frauen,
oft über den Umkreis der Stadt hinaus, <^) wird aufgerufen, bekränzt and
Lorbeerzweige in den Händen haltend^) zieht man zu den Tempeln, die
sämtlich während dieser Tage offen stehen ^) und in denen man Wein and
Weihrauch opfert,^) während die Frauen knieend, mit gelöstem Haare und
allen Zeichen bittender Demut den Göttern nahen. ^^) Ursprünglich er-
>) Liv. III 5, 14: his avertendis terroribiM
in trvduum feriae indictcu, per quas omnia
deluhra pacem deum exposcentium virorum
mulierumque turba implebantur,
■) Liv. III 7, 7 (bei einer Seuche) : inops-
que senatfM auxüii hutnani ad deos poptUum
ac Vota vertit: iussi cum coniugibus ac liberis
siipplicatum ire pacemque exposcere deum.
ad id, quod stut guemque mala cogebant,
auctoritate publica evocati omnia delttbra
implent, stratae passim matrea crinibua templa
verrentes veniam irarum caelestium fmemque
pesti exposcunt
') Vollerer Ansdrack: supplicatio Omni-
bus dis, quorum pulvinaria Romae essent,
indicta est (Liv. XXIV 10, 13) oder suppli-
catio popülö in diem unum edicta et ad
omnia pulvinaria res divinae factae (Liv.
XXXII 1, 14). Selten finden die Supplicationen
aus bestimmtem Anlasse nur bei einem ein-
zelnen Tempel statt, z. B. supplicatio ad
aedem Herculis nominatim, deinde universo
populo circa omnia pulvinaria indicta (Liv.
XXI 62, 9) oder ad Vestae (Liv. XXVIII 11,7),
Aesculapio (Liv. X 47, 7), Volcano et Cereri
Proserpinaeque (Tac. ann.XV 44), auch ausser-
halb Roms, Fortunae in Älgido (Liv. XXI
62, 8), in Capenaii agro ad Feroniae lucum
(Liv. XXVII 4, 15), in Crustumino (Liv. XLI
13, 3).
*) Ausnahmen : ex decreto pontificum Liv.
XXVII 37,4. XXXIX 22,4; ex response haru-
spicum Liv. XXXII 1, 14; vgl XLI 13, 3 : editis
ab haruspicibus dis quibus supplicaretur.
*) praeeunte Ilviro (bezw. Xviro) Liv.
IV 21, 5. XLI 21, 11; pro coUegio Xvirum
Liv. XXXVIII 36, 4; Xviri nocte lactentibus
rem divinam fecerunt Liv. XXXVII 8, 6.
') in urbe et per omnia fora concüio'
bulaque Liv. XL 37, 3; non tribus tantum,
sed finitimos etiam populos Liv. VII 28, 8;
per totam Italiam Liv. XL 19, 5; sonstige
Vorschriften über Art und Umfang der Be-
teiligung B. oben S. 835 A. 5.
') maiores duodecim annis omnes coro-
nati et lau/ream in manu tenentes supplica-
verunt Liv. XL 37, 3; vgl. XXXIV 55, 4.
XXXVI 87, 5. XLIII 13, 8.
^) itaque praetor extemplo edixit, uti
aeditui aedes sacras tota urbe aperireni,
circumeundi salutandiqtte deos agendique
grates per totum diem populo potestas fieret,
Liv. XXX 17, 6; vgl. XXX 40, 4. XLV 2, 6.
*) publice vinum ac tus praebitum, sup-
plicatum iere frequentes viri feminaeque Uv.
X 23, 1 ; ausserdem finden von Staatswegen
Tieropfer statt: uti supplicatio fieret cuncH-
que magistratus circa omnia pidvinaria vic-
tumis maioribus sacrificarent poptdusque
coronatus esset, Liv. XIJII 13,8. Interessant
sind namentlich die Bestimmungen an der
Ära Narbonensis (CIL XII 4833) : tres eqtdtes
Romani a plebe et tres libertini fiostias
singulas immolent et colonis et incolis ad
supplicandum numini eius thus et vinum de
su^ ea die prctestent (ähnlich mehrfach); iure
et vino supplica/re ist ständige Redensari,
z. B. Suet. Aug. 35; Tib. 70 u. a.
^^) undique matronae in ptiblicum effusae
circa deum deluhra discurrunt crinibus passis
aras verrentes, nixae genibus, supinas manus
ad caelum ac deos tendentes, Liv. XXVI 9, 7 ;
vgl. V 18, 11. Varro de 1. 1. VII 66: Claudius
scribü axitiosas demonstrari consupplica"
trices.
62 Die gotteadienstlichen Handlangen.
359
streckten sich die Supplicationen nur auf je einen Tag, und nur in schweren
Fällen sind sie auf zwei oder drei Tage ausgedehnt worden,') sofern es
sich wenigstens um Bittfeste handelt; bei den Dankfesten nach glücklich
beendeten Kriegen und erfochtenen Siegen zeigt sich schon frühe die
Neigung zur Verlängerung der Festfeier, ^) die am Ausgange der Republik
oft eine ganz ungebührliche Ausdehnung erhielt.^) Diese Dank-Suppli-
cationen, die als Auszeichnung erfolgreicher Feldherren nächst dem Triumphe
die gi*össte Rolle spielen,^) hängen mit den Bittfesten gleichen Namens
insofern aufs engste zusammen, als oft beim Beginne eines Krieges ein
solches Bittfest abgehalten wurde und dabei Gelegenheit war, für den Fall
des glücklichen Ausganges ein Dankfest gleicher Art zu geloben.^) Der
Verlauf beider Feiern ist durchaus der gleiche, nur dass die Dankfeier in
der gratulatio,^) dem Dankgebete, die Bittfeier aber in der obsecratio'^)
gipfelt, weshalb beide Ausdrücke auch neben supplicatio oder an Stelle
dieses Namens gebraucht werden.®) In der Kaiserzeit spielen die Suppli-
cationen als ausserordentliche Dankfeste bei Erfolgen der kaiserlichen
Politik oder freudigen Anlässen im kaiserlichen Leben eine grosse Rolle, ^)
und ein derartiges Dankfest, die Erinnerung an die Übergabe des Lepidus
im J. 718 = 36, ist sogar nach dem Zeugnisse der Kalender zum ständigen
Jahresfeste (am 3. September) geworden; ^^) insbesondere aber vollziehen
sich die einzelnen ständigen Akte des municipalen und provincialen Kaiser-
kultes überwiegend in der Form der Supplication, bei der das Volk Weih-
rauch und Wein darbringt, während das Tieropfer auf die bedeutsamsten
Festfeiern dieses iCreises beschränkt bleibt. ^ i) Von Bittfesten bei der Pro-
») 2 Tage Liv. X 23, 1. XL 37, 8 ; 3 Tage
Liv. XXII 1,15. XXXI 8, 2. XXXIV 55, 3.
XXXVIII 36, 4. 44, 7.
') sencUtts in unum diem aupplicationes
cansulum nomine decrevit, populvts iniussu
et altero die frequens üt 8upplic(xtum Liv.
III 63, 5.
*) 10 Tage Gic. de prov. cons. 27; 15 ebd.
26. Caes. b. ü. II 35, 4; 20 ebd. IV 38, 5. VII
90, 8; das höchste sind 50 Tage, Gic. Phil.
XIV 29. 37. Augustus ¥nirden im ganzen
55 Supplicationen mit einer GesamtziSil von
890 Tagen zuerkannt, Mon. Anc. 1, 24 ff.
*) Mabqüabdt, Staats verw. II 581.
*) Ganz so bei einer Pest im J. 580 =
174: ea? decreto earum (der Decemvim) diem
unum auppliccUio fuit et Q. Marcio Philippo
verba praeeunte populus in faro votum con-
cepit, si morbus pestilentiaque ex agro Ro-
mano emota esset, biduum ferias ac suppli-
cationem ae hcU)iturum, Liv. XLI 21, 11.
«) Gic. de prov. cons. 26; Phil. XIV 7;
Verr. IV 94 in precibtts et gratulationibus;
vgl. ad fam.^XI 18, 3.
^) obsecrare est opem a sacris petere
Paul. p. 188; ob vos sacro in quibusdam pre-
coHonibus est, pro vos obsecro, ut siib vos
pUico pro supplico Fest. p. 190 vgl. 309.
^) gratulatio für supplicatio z. B. Gic.
Gatil. IV 10. 20 vgl. mit m 15; supplicatio^
nibus ac gratulationibus Liv. VIII 33, 20.
Ebenso obsecratio für suppliccUio Liv. IV 2 1,5.
XXVI 23, 6. Suet. Glaud. 22. Macr. S. I 6, 14;
beide Ausdrücke neben einander Liv. XXVII
11, 6. XXXI 8, 2. 9, 6. XLII 20, 3.
") z. B. supplicationes apud omnia pul-
vinaria nach der Ermordung der Agrippina
(Tac. ann. XII 12. Hbnzen, Acta fr. Arval.
S. 77), anderes z. B. Tac. ann. II 32. XIII 41.
XIV 59. Suet. Nero 10. Hist. aug. Diadum.
3, 1; Maxim, duo 26, 6; Tac. 12, 1.
*®) fer(iae) et supplicationes apwt omnia
pulvinaria, quod eo die Caes(ar) Divi f(üius)
vicit in Sicüia Fast. Amit., vgl. Fast. Arval.
und MoiofSEir GIL P p. 328.
>>) Das Feriale Gumanum (GIL X 8375)
verzeichnet an sämtlichen 17 (Gedenktagen,
die es enthält, supplicationes mit Bestimmung
der Gottheit, der eine jede gilt; nur eine
davon ist von einem Tieropfer begleitet
(immolatio Caesari hostia am Geburtstage
des Augustus); in ähnlicher Weise werden
die Festtage an der Ära Narbonensis mit
Supplicationen (zum Teil auch mit Opfern)
begangen (GIL XII 4383, s. o. S. 358 A. 9).
Vgl. auch Mon. Anc. 2, 18 [privat] im etiam
ei mwfdcipatim universi [cives sacrificaverunt
sempejr apud omnia pulvinaria pro valepu-
dine meaj.
360
Religion nnd Knltns der Bömer. in. Kultus.
curation von Prodigien nnd ans ähnlichen Anlässen ist wenig mehr die
Rede. «)
Mit der Snpplication verwandt und aus ihr hervorgegangen ist die
Bittprozession mit dem Jnngfrauenchore, wie sie zuerst aus An-
lass einer Zwittergeburt im J. 547 = 207 und nachher noch verschiedene
Male aus dem gleichen Grunde oder auch wegen anderer Prodigien an-
geordnet wird;^) der Hergang ist durch die Beschreibung der erstmaligen
Vollziehung dieses Aktes bei Liv.XXVÜ 37, 11 ff. und durch ein auf eine
solche Procuration bezügliches Sibyllenorakel') wohl bekannt: die Prozession
bewegt sich vom Tempel des Apollo vor der Porta Carmentalis nach dem
der Juno Regina auf dem Aventin, der das Opfer zweier weissen Kühe
gilt; dargebracht wird dieses von den Decemviri s. f., die auch den Mittel-
punkt der Prozession bilden, vor ihnen aber schreiten in langem Gewände
27 Jungfrauen, die bestimmt sind, das Festlied zu Ehren der Juno zu
singen: zu diesem Zwecke macht der Zug auf dem Forum Halt, wo die
Mädchen, die Hände an ein sie verbindendes Seil legend {per manus reste
data) und die Weise mit angemessenen Tanzbewegungen begleitend, das
Lied vortragen; das letztere ist eigens fQr diesen Zweck verfasst, und zwar
jedenfalls in ziemlich enger Anlehnung an griechische Partheneia. Denn
griechisch ist der ganze Brauch von Anfang bis zu Ende. Zwar sind dem
altrömischen Ritual Bittprozessionen keineswegs fremd, wie namentlich die
Ceremonie der Einholung des lapis manalis (s. oben S. 106) und lustrierende
Bittgänge wie an den Ambarvalia und Robigalia (s. oben S. 162) beweisen,
ebenso kennen wir den Vortrag heiliger carmina unter Begleitung ritueller
Tänze als uralte Bestandteile des Rituals der Salier und Arvalbrüder;*)
aber bei den geschilderten Prozessionen der ter novenae virgines zeigt die
Anordnung durch die sibyllinischen Orakel, die Yorstandschaft der Decem-
viri s. f. und das Detail des Rituals mit voller Deutlichkeit die Zugehörig-
keit zum graecus ritus an ; es steht damit in voller Übereinstimmung, dass
bei der augusteischen Saecularfeier ein Doppelchor derselben Art, bestehend
aus pueri XXVII patrimi et matrimi et puellae totidem, das von Q. Horatius
Flaccus verfasste Festlied zum Preise von Apollo und Diana singt. ^)
Die um den Jungfrauenchor sich gruppierende Prozession führt der
Juno Regina nicht nur die ihr gebührenden Opfertiere zu, sondern bringt
1) Suet. Glaud. 22: observavüqt^ sediUo
. . . utque dira ave in Capitolio visa ohse-
cratio haberetur eamque ipse iure maximi
pontifids pro rostris populo praeiret. Ueber
die von den sibyllinischen Büchern nach dem
neronischen Brande angeordneten Lustrations-
acte s. Tac. ann. XV 44.
«) Liv. XXVII 37, 7 fiF. XXXI 12, 9 f.
Obseq. 27. 34. 36. 43. 46. 48. 53. Verschieden
davon ist, was Liv. XXXVII 8, 6 von einer
Snpplication des J. 564 =190 erzählt: deoem
ingenui, decem virgines, patrimi omnes ma-
trimique, ad id sacrificium adhibiti; vgl.
Macr. 6. I 6, 14: acta igitur obsecratio est
pueris ingenuis itemque libertinis sed et vir-
ginibus patrimis matrimisqiie pronuntianti-
&US Carmen. Obseq. 40: ex Sibyllinis in
instUa Gimolia sacrificatum per triginta tn-
genuos patrimos et matrimos totidemque
virgines.
^) Bei Phleg. mirab. 10, erkannt and
ausgezeichnet erläutert von H. Diels, Sibyl-
linische Blätter, Berlin 1890; 8. namentlich
S. 37 ff. nnd 88 ff.
*) Liv. I 20, 4: {salios) per urbem ire
canentes carmina cum tripudiis soUemnique
saltatu. Von den Arvalbrüdem heisst es
CIL VI 2104a 31: ibi sacerdotes dusi suc-
cincti libellis acceptis Carmen descindentes
tripodaveru/nt.
») Eph. epigr. Vni p. 256.
62. Die gottesdienatliohen Handlungen.
361
ihr auch als Oeschenk duo signa cupressea lunonis Beginae (Liv. XXYII
37, 12. 15. Obsequ. 46; ^eava ^oava im Orakel). Derartige Geschenke als
Mittel znr Erreichung der pax deum^) sind ebenfalls erst unter griechi-
schem Einflüsse üblich geworden. Weihgeschenke freilich gibt es auch
in alter Zeit, solange es einen an bestimmte Eultstätten gebundenen Gottes-
dienst gibt: seitdem die Verehrung der Gottheit im Gotteshause üblich ist,
wird zwar zugleich mit der aedes sacra das für den Gottesdienst nötige
Tempelinventar, d. h. das Götterbild, die Altäre, Herde und Tische, con-
secriert, die Ausschmückung des Tempels aber geschieht im Laufe der Zeit')
durch Gaben von der Gemeinde und von Privatleuten.^) Aber solche Gaben
sind von Hause aus nicht Lustrationsmittel, sondern sie erfolgen nach
glücklichem Feldzuge aus den Beutestücken^) oder de manibiis, d. h. aus
dem Erlöse der Beute, ^) ferner e pecunia muUaticia^) oder auch als Geschenke
befreundeter oder abhängiger Völkerschaften namentlich an Juppiter 0. M.
auf dem Capitol.'') Auch die bona consecrata werden veräussert und der
Erlös zur Anschaffung solcher Wertstücke für die Ausstattung des Heilig-
tums verwendet,^) wie umgekehrt auch Weihgeschenke verkauft werden
können, sofern nur die Kaufsumme wieder für die Ausschmückung des
Tempels verbraucht wird.^) Seit dem hannibalischen Kriege werden häufig
derartige Weihgeschenke durch die sibyllinischen Bücher zur Procuration
von Prodigien gefordert, ^o) und zwar mit der Besonderheit, dass derartige
*) vgl. die Bestimmimg bei Gic. de leg.
II 22: impius ne audeto placare donis iram
dearum,
') Macr. S. III 11, 6 (unter Berufung auf
das iiis Papirianum) namque in fanis alia
vasorutn siMt et sacrae supeUectüis, alia
omamentorum: quae vasorum swnt, instru-
menii instar hahent, quHms semper sacrificia
canficiuntur, quarum rerum principem locum
obtinet mensa, in qua epulae libationesque
et stipes reponuntur; omamenta vero sunt
clipei coronae et huiuscemodi donaria. neque
enim dedicantwr eo tempore, quo delubra
sacrantur; at vero mensae arulaeque eodem
die, quo aedes ipsae, dedicari solent, unde
mensa hoc ritu dedicata in templo arae usum
et religionem ohtinet pidvinaris; vgl. Serv.
Aen. VIII 279.
') üeber die mannigfachen Votivgaben
von Privatleuten, auf die hier nicht einge-
gangen werden soll, s. die reichen Samm-
lungen von Db-Marchi, Gulto private I 292 ff.
*) z. B. Liv. VI 29, 8: T, Quinctius . . .
Signum Praeneste devectum lovis Imperatoris
in Capitolium tulit. dedicaium est inter cellam
lovis ac Minervae tabulaque sub eo fixa,
monumentum rerum gestarum, his ferme
incisa litteris fuit: „luppiter cUque divi
omnes hoc dederunt, ut T. Quinctius dictator
oppida novem caperef' (vgl. Cic. Verr. IV 129).
*) z. B. Liv. VI 4, 2 : captivos . . ., qui-
bus sub ?M8ta venumdatis tantum aeris
redactum est, ut , , , , ex eo, quod supererat,
tres pcUerae aureae factae sint, qtuis cum
titulo nominis Camitti ante Capitolium m-
censum in lovis ceüa consUU ante pedes
lu/nonis positas fuisse,
') Die curulischen Aedilen pflegen ihre
Weihgeschenke aus den Strafgeldern auf
das Capitol (Liv. X 23, 12. XXIX 38, 8. XXXV
10, 12. 41, 10; vgl. aber XXX 39, 8), die ple-
bejischen in den Tempel von Ceres Liber
und Libera zu stiften (X 23, 13. XXVII 6, 19.
86, 9).
') Zuerst Liv. II 22, 6 (Latini) coronam
auream lovi donum in Capitolium mittunt,
nachher gerade in der Form der Widmung
eines goldenen Kranzes sehr oft wiederholt;
s. über die Weihgeschenke auf dem Capitol
Jobdan, Topogr. I 2 S. 13 ff.
•) Liv. Vin 20, 8: bona Semoni Sanco
censuerunt consecranda; quodque aeris ex
eis redactum est, ex eo aenei orbes facti positi
in sacello Sancus adversus aedem Quirini,
») Tempelgesetz von Furfo CIL LX 3513:
sei quod ad eam aedem donum datum do^
fMxtum dedicatumque erit, utei licecU oeti
venum dare. utei venum datum erit, id pro-
fanum esto .... quae pequnia recepta erit,
ea pequnia emere conducere locare dare, quo
id templum melius honestius seit, lieeto.
quae pequnia ad eas res data erit, profana
esto, quod d(olo) m(alo) non erit factum,
quod emptum erit aere aut argento, ea
pequnia, quae pequnia ad id templum data
erit, quod emptum erit, eis rebus eadem lex
esto, quasei sei dedicatum sit
^^) Liv. XXI 62, 8: donum ex auripondo
362
Religion und KnltuB der Bömer, in. Kultus.
Geschenke nicht nur, wie die übrigen zum Zwecke der Lustration angeord-
neten Darbringungen, aus Staatsmitteln gestiftet werden, sondern teilweise
auf Orund von Sammlungen {ex pecunia conlata) unter dem Publikum, ins-
besondere den Matronen.^) Eine solche Heranziehung der Privaten zur
Bestreitung der Kosten öffentlicher Kulthandlungen, wie sie auch für die
Lectistemien ^) und die nach griechischem Ritus gefeierten Apollinarspiele^)
bezeugt ist, ist dem altrömischen Gottesdienste ebenfalls fremd und wohl
zu unterscheiden von dem Brauche des Geldopfers, der zwar zweifeUos
jünger ist als die Darbringung von Naturalien, aber doch in bestimmter
Anwendung sicher in die Zeit vor dem Überwiegen des griechischen Ein-
flusses hinaufreicht. Die ganze Natur der Opferhandlung verlangt, dass
nicht nur der Darbringende sich der für die Gottheit bestimmten Gabe
entäussere, sondern dass diese überhaupt dem menschlichen Gebrauche und
Verkehre entzogen werde: darum wird nicht nur das Speiseopfer (beim
Tieropfer die der Gottheit zukommenden Teile) verbrannt, sondern das
Gleiche geschieht auch, wenn man auf Grund eines Gelübdes nach der
Schlacht die dem Feinde abgenommenen Waffen den Göttern weiht ;^) die
Geldspende als Opfergabe findet sich, in Übereinstimmung mit dieser An-
schauung, nur im Dienste einerseits der unterirdischen, andererseits der
Quellgötter, indem man die für sie bestimmten Geldmünzen in den mundus^)
oder ins Wasser ^) wirft und so dauernd ausser Verkehr setzt. Der Name
für dieses Geldopfer ist stips,'^) und nur allmählig hat sich dieser Be-
griff auch ausgedehnt auf die zu Gunsten der Tempelkasse gemachten
Geldspenden, für deren Herkunft schon das für sie eigentlich geltende
qwidraginia Lanumum lunoni, XXII 1, 17:
lovi fulmen aureum pondo quinquagmta
et Iwnoni Minervaeque ex argento dona.
XXX Vni 35, 4: in aede Herculis Signum dei
ipsius. XL 37, 2 : Äpollini AesctUapio Saluti
dona vovere et dare signa inaurata. XLII
28, 8: dona circa otnnia pulvinaria dari.
') Liv. XXII 1, 18: matronaeque pecunia
conlata, quantum conferre cuique commodum
esset, donutn lunoni Beginae in Aventinum
ferrent (vgl. XXI 62, 8) . . c* ut liberiinae
et ipsae, unde Feroniae donutn darelur, pe-
cuniam pro facultatibus suis conferrent,
XXVII 37, 8 : prodigiumque id ad mati'onas
pertinere Jiaruspices cum respondissent do-
noque divam placandam esse, aedilium curu-
lium edicto in Capitolium convocatae, quibus
in urbe Bomana intraque decimum lapidem
ab urbe domicilia essent, ipsae inter se
quinque et XX delegerunt, ad qiMS ex do-
tibus stipem conferrent, inde donum pelvis
aurea facta lataque in Aventinum; pure
casteque a matronis sacrificatum,
^) Macr. S. I 6, 13: lectistemiumque ex
conlata stipe faciendum, Liv. XXII 1, 19:
ad aedem Satumi Bomae immolatum est
lectistemiumque imperatum, ei eum lectum
senatores straverunt,
») Liv. XXV 12, 14 (Feier der Ludi Apol-
linares): ludos praetor in circo maocimo cum
facturus esset, edixit ut populus per eos
ludos stipem Apoüini, quantum commodum
esset, conferret. Paul. p. 23: Apoüinares
ludos . . . populus laureatus spectabat stipe
data pro cuiusque copia (die Angabe des
Plin. n. h. XXXIII 138, dass zuerst im J. 586
= 168 populus Bomanits stipem spargere
coepit ist also unrichtig).
*) Liv. 1 37, 5. Vni 1, 6. 10, 18. X 29, 18.
XXin 46, 5. XXX 6, 9. XLV 33, 2.
^) Darauf geht doch wohl das ffinein-
werfen von Münzen in den Lacus Curtios
(Suet. Aug. 57 : omnes ordines in lacum Curti
quotannis ex voto pro salute eius stipem
iaciebant) und in die Baugrube eines Tempels
(Tac. bist. IV 53 beim Wiederaufbau des
Gapitols: passimque iniectae fundamentis
argenti aurique stipes).
•) Plin. epist VIII 8. 2. CIL XI 4123: ex
stipe quae ex lacu Vfelino ejxsemta erat;
dazu mehrfache MQnzfunde in Quellen, Aber
die vgl. R. Wünsch, Strena Helbigiana (1^00)
S. 344 ff.
^) Ftlr die Scheidung von Weihgeschenk
und stips namentlich Sen. de benef. VII 4, 6 :
dis donum posuimus et stipem iedmiM; die
Wendung stipem iacere oder iactare (Liv. II I
18, 11. XXVI 11,9) erklärt sich aus der Er-
innerung an das ursprüngliche Versenken
des Geldopfers.
62. Die gotteedieiiBtlichen Handlungen.
363
griechische Lehnwort thesaurus beweisend istJ) Sie sind in der That
auch zwar nicht ausschliesslich, aber doch überwiegend in den griechi-
schen Gottesdiensten zur Anwendung gekommen,*) und zwar in der Form,
dass man die Münze auf die sacra mensa^) oder in den Opferkasten
(thesaurus, s. unten Anm. 1) legte; das öffentliche Abhalten von Kollekten
auf der Strasse und von Haus zu Haus {stipem cogere) ist nur den An-
hängern bestimmter fremdartiger Gottesdienste, wie der Magna Mater
(oben S. 265 A. 2) oder der Isis,^) für die Zwecke ihres Kultes gestattet
worden. Verwendet darf die stips natürlich nur werden im Interesse des-
jenigen Tempels, dem sie zugewendet wurde, ^) zu seiner Ausschmückung
oder zu Ankäufen zu gottesdienstlichen Zwecken.*) Eine besondere Art
der Geldspende ist die Darbringung der decuma von der Kriegsbeute oder
dem Handelsgewinne, wie wir sie nur im Dienste des Apollo ^ und nament-
lich des Hercules an der Ära Maxima (s. oben S. 225 f.) kennen ; von der
stips unterscheidet sie sich insofern, als diese eine freiwillige Gabe dar-
stellt, während das Zehntenopfer auf vorangegangenem Gelübde beruht.^)
Um andere nur ausnahmsweise vorkommende Lustrationsmassregeln,
wie die Anordnung allgemeiner Fasten (ieiunium),^) hier zu übergehen, sei
nur noch eines Lustrationsaktes gedacht, der, ursprünglich italisch, nachher
in den Bereich des graecus ritus hineingezogen und mit allen Mitteln des
griechischen Ceremoniells ausgestattet worden ist, der Feier des Saeculum.
Unter saeculum versteht man die längste Dauer eines Menschenlebens in der
Weise, dass das an einem bestimmten Tage beginnende Saeculum an dem
Tage sein Ende findet, an dem der letzte der am Ausgangstage lebenden
') Vgl. das Androgynenorakel (oben S.
360 A. 8) y. 10. 29 und dazu Dibls a. a. 0.
S. 46, 3 ; foras ad aram reverai thesauros
dederunt heiaat es beim Maifeate der Arvalen,
CIL VI 2104 a 26, vgl. Hbnzek, Acta S. 31.
Sonst bezeichnet stips die Gabe und tfiesaurus
den Opferkasten, Varro de 1. 1. V 182: ut
tum insiitutum, etiam nunc diis cum ihe-
sauris asses dant, stipem dicunt, Senec.
epist. 115, 5: colitur autem non taurorum
opimis carporibus contrueidaiis nee attro
argentoque suspenso nee in tJiesauros stipe
infusa; bei Obsequ.46 popvdus stipem, ma-
tronae thesawrum et virgines dona Cereri
et ProserpintLC tulenmt liegt wohl eine Ver-
wirrung vor (vgl. ebd. c.43. 53). Die Inschrift
eines solchen Opferkastens: P. Crastinus P.
f. Paulus, C. Tittienus Q. f. Macer tesaurum
f. c, BuU. d. Inst. 1876, 36 = CIL XI 4988.
') populus stipem Cereri et Proserpinae
tiUit Obsequ. 43. 46. 53; in stipe Apollinis
Apul. apol. 42; de ttipe templi des Hercules
August, c. d. VI 7; Aesculapius CIL VI 7,
Juppiter Jurarius CIL VI 379, Diana CIL X
3787.
') mensa, in qtM epulae libationes et
stipes conferuntur, Maor. III 11, 6.
*) Ovid. ex Pento I 1, 37. Val. Max.
VII3, 8.
>) Lex col. Jul. Genet. (CIL 11 Suppl.
5439) c. 72: quotcumque pecuniae st^is
nomine in aedis sacras datum inlatum erit,
quot eius pecuniae eis sacris superfuerit,
quae sacra, ut h(ac) l(ege) d(ata) oportebit,
ei deo deaeve, cuius ea aedis erit, facta
fuerinty ne quis facito neve curato neve m-
tercedüo, quo minus in ea aede consumatur,
ad quam aedem ea pecunia stipis nomine
data conlata erit, neve quis eam pecuniam
cdio consumito neve quis facito, quo magis
in cdia re consumatur,
') locus de stipe Dianas emptus CIL X
3787 ; de stipe Aesculapi faciundum locavere
CIL VI 7, vgl. 379. XI 4123. XII 2388.
') Liv. V 21, 2 und die ParaUelberichte
(ScHWBOLBB, R. G. III 214). CIL VI 29: 3f.
Mindios L, fi. P. Condetios Va. fi. aidHes
vicesma parti Apolones dederi.
^) Liv. V 25, 5 : nihü de conlatione dicere
stipis verius quam decumae, quando ea se
quisque privatim obligaverit, liberatus sit
populus,
') Fasten als Akt des Staatsgottesdienstes
ist dem altrOmischen Ritus fremd, begegnet
dagegen im Kulte der Ceres (S. 246) und
weiterhin bei den sacra peregrina der Magna
Mater (oben S. 266 A. 8) und Isis (oben
S. 297 A. 10); vgl. auch Wissowa, Real-
Encyd. III 1780.
364 Religion und Knltna der Römer, in. EqUqb.
Menschen stirbt;*) für die staatliche Verwendung hat man dann eine feste
Durchschnittsdauer, und zwar zunächst von 100 Jahren, angenommen, und
diese Periode hat eine dem der Regel nach f&nfjährigen Zeiträume des
censorischen lustrum analoge Bedeutung gewonnen.«) Für die Lustra-
tion kommt die Feier des Saeculum in der Weise in Anwendung, dass
man in schwerer Not und Bedrängnis die Beschliessung des alten und die
Eröffnung des neuen Saeculum anordnet, an dessen Ende dieselben Cere-
monien wiederholt werden sollen, mit denen man jetzt das neue Saeculum
eröffnet; zu Grunde liegt offenbar der Gedanke, dass das Unheil, unter
dem man gegenwärtig leidet, die sacral gesicherte Grenze der Zeiten nicht
überschreiten könne und darum vom neuen Saeculum ausgeschlossen bleibe.
Die Ceremonie, durch die man die Scheide zweier Saecula bezeichnet, kann
verschiedener Art sein. Die älteste Reihe römischer saecula, die mit der
grossen Pest des J. 291 = 463 begann und zu der die Feiern in den J.
391 = 363 und 491 = 263 gehören, bringt den Gedanken des Abschlusses
einer Zeitperiode durch die Einschlagung eines Nagels in die Seitenwand
der cdla lovis auf dem Capitol am Stiftungstage des Tempels (13. Sept.)
zum Ausdruck ; ^) eine neue Reihe, beginnend im J. 505 = 249 unter dem
Drucke unglücklicher Ereignisse im Kriege mit Karthago sowie erschrecken-
der Vorzeichen und fortgesetzt in der um drei Jahre verschobenen Feier
des J. 608 = 146,^) vollzieht sich in der Form einer nach griechischem
Ritus auf Anordnung der sibyllinischen Bücher begangenen Totenfeier für
das abgelaufene Saeculum durch die an der ara Ditis in Tarento gefeierten
ludi Tarentini und nächtliche Opfer (s. oben S. 255 f.). Griechisch ist der
ganze Akt auch bei seiner Neubegründung durch Augustus im J. 737 = 17
geblieben, wenn auch der Charakter der Feier ein völlig änderer wurde,
indem diese sich in erster Linie an die obersten Schutzgottheiten des
Staates und des Kaisers, Juppiter 0. M. und Juno Regina, Apollo und
Diana vom Palatin, wendete und aus einer Totenfeier zu dem Eröffnungs-
feste ^) einer neueren besseren Zeit wurde (s. oben S. 68); abweichend von
der früheren Übung wird dieser augusteischen Saecularfeier im Anschlüsse
an eine damals in Rom eindringende griechische Anschauung von den
^) Saeculum est spatium vitae humanae
longissimum partu et morte definitum Cen-
8or. 17, 2; daher die tibliche Aufforderung
durch den Herold ad ludos, quos nee spec-
tasset quisquam nee spectaturus esset (Suet.
Claud. 21. CIL VI 877 II 6. Act. lud. saec.
Aug. Z. 56. Zosim. U 5, 1).
«) K. L. Roth, Rhein. Mus. VIII 1853,
865 ff. MoMMSEN, Rom. Ghronol. S. 172 ff.;
Eph. epigr. Vin p. 237 ff. Marquabdt, Rom.
Staatsverw. II I 886 ff. G. Conrad, De sae-
culo Romanorum, Gymn. Progr. Posen 1900.
») Liv. VII 3, 3 ff. Fast. Cap. z. J. 391
u. 491 (CIL P p. 20. 22). Mommse», Rom.
Chronol. S. 176 ff.; mehr bei v. Pbemerstein
in Paüly-Wissowas Real-Encycl. IV 2 ff.,
der aber mit Unrecht zu der alten Ansicht
zurückkehrt, dass die Nageleinschlagung all-
jährlich erfolgt sei. Der Dictator clavi figendi
causa im J. 423 = 331 bei Liv. VIII 18, 12 f.
beweist, auch wenn er nicht apokryph sein
sollte, nichts gegen den Saeculamagel, da
die gleiche Zeremonie unter Umständen auch
ausserordentlicherweise angeordnet werden
konnte. Im allgemeinen s. über die sym-
bolische Bedeutung der Nageleinschlagung
oben S. 234 A. 8 und E. Eühkebt in Pault-
WissowAS Real-Encycl. IV 2374.
*) Censorin. 17, 8. 10 f. Liv. ep. XLIX.
Zosim. II 4, 1. 2. Schol. Cruq. zu Hör. es. 1.
August, c. d. ni 18.
5) Darum fasst Vergil. Aen. VI 762
Augustus Caesar Divi genus aurea condet
saecula und mit ihm Stat. silv. IV 1, 37 die
Wendung saeculum condere als Begründung
eines (neuen) Saeculum auf, während sie
ursprünglich die Beisetzung des (alten) Sae-
culum bedeutete, vgl. Useneb, Rhein. Mus.
XXX 1875, 204 ff.
68. Die FestKeiten.
365
Weltaltern und der Palingenesie ein saeculum von 110 jähriger Dauer zu
Grunde gelegt, dessen Einführung in Rom man mit Hilfe eines fingierten
Stammbaumes so hoch hinauf datierte, dass die augusteische Feier als die
fünfte in dieser Reihe und damit als die Erfüllung der auf den Schluss
der 4 X 11^0 Jahre umfassenden Periode angesetzten Wiedergeburt erschient)
Diese augusteische Feier ist in Abständen von je 110 Jahren durch Do-
mitian im J. 841 = 88 n. Chr. (statt 847 = 94 n. Chr.)«) und durch Sep-
timius Severus im J. 957 = 204 von neuem begangen,') im J. 1067 = 314
aber unterlassen worden,^) während nebenher eine andere Serie von Saecu-
larfeiem lief, die an die hundertjährige Wiederkehr des Gründungstages
der Stadt Rom anknüpften und demgemäss in den Jahren 800 = 47,^)
900 = 147«) und namentlich 1001 = 248 (mit einjähriger Verschiebung) ')
zur Ausführung kamen ; die Festlichkeiten der ersten Reihe wurden weiter-
hin in dem durch Augustus eingeführten Ceremoniell begangen,^) ob die
Jahrhundertfeiern der Stadt einen anderen Festritus zu Grunde legten,
wissen wir nicht, jedenfalls wurden offiziell die beiden Reihen jede für
sich gezählt. 9)
Litteratur: B. Bbissonius, De formnlis et soUemn. pop. Rom. verbis I 1—69.
ScBEiFFBLB in Paults Real-Eücycl. VI 474 ff. 665 ff. E. Lübbebt, Gommentaiiones pontifi-
calea (Berolini 1859) S. 79 ff. MABgüABDT, Staatsverw. III 121 ff. 169 ff.
68. Die Festzeiten. Die Darbringungen, durch die sich die Verehrung
des Sterblichen gegenüber der Gottheit und die Anerkennung seiner Ab-
hängigkeit von ihr äussert, bestehen nicht nur in der Vollziehung be-
stimmter gottesdienstlicher Handlungen, sondern auch in der Überweisung
bestimmter Zeiten und Zeitabschnitte in das ausschliessliche Eigentum der
Götter: ebenso wie er ein Opfer darbringt oder ein Weihgeschenk spendet.
1) Gensor. 17, 10 f. Da nach der Theorie
von den 4 Weltaltem die Feier des Augustus
notwendig die fünfte sein musste, waren damit
die Termine der angeblieh vorangegangenen
Saecularfeiem und der Anfangspunkt der
ganzen Reihe (298 u. c. = 456 v. Chr.) ge-
geben, und man darf sich an der Thatsache,
dass dieser Anfangspunkt auf ein bedeutungs-
loses Jahr fällt, nicht stossen, wie dies
Th. Bbrok, Augusti ind. rer. a se gest. S. 75 ff.
und 0. HiBSCHFBLD, Wiener Studien III 1881,
99 ff. thun. Dass die Feier von Augustus
ursprünglich für ein früheres Jahr geplant
war und mehrfach verschoben wurde (s. da-
zu auch E. Norden, Rhein. Mus. LIV 1899,
491 f.), hat damit nichts zu thun; in der
Ansehung der früheren Saecula macht sich
dieses Schwanken nur insofern geltend, als
sie auf eine erst im J. 738 =16 abzuhal-
tende Feier berechnet sind, die nachher um
ein Jahr vorgeschoben wurde.
') Tac. ann. XI 11. Suet. Dom. 4. Gensor.
17, 11. Stat. silv. IV 1, 88. Martial. IV 1, 7.
X 68, 3. Zosim. U 4, 8. H. Dbbssel, Ephem.
epigr. VIII p. 310 ff.
') Censorin. 17, 11. Herodian. III 8, 10.
Zosim. II 4, 8. Mommsbn, Ephem. epigr. VIII
p. 274 ff.
^) Zosim. II 7; auch das Jahr 1100 der
Stadt (= 347 n. Chr.) wurde nicht mehr ge-
feiert, vgl. Vict. Gaes. 28, 2; über Münzen
des Gallien und Maximian mit der Aufschrift
saecularea Äug, (oder Augg,) vgl. Eokhbl,
D.N. V11409f. VIII 20 ff.
») Tac. ann. XI 11. Suet. Glaud. 21 (vgl.
Vitell. 2; Domit. 4). Plin. n. h. VII 159.
VIII 160. Gensorin. 17, 11. Vict. Gaes. 4, 14.
Zosim. II 4, 3.
•) Vict. Gaes. 15, 4.
') Vict Gaes. 28, 1 . Bist. aug. Gord. 33, 2.
Eutrop. IX 3. Gros. VII 20, 2. Hieron. chron.
a. Abr. 2262. Jord. Rom. 283; Get. 16, 89;
vgl. auch GIL VI 488. Eokhkl, D. N. VII
823 ff. K. J. Nbüxann, Der röm. Staat und
die allgem. Kirche I 245 ff.
') Das beweisen für die Feier Domitians
die Münzen (H. Dbbssel a. a. 0.), für die
des Septimins Severus die Bruchstücke der
Protokolle, Eph. epigr. VIII p. 274 ff.
') Darum werden die ludi saecularea
des Septimius Severus in den Protokollen
als die siebenten bezeichnet (s. Ephem. epigr.
VIII p. 295), während sie für Gensorin. 17,
11, der beide Reihen kombiniert und daher
die Feier des Glaudius mitzählt, die achten
sind.
366
Religion und Knltaa der Römer. QI. Knltoe.
kann der Mensch auch auf sein Yerfügungsrecht über einen Arbeitstag zu
Gunsten der Gottheit Verzicht leisten, feriaa observare;^) Opfer oder son-
stige sacrale Akte können damit verbunden sein, gehören aber nicht not-
wendig dazu, das Wesen der feriae (im weiteren Sinne) liegt in dem Aus-
schlüsse der profanen, im Geschäftsinteresse des Darbringers liegenden
Thätigkeit.^) Diese Verzichtleistung auf die profane Verwendung eines
Tages kann wie jede andere Darbringung an die Gottheit erfolgen entweder
freiwillig auf Grund eines Gelübdes oder aber gebotener Weise zum Zwecke
der Lustration oder der Lösung eines piaculum, ebensowohl als dauernd
festgelegte und in bestimmten Abständen oder bei bestimmten Anlässen
ständig wiederkehrende wie als einmalige und ausserordentliche Leistung,
endlich sowohl von Seiten eines Einzelnen oder irgend welcher Gruppe
von Einzelpersonen mit privater Verbindlichkeit wie von Seiten des Staates
im Namen aller seiner Angehörigen. Aus letzterem Gesichtspunkte ergibt
sich die grundlegende Scheidung von feriae publicae und feriae privatae,^)
von denen die letzteren wieder in ünterabteUungen sich gliedern, je nach-
dem der Darbringende eine Einzelperson, eine Familie, eine Gens oder
ein sonstiger, künstlich geschaffener Verband ist. Wenn die Flaminica
(Dialis), sobald sie einen Donnerschlag gehört hat, feriata ist bis zur Voll-
*) Feriae (ursprünglich fesiae, vgl. ital.
fesna = Tempel, Bübchbleb, Lexic. Italic,
p. IX) bezeichnet im ursprünglichen weiteren
Sinne dasselbe wie das etymologisch davon
untrennbare festus dies, in dieser Anwen-
dung kann also die von Macr. S. 1 16, 2 ge-
gebene Definition der dies feati {feeti dis
dicati 8t4nt, profesti hominibus ob admini-
atrandatn rem privatam püblieamque con-
cessi; vgl. Varro de 1. 1. VI 12 : dicam priiM
qui [dies] dearum cattsa, tum qui hominum
sunt instituti) ohne weiteres auch auf die
fericte fibertragen werden, und es ist ganz
richtig, wenn Fest. p. 258 {diem profestum
diem sine feriis esse) und Plin. n. h. TiWilhiO
dies profestus (vgl. profanus) und feriae in
Gegensatz stellen ; bei Non. p. 434 profesti
sunt a festivitate vacui ist das verwischt.
Für die fericie publÜMe hat sich dann der
Begriff feriae verengt (s. unten S. 369), und
in diesem Sinne macht Macr. 1 16, 3 die feriae
zu einer Unterabteilung der dies festi und
scheidet I 14, 11 si cui fere tertius ab Idi-
b%M dies festus aut feriatus fuit; um-
gekehrt ist das Verhältnis bei Paul. p. 86 :
ferias antiqui fesias voccibant et aliae erant
sine die festo ut nundinae, aliae cum feste
ut Saturnaiia, wo feriae der weitere Begriff
ist (vgl. auch ebd. p. 85 feria a feriendis
victimis vocata).
') Feriarum festorumque dierum ratio
in liberis requietem habet litium et iurgiorum
(vgl. 11 19; de div. 1 102), in servis operum
et laborum Gic. de leg. II 29. Für die Grund-
ansehauung der feriae ist wichtig die That-
sache, dass der Flamen Dialis cotidie feriatus
est (Gell. X 15, 16), seine Zeit ist also voll-
ständig der Gk)ttheit und ihrem Dienste ge-
widmet. Wenn Macr. I 16, 3 sagt festis
(diebus) insunt sacrificia epulae ludi feriae,
so sind damit nicht verschiedene Arten von
Festtagen gemeint, sondern die (natürlich
nicht in jedem Falle sämtlich vertretenen)
Bestandteile einer Festfeier, die Arbeitsmfae
mit den jeweiligen herkömmlichen Fest-
bräuchen, das Opfer, der Festschmans (vgl.
Paul. p. 86 quibus — nämlich feriis —
adiungebantur epulationes ex praventu feius
pecorum frugumque) und die Festspiele; so
scheidet auch Dion. Hai. IV 49, 2 f. bei der
Beschreibung des Latiar deutlich ioQxai
(feriae), &vßiai, (sacrificia) , cvreüxiacsH
(epulae), während die Spiele (ludi Latinaeque
Liv. V 19, 1) anderweitig bezeugt sind (s.
oben S. 109). Ebenso steht in den Akten
der Saeculaifeier des Augustus (Eph. epigr.
Vin p. 227 ff.) nebeneinander Z. 39 loedi
feriae sellistemia (diese entsprechen den
epulae).
') Fest. p. 242: privatae feriae voeantur
sacrorum propriarum, velut dies natdles,
operationes, denicales, Macr. S. I 16, 7:
sunt praeterea feriae propriae famüiarum,
ut familiae 6laudiae vel Aemüiae seu luUae
sive Comeliae et si quca ferias proprias
quaeque familia ex usu domesticae ceiebri-
tatis observat; sunt singuilorum, utinatalium
fulgurumque susceptiones , item funerum
atque expiationum, Gate de agric. 140: «t
. . fericie puhlicae atU famüiares intereesse^
Hnt Tertnll. de idol. 16: circa officia vero
privatarum et communium soüemnitaium,
ut togae purae, ut sponsalium, ut nuptia-
lium, ut nominalium.
68. Die FeBtseiten.
S67
Ziehung des dafür vorgeschriebenen Lustrationsaktes (donec placasset deos)
oder wenn demjenigen, der die Namen bestimmter geheimnisvoller Gott-
heiten versehentlich ausgesprochen hat, als piaculum auferlegt wird ferias
observare (Macr. S. I 16, 8), so sind das deutlich feriae singulorum, die nur
die eine betroffene Person angehen. Dagegen die Festtage des eigent^
liehen Hauskultes, so die Parentalia und das Yerwandtschaftsfest der
Caristia (oben S. 187), femer die Geburtstagsfeiern (oben S. 155) und die
feriae denicaies^) nach einem Todesfalle, die Lustrationsfeiem,*) z.B. nach
einem innerhalb des Grundstücks niedergegangenen Blitzschlage, sowie alle
für Schutz und Gedeihen der eigenen Wirtschaft abgehaltenen Festfeiern
gehören zu den feriae famüiarum, da sie den ganzen Hausstand mit Ein-
schluss des Gesindes und teilweise auch der Haus- und Arbeitstiere an-
gehen.') Von den feriae der einzelnen gentes (Macr. S. I 16, 7 nennt sie
ungenau feriae familiarum) wissen wir nichts Näheres,^) dagegen sind
zahlreich die Beispiele für private feriae bestimmter Verbände oder Gruppen
von Personen, z.B. der artifices an den Quinquatrus (S. 203) und der tibi-
eines an den Quinquatrus minusculae (S. 204), der mercatores am Stiftungs-
tage des Mercurtempels am Circus (S. 249) und der aquatores an den
Juturnalia (S. 183), der holüores an den Vinalia rustica (3. 235) und über-
haupt aller coUegia am natcUis ihres Schutzgottes und an sonstigen selbst-
gewählten Gedenktagen;^) auch die Feier der Matronalia durch die Haus-
frauen (S. 116) und des Stiftungsfestes der Diana in Äventino (S. 201) bezw.
der Nonae Caprotinae (S. 118) durch die Sklaven bezw. Sklavinnen gehört
hierher.^) All diese feriae haben natürlich nur für den abgeschlossenen
Kreis der Beteiligten Geltung; ebenso wie nie eine Sache durch private
Dedication zur res sacra werden kann, sondern es dafür der Consecration
durch den Staat bedarf (oben S. 323), ebenso kann auch der Staat allein
einen Tag mit allgemein verbindlicher Rechtskraft aus der Zahl der dies
profesti einmal oder dauernd streichen und dem Dienste der Gottheit über-
weisen. Nach der allgemein recipierten römischen Vorstellung hat der
Schöpfer der römischen Sacralverfassung, König Numa, wie das Ceremonial-
gesetz und die Priesterordnung auch die Festsetzung des Eigentumsrechtes
der Gottheit einerseits, der Gemeinde und ihrer Bürger andererseits an
*) Naiales und deniccUes nennt Fest,
p. 242 unter den fericie privatae, natdles
und funerum susceptümes Macr. a. a. 0. unter
den feriae singulorum (f&lschlich). Ueber
die /ertoe deniccdes, die nach Gell. XVl 4, 4
und Lex Gol. Genet. c. 95 vom Staate als
triftiger Verhinderungsgrund fOr den zur
Teilnahme Verpflichteten anerkannt werden,
vgl. Paul. p. 70: deniccdes feriae colebantur,
cum Jiominis mortui causa familia purga-
batur und Cic. de leg. II 55. Serv. Georg.
I 270.
*) Solche meint Fest. p. 242 mit den
operciianes und Macr. a. a. 0. mit den ftd-
gurum susceptianes atque expiationum,
*) Cato de agric. 132: eo die feriae bubus
et bubulcis et qui dapem facient. 138: mtUis
equis asinis feriae nuüae, nisi si in fami-
lia sunt,
^) Indes setzen Acte wie das saerificium
gentis Claudiae bei Fest. p. 238 und das
saerificium statum in coüe Quirinali genti
Fdbiue bei Liv. V 46, 2 gewiss bestimmte
feriae der betreffenden Gentes voraus.
') Namentlich an den häufig erwähnten
Bosaria und dem dies violae; vgl. z. B. CIL
X 444 und mehr bei Mabqüabdt, Staatsverw.
III 811 ff.
*) Für den Sprachgebrauch vgl. Varro
de 1. 1. VI 17 : tibidnes tum feriati vaganiur
per urbem, VI 20: tum sunt feriati holt'
tores. Serv. Aen. XII 139: lutumae ferias
celebrant, qui artificium aqua exercent,
Polem. Silv. z. 7. Juli: anciüarum feriae.
368
Religion und Knltas der BOmer« m. Enltne.
den Tagen des Jahres ein für allemal vorgenommen ; an dieser Festsetzung
ist während der Dauer der Republik nichts geändert worden, und auch
Caesars Kalenderreform hat zwar 10 Tage neu hinzugefügt, die rechtliche
Stellung der alten aber unangetastet gelassen, so dass die erhaltenen Stein-
kalender (über sie s. oben S. 2 f.) uns noch ein fast lückenloses Bild der
alten Jahresordnung geben. ^) Die den einzelnen Tagen beigeschriebenen
Siglen scheiden die beiden grossen Kategorien von Tagen, die, welche den
Göttern gehören und deren profane Verwendung daher ein nefas bedeuten
würde, und die, an denen es Rechtens {fas) ist, den bürgerlichen und staat-
lichen Geschäften obzuliegen, also die Gruppen der dies nefasti (n) und
dies fasti (f);^) wenn aber die Natur des bürgerlichen Werktages dem
Römer vor allem darin entgegentritt, dass er den Praetor auf dem Forum
anwesend findet, bereit den Parteien das Recht zu weisen,') so muss der
Staat sich für den Fall einer Collision der Einzelinteressen und der öffent-
lichen Zwecke den Vorrang sichern und hat sich darum an einer grossen
Zahl von dies fasti ein Vorrecht in der Art vorbehalten, dass diese dies
comüiales (C) in erster Linie für die Ausübung des magistratischen $1^
agendi cum populo reserviert bleiben und nur dann, wenn sie dafür nicht
zur Verwendung kommen, für die praetorische Rechtsprechung und das
bürgerliche Geschäftsleben frei werden.^) Eine Mittelstellimg zwischen
den dies nefasti und den dies fasti und comüiales nehmen 11 Tage ein, in
welche sich ins divinum und humanum teilen, einerseits die acht dies inter-
cisi (en, d. h. endotercisi)j deren erste und letzte Stunden nefast sind,
während die Mitte dem profanen Verkehr verfügbar bleibt,'^) und die dies
fissi (Serv. Aen. VI 37), die erst nach Vollendung einer bestimmten sacralen
Handlung der privaten Verwendung freigegeben sind.^) Von den nach Ab-
zug dieser 11 gespaltenen Tage verbleibenden 344 Tagen des vorcaesari-
schen Jahres gehören 235 den Menschen (davon 192 dies comüiales)^ 109
') Unsicher bleiben nur einerseits die-
jenigen Tage, bei denen die verschiedenen
Exemplare der Kalender in der Note des
Tagescharakters von einander abweichen,
andererseits diejenigen, die durch Ansetzung
neugeschaffener feriae in der caesarisch-
augusteischen Zeit zu Festtagen gemacht
wurden, so dass deren Zeichen die alte Note
verdrängte. Vgl. darüber Mommsen, CIL I^
p. 294, von dessen Feststellungen ich aus
Gründen, die ich bei andrer Gelegenheit dar-
legen werde, insoweit abweiche, als ich
glaube, dass dem 6. April und dem 14. Juni
die Note N (Mommsek beidemal F) und dem
15. Sept. die Note C (Momxsen N) ursprüng-
lich zukam. S. den Kalender in Anhang I.
*) Liv. 1 19, 7: idem nefastoa dies fastos-
que, quia aliquando nihü cum populo agi
utile futurum erat
') Daher die geläufige Definition der dies
fasti als derjenigen, quibus licet fari prae-
tori tria verha sollemnia: do, dico, addico
(Macr. S. 116, 14; vgl. Varro de 1. 1. VI 29 f.
53. Fast. Praen. z. 2. Jan. Ovid. fast. I 47 f.
Paul. p. 93. Gai. IV 29 u. a.).
*) Macr. a. a. 0. : comitidles sunt, quibus
cum populo agi licet; et fastis quidem lege
agi polest, cum populo non potest, comiHa-
libus utrumque potest; vgl. Varro de L 1.
VI 29. Fast. Praen. z. 3. Jan. Ovid. fast. 1 53.
Paul. p. 38.
^) Intercisi sunt, per quos mane et
vesperi est nefas, medio tempore inter Jwstiam
caesam et exta porrecta (s. darüber oben
S. 352 f.) fas; a quo, quod fastum intercedit
aut eo est interdsum nefas, intercisi, Varro
de 1. 1. VI 31 ; vgl. Fast. Praen. z. 10. Jan.
Ovid. fast. I 49 ff. Macr. S. 1 16, 3.
*) Es sind die beiden Tage 24. März
und 24. Mai, die beide die Note Q{uando)
R{ex) C(omitiavit) F{a8) tragen, und der
15. Juni mit der Beischrift Q{uando)
STiercus) D{elatum) f{as). Ueber die Be-
deutung 8. Varro de 1. 1. VI 31 f. Fast Praen.
z. 24. März. Ovid. fast. V 727 f. VI 225 ff.
und zu den sehr verstümmelten Glossen des
Fest. p. 258. 278 (vgl. Paul. p. 259. 279)
MoMMSEN CIL I ' p. 289.
68. Die Featzeiteiu
369
den Göttern; unter den letzteren befinden sich sämtliche Idus, die Hälfte
der Ealendae (Februar, März, Juni, Juli, Oktober, Dezember), ^) ein Drittel
der Nonae (Februar, April, Juni, Juli) und sämtliche 45 durch Individual-
namen ausgezeichnete Tage, deren Bedeutung als feriae publicae der älte-
sten Religionsordnung früher (S. 17 ff. 26) gewürdigt worden ist. Die Ver-
teilung dieser dies nefasti über das bürgerliche Jahr ist eine ausserordent-
lich ungleichmässige : während manche Monate, wie der November und
der September, nach der alten Ordnung nur einen oder zwei Festtage auf-
weisen, steigt die Zahl der letzteren im Dezember auf 10, im Juni auf 11,
im Juli auf 15, im Februar und April auf je 20, so dass in diesen Monaten
die Zahl der Gerichts- und Versammlungstage auf ein Minimum (im Februar
sind es, von zwei dies intercisi abgesehen, nur sechs) zusammenschrumpft.
Dabei zeigen sich grosse zusammenhängende Festperioden; im Februar
sind ohne Unterbrechung nefast die Tage vom 1.— 15., im April vom
5.-23., im Juni vom 5. — 14., im Juli vom 1.— 9., im Dezember vom 1. — 3.
Die Anlässe der Festperioden lassen sich nur zum Teil noch ermitteln;
im Februar sind es die diesem Monate eigentümlichen Lustrationsriten,')
die mit dem Amburbium beginnen^) und mit den Lupercalia am 15. (S. 172)
schliessen, im Juni die Reinigung des Vestatempels (S. 143), im April und
Juli handelt es sich wahrscheinlich um agrarische Fürbitten, im April für
das Gedeihen der Saaten, im Juli für die Abwehr von Dürre und Trocken-
heit (vgl. oben S. 162 und 250). Wie sich innerhalb der dies fasti die dies
comüiales als eine besondere, sozusagen bevorzugte Klasse abheben, so
stehen innerhalb der dies nefasti unter eigenem Rechte die im engeren
Sinne feriae pMicae genannten Tage, nämlich die 45 durch Individual-
namen ausgezeichneten Tage, ferner alle Idus als feriae lovis (S. 101), von
den Ealendae^) die des März (altes Marsfest, S. 131), Juni (Carnaria, S. 190)
und Oktober (Tigillum Sororium, S. 92), von den Nonae die des Juli (Nonae
Gaprotinae, S. 118), insgesamt also 61 Tage. Die Anordnung dieser feriae
publicae innerhalb der Jahrestafel lässt eine Reihe bestimmter Gesetze
erkennen. Mit Ausnahme der Poplifugia (5. Juli, S. 102) fällt keines der
Feste in den zwischen Ealendae und Nonae des Monats liegenden Zeit-
raum, was damit zusammenhängt, dass ursprünglich die Ansetzung der
feriae des Monats erst an den Nonae erfolgte;^) femer tritt der die ganze
1) Die Angabe des Macr. S. I 15, 21
KctUndas, Nonas et Idus . , , hi enim dies
praeter Nonas fericUi sunt ist also ungenau.
*) Macr. 8. 1 13, 8: secundum {tnensem)
dieavü Februo deo, qui lustrationum potens
credüur; lustrari autem eo mense civitatem
necesse erat, quo statuit ut iusta dis mani-
hiM solverentur; vgl. Varro de 1. 1. VI 84.
Ovid. fast. II 19 ff. Paul. p. 85. Gensor. 22, 14.
Solin. 1, 40. Plut. Numa 19. Lyd. de mens.
IV 20. Non. p. 114.
*) UsBNBBS Ansetzung des Amburbium
auf den 2. Februar, der ich oben 8. 130 und
Real-Encyd. 1 1817 gefolgt bin, hat das Be-
denkliche, dass der Tag ein dies postriduanus
ist (s. unten S. 376); wahrscheinlich handelt
es sich dabei um feriae conceptivae, die in
Handbtiob der klMu. Altertiiiunri«eiiaoluft. T, 4.
dies certos (Macr. S. I 16, 6) d. h. auf einen
der ersten Tage des Februar concipiert wur<
den, ebenso wie die Gompitalia (s. oben S. 149)
auf einen der ersten Tage des Januar; dass
man dabei den dies postriduanus nicht immer
respektierte, zeigt die Feier der Gompitalia
am 2. Januar 704 = 50 y. Ghr., Gic. ad Att.
VII 7, 8.
*) Nur die drei genannten Kalendae
tragen fOr sich alleinstehend das Zeichen des
dies nef(uius, während die des Februar, Juli,
Dezember im Zusammenhange längerer Fest-
perioden stehen ; über Gamaria und Tigillum
Sororium als feriae publicae vgl. Wissowa,
De feriis anni Rom. p. XIII, Aber die Nonae
Gaprotinae Wissowa, Real-Encycl. III 1551.
*) Varro de 1. 1. VI 28: in sacris No-
24
370
Beligion nnd. Kultus der ROmer. IIL Knltne.
römische Zeitrechnung beherrschende Glaube an die segenbringende Ge-
walt der ungeraden Zahl (Mokmsen, Ghronol. S. 12) darin hervor, daas mit
Ausnahme des in jeder Beziehung rätselhaften Festes des Regifugium^
(24. Februar) und der zweiten Equirria (14. März) alle diese Staatsfeste
auf ungerade Monatstage fallen. Es folgt daraus, dass mit der durch die
erwähnten beiden Ausnahmen verursachten Abweichung') nie zwei feriae
publicae an zwei unmittelbar auf einander folgenden Tagen stattfinden,
sondern mehrtägige oder zusammengehörige Feste durch einen festfreien
Zwischenraum getrennt werden, der meist drei Tage,^) selten nur einen
Tag^) beträgt. Erkennbar ist femer die Häufimg der Marsfeste in zwei
parallelen Gyclen im März und im Oktober, d. h. am Anfang und am Ende
des Sommei^eldzugs (S. 131 f.), und die den Feldarbeiten entsprechende
Verteilung der agrarischen Feste, die je nach Abschluss der einzelnen
Arbeiten der Gampagne angesetzt sind,^) über die verschiedenen Monate,
von dem Feste der Winteraussaat (Satumalia, 17. Dezember) bis zu den
Feiern der Ernte (Gonsualia, 21. August) und Weinlese (19. August), wenn
auch durch die langandauernde Gonfusion und willkürliche Gestaltung des
bürgerlichen Kalenders die Daten mancher solcher Feste mit der natür-
lichen Zeit nicht mehr übereinstimmten.^) Ein Zusammenfallen mehrerer
Feste auf einen Tag findet sicher statt am 15. Mäi'z (Idus, d. h. feriae lonis,
und feriae Annae Perennae, S. 101. 194), 17. März (Agonium Martiale und
Liberalia, S. 131. 243), 15. Oktober (Idus, d. h. feriae lovis, und Equos Oo-
tober, S. 101. 131) und 23. Dezember {feriae lovis und Larentalia, S. 102.
naltbas in arce, quod tunc ferias publicas
(so wird f&r das überlieferte primas zu
schreiben sein) tnenstruaa, quae futwrae sinl
eo mense, rex edicit popülo; vgl. VI 13.
Macr. I 15, 12.
>) Fast. Praen. z. 24. Mftrz. Ovid. fast.
II 685 ff. V 727 f. Paul. p. 279. Plut. Qu.
Rom. 63. Der Tag ist wohl ebenso als
Nachtag zu den Terminalia (23. Februar) zu
betrachten, wie die beiden mit Q • R • C • F
bezeichneten Tage zu den beiden Tubilustria
(s. oben S. 368 A. 6 und unten S. 372); dass
auch beim Regifugium das comiHum (vgl.
quando rex comitiavit) eine Rolle spielt,
zeigt Plut. a. a. 0., und dass alle drei Tage
auf den 24. Monatstag fallen (Februar, März,
Mai) ist schwerlich ein Zufall.
') Die Folge Equirria 14. Mftrz, Idus
feriae lovis 15. März (zugleich feriae Ännae
Perennae, 8. 194) könnte man ja vielleicht
so auffassen, dass die erstgenaunte Feier die
Vorfeier der zweiten wäre (vgl. darüber
unten S. 372) ; aber die nicht zu bezweifelnde
Beziehung, in der diese Equirria zu dem
Opfer des Oktoberrosses am 15. Oktober
stehen (oben S. 131 f.), lassen es sehr wahr-
scheinlich erscheinen, dass auch sie ur-
sprünglich auf die Idus fielen und aus einem
nicht mehr nachweisbaren Grunde eine Ver-
schiebung stattfand. Wissowa, De feriis
anni Rom. p. IX, anders Moxmsen CIL I^
p. 332.
*) Garmentalia 11. 15. Jan.; Quinquatma
19., Tubilustrium 23. März; Fordicidia 15.,
Cerialia 19. April; Gonsualia 21., Opioonsivia
25. August; £fquus October 15., AnmloBtrinm
19. Oktober; Gonsualia 15., Opalia 19. Dez.
u. a., Wissowa a. a. 0. p. VIII ff. Der dop-
pelte Abstand (sieben Tage d. h. zweimal
post diem quintum) liegt zwischen den bei-
den Tagen der (conceptiven) Feriae Semen-
tivae (Lyd. de mens. III 6).
*) Lucaria 19. 21. Juli, Lemuria 9. 11.
13. Mai (doch liegt hier der dreitägige Zwi-
schenraum zwischen dem ersten und letzten
Tage), vielleicht auch Poplifugia 5., Nonae
Gaprotinae 7. Juli.
^) Gic. de leg. II 19: feriis iurgia anuh
vento easque m famulis operibua patratis
hahento; idque ut ita ccuUU, in annttie an-
fractibus descripttwi esto; vgl. II 29: quas
(feriae) compositio anni conferre debet ad
perfectionem operum rusticorum,
^) Gic. a. a. 0. II 29 : quod ad temptu
ut sacrificiorum libamania aerventur fehu-
que pecorum - . ,, düigenter Jiabenda ratio
intercalandi est; quod insHtutum perüe a
Numa posteriorum pontificum neglegenHa
dissolutum est (vgl. Antiaa bei Maor. 118, 20).
Suet. Gaes. 40: fastos correxit iam pridem
vitio pontificum per interccdandi UcenÜam
adeo turhatos, ut neque messium feriae
aestati neque vindemiarum auctuvmo com-
peterent. Vgl. Mohkssn, Ghronol. S. 69 ff.
68. Die Festseiten.
371
188); die Ealendarien notieren in diesem Falle fast stets nur einen Na-
men, 0 ebenso fällt der Festname ganz fort, sobald er mit den Kaien dae,
Nonae oder Idus zusammentrifift, was sich aus der Bestimmung der Kaien-
darien für den praktischen Gebrauch des Datierens (sie geben die civilia
vocabula dierum, Varro de 1. 1. VI 12) vollkommen erklärt. In den Aufzeich-
nungen der Steinkalender sind die Tage der feruie publicae von den übrigen
dies nefasti ebenso geschieden wie die comitiales von den fctöti] wie hier
die Note C neben F, so steht in der Bezeichnung der Feiertage neben
der gewöhnlichen Note N in weitaus den meisten Steinkalendern eine
andere von der Form N=>,^) die offenbar zur Hervorhebung der feriae pu-
blicae dienen soll. Denn von den oben erwähnten 61 Tagen der feriae
publicae tragen 52 dieses Beizeichen, und dieses findet sich bei keinem
einzigen Tage, den wir nicht auf Grund direkter Zeugnisse (namentlich
Varro de 1. 1. VI 12 ff.) oder sicherer Combination als zu den Staatsfesten
ältester Ordnung gehörig nachweisen können. Noch nicht ermittelt ist
freilich der Grund, aus dem neun dieser ältesten Staatsfeste, nämlich Regi-
fugium 24. Februar, Lemuria 9. 11. 13. Mai, Carnaria 1. Juni, Vestalia
9. Juni, Matralia 11. Juni, Nonae Caprotinae 7. Juli, Tigillum Sororium
1. Oktober nicht die Note N=>, sondern N tragen.') Die nach vielen ver-
geblichen Deutungsversuchen des Zeichens N=>^) jetzt meistenteils ange-
nommene Auffassung Mohhsens, wonach die Siglen N und N=> eine Scheidung
in nefasti tristes und nefasti hüares begründen sollen, scheitert an der That-
sache, dass gerade Lustrations- und Totenfeste {^tristes ei cum religione
coniuncti*^ Mohhsen, CIL I' p. 290) wie die Lupercalia und Feralia den
Charakter hP tragen, während von den mit N bezeichneten feriae die Vestalia
und die Nonae Caprotinae in historischer Zeit gerade zu den ^hilares et
populari laetitia celebrandae*^ gehören.^) Ausserdem zeigt sich eine nähere
Verbindung zwischen den N und N=>-Tagen darin, dass alle diejenigen N-
') Nur zum 17. März haben die fasti
Caeretani und Vaticani L\B(eralia) und
AGON(»um) nebeneinander, während die
übrigen Kalender nur den ersteren Namen
geben und dieser auch allein zur Datierung
gebraucht wird, s. Wissowa, De feriis p. XI f.
') In den fasti Pinciani und Venusini
sind alle dies nefasti ohne Unterschied nur
mit N bezeichnet, die fasti Pighiani haben
anstatt N' die Form M=; nimmt man hinzu,
dass in drei Fällen, nämlich bei den Feralia
(F* P Gaer., F Maff.) und den beiden Vinalia
am 23. April (F • P Gaer., F Praen., N=> Maff.)
und 19. August (F * P Maff. Amit., F Antiat.
Allif., hP Vall.) anstatt hP die Variante FP
vorkommt, die kaum eine andere Deutung
zulässt als F{ericie) P{iU)li€ae), so gewinnt
die von Soltau (Jahrb. f. Philol. CXXXVII
1888, 83(5) ausgesprochene Vermutung, dass
die Note ursprünglich N * F * P d. h. nefas,
feriae publicae (auch die Siglen N und F
sind in nefas und fas, nicht nefastus und
fastua aufzulösen) gelautet habe, grosse
Wahrscheinlichkeit; darauf führt auch die
verstümmelte Glosse des Festus p. 165*' 17,
wo für das überlieferte nep (NEP) nicht N'
zu lesen sein wird, sondern N * F * P.
') Immerhin mag notiert werden, dass
für 6 dieser Tage (9. 11. 13. Mai, 1. 9. 11. Juni)
der Gharakter N nur auf dem Zeugnisse der
Fasti Maffeiani beruht, da die sonst noch in
Betracht kommenden Fasti Venusini N und
N' nicht scheiden (s. oben Anm. 2), und
dass der 1 . Oktober in den Fasti Arval. das
Zeichen tP trägt (N Maff. Paul. Amit.).
^) MAsguABDT, Staatsverw. III 292.
MoiocsBN GIL I * p. 289 f.
') Für die Vestalia genügt es, auf die
pompejanischen Bilder (Helbio, Wandgem.
nr. 777. Maü, Rom. Mitt. XI 80; Pompeji
S. 328) zu verweisen, für die Nonae Gapro-
tinae beweist es, abgesehen von den Schil-
derungen des Festes selbst (Real-Encvcl. III
1552), der am folgenden Tage (8. Juli) sich
anschliessende Akt der Vüi^latio (Macr. S.
m 2, 14), der sicher ein freudiger Opferakt
ist (Varro etiam in libro quinto decimo
rerutn divinarum ita refert, qtwd pontifex
in sacris quibusdam vitulari soleai, qiiod
Graeci naiaylCeiy vocant, Macr. a. a. 0. 11).
24*
372
Beligion nnd Knltne der ROmer. m. Kultus.
Tage, die nicht entweder selbst ferias publicae sind oder in eine längere
geschlossene Reihe von dies nefaMi gehören, unmittelbar vor fer%€ie publicae
stehen, ^) und da ausserdem sämtliche 8 dies intercisi Vortage von solchen
Staatsfesten sind,^) so werden wir beide Oruppen im gleichen Sinne auf-
zufassen haben als Tage, die für die Vorbereitung der am nächsten Tage
abzuhaltenden feriae publicae teils ganz teils nur bruchstückweise vom pro-
fanen Geschäftsbetriebe eximiert sind: es dürfte nicht allzu gewagt sein,
diese Vorfeiern unter den überlieferten Terminus feri(ie praecidaneae zu
stellen.^) Ganz analog sind die dies fissi (oben S. 368) Nachtage, die beiden
mit Q{uand6) R{ex) C{omüiavU) F{as) bezeichneten Nachtage der beiden
Tubilustria am 23. März bezw. 23. Mai, der mit der Note Q{uando) ST{ercus)
D{elatum) F{as) der Schlusstag der Reinigungszeit desVestatempels (S. 148),
also Tage, die noch mit ihrer ersten Hälfte zu der vorausgehenden Feier-
tagszeit gehören.^)
Die Festtafel des Kalenders enthält nicht alle Staatsfeste. Aus-
geschlossen sind zunächst diejenigen feriae publicae, die nicht vom Volke
als Gesamtheit {pro populo), sondern getrennt in seinen verschiedenen
Unterabteilungen begangen werden (s. oben S. 335). Ein Musterbeispiel
dafür ist das auf den 11. Dezember fallende Fest des Septimontium,^) wel-
ches die sieben alten Berggemeinden einer älteren Stadtform an einem
Tage, aber jede für sich getrennt, feierten ; ein Staatsfest war es, obwohl
diese ältere Stadtform längst durch die Wirklichkeit überholt war, ebenso
wie die von Haus aus auf das antiquum oppidum Palatinum beschränkten
Lupercalia, aber die Fasten verzeichnen es nicht, ^) sondern notieren nur
ein zufällig auf den gleichen Tag fallendes Agonium, von dem wir nicht
wissen, welchem Gotte es galt.^) Die sacralrechtlich dem Septimontium
gleichartigen Feste der pagi, compUa (saceUa, s. oben S. 335 A. 2) und curiae^
nämlich die Paganalia,^) Compitalia (S. 149) und Fomacalia (S. 142), sind
1) Es sind die Tage 22. März (vor dem
Tubilostrium), 22. Mai (ebenfalls), 24. Juli
(vor den Furrinalia), 12. Sept. (vor den Jup-
piierferiae der Idos). Im Februar reicht die
geschlossene Reihe der N-Tage vielleicht nur
von den Kalendae bis zu den Idus, so dass
der 14. Februar mit seiner Note N als Vor-
tag der Lupercalia aufzufassen wäre; ebenso
kann man im April die N-Tage am 18. 20.
22. als Vortage der Gerialia, Parilia, Vinalia
verstehen und die geschlossene Periode nur
von den Nonae bis zum 17. April rechnen.
') Es sind 10. und 14. Januar (Carmen-
talia), 16. Februar (Quirinalia), 26. Februar
und 13. März (Equirria), 22. August (Vol-
canalia), 14. Oktober und 12. Dezember (Idus).
s) Ateius Capito bei Gell. IV 6, 10:
Tib, Cortmcanio pontifici maximo feruie prae-
cidaneae in atrum diem inauguratae sunt,
coUegium decrevit, non hahendum religioni,
quin eo die feriae praecidaneae essent; vgl.
ebd. § 7 : praecidaneae hostiae dicuntur, quae
ante sacrificia soUemnia pridie caeduntur,
^) Umgekehrt beginnt die Trauerzeit der
Parentaiia (oben S. 187) erst um die sechste
Tagesstunde (also am Mittag) des 18. Fe-
bruar, der Vormittag bleibt unberührt, Lyd.
de mens. IV 24.
*) Fest. p. 348. 340. Varro de 1. 1. Yl 24.
Plut. Qu. Rom. 69. Lyd. de mens. frg. CaseoL
p. 118 Bekk. und mehr bei Wissowa, Saiora
Viadrina (1896) S. 1 ff.
*) Um dieses Fehlen zu motivieren,
nennt sie Varro a. a. 0. fericie nan popuU
sed montanorum modo, dass sie aber pubUca
Sacra sind, zeigt deutlich Fest. p. 245.
') Beide Feste sind deutlich geschieden
bei Lyd. a- a. 0. : ineriXovy di xal koQxrjv
Xeyofjiiyfjy *Jy(oyttXi,a dafpprjfpoQ^ xal yera^XB
'HXl(ü (welcher altrömische Gott dahinter
steckt, vermag ich nicht zu erkennen) . . iy
tavtjj xal ij Xeyofxiyrj na^* ttvttSr lenr^
(jLovvdio^ ioQjtj inereXetto u. s. w. Gegen
MoMMSEKS Auffassung, der diese Ägonalia
und das Septimontium identifiziert und auf
Grund des Steinmetzfehlers der fast. Amit^
AG IN (statt AGON) lesen möchte ^^(onio^
In(ui) (CIL P p. 336) s. Wissowa a. a. O.
S. 2f.
^) Erwähnt von Varro de 1. 1. VI 26
68. Die FeatEeitan.
373
ausserdem noch durch einen zweiten Grund vom Kalender ausgeschlossen,
indem es nicht ein für allemal auf einen bestimmten Tag fixierte Feiern
sindJ) Denn wenn das Sacralrecht drei Gattungen von feriae unter-
scheidet, die feriae stativae, conceptivae und imperativae,^) so haben von
diesen im Festkalender nur die erstgenannten, die feriae statae annuae,
ihren Platz ;') die alljährlich durch die Magistrate innerhalb gewisser
durch Ritus und Tradition mehr oder weniger genau bestimmter Grenzen
anberaumten Wandelfeste {feriae conceptivae) ^) gehören, abgesehen von dem
Bundesfest des Latiar (S. 109), fast durchweg in den Kreis der agrarischen
Kultakte, für die mit Rücksicht auf den in jedem Jahre verschiedenen
Stand der Felder und Feldarbeiten die Bindung an ein festes Kalender-
datum unratsam erscheinen musste, so das Saatfest (Sementivae, S. 160), der
Flurumgang (Ambarvalia, S. 130), das Blütenfest (Florifertum, S. 164), das
Augurium canarium (S. 163) und gewiss noch manche andere Feste verwandter
Art, die eben darum, weil sie im Kalender nicht verzeichnet waren, ver-
schollen sind. ^) Als Beispiel der dritten Gattung von feriae ^) führt Yarro
(de 1. 1. VI 26) die häufig erwähnten feriae novemdiales an, welche üblicher-
weise zur Procuration des Prodigiumd eines Steinregens angeordnet werden
(oben S. 328) ; es gehören in dieselbe Kategorie alle die zahlreichen von den
unter dem Namen paganiciie (feriae), als
Paganalia bei Macr. S. I 1 6, 6 und Dion. Hai.
ly 15, 3; sie sind ein agrarisches Fest {agrü
ctUturcte causa ausceptae Varro a. a. 0.) zu
Ehren der ^Biav iniaxono^y ts xai (pvkaxaty
rov nayov (Dion. a. a. 0.)» verschieden so-
wohl von den Feriae Sementivae (S. 160),
mit denen sie oft zusammengeworfen wer-
den, wie von der lustrcUio pagi (S. 130).
^) Paganalia und Compitalia sind mehr-
fach angeführte Beispiele aer feriae concep-
tivae (Macr. Varro a. a. 0., vgl. Paul. p. 62),
für die Fomacalia s. Ovid. fast. II 527 f.:
curio legüimis nvmc Fomacalia verbia ma-
ximus indicit nee stata sacra facU,
^) Feriarum atUem publicarum genera
sunt quattuor; aut enim stativae sunt aut
conceptivae aut imperativae aut nundinaCf
Macr. S. I 16, 5 ; Varro de 1. 1. VI 25 f. unter-
scheidet im gleichen Sinne (der Text nicht
ganz sicher) feriae annales die siatuiae,
feriae annales nee die statutae = concep'
Hvae und feriae conceptivae quae non sunt
annales = imperativae. Die von Macrobius
zu den feriae gerechneten Nundinae (s. Macr.
a. a. 0. § 28 ff. Varro bei Serv. Georg. 1 275.
Fest. p. 173. Paul. p. 85, 8. Plin.n.h.XVIlI 13.
Plut. Qu Rom. 42) sind thatsAchlich niemals
im sacralrechtlichen Sinne feriatae gewesen
(MoMM SBN, Ghronol. S. 245 ff. ; Staatsr. 111 373) ;
dass fiaminica omnibus nundinis in regia
lovi arietem solet immolare (Macr. a. a. 0.
§ 80) beweist f&r den Charakter der Nun-
dinae als feriae ebensowenig etwas wie die
scura Non€dia in arce (Varro de 1. 1. VI 28)
f&r die Nonae.
*) Et sunt stativae universi poptUi com- \
munes certis et cofwtttutt» diebua ac mensi-
bus et in fastis stcUis observationibus ad"
notatae, Macr. a. a. 0. § 6. Häufig verbunden
statas sollemnisque caerimonias (Gic. de har.
resp. 9; vgl. Tusc. I 113. Liv. V 52, 8 u. ä.),
worin soUmnis die regelmässige Wiederkehr,
Status die Bindung an ein festes Kaien der-
datum bezeichnet; vgl. Fest p. 344 : stcUa
saerificia sunt, quae certis diebus fieri debent
.... sollemnia sacra dicuntur, quae certis
temporibus annisque fieri solent,
*) Conceptivae sunt, quae quotannis a
magistratibus vel sacerdotibus concipiuntur
in dies vel certos vel etiam incertos, Macr.
a. a. 0. § 6; vgl. Paul. p. 62. Die durch die
Worte condpere in dies certos (vgl. Ovid.
fast. I 661 f. von den Sementivae: wtque dies
incerta sacro, sie tempora certa, seminibus
iactis est übi fetus ager) angedeutete Be-
schränkung in der Wahl der Tage zeigt sich
sowohl bei den Compitalia (Moiocsbn CIL I'
p. 305) wie namentlich bei dem Maifest der
Arvalbrader (Wissowa, Real-Encycl. II 1473).
^) Das Fehlen von Festen von Pomona
und Falacer, die doch eigene Flamines haben,
wird sich wohl auf diese Weise erklären.
') Imperativae sunt, quas consules vel
praetores pro arbitrio potestatis indicunt.
Macr. I 16, 6; neben imperare (z. B. Cic. de
div. I 102. Liv. XXXVI 2, 2. öeU. II 28, 2)
ist der gewöhnliche Ausdruck indicere ferias
(Serv. Aen. 111 264: indicit] sacrorum verbo
usus est, nam supplicationes et dies festi
indici dicebantur; s. z. B. Liv. III 5, 14.
XXXIV 55, 1. 4 und namentlich die indictio
des sacrum Deae Diae, Eüwzbk, Acta fratr.
Arval. S. 4 ff.).
374
Beligion nnd KaltnB der Römer, m. Knltiu.
Oberbeamten auf Grund von Prodigien^) oder zu Bitt- und Dankzwecken
angesetzten ausserordentlichen Festtage und Supplicationen.') Alle feriae
conceptivae und imperativae machen selbstverständlich den dies fastus oder
eomüialis, auf den sie angesetzt werden, ebenso zum dies nefastus, wie die
ständigen Jahresfeste. ^) Da bei allen dies nefasti der Staat der Darbringer
ist, so liegt ihr Hauptcharakter in der Femhaltung aller nicht sacralen
staatlichen Thätigkeit, also im Ruhen sowohl des ifis agendi cum populo
als der Civilrechtsprechung,^) auch der Kriegführung, soweit es sich wenig-
stens um Offensive handelt;*) aber auch von allen seinen Bürgern ver^
langt der Staat, wenn auch nicht an allen dies nefasti, so doch an allen
feriae publicae^) Arbeitsenthaltung oder doch wenigstens Einschränkung
der Werktagsarbeit auf die Erledigung des ünerlässlichen.^) Freilich ge-
rieten diese sacralrechtlichen Forderungen in historischer Zeit bei ge-
steigertem Verkehr und Wirtschaftsbetrieb mit den Anforderungen des
Lebens in heftigen Conflikt; man gefiel sich infolgedessen nicht nur darin,
in sehr verzwickter Casuistik alle möglichen Arbeiten als auch am Feiertage
gestattet nachzuweisen, b) sondern die überlieferte Bestimmung, dass be-
stimmte Priester an Feiertagen die Vornahme einer Werktagsarbeit nicht
sehen durften und daher durch einen vorantretenden Herold ihr Nahen ver-
künden Hessen, den dennoch bei der Arbeit Betroffenen aber in Geldstrafe
nahmen,^) ist wohl so aufzufassen, dass sich der Staat mit der Aufgabe,
die Bürger zur Festtagsruhe anzuhalten, nach dem Prinzipe quod ego non
sensi, nullum mihi vitium facit (Cato bei Fest. p. 234) abfand; die sacrale
') z. B. nach Erdbeben Liy. XXXIV 55,
1. 4. XXXV 40, 7. GeU. II 28, 2. Suet. Claud.
22, aber auch sehr oft sonst, z. B. Liv. III
5,14. XL 19, 5. XLI21,ll. XLII2,7. 20,6.
*) MoMKSSN, Staatsr. II 128.
') Varro de 1. 1. VI 29: comüidles, quod
tum ut esset populus constitutum est ad
s\ifjragiuin ferundum, nisi si quae feriae
conceptae essentj propter quas non liceret.
Conceptionsfonnel der Gompitalia bei Gell.
X 24, 3: Dienoni populo Romano QuiritibtM
Compitalia erunt ; quando conceptae fuerint,
nefas, Cic. de div. I 102: inque feriis im-
perandis, ut litibus et iurgiis se ahstinerent
{imperahatur).
*) Daher ist indictio feriarum ein be-
liebtes Mittel magistratischer Obstmktions-
politik in der Revolutionszeit, z. B Cass. Dio
XXXVIII 6, 1. Cic. ad Qu. fr. II 6, 4.
*) Fest. p. 226 : proeliares dies appellan-
tut, quihus fas est hostem hello lacessere;
erant enim quaedam feriae puhlicae, quibus
nefas fuit id facere. Varro bei Maor. S.
I 16, 19: vtros vocare feriis non oportet; si
vocavit, piaculum esto (vgl. ebd. § 20); anders
eine Entscheidung Trajans bei Ulpian. Dig.
II 12, 9: ferias a forensihus tantum negotiis
dare vacationem, ea autem, quae ad dis^
ciplinam müitarem pertinent, etiam feriaiis
diebus peragenda.
*) So mnss man es auffassen, wenn
schlechthin von ferias polluere (Gell. II 28, 3.
Macr. I 16, 9. Serv. Georg. I 268) oder quod
feriis fieri non licet (Fest p. 253) a. fthnl.
die Rede ist, da ein Verhältnis von 109
ganzen und 11 halben Feiertagen zu 235
Werktagen doch undenkbar ist. So gemeint
ist vielleicht Serv. Georg. I 268: sane feriis
terram ferro tangi nefas est, quia feriae
deorum causa instituuntur, festi dies homi-
num quoque.
^) Macr. I 16, 9: adfirmabant autem
sacerdotes poUui ferias, si indictis concep-
tisque opus aliqu^d fieret; dann folgen die
Ausnahmen, insbesondere opus vel ad deos
pertinens sacrorumve causa vel aliquid ad
urgentem vitae necessitatem respiciens (§ 10)
oder allgemein quod praetermissum noceret ;
bei Serv. Georg. I 270 kommt hinzu quicquid
fieri sine institutione novi operis potest (vgl.
Macr. I 15, 21. III 2, 11).
^) Verzeichnis der gestatteten ländlichen
Arbeiten bei Cato de agric. 2, 4 (vgl. Plin.
n. h. XVIII 40). Verg. Georg. I 268 ff. Colum.
II 22. XT 1, 20; vgl. auch die in der vorigen
Anm. angeführten Stellen.
•) Macr. I 16, 9: praeterea regem sacrO"
rum flaminesque non licehat videre feriis opus
fieri; et ideo per praeconem denuntidbant,
ne quid tale ageretur, et praecepti neglegens
multdbatur; ebenso Fest. p. 249 (flaminxbus
Diali Quirinali Martiali). Paul. p. 224 {fla-
minibus) ; vgl. Serv. Georg. I 268 {pontifices).
Flut. Qu. Rom. 25 [ol legets).
68. Die
375
Verpflichtung des Übertreters zur Darbringung eines Piacularopfers 0 wird
dadurch nicht berührt, doch kümmert sich der Staat darum nicht. Auf
der anderen Seite sind aber manche Feste viel ausgedehnter gefeiert
worden, als die offizieUe Ansetzung es verlangte; um von den Spieltagen
hier abzusehen, über welche im folgenden Abschnitte zu handeln sein wird,
geben dafür interessante Beispiele die Gompitalia, Quinquatrus und Satur-
nalia, alles von Haus aus eintägige feriae; aber die Gompitalia, ein wegen
der Üppigkeit des Schmausens und Poculierens (unda Compüalia Yerg.
catal. 18, 27; vgl. Gate de agr. 57) namentlich beim Gesinde sehr populäres
Fest, wurden in Augustus' Zeit bereits durch drei Tage gefeiert (Fest. p. 254)
und haben im Kalender des Philocalus offizielle Anerkennung dieser Aus-
dehnung (8. — 5. Januar) gefunden; das Gildefest der Quinquatrus war auf
Grund einer falschen, aber den festfreudigen Handwerkern sehr gelegen
kommenden Etymologie schon im J. 586 = 168 auf fünf Tage (19.— 28. März)
ausgedehnt worden,^) die Satumalia aber, der optimus dierum, füllten —
ohne dass der staatliche Kalender einen anderen Tag als den 17. Dezember
anerkannt hätte — im letzten Jahrhundert der Republik volle sieben Tage,')
und die Kaiser des ersten Jahrhunderts haben der Vorliebe des Volkes für
diese Feier durch Verlängerung der Gerichtsferien erst auf drei, dann auf
fünf Tage nachgegeben.^) Hand in Hand damit mag eine Vernachlässigung
der minder volkstümlichen Feste durch das grosse Publikum gegangen
sein; es ist eine interessante Thatsache, dass der aus der ersten Kaiser-
zeit stammende Bauernkalender von Guidizzolo bei Mantua (GHj P p. 258)
für die Zeit vom 12. Juli bis 18. Dezember, in der die Steinkalender 16
(oder mit den Augustalia 17) feriae publicae verzeichnen, deren nur vier
nennt (Neptunalia, Volcanalia, Satumalia und das in den Kalendern nicht
aufgeführte Septimen tium), dazu die Ludi Apollinares und das Stiftungs-
fest der Diana in Aventino, sowie ein lokales Fest der Epona; die un-
gefähr der gleichen Zeit angehörigen sog. Menologia rustica (GIL P p.280f.)
geben eine ähnliche, wenn auch etwas reichere Auswahl.^) Auch die
Schule der Kaiserzeit respektierte nur einen kleinen Teil der Staatsfeste, ^)
>) Golam. II 22, 4. Macr. I 16, 10. Gell.
II 28, 3.
») Liv. XLIV 20, 1 QuinqwUribua ulti-
mis. Varro de 1. 1. VI 14. Fest. p. 254. Ovid.
fast. III 810; trist. IV 10, 13 f.
') Novius bei Macr. I 1 0, 3 ; vgl. Cic. ad
Att. XIII 52, 1. Martial. XIV 72.
*) MOMMSKN CIL I ' p. 887. MASgüABDT,
Staatsyerw. 11 1 587.
') z. 6. werden von den feriae publicae
des Februar nnr Lupercalia and Terminalia
aufgeführt (nicht Quirinalia, Regifugium,
Equirria), an Stelle der Feralia die privaten
Parentalia und die Gara Gognatio (s. oben
S. 187), im Juli nur die Neptunalia (nicht
Poplifugia, Lucaria, Furrinalia) und die Ludi
Apollinares. Eine ganz ähnliche Auslese
zeigen die von Plinius, Colnmella u. a. zur
Datierung ländlicher Arbeiten verwendeten
Festnamen. Als die höchsten Feste des
Jahres, an denen nach der Tafelordnung des
Alezander Severus ein Fasan auf den Tisch
kam, nennt dessen Biograph 87, 6 die Ea-
lendae Januariae, HilariaMatris Deum (S. 266),
die Ludi Apollinares, das Epulum Jovis und
die Satumalia.
') Es sind ausser den schon von Hör.
epist. II 2, 197 in diesem Sinne erwähnten
Quinquatrus (vgl. auch Symm. epist. V 85)
die Satumalien (vgl. Martial. V 84, 1 f. Plin.
epist. VIII 7, 1), das Septimontium, die Gara
Cognatio, femer die Ealendae Januariae
{strenae, s. MARguABDT-MAU, Privatl. d. Rom.
S. 251) und die Brama (Bramalia, 24. Nov.,
vgl. darflber Tomasobek, Sitz.Ber. Akad. Wien
LX 1869, 858 ff. R. Foerstbb, Index lection.
Vratislav. Wintersem. 1891/92 p. 5 ff. Momm-
SBN GIL P p. 287), dazu die Nundinae (vgl.
Varro Menipp. frg. 279 Buech.), s. Tertull.
de idol. 10 (vgl. 14, wo zwar nicht als Schul-
ferien, aber als angesehenes Fest noch die
Matronalia hinzukommen). Hieronym. conun.
376
Beligion und Knltiui der BOmer. III. Kultus,
und allmählig löst sich der Begriff feriae von der sacralrecbÜichen Be-
deutung ganz los und bezeichnet die Sommervakanz der Schulen und die
in dieselbe Zeit fallenden Gerichtsferien. ^)
Völlig ausserhalb der Scheidung von dies nefasti und fasti steht der
Begriff der dies religiosi. Denn während jene Namen das Eigentumsrecht
der Götter bezw. der Menschen an dem betreffenden Tage zum Ausdrucke
bringen, sind die dies religiosi oder, wie sie vereinzelt mit einem noch
prägnanteren Ausdrucke heissen, dies vitiosi*) Tage, die aus bestimmten
Gründen für gewisse Akte sowohl sacraler wie profaner Natur disqualifiziert
erscheinen: Eheschliessung oder überhaupt der Beginn irgend einer bedeut-
samen Handlung, staatliche Akte comitialer oder militärischer Art, Dar^
bringung von Opfern sind an diesen Tagen ausgeschlossen oder wenigstens
bedenklich, so dass man all dies nur im äussersten Notfalle vornimmt.')
Das Verbot der Opfer und der damit zusammenhängende Verschluss der
TempeH) stellt diese Tage in geraden Gegensatz zu den dies nefasti^ wenn
auch nachlässiger Sprachgebrauch beide Begriffe zuweilen durcheinander
wirft. ^) Die Festsetzung solcher dies religiosi erfolgt durch den Senat
(MoMMSEN, Staatsr. m 1053 f.), indem nach einer besonders traurigen Er-
fahrung der betreffende Tag oder auch aUe gleichartigen als tristi omine
infames^) für alle Zeiten charakterisiert werden. So ist nicht bloss der
Tag der schweren Niederlagen an der Cremera und an der Allia, die beide
auf das gleiche Datum (18. Juli) fielen, unter die dies religiosi gesetzt wor-
den,^) sondern in Erinnerung an das zwei Tage vor der Schlacht, d. h.
postridie idus Quindiles, von dem Militärtribunen Q. Sulpicius belli gerendi
gratia dargebrachte Opfer und in Erwägung, dass schon früher wiederholt
solche an den Nachtagen der Kalendae, Nonae und Idus vorgenommene
Kampfopfer zu üblen Erfolgen geführt hatten, machte der Senat alle diese
in epist. ad Ephes. III 6 = Mignb, Patrol.
lat. XXVI 540.
») z. B. Gell. IX 15, 1. XVIII 5, 1. Minuc.
Fei. 2, 3. Cod. Theod. II 8, 2.
^) Fast. Praen. Maff. Caer. z. 14. Jan.:
dies vitio8U8 ex s, c.
^) Macr. S. I 16, 24: ut hi dies neque
proeliares neque puri (d. h. zum sacralen Ge-
branche geeignet, vgl. die hostia pura oben
S. 351 Anm. 3) neque comitiales essent. Fest
p. 156: nihil eo tempore in re publica gen
voluerunt ; itaque per eo8 dies non cum hoste
manus canserebant, non exercitus scribebatur,
non comiiia Jiabebantur, non cUiud quicquam
in republica, nisi quod ultima necessitaa ad-
monebat, administrabatu/r, Macr. 1 16, 18,
wo hinzukommt uxorem liberum qiiaeren-
dorum causa ducere (vgl. 115, 22. Ovid. fast.
II 557 ß. III 393 ff. V 487 f. VI 219 ff. Plut.
Qu. Rom. 86). Gell. IV 9, 5: res divinw fa-
cere et rem quampiam novam exordiri; vgl.
V 17, 2. Fest. D. 278. Liv. VI 1, 12, Lehr-
reich dafür ist der Beschlnss der Decurionen
von Pisae, durch welchen der Todestag des
G. Caesar zum dies religiosus erklärt wird,
CIL XI 1421, 25 ff.: difemjque eum, quo die
C, Caesar obit, qui dies est a. d. Villi k.
Martias, pro Alliensi lu[gub]rem memoriae
prodi notarique in praesenHa omnium iussu
ac voflunjtate caverique, ne quod scuarifidum
piiblicum neve quae supplicaftiojnes nive
sponsaiia nive convivia publica postea m
eum diem eofve djie, qui dies erü a, d. Villi
k. Mart.f fiant concipiantur indieantufrve]
nive qui ludi scaenici circiensesve eo die
fiant spectenturve.
*) Ovid. fast, n 563 f. V 485 f.; auch
dass die Flaminica Dialis an solchen Tagen
ihr Haar nicht kämmt (Ovid. fast. lil 397 f.
VI 229 f. Gell. X 15, 30. Plut. Qu. Rom. 86),
wird damit zusammenhängen.
^) z. B. Suet Tib. 53 : absumptam crtmi-
nosissime insedatus est, cum diem quoque
natalem eius inter nefastos referendum
suasisset; vgl. Gell. IV 9, 5. Non. p. 73, 81.
«) Gell. IV 9, 5; vgl. inominalem Gell.
V 17, 3. Macr 1 16, 26; dies qui essent no-
tcUi rebus cutversis Macr. I 16, 19.
») Liv. VI 1, 11. Cic. bei Gell. IV 9, 6.
Fast. Ant. Amit. und mehr bei Mommbin,
Chronol. S. 26 A. 32; CIL I> p. 322.
68. Die Featzeiten.
377
dies atri,^) d. h. Nachtage der genannten Monatstage, zu dies rdigiosi.^)
Eine ähnliche Verfügung für alle a. d. IV Kalendas, Nonas, Idus liegenden
Tage scheint wegen der a. d. IV Non. Sext erlittenen Niederlage bei Cannae
getroffen, aber dann wieder in Vergessenheit geraten zu sein.') Als son-
stige dies religiosi kennen wir die drei Tage (24. August, 5. Oktober,
8. November, s. oben S. 189), quibus mundus patet,^) ferner die Tage, an
denen der Tempel der Vesta offen stand, ^) die Festzeiten der Salier im
März und Oktober, quibus ancilia moventur,^) zwei Tage nach den feriae
Latinae (Cic ad Qu. fr. 11 4, 2), endlich die Gedenktage der Toten im Februar
(ParentaJia, S. 187) und Mai (Lemuria, S. 189).^) Auf den Tagescharakter
als dies fastus oder nefastus hat die an einem Tage haftende religio keinerlei
Einfiuss,') die dies atri sind, soweit sie nicht in die zusammenhängenden
Oruppen von dies nefasti im Februar, April, Juni, Juli und Dezember (oben
S. 369) fallen, dies fasti (der 14. Januar intercisus), die der Öffnung des
mundus alle drei comitiales, ebenso der dies Älliensis, unter den neun Tagen
der Parentalia (mit Einschluss der Feralia) befinden sich vier feriae publicae
(mit N=>), ein nefastus (n) als Vortrag der Lupercalia, ein intercisus vor den
Quirinalia und drei dies comüiales (ähnlich steht es mit den Zeiten der
Salierumzüge); es geht daraus mit Sicherheit hervor, dass, wenn die drei
Tage der Lemuria und die ganze Zeit der Reinigung des Vestatempels
den Charakter N tragen, dies mit der Stellung dieser Tage als dies religiosi
durchaus nichts zu thun haben kann. Es ist überhaupt nicht sowohl eine
rechtliche Festsetzung, als eine Warnung, die der Senat durch die Ein-
reihung eines Tages unter die dies religiosi ausspricht, und nicht nur hat
man in einzelnen Fällen ausserordentliche Opfer an dies religiosi für zu-
lässig erklärt,*) sondern die Kalender selbst liefern mehrere Beispiele
ständiger sacrificia publica an solchen Tagen. >^)
») Fest. p. 278. Varro de 1. 1. VI 29.
Ovid. fast. I 57 f. Macr. I 15, 22. 16, 21.
Non. p. 73. Afran. frg. 163 Ribb. ; über den
Namen vgl. 0. Gruppe, Hermes XV 624.
») Gell. V 17, 1 f. Macr. S. I 16, 21 ß.
Paul. p. 178 (entstellt). Liv. VII, 12 (daraus
entstellt Plut. Qu. Rom. 25).
») Gell. V 17, 3 flf. Macr. S. I 16, 26.
*) Fest. p. 278. 157. Macr. 8. I 16. 18.
*) Fest. p. 250. Ovid. fast. VI 219 ß.;
Philocalus notiert zum 7. Juni Vesta aperit,
zum 15. Juni Vesta cludüur,
•) Liv. XXXVIl 33, 6. Tac. bist. II 89.
Suet. Otho 8. Ovid. fast. III 393 ff. Lyd. de
mens. IV 37. Da die Argeerprozession am
16. 17. März in diese Zeit fällt, so geht
wahrscheinlich darauf die Notiz des Gell.
X 15, 30, dass die Flaminica Dialis cum
it ad Ärgeos, neque comit caput neque
capillum depeetü; Plut. Qu. Rom. 86 bezieht
das auf die Argeerprozession des 14. Mai,
die unmittelbar nach den Lemuria, also auch
in religiöse Zeit fällt.
») Ovid. fast. II 557 ff. V485 ff. Lyd. de
mens. IV 24.
") Mit Unrecht habe ich Real-Encycl.
II 1922 MoMHsxNS Ansicht (Chronol. S. 238 f.)
gebilligt, dass die dies religiosi im republi-
kanischen Kalender mit N bezeichnet ge-
wesen seien und erst Augnstus das geändert
habe; sie beruht auf einer Verkennung des
Gegensatzes zwischen dies nefasti und reli-
giosi.
*) Gegenüber einer rigorosen Auffassung,
die am dies ater sogar die parentatio für un-
zulässig erachtete, quia tunc quogue lanum
lovemqtie praefari necesse est, quos nomi-
nari atro die non oportet (Macr. I 16, 25),
erklärten in einem Spezialfälle die Ponti£ces
die Ansetzung von feriae praecidaneae auf
einen dies ater für unanstössig (Gell. IV 6, 10)
und enthielt das Gelöbnis des Ver saomm
nach Liv. XXII 10, 6 die Bestimmung: 8t
atro die faocit insdens, probe factum esio.
>^) Die vitülatio am 8. Juli, also postri-
die idiM, ist ein Staatsopfer (Macr. III 2, 14,
vgl. 11), ein Opfer Lunae m Graecost(asi)
(oben S. 262) fällt auf den 24. August, also
einen der Tage, quibus mundus patet, in
die religiöse Periode zur Zeit des Offen-
stehens des Vestatempels faUen die ncUales
mehrerer Tempel : der Mens auf dem Capitol
378
Beligion und Kultus der BAmer. m. Enltiui.
Caesar hat bei seiner Kalenderreform im J. 709 = 45 die Festord-
nung in keiner Weise alteriert; im Gegenteil hat er die neu hinzugefügten
zehn Tage, die sämtlich mit F bezeichnet sind, durchweg erst ganz gegen
Ende des Monats nach den letzten feriae publicae desselben eingereiht, 0
so dass die letzteren alle auf dem gleichen Monatstage (von vorn an ge-
zählt) verblieben und nur die durch Rückrechnung von den folgenden
Ealendae gewonnenen Daten der nach den Idus fallenden Tage sich
änderten;^) dass Caesar den sacralrechtlichen Charakter auch nur eines
einzigen Tages verändert hätte, lässt sich durch nichts beweisen oder
wahrscheinlich machen. Dagegen wurde kurz vor Caesars Tode im J. 710
= 44 nicht nur Caesar zu Ehren der Monat Quinctilis in Julius umgenannt,
sondern auch die Gedenktage der wichtigsten Ereignisse aus Caesars Leben
in die Reihe der feriae publicae (mit dem Zeichen bP) aufgenommen. >) Es
sind in der Reihe des Jahres folgende Feste:
17. März, Sieg bei Munda 709 = 45.
27. März, Fall von Alexandria 707 = 47.
6. April, Sieg bei Thapsus 708 = 46.
12. Juli, Caesars Geburtstag.
2. August, Siege in Spanien 705 = 49 und bei Zela 707 = 47.
9. August, Schlacht bei Pharsalus.
In gleicher Weise ist dann während des Triumvirats und weiterhin
in der ganzen Kaiserzeit verfahren worden, und die erhaltenen Kalender,
die bis in die Zeit des Claudius reichen, lehren uns folgende Staatsfeste
(sämtlich rp) neuer Observanz kennen, die ich in der zeitlichen Abfolge
ihrer Einsetzung aufführe:*)
718 = 36, 3. September, Sieg über S. Pompejus.
723 = 31, 2. September, Schlacht bei Actium.
724 = 30, 1. August, Tod des Antonius.
724 = 30, 23. und 24. September, Geburtstag des Augustus.*)
725 = 29, 28. August, Weihung der ara Vidoriae in curia (S. 129).
734 = 20, 12. Mai, Weihung der aedicula Martis in Capitolio (S. 133).
735 = 19, 12. Oktober, Augustalia (Rückkehr des Augustus aus dem
Orient, Constitution der Ara Fortunae Reducis, S. 212).
nach 735 = 19, 15. Dezember, Weihung der Ara Fortunae Reducis.
741 = 13, 4. Juli, Rückkehr des Augustus aus Spanien und Gallien
(Constitution der Ara Pacis Augustae, S. 277).
(S. 259), der Fortuna und der Mater Matnta
auf dem Forum Boarium (8. 207. 98), der
Concordia in particu lAviae (S. 272), des
Juppiter Invictus (S. 108); über die Gompi-
talia 8. oben S. 369 A. 3.
^) Macr. S. I 14, 8 ff. Censorin. 20, 9.
^) Die Vinalia rustica z. B. fielen nach
dem alten Kalender ante diem XII Kalendas
Septembrea (so Varro de 1. 1. VI 20), nach
dem julianischen a. d. X/F(Fest. p. 265 und
Kalend.), der Tag ist aber beiaemal der
19. August. Ueber die gleiche Verschiebung
bei den Satumalien (17. Dez. = XIV K(ü,
lan, vorcaesar. = XVI Kai, lan. Julian.)
8. Macr. S. I 10, 2 ff. und dazu Wissowa, De
feriis anni Rom. p. IV f.
») Appian. bell 106. Gase. Dio XLIV 4, 4,
vgl.XLVlI18,5. MoMMSEV, StAatsr. III 1052 f.
*) Uebergangen sind der 29. Januar und
5. 6. August, die zwar das Zeichen hP tragen,
ohne dass jedoch dessen Begründung in den
vorliegenden Kalendern erhalten wäre.
^) Den Beschluss, des Augustus Geburts-
tag unter die Jahresfeste au&unehmen, er-
zählt Cass. Dio LI 19, 2 zusammen mit der
Feier über den Sturz des Antonius 724= 30;
über die Zweitägigkeit der Feier und ihren
Anlass s. Mommben CIL P p. 330.
68. Die FeBtseiten.
379
742 = 12, 6. März, Übernahme des Pontificatus maximus durch
Augustus.
742 ^ 12, 28. April, Weihung der aedicula Vestae auf dem Palatin
(S. 144).
745 = 9, 30. Januar, Weihung der Ära Pacis Augustae (S. 277).
752 = 2, 5. Februar, Verleihung des Titels pater patriae an Augustus.
4 n. Chr., 26. Juni, Adoption des Tiberius.
7 n. Chr., 10. August, Constitution der arae Opis et Cereris in vico
iugario (S. 169. 247).
14 n. Chr., 17. September, Consecration des Augustus.
15 n.Chr., 10. März, Übernahme des Pontificatus max. durch Tiberius.
16 n.Chr., 13. September, Tod des Libo.
17 n. Chr., 26. Mai, Triumph des Qermanicus.
20 n. Chr., 28. Mai, Triumph des Drusus (CIL P p. 319).
nach 31 n. Chr., 31. August, Geburtstag des C. Caesar (Caligula).
nach 37 n.Chr., 1. August, Geburtstag des Claudius.^)
Es sind dies durchweg wirkliche Staatsfeste, auf Anordnung des
Senates unter diese eingereiht,^) also streng geschieden von der unter um-
ständen ebenfalls auf offizielle Anordnung erfolgenden Beischreibung be-
merkenswerter Ereignisse in den Fasten, die den Charakter des Tages
nicht verändert;*) die grosse Mehrzahl der Tage verdankt ihre Feier An-
lässen profaner Art, auch wo es sich um sacrale Weihungen handelt, sind
es nie einfache natales templorum, sondern Erinnerungen an Stiftungen von
Kapellen und Altären (nicht eigentlichen aedes sacrae), die mit den Tages-
ereignissen eng zusammenhängen.^) Da es sich überall um Gedenktage
handelt, so ist das Datum ein gegebenes und irgendwelche Gesetze konnten
bei der Auswahl der Tage nicht beachtet werden; die feriae von Caesars
Geburtstag wurden zwar gegen das wirkliche Datum um einen Tag vor-
geschoben, weil auf den 13. Juli der Haupttag der Ludi ApoUinares fiel
(s. oben S. 241), für den angeblich ein Orakelspruch die Abhaltung ander-
weitiger Festlichkeiten ausdrücklich verbot (Cass. Dio XLYII 18, 6), sonst
aber vermied man weder das Zusammentreffen dieser neuen feriae mit
solchen der alten Ordnung (17. März, 13. September, 15. Dezember) noch
unter sich (L August), noch auch ihre Ansetzung auf dies religiosi (6. April,
2. August, 2. September). Die Protokolle der Arvalbrüder ergänzen unsere
Kenntnis der an die Gedenktage der Kaiser und ihrer Familie anknüpfen-
den Staatsfeste, deren Zahl bis zum Tode des Nero sehr hoch gestiegen
sein muss,^) so dass die Reaktion gegen dieses Übermass (vgl. Tac. ann.
') Ueber die Zeit der Aufnahme der
beiden letztgenannten Geburtstage in die
Zahl der Staatsfeste s. Mommsbn CIL P
p. 827. 323.
') Seit der Schlacht bei Actium (Momm-
SEK, Staatsr. HI 1053) lautet die Formel
regelmässig feriae ex efenatus) c(onsulto),
guod eo die n. s. w.
») Cic. Phil. II 87; epist. ad Brut. 1 15. 8.
Von den erhaltenen Steinkalendem haben
namentlich der praenestinisohe und der (junge)
antiatische zahlreiche derartige Notizen.
*) So die aedicula Vestae mit dem Ober-
pontifikat des Kaisers (S. 69), die Kapelle des
Mars Ultor mit der Wiedergewinnung der
an die Parther verlorenen Feldzeichen ( Cass.
Dio LIY 8, 3). die Altäre der Fortuna Redux
und der Paz Augusta mit den grossen Ex-
peditionen des Kaisers nach Syrien und nach
uispanien und Gallien.
>) Ausser den Augustalia (12. Okt.), dem
Qeburtstage des Augustus (23. 24. Sept.) und
380
BeUgion und EvltuB der BAmer. HI. Enltiui.
Xm 41), die unter Yespasian eintrat (Tac. bist. lY 40), durchaus begreif-
lich und berechtigt erscheint. Vom J. 70 an verschwinden all diese Ge-
denktage vollständig aus der Reihe der jährlichen Opferakte der Arval-
brüder, 0 und wir müssen annehmen, dass damals diese ganze Gattung von
ferias kassiert worden ist, mit Ausnahme der Geburtstage der consecrierten
Kaiser (oben S. 286), die auch für die Folgezeit in den Festkreis auf-
genommen wurden und die darum auch der Kalender des Philocalus so-
wohl zu den einzelnen Tagen als in einer besonderen Liste (CIL P p. 255)
verzeichnet. Für die sacralrechtliche Klassificierung der Tage haben wir
seit dem Aufhören der Steinkalender keine zusammenhängende Über-
lieferung mehr; wenn Marc Aurel bei seiner Reorganisation des Gerichts-
wesens die Anzahl der Gerichtstage wieder auf 230 brachte ^) und damit un-
gefähr das Verhältnis des vorcaesarischen Kalenders wiederherstellte (oben
8. 368), so fiel der verbleibende Rest von 135 Tagen sicher zum grösseren Teil
nicht auf feriae im alten Sinne, sondern auf Spieltage (s. darüber § 64).
Im Kalender des Philocalus, der uns den offiziellen Rechtszustand nicht nur
der Zeit seiner Abfassung (354), sondern wohl im wesentlichen auch des
3. Jahrb. n. Chr. wiedergibt, erscheinen von den 46 mit Individualnamen
versehenen Festtagen des alten Kalenders (die Augustalia 12. Oktober ein-
gerechnet) noch 20 oder 21,') wenn auch teilweise mit etwas verändertem
Namen,^) daneben manche früher nicht in die Jahrestafel aufgenommene
Feste älterer Observanz,^) namentlich aber als neue Zuthaten einerseits
die Feste der recipierten sacra peregrina (Isis und Serapis 5. und 20. März,
25. April, 28. Oktober bis 3. November, S. 294 ff.; Magna Mater 15. 22.
24. — 28. März, S. 265 f., dazu wohl die nicht näher bekannten^) Lychnapsia
dem Stiftungsfeste der Ära Pacis (SO. Jan.)
sowie den Geburtstagen des Caligula (31. Aug.)
und Claudius (1. August) finden wir von den
Arvalen durch regelmässige Jahresopfer ge-
feiert die Consecration der Livia (17. Jan.)
und die Geburtstage des Tiberius (16. Nov.),
der Livia (80. Jan.), Antonia (81. Jan.), des
Germanicus (24. Mai), der beiden Agrippinae
(die jttngere am 6. Nov.), der Caesonia (An-
fang Juni, Ephem. epigr. VIII p. 825), des
Nero (15. Jan.), des Vitellins (im Sept.) und
der Galeria (8. Juni), die wohl sAmtlicn recht-
lich zu den feriae publicae gehörten; die
Nachweise bei Hbkzen, Acta fratr. Arval.
S. 49 ff. , vgl. auch Marqüabdt, Staatsverw.
III 268, 10. Dagegen ist dies zweifelhaft bei
den Opfern, die am Jahrestage des Regie-
rungsantritts des regierenden Kaisers und
der Uebemahme der einzelnen Würden dar-
gebracht werden, Hbnzen a. a. 0. S. 68 ff.
') Eine versprengte Ausnahme ist das
Opfer [ob cojtnitia trtbunicia des Domitian
am 80. Sept. 81, CIL VI 2060, 88.
') Eist. aug. M. Aurel. 10, 10: fastis die-
bu8 iudiciarioa addidit, üa ut ducentos tri-
ginta dies annuos rebus agendis Utibusque
disceptandis constüueret.
*) Es fehlen Eqnirria 27. Februar und
14. März (wenn nicht die am letztgenannten
Tage aufgeführten Mamurcdia mit diesen
identisch sein sollten); Fordicidia 15. April
Vinalia 28. April; Robigalia 25. April; Le-
muria 9. 11. 18. Mai; Agonium 21. Mai
Tubilustrium 28. Mai; Poplifugia 5. Juli
Lucaria 19. 21. Juli; Furrinalia 25. Juli
Vinalia 19. August; Consualia 21. August
Opiconsivia 25. August ;Voltumalia 27. August
Meditrinalia 11. Okt.; Fontinalia 13. Okt.
Armilustrium 19. Okt. ; Agonium 11. Dez.
Consualia 15. Dez.; Opalia 19. Dez.; Divalia
21. Dez.; Larentalia 23. Dez.
*) z. B. Natalis urbis statt Parilia (S. 166),
Tiberinalia statt Portunalia (S. 99), Libe-
rcdici, Cerealici, Neptunalici, Vulcanaiici,
Augustales (n&mlich ludi) anstatt Liberalia,
Cerialia, Neptunalia, Volcanalia, Augustalia,
endlich lano patri c(ircenses) m(i8SU8)
XXII II am 7. Januar doch wohl an Stelle
des alten Agonium vom 9. Januar (S. 91); über
Mamurälia = Equirria 14. März s. Anm. 8.
^) Caristia 22. Februar, Septimontiam
11. Dez., dann lunoncdia 7. März (wohl ver-
schobene Matronalia statt 1 . März), Veneraiia
1. April (S. 287), das nicht näher bestimm-
bare Annae sacrum 18. Juni und das Fest
Fortis Fortu/nae 24. Juni (8. 206 f.). Ueber
die verzeichneten natcdes deorum s. § 65.
«) Vgl. darüber Mokmbsn CIL I* p. 824.
64. Die Spiele.
381
12. August), andererseits das in der ersten Eaiserzeit zum Bange von fericie
staiivae erhobene Fest der Voiorum nuncupatio am 3. Januar, ^) an dem im
ganzen römischen Reiche die Beamten und die Priester Gelübde für Leben und
Wohlfahrt des Princeps thun,') die Bruma (s. o. S. 375 A. 6) und die Geburts-
tage der consecrierten Kaiser ; ^) das von Marc Aurel festgestellte Verhältnis
hat sich wieder stark zu Ungunsten der Werktage verschoben, denn die Zahl
der Spiel- und Festtage (die Grenze der letzteren ist freilich nicht fiberall
mit voller Sicherheit zu ziehen) beläuft sich in runder Summe auf 200.^)
Litteratur. Bahnbrechend und gnmdlegend Th. Momxsbiv, Römische Chronologie bis
auf Caesar, 2. Aufl., Berlin 1859, und CIL l* p. 283 ff.; ausserdem vgl. Ph. £. Huschkb, Das
alte römische Jahr und seine Tage, Breslau 1869. Mabquabdt, Rom. Staatsverw. III 281 ff.
WissowA, De feriis anni Romanorum vetustissimi observationes selectae, Marburg 1891.
R. BovGHi, Le feste Romane, Milano 1891 (deutsch Wien 1892, dilettantisch). C. Jüllian
bei Darsmbbbo-Saglio, Dict. des antiqu. II 1042 ff. W. Wabde Fowlbb, The Roman
Festivals of the Period of the Republic, London 1899.
64. Die Spiele. Der Begriff der feriae schliesst in sich nicht nur
die Enthaltung von der Arbeit des Werktages, dem opus f(icere, sondern
auch für Mensch und Tier Anlass und Gelegenheit zu fröhlicher Gebahrung
und der Übung zweckloser, nur auf das Vergnügen gerichteter Thätig-
keit (ludere); otium und ludus sind nicht sich gegenseitig ausschliessende,
sondern zusammengehörige und einander ergänzende Begriffe.^) Äusse-
rungen dieses am dies feriatus in sein Recht tretenden Spieltriebes, der
vielfach auch ursprünglich symbolisch gemeinte Bräuche *) sich aneignet,
begegnen uns in einer durch die Tradition mehr oder minder fixierten
Form bei vielen Festen der alten Religionsordnung: hierher gehört z. B. der
Brauch des Schaukeins an den Feriae Latinae (S. 109 A. 8), allerlei Ver-
kleidung und Mummenschanz bei verschiedenen Festen,^) vor allem aber
*) Zuerst mit den allgemeinen vota pro
Salute reipubliccLe am 1. Januar verbunden
(Gass. Dio LI 19, 7), dann als eigenes Fest
losgetrennt; auf den 8. Januar fixiert zuerst
in den Arvalakten des J. 38 n. Chr. (CIL
VI 2028, vgl. Hevzin, Acta fratr. Arval.
S. 89 f.)» dann stftndiges Fest an diesem
Tage, z. B. Gaius Dig. L 16, 233, 1. Plut.
Cic. 2. Cass. Dio LIX 24, 6. Lucian. Pseudo-
log. 8. Eist. aug. Pertin. 6, 4. Feriale Cuman.
(CIL X 8792) Z. 8. Lyd. de mens. IV 10; der
Name votorum nuncupatio (s. oben S. 320
Anm. 2) ausser bei Philocalus noch bei
Tac. ann. XVI 22. Snet. Nero 46. Tert. de
cor. mil. 12, sonst vota (Bvxal) schlechthin;
mehr bei Mabqüabdt, Staatsverw. III 267.
<) MoMMSBN, Staatsr. II 784 f. 798 f.
') Interessant ist die Auswahl von Fest-
tagen, die Kaiser Tacitus für sein Templum
Divorum (oben S. 288) trifft, Eist. aug. Tac.
9, 5: u^ isdem (d. h. den Divi) natcUibus suis
et Parüibtu et Kai, lamMrüs et Votis liba-
mina ponerentur.
') Den Kalender des Polemius Silvius
lasse ich hier beiseite, da er nicht den
Rechtsstand seiner Zeit gibt, sondern aus
litterarischen Studien alte Feste in seinen
Kalender einträgt. Dabei ist sein Eifer bald
erlidimt; denn während er von Januar bis
April noch 7 der alten Feste mit Individual-
namen gibt (Carmentalia, Lupercalia, Quiri-
nalia, Terminalia, Regifugium, Quinquatria,
Parilia), hört das in den folgenden Monaten
ganz auf (auf die abnehmende Reichhaltig-
keit dieser Festtafel weist mit Recht Moim-
SBN hin CIL I'' p. 300, unrichtig dagegen
meint er ebd. p. 301, dass bei Polemius Silvius
„ex diebus certi nominis n soli relicti sunt,
gut non prae se ferrent cultum idolorum**)
und nur noch das Septimontium findet Er-
wähnung, selbst notorisch so widerstands-
fähige Feste wie die Volcanalia und Satur-
nalia fehlen. Damit verbieten sich alle Rttck-
schlflsse auf das thatsächliche Leben.
') vgl. namentlich Horaz carm. III 18,
9 ff.: ludit herboso peeus omne prato . .
festus tn pratis vacat otioso cum hove
pagus, s. auch Tibull. 11 1, 24. Prep. IV 4, 75.
^) z. B. der Sprung durchs Feuer an
den Parilien (S. 166), die Fnchshetze an den
Cerialia (S. 168), das Winteraustreiben an
den Mamuralia (S. 134) mit dem vielleicht
verwandten Brauche der Versteigerung eines
alten Krflppels an den Ludi Capitolini (S. 1 12).
') z. B. der SatumalienkOnig (S. 171),
die Sklavinnen in den Gewändern der Ma-
tronen an den Nonae Caprotinae (Anson. de
fer. 9, s. oben S. 118).
382
Beligion und ^vltui der BAmer. IIL EvltoB.
der Tanz,^) der nicht nur als Lustbarkeit der Menge, sondern aucb als
sacraler Akt der Priester zur Begleitung des Vortrages der heiligen carmina
(oben S. 860) eine wichtige Rolle spielt. Wenn die Salier im März und
Oktober im vollen Waffenschmucke ihre heiligen Reigentänze an bestimmten
Stellen der Stadt aufführen, so ist das ein dem Kriegsgotte wohlgefälliges
Spiel ;^) ein Parallelbrauch dazu ist der früh verschollene und erst am Ende
der Republik und in der Eaiserzeit wieder in Aufnahme gekommene und
seitdem mit den gewöhnlichen Gircusspielen verbundene ludus Troitu,^) von
Haus aus ein bei den Festen der Waffenweihe am 19. März (Quinquatrus)
und 19. Oktober (Armilustrium) stattfindender^) Waffenreigen zu Pferde,
aufgeführt von Knaben edler Abkunft unter Führung der ursprünglich
militärischen, nachher nur cul sacra noch fortexistierenden Tribuni celerum.^)
Mit dem Spiele verbindet sich dann der Wettkampf und die Auszeichnung
derjenigen Menschen und Tiere, die durch Geschicklichkeit, Kraft und
Schnelligkeit die andern übertreffen: so begegnet bei den Consualien und
den Capitolinischen Spielen das Schlauchhüpfen {daxcoi^aaficg),^) bei den
Robigalia Wettlauf sowohl von Knaben wie von Erwachsenen/) insbeson-
dere aber das Wettfahren, einerseits mit den ländlichen Zugtieren bei der
Erntefeier der Consualia,®) andererseits mit den Streitrossen an den Mars-
festen der Equirria und des Equus October (S. 131 f.). Wo der Ort dieser
Spiele bekannt ist, ist es die Kultstätte des Festgottes (an den Robigalia
der Hain an der Via Claudia, bei den Consualia die ara Consi im Gircus-
thale, bei den Marsfesten die ara Martis in campo), der enge Zusammen-
*) Daher wird ludere geradezu Bynonym
mit aaUare gebraucht, vgl. die Lares ludentea
Naev. com. frg. 102, femer Verg. ecl. 6, 28.
Hör. oarm. 11 12, 19 u. a.
') Darum leitet Varro den Festnamen
Armilustrium (oben 8. 181) ab ab ludendo
. . . quod circumibant ludenies ancilibus
armati (de 1. 1. VI 22 ; conitMor^ nennen sich
auch die Mitglieder der Saliergenossenschaft
in Saguntum, CIL II 8853); ihm war auch der
Luperkerumlauf ein lu4u^ (lupercos ludios
appellabant, quod ludendo diacurrani, Varro
bei Tertull. de spect. 5).
') Vgl. darüber namentlich A. Gobbbl,
De Troiae ludo, Düren 1852. F. Rasoh, De
ludo Troiae, Jena 1882. 0. Bbnnoobf, Sitz.-
Ber. d. Akad. Wien GXXin 1890 lU 47 ff.
und bei W. Rbiohbl, Ueber homerische Waffen
(Abhandl. d. arch. epigr. Semin. Wien XI)
S. 188 ff. Die Parallele zu den Reigen der
Salier liegt schon im Namen troia {truia),
der sicher mit den gerade von den Evolu-
tionen des Saliertanzes gebrauchten Worten
amptrua/re und redamptruare (Fest. p. 270,
vgl.Paul. p. 9) zusammenhängt, etwa = Reigen.
*) Das hat A. v. Pbbmbbstbin, Benndorf-
Festschrift (1898) S. 261 ff. scharfsinnig nach-
gewiesen aus Senec. Troad. 777 ff. nee stato
lustri die sollemne referens Troici lusus
sacTum (vgl. U^d Innod^ofAia Plut Cato
min. 8) puer citataa nobilis turmaa ages
vgl. mit Fast. Praen. z. 19. März [Sali] fa-
ciunt in comitin saltu fadstantibus pojnti-
ficibus et trib(uni8) celer(um). Vielleicht sind
die in der augusteischen Zeit bei der Quin-
quatrusfeier üblichen Gladiatorenkftmpfe
(Cass. Dio LIV 28, 3. Ovid. fast. lU 811 ff.)
ein Ersatz für den ludus Troiae,
*) MoMMSEN, Staatsr. II 169. v. Pbbmbb*
STEIN a. a. 0. Dion. Hai. II 64, 8 zählt die
TjyBfAoys^ ttüy xekeglioy als Träger von xetay-
fAivah xivH Ugovgylai zwischen den Guriones
und Flamines einerseits und den Auguren
und Vestalinnen andererseits auf; vgl. den
drjfAOJBXtJs fnvatrjgluy Uqovgyo^ (}alen. XIV
212 E. und dazu v. Pbbmbbstbut a. a. 0. S. 261.
') Varro de vita pop. R. bei Non. p. 21.
Schol. Bern. Verg. Georg. II 884; letztere
Stelle erwähnt bei den Ludi Capitolini auch
Faustkämpfe und Wettläufe. Ueber die Art
der Spiele bei der Gompitalienfeier (S. 149)
ist nichts überliefert, auf Faustkämpfe zu
schliessen erlaubt das horazische circum
compita pugnax (epist. I 1, 49) nicht, da
hier griechische Verhältnisse vorschweben.
') Fast. Praen. z. 25. April: sacrifidum et
ludi cursoribus maiartbus minoribusque fiunt.
») Dion. Hai. H 81, 2. PauL p. 148.
Serv. Aen. VHI 635 f. Ps. Ascon. p. 148 Or.
u. a.; nach Varro de 1. 1. VI 20 müssen die
Spiele an den ersten Consualia (21. August)
stattgefunden haben, die Fast. Praen. z.
15. Dez. reden aber von equi et [muH . . . auch
bei den zweiten; s. im allgemeinen oben S. 167.
64. Die Spiel«.
383
hang mit dem Gottesdienste zeigt sich namentlich bei dem Marsfeste des
15. Oktober, wo das Handpferd des siegreichen Zweigespannes dem Ootte
geopfert wird. Ausrichtung und Leitung der Spiele gehört — soweit nicht
für bestimmte Spiele eigene coUegia mit ihren magistri eintreten, wie für
die Ludi Gompitalicii (S. 149, vgl. 151) und die Ludi Capitolini (S. 112) —
den Priestern (bezeugt für die Gonsualia durch Yarro de 1. 1. VI 20), wie
noch in der Eaiserzeit auch die Arvalbrüder die das Jahresfest der Dea Dia
beschliessenden Spiele im Haine der Göttin selbst ausrichten und durch
ihren magister leiten *) und bei der Saecularfeier die Spielgebung den Quin-
decimviri s. f. zufällt, >) weil diese Spiele einen integrierenden Bestandteil
der ganzen Feier bilden und diese -— wenigstens in der Fiktion — zu den
laufenden gottesdienstlichen Handlungen gehört, die ein für allemal be-
stimmten Priestern oder Genossenschaften überwiesen sind (s. oben S. 339).
Im ausgesprochenen Gegensatze zu diesen sacralen und sacerdotalen
Spielen stehen die grossen Spiele der republikanischen Zeit, von den
Ludi Bomani angefangen, insofern einerseits hier Ausrichtung und Vor-
sitz ausschliesslich den Magistraten zufallt,^) andererseits sie, obwohl an
bestimmte Kulte angeschlossen, doch einen sehr viel weniger ausgeprägt
sacralen Charakter tragen, wie schon daraus hervorgeht, dass diese Spiele
jüngerer Ordnung nicht bei einem bestimmten Altar oder Heiligtum statt-
finden, sondern im Gircus,^) und dass sie den Tag, auf den sie fallen,
nicht im sacralrechtlichen Sinne zum dies nefastus machen,^) während die
älteren alle mit feriae publicae zusammenfielen; auch die Bestreitung der
Kosten erfolgt bei den beiden Gattungen der Spiele auf verschiedene
Weise, natürlich, da beide ludi publici sind, bei beiden aus öffentlichen
Mitteln^ aber bei den sacerdotalen Spielen aus dem Nutzungsertrage der
heiligen Haine, ^) bei den magistratischen aus einer bei der Ständigkeits-
erklärung vom Senate fixierten Pauschalsumme, die der spielgebende Be-
amte im Falle der Unzulänglichkeit aus eigenen Mitteln zu ergänzen hat.'')
Tages duroh ständige Jahresspiele auf die
Note dea Tageechaiakters keinen Einfiuss
gettbt hat.
*) Daher der technische Ansdrack lucar
fOr das Spielgeld (Plat. Qo. Rom. 88. Paul,
p. 119; vgl. Tac. ann. 1 77. Tertoll. Scorp. 8.
CIL X17 375, 12), offizieU bezeugt für die
sacerdotalen Saecnlarspiele (CIL VI 877 a 1
de lucari ludorum aafeciUariumJ; vgl. Momx-
8BN, Staatsr. II 63, 1).
^) Wir kennen z. B. die ursprünglich
angesetzten Spielsummen fOr die Ludi Ro-
mani (200000 Sest., Dion. Hai. VII 71. Ps.
Ascon. p. 142 Or.; über die Erhöhung auf
.833 338 '/s Sest. im J. 537 = 217, Liv. XXH
10, 7, s. DiBLS, Sibyll. Bl&tter S. 40 A. 1) und
Apollinares (12000 As, Liv. XXV 12, 12),
ausserdem die Ansätze für dieselben Spiele
(Romani 760000 Sest., Apollinares 380000
Sest.) sowie die Plebei (600000 Sest.) und
Augustales (10000 Sest) aus der Regierungs-
zeit des Claudius durch den Kalender von
Antium (CIL I* p. 248 f.); Qber die Nor-
mierungen der aus eigenen Mitteln der Spiel-
>) Hbnzih, Acta fratr. Arv. S. 36 ff.
>) MoMMSBN, Eph. epigr. VIII p. 268 ff.
Auch diese ludi aoüemnes finden an der
Stätte des Saecularopfers selbst, d. h. der
Ära Ditis im Marsfelde (S. 256), statt.
') Ueber die Scheidung priesterlicher
und magistratischer Spiele vgl. Mommsbn,
Rdm. Forsch. II 55 ff. ; Ephem. epigr. II p. 128 f.
m p. 102. Vm p. 243 ff.
^) Darum waren die zur Zeit des Latiar
in Rom abgehaltenen Rennen von quadrigcte
auf dem Capitol (Plin. n. h. XXVII 45)
wohl sacerdotu; auffällig ist die Abhaltung
der am 7. Juni stattfindenden ludi piscatoHi
{frans TiheHm Fest. p. 213. 238; in gramine
catnpi Ovid. fast. VI 237) durch den Praetor
urbanus (s. S. 184 und 341 A. 3).
^) Anders Mommskn, CIL I* p. 299;
Staatsr. in 1055 f. ; aber der Umstand, dass
man thatsächlich die Spieltage durch
Aussetzen der Gerichtsverhandlungen respek-
tierte, kann für die rechtliche Auffassung
nichts beweisen gegen das Zeugnis der Stein-
kalender, nach denen die Besetzung eines
384
Belig^on und Enltiui der BAmer. HI. Enltas.
Auch die Überlieferung scheidet beide Gruppen von Spielen in der Art,
dass sie die sacerdotalen Spiele auf Bomulus oder Numa zurückführt, ^j
während als der Schöpfer der Ludi Romani und damit dieser ganzen Gattung
von 2Ko{i Tarquinius Priscus gilt,^) mit Recht, insofern diese Schöpfung auf das
engste mit der Begründung des capitolinischen Heiligtums und den übrigen
sacralen und politischen Neugestaltungen der tarquinischen Epoche (s. oben
S. 33 ff.) zusammenhängt. Ein unterscheidendes Kennzeichen der Ludi
Romani und aller jüngeren nach demselben Typus gestalteten Gircusspiele^)
ist der feierliche, nach ganz bestimmten Vorschriften gestaltete Festzug
{pompa circensis), der ein unverkennbares Abbild des Triumphzuges ist;^)
es ist eine zwingende Schlussfolgerung Mommsens (Rom. Forsch. II 45 f.),
dass ursprünglich Triumph und Circusspiele derart zusammenhingen, dass
der Triumphalaufzug des Siegers nicht auf dem Capitol endete, sondern
sich von da zum Circus fortsetzte und in den Rennspielen seinen Abschluss
fand, später aber beide Teile sich von einander lösten, indem sowohl
Triumphe ohne Spiele als Spiele ohne Triumphe gefeiert wurden. Der
Zusammenhang mit der Siegesfeier brachte es von selbst mit sich, dass
diese neuen Spiele, verglichen mit den Feiern etwa der Consualia oder
Equirria, sehr viel prunkhafter wirkten, zumal, wenn nicht alles trügt, die
Ausstattung zum guten Teile eine fremdartige, von den Etruskem entlehnte
war;'^) es ist also wohl zu verstehen, dass man sie als ludi magni von den
bescheidenen Darbietungen älteren Stiles unterschied.^) Wie der Triumph
so sind diese Spiele ihrer ganzen Natur nach eine ausserordentliche, un-
geber zuzuschiessenden Summen nach oben
und nach unten s. FbibdlIndbb-Mabqüardt,
Staatsvervr. III 488 f. Mokmsbk, Ephem. epigr.
m p. 102 f.
') TertuU. de spect. 5 führt die Consu-
alia und Equirria (vgl. Paul. p. 81) auf Ro-
mulus, die Robigalia auf Numa zurück; für
die Ludi Capitolmi schwankt die Ueberliefe-
rang, indem die einen sie von Romulus zu
Ehren des alten Juppiter Feretrius eingesetzt
sein lassen (Ennius in Sohol. Bern. Verg.
Georg. IL 384. Sueton. bei Tertull. a. a. 0.
Flut. Qu. Rom. 58; Romul. 25), während nach
Liv. y 50, 4. 52, 1 1 ihre Begründung erst
nach dem Abzüge der Gallier von Rom 364
= 390 V. Chr. erfolgte und dem Juppiter
0. M. galt; s. oben S. 112.
*) Liv. I 85, 9. Gio. de rep. U 86.
Eutrop. I 6.
*j Bezeugt ausser für die Ludi Romani
und magni (Dion. Hai. V 57, 5. Suet. Aug. 43)
auch für die ApoUinares (Juven. X 86. XI 195.
Plin. n. h. XXXIV 20), Megalenses (Ovid. fast
IV 391) und Augustales (Tac. ann. I 15, vgl.
Gass. Dio LVI 46, 5).
^) Beschreibung der Fompa nach Fabius
Pictor bei Dion. Hai. VU 72, vgl. damit die
von Mabquardt, Staatsverw. U ' 584, 1 auf-
gezählten Triumphbeschreibungen, nament-
lich Appian. Fun. 66. Das Triumphalgewand
des spielgebenden Magistrates ist ausser der
Andeutung bei Liv. Y 41, 2 bezeugt erst für
die Eaiserzeit (Juven. X 86 ff. XI 194 f.
Plin. n. h. XXXIV 20. Martial. VUl 83, 1, wo
überall der Praetor, als damals xor' i^oxrjr
spielgebender Magistrat genannt ist; die all-
gemein übliche Beziehung dieser Stellen auf
die praetorischen ApoUinarspiele ist nicht
nur willkürlich, sondern bei Juven. XI 194 f.,
wo es sich deutlich um die Megalesien han-
delt, direkt ausgeschlossen), aber sicher
uralt.
^) Ueber die Herleitung der Triumphal-
insignien (Strab. V 220. Flor. I 5, 6) und der
Pompa (Appian. Pun. 66) sowie der Spiele
selbst (Liv. I 85, 9 ludicrum fuit egui pugt"
lesque ex Etruria tnaxime acciti; die bei
Tac. ann. XIV 21 wiedergegebene Ansicht
a Tuads tzccitoa hiatrionea, a Thuriis equo-
rum certamina steht ganz vereinzelt) vgl.
Mülleb-Dbbckb, Etrasker I 846 f. II 219 ff.
*) Die Ausdrücke ludi votivi und ladt
magni bezeichnen also unter Umständen die-
selbe Sache (z. B. nennt dieselben Spiele des
J. 263 = 491 V. Ghr. Liv. II 36, 1 ludi magni,
Gic. de div. I 55 ludi voHvi, beide mit Recht,
dagegen unrichtig August, o. d. IV 26 ItuU
Bomani)f indem die Spiele als magni von
den alten Sacralspielen, als votivi von den
ständigen Jahresfesten gesondert werden;
Livius gebraucht ludi magni regelmässig
von den ausserordentlichen, ludi Bomani
von den ständigen Spielen (Mommsbn, Rüm.
Forsch, n 51 f.).
84. Die 8pi«le.
385
ständige Feier, sie werden beim Auszuge zum Kriege gelobt und bei der
siegreichen Rückkehr begangen; allmählig wiederholen sich aber diese
Feste, da mehrere Jahre nacheinander glückliche Feldzüge geführt werden,
immer häufiger und regelmässiger, bei Kriegen von mehrjähriger Dauer
gelobt man auch bei der Abhaltung der Siegesspiele für das eine Jahr
bereits die gleiche Feier für den gleichen Erfolg des nächsten Jahres, und
so werden die Spiele erst thatsächlich ständig, bis sie dann auch rechtlich
unter die Jahresfeiern aufgenommen und damit auf bestimmte Tage fixiert
werdend) Aber neben der nunmehrigen Jahi*esfeier können auf Grund
besonderer Anlässe auch weiterhin ausserordentliche Spiele der gleichen
Art gelobt und begangen werden {ludi votivi), gewissermassen als aus-
nahmsweise gebotene Verdoppelung der normalen Spielgebung.^) Zu stän-
digen, an bestimmte Kalendertage gebundenen Jahresfesten wurden die
ludi magni^ die von da an offiziell ludi Romani heissen,') nach Mommsens
(a. a. 0. II 53) sehr einleuchtender Vermutung im J. 388 = 366, in welchem
die Einsetzung der curulischen Aedilität und die Bestimmung der neuen
Beamten als curatores ludorum soUemnium (Cic. de leg. lU 7) auf grosse
Neuerungen auf dem Gebiete des staatlichen Spielwesens schliessen lässt>)
Da die Spiele, so lange sie ausserordentliche Feiern waren, immer dem
Hauptgotte des Staates, dem Juppiter 0. M., gelobt worden waren, so
traten sie nunmehr auch als ständiges Fest in engste Beziehung zum
capitolinischen Tempel, indem sie sich unmittelbar an den Stiftungstag
dieses Heiligtums anschlössen : ^) die Spieltage, deren Zahl damals auf -vier
erhöht wurde, ^) folgten dem durch das epulum lavis ausgezeichneten
Tempeltage an den Idus des September (oben S. 112) in der Weise,
dass der als dies ater ungeeignete nächstfolgende Tag (14. September)
für die Musterung der Pferde (equorum probatio), die weiteren Tage
^) liv. I ^, 9: soUemnea, deinde annuiy
mansere ludi, Bomani magnique varie ap-
pellati. Typisch für den Verlauf ist die
Geschichte der ludi ÄpoUinares, die 542
= 212 zum erstenmale aasserordentlicher-
weise gelobt und gefeiert (Liv. XXV 12), im
folgenden Jahre wiederholt (Liv. XXVI 23, 3)
und dann 545 = 209 in der Weise jährig
gemacht werden, dass die Praetoren sie m
unum annum vovebant dieque incerto fade-
bant (Liv. XXVII 23, 5); im folgenden Jahre
546 = 208 aber entschliesst man sich, sie in
Perpetuum in statam diem zu vovieren (Liv.
a. a. 0. § 7).
') Aofzählung der bekannten F&Ue von
ansserordentlicherweise gelobten Spielen bei
MoKMSSN, Rom. Forsch. II 51, 16. Frisd-
LANDER -Mab<)uabdt, Stsatsverw. III 497, 4.
Dass die ludi voHvi die gleiche Zahl von
Tagen füllen, die zur Zeit den ordentlichen
Spielen zukommt, zeigt Mommsen a. a. 0. 54
an dem Beispiele der ludi votivi des Pom-
pejus im J. 684 = 70 (Cic. in Verr. act. I 31).
•) Paul. p. 122 (vgl. Fest. p. 262). Ps.
Ascon. p. 142 dr. ; die gelegentlich auftretende
Bezeichnung ludi maximi (Liv. VI 42, 12.
Huidbnoh der Uaas. AlteiiamswiaBenaohttft. V 4,
Cic. de rep. II 35) ist wohl erst aufgekommen,
als man die Ludi Romani gegenüber den
jüngeren Spielen gleicher Art hervorheben
wollte. In demselben Sinne bezeichnet dann
Nero die Spiele, die er pro aeternitate im-
perU abhält, als ludi maximi (Suet. Nero 11).
*) Den Ausdruck ludi Bomani braucht
Livius zum ersten Male für das J. 432 = 322
V. Chr. (Vlll 40, 2).
^) Die Annahme L. Holzapfels (Philol.
N.F. II 1889, 369 ff.), dass die Fixierung
der Ludi Romani ai^ den September erst
erheblich später erfolgt sei als ihre Ein-
reihung unter die ständigen Jahresfeste, und
dass sie noch in den J. 538 = 216 und
557 = 197 am Ende des von März zu März
laufenden Amtsjahres stattgefunden hätten,
beruht auf einer Verkennung der bei Liv.
XXIII 30 und XXXI U 24 f. befolgten Anord-
nung der Ereignisse.
*) liv. VI 42, 12; über die vorhergehende
successive Erweiterung von einem auf zwei
und drei Tage, die von der Ueberlieferung
verschieden dargestellt wird, vgl. Mommsbn,
Rom. Forsch. II 48 f.
25
386
Religion und KnltnB der BOmer. IIL Koltiui.
(15. — 18. September) für die Gircusspiele verwendet wurden;^) die Zahl
der Circustage ist späterhin im J. 710 = 44 nach Caesars Tod (Cic. Phil.
II 110) noch um einen (19. September) vermehrt worden, alle übrigen Er-
weiterungen fielen den im J. 890 = 364 zur Einführung gelangten ludi
scaenici zu und erstreckten sich von dem den Iden vorausgehenden Tage
(12. September) nach rückwärts, in der Zeit der Steinkalender bis zum
4. September, so dass sich damals die Gesamtdauer dieser Spiele auf 16 Tage
(4.— 19. September) belief. In ganz paralleler Gestaltung entwickelt sich
dann das zweite Jahresfest dieser Art, die Ludi Plebei, ständig nachweislich
zuerst im J. 538 ^216 (Liv. XXIII 30, 17), wahrscheinlich aber schon seit
534 =: 220, da in diesem Jahre der Gircus Flaminius erbaut wurde, der
ebenso das regelmässige Lokal für den circensischen Teil der Ludi Plebei
ist, wie der Circus maximus für die Ludi Romani.') Wie diese von den
curuUschen, so werden die Ludi Plebei von den plebejischen Aedilen aus-
gerichtet, wie dort die Iden des September, so bilden hier die Iden des
November, seit dem J. 558 = 196 (s. oben S. 357) ebenfalls durch ein epulum
lovis bezeichnet, den Mittelpunkt, in beiden Fällen folgt auf diesen Tag erst
die equorum probatio und nachher die Reihe der Circustage, während die
Tage der ludi scaenici den Iden vorangehen, beide Festperioden werden ab-
geschlossen durch einen mehrtägigen Markt {merk[aius]^ 20. --23. September
bezw. 18.— 20. November), wie er sich sonst nur noch bei den Ludi Apol-
linares findet. Weder die Vorgeschichte des Festes noch das Anwachsen
der Spieltage lässt sich verfolgen, nach den Steinkalendem stehen die
plebejischen Spiele in der augusteischen Zeit hinter den Ludi Romani an
Ausdehnung nur um zwei Circustage zurück und füllen die Zeit vom 4.
bis 17. November. Beide Feste haben stets gegenüber allen anderen
Spielen ihre Sonderstellung bewahrt,^) nicht nur gegenüber den alten
Sacralspielen, sondern auch gegenüber allen jüngeren Schöpfungen ver-
wandter Art: das zeigt sich schon darin, dass nur für sie das Gebot der
instauratio, d. h. der Wiederholung des durch eine Störung oder einen Ver-
stoss ungiltig gewordenen Teiles der Festfeier besteht;^) diese Instaurationen
^) MoKKSBN CIL I' p. 828 f.; vgl. auch
Rom. Forsch. II 55, 25.
*) MoKMSBN, Staatsr. II 508.
') Irrig ist aber die Meinung, dass sie,
weü allein mit ep%ila verbanden, speziell
den Namen ludi aacri geführt hätten (Mir-
KBL, Proleg. ad Ovid. fast. p. IX. Mommsbn
CIL I' p. 300. Fbibdlaitdbr - Mabquabdt,
Staatsverw. III 488); denn die Worte des
Cass. Dio LI 1, 2 aydava . . fsoov — ovtoi
yaQ Toüs tijy irurjair l/oKror; cjyofAaCoy —
(von den penteterisohen "Jxtia in Nikopolis)
haben kernen Bezug auf römische Verhält-
nisse; vgl. über die griechischen kgol dytSysi
und die den Siegern derselben zukommende
üitrjüis iy ngvrayeit^ £. Kbisoh bei Pauly-
WissowA, Real-EncycL I 847 ff. Auch die
certamina sacra bei Ulp. Dig. III 2, 4 pr. und
Bist. aug. Alex. Sev. 42, 2 sind die griechi-
schen IbqoI aytüyeS'
*•) Wie viele Spieltage von neuem be-
gangen wurden, wird in der Form ludi . .
per triduum instaurati oder ludi . . ter in-
staurati oder auch ludi . . toti instauraU
angegeben (s. Wbissbnbobn - H. J. Müllbb
zu Liv. XXIII 80, 16); auf die Zahl der nor-
malen Spieltage kann man aus diesen An-
gaben keinen Schluss ziehen (also auch ans
Liv. XXIX 11, 12 plebei septiens instaurati
nicht, dass im J. 549 = 205 die Spieltage
der Ludi Plebei schon mindestens 7 gewesen
wären), da öfters eine Wiederholung der
Störung oder des Verstosses eine mehr als
einmalige instauratio nötig machte, z. B.
Liv. XXXVIII 35, 6 ludi Romani ter, plebei
quinguiens toti instaurati] Cass. Dio LX 6, 4
spricht von 8, 4, 5, ja 1 Omaligen Wieder-
holungen, wogegen Caligula Instaurationen
der Gircusspiele nur in unum diem (d. h.
einmalige Zufügung eines Instaurationstages)
zuliess. Liste der Instaurationen aus Livius
bei RiTscHL, Parerga S. 810 f. Anm.
64. Die Spiele.
887
bflden ebenso eine Verdoppelung oder Yervielfachimg der Feier, wie die
Ansetzung von eigenen ludi votim {mcigni) neben den regelmässigen Jahres-
feiern (oben S. 385)^ vielleicht ist auch die Instauration gar nicht immer
wegen solcher Verfehlungen angeordnet worden, sondern als ausserordent*
liches Dankfest, wie dies bei der Wiederholung der feriae Latinae nach-
weislich der Fall gewesen ist. *) In späterer Zeit wird der gleiche Zweck
dadurch erreicht, dass die Spielgeber der durch die Spielordnung für die
ludi sollemnes festgesetzten Tageszahl noch weitere Spieltage in der Form
von ludi honorarii aus eigener Liberalität hinzufügten.^)
Die übrigen öffentlichen Spiele, die in rascher Folge innerhalb der
nächsten Jahrzehnte in die Reihe der ständigen Jahresfeste eintreten, nämlich
die Ludi Apollinares (546 = 208, s. S. 241 und 885 A. 1), Ceriales (vor 552
= 202, 8. S. 246), Megalenses (563 = 191, s. S. 263 f.), Florales (581 = 173,
s. S. 163), geben im allgemeinen den Typus der Ludi Bomani und plebei
wieder, weichen aber in der Gesamtanordnung insofern von diesen ab, als
sie sich zwar auch an einen Festtag desjenigen Kultes, zu dem sie ge-
hören, anschliessen, die Spieltage aber diesen nicht auf beiden Seiten um-
geben, sondern sich von ihm aus nur nach rückwärts oder vorwärts aus-
dehnen, so dass der Haupttag nicht die Mitte, sondern entweder den An-
fang oder den Schluss der ganzen Reihe bildet;^) das letztere ist der Fall
bei den beiden ältesten Spielen dieser Gattung, indem die Ludi Apollinares
ursprünglich auf den 13. Juli, wahrscheinlich den Stiftungstag des Apollo-
tempels beim Circus Flaminius (oben S. 240 und 241 A. 1), fielen und in der
augusteischen Zeit die Tage vom 6. — 13. Juli füllten, die Ludi Ceriales
aber von dem Stiftungstage der aedes Cereris Liberi Liberaeque (S. 244) am
19. April ausgehend sich über die Zeit vom 12. — 19. April ausdehnten; um-
gekehrt setzen sich die Ludi Megalenses vom 4. April (dem Tage der An-
kunft der Grossen Mutter in Rom, S. 263) und die Ludi Florales vom
28. April (Stiftungsfest des Floratempels beim Circus, S. 163) an nach vor-
wärts fort (4. — 10. April bezw. 28. April bis 3. Mai).*) Gleichzeitig zeigt
sich ein Zurücktreten der ursprünglich alleinherrschenden Circusspiele in
sofern, als bei den Ludi Apollinares und Ceriales nur je ein Tag, und
zwar der ursprünglich einzige, nachher letzte Tag, ihnen gewidmet wurde,
während die Ludi Megalenses und Florales in erster Linie ludi scaenid
waren und nur am letzten, d. h. wenigstens bei den Florales dem am
spätesten hinzugetretenen Tage auch Vorführungen im Circus^) enthielten.
') MoMMBBN, Rom. Forsch. TI 105 ff.
Chb. V^bbnrb, De feriis Latinis (Lipe. 1888)
8. 38 ff.
*) So die Quindecimvini bei der auga-
Bteischen Saecularfeier (£ph. epigr. V HI p. 233
Z. 156 ludoa quos honorarioa dierutn VII
cuUecimua ludis sollemnibus; letztere waren
dreitägig gewesen); vgl. Paul. p. 102 hono-
rarioa ludos, qtios et liberalia dicebant.
Snet. Aug. 32 und Mommsbn, Ephem. epigr.
VIII p. 269 f.
*) Uebersicfat Qber die üeberliefemng
der Ealendarien bei Momxsin CIL T^ p. 321.
315. 314. 317.
^) Der Grund der Abweichung ist bei
den Megalenses der, dass für sie ausser dem
4. April auch der 10. April als natalis des
palatinischen Tempels gegeben war (S. 264),
bei den Florales der, dass, wenn man die Spiel-
tage vom 28. April aus nach rückwärts gehend
geordnet hätte, man zu nahe an die bis zum
19. April reichenden Ceriales gekommen wäre,
was um so mehr zu vermeiden war, als vor
den Ceriales bereits die Megalenses eine
längere Reihe von Tagen besetzt hielten.
') Bei den Ludi Florales haben Wagen*
rennen wohl überhaupt nicht stattgefunden,
sondern nur Tierhetzen im Circus, und zwar
25*
388
Beligion nnd Kultus der Bömer. HI. Enltiui.
Sonst folgen diese Spiele dem Vorbilde teils der römischen teils der ple-
bejischen Spiele, indem ihre Ausrichtung — abgesehen von den dem Stadt-
praetor überwiesenen Ludi ApoUinares (s. oben S. 341) — teils dem einen
teils dem anderen Aedilencollegium zufällt ^) und wahrscheinlich auch dem
entsprechend für die Rennspiele teils der grosse, teils der flaminische
Gircus zur Anwendung kommt. ^) Die ausserordentlichen Spiele dieser Zeit
— mit Ausnahme der mit den Romani übereinstimmenden ludi magni
(s. oben) — lassen regelmässig nach dem Vorbilde der ApoUinares und
Ceriales auf mehrtägige Bühnenspiele einen Circustag folgen,') dagegen
fehlen bei den zahlreichen privaten ludi funebres die Circusspiele und neben
den scenischen Aufführungen erscheinen hier Gladiatorenkämpfe, ^) die erst
im J. 649 = 105 in die staatliche Spielgebung eindringen (s. unten S. 397 f.).
Seit den Bürgerkriegen tritt eine neue Oattung von Spielen auf,
deren Zusammenhang mit dem Kultus noch viel lockerer und äusserlicher
ist, als bei den bisher behandelten, und die in der Hauptsache nur Er-
innerungsfeiern an Grossthaten und Erfolge der jeweiligen Machthaber
darstellen. Die Ealendarien der früheren Eaiserzeit verzeichnen von
Spielen dieser Art die Ituii Vidoriae Sullanae (27. Oktober bis 1. November),
zur Erinnerung an Sullas Sieg an der Porta CoUina (1. November 672 ^ 82)
eingesetzt,^) die ludi Vidoriae Caeaaris (20. — 30. Juli), anknüpfend an die
Einweihung der aedes Veneris Genetricis am 26. September 708 = 46 (oben
S. 238), aber erst später rechtlich ständig geworden, und die ludi divi
Äugusti et Fortunae Reducis (3.— 12. Oktober), angeschlossen an die Feier
der Rückkehr des Augustus aus dem Orient und die Constitution der Ära
Pacis (Augustalia, 12. Oktober, s. S. 212), seit 743 = 11 v. Chr. wohl all-
jährlich gefeiert, aber erst im J. 14 n. Chr. offiziell unter die Jahresspiele
von Rehen und Hasen (Ovid. fast. V 371 f.).
Es ist möglich, dass solche Besonderheiten,
wie namentlich auch die Fuchshetze an den
Ludi Ceriales (S. 246), viel älter sind als die
Einführung der Spiele und zu den ludicra
der altrömischen Feste Cerialia und Flori-
fertom (S. 163. 164) gehörten.
') Jedenfalls steht fest, dass die Ludi
Megalenses den curulischen, die Ceriales
den plebejischen Aedilen zufielen (die Zeug-
nisse bei MoMMSBN, Staatsr. II 509), die Um-
kehrung des Verhältnisses bei Cic. Yerr. V 86
muss auf einem Irrtume beruhen ; seine wei-
tere Angabe, dass die Ludi Florales den
curuüschen Aedilen gehörten, können wir
nicht kontrollieren.
') Zeugnisse dafür gibt es nicht; nur
dass die ApoUinarspiele im Circus mazimus
gefeiert wurden, geht aus Liv. XXX 38, 10 und
für die Kaiserzeit aus der Erzählung von dem
unter Antoninus Pius stattgefundenen Un-
glück hervor, Chronogr. v. J. 354 bei Momm-
SBN, Chron. min. I 146; vgl. Hist. aug. Pius
9, 1. Im Circus Flaminius finden ausser den
Ludi Plebei nach Yarro de L 1. V 154 auch
die ausserordentlichen, e libria fcUcdibus
(Serv. Aen. II 140) angeordneten ludi Taurii
(Serv. a. a. 0. Fest. p. 351. 360. Paul. p. 350)
statt, für die das einzige historische Beispiel
eine zweitägige Feier im J. 568 = 186 ist
(Liv. XXXIX 22, 1 ludi Taurü per hiduum
facti religionis causa; in dem folgenden
decem der lückenhaften Stelle steckt viel-
leicht eine Erwähnung der decemviri 8. f.
als Spielgeber).
'j z. B. bei Dedicationsf eiern: Liv. XL
52, 3 ludosque acaenicoa triduum post dedi-
cationem tetnpli lu/nonis, hiduum post IHanae
et singuJos dies fecit in circo, XLII 10, 5
acaenicos ludos per quadriduum, tmum diem
in Circo fecit.
M Zuerst 490 = 264 v. Chr. Val. Max.
II 4, 7 (vgl. Liv. per. XVI); weiterhin z. B.
Liv. XXIII 30, 15. XXVIII 21, 1. 10. XXXI
50, 4. XXXIX 46, 2. XLI 28, 11. Mehr s.
bei Fribdlandbb-Marquabdt, Staatsverw. III
554, 5; die bei solchen Leichenspielen ge-
botenen Schmause (Liv. XXXIX 46, 2. XU
28, 11) haben mit den eputa lovis der Ludi
Romani und Plebei ebensowenig etwas zu
thun, wie die in der Eaiserzeit bei den Spielen
zuweilen gegebenen Bewirtungen (Mab<)uabi>t
a. a. 0. S. 350 und FribdijLndbb ebd. S. 496).
») Voll. Paterc. II 27, 6. Cic. in Verr. act.
I 31 nnd dazu Ps.Ascon. p. 148. CIL P
p. 333.
64. Die Spiele.
389
aufgenommen. 1) Von diesen drei Spielen sind die ersten und die letzten
ganz auf den Typus der Apollinarspiele eingerichtet, der Haupttag (l.No*
vember, 12. Oktober) hat allein Gircusspiele, die übrigen Tage gehen ihm
voran, Spielgeber ist der Praetor;') die caesarischen Ludi Yictoriae sind
anders geordnet, indem von 11 Tagen die vier letzten mit Circusspielen
gefeiert werden; ein Haupttag des Festes ist nicht zu erkennen, da sie
kalendarisch vom Stiftungstage des Yenustempels losgelöst sind (darüber
MoMMSEN, CIL P p. 322), Spielgeber scheinen, seit die Spiele ständig sind,
die Consuln zu sein.^) Daneben begegnet uns ein anderer Festtypus, ver-
treten durch die ludi Martiales am 12. Mai ^) und 1. August,^) zusammen-
hängend wahrscheinlich^) der erste Tag mit der Stiftung der aedicula
Martis in Capüolio 734 = 20, der zweite mit dem Stiftungstage des Mars-
Ultor-Tempels 752 = 2 (S. 133), femer durch die seit dem J. 746 = 8 v. Chr.
ständigen Spiele am Geburtstage des Augustus (23. September) ; ^) alle diese
Feste sind eintägig, enthalten nur Circusspiele und fallen auf feriae (Tages-
zeichen hp), ähnlich also darin den Spielen ältester Ordnung wie Consualia
und Equirria; Spielgeber sind aber nicht Priester, sondern Magistrate.^)
In diesen Bahnen hat sich die Spielgebung der Kaiserzeit weiter bewegt. ')
Eintägige Circusspiele an den Gedenktagen der Geburt (yeve&lia) und des
Regierungsantrittes (dies imperii) des regierenden Kaisers ^<') und an den
Geburtstagen der consecrierten Kaiser {yeväitui) sowie zur bleibenden Er-
innerung an bestimmte glückliche Ereignisse der äusseren oder inneren
Politik der jüngsten Vergangenheit'^) bilden die Hauptmasse der neu hin-
zukommenden Spieltage, wozu gelegentlich auch ausserordentliche ludi
votivi für das Glück und Wohlsein der Herrscher treten;^') auch manche
der noch bestehenden feriae publicae alter Ordnung'^) werden nach dem-
>) Caas. Dio LIV 84, 2. LVI 46, 4. Tao.
ann. 1 15. Mommsbn CIL P p. 382.
') Das bezeugt für die snllanischen
Spiele der Denar des Sex. Nonius Sufenas
bei Babblok, Monn. consul. II 256: Sex.
Noni(u8) pr(aeior) Ifudos) V(ictoriae) p(ri-
mus) f(ecU) (vgl. Mommsbn, Mübzw. 8. 625 f.),
für die Ludi Angustales Tac. ann. I 15.
') Diese nennt wenigstens Cass. Dio
XLIX 42, 1 im J. 722 = 82, also vor der
allgemeinen Uebertragung der Spiele an die
Praetor im J. 732 = 22 (Mommsen, Staatsr.
II 227 1).
''i Lud(i) Martfi) in circ(o) Fast. Maff.
Ovid. fast. V 597.
») Cass. Dio LX 5, 3; vgl. LV 10, 5.
LVI 27, 4. 46, 4. Mon. Anc. 4, 88. Suet.
Claad. 4.
«) Nach Mommsbn CIL I* p. 818; Res
gestae D. Ang.* S. 93; dagegen Jobdan,
Topogr. I 2 S. 448 Anm. 18.
') Cass. Dio LV 6, 6; vgl. LIV 8, 5. 26, 2.
34, 1. LVI 46, 4. LVII 14, 4; vgl. Mommsbn
CIL P p. 880.
*) Dass sie sämtlich consularisch waren,
lasst sich ans Cass. Dio LVI 46, 4 sohliessen,
wonach nach Aagnstos Tode u. a. angeordnet
wird jd yeyiüia (d. i. der Geburtstag des
Angnstus) ol vnaio^ i^ taov totg ^AgBioig
(= Ludi Martiales) ayotyojeSuSüi,; für die
Martiales ist es auch durch Monum. Ancyr.
gr. 12, 15 f. bezeugt.
') Auch die sacerdotalen Spiele zeigen
dieselben Tjrpen: eintägige Circusspiele die
liMii der Arvalbrüder, mehrtftgige ludi scaentci
abgeschlossen durch einen Circustag die der
Quindecimvim bei der Saecularfeier, u. zw.
sowohl die ludi aoUemnea wie die ludi
honorarii (S. 387 A. 2).
»0) Mommsbn CIL I« p. 802 f.
**) Tertull. de spect. 6: reliqui ludorum
de natalibus et soüemnibus regum et publici8
prosperitatibus . . causas habent. Solche
Erinnerungsfeiem durch eintägige Circus-
spiele werden z. B. angeordnet beim Sturze
Sejans (Cass. Dio LVIII 12, 5), beim Tode
der Agrippina (Tac. ann. XIV 12) u. a.
*') z. B. für die Genesung der Livia
(Tao. ann. III 64, wo ludi magni wohl nichts
anderes als ludi votivi bedeuten soll), für
die Regierung Elagabals (Hbnzbn, Acta fratr.
Arval. S. 108).
*') z. B. die Parilia seit der Gründung
von Hadrians Templnm Urbia (S. 288; dass
390
Religion und Enltna der RQmer. ni. Enltiui.
selben Typus mit eintägigen Circusspielen ausgestattet, mehrtägige sceni-
sche oder aus ludi scaenici und ludi circenses zusammengesetzte Spiele
treten selten aus sacralen Ursachen,') in der Regel nur zur dauernden
Feier wirklicher oder angeblicher grosser Eriegserfolge^) in die Jahres-
tafel ein; auch die kaiserlichen Privatspiele, für deren Gestaltung natur-
gemäss das souveräne Belieben der Stifter mehr als bei den öffentlichen
Spielen massgebend war,') fanden vorübergehend oder dauernd in ihr Auf-
nahme. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Liste der Spieltage
einer immerwährenden Umgestaltung unterlag, da bei dem fortwährenden
Zutreten neuer Spieltage die Rücksicht auf das Geschäftsleben des Tages
und namentlich den Fortgang der Rechtsprechung die Aufgabe älterer
Ludi verlangte; die zu Ehren des Geburtstages eines Kaisers eingesetzten
Spiele wurden über seinen Tod hinaus festgehalten nur dann, wenn er
unter die Divi aufgenommen wurde (S. 286), die Feier des dies imperii und
der zu Ehren der Grossthaten seiner Regierung eingesetzten Spiele hörten
in der Regel beim Regierungswechsel oder unter einem der nächsten Kaiser
von selbst auf,^) manche Kaiser haben auch eigens Revisionen und Säube-
rungen der Spieltafel vorgenommen.^) Eine volle Kenntnis von Umfang
und Anordnung der Spiele innerhalb des Jahres besitzen wir für die Zeit
des Kaisers Constantius ü. durch den Kalender des Philocalus. Er ver-
zeichnet (mit Einschluss der zehntägigen munera im Dezember, worüber
unten S. 398) 176 Spieltage, die sich ihrer Herkunft und Bestimmung nach
folgendermassen verteilen: 1. Von den bis auf Augustus einschliesslich ein-
geführten Spielen sind verschwunden die Ludi Yictoriae SuUanae und Yic-
toriae Caesaris, sowie die Ludi Martiales vom 1. August, dagegen erscheinen
die Ludi Romani mit 4, die Plebei mit 5, Apollinares mit 9, Ceriales mit
diese Spiele noch im 5. Jahrh. begangen
worden, zeigt Prosper ohron. z. J. 444 =
MoMxsBV, Ghron. min. I 479), die Volcanalia
jedenfalls vor dem J. 217 n. Chr. (Gass. Dio
LXXVIII 25, 4), die Liberalia (Auson. de
fer. 29).
M Die Neptunalia, die Tertull. de spect. 6
zwiscnen den grossen Spielen (Megalenses,
Apollinares, Ceriales und Latiares, Florales)
aaf führt, waren im 4. Jahrh. zweitägig, aber
nicht circensisch.
^) Die von Hadrian zum Andenken an
Trajans Parthersiege gestifteten ludi Par-
thici (Cass. Dio LXIX 2, 3) waren gewiss ein
ausgedehntes Fest, da fttr ihre Ausrichtung
ein eigener praetor ParthicariiM bestellt war
(MoMMSEN, Staatsr. II 227, 5).
^) So waren die von Livia im J. 14 n. Chr.
zu Ehren des Augustus eingesetzten drei-
tägigen Ludi Palatini (Suet. Calig. 56. Cass.
Dio LVI 46, 5. LIX 16, 10. 29, 5. Joseph,
ant. Jud. XIX 75. Tac. ann. I 78) nur scenisch ;
die Juvenalia des Nero, bei denen er selbst
als Kitharoede auftrat (Tac. ann. XIV 15.
XV 33. Cass. Dio LXI 19. 20 u. a.), spotr
teten in ihrem Arrangement jeder herkömm-
lichen Spielordnung, so dass Sueton. Nero 11
geradezu die iuvenaies als besondere Grattung
neben circenses, scaenici Zudt und gladia-
torium mtmus aufführt; die Quinquatrusfeier
Domitians (Gass. Dio LXVII 1, 2. Suet. Dom.
4) vereinte mit Tierhetzen, Gladiatoren-
kämpfen und Bühnenspielen auch Agone der
Dicht- und Redekunst und wurde durch die
magistri eines vom Kaiser nach älteren Vor-
bildern (s. S. 840 A. 5) bestellten eoüegium
Minervae ausgerichtet, lieber die privaten
Gircusspiele der späteren Kaiserzeit am
2. Januar {circus privatus Polem. Silv., vgl.
Julian, misopog. p. 839 G. Apoll. Sidon. carm.
28, 805 ff. Lyd. de mens. IV 9), die vielleicht
bis auf Nero zurückgehen, s. Mommsen CIL
I« p. 305.
*) Von den in Anm. 2 erwähnten Ludi
Parthici sagt Cass. Dio LXIX 2, 8: ^< noXXd
h
ti iyiyoyto' varsQoy ydq nal avttj ScnsQ
xal aXXa noXXd xazsXv^. Hist. ang. Pertin.
15, 5: circenses et imperii natalis addüi,
qui a Severo postea sttblati sunt, et geni-
talicii qui manent.
'^) z. B. Gass. Dio LXVIII 2, 3 (von Nerva)
I xal noXXag fAky ^vaiai noXXdg ifi InnodgofÄias
I äXXas xi nras ^^«s xaxiXvcs nvcxiXXny nq
I otoy xe xd danayijf4axtt.
64. Die Spiele.
891
8, Megalenses mit 6, Florales mit 4 Tagen, Augustales und Martiales mit
je 1 Tage, dazu die früher nicht ständigen und daher im Kalender nicht
notierten Ludi compitales mit 8 und die an Augustus' Tod anknüpfenden
Ludi Palatini mit 5 Tagen ; möglicherweise gehören hierher auch die sechs-
tägigen Ludi Jovi Liberatori (18. — 19. Oktober), die der Zeit nach mit den
alten Ludi Capitolini (oben S. 112) zusammenhängen könnten. 2. Feriae
des alten Kalenders, die früher nicht durch Spiele begangen wurden,
repräsentiren die Ludi Fabarici (4 Tage, s. S. 190), Neptunalici (2 Tage),
Natalis Martis (am I.März), Liberalici, Yolcanalici, Natalis ürbis {= Parilia),
femer wahi*8cheinlich die Spiele für Janus Pater (7. Januar, anstatt des
Agonium vom 9. Januar) und für Juppiter Stator an den Idus des Januar
(s. S. 108 Anm. 1), also alten feriae lovis, endlich die früher nicht offiziell
feriierten Veneralia (1. April), die letztgenannten sämtlich eintägig. 8. Erst
in der Kaiserzeit eingeführte Götterspiele: Ludi Genialici (11. 12. Februar,
s. S. 157), Ludi Fatales (29. 80. September, s. S. 218 Anm. 4), Ludi Solis
(viertägig, S. 807 Anm. 8), dazu eintägige an die natales templorum an-
knüpfende *) Spiele zu Ehren von Hercules (1. Februar und 4. Juni, s. oben
S. 224), Juppiter Cultor (18. März), Quirinus (8. April), Castor und PoUux
(8. April), Salus (5. August, s. S. 122), Sol und Luna (28. August), Osiris
(1. November, s.S. 294) und Sol Invictus (25. Dezember, s. S. 807); rechnet
man dazu noch 18 natales divorum imperatorum, so beläuft sich die Ge-
samtzahl der mit dem Gottesdienste noch unmittelbar zusammenhängenden
Spieltage auf gerade 100; die verbleibenden 66 Tage sind Gedenktage an
publicae prosperitateSj darunter 7 schlechthin mit ludi votivi bezeichnete Tage
(28. Februar, 19. 26. Juli, 8. August, 80. 81. Oktober, 9. November), femer
die Tage des Regierungsantrittes des regierenden Kaisers Constantius II.
(8. November)*) und seines Vaters Constantin d. Gr. (25. Juli), 9 weitere durch
eintägige Circusspiele bezeichnete Erinnerungsfeiern an denkwürdige Er-
eignisse aus der Regierung dieser beiden Kaiser^) und 9 grosse Siegesfeiern
im Umfange von je 4 — 7 Tagen, durchweg ebenfalls auf Erfolge derselben
beiden Herrscher bezüglich.^) Diese letztgenannten Feiern sind mit einer
*) Zwischen Notierangen des Philocalos
wie Solis et Lwnae cfircensea) m(%88ti8)
XXIIII (28. Aug.) und n(aialis) Herculis
c(ircen8e8) m(i88U8j XXIIII (1. Febr.) be-
steht gewiss kein prinzipieller Unterschied,
es handelt sich in beiden FäUen um Stif-
tungstage von Tempeln; beide Formen der
Notierung kommen auch ohne Spiele vor,
z. B. Fortis Fortunae (24. Juni) und n(atali8)
Dianea (13. Aug.). Die Notierungen lano
patri c(ircen8e8) m(isaus) XXIIII (7. Jan.),
lovi Statari c(ircen8e8) m(i88tut) XXIIII
(18. Jan.) und n(atali8) Martis c(ircense8)
m(i88us) XXIIII (verschrieben XXVIII,
1. Mftrz) tragen die gleiche Form, -sind aber
oben unter die alten Feriae eingereiht.
^) Zählt in der Gesamtsumme nicht mit,
weil mit dem ncUalis Divi Nervae zusammen-
fallend.
') z. B. an drei verschiedene Besuche
Constantius d. Gr. in Rom (adventas IHvi
18. 21. Juli, 29. Okt.; profeciio Divi 27. Sept.,
vgl. MoMMSBN CIL I ^ p. 322), an den Sieg
ttber Licinius (fugato lAcinio 8. Juli) und
verschiedene andere, zum Teil nicht mehr
festzustellende Ereignisse (Vict(orias) Sar-
maticas 27. Juli, Vict(oria8) Marcomanntis
30. Juli, Vict(oria) senati 4. Aug.); auffallend
ist wegen des weit zurückliegenden Anlasses
die Gedenkfeier an die Adoption des An-
toninus Pius durch Hadrian (Lorio c(ircen8e8)
m(issu8) XII, 25. Febr., erklärt nachO. Hibsoh-
FBLD von MoimsxN CIL P p. 310).
*) Ludi Adiabenici (28.— 31. Jan.), Gottici
(4.-9. Febr.), Maximati (4.-9. Mai), Persici
(13.— 17. Mai), Francici (15.-17. 20. Juli),
triumphales (18. 20.— 22. Sept.), Alamannici
(5.— 10. Okt.), Sarmatici (25. Nov.— 1. Dez.),
Lancionici (12.— 14. 16.-18. Dez.).
392
Beligion und Enltiui der BAmer. m. Enltiui.
Ausnahme *) derart angeordnet, dass nur der letzte Tag mit Circusspielen aus-
gestattet ist, und in derselben Weise werden grösstenteils^) auch die zum
Kulte gehörigen Spiele begangen, sowohl die alten, wie Romani, Apolli-
nares, Megalenses, Florales, als die später hinzugetretenen, wie die Fabarici,
Jovis Liberatoris, Solis; von den mehrtägigen Spielfeiern entbehren der
ludi circenses nur die Compitales, Palatini, Neptunalici und Fatales, die
eintägigen sind ganz überwiegend circensisch.^) Collisionen waren natür-
lich bei der Masse und Ausdehnung der Spiele nicht zu vermeiden; man
hat sich so geholfen, dass man beim Zusammenfallen zweier durch Wagen-
rennen zu begehender Tage die Feste vereinigte und darum die Zahl der
Rennen verdoppelte/) eintägige Spiele, gleichviel ob circensisch oder
scenisch, die in eine längere Folge scenischer Spieltage fielen, hatten vor
diesen den Vorrang und unterbrachen die Reihe. ^)
Nach Beschaffenheit und örtlichkeit ^) zerfallen die Spiele in die
beiden grossen Klassen der ludi circences und ludi scaenici. Die ersteren
schliessen sich sowohl in der Art der Darbietungen als in der Wahl der
Örtlichkeit eng an die alten Rennspiele der Consualia und Equirria an,
denn es ist unverkennbar, dass durch die Lage der Altäre des Gonsus im
Thale zwischen Palatin und Aventin und des Mars im Campus Martins die
Plätze für die Anlagen des Gircus Maximus und Circus Flaminius bestimmt
worden sind.^) Bei den Wagenrennen der Ludi magni und nachher Ro-
mani^) sowie aller übrigen späteren Spiele trat an Stelle der wenigstens
für die Equirria bezeugten bigae (Fest. p. 378) das Viergespann, wie schon
die Herleitung dieser Spiele aus dem Triumphalaufzuge ergab, für den ja
die mit dem Kulte des Juppiter 0. M. zusammenhängende (oben S. 111)
quadriga charakteristisch ist;') die bigae treten nur sekundär ein.^^') Da-
^) Die Lndi trinmphales, gestiftet zur
Erinnerung an den Sieg über Licinins bei
Ealchedon am 18. Sept. 823, setzen die Circns-
spiele auf diesen Tag und lassen die drei
übrigen Tage nicht vorausgehen (was wegen
der bis zum 15. Sept. reichenden Ludi Ro-
mani nicht möglich war), sondern am 20.
bis 22. Sept. (der 19. war durch den Geburts-
tag des Antoninus Pius besetzt) folgen; s.
MoMMSEiT CIL I ' p. 329.
^) Ausnahmen bilden die Ceriales, die
ausser am letzten (19. April) auch am ersten
Tage (12. April) Circusspiele haben, die
Plebei, an denen dies ausser am letzten Tage
(16. Nov.) auch am zweiten, dem lovis epu-
lum (13. Nov.), der Fall ist, endlich die zwei-
tAgigen Qenialici, an denen der Circustag
vorausgeht.
') Ausnahmen die Veneralia (1. April),
ludi in Minicia (4. Juni = Natalis Berculis,
s. MoMKSEN CIL I' p. 319) und die 7 ludi
votivi.
^) 48 missus statt der normalen 24 sind
notiert zum 18. Sept. (Circustag der Ludi
triumphales, s. oben Anm. 1, und Geburtstag
des Divus Traianns) und zum 8. Nov. (Ge-
burtstag des Divus Traianus und des Con-
stantius IL).
') 18. Januar Geburtstag Gbrdians inner-
halb der Ludi Palatini; 8. April natcUia des
Castor und Polluz innerhalb der Megalenses;
18. und 19. Juli adventus Divi und Itudi
votivi innerhalb der Ludi Francici ; 19. Sept.
Geburtstag des Antoninus Pius innerhalb der
Ludi triumphales; 15. Dez. Geburtstag des
Yerus innerhalb der Ludi Lancionici.
^) Ludi publicif qu(miam sunt eavea
circoque divisi Cic. de leg. II 38 (die Worte
des Gesetzes selbst II 22 sind schwer ver-
derbt).
^) MoMMSBN, Köm. Forsch. II 42.
>) s. namentlich Liv. VIII 40, 2 f. (die
tator . . creatus) ut esset qui ludis Ro-
manis . . . Signum mittendis qucidrigis daret;
auch bei den römischen Spielen des Latiar
(S. 109) rennen quadrigae (Plin. n. h. XXVII
45).
•) z. B. Liv. XXVIII 9, 10. Flor. I 5, 6
und mehr bei Marqüardt, Staatsverw. II 586.
'°) Bei den Spielen der Arvalbrüder er-
scheinen bigae nur im J. 219 (CIL VI 206*;^,
11), genannt werden sie sonst neben den
quadrigae z. B. Snet. Dom. 4 sollemnes higa--
rum quadrigarumque cutius; vgl'. Caes. 39.
Dion. Hai. VII 73. Cass. Dio LI 22, 4 u. a.
64. Die Spiele.
393
gegen weist die Rolle, die bei den Spielen sowohl der Saecularfeier wie
des Arvalenfestes neben den quadrigae die desuUores, d. h. von dem einen
zweier nebeneinander rennenden Pferde aufs andere springende Reiter,^)
spielen,') auf hohes Alter auch dieses Bestandteiles der Spiele hin; von
den schon bei der Einführung der Spiele unter Tarquinius Priscus er-
wähnten (Liv. I 35, 9) Faustkämpfem, sowie von ebenfalls nach Schluss
der Wagenrennen stattfindenden Wettkämpfen im Ringen und Laufen ») ist
nur selten die Rede; Kämpfe griechischer Athleten und Tierhetzen,*) mili-
tärische Exerzitien zu Fuss und zu Pferde,') sowie auch der ursprünglich
sacrale Ludus Troiae^) traten erst in den letzten beiden Jahrhunderten der
Republik vereinzelt hinzu, bis dann in der Kaiserzeit die Mannigfaltigkeit
und Pracht der circensischen Darbietungen sich mehr und mehr ins Un-
gemessene steigerte.^) Der Preis des Sieges ist ursprünglich, dem sacralen
wie dem triumphalen Ursprünge der Spiele entsprechend, ein Kranz,^) zu
dem im J. 461 = 293 nach griechischem Vorbilde die Palme trat. ^)
Über das erste Jahrhundert der im J. 390 = 364 eingeführten ludi
scaenici^^) sind wir nur sehr mangelhaft unterrichtet; dass sie ebenfalls auf
^) Liv. XX III 29, 5 desultorum in mo-
dum binos trdhentibus equoa . . in recentem
equum ex fesso transuUare mos ertU. Hygin.
fab. 80. Prop. IV 2, 35 f. Manil. V 85 flF. Isid.
orig. XV 111 89 und mehr bei FbibdlXiideb-
Mabqüabdt, Staatsverw. III 524, 5 ; die von
Dionys. Mal. VII 73, 3 gegebene Erklärang,
dass es ein Wettlauf der na^aßätai gewesen
wäre, beruht wohl nur auf falscher Etymo-
logie von destUtarea {quod olitn, prout quia-
que ad finem cttrsua venerat, desüiebat et
cwrehat Isid. a. a. 0.).
') Act. lud. saeo. August. Eph. epigr. Vm
p. 238 Z. 154: metae positae qiuidr%gaeq(ue)
(vgl. die equi quadrigarii bei Fest. p. 351)
8unt missae et desuitarea, Henzbr, Act. Arv.
S. 36 f . : magister . . . Signum quadrigis et
desultoribus misit; vgl. Liv. XLIV 9, 4 (bei
den Ludi Romani) nam aemel quadrigis,
semel desultore misso vix univa horae tem-
pus utrumque curriculum complehat; qtM-
drigae und desultarii auch bei Cic. Muren.
57, quadrigae, higae, equi destUtorii bei Suet.
Caes. 39 und Cassiod. var. III 51, 6. Wenn
Cass. Dio LI 22, 4 neben avpoiQideg und
i^&Qinna auch xiXijreg nennt, meint er da-
mit sicher die Desultores, und darum wird
man auch die von Serv. Aen. VIII 635 bei
den Consualia erwähnten celetes auf sie be-
ziehen dürfen.
') Nach Dion. Hai. a. a. 0. fanden nach
Schluss der Innixol ^QofAtu Wettkämpfe von
SQOfABig, nvxTM, naXaicrai statt. Cic. de leg.
11 38 nennt als Bestandteile der Circusspiele
cursus, pugüatus, luctatio, curricuia equarum.
Die Grabschrift eines Fuscus Cursor prasini
vom J. 85 n. Chr. zählt 53 Siege Bomae, 2 ad
deam Diam (also bei den Spielen der Arval-
brfider) auf (Notiz, d. Scavi 1894, 280); vgl.
ausserdem Sueton. Aug. 48. Plin. n. h. VU 84
und die oben S. 382 A. 6. 7 fQr den Wettlauf
an den Ludi Capitolini und den Robigab'a
angefahrten Zeugnisse.
^) Bei den ludi votivi des M. Fulvius
Nobilior im J. 568 =186 athletarum quoque
certamen tum primo Bomanis spectacido
fuit et venatio data leanum et pantherarum ;
diese hier (xthletae genannten Leute sind die
pugües graeci, die bei Suet. Aug. 45 den
pugües latini gegenübergestellt werden.
'') So im J. 585 = 169 nach der aus-
fahrlichen Beschreibung bei Liv. XLIV 9, 3 ff.
Die Bezeichnung dieser Uebungen als pyr-
rhicha militaris (Hist. aug. Hadr. 19, 8) oder
armatura (Veget. de re mil. II 23) findet sich
erst in der Eaiserzeit.
') Zuerst wohl in der sullanischen Zeit,
Plut. Cato min. 8, dann häufig in der früheren
Eaiserzeit; die Zeugnisse bei FbibdlIrdbr-
Mabquardt, Staatsverw. III 526, Litteratur
oben S. 382 A. 3.
^) Nachweise bei FbibdlIndbb, Sitt.-
Gesch. II » 257 ff.
8) Plin. n. h. XXI 7 (vgl. Cic. de leg. II
60). Paul. p. 69 donaUcae caronae dictae,
quod his victores in Ittdis donahantur;
ebenso bei den Ludi scaenici Varro de 1. 1.
V 178 a coroUis, quod eae, cum placu^erant
actores, in scaena dari solitae. Suet. Vesp. 19.
^) Liv. X 47, 8 pdlmaeque tum primum
(bei den Ludi Romani) translato e Graecia
more victoribus datae; daher bei den Spielen
der Arvalbrüder die regelmässige Notiz
magister , . . victores palmis et coronis
argenteis (CIL VI 2060, 19 bloss coronis
argenteis) honoravit, Hbbzbn, Act. fr. Arv.
S. 36 f.
>^) Liv. VII 2, 8: aus Anlass einer Seuche
ludi quoque scaenici, nova res bellicoso po-
pulo — nam drei modo spectaculum fuerat —
394
Beligion und Enltna der Bömer. m. Knltas.
von Etrurien kommende Anregungen zurückgehen und zunächst aus pan-
tomimischen Tänzen unter Flötenbegleitung bestanden, ist glaubhaft über-
liefert, ^ dass dazu bald volkstümlich urwüchsige Aufführungen dramati-
scher Art von der Gattung traten, die später in der Fabula Atellana sogar
litterarische Ausgestaltung erfuhr, müssen wir annehmen, obwohl die An-
gaben der alten Gewährsmänner nicht auf wirklichen Nachrichten, son-
dern auf willkürlicher, namentlich eine durchgehende Parallelisierung mit
griechischen Verhältnissen verfolgender Gonstruktion beruhen.*) Dem
Namen nach kennen wir von Darbietungen dieser Art den von dem bis
auf die Knöchel reichenden Gewände der Darsteller so genannten ludus
talarius oder talaris^^) eine nach den Zeugnissen^) recht ausgelassene, unter
Musikbegleitung aufgeführte Vorstellung, die so populär war, dass selbst
die strengen Gensoren des J. 639 ^ 115 bei ihrem Einschreiten gegen die
Auswüchse der ars ludicra sie ausdrücklich verschonten.^) Eine tief-
greifende Neuerung wurde im J. 514 == 240 vom Senate, dem die gesamte
Spielpolizei oblag, ^) vorgenommen, indem — wahrscheinlich nur für einen
Teil der damals für ludi scaenici bestimmten Spieltage der Romani — an
Stelle der bisherigen rohen Produkte einheimischer Kunst griechische Tra-
gödien und Komödien in lateinischer Übertragung (fabulae) zur Aufführung
bestimmt wurden;'') der Beschluss mag in Kürze gelautet haben ludos
seaenicos graecos esse faciundos. Denn seitdem gehen bei den Ludi scaenici,
nach Tagen getrennt, nebeneinander her die ludi graeci, an denen die
Tragödien des Livius, Ennius, Pacuvius, Accius, die Komödien des Naevius,
Plautus, Terenz aufgeführt werden, und die ludi latini, für die ausser der
fortdauernden unlitterarischen Volksposse die Praetextae, die Togatae und
sonstige lateinische Originaldramen den Spielplan füllen. Noch bei der
Saecularfeier des Augustus^) umfassen die das Fest beschliessenden ludi
sollemnes nur ludi (scaenici) latini, deren Abschluss am dritten Tage Rennen
inter alia caelestis irae placamina instituti
dicuntur. Fest. p. 326 (and dazu Mommsen,
Staatsr. II 472, 3). 0. Ribbeck, Rom. Tragoedie
S. 19 Anm. erinnert daran, dass auch das regel-
mässige Passionsspiel zu Oberammergau auf
ein Gelübde in Pestzeiten zurückgeht.
*) Liv. VII 2, 4: sine carmine ullo, sine
imitandorum carminum actu ludiones ex
Etruria accüi ad tibicinis modos saltantes
haud indecoros motus more Tusco ddbant
(aus ihm Val. Max. U 4, 4); vgl. Ovid. ars
am. I 111 f.
*) Ausser dem bei Liv. a. a. 0. vorliegen-
den Berichte des Varro (0. Jabk, Hermes
II 225) s. Verg. Georg. II 885 ff. Tibull. II
1, 51 ff. Hör. epist. II 1, 139 ff.; vgl. im all-
gemeinen F. Leo, Hermes XXIV 67 ff. G. L.
EIendriokson, Americ. Joum. of Philology
XV 1894, 1 ff.
*) M. Hbbtz, De ludo talario s. talari,
Ind. lect. Vratislav. 1878; unter den Arten
der xtü(X(a^ia zählt Lyd. de magistr. I 40
neben naAkuixa, toyäta, UteXXdvtj u. a. auch
die xmaaroXaQia auf, in der Reiffersobeid
(Bursians Jabresber. XXIII 267) richtig den
Ludus talaris erkannt hat.
') Cic. ad Att. I 16, 3; de off. I 150.
Quintil. XI 8, 58. Fronte p. 160 Nah.
^) Cassiod. Chron. z. J. 689 u. o. (Momx-
SEN. Chron. min. II 181 f.) his conss. L. Me-
tellus et Cn. Domitius cenaores artem ludi-
cram ex urbe removerunt praeter latinum
tibicinem cum cantare et ludum tcUarium
(so Mommsen, überl. talanum). Die Maas-
regel bedeutet wohl nicht weniger als eine
zeitweilige Aufhebung der ludi scaenici graed
(s. unten S. 895).
^) MoMMSBK, Staatsr. III 1178.
') Varro bei Gell. XVII 21, 42: consulü
bu8 Claudio Centhone Äppii Caeci filio et
M. Sempronio Tuditano primtis omnium
L. Livius poeta fahula» docere Romae coepit,
Cic. Brut. 72 : Livius primus fabulam C. Clau-
dio Caeci filio et M, Tuditano coss, docuit;
die Ludi Romani nennt ausdrücklich Cassiod.
chron. z. J. 239, der thOricht fabula durch
tragoedia et comoedia ersetzt.
') Zum folgenden s. Mommsen, Ephem.
epigr. VIII p. 268 ff. , vgl. auch W. Christ,
Sitz.Ber. Akad. München 1893 I 146 ff.
64. Die Spiele.
395
von quadrigae und desuUores (S. 393 A. 2) bilden, dagegen die aus eigenen
Mitteln von den Quindecimvim hinzugefügten ludi honorarii (s. o. S. 387 A. 2)
sowohl ludi latini wie ludi graeci;^) diese beiden Gattungen unterscheiden
sich auch durch das Lokal der Aufführung; denn während die ludi graeci
in den beiden neuen Theatern, dem des Pompejus und dem des Marcellus
zur Aufführung kommen, wird für die ludi latini am Orte des Saecular-
opfers, d. h. bei der ara Ditis in campo, eine Bühne aufgeschlagen, und zwar
in der ersten Nacht ohne Herrichtung eines Zuschauerraumes und einer
Sitzgelegenheit für das Publikum,^) nachher unter Hinzufügung eines höl-
zernen theatrum. Das entspricht durchaus dem Brauche der älteren Zeit,
wo die ludi scaenici in unmittelbarer Nähe des Tempels der Gottheit, wel-
cher die Feier galt, 3) und auf einer nur für die Aufführung vorübergehend
aufgeschlagenen Bühne stattfanden, um welche herum die Zuschauer standen
oder auf mitgebrachten Sesseln sassen;^) gegen die Versuche, dauernde Vor-
richtungen für die Bühnenspiele mit festen Sitzplätzen zu schaffen, hat der
Senat lange gekämpft,^) und wenn auch die Herstellung von Holzbänken
für die jeweilige Vorstellung (theatrum ligneum) in der zweiten Hälfte des
2. Jahrh. v. Chr. sich durchgesetzt hatte, so hat doch erst die Revolutions-
zeit in dem im J. 699 = 55 vollendeten Theater des Pompejus das erste
dauernde und massive Schauspielhaus gebracht.*) Die ludi sccienici graeci
der Saecularfeier zerfallen wieder in die beiden Unterabteilungen der ludi
^) Dieselbe Scheidung auch in der In-
schrift von Caere CIL XI 3618 {ludos latinos
et graecos fecer(unt) VI. V, IUI. III.
pr(tdie) K(alend€u) et K(alendi8) Mart(i%s)
des J. 25 n. Chr.). Vgl. für einen ähnlichen
Gegensatz Suet. Aug. 45: spectavit autem
sttidiosissime pugües et mcueime latinos, ....
quo8 etiam committere cum graecis solebat
und den latmus tihicen oben S. 394 Anm. 5.
Die omnium linguarum Mstriones, durch
welche Caesar und August regianatim und
vicatim allerlei Schaustellungen auftflhren
lassen (Suet. Caes. 39; Aug. 43), haben mit
der Scheidung von ludi graeci und latini
nichts zu thun, eher kann man daran denken»
wenn Nero bejahrte Vornehme beiderlei Ge-
schlechts zwingt, bei seinen Juvenalia (s. oben
S. 390 A. 3) auszutreten und nichts sie davor
bewahren kann, quominus graeci latinive hi-
strionis artem exercerent (Tac. ann. XIV 15).
») Eph. epigr. VIU p. 233 Z. 100 f.: ludi-
que noctu aacrificio [cojnfecto sunt commissi
m scaena, quoi theatrum adiectum non fuit
(vgl. Zosim. II 5, 3 xaTaaxevaa&eiatjg axtjyrjg
dixa &säTgov)f nullis posüis sedüibus;
Z. 108 f.: deinde ludi latini in thefajtro
ligneo, quod erat constitutum in campo
sfecujndum Tiberim, sunt commissi; Z. 153 f.:
ludis scaenicis dimissis h(ora) . . iuxta cum
locum, ubi sacrificium erat factum supenori-
bu8 noctibus et theatrum positum et scfaejna,
metae positae u. s. w. Ebenso bei den ludi
honorarii Z. 156 latinos in theatro ligneo.
') So die Megalenses vor dem Tempel
der Magna Mater auf dem Palatin (Cic. de
harusp. resp. 24, dazu HOlsbh, Rom. Mit-
teil. X 28), vgl. auch Angustin. civ. dei II 26;
dass auch der scenische Teil der Ludi Apol-
linares im Circus abgehalten worden w&re,
geht aus Liv. XXV 12, 14 nicht hervor, und
die von Varro de 1. 1. V 158 im Circus er-
wähnten spectacula haben mit Bflhnenspielen
nichts zu thnn.
«) RiTSOBL, Parerga Plaut S. 212 ff.
») Val. Max. II 4, 2 vom J. 599 = 155
senatus consulto cautum est ne quis in urbe
propiusve passus müle subsellia posuisse
sedensve ludos spectare vellet (poptUusgue
aliquamdiu stans ludos spectavü fttgt Liv.
per. XLVIII hinzu). In diesem Jahre wurde
das von den Censoren M. Valerius Messalla
und C. Cassius Longinus (a Lupercali tn
Paiatium versus Vell. I 15, 3, also an der
bisherigen Stelle der Megalenses) erbaute höl-
zerne Theater auf Senatsbeschluss kassiert
(Liv. Val. Max. Vell. aa. 00. Gros. IV 21, 4.
Appian. b. c. I 28. August, c. d. I 31 ; verall-
gemeinert von TertulL de spect. 10; apol. 6).
') Tac. ann. XIV 20 : quippe erant, qui
On. quoque Pompeium incusatum a seniori-
bus ferrent, quod mansuram theatri sedem
posuisset. nam antea suhitariis gradibus et
scaena m tempus structa (vgl. Vitruv. V 5, 7
multa tlieatra qtAotannis Bomae facta esse)
ludos edi solHos; vel si vetustiora repeias,
stantem populum apectavisse; ein d^^aigoy
ntjxtor noch bei den Ludi Palatini, Joseph,
ant. XIX 90.
396
Religion und Enltiu der ROmer. IIL EaltiiB«
astki 1) und ludi thymelici,^) erstere Darstellung von Tragödien und Komö-
dien, letztere alle diejenigen künstlerischen Veranstaltungen umfassend, die
nicht auf der Bühne, sondern in der Orchestra stattfanden,^) also ins-
besondere Vorträge von Chor- und Sologesängen und von Musikstücken,
sowie Aufführung von Tänzen.*)
Wie sich die ludi graeci zu den ludi latini verhalten, so stehen die
Agones zu den Ludi im ganzen, es sind nach griechischer Art angelegte
Wettspiele in den drei Abteilungen der aywvBq yvfjtvixoi, fiovaixoi und
Innixoi,^) Nachdem vereinzelt schon in der späteren republikanischen Zeit
nicht nur Kämpfe von griechischen Athleten,*^) sondern auch musische
Agone griechischer Einrichtung bei ausserordentlichen Spielen vorgeführt
worden waren, ^) wird in der Kaiserzeit diese Form die übliche für solche
Feiern, die nicht alljährlich, sondern in längeren, meist vierjährigen
Zwischenräumen stattfanden.^) Das erste Fest dieser Art waren die im
J. 60 eingerichteten penteterischen Neronia,^) die aber bald durch den von
Domitian im J. 86 zu Ehren des Juppiter 0. M. gestifteten ebenfalls pen-
teterischen Agon Gapitolinus,'®) der ein römisches Seitenstück zu den
olympischen Spielen bilden sollte {Kannoikeia 'OkvfjLma CIO 2180b), in
den Schatten gestellt wurde und in Vergessenheit geriet, bis ihn Gordian
*) Dieser Tennmus, der von den Jio-
yvaia iv aatei und den aarixal vtxai ent-
lehnt ist, auch bei Säet. Tib. 6; Calig. 20.
*) SvfÄeXixol xai axtji/ixol aytuyeg CIG
2826, vgl. Athen. VIII 350 B. Häufig ist
die Erwähnung der ^v/äsXixoI, thymelici im
Gegensatze zu den Schauspielern (Ulpian.
Dig. in 2, 4 pr. Artemid. oneir. 11 3), s. im
allgemeinen Mommsbn, Ephem. epigr. VIII
p. 270 f. J. Frei , De ceiiaminibus thyme-
licis (Diss. Basel 1900) S. 5 ff.
•) Vitr. V 7, 2: tragici et comici tictorea
in scaena peragunt, reliqui autem artifices
suas per orchestram praestant actione»;
itaque ex eo scaenici et thymelici graeee
separatim notninantur,
*) Isid. orig. XVIII 47: thymelici autem
erant musici scaenici, qui in organis et ttbiis
(überlief, liris) et citharis praecinehant. et
dicti thymelici, quod olim in orchestra stantes
cantäbant super ptUpitum, quod thymele
vocahatur; vgl. Cic. de leg. II 38 cavea cantu
vigeat, fidibus et tibiis; zu den in der Or-
chestra stattfindenden Aufführungen gehörte
ausser konzertartigen Musikvorträgen (Fribd-
lXnder-Marqüardt, Staatsverw. III 553 f.
FaiBDLiLNDBR, Sitteugesch. O^ 305 ff.; vgl.
J. Frbi a. a. 0.) insbesondere der Pantomimus
und die pantomimische pyrrhicha (Fribd-
lIndbr-Marqüabdt a. a. 0. 551 ff. Fried-
LANDER a. a. 0. n» 406 ff.).
^) s. über die griechischen Agone E. Reisch
bei Pauly-Wissowa, Real-Encycl. I 836 ff.
und die dort angeführte Litteratur.
') s. oben S. 393 A. 4 und andere Bei-
spiele bei Appian. b. c. I 99. Val. Max. II 4, 7.
Plin. n. h. XXXVI 120; vgl. Polyb. XXX 14
über die Triumphalspiele des L. Anioina
Gallus 587 = 167.
') Bei der Einweihung des Theaters gab
Pom pejus u. a. ay(oy<tg yvuyixovg xaltiov-
aixovg (Plut. Pomp. 52. Cass. Dio XXXIX
38, 1).
') Die im J. 726 = 28 von den sacer-
dotum quattuor amplissima coUegia dem
Actischen Apollo pro vaietudme Caesaria
gelobten Quinquennalspiele (Momxsek, Res
gestae D. Aug. ' S. 40 ff.) hatten wahrschein-
lich nach dem Vorbilde der "Axxm in Niko-
polis (über diese s. Rbisob bei Paült- Wissowa,
Real-Encycl. I 1213 f.) die Form des drei-
fachen griechischen Agon. Auf die Gestal-
tung der späteren römischen Agone haben
die berühmten 'Ixahxd Paffiala £€ßaard in
Neapolis (s. oben S. 284 Anm. 3) einen wesent-
lichen Einfluss geübt.
^) Instituit et quinquennäle certamen
primiM omnium Bomae more graeco triplex
musicum gymnicum equestre, quod appeüavit
Neronia, Suet. Nero 12 (ebd. 21 Neroneua
agon). Tac. ann XIV 20. Cass. Dio LXI 21, 1.
Eck BEL D. N. VI 264. FribdlInder, Sitt.-Gescfa.
II 486 f. ; die gymnischen Spiele fanden in
den Saepta statt (Suet. Nero 12), die musi-
schen im Theater des Pompejus (Vita Lucani
in Reifferscheids Sueton. p. 77, 17), die
hippischen wahrscheinlich in dem circus Gai
et Neronis principum in Vaticano (Plin. n. fa.
XXXVI 74, vgl. Hülsen bei Pauly-Wissowa,
Real-Encycl. m 2581 f.).
^®) Suet. Dom. 4. Censorin. 18, 15 und
mehr bei Friedl'Ajxveb. a. a. 0. S. 437 ff. 575 ff.
Wissowa, Real-Encycl. III 1527 ff.
64. Die Spiele.
397
im J. 240 unter dem Namen Agon Minervae von neuem ins Leben riefJ)
Bei all diesen Feiern, zu denen, abgesehen von rasch wieder verschollenen
Stiftungen verwandter Art,') im J. 274 noch ein von Aurelian eingerich-
teter tetraetischer Agon Solls (oben S. 307) trat, spielen die hippischen
Wettkämpfe, offenbar deshalb, weil sie den Römern das wenigste Neue
brachten, die bescheidenste Rolle, um so reicher waren die gymnischen
und musischen Agone ausgestattet, für welche Domitian in den von ihm
erbauten Gebäuden des Stadium und Odeum') würdige Räumlichkeiten
schuf; eine besonders grosse Mannigfaltigkeit weisen die musischen Dar-
bietungen auf, unter denen namentlich Wettkämpfe in griechischer und
lateinischer Poesie und Beredsamkeit im Vordergründe stehen.^) Der dem
Sieger vom Kaiser persönlich aufgesetzte Eichenkranz des capitolinischen
Agon war noch im 4. Jahrh. die höchste dem Dichter vorschwebende Aus-
zeichnung.^)
In prinzipiellem Gegensatze zu den ludi stehen die munera,^) d. h.
Gladiatorenkämpfe (munus gladiatorium, auch munus allein im engeren
Sinne) und Tierhetzen (venatianes).'') Jeder Verbindung mit dem Gottes-
dienste entbehrend, haben sie in die staatliche Spielgebung erst verhältnis-
mässig spät und mit Beschränkung auf ausserordentliche Veranstaltungen
Eingang gefunden und sind auch in der Kaiserzeit, wo sie eine der be-
liebtesten Darbietungen waren, von den offiziellen, mit ludi circenses und
scaenici gefeierten Spielen strengstens ausgeschlossen geblieben.^) Die
Gladiatorenkämpfe sind, von den Etruskem,^) bei denen sie wahrschein-
lich an die Stelle ehemaliger Menschenopfer am Grabe ^^) getreten waren,
entlehnt, zur Feier privater Leichenspiele in Rom zuerst im J. 490 = 264
und dann häufig (oben S. 388 A. 4) vorgeführt worden, aber erst mehr als
150 Jahre später wagen es die Consuln des J. 649 = 105, P. Rutilius Rufus
^) MoMMSBN, Ghron. min. I 147. Aarel.
Vici Caes. 27.
'^ Fbibdl&ndbb a. a. 0. S. 439 f.
') Hieron. ohron. ad a. Abr. 2105. Momm-
8EK, Chron. min. I 146. Amm. Marc. XVI
10, 14 u. a.
*) Eaibbl, Inscr. gr. Sicil. Ital. 2012.
Stat. silv. m 5, 31 ff. V 3. 231. Flor. p. 183
RoBsb.; solche Wettkämpfe fanden auch bei
dem privaten agon Albanas des Domitian
an den Qoinqaatrus (Stat. silv. III 5, 28 ff.
IV 2, 65 ff. V 3, 227 ff.) und bei der ara
Lugudwnensis (Suet. Galig. 20. Juven. I 44)
statt.
^) Anson. prof. V 5 ff. (p. 53 Peip.) und
mehr bei Fibbiobb in Fault- Wissowas Real-
Encycl. IV 1642.
') Ludi und munera im Gegensatz zu
einander z. B. Suet. Aug. 45; Tib. 34; strenge
Trennung beider Gattungen ist auch überall
dnrchge&rt in den Berichten über die kaiser-
liche Spielgebung, z. B. Monum. Anc. 4, 31 ff.
Suet Caes. 39; Aug. 43; Tib. 7; Nero 11;
Dom. 4. Vgl. im allgemeinen Ritschl, Opusc.
IV 637 ff.
') Cic. de off. n 55. Paul. Dig. XXX 122
pr. und dazu Mommsbh, Ephem. epigr. VII
p. 402, 1 ; vgl. auch den kaiserlichen curator
munerum ac venationum (Suet. Calig. 37).
^) Der Ersatz der circenses durch onXo-
fÄUxlai' an den Ceriales des J. 712 = 42
wird von Gass. Dio XL VII 40, 6 ausdrücklich
als ungesetzlich bezeichnet; die in augu-
steischer Zeit mit den Quinquatrus verbun-
denen Gladiatorenkämpfe (s. oben S. 382
A. 4) fallen erst auf die Tage nach dem
Feste (Ovid. fast. HI 813), die weder feriae
noch ludi sind.
•) Nicol. Damasc. bei Athen. IV 158 F,
vgl. Müllbb-Dbbckb, Etrusker ü 223 f.
^^) Serv. Aen. III 67: Varro quoque dicit
mulieres in exsequiis et luctu ideo solitas
ora lacerare, ut sanguine ostenso inferis
satisfaciant; quare etiam institutum est, ut
apud sepuicra et victimae caedantur, apud
veteres etiam hamines interfidebantur, sed
morttu) IiMio Bruto (vgl. Liv. per. XVI.
Val. Max. II 4, 7) cum mtätae gentes ad eius
funus captivos misissentf nepos ülius eos
qui missi erant vnter se composuit, et sie
pugnavenmt et quod mtmere missi erant,
inde munus appellatum.
898
Beligion und Enltos der BOmAr. m. Kvltoa.
und G. Manlius, unter Berufung auf die militärische Bedeutsamkeit der
Gladiatorenkämpfe, diese bei öffentlichen Spielen ausserordentlicher Art
zu bieten. 1) Fast ebensolange dauert die Periode, in welcher diese
munera gladiatoria eine zwar überaus populäre und begehrte, aber in der
magistratischen Spielgebung nur ausserordentlicher Weise zulässige Dar-
bietung') bilden, in den letzten Jahrzehnten der Republik durch die Gesetz-
gebung de ambitu eingeschränkt,') von den Kaisern zur Gewinnung der
Yolksgunst oft veranstaltet, aber wegen der in der Verfügung über grössere
Qladiatorenbanden liegenden Gefahr für ihre Herrschaft nur selten anderen
Personen gestattet.^) Ständig wurden die munera gladiatoria im haupt-
städtischen Spielplane erst, als Claudius im J. 47 den Quaestoren die Pflicht
auferlegte, beim Antritte ihres Amtes aus eigenen Mitteln Gladiatoren-
spiele zu geben ;<^) von Nero vorübergehend aufgehoben,^) von Domitian
wiederhergestellt, ^) ist diese Ordnung von Alexander Severus in der Weise
modifiziert worden, dass nur die als candidati principis zur Quaestur Ge-
langten die Kosten dieser munera selbst zu tragen hatten, während die
übrigen bescheidenere Gladiatorenspiele aus Mitteln der kaiserlichen
Staatskasse (arca fisci, daher quaestores arcarii) bestritten, dafür aber
auch keine Anwartschaft auf weitere magistratische Garridre erhielten.^)
Demgemäss verzeichnet noch der Kalender des Philocalus an 10 Tagen
des Dezember, die sich um den quaestorischen Amtsantrittstag (5. De-
zember) gruppieren (2. 4. 5. 6. 8. 19. — 24. Dezember), das quaestorische
munus (mit der Beifügung arca bezw. kandida) als ständige Jahresfeier,®)
und diese hat bis zum Anfange des 5. Jahrb. bestanden. ^^) Die vena^
tiones, die erheblich minder aufregend und gefährlich erschienen und da-
her auch bei sacerdotalen und magistratischen ludi zuweilen als Neben-
^) Ennod. paneg. in Theod. 85 p. 213, 25
Vogel (vgl. Val. Max. II 3, 2) und dazu
BüBCHBLER, Rhein. Mus. XXXVIII 476 ff.
*) Aus diesem Grunde ist die Auf-
fassung von muntis im Sinne einer dem
Bürger im öffentlichen Interesse pflichtmässig
obliegenden Leistung (= XeirovQyiay Momx-
SBN, Rom. Forsch. I 345, 38; Staatsr. I 9;
Ephem. epigr. VII p. 401, 3) auf die stadt-
rOmischen munera = Gladiatorenspiele (an-
ders liegen die Verhältnisse in den Muni-
cipien und Provinzen, s. Mommsbn, Ephem.
epigr. VII p. 399 ff.) nicht wohl anwendbar;
nohtiger scheint die Erklärung Tertullians
de spect. 12: munus dictum est ab officio,
quoniam officium etiam muneris nomen est;
officium autem mortuis hoc spectaculo facere
se veteres arbitrabantur.
') Cic. pro Sest. 133 (und dazu Schol.
Bob. p. 309 Or.); de har. resp. 56 ; in Vatin. 37.
Ascon. p. 78 f.
*) Cass. Die LIV 2, 5 und mehr bei
MoMMSBR, Ephem. epigr. VII p. 396.
") Tao. ann. XI 22. Suet. Claud. 24.
>) Tac. ann. XIII 5.
^) Suet. Dom. 4; es steht wohl damit
in Verbindung die Vollendung des von
Vespasian begonnenen, schon von Titus im
J. 80 dedicierten Amphitheatrum Flavium,
welches das beim neronischen Brande zer-
störte älteste steinerne Amphitheater, das
des Statilius Taurus (erbaut 725 = 29), er-
setzte; die Zeugnisse bei Gilbbbt, Topogr.
m 329 ff
^) Eist. aug. Alex. Sev. 43, 8: quaestores
candtdatos ex sua pecunia iussü munera
populo dare, sed üa, ut post quaesturam
praeluras acciperent et deinde provincias
regerent; arcarios vero instituU, qui de arca
fisci ederent munera eademque parciora;
die im Znsammenhange damit erwähnte Ab-
sicht des Kaisers, die Tage der Gladiatoren»
kämpfe auf 30 zu erhöhen und über das
ganze Jahr zu verteilen, kam nicht zur Aus-
führung.
») MomsBN CIL I* p. 336; aus der Nähe
der Satumalien erklärt sich die irrige An-
sicht, die Gladiatorenspiele fänden zu Ehren
des Satumus statt, Lact. inst. VI 20, 35.
Auson. de fer. 35 f.
1«) ÜSENBB, Rhein. Mus. XXXVU 479 f.,
vgl. auch LiBBBKAM, Städteverwaltung S.
378 f.
66. Die OertUohkeiten des Kultus.
399
leistung vorgeführt wurden, >) haben sie um mehr als ein Jahrhundert
überdauert.')
Litteratur. Momksbh CIL I* p. 299 ff. L. FbxbdlIitdbb, Sitt.-Gesch. II • 255 ff. und
bei Marqvardt, Staatsverw. III 482 ff. F. Bitsohl, Parerga Plautina et Terentiana (1845)
S. 209 ff. 286 ff. and p. XVIII ff. (Ludi scaenici). Büssem akbb und Saglio bei Darbmbbbg-
Saglio, Diot. des antiqnit. I 1187 ff. (Circus). Q. LijrATB ebd. II 1563 ff. (Gladiatores).
£. PoLLAOK und Chb. Hülsen bei Fault- Wissowa, Real-Encycl. III 2571 ff. (Circus); hier
Oberall ausfdhrliche Behandlung des reichen antiquarischen Details, auf das im Rahmen
dieser Darstellung nicht eingegangen werden kann, und Verzeichnisse der umfangreichen
Speziallitteratur. Madyig, Verfassung n. Verwaltung d. röm. Staates II 695 ff.
65. Die Ortlichkeiten des Kultus. Die sacra stata soUemnia sind
durch das Grundgesetz ihrer Einführung wie an eine bestimmte Zeit, so
auch an eine bestimmte Örtlichkeit gebunden,^) und zur Begründung eines
staatlichen Gottesdienstes gehört notwendig auch die Bestimmung der
Kultstätte, die Eigentum der Gottheit und damit dem menschlichen Rechts-
verkehr ein für allemal entzogen ist. Dem Eigentum des Privatmannes
am Boden steht einerseits das der Gemeinde, andererseits das der Gott-
heit gegenüber,^) die beiden Kategorien der loca publica und loca sacra
gehören aber insofern eng zusammen,^) als einerseits der Gemeinde die
Pflicht des Schutzes und der Instandhaltung der loca sacra obliegt,^) anderer-
seits auch nur sie berechtigt ist, durch den Akt der consecratio die Eigen-
schaft einer Örtlichkeit als locus sacer zu begründen;^) es können also die
loca sacra nur aus den publica, nicht aus den privata hervorgehen,^) und
sie bleiben auch nach dem Übergange in das Eigentum der Gottheit unter
Aufsicht und Verwaltung des Staates. Während die Bezeichnung locus sacer
ebenso wie dies nefastus nur negativ die Exemption aus dem menschlichen
Rechtsverkehre zum Ausdrucke bringt,*) ist der positive Name dafür
fanum; wie die Tage in festi und profesti, so scheiden sich die Örtlich-
keiten in fana und profana.^^) Der Begriff der Sacertät haftet zunächst
>) So am Schlüsse der ludi honorarü
der augusteischen Saecularfeier verbunden
mit dem Rennen der qucidrigae, wie auch die
Kaiser zuweileh bei Circusspielen nach einer
bestimmten Zahl von Rennen eine venatio
einschoben (Suet. Calig. 18; Claud. 21. Cass.
Dio LX 28, 5; vgl. XL VIII 33, 4); s. Momm-
sbn, £phem. epigr. VIII p. 272.
") Das späteste Zeugnis für Rom ist
Caaaiod. var. V 42 vom J. 523, vgl. Fbibd-
lXndbb, Sitt.Gesch. U ^ 379 f.
*) Liv. V 52, 2: sacrificiis soUemnibus
non dies magis statt quam loca sunt in
quibus fiant,
^) Mommbbn, Staatsr. II 47 ff., vgl. auch
I 3, 1.
^) aut sacrom aut poublicom ese [locomj
CIL IX 439 f. ; qua sacrum qua publicum
Plaut. Trin. 1044; in publice sacrove loco
Liv. XXV I, 12. In der Lex Julia municip.
(CIL I 206) Z. 29 heisst es: quae via inter
aedem sacram et aedifidum locumve publi-
cum et inter aedificium privatum est erit;
fiber loca publica und sacra einerseits, pri-
vata und religiosa andererseits s. MomiSBir,
Strafr. S. 812 A. 2; Zeitschr. d. Savigny-Stift.
XVI Roman. Abt. S. 204 A. I.
^) Frontin. Grom. p. 56 : locorum autem
scusrorum secundum legem popitli Born,
magna religio et custodia haberi debet . . .
lucos aacros , . ., quorwn solum indubitate
p. B. est, etiam si in finibus coloniarum et
munidpiorum. Mommsbn a. a. 0. II 61.
') Gai. U 5: sed sacrum quidem hoc
solum existimatur, quod ex auctoritate po-
püli Bomani consecratum est, veluti lege de
ea re lata aut senatusconsülto facto, Ulpian.
Dig. I 8, 9 pr.: sacra loca ea sunt, quae
ptUflice sunt dedicata, sive in civitate sint
sive in agro,
") Ulp. Dig. I 8, 9, 1 : sciendum est locum
publicum tunc sacrum fieri posse, cum
princeps cum dedicavit vel dedicandi dedit
potestatem.
•) Paul. Dig. XLI 2, 30, 1 : locum relir
giosum aut 8<icrum non possumus possidere,
Ulp. ebd. XLIIi 8, 2, 19: in loco enim sacro
non solum facere vetamur, sed et factum
restituere iubemur; vgL XVIII 1, 62, 1.
XLm 6. 1 pr.
'•) Varro de 1. 1. VI 54: fana nominata,
quod pontifices in sacrando fcUi sunt finem.
400
Religion und Enlti» der ROmer. m. Enltiu.
am Boden ;^) die Gestaltung der auf diesem heiligen Boden befindlichen
Eultstätte ist erst von sekundärer Bedeutung, es kann ein Hain, eine
Quelle, eine Grube (mundus), eine Höhle (Faunus), ein Thor (Janus), eine
bedeckte Feuerstelle (Vesta) sein, aber auch ein Altar (arä), eine Nische
oder Kapelle (aedicula), ein Gotteshaus (ciedes sacra), je nach der Eigenart
der verehrten Gottheit, den Mitteln des Weihenden, dem mehr oder minder
bedeutsamen Anlasse der Weihung und den bescheideneren oder anspruchs-
volleren Anschauungen der Zeit, in der die Weihung erfolgt; die Rechts-
stellung der Örtlichkeit ist jedoch in allen Fällen die gleiche.') Die Ter-
minologie der verschiedenen Gattungen von loca sacra weist zwar manche
Schwankungen und Unsicherheiten auf, doch treten die Hauptunterschiede
deutlich hervor. Der allgemeine Ausdruck fanum verengt sich vielfach
derart, dass er entweder im Gegensatze zu aedes das schlichte Heiligtum
alten Stils ^) oder aber den Tempel ausserrömischer Gottheiten bezeichnet,^)
umgekehrt erweitert sich deliibrum, ursprünglich die beim Heiligtume ge-
legene Stelle, die mit fliessendem Wasser für die vor der Opferhandlung
erforderliche Waschung Gelegenheit bietet,^) zur Bedeutungsidentität mit
fanum ; ^) mit dem Worte sacellum ^) werden einerseits von staatlichen Eult-
stätten die loca dis sacrata sine tecto^) bezeichnet, andererseits alle Arten
Paul. p. 88. 93; daher fana aistere im Sinne
von locum conaecrare (Fest. p. 351, vgl. oben
S. 856 A. 1), ferner fanatica pecwnia (CIL V
3924 f.) und fanatica arhor (Paul. p. 92)
gleichbedeutend mit sacra pecunia, sacra
arbor und die Gegenüberstellung von sacrum
und pro fanum (Paul. p. 228: pro fanum quod
non est sacrum. Plautus *sacrum an pro-
fanum habeas parvi penditur*). Die Deutung
profanum sei quod ex religioso vel sacro in
Jiominum usum proprietatemque conversum
est (Trebat. bei Macr. S. m 3, 3 ; vgl. Serv.
Aen. XII 779 und Varro de 1. 1. VI 54 pro-
fanum quod ante fanum coniunctum fano
„profanum ist was vorher fanum d. h. zum
Heiligtume gehörig war*) beruht auf Ver-
mengung der Begriffe profanum und prO'
fanatum.
1) Marcian. Dig. I 8, 6, 3 : semel autem
aede sacra facta etiam diruto aedificio locus
sacer manet; vgl. Plin. ad Trai. 71: ülud
tamenparum expressisti, an aedes in peri-
stylio Claudio facta esset, nam si facta est,
licet coüapsa sit, religio eius occupavit
solum.
*) Aus den Worten des Gaius II 4
sacrae sunt, quae diis sttperis consecratae
sunt, rdigiosae, quae diis manibus relictae
sunt, darf man nicht folgern, dass nur die
Eultstätte der oberen (jötter locus sanier,
die der Unterirdischen bloss locus religiosus
sei ; das Grab ist nicht sacrum sondern bloss
religiosum nicht weil es den Manen geweiht
ist| sondern weil es nur auf privater Dedi-
oation beruht, dagegen sind die staatlich
consecrierten Eultstätten der di inferi ebenso
loca Sacra, wie ihre Feste feriae publicae sind.
*) z. B. Cato bei Fest p. 162 (bei dem
Bau des Capitols): fana in eo loco compluria
fuere; ea exauguravit, praeterquam quod
Termine fanum fuit; id nequitum exau-
gurari,
*) Beispiele bei Jobdan, Hermes XIV
577 f. RuGOiBBOy Dizion. epigr. III 34; daher
die Bezeichnung fanatici Sil das Tempel-
personal der Bellona, Isis und Magna Mater
(S. 291).
') Delubrum esse locum ante templum,
ubi aqua currit, a deluendo (also = dnoQ-
QarrtJQioy, vgl. poluhrum), Gincins bei Serv.
Aen. II 225, dort auch andere Etymologien;
vgl. IV 56. Macr. S. UI 4, 2. Ps-Ascon. p. 101
Gr. Paul. p. 73. Isid. orig. XV 4, 9. Ps. Fronto
de diff. Gr. L. VU 528, 25 K.
^) Im Gegensatze zu aedes z. B. Varro
de vita pop. Rom. I bei Non. p. 494 : haec
aedis, quae nunc est, multis annis post fac*
tast; namque Numae (so Luo. MOllkr; in
quae omnia Hss.) regis temporibus delubra
parva facta; neben fana und templa in der
Lex col. Genet. o. 128; mehr bei Josdav
a. a. 0. S. 578 ff.
') Davon streng zu scheiden sacrarium,
der Aufbewahrungsraum ftkr die sacra sup'
pellex, der nicht notwendig consecriert zu
sein braucht. Ulpian. Dig. I 8, 9, 2: sacer
locus est locus eonsecratus, scusrarium est
locus in quo sacra reponuntur, quod etiam
in aedificio privato esse potest (s. auch ülp.
ebd. XLIII 6, 1, 1); vgl. Jordan, Topogr. II
271 ff.
^) Fest. p. 318; vgl. Trebai bei Gell.
VII 12, 5: sacellum est locus parvus deo
sacratus cum ara. Die Definition umfaast
65. Die Oertliohkeiten des Kultus.
401
von Privatheiligtümern, also Örtlichkeiten, denen der Charakter der Sacer-
tat nicht zukommt.^) Seit dem Beginne der Republik hat die eigentliche
aedes sacra, d. h. der als Wohnraum des Gottes gedachte, das Götterbild
einschliessende Tempelbau etruskischer oder griechischer Anlage alle anderen
Formen der Eultstätte verdrängt, die neben dieser Normalform allmählig
aussterben oder sich nur als versteinerte Überreste einer älteren Kultus-
periode erhalten. Die heiligen Haine (lud sacri,^) wohl zu unterscheiden von
solchen Staatswaldungen, deren Nutzungsertrag zur Bestreitung bestimmter
sacraler Ausgaben diente, s. oben S. 383, vgl. S. 343 A. 1) wurden in Italien
und besonders in der nächsten Umgebung Roms infolge der Dichtigkeit der
Bevölkerung und der Nötigung zur Ausnutzung des Bodens an Zahl und
Umfang mehr und mehr beschränkt;') es sind durchweg Gottheiten älterer
Provenienz, deren Verehrung in Hainen in und bei Rom bezeugt ist,^) und
wo ihr Kult eine wirklieh eifrige Pflege geniesst, wie es z. B. bei Dea Dia
seit Augustus wieder der Fall ist, wird mitten im Hain ein Gotteshaus
gebaut, zu dessen Annex der erstere herabgedrückt wird. Ähnlich steht
es mit den offenen Altären des älteren Gottesdienstes; aUeinige Kultstätte
bleiben sie nur für solche Gottheiten, deren Verehrung mehr oder weniger
in Vergessenheit geraten ist,^) während im übrigen neben den alten Altar
ein Tempel neuen Stils tritt, der den Mittelpunkt des Kultes bildet, wie
das z. B. bei der ara Martis in campo (S. 133), der ara Consi in circo
(S. 167), der ara maxima des Hercules (S. 223) u. a. geschehen ist; erst
in der Zeit des Augustus rückt bei Neugründungen von Kultstätten die
Altarform wieder in den Vordergrund, aber unter dem Einflüsse der monu-
mentalen Altarbauten der hellenistischen Zeit in Gestalt von umfangreichen
Terrassenanlagen mit Balustraden und Treppen, wie das am besten be-
kannte Beispiel, die ara Pacis augustae in campo (S. 277), zeigt; Bauwerke
ähnlicher Art waren die ara Fortunae Reducis (S. 212) und die wohl in
derselben Zeit in grossartigen Dimensionen erneuerte ara Ditis in Tarento
(S. 256), bescheidener jedenfalls die im Vicus Jugarius gelegenen Altäre
der Ceres Mater (S. 247) und Ops Augusta (S. 169), die ara gentis luliae
auf dem Capitol (S. 287 A. 5), die ara Providentiae augustae (S. 279 A. 2) u. a.
Unter den als saceUa charakterisierten staatlichen Kultstätten finden wir,
abgesehen von solchen Heiligtümern älterer Herkunft, die später durch
nicht nur offene Altäre mit Einfriedigung
(saeptum), sondern namentlich all die zahl-
reichen Heiligtümer in Kapellenform, in denen
das GötterbUd zwar in einer Nische oder
aediciUa untergebracht ist, der Opfernde
aber davor auf dem locus sacer sine Udo
steht.
^) Hier bringt also die Deminutivform
nicht den kleinen Umfang, sondern die un-
vollkommene Eigenschaft zum Ausdrucke,
denn diese Privatheiligtümer sind nur quasi
consecraia (Gic. ad Att. XII 19, 1).
') So heisst ausdrücklich der Hain der
Dea Dia (CIL VI 2107. 4. 15 f. 2110, 9), femer
z.B. CIL VI 114. X4104.
•) Varro de 1. L Y 49: lucus MefiHs et
Handbaoh der Irliw. Altertamawitaenaoluift. V, 4.
lunonis Lucinae, quorum angusti fines,
non mirum; iam diu enim late avaritia
nunc est. Frontin. Grom. p. 56, 19: in Italia
autem densitas possessorum multum improbe
facit et lucos sacros occupat.
*) z. B. Robigus, Anna Perenna, Furrina,
Camenae, Albionae, Stimula, Libitina, Mefitis,
Lavema; Beispiele heiliger Haine in Italien
ausserhalb der römischen Staatsreligion s. bei
Mabquabdt, Staatsverw. III 151, 2.
') z. B. Febris, Lavema, Ajus Locutius,
Juppiter Elicius u. a., s. das Verzeichnis
stadtrOmischer Altäre bei Ruooiebo a. a. 0.
I 603 ff.; vgL EiBFKBT-HüLSEN, Formae nrb.
Rom. S. 4 ff.
26
402
Religion und Enltiia der ROmer. m. Enltna.
Gotteshäuser ersetzt wurden, 0 solche einer Reihe sehr alter, nachher so
gut wie ganz verschollener Gottheiten,') insbesondere aber fallen unter
diesen Begriff die Larenkapellen an den Gompita (S. 151 f.), die geradezu
xaT i^oxrjv saceUa heissen;^) daneben ist für diese Larenkapellen, wie über-
haupt für alle diese eine Tempelcella en miniature darstellenden Heiligtümer
(S. 400 A. 8), der nur die bauliche Form, nicht die sacralrechtliche Qualität
treffende Ausdruck aediculae im Gebrauche.^) Alte Sonderformen der Eult-
stätte haben sich nur ausnahmsweise bis in die spätere Republik und
weiterhin erhalten. Die einzige Gottheit, die sich dauernd und erfolgreich
gegen die Annahme der herrschenden Tempelform gesträubt hat, istVesta;
denn ihr Heiligtum heisst zwar allgemein aedes Vestae (anstatt bloss vesia^
d. h. Herd, wie ianus = Thor) und hat die griechischen Architekturformen
angenommen, aber sowohl die kleinen Dimensionen, wie die aussergewöhn-
liche Gestaltung als Rundtempel ^) und namentlich das Fehlen eines Eult-
bildes zeigen deutlich, dass wir es hier nicht mit dem Wohnhause der
Göttin, sondern trotz der modernen äusseren Ausstattung noch in alter
Anschauung mit Herd und Vorratskammer (penus) der römischen Gemeinde
zu thun haben (s. S. 29 und 143); aber ein Ausgleich war in sofern geschaffen,
als wahrscheinlich schon in Ciceros Zeit, jedenfalls in der Kaiserzeit in
unmittelbarer Nachbarschaft des Tempels eine staatlich geweihte aedicula
mit dem Bilde der Göttin errichtet war.^) Janus und Faunus erhielten
nicht nur Gotteshäuser modernen Stils, der eine am Forum holitorium
(S. 94), der andere auf der Tiberinsel (S. 174), sondern auch ihre alten
Kultstätten, der Janusbogen am Forum und die Wolfshöhle am Palatin,
wurden durch Aufstellung eines Kultbildes zu einer Art zweithürigen
Gotteshauses bezw. einer höhlenförmigen Bildnische umgeschaffen. Sonst
') z. B. das saceüum Quirini (Fest,
p. 254* 22, vgl. Paul. p. 255, 4) an der Stelle
der späteren aedes Qtiirini (S. 140).
'} z. B. Naenia, Diva Rumina, Volupia,
Strenia, Mutnnus Tutunus a. a. Es sind das
alles di incei'ti im yarronischen Sinne (S. 65),
und wenn Varro in der de locis überschriebenen
Abteilung der Antiqu. rer. divin. in Buch V
de sacellis und in Buch VI de sacris aedü)U8
handelte, so fiel diese Scheidung zum guten
Teile mit der in di incerti und certi zu-
sammen.
') z. B. Obsequ. 13 circa compita saceU
laque, Liv. IV 30, 10 in omnibv^ vicis sa-
cellisque. Prop. IV 3, 57 flore sacella tego,
verbenis compita velo. Daher hat man unter
den viel besprochenen sacra publica pro
sacellis (Fest. p. 245, s. oben S. 335 A. 2) die
Gompitalia zu verstehen, und der cur(ator)
8acel(lorum) p(ublicorum) der stadtrömischen
Inschrift £ph. epigr. IV 863 hat zum min-
desten in erster Linie mit den Larenkapellen
zu thun gehabt.
*) So mehrfach in den Bauinschriften
z. B. aedicülam regionis VI vico portae Col-
lifMe CIL VI 450, ebenso 451. Ephem. epigr.
IV 746; femer Bull. com. XV 1887, 33 aedi-
I
culas Lairum] . , restituerufnt magistri vi-
earumj urbis reg(ionum) fXIlIIJ; vgl. über
den Begriff der aedicula im allgemeinen
RüooiEBo a.a.O. I 139 ff., über die miss-
bräuchliche Verwendung von aedes für aedi-
cula JoBDAN, Herm. XIV 571 ff.
*) Serv. Aen. IX 408 aedes rotundas tri-
bus dis dicunt fieri debere, Vestae [Dianae,
gestrichen von Jobdan, Tempel der Vesta
S. 77 A. 6] vel Herculi vel Mercurio. Dass
Hercules am Forum boarium einen Rund-
tempel besass, steht fest (oben S. 223 A. 1),
die Annahme der gleichen Banform für die
aedes Deae Diae ist als irrig erkannt (Hül-
sen, Ephem. epigr. VIII p. 350), den Inhaber
des erhaltenen Rundtempels am Tiber (S. Maria
del Sole) kennen wir nicht (Hülsbns Deutung
auf das Portunium, oben S. 99, ist unbeweis-
bar), alle anderen Beispiele (s. Jobdan, Topogr.
I 1 S. 34 A. 58; Tempel d. Vesta S. 7 f.) sind
ausserrömisch oder gehören erst der Zeit seit
Augustus an.
") Ueber die Reste dieser aedicula Vestae
und die etwa aus hadrianischer Zeit stam-
mende Weihinschrift Senatus populusque
BomanufsJ faciendam curavit s. Josdan,
Tempel d. Vesta S. 25 ff. 68.
65. Die Oertliohkeiten des Enltiis.
403
herrscht das Tempelhaus unbedingt, Indigetes und Novensides, einheimische
und fremde Qötter bedienen sich derselben Form der Kultstätte, die Be-
deutung der Gottheit macht so wenig einen unterschied, dass man ohne
Bedenken auch Göttern der Unterwelt, wie Vejovis (S. 191), und Quellgott-
heiten, wie Föns (S. 182) und Jutuma (S. 183), solche Wohnhäuser in der
Stadt erbaute. Die Anlage des Gotteshauses geschieht in fest bestimm-
ten Formen. Bei der Wahl der Örtlichkeit kommen bestimmte sacrale
Rücksichten in Betracht, indem z. B. der Kriegsgott Mars seine Tempel
ausserhalb des Pomeriums (S. 133) erhält und ebenso wenigstens in älterer
Zeit (S. 55) landfremde Gottheiten von der Innenstadt ausgeschlossen sind,
während man andererseits das Haus eines der alten Götter gern in un-
mittelbarer Nähe oder an der Stelle seines ursprünglichen fanütn erbaut.^)
Der Tempel soll in der Regel nach allen Seiten hin freiliegen,') und in
der grossen Mehrzahl der Fälle geschieht die Absteckung des Grundplanes
unter Heranziehung der Augum (s. unten § 68), die unter Wahrung der
komplizierten Vorschriften ihrer Wissenschaft und mit Anwendung be-
stimmter Spruchformeln einerseits die Örtlichkeit von allen etwa sonst auf
ihr ruhenden sacralen Ansprüchen und Verpflichtungen befreien,') anderer-
seits sie durch genaue Bezeichnung der Grenzlinien gewissermassen aus
dem umgebenden Terrain herausschneiden.^) Alle Gotteshäuser, die in
dieser Weise inauguriert sind,^) haben rechteckigen Grundriss und es
kommt ihnen Name und Qualität eines templum zu (s. darüber § 68); sie
sind damit zur Verwendung für bestimmte staatliche Zwecke, die nur in
loco per augurem constüuto, quod templum appellaretur (Gell. XIV 7, 7), wahr-
genommen werden konnten, geeignet,^) aber ihre Rechtsstellung unter den
loca Sacra erfährt dadurch keine Veränderung; denn wenn seit Augustus
') £. AusT, De aedibus sacris S. 50 ff.
') Daher hatte Varro die Ansicht auf-
gesteUt ideo loca sacra civitates habere
voluisse, ne per conünua aedifida incendia
prolaberentwr et ut esset quo confugerent
plerique cum famüia sua in periculis (Serv.
Aen. II 512). Was VitruT. IV 5 (vgl. Hygin.
Grom. lat. I p. 169 f.) Aber Teippelorientie-
rang lehrt, Jf^ ^"^ römische 'N^rhältnisse
in keiner Weise und stammt jedenfalls
aus einem griechischen Handbuch; Nissens
geistreiche Theorie (Templum S. 162 ff., dazu
Rhein. Mus. XXVIII 513 ff. XXIX 369 ff.)
von einer Orientierung der Tempel nach
dem Sonnenaufgangspunkte des Stiftungs-
tages leidet an der verhängnisvollen Unklar-
heit darüber, welcher Tag der Stiftungstag
ist; denn die Festlegung der Regionen des
Tempels musste doch bei der Inauguration,
also vor Inangrifihahme des Baues erfolgen,
der fiberlieferte Stiftungstag aber ist durch-
weg der der Dedication nach vollendetem
Bau (vgl. JoRDAK, Ephem. epigr. I p. 233).
Vor allem aber sind alle Fälle, in denen es
in neuerer Zeit gelungen ist, die frfiher un-
bekannten Inhaber bestimmter, ihrer Lage
nach bekannter Tempel mit Sicherheit fest-
zustellen und eine Probe auf die Richtigkeit
von NissBNS Hypothese zu machen, gegen
ihn ausgeschlagen.
') Das ist die exaugtirtttio älterer Heilig-
tümer, die z. B. b^im Bau des Capitols er-
folgte (Gate bei Fest. p. 162. Liv. I 55, 2 f.
V54, 7. Serv. Aen. II 351).
*) Serv. Aen. I 446 antigui enim aedes
sacras ita templa faciebant, ut prius per
augures locus liberaretur effareturque, tum
demum a pontificibus consecraretur ac post
ibidem sacra edicerentur. Yarro de 1. 1. VI. 53
effari templa dicuntur ab auguribus, effantur
qui in his fines stmt. Man muss effatus im
Sinne von fando exemptus fassen, vgl. Fest,
p. 157 locus ita effatus aut ita saeptus. Liv.
X 37, 15 locus templo effatus. Varro de 1. 1.
VII 8 quibusdam conceptis verbis finüus,
') Dass es die Mehrzahl war, sagt Varro
de 1. 1. VII 10 quod in wrbe Borna pleraeque
aedes sacrae sunt templa und bei Gell. XIV
7, 7 non omnes aedes sacras templa esse et
ne aedem quidem Vestae templum esse (vgl.
Serv. Aen. VTI 153). Rundtempel wie der der
Vesta konnten ja keine templa sein, ob alle
Gotteshäuser mit rechteckigem Grundrisse
es waren, ist schwer zu entscheiden.
') Insbesondere zu Senatssitzungen, s.
MoKMSEN, Staatsr. III 926 ff,
26»
404
Religion und Knltna der ROmer. m. Enltna.
es üblich wird, die vom Kaiser in solo private erbauten Gotteshäuser als
templa von den aedes sacrae des Staates zu unterscheiden,^) so ist das nur
eine willkürliche Differenzierung in der Anwendung der beiden nach und
nach so gut wie identisch gewordenen Ausdrücke und hat mit der tech-
nischen Bedeutung von templum nichts mehr zu thun.') Ist das Tempel-
gebäude im Bau fertig gestellt, so erfolgt die Dedication durch den dazu
befugten oder eigens dazu bestellten Magistrat (oben S. 338 f.) unter Assi-
stenz des Pontifex Maximus oder eines der Pontifices, der ihm die Formel
vorspricht (oben S. 331), wobei beide mit den Händen die Thürpfosten be-
rühren.^) Mit der Aussprache der sollemnia pontificcUis carminis verba
(Seneca cons. ad Marc. 13, 1) durch den Magistrat vollzieht sich die conse-
oratio, indem die Gemeinde sich ihres Eigentumsrechtes zu Gunsten der
Gottheit entäussert und der Tempel Eigentum der Gottheit, also res sacra^
wird.^) Diese Dedicationsformel enthält nicht nur die Angabe des Em-
pföngers, des Dedicierenden und der Grenzen der überwiesenen Eultstätte,^)
sondern auch die näheren Bedingungen der Überweisung,*) d. h. das für
den Tempeldienst in Zukunft geltende Statut {lex dedicationis)^ für das bei
manchen Abweichungen im einzelnen doch ein einheitliches Formular zu
Grunde gelegt zu werden pflegt. '') Das Musterexemplar ist die lex arae
Dianae in Aventino (oben S. 34), auf die für alle allgemein geltenden Be-
stimmungen einfach verwiesen wird,^) nur neu hinzutretende oder ab-
weichende Festsetzungen werden eigens formuliert. Sie beziehen sich auf
Schutz des Heiligtums gegen profane Inanspruchnahme, Verletzung und
Beraubung,") auf die vermögensrechtliche Behandlung der Gaben und Weih-
geschenke, ^<') auf Zulässigkeit oder ünstatthaftigkeit bestimmter Opfer und
») Jordan, Hermes XIV 567 flf.; vgl.
MoMMSBn, Res gestae divi Augusti ' p. 78 f.
') Wenn zuweilen aedes als der engere
Begriff neben templum gebraucht wird (CIL
VI 10234, 8. 10. 23 in femplo Divorum in
aede Divi Tili. Rom. Inschrift Bull. com. XV
1887, 223 aedem ipsius [des Silvanus] mar-
moratam a solo sua pecunia fecit et templum
marmoris stravit idemq(ue) dedic(avit)) , so
bedeutet templum das ganze Gfotteshaus,
aedes eine innerhalb desselben aufgestellte
Kapelle.
• ») postem tenere Liv. II 8, 7 f. Plut.
Popl. 14 (vgl. Val. Max. V 10, 1. Seneca con-
sol. ad Marc. 13, 1). Gic. de domo 133 (vgl.
119. 121). Serv. Georg. III 16.
^) Das vollständige Material bei Wis-
sowA, Real-Encycl. IV 896 ff. 2356 ff.
*) z. B. olleis legibus illeis regionibus,
utei extrema [fjundafmenta sunt] lapide
facta Jioiusque aedis ergo uteique ad eam
aedem scdlasque lapiie stfrjuctob [strujen-
dfas] columnae stant citra scalas ad aedem
verstis stipitesque aedis hufiusj tabulamenta-
que CIL IX 3513.
•) in dedicatione et quis dedicet et quid
et quo modo quaeritur Cic. de domo 127.
^) Im ausfahrlichen Wortlaute erhalten
I
sind insbesondere die lex der aedes lovis Liberi
zu Purfo vom 13. Juli 696 = 58 v. Chr. (CIL
IX 3513 = Furf.), der ara Augusti zu Narbe
vom 22. Okt. 12 n. Chr. (CIL X II 4333 = Narb.)
und der ara lovis zu Salona vom 9. Okt. 137
(CIL m 1933 = Salon.); mehr oben S. 6 A. 1 ;
vgl. dazu Jobdan, Erit. Beitr. z. Gesch. d. lat.
Sprache S. 250 ff. Ruogibbo, Dizion. epigr. I
149 ff. Das Nichtvorhandensein einer solchen
lex wird als auffallend eigens angemerkt:
huius (der Ops) aedis lex nuUa exstat neque
templum habeat necne scitur, Fest p. 189.
^) eeterae leges huic arae eaedem sunto,
q'uae arae Dianae sunt in Aventino monte
dictae Salon. Narb.; vgl. CIL XI 361.
') CIL VI 826: hoc lege dedicata est
(ara), ne cui liceat intra hos terminos aedi-
ficium extruere, manere, negotiari, arboreni
ponere aiiudve quid serere. Dahin gehören
auch die Ausnahmen von dem Verbote, irgend
etwas zum Heiligtum Gehörendes zu ent-
fernen oder zu vernichten: si quis tergere
Omare reficere volet, quod beneficii causa
fiat, iu8 fasque esto Narb., vgl. Furf.
*°) Si quis huic arae donum dare au-
gereque volet, liceto, eademq(ue) lex ei dono
esto, quae huic arae est Narb., ausftthrlicher
Furf. (s. oben S. 361 A. 9).
65. Die Oertliohkeiton des EnltiiB.
405
Sacralhandlungen,^ auf Zulassung oder Ausschluss einzelner Klassen von
Personen,') auf die Sportein') und die Beobachtung bestimmter Ritual-
vorschriften,^) endlich auf die dem Tempel etwa zustehenden Privilegien,**^)
wie z.B. das Asylrecht;*) alles, was uns über rituelle Eigentümlichkeiten
mancher Kulte und Heiligtümer berichtet wird, geht in letzter Linie
auf die betreffenden leges dedkationis zurück. Auch über die von Staats-
wegen bei dem Tempel regelmässig darzubringenden Opfer und sonstigen
Festlichkeiten enthält die lex dedicationis die nötigen Anordnungen,^) doch
erübrigen sich solche, falls — wie es bei den meisten Tempeln der Fall
war — nur einmal alljährlich, nämlich am Stiftungstage, ein Staatsopfer
dargebracht wurde, dessen Beschaffenheit vielleicht auch bereits in der lex
arae Dianae allgemein geregelt war. Denn alle aedes sacrae begehen die
Wiederkehr des Tages, an dem die Dedication erfolgte, als ihres natalis ^)
durch ein 8<icrificium publicum,^) dessen Darbringung — soweit nicht für
den betreffenden Gottesdienst eigene Priester oder Genossenschaften be-
stellt sind — jedenfalls den Pontifices oder ihrem ünterpersonal (s. darüber
unten § 67) oblag: obwohl durch diese Opferhandlungen der sacralrecht-
liche Charakter des Tages nicht affiziert wird, verzeichnen doch die jüngeren
Zusätze der Steinkalender sie ebenso wie die epula, ludi und merkatus in
ganz bestimmter Form,^^) mit Angabe des Gottes und der Örtlichkeit: lano
^) Si quis hie JiOsHa acicrum fcLxit, quod
magmentum nee protoUcU, ücirco tarnen
probe factum esto Salon. Narb. YorschrifteD
dieser Art sind in grosser Zahl überliefert,
es gehört dahin z. B. das Verbot des Lee-
tistemium bei der Ära Maxima (S. 224).
') z. B. der Ansschluss der Weiber vom
Gottesdienste der Ära Maxima (S. 227), der
Männer vom Tempel der Bona Dea (S. 178),
der unfreien von dem der Mater Matnta
(S. 98) und sonst (oben S. 338 A. 6).
*) Sei quei ad hoe templum rem dei-
vinam fecerit lovi Libero aut lovia Genta,
pdleis eoria fanei stmto Forf.
*) z. B. Varro de 1. 1. VIl 84 in aliquot
aacria et sacellis scriptum Jiabemu8 ne quod
scorteum adhibeatur (vgl. oben S. 181 A. 5).
*) Eine lange Reihe solcher Privilegien
enthielt die lex templi Martis Ultoris, ans
der Gass. Dio LV 10, 2—5 (vgl. Suet. Aug. 29)
einen Auszug gibt (s. oben S. 70).
*) Serv. Aen. II 761 : hoc autem (asylum)
non est in omnibus templis nisi quibua con-
secrationis lege conceasum est. Die Einrich-
tung ist entschieden unrOmisch (über das
angebliche Asyl des Romulus s. Schwbolsb,
Rom. Gesch. 1 464 ff.), wir begegnen ihr beim
griechischen Tempel der Geres (Varro bei
Non. p. 44) und bei dem des Divus Julius
(Cass. Dio XLVn 19, 2).
') In der Inschrift von Narbo steht die
Aufzfthlung der Jahresfeste zwar nicht im
Texte der lex dedicationis, aber in dem des
Votum auf der Vorderseite des Steines.
') Gic. ad Att. IV 1, 4: idem natalis erat
et Brundisinae eoloniae et tuae vieinae Sa-
lutis. Ovid. fast. ÜI 837 f.: Captae delubra
Minervae, quae dea natali coepit habere suo
(vgl. III 812). Amob. Vü 32: Tellwris natalis
est) vgl. TertuU. de idol. 11. Lact inst. VI
20, 34. Sehr häufig findet sich diese Be-
zeichnung im Kalender des Philocalus, der
die Stiftungstage, soweit sie noch oAziell
anerkannt sind, in den meisten Fftllen (über
Ausnahmen s. oben S. 391 A. 1) mit derselben
Note (N- = n(atalis)) versieht, wie die Ge-
burtstage der konsekrierten Kaiser, z. B.
n(ataiis) Minerves (21. Mftrz), n(atalis) Mer-
curi (15. Mai), n(atalis) M%iLsarum (18. Juni),
n(atcdis) Dianes (18. August), n(atal\s) Äs-
clepi (11. Sept.) u. a. Sonst findet sich die
gleiche Bezeichnung — abgesehen von dem
n(atälis) ürbis an den ParHien — noch in den
beiden Beischriften n(atalis) ehartis (25. Jan.)
und n(atalis) annonis (17. Mai), über deren
Bedeutung Momxsbn GIL P p. 308. 818 zu
vergleichen ist.
') Diese Bezeichnung gebrauchen die
Fasti Vallenses (GIL I* p. 240) zum 5. August
{Sdluti in coUe Quirinali sacrifidum publi-
cum) und 8. August (8ol(is) indigitis in coUe
Quirinale sacrifidum publicum); bloss sacri-
fidum ebd. zum 21. und 27. August.
*^) Dass auch diese jflngeren Zusätze
der Steinkalender auf ein orazielles Exemplar
zurückgehen, was Mommsbr GIL I* p. 303
in Abrede stellt, scheint mir bei der grossen
üebereinstimmung der einzelnen erhaltenen
Kalender untereinander in Inhalt und Form
(nur die Fasti Praenestini geben, da sie die
Form eines gelehrten Kommentars tragen,
ein anderes Bild, in dem aber anch noch
406
Religion und Kultus der BOmer. m. Enltiui.
ad theatrum MarcellU) Bei der Wahl des Stiftungstages hat man sich
insofern an eine gewisse Norm gebunden, als man die Dedication von
Tempeln der Götter ältester Ordnung, die eigene feriae besassen, eben an
ihrem Festtage vornahm, so dass von nun an die feriae publicae und das
Tempelopfer auf einen Tag fielen: beide Akte werden in den Kalendern
deutlich geschieden in der Form OP^L{ia), fer(iae) Opi, Opi ad forum.^) Der
Stiftungstag konnte eine Änderung erfahren, wenn der Tempel, nachdem
er verfallen oder zerstört worden war, von Qrund auf (a solo) wiederher-
gestellt wurde : es erfolgte dabei freilich keine neue Consecration, da diese
am Boden haftete und durch die Beseitigung des Gebäudes nicht aufgehoben
war (s. oben S. 400 A. 1), aber das Gebäude war ein neues ') und wurde
neu dediciert, und der Tag dieser letzten Dedication wurde von nun an
als Jahrestag des Tempels begangen: hatte man nicht absichtlich die Neu-
einweihung auf den alten Stiftungstag gelegt — was gewiss oft geschehen
ist — , so wurde nunmehr dieser aus dem offiziellen Verzeichnisse der
Staatsopfer getilgt und der neue dafür eingesetzt.^) Bei drei Altären der
augusteischen Zeit (4. Juli Fax Augusta, 10. August Ceres Mater und Ops
Augusta, 12. Oktober Fortuna Redux) wurde ausser dem Dedicationstage
(der von dem Doppelaltare der Geres und Ops zufällig nicht überliefert
ist) auch derjenige Tag als Jahresfest (und zwar als volle feriae s. oben
S. 378 f.) begangen, an dem der Beschlus? ihrer Errichtung gefasst worden
war {quod . . ara . . constituta est lautet die Formel), doch waren das nicht
sowohl sacrale als politische Gedenktage zur Erinnerung an die Anlässe,
welche die betrefiTenden Beschlüsse herbeigeführt hatten.^)
Der Tempel selbst ist gedacht als die Wohnstätte der Gottheit: auf
dem Vorplätze vor dem Eingange liegt der massive Opferaltar,*) das Tempel-
haus umschliesst das Götterbild sowie das Besitztum des Gottes, den
heiligen Hausrat {sacra suppellex), zu dem namentlich die Opfertische
(mensae)'') und tragbaren Feuerherde (foci)^) gehören, femer die Opfei^
die Züge der Vorlage m erkennen sind) nicht
zu bezweifeln; dieses offizielle Exemplar gab
jedenfalls die Tempelopfer vollständig, die
Willkürlichkeit der Aaswahl liegt erst bei
den Redaktoren der einzelnen Steinkalender
(über die Fasti Maffeiani s. oben S. 259 A. 8).
^) Nar in seltenen Ausnahmefällen be-
ziehen sich die in dieser Form gegebenen No-
tizen, für welche die Fasti Praenestini auch die
ausfEihrlichere Formulierung bieten lunfojni
Lucinae Efsjquüns quod eo die aedia eitM
Idedicajta est per maironas u. ähnl., auf an-
dere als die Stiftungsfeiern ; eine sichere Aus-
nahme ist das Eollektivopfer an die in Feuers-
nöten hilfreichen Gottheiten am 28. August
(S. 185), ebenso wahrscheinlich das Opfer
lAmae in Ghraecostfasi) am 24. August (S. 262),
die gemeinsame Feier für Genius publicus,
Fausta Felicitas und Venus Victrix inÖapüolio
am 9. Oki (S. 157) und das nur von Ovid
(fast. III 881 f.) erwfthnte Opfer an Janus,
Conoordia, Salus und Pax am 80. März (S. 278).
*) AüST, De aedibus sacris p. 34 ff.,
dessen Aufstellungen inzwischen in mehreren
Punkten durch neu gefandene Zeugnisse be-
stätigt worden sind. Ueber Veranlassungen
zur Durchbrechung der allgemeinen Norm
B. WissowA, Analecta Rom. topogr. p. 13 f.
*) fecif nicht re/*ect, sagt Augustus im
Monum. Anc. 4, 8 von seinen Wiederherstel-
lungen älterer Tempel.
^) Erwiesen von Ausr a. a. 0. p. 44 ff.
gegen Jordan, Ephem. epigr. I p. 235 ff.
^) Ueber die falsche Annahme, dass
auch für den alten Tempel der Fortuna
Muliebris an der Via Latina (oben S. 207 f.)
sowohl der Tag der Constitution wie der
der Dedication überliefert sei vgl. Wissowa
a. a. 0. p. 15 f.
') Mahquasdt, Staatsverwalt. III 163.
E. Rbisoh bei Fault- Wissowa, Real-Enoycl.
I 1650 f.
') Fest. p. 157 : menscte in aedüms sacris
ararum vicem ohtinent. Macr. S. in 11, 5 f.
Serv. Aen. VllI 279.
8) Serv. Aen. HI 134: Vairro rerum dwi-
65. Die Oertliohkeiten des Kvltiui.
407
gefässe (vasa) und sonstigen Gerätschaften, in den auf sibyllinische An-
ordnung geweihten (später auch in anderen) Tempeln auch das pulvinar,
d. h. das für die öffentliche Speisung des Götterbildes hergerichtete Polster. >)
Diese ganze Ausstattung (instrumentum) wird zugleich mit dem Tempel
consecriert und ist unveräusserliches Göttergut; dazu kommt dann als
omamentum der sich allmählig ansammelnde Vorrat von Weihgeschenken,')
dessen rechtliche Behandlung durch die lex dedicationis geregelt wird (oben
S. 404 A. 10). Die Aufwartung beim Gotte liegt dem aedüuus^) ob, der beim
Tempel wohnt ^) und die gesamte Verwaltung desselben von der Reinigung
des Tempels bis zur Aufsicht über das Tempelgut und die etwa dort
niedergelegten Dokumente und Wertstücke^) zu führen hat:®) von wem
und auf welche Zeitdauer er bestellt wird, ist unbekannt, er untersteht
aber denjenigen Magistraten, denen die cura aedium sacrarum anvertraut
ist.^) Da der Tempel, abgesehen von dem Opfer am Stiftungstage und
sonstigen etwa durch die lex dedicationis angeordneten Feiern, geschlossen
ist, ist es die Hauptaufgabe des Aedituus, den Zutritt zum Tempel zu
regeln; er lässt Privatleute, die etwa ein Gelübde an den Gott des Tempels
narum . . refert, inter sacratM araa focos
quoque sacrari solere, %U in Capüolio lovi
lunoni Minervae nee minus in pluribus
urbtlms oppidisque, et id tarn publice quam
privatim solere fieri . . . nee licere vel pri-
vata vel publica sacra sine foeo fieri (vgl.
dazu oben S. 351 A. 6 und S. 352 A. 2). üeber
die Verwendung der foci s. Hbnzsn, Acta
fratr. Arval. S. 93.
*) So weiht die Yestalin Licinia der
Bona Dea aram et aediciUam et pulvinar
(Cic. de domo 136); von Caesar heisst es
bei Cic. Phil. II 110 (vgl. Suet. Caes. 76) ut
haberet pulvinar simulacrum fastigium fla-
mvnem,
') Macr. S. m 11, 6: namque in fanis
alia vaaarum sunt et sacrae suppeÜectilis,
alia omamentorum. quae vasorum stmt, in-
strumenti instar hcibent, quibus semper sacri-
ficia conficiuntur; quarum rerum principem
locum obtinet mensa, in qua epulae liba-
tionesque et stipes repornrntttr, omamenta
vero sunt clipei, coronae et huiuscemodi
donaria; neque enim dedicantur eo tempore,
quo delubra sacrantur, at vero mensa aru-
laeque eodem die, quo aedes ipsae, dedicari
solent. unde mensa hoc ritu dedicata in
templo arae usum et rdigionem obtinet
puJvinaris, Vgl. Mommsbn, Staatsr. ü 58 f.
') Das Material vollständig bei Mah-
QUABDT, Comment. Mommsen. S. 378 ff. und
Staatsverw. IH 214 ff. D. Vaolibri bei Ruo-
GiBRO, Dizion. epigr. I 271 ff. P. Habbl bei
Pauly-Wissowa, Real-Encycl. I 465 f. Die
von Mabquabot aufgestellte Unterscheidung
zweier dem Range und Personalstande nach
verschiedener Arten von Aeditui {aedüwi
magistri und ministri CIL VI 2212 f.) wird von
Vaglibbi und Habbl mit Recht verworfen.
üeber die von Mabquabdt fälschlich mit
den aeditui identifizierten magistri ad fana
templa ddubra der Lex Col. Jul. Genet
c. 128 vgl. L. Ohkbssbit, Philol. XLIV 527 ff.
*) So schon in der Argeerurkunde bei
Varro de 1. 1. V 52: apud aedem Dii Fidü
in delübro, ubi aeditumus habere solet. Mehr
bei Mabquabdt, Staatsverw. III 216, 6.
») Digest. XXXI 77, 26. XLIU 5, 3, 3.
XLVIII 13, 11, 2. Serv. Aen. IX 645. üeber
die strafrechtliche Behandlung des Diebstahls
an solchen res privatorum in aedem sacram
depositae (Dig. XLVIII 13, 6) vgl. Mommsen,
Strafr. S. 762 f. Nur beim Tempel der Vesta
nahmen die Vestalinnen selbst wichtige Do-
kumente zur Aufbewahrung (wahrscheinlich
nicht im Tempel, sondern im Atrium Vestae,
s. Jobdan, Tempel der Vesta S. 72 A. 1) ent-
gegen, Suet. Caes. 83; Aug. 101. Tac. ann. 1 8.
Cass. Dio XLVIII 37, 1. Appian. b. c. V 73.
Plut. Anton. 58.
') Paul. p. 13: aedis sacrae tuitor, id
est cur am agens, Varro de 1. 1. VII 12: qui
curat aedes sacras (vgl. VIII 61). Gell. Xli
10, 5: qui aedibus praeest. Der Ausdruck
custos aedis im Sinne von aedituus findet
sich für die Tempelhttter militärischer Cor-
pora (CIL III 1158. 5822. IX 1609), in der
stadtrbmischen Inschrift CIL VI 435 beruht
er auf unsicherer Erg&nzimg; der curatoi-
templi CIL VI 406 gehOrt zu einem Doli-
chenusheiligtume, konmit also für die amt-
liche Nomendatiur nicht in Betracht
') Der aedituus aedis TeUuris L. Fun-
dilius arcessihts erat ab aedUe, cuius pro-
cwatio huius templi erat (Varro de re rust.
I 2, 2; über die Aedilen als Träger der sa-
crarum aedium procurtxHo s. Cic. Verr. V 36.
Varro de 1. L V 81. Paul. p. 13).
408
Religion und Kultiu der Römer, m. Kultus.
einzulösen haben, gegen Erlegung der vorgeschriebenen Gebühren (S. 343
A. 9) und unter Anwendung der Spezialvorschriften des Tempelstatutes
zum Opfer zu^) und öffnet auch auf Verfügung der zuständigen Magi-
strate ausserordentlicher Weise den Tempel zur allgemeinen Benützung,^)
soweit nicht die Eultvorschriften (z. B. beim Vestatempel, S. 143) dem ent-
gegenstehen; die Funktion als Hausverwalter erfüllt er auch dadurch,
dass er etwa im Bereiche seines Tempels vorfallende Prodigien meldet.')
Die Heiligtümer privater Weihung, mögen sie von Einzelpersonen
oder von Geschlechtsverbänden, CoUegien, Kultgenossenschaften, militäri-
schen Corpora u. s. w. errichtet sein, folgen wie in der Benennung (sacellum,
aedicula, aedes) und baulichen Anlage, so auch im ganzen Ceremoniell der
Analogie der Staatstempel: die Dedication wird vom Weihenden oder von
den befugten Vertretern der weihenden Corporation vollzogen, das Heilig-
tum steht unter einem besonderen Statut (lex)^) und feiert seinen natalis,^)
Da aber die private Dedication eine consecratio nicht im Gefolge hat,^)
gehören diese Eultstätten nicht zu den loca sacra, sie werden sacralrecht-
lich in die Klasse der profana gerechnet. '') Sie fallen aber in eine andere
Kategorie, die ebenso neben den loca sacra (fana) und profana steht, wie
die dies rdigiosi neben der Scheidung in dies fasti und nefasti (oben S. 376),
sie sind mit einer religio behaftet, die sie zwar zunächst nicht rechtlich,
aber doch thatsächlich in derselben Weise ausser Verkehr {extra commercium)
setzt, wie die loca sacra.^) Dies gilt ausser von den Privatheiligtümern ^) und
den ausserhalb des solum Italicum gelegenen (oben S. 344 A. 7) Tempeln ^^)
>) Seneca episf^. 41, 1: non sunt ad
cckelum elevandae maniM nee exonmdus
aedituuSf tut nos ad aurem simülacri qwm
magis exaudiri possimus admittat.
') Liv. XXX 17, 6: iUique praetor ex-
templo edixit, uti aedüui aedea sacraa tota
urbe aperirent; vgl. oben S. 358 A. 8.
') Liv. XLIII 13, 4 f.: m urhe Bomana
duo aedüui nuntiaruntf alter in aede For-
tunae anginem iubatum a compluribiis visum
esse, alter in aede Fortunae Primigeniae,
quae in colle est, duo diversa prodigia,
*) 2. B. CIL XI 944: Äninia Sex, l(iberta)
Ge lunonihtts hanc aram locumque iia legi-
bus dedicavit: si quis sarcire reficere omar(e)
coronar(e) volet, licet(o). si quit sacrifici
quo volet ferre et ibi iM volet uti, sine sce-
lere sine fraude lic[et(o)J. Vgl. CIL V Suppl.
Ital. 1273.
°) Lehrreich dafOr sind die inschriftlich
erhaltenen Statuten des collegium salutare
cuUorum Dianae et Äntinoi zu Lanuvium
(CIL XIV 2112 II 11 f. 30 f.) und des römi-
schen collegium Äesculapi et Hygiae (CIL VI
10234, 11), auch die Inschrift eines coüegium
Silvani CIL X 444.
*) Dass missbräuchlich zuweilen das
Verbum consecrare anstatt oder neben dedi-
care auch von privater Weihung gebraucht
wird (z. B. CIL VI 360. X 444, 21. XI 1322.
4174. Catull.frg. 1,1 Schwabe u.a.), beweist
natürlich nichts dagegen.
^) Marcian. Dig. I 8, 6, 3: si quis ergo
privatim sibi sacrum constituerit, sacrum
non est sed profanum. Fest. p. 321 : si qua
Sacra suscepta sunt, quae ex instüuto pon-
tificum stato die aut certo loco facienda sint,
ea Sacra appellari tamquam sacrificium, tue
locuSf ubi ea sacra privata facienda sunt,
vix videtur sacer esse (d. h. der Name sacra
bezieht sich hier nur auf die Opferhandlung,
nicht auf die Rechtsstellung der Oertlich-
keit); s. oben S. 323 A. 2.
^) Fest. p. 278 (aus Aelius Gallus) : idem
religiosum quoqtie esse, quoniam sit aliquid,
qtMd ibi homini facere non liceat; quod ei
faciat, adversiM deorum voluntatem vtdeatur
facere. Masur. Sabin, bei Qell. IV 9, 8 (vgl.
Macr. S. III 3, 8): religiosum est, quod propter
sanctitatem aliquam remotum ac seposUum
a nobis est.
*) Das nach Cic. de har. resp. 32 von
Piso kassierte maximum et sanctissimum
Dianae saceUum in Caeliculo war ein Heilig-
tum des Qentilkultes, also privat, ebenso
jedenfalls die HeiligtOmer, von denen es ebd.
heisst: a Sex. Serrano sanctissima saeeUa
suffossa inaedificata oppressa summa deni-
que turpitudine foedata esse nescimusi dass
dabei nicht das ius sacrum, sondern die
religio verletzt wurde, zeigen die Worte
§ 38: tu meam domum religiosam facere
potuisti?
^^) Plin. ep. ad Trai. 71 heisst es von
66. Die Oertliohkeiten des Knltua.
409
auch von den Blitzgräbern oder bidentalia,^) femer von manchen durch
verhängnisvolle Ereignisse der Vorzeit gekennzeichneten Örtlichkeiten der
Stadt,*) vor allem aber von den Gräbern, die so sehr den Hauptbestand-
teil der loca religiosa ausmachen, dass die Juristen der Kaiserzeit gemein-
hin unter diesem Ausdrucke nur sie verstehen. 3) Für sie allein ist auch
an die Stelle der blossen Warnung vor Versündigung durch Beschädigung
oder profane Benützung ein wirklicher privatrechtlicher Schutz getreten.*)
Es hat sich auf diese Weise ein recht kompliziertes Gräberrecht ^) heraus-
gebildet, indem einerseits das Privatrecht die res religiosae ebenso von
Besitz, Veräusserung, überhaupt vom ganzen Rechtsverkehr ausschliesst,
wie die res sacrae,^) und ausserdem die Verletzung des Grabes (nicht
nur durch böswillige Beschädigung, sondern auch durch Einrichtung zur
Wohnstätte oder durch Bestattung eines nicht dafür zugelassenen Toten)
unter eine praetorische Deliktsklage stellt,^) andererseits aber die Ponti-
fices ein weitgehendes Aufsichtsrecht über das gesamte Gräberwesen aus-
üben, so dass ihre Genehmigung zur Anlage von Gräbern,^) zu baulichen
Veränderungen an ihnen, soweit durch sie die Lage der Leiche berührt
wird,^) und zu der Überführung der Leiche in eine andere Grabstätte ^<')
einer (privaten) (tedes Claudii in Prosa:
nam 8% facta est, licet collapsa sit, religio
eins occupavit solum; vgl. Gai. 11 7*: proprie
socrutn nan est, tarnen pro sacro habetur,
*) Panl. p. 92: frdguritum . . . qui locus
statim fieri putabatur religiostut ; dalier triste
bidental Her. a. p. 471. Pers. 2, 27.
') z. B. die Stelle, wo das Bild des vom
Feldherm devovierten aber nicht gefaUenen
Bürgers vergraben war (Liv. Vni 10, 12;
vgl. oben S. 322 A. 3); über den loctM qui
vocatur DcUola ad Cluacam maxutnam s.
Varro de 1. 1. V 157 : Numae Pompüii religiosa
quaedam post mortem eius infossa. Anderes
(zum Teil unsicheres) bei Mbbkbl, Proleg.
ad Ovid. fast. d. CXLV ff., vgl. LObbebt,
Comment. pontinc. p. 52 f.
*) Schon bei Aelius Gallus (Festp. 278)
sind die Beispiele für sacrum, eanctum,
religiosum — aedificium consecratum deo,
murus, septUcrum in quo mortuus sepultus
aut humatus sit. Dann definiert Qaius II 4
religiosae res, quae dis manibus relictae sunt
(s. oben S. 400 A. 2) und erklärt das II 6
religiosum (locum) nostra voluntate facimus
mortuufti inferentes in locum nostrum, si
modo eius mortui funus ad nos pertineat
(ebenso Instit. II 1,9. Marcian. Dig. 1 8, 6, 4).
Panl. sent. I 21, 7 vendito fundo religiosa
loca ad emptorem non transeunt nee in his
ius inferre mortuum habet,
*) A. Pbbviob, Sitz.-Ber. Akad. Berlin
1885, 1152 ff.
*) G. Fbbbini, De iure sepnlcromm apud
Romanos [aus dem Archivio giuridico], Bo-
noniae 1883. F. Wämser, De iure sepulcrali
Romanomm quid titnli doceant, Diss. v. Gies-
sen, Darmstadt 1887 (dort S. 2 auch ältere
Litteratur). Mommsbv, Zeitschr. d. Savigny-
Stift. XVI Rom. Abt. (1895) S. 203 ff.
*) z B. locum religiosum aut sacrum
fhon possumus possidere Paul. Digest. XLI 2,
80, 1; sacram vH religiosam rem vel usibus
publicis in perpetuum relictam . . . inutüiter
stipulor Paul Dig. XLV 1, 83, 5; ebenso Dig.
XVIII 1, 6 pr. XVm 1, 22. XVill 1, 62, 1.
Frontin. Grom. I p. 56. CIL X 3334. Vgl.
W. Rein, Privatr. u. Civilprozess der Rümer
S. 181 ff.
^) Praetor. Edict Dig. XLVU 12, 3 pr. :
cuius dolo malo sepulcrum violaium esse
dicetur, in eum in factum iudicium dabo
u. s. w. MoMMSEN, Strafr. S. 812 ff.
*) Erlaubnisurkunde mit dem fieri placet
des Promagister pontificum CIL VI 2120;
Anlage von Grabstätten ex permissu ponti-
ficum CIL IX 1729, «o; auctoritate et iudicio
pontificum VI 10675; ex permissu pontifi-
corum fecerunt stbi et suis ex decreto ponti-
ficum CIL VI 8875; auf Erlegung einer Ab-
gabe für die Erlaubnis weisen Wendungen
wie ex arca pontificum comparavit VI 10812;
empta olla ab arka publica VI 14413.
*) Ulpian. Dig. XI 8, 5, 1 : si religiosus
locus iam f actus sit, pontifices exphrare
debent, quatenus salva religione desiderio
reficiendi operis medendum sit (vgl. Marcian.
ebd. XLVII 12, 7: corruptum et lapsum
monumentum corporibus non contactis licet
reficere). CIL VI 2963: . . . petiit a ponti-
fices, ut sibi permitterent reficere n(ovum)
monumentum iuris sui. VI 22120: permissu
pontificum cc. tw. restituü.
'°) Paul. sent. I 21, l : ob incursum flu-
minis vel metum ruinae corpus iam per-
petuae sepulturae traditum sollemnibus red-
410
Religion und Kultus der Römer, m. Knltiui.
eingeholt werden muss. Diesem doppelten Rechtsstande entsprechend gibt
es für Verletzung des Grabes und seines Rechtes ausser der praetorischen
Deliktsklage auch eine andere Sühnung, indem der Stifter dem Schädiger
oder auch dem Käufer und Verkäufer des Grabes eine dem Aerarium oder
der arca pontificum zufallende Geldbusse (poena) androht, ^ über deren
Verwirkung eintretenden Falles das Pontificalcollegium entscheidet.')
Litteratar. £. Lübbbbt, Gommentationes pontifioales (1859) S. 1 ff. 70 ff. H. Job-
dan, Ueber die Aasdrücke aedea templum fanum delttbrum, Hermes XIV 1879, 567 ff.
Marquardt, Staats verw. III* 145 ff. 307 ff. £. Aust, De aedibus sacris populi Romani
inde a primis liberae reipublicae temporibus osque ad Augusti imperatoris aetatem Romae
conditis, Diss. Marpurgi 1889; Die stadtrOmischen Tempelgründongen der Eaiserzeit, Progr.
Frankfurt a. M. 1898. £. db Bügoibbo, Dizionario epigri^co I 139 — 202 {aedes, (udiculä).
594—607 (ara), S. auch Anhang IL
66. Die Priesterordnnng. Die römischen Staatspriester, sacerdotes
publici p. B. Quir.,^) sind nicht Vertreter der Gottheit in dem Sinne, dass
sie in deren Namen mit der Gemeinde und ihren Beamten zu verhandeln
und an ihrer Statt Rechtsgeschäfte abzuschliessen hätten, auch nicht Ver-
mittler zwischen Gottheit und Mensch, durch deren Hände der Verkehr
des Sterblichen mit der Gottheit gegangen wäre, sondern wie der ganze
Staatskult ein Zweig der Staatsverwaltung ist, so sind die Priester Organe
dieser Verwaltung, bestimmt zur Ausführung der laufenden, der Gemeinde
obliegenden Leistungen an die Gottheit und zur Pflege und Bewahrung
der für den Verkehr mit der Gottheit massgebenden Traditionen und
Satzungen. Zur Magistratur steht das Priestertum, seitdem die ursprüng-
lich in der Person des Königs gegebene Vereinigung von Gemeindeamt
und Gemein depriestertum aufgegeben ist, nach Rechtsstellung und Organi-
sation in ausgesprochenem Gegensätze;^) da die Abtrennung des Priester-
tums von der Magistratur vor allem durch das Bestreben veranlasst war,
die ungestörte Handhabung des regelmässigen Gottesdienstes besser zu
sichern, als dies bei den durch ihre Amtspflichten stark in Anspruch ge-
nommenen und oft von Rom ferngehaltenen Oberbeamten möglich war (s.
oben S. 339 A. 8), so muss ursprünglich die Priesterwürde mit der Magi-
stratur unvereinbar gewesen sein, ein Rechtssatz, der freilich in seiner
ganzen Strenge nur für den Rex sacrorum, mit starken Einschränkungen
düis sacrificiis per noctem in älium locum
transferri potest, CIL X 8259 enthält die
J^ontificale Erlaubnis zu einer solchen trana-
atio cadaveris; sie geschieht piactUo priiM
dato operis faciendi ove atra, ebenso CIL
VI 1884 reliquiae traiectae eius . . ex per-
missu collegii pontific(uin) piaculo facto;
vgl. auch CIL IX 4881 corpus pontificum
permfi88uj monimento in hoc tralfatum].
Die Erlaubnis wird auch vom Kaiser als
Pontifez maximus erteilt (CIL III 1812. VI
8878), in den Provinzen, deren Gräber nicht
loca religiosa sind, sondern nur pro religiosia
hdbentur (Gai. II 7), durch den Proconsul
(Plin. ad Trai. 68 f.).
0 Ueber solche Gräberbussen s. die
reichen Zusammenstellungen bei Wamsbr
a. a. 0. 8. 6 ff. 39 ff. ; dass ihre Ansetzung
auf genereller oder spezieller Genehmigung
der Pontifices beruhte, zeigt CIL VI 29909:
ne veneat, ne fiduciare liceat, nee de nomine
exire liceat secundum eententiaa pontificum
cc, w, 8(upra) 8(cripta8),
*) CIL VI 10284: alioquin 8Ü facultas
cuicumque ex famüia nostra adeundi per
querellam pontifices cc, w,, quorum de ea
re notio est, et poenam hs. L m. n. arcae
collegii eorum inferendorum exsequendi.
VI 10791 compellabitur a pontifices poenae
nomine ss. XXX n, Notiz, d. scavi 1885, 226
quisq(ui8) autem secus ara igne feeer(ü),
sciat se ad pontifices disputaturu(m),
') sacerdotes publici z. B. Liv. XXYI
28, 7. XUI 28, 10. Cic. de leg. II 20; Aber
die engere Beziehung dieses Ausdruckes nur
auf die Pontifices s. oben S. 840 A. 4.
*) MoHXSBN, Staatsr K 17 ff.
66. Die PriaBterordnung.
ui
noch für den Flamen Dialis und eine Zeit lang auch für die beiden andern
grossen Flamines in Geltung geblieben ist (unten § 67), 0 während er sich im
übrigen in das gerade Gegenteil verkehrte: denn die Bedeutung, die das
Priestertum für das öffentliche Leben gewonnen hat, beruht in erster Linie
darauf^ dass seine Träger zugleich die höchsten Staatsämter bekleideten
und damit im Senat die entscheidende Rolle spielten;') aber eine Erinnerung
an die frühere Incompatibilität von Magistratur und Priestertum hat sich
darin erhalten, dass die Priestertümer niemals (auch nicht als die politisch
bedeutsamsten von ihnen durch Yolkswahl vergeben wurden) in die offizielle
Rangliste der Amterfolge rechtlich eingeordnet worden sind, sondern als
incommensurabel neben den Magistraturen stehen.^) Höher als die Magi-
straturen gewertet wurden die Priesterstellen erst in der Kaiserzeit, als
die alten republikanischen Ämter unter Beibehaltung der stolzen Namen
zur thatsächlichen Bedeutungslosigkeit verkümmert waren>)
Der Bestellung besonderer Staatspriester ist eine Zeit vorausgegangen,
in welcher die Gemeinde die Ausübung der ihr zufallenden sacralen Ver-
pflichtungen innerhalb des Dienstes einer bestimmten Gottheit einem ein-
zelnen Geschlechte übertrug (oben S. 340), das dann aus seiner Mitte die
für die Ausführung der verschiedenen sacralen Akte geeigneten Personen
zu stellen hatte. Eine Priesterschaft wurde daraus erst, als nicht mehr
das ganze Geschlecht, sondern eine geschlossene Zahl von Einzelpersonen,
zunächst noch unter Beibehaltung der Bindung an ein bestimmtes Geschlecht,
Träger von sacralen Funktionen im Namen der Gemeinde wurde: die
Luperci enthalten in ihrer Bezeichnung als Quinctiales und Fabiani noch
eine Erinnerung an diesen Rechtszustand, ebenso liegt im Namen der
fratres Arvales und wohl auch des pater patratus bei den Fetialen der
Hinweis auf ehemalige Blutsgenossenschaft innerhalb der Priesterschaft.
Mit dem Aufgeben dieser gentilicischen Zusammengehörigkeit entstanden
dann die priesterlichen sodalüates, wie die sodales Titii, zuweilen ur-
sprünglich auf einen zwar nicht verwandtschaftlichen, aber lokalen Zu-
sammenhang ihrer Mitglieder basiert, wie die Salier vom Palatin und vom
Quirinal. Es ist allen priesterlichen Genossenschaften, mit Ausnahme der
^) Dem Salier gibt die Wahl zu einer
Magistratur das Recht zum Austritt (dass
Val. Max. I 1, 9 gtiamvis vacationem huius
officii honoris beneficio haberet so, nicht von
einem blossen Dispens von der Beteiligung
am Tanz zu verstehen ist, beweist CIL VI
1978, 2. 1980, 9, wonach der Consul gewor-
dene Salier austritt und sein Platz neu be-
setzt wird), zwingt ihn aber nicht dazu (Val.
Max. a. a. 0. Macr.S. III 14, 14); dass jedoch
die Pflichten des Saliers mit denen des Be-
amten in bedenklicher Weise in Kollision
geraten konnten, zeigt das Beispiel des
älteren Africanus, der im J. 564 = 190 als
Legat seines Bruders zu SOtftgiger Unthätig-
keit verurteilt war, weil er während der
Festzeit seiner Priesterschaft den Aufenthalt
nicht wechsebi durfte (Polyb. XXI 13, 10—12.
Liv. XXXVII 33, 6).
^) Gic. de domo 1 : cum muUa divinittu,
pontifices, a maioribua nostris invewta (Uque
instituta stmt, tum nihil prcteclarius, quam
quod eosdem et religionibus deorum immor-
tcUium et summae reipuhUctte praeesse vo^
luertmt, ut amplissimi et clarissimi cives
repüblica bene gerenda religiones, religioni'
bu8 sapienter interpretandis rem publicam
conservarent,
') Daher werden in den Cursus bonorum
in der Regel Magistraturen und Priester-
tümer in getrennten Reihen nebeneinander
aufgeführt, Mommbbn, Staatsr. I 544.
*) Tac. bist I 77: Otho pontificatua
auguraiusque honoratis iam senibus cumu-
lum dignitatis addidit Suet. Vitell. 5: non
solum hononhus verum et actcerdotiis am-
plissimis auctus. Seneca de ira III 81, 2.
Plin. ad Trai. 13. Uist. aug. Aurelian. 49, 6.
412
Religion und Knltiu» der Bömer. IIL Knltiui.
Fetiales, die als Vollzieher der völkerrechtlichen Sacralacte eine umfassende
und in mancher Hinsicht mit der der Pontifices und namentlich der Augum
vergleichbare Thätigkeit üben, das gemeinsam, dass ihnen nicht die Aus-
übung je eines Gottesdienstes im ganzen Umfange seiner Anforderungen,
sondern die Vollziehung bestimmter einzelner feierlicher Kulthandlungen
(des Lupercalienumlaufes, des Flurumganges, der Kriegstänze) zugewiesen
ist, und in dieser Wirksamkeit haben sie sicher lange schon neben dem
Gemeindepriestertum des Königs bestanden. Ihnen gegenüber stellen die
übrigen Priestertümer eine jüngere Schicht insofern dar, als sie zwar auch
noch in die Königszeit hinaufreichen, aber nicht als selbständige sacerdotia
populi Romani, sondern entweder als vom Könige bestellte und unter seiner
Verantwortung handelnde Vollzieher des Dienstes einzelner Gottheiten, wie
die Flamines und die Vestalinnen, oder als sachkundige Berater auf ver-
schiedenen Gebieten sacralen Lebens, wie die Pontifices und die Augum.
Erst mit dem Ende des Königtums wurden daraus zwei selbständige nicht
mehr auf gentilicischer Grundlage aufgebaute ^ coUegia sacerdotum,^) indem
die Augurn als Träger einer Spezialwissenschaft für sich blieben, die
Pontifices aber die Flamines, Vestalinnen und den an Stelle des Königs
getretenen Rex sacrorum mit sich zu einem gemeinsamen GoUegium ver-
einigten, das die gesamte priesterliche Thätigkeit des Königs auf sich
nahm ; daneben bestanden jene alten Sodalitäten für ihre Spezialfunktionen
weiter fort und wurde die ursprünglich wahrscheinlich nur von Fall zu
Fall bestellte unständige Kommission {Ilviri sacris fctciundis) für Auf-
schlagung und Ausdeutung der sibyllinischen Orakel zu einem neuen
Priestertume, das für den ganzen graecus ritus die Centralstelle bildete.
Weitere Neugründungen sind — abgesehen von der bedeutungslosen Ab-
zweigung der Illviri epulones vom PontificalcoUegium — bis zum Aus-
gange der Republik nicht erfolgt, die durch Erweiterung des Götterkreises
und Vermehrung der sacralen Leistungen neu erwachsenden Aufgaben
wurden entweder vom PontificalcoUegium übernommen oder durch mit
dem neuen Gottesdienste in Rom eingewanderte und nun staatlich aner-
kannte Sonderpriester erledigt oder endlich ad hoc gebildeten Kultgenossen-
') Sie stehen sogar im direkten Gegen-
satze zn den gentilicischen Priestergenossen-
schaften durch die Bestimmung, dass nicht
zwei Angehörige derselben (patricischen)
Gens dem gleichen CoUegium angehören
dürfen (Cass, Dio XXXIX 17, 1, dazu Babdt,
Priester der vier grossen CoUegien S. 34 ff. ;
für die Sodalitftten gilt der Grundsatz nicht,
denn bei den Saliern finden wir Vater und
Sohn gleichzeitig in der Priesterschaft, Val.
Max. I 1, 9); andererseits erinnert an die
früher in den Prieetertümem herrschende
Blutsverwandtschaft die — wenigstens als
Forderung — zwischen den Mitgliedern des
einzelnen Gollegiums bestehende Intimität
(Cic. epist. Ill 10, 9: - amplissimi sacerdotii
coUegium, in quo non modo amicitiam via-
lari apud maiores nostros fas non erat, sed
ne cooptari quidem aacerdotem licebat, qui
cuiquam ex collegio esset inimicus) und das
Pietätsverhältnis, das den einzelnen Priester
speziell mit demjenigen Kollegen verknüpft,
der ihn ins Amt eingeführt hat {et cooptatum
me ah eo m collegium . , , et inauguratum
ah eodetn, ex quo augt^rum instituits in
parentis eum loco colere dehebam Cic. Brut. 1).
') Die Bezeichnung als coUegium be-
schränkt sich zunächst im strengen Sinne
auf Pontifices und Augures im Gegensätze
sowohl zur Magistratur (Mommsen, Staatsr.
I 32) wie zu den priesterlichen SodaUtftten
(ungenau collegium fetialium Liv. XXXVI
3, 7; collegium saliorum Val. Max. I 1. 9);
die Decemviri sacris faciundis und Tresviri
epulones sind erst durch ihre äusserliche
Gleichstellung mit dem Pontificat und Augurat
mit unter den Begriff der collegia gezogen
worden ; vgl. auch Mommsbn, Staatsr. III 999, 3.
66. Die FrieBterordnimg.
413
Schäften (coüegia) übertragen, die, ebenso wie früher die Geschlechter,
staatliche Eultakte vollzogen, ohne ihrerseits sacerdotalen Charakter zu
tragen. Erst die Einsetzung der Sodales Augustales im Jahre 14 n. Chr.
bringt wieder ein neues Staatspriestertum, organisiert nach dem Typus
der alten Sodales Titii, und dieses ist (da die übrigen Sodalitäten des
Kaiserkultes nur als seine Fortsetzungen anzusehen sind) die einzige Neu-
gründung der Kaiserzeit geblieben bis auf die Schaffung der Pontifices
Solis für den Sonnenkult Aurelians.^
Sämtliche altrömischen Priesterschaften (mit Ausnahme der wahr-
scheinlich von Haus aus unständigen Ilvin sacris faciundis und der jungen
Illviri epulones) führen Individualnamen, die zum guten Teil nicht erst in
Rom geprägt, sondern in Latium und über dessen Grenzen hinaus seit
alter Zeit heimisch sind (Fetiales, Salii, Pontifices) ; ihre Bestimmung tritt
selten im Namen so deutlich hervor, wie es bei den Salii und Arvales der
Fall ist, die meisten Namen sind etymologisch dunkel {Fetiales, Titii, auch
Augures) oder trotz durchsichtiger Wortbildung {Pontifices, Luperci) in dem
Grunde ihrer Bedeutung nicht recht fassbar. Das Wort flamen ist nicht
die Bezeichnung einer Priesterschaft, sondern einer bestimmten Funktion,
der des Opfervollziehers, und begegnet darum ausser bei den 3 grossen und
den 12 kleinen Flamines des PontificalcoUegiums auch bei andern Priester-
tümern (z. B. bei den Arvalen), in den Gurion^) und namentlich im municipalen
und provinzialen Gottesdienste;^) der allgemeine Ausdruck sacerdos unter
Beifügung des Namens der Gottheit ist von der offiziellen Nomenclatur
der Staatspriestertümer ausgeschlossen geblieben, er findet sich, um die
sacerdotes Albani, Lanuvini, Caeninenses u. s. w. als von Haus aus zur Kate-
gorie der Municipalkulte gehörig hier bei Seite zu lassen, nur bei den
Priesterinnen der staatlich anerkannten griechischen Kulte, so den sacerdotes
publicae Cereris p. jB. Quir. (S. 244), sacerdotes Bonae deae (S. 179), sacerdotes
Matris Deum Magnae XVvirales (S. 265), und bei untergeordneten priester-
*) Die Begründung des hier Ausgeführ-
ten 8. oben S. 339 f. und in den die einzelnen
Priestertümer behandelnden §§ 67—70.
') Paul. p. 64 curiales flamines curiarum
sacerdotes (vgl. Dion. Hai. II 21, 3); sie
stehen ebenso neben den Curiones wie bei den
inontctni montis Oppi nebeneinander mag(i'
strei) et flamin(e8) erscheinen (Bull. com. XV
1887, 156 ff.); das zeigt deutlich die Inschrift
der Curia levis von Simitthus (CIL VIII
14683), in der es einen magister (= Curio,
vgl. CIL Vlil 11008) und einen flamen (vgl.
auch CIL V in 2596) gibt. Daraus geht her-
vor, dass der Curio Vorsteher der Curie,
nicht aber Priester ist; wenn Varro de 1. 1.
V 83 und Dion. Hai. 11 64, 1 (vgl. auch Paul,
p. 49) die Curiones unter die Priester rech-
nen, so tragen sie damit den Verhältnissen
ihrer Zeit Rechnung, wo die Curien nach
Wegfall aller politischen Bedeutung nur noch
sacralen Zwecken dienten und die Curiones
nur noch sacrale Obliegenheiten hatten; in
der Kaiserzeit ist daher das Amt des sacer-
dos curio sacris faciwndis (CIL VIII 1174)
oder curio p(opuiiJ EComani} sacris fad'
undis (Notiz, d. scavi 1894, 283) thatsächlich
eines der ritterlichen Priesterämter geworden
(CIL II 1262. VI 2169. 2174. VIII 1174. 3845.
IX 2213. X 3761. 6439 [= VI 1578]. XI 1331.
XII 4354. Notiz, d. scavi a. a. 0.).
') Beispiele (die sich aus den Indices des
CIL vervollständigen lassen) bei H. Hbbbst,
De sacerdotiis Romanorum municipalibus
quaestio epigraphica (Diss. Halis Saz. 1883)
S. 5 ff. 0. HiRSCHFBLD, Sitz.-Ber. Akad. Ber-
lin 1888, 849 ff. Wie hier flamen mit sacer-
dos gleichbedeutend geworden ist, so hat
sich auch pontifex stellenweise zu der glei-
chen Bedeutung verallgemeinert, so nament-
lich in Spanien (0. Hirsohfbld, GOtting. gel.
Anz. 1870 S. 1109 f. Hbbbst a. a. 0. S. 9.
CIL II Suppl. p. 1133); vgl. insbesondere den
pontifex Pälahuilis = flamen Palatualis
(CIL VIII 10500. XI 5031), ponHfex Flavialis
(CIL VI 1690 f.), pontifex Herculis (Bull,
com. XX 1892, 57).
414
Religion und Knltas der Bömer. IIL Kiiltas.
liehen Organen wie dem sacerdos virginum Vestalium (CIL VI 2150), den
sacerdotes sacrae urbis^) und den sacerdotes bidentales (S. 121). Noch fremder
ist der offiziellen Nomenclatur die ausserhalb Roms und namentlich bei
den Sacra peregrina häufig auftretende Bezeichnung antistes, die mit Be-
ziehung auf die römischen Staatspriestertümer nur in gewählter und un-
technischer Ausdrucksweise vorkommt.')
Eine Rangordnung der Priestertümer unter einander — denn der
alte ordo sacerdotum (Fest. p. 185, s. oben S. 20) gilt nur f&r die im
Pontificalcollegium vereinigten Vertreter des Dienstes einzelner Gottheiten
— hat sich erst allmählig und nur für einen Teil derselben herausgebildet.
An die Pontifices und Augures, die als die für den Staat bedeutsamsten
CoUegia auch allein auf die römischen Kolonien übertragen worden sind,
rücken zunächst die Decemviri sacris faciundis heran,') und durch die
Einführung der Volks wähl für diese drei Priesterschaften samt den mit
den Pontifices durch ihre Entstehung eng verbundenen Epulones bildet
sich der Begriff der sacerdotum quattuor amplissima coUegia*) heraus, welche
in der Kaiserzeit in der Weise eine Einheit darstellen, dass bis zum Anfange
des 3. Jahrhunderts kein Privatmann zwei dieser Priesterwürden in seiner
Person vereinigen konnte (unten S. 423) und das Streben der Aspiranten
dahin ging, den nächsten frei werdenden Platz in einem dieser Collegien,
gleichviel welchem, zu erhalten;^) während man in der republikanischen
Zeit Wert darauf legte, in demselben Gollegium einen Platz einzunehmen,
dem der Vater angehört hatte,®) ist in der Kaiserzeit innerhalb der Ämter-
und Priestemobilität oft der Sohn in ein andres der vier grossen Collegien
aufgenommen worden als der Vater. ^) Dieser Kreis hat dann insofern eine
Erweiterung erfahren, als die im J. 14 n. Chr. gegründeten Priester des Divus
Augustus, die Sodales Augustales (samt ihren späteren Fortsetzungen) den
vier grossen Collegien zwar nicht völlig gleichgestellt, aber doch im Range sehr
nahe gerückt wurden.^) Von den sonstigen Priesterschaften beanspruchen
') CIL VI 21S6 f.; nach Moxmsbn z. d.
InBchr. sind sie mit den sacerdotes virginum
Vestcdium identisch.
') z. B. Cic. de domo 2. 104; de har.
reap. 14. Liv. I 20, 3. CIL VI 2143. Symm.
epist. 1 68. II 36. IX 147 nnd mehr bei Habel
in Paüly-Wissowas Real-Encycl. I 2536 f.
') Mit dieser Dreiheit rechnen sowohl
Varro (in dessen Antiqu. rer. div. die Bücher
II—IV de pontificihua, de augurihus, de
quindecimviris sacrorum handelten, August,
c. d. VI 3) wie Cicero an vielen Stellen (de
leg. II 20. 80; de nat. deor. III 5; de harusp.
resp. 18); als die höchsten Priestertamer er-
scheinen sie noch Bist. aug. Alex. Sev. 22, 5:
pantificibiM tantum dettUit et quindecimviris
cUque auguribus, ut quasdam causas sctcro-
rum a se finitcu iterari et aliter distingui
pateretur,
*) Monum. Anc. 2, 16; sacerdotes sum-
morum coUegiorum Suet. Aug. 100; Aufzäh-
lung Cass. Dio Lin 1 , 5. Fast. Praen. z. 1 7. Jan.
CIL VI 903. 921. V 6416. II 2062. X 8088 n. a.
^) Plin. ad Trai. 13: rogo dignüati, ad
quam me provexit indulgentia tua, vel au^
guratum vel eeptemviratum , quia vcu:ant,
adicere digneris, ut iure sacerdotU precari
deo8 pro te publice possim, quo8 nunc precor
pietate privata. Daher reden die Quellen
ganz tlherwiegend nur von sacerdotium ohne
genauere Angabe, z. B. Voll. Fat II 100, 4.
Sen. de ira III 31, 2. Tac. ann. IV 40; hist.
III 86. Suet. ViteU. 5; Vesp. 4. Hist. aug.
M. Aur. 16, 1; Commod. 1, 10.
*) z. B. Suet. Nero 2: pontificibus offen-
sior, quod alium qu<im se in patris sui locum
cooptassent, Cic. Phil. XIII 12: pcUemum
auguratus locum, in quem ego eum . . . mea
nominatione cooptabo, Serv. Aen. XI 768 :
cuius etiam maiores sacerdotes fuissent, ^ut-
hus apud veteres in sacra quoque suecede-
batur. Tac. hist. I 77 : nobiles cululescentulos
avitis ac patemis sacerdotiis . . recoluit,
^) Beispiele bei Habel, De pontif. condic.
publ. S. 88 A. 88.
») Tac. ann. m 64. Cass. Dio LVIII 12, 5 ;
66. Die Prlesterordniuig.
415
diesen höchsten Würden zunächst zu rangieren die FetialenO und die Salier,*)
ohne dass sie eine feste Rangstellung gegenüber den andern vornehmen
Sodalitäten der Arvalen und Titier besessen hätten ; die Luperci aber sind,
trotz ihres hohen Alters, durch eine weite Kluft getrennt, sie scheinen gegen
Ende der Republik an Ansehen sehr verloren zu haben 3) und sind darum von
Augustus dem zweiten Stande, den Rittern, zugewiesen worden (s. u. S. 422).
Die übrigen genannten Priestertümer aber sind dadurch ausgezeichnet und
gehoben worden, dass der Kaiser selbst und die kaiserlichen Prinzen in sie
eintraten; als sacerdotes coUegiorum omnium^) sind sie nicht nur Mitglieder
der vier grossen GoUegien sowie der Sodalitäten des Kaiserkultes, sondern
nachweislich auch der Fetialen, der Sodales Titii und der Arvalbrüder,^)
und übernehmen in diesen Priesterschaften zeitweise auch die Geschäfte
des Obmannes und andre Ämter ;^) nur im Pontificalcollegium hat der Kaiser
seit dem J. 742 = 12 den Vorsitz und damit die Leitung des gesamten
Sacralwesens dauernd und unlöslich an seine Person geknüpft.
Die für jedes Priestertum von vorn herein fest normierte Stelien-
zahl ist auffallend verschieden bei den priesterlichen Sodalitäten einerseits
und den coUegia der Pontifices und Augures andererseits. Bei den Sodali-
täten handelt es sich stets um grössere Gruppen, u. zw. herrschen hier
die Zahlen 12 (bei den Arvalen und den beiden Saliern, wahrscheinlich
ebenso bei den beiden Luperci) und 20 (Fetialen und vielleicht Titier) vor.
über das Rangverhältnis zu den vier grossen
CoUegien s. Dessau, Ephem. epigr. III p. 208 f.
') Im J. *22 n. Chr. wird ein (yergeb-
licher) Versuch gemacht, sie mit den vier
grossen Collegien und den Sodales Augu-
stales gleichzustellen, Tac. ann. III 64 ; auch
sind es die einzigen Priester, die Cicero (de
leg. II 21) ausser den Pontifices, Augures,
Quindecimviri s. f. noch erwähnt.
«) Wenn Polyb. XXI 18, 11 sie nennt
TcSy tQitSy iy avattjfAa, di>* tor avfAßalyei las
inifpaysatäxns 9wfiaq iy tß ^iafiu avvte-
Xeia&ai rot; &€oTs, so stellt er sie wohl mit
den Flamines und den Vestalinnen zusammen.
") Wir finden Leute geringen Standes
und sogar Freigelassene unter ihnen (CIL
VI 1933. X 6488. XIV 2105. Notiz, d. Scavi
1898, 406), und nicht nur das Auftreten des
Consuls M. Antonius als Lupercus Julius er-
regt höchsten Anstoss (Cic. Phil. II 85 f. III 12.
Cass. Dio XLV 80), sondern auch Ciceros
Aeusserung Aber die Luperci pro Caelio 26
fera quaedam 8od€Uü(u et plane pastoricia
atque agrestis germanorutn lupercorum, quo-
rum coüio illa süvestris ante est instüuta
quam humanitas atque leges, klingt auch
nach Abzug der humoristischen Uebertreibung
stark geringschätzig.
*) coüegiorum omniutn sacerdoa heisst
Titus Eph. epigr. IV 779, sacerdos cooptatua
in omnia coüegia aupra numerutn ex 8. c,
Nero (als Prinz), Eckhbl D. N. VI 261.
^) Augustus war nach Mon. Anc gr. 4,
5 fF. aQXi€^6vSi avyovQ, ruir dexanByre ay-
ffQüiy %(oy iBQonouSy, raiy inrtt aydQijy
IsQonouSyy d[d€]X(p6g aQOvdXig, haiQos Titiog,
(ptjTMkis, und dass auch alle folgenden Kaiser
diesen Priesterschaften, zu denen seit dem
J. 14 n. Chr. noch die Sodales Di verum treten,
angehörten, zeigen die Inschriften, namentlich
die Mitgliederverzeichnisse derSodalitäten des
Kaiserkultes (s. besonders CIL VI 2001. 2009)
und die Protokolle der Arvalbrüder. Die
Salier blieben ausgeschlossen, weil ihr Dienst
mit der Bekleidung eines andern Priester-
tums unvereinbar war (s. unten S. 428);
wenn Marc Aurel als ach^ähriger Knabe
Salier wurde (Hist. aug. M. Aurel. 4, 2), so
ist er jedenfalls, als er 10 Jahre später in
die couegia sacerdotum aufgenommen wurde
(ebd. 6, 3), wieder ausgetreten.
*) Das zeigen die Arvalakten, nach denen
die Kaiser und kaiserlichen Prinzen, wenn
die Reihe sie traf, sowohl als magistri wie
als flawines fungierten (s. -die Listen bei
Gatti in RüooiBBOs Dizion. epigr. I 687 f.);
bei den Quindecimvim ist im J. 737 = 17
Augustus einer der 5 magistri, die Saecular-
feier des J. 88 richtet Domitian als (alleiniger)
Magister aus (CILI'* p. 29, vgL Mommsbn,
Rom. Forsch. II 59 f.). Die Ansicht, dass der
Kaiser, wie bei den Pontifices, so auch bei
den Quindecimvim ständiger Vorsitzender
gewesen sei (Hasel a. a. 0. S. 91), ist durch
die Auffindung der Saecularakten vom J. 204
widerlegt, aus denen hervorgeht, dass so-
wohl 203 wie 204 Private die Würde des
Magister bekleideten.
416
Religion nnd Kultus der Bömer. IIL Knltue.
Die Pontifices (im engeren Sinne) dagegen und die Augurn gehen von
der kleinsten mit dem Begriffe des coUegium vereinbaren Zahl, der Drei-
zahl, ^) aus und kommen durch Vervielfältigung derselben stufenweise auf
6 und 9 Mitgliederstellen; die Priesterschaft sacria fdciundis zeigt wie in
der Bildung ihres Namens so auch in der anderen Gestaltung ihrer Mit-
gliederzahl; die wie beim Volkstribunate von 2 auf 10 steigt, eine charak-
teristische Abweichung, die auf ihren jüngeren Ursprung und verschiedene
Entstehungsart hinweist (s. § 69).^) Seit Sulla besitzen alle drei Priester-
tümer die gleiche Stellenzahl von 15, seit Caesar von 16 Mitgliedern,
während die vom Pontificate abgezweigten Epulones von ursprünglicher
Dreizahl durch Sulla auf 7, durch Caesar auf 10 Stellen gebracht wurden.')
In der Eaiserzeit ist dann bei allen diesen Priestertümern und auch bei
den vornehmen Sodalitäten^) der Stellenbestand insofern ein schwankender
gewesen, als dem Kaiser das Recht zustand, auch ohne vorliegende Vakanz
Priesterernennungen vorzunehmen,^) also die Stellenzahl mindestens vor-
übergehend zu erhöhen, und insbesondere die kaiserlichen Prinzen seit
dem J. 51 n. Chr. durch Senatsbeschluss supra numerum in die höheren
Priestertümer aufgenommen zu werden pflegten^): da die so geschaffenen
Stellen nach Erledigung nicht stets wieder eingezogen, sondern zuweilen
weiter besetzt oder wenigstens für künftige Gelegenheiten offen gehalten
wurden,^) so hat diese Praxis stellenweise zu dauernder Erhöhung der
Mitgliederzahl einzelner Collegien geführt.^) Die meisten Priesterschaften
0 Big. L 16, 85: Neratius PrisoM tres
facere existimat coUegium,
^) Die Vestalinnen imd die Flamines
haben nie ein Gollegiom gebildet, man darf
daher die 3 Flamines maiores nnd die -6 Vesta-
linnen ebensowenig mit den 3 bezw. 6 Pon-
tifices (Angnres) zusammenstellen, wie die
12 Flamines minores mit den 12 Arval-
brüdern.
') Liv. per. LXXXIX (Sulla) pontificum
augurumque coUegium ampliavit, ui eseeni
quinäecim (Vict. de vir. ill. 75 numerum
sacerdotum auxit); die Vermutung, dass er
es auch war, der die Xviri sacris faciundis
auf ebenfalls 15 und die Illviri epulones
auf 7 Stellen brachte, ist so gut wie sicher.
Cass. Dio XLII 51, 4 (zum J. 707 = 47) roig
TB ytxQ noytlg>i$i xal roig oitoviGxaU . • toig
XB nsytexai^exa xaXovuivo^q iva ixaütoig
nqogipBiue (Caesar). XLIII 51, 9 bX^ tb tovs
TiBytBxaidBxa iya xal ig todg inta av xa-
XovgÄivovg TQBTg it^Qovg ad ngoganodBi^ag
(710 = 44).
*) Bei den Ärvalbrüdem sind im J. 57
ohne den Kaiser, dessen Zugehörigkeit sicher
steht, 12 Mitglieder anwesend (CIL VI 2039,
1 ff.), was sich daraus erklärt, dass Nero
noch als Prinz im J. 51 in omnia coUegia
aupra numerum aufgenommen worden war
(s. unten A. 6).
^) Zuerst erwtimt im J. 718 = 36, Gobs.
Dio XTJX 16, 1 toy TB MBOodXay roy Ova-
Xi^oy , . ig rovg oiayuftag vn^Q x6y a^»^-
uoy igiyQatpB; dann zum J. 724 = 30 ebd.
Lil 20, 3 iBQ^ag tB avtoy (Auffustus) xal vnäg
toy agi^fjioy, öaovg dv olbI i&BXfjon, algBUf'
&ai nQogxarsctijaayto * oitbq nov Ü ixBiyov
nagadodiy ig doQurtoy intjviij&tjy mcxB fifjdiy
hi XQV'^''^ f*^ ^^Q^ ^^^ nXij&ovg ttvrtoy dxQ^-
ßoXoyBUf&ai, Uebrigens ist, soviel wir sehen
können, von dieser Befugnis zur Schaffung
überzähliger Stellen zu Qunsten von Pri-
vaten durchaus kein weitgehender Gebrauch
gemacht worden.
^) Im Jahre 51 wurde Nero 8acerd(o8)
coopt(atu8) in omn(ia) conl(egia) supra
num(erum) ex 8(enatus) con8(%üto) (Eokhil,
Doctr. num. VI 261), als [ajdkctus ad nu-
merum ex s(enatu8j c(onnUto) verzeichnet
ihn in demselben Jahre das Album der So-
dales Augustales Glaudiales (GIL VI 1984).
^) Bei den Sodales Augustales ist die
fQr Nero geschaffene Stelle (s. Anm. 6) nach
seinem Tode dauernd anderweitig besetzt
worden, dagegen die im J. 71 fOr den Kron-
prinzen Titus geschaffene Stelle ist nach
dessen Tode frei geblieben bis zum J. 197,
wo Garacalla in sie eintritt; vgl. Habbl, De
pontific. Roman, condic. publica S. 72 f.
<*) So zählt das GoUegium der Quin-
decimvim im J. 737 = 17 mindestens 21,
204 n. Ghr. mindestens 24 Mitglieder, s.
MoMKSKN, Ephem. epigr. VIII p. 242. 292.
66. Die PrieBterordnnng.
417
haben, wenigstens in der Eaiserzeit, Listen ihrer Mitglieder inschriftlich
aufgestellt, teils einfach chronologisch von Jahr zu Jahr die Abgänge und
Ergänzungen verzeichnend, i) teils nach den einzelnen Stellen {decuriae)
in der Weise geordnet, dass die auf einander folgenden Inhaber derselben
Stelle eine Reihe bilden.^)
Seit dem Ende des Königtums erfolgt die Ergänzung aller Priester-
schaften durch Cooptation;') nur eine scheinbare Ausnahme bilden der Rex
sacrorum, die Flamines und die Vestalinnen, die als den Pontifices ange-
gliederte Zugehörige dieses CoUegiums ebenso vom Pontifex maximus er-
nannt werden, wie die Flamines und Vestalinnen früher vom Könige ernannt
worden waren. ^) Die Cooptation kommt in gleicher Weise bei den coUegia
sacerdotum wie bei den priesterlichen Sodalitäten zur Anwendung^) und ist
das Ergebnis einer Abstimmung unter den Mitgliedern, welche in der Form
der nominatio erfolgt: jedes Mitglied macht unter der eidlichen Versicherung,
nur den Würdigsten nennen zu wollen, einen Kandidaten namhaft,®) wobei
später, wir wissen nicht seit wann, die Bestimmung galt, dass nicht mehr
als zwei Mitglieder denselben Bewerber nominieren durften.'') Dieses ur-
sprüngliche Rechtsverhältnis hat dann in doppelter Weise Verschiebungen
erfahren : einmal drang die Praxis der Nomination auch in die Besetzung
derjenigen Stellen ein, für die das Ernennungsrecht des Pontifex max.
galt, so dass dieser jetzt für die Ernennung des Rex und der grossen
Flamines an eine durch Nomination gebildete Präsentationsliste von
^) So z. B. in dem Mitgliederverzeich-
nisse der Salii Palatini, von dem wir Frag-
mente aus den Jahren 170—202 n. Chr. be-
sitzen (CIL VI 1977—1988, vgl. Borghbsi,
Oeuvres IVölOff.); die Arvalbi'üder haben
keine eigenen Mitgliederlisten aufgestellt,
aber alle Veränderungen im Mitglieder-
bestande in ihre Protokolle aufgenommen.
Verzeichnisse der Cooptationen von Personen
des Kaiserhauses in zwei Sodalitäten der
Divi sind CIL VI 2001. 2009.
') So namentlich das älteste dieser Ver-
zeichnisse, das der Augum (CIL VI 1976. Bull,
arch. com. XII 1884, 6 nr. 708. Notiz, d. scavi
1899, 489, letzteres Fragment hinaufreichend
bis 46*5 = 289 v. Chr.), sowie das der Sodales
Augustales Claudiales (CIL VI 1984, vgl.
Dessau, Ephem. epigr. III p. 74 f.), auch das
der im Tempel des Juppiter Propugnator
zusammentretenden Priesterschaft (CIL V[
2004).
') BoBOBBsi, Oeuvres HI 409 ff. 428 ff.
L. Mergkliv, Die Cooptation der Römer,
Mitau und Leipzig 1848. A. Qbmoll, De
cooptatione sacerdotum Romanorum, Berolini
1870. WissowA, Real-Encycl. IV 1208 ff.
^) Dass auch die SaUer vom Pontifex
max. ernannt worden wären, folgt aus der
Bestellung von Saliern durch die Kaiser
(CIL V 8117. Eist. aug. M. Aurel. 4, 2) keines-
wegs; vgl. unten S. 419 A. 2.
^) Bezeugt ist sie fQr die Pontifices
(Dion. Hai. H 73, 8. Liv. XXXIX 46, 1. XL
Quidbnob der HUmb. AltertnmiwlaBenaoliaft. V, 4.
42,11. Suet. Nero2), die Augum (Liv. XL
42, 13. Cic. Brut. 1. 101; PhU.XIII 12; epist.
III 10, 9. Plin. epist. IV 8, 3), die Decemviri
s. f. (Liv. XL 42, 12), die Epulones (Liv. XL
42, 7) und die Arvalbi'üder (Hknzbn, Acta
fratr. Arval. S. 150 ff.).
') Da die Cooptation aus der Nomination
folgt, werden die beiden Begriffe oft ver-
bunden, auch insofern vertauscht , als
cooptare nicht nur vom Collegium oder
dem in dessen Namen handelnden Obmanne,
sondern auch vom nominierenden Priester
gebraucht wird ; z. B. Cic. Brut. 1 cooptatum
me ab eo in collegium recordabar, in quo
iuratu^ iudicium dignitatia meae fecercU;
Phil. XIII 12 mea nominatione cooptabo
{nomvMUio allein epist. ad Brut. I 7, 1).
Plin. epist. IV 8, 8 qui me nominationis
die pen' hos continuos cmnos inter sacer-
dotes nomindbat, tamquam in locum suum
cooptaret. Suet. Claud. 22 in cooptandis per
collegia sacerdoHbus neminem nisi iuratus
nominavit,
^) Cic. PhiL II 4: me augurem a toto
coUegio expetitum Cn. Pompeiua et Q, Hör-
tensius nominaverunt — nee enim licebat a
pluribus nominari; die Bestimmung stammt
wahrscheinlich aus der Lex Domitia, dass
sie jedoch zur Zeit der ciceronischen Rede
(711 = 43), etwa durch die Lex Julia de
sacerdotOa, aufgehoben gewesen sei, ist
aus dem Imperfect licebat keineswegs zu
folgern.
27
418
Religion und Knltns der Römer. IIL Knltne.
drei Kandidaten gebunden war, 0 während er für die Bestellung der Vesta-
linnen seinerseits anstatt der Ernennung ein Nominationsrecht übte und
unter den von ihm genannten 20 Kandidatinnen das Los entschied;^)
andererseits schob sich für die Ergänzung der vier grossen GoUegien der
Pontifices, Augures, Decemviri s. f. und Epulones^) zwischen Nomination
und Gooptation ein Wahlakt des Volkes ein. Denn nachdem ein im J. 609
= 145 vom Volkstribunen C. Licinius Crassus gemachter Versuch, für die
Priesterbestellung Volkswahl an die Stelle der Gooptation zu setzen, ge-
scheitert war,*) dehnte im J. 651 = 103 ein Plebiscit des Tribunen Cn.
Domitius Ahenobarbus das bisher für die Wahl des Pontifex max. geltende
Verfahren in der Weise auf die Ergänzung der genannten Priestertümer
aus, dass eine Versammlung von 17 durchs Los aus der Gesamtzahl aus-
gewählten Tribus aus einer durch öffentliche ^) Nomination der betreffenden
Priesterschaft hergestellten Kandidatenliste die Wahl vornahm und der so Ge-
wählte dann im Gollegium durch den Obmann formell cooptiert wurde ^}: daniit
wurde die Nomination zur Präsentation, dieGooptation zur blossen Renuntiation.
Durch die suUanische Gesetzgebung vorübergehend aufgehoben (Ps. Ascon.
p. 102 Or.), wurde die Lex Domitia im J. 691 = 63 durch ein Plebiscit des T. La-
bienus wiederhergestellt 0 und hat auch für die Priesterbestellung der Kaiserzeit
mit der Abänderung die rechtliche Grundlage gebildet, dass seit dem J. 14
n. Ghr. die Wahl vom Volke auf den Senat überging®) und vor den Gomitien
nur noch die Verkündigung des Wahlergebnisses erfolgte.^) Seit der Lex
Domitia wurde auch die Ergänzung der Priesterschaften nicht mehr sofort
nach eingetretener Vakanz vorgenommen, sondern die comüia sacerdotum
fügten sich an fester Stelle in die Reihe der alljährlichen Wahlcomitien
ein,^o) später nahm auch jedes der grossen Gollegien alljährlich einmal an
») Liv. XL 42, 11. Tac. ann. IV 16;
s. S. 438 A. 8.
*) Gell. I 12, 11 und mehr unten S. 439
A. 1.
3) Bezeugt für die Pontifices (Suet. Nero
2. Cic. epist. ad Brut. I 5, 3) , Augum (Gio.
Phü. II 4. Xm 12), Quindecimvirn (Cic. epist.
VIIl 4, 1).
*) Cic. Lael. 96 (cooptatio enim colle-
giorum ad populi beneficium transferebatur).
^) Auct. ad Her. I 20 lex iubet augurem
in demortui locum gut petat in contione
nominare,
*) Cic. de leg. agr. II 18 fMC idem de
sacerdotüs Cn. Domitius tribunus plebis
tulit, quod populus per religionem sacerdotia
mandare non poterat, ut minor pars populi
(sortis beneficio ebd. § 17) vocaretur; ab ea
parte qui esset factus, is n collegio coopta-
retwr, Suet Nero 2. Vell. Fat. II 12, 3; die
vorausgehende Nomination zeigt Cic. epist.
ad Brut. I 5, 3. 7, 1; Phil. II 4. XÜI 12 u. a.
') Cass. Dio XXXVII 37, 1. Die Aus-
führungen von J. Lenole, Untersuchungen
über die suUanische Verfassung (Studien aus
dem Colleginm Sapientiae zu Freiburg im
Breisgau, III 1899) S. 3 ff. sind in dem, was
sie Neues bieten, grösstenteils verfehlt.
Namentlich ist es ganz verkehrt, aus der
revolutionfiren Bestellung des Caesar zum
Flamen Dialis durch C. Marius (Vell. Fat II
43, 1; vgl. Suet. Caes. 1), die eben wegen
ihrer Illegalität von Sulla kassiert wurde
und von deren Form wir nebenbei gar nichts
wissen, zu folgern, dass durch die Lex Do-
mitia auch die Bestellung der grossen Fla-
mines der Volkswahl überwiesen worden sei.
Vom Inhalte der lex ItUia de sacerdotus
(Cic. epist. ad Brut I 5, 3) ist uns nichts be-
kannt.
") Auch die Losung der Vestalinnen
findet nun nicht mehr in einer contio (Gell.
I 12, 11), sondern im Senate statt (Cass. Dio
LV 22, 5).
«) MoMMSRN, SUatsr. III 348 f.; die
comitia sacerdotior(um) imp, Othonis Aug.
erwähnen die Arvalakten CIL VI 2051 i 70;
comitia pontific(um) augurumq(ue) in den
Colonien Lex col. Gen. c. 68.
^®) Nach Cic. epist. ad Brut. I 5, 4 zwi-
schen den Consnlar- und Fraetorencomitien ;
vgl. auch Cass- Dio XLI 86, 3. Sen. de benef.
VII 28, 2.
66. Die PrieBterordniing.
419
einem bestimmten Tage die Nomination yor,0 so dass beim Eintreten einer
Lücke stets eine Kandidatenliste bereit lag. Die priesterlichen Sodalitäten ^)
haben dagegen ihr Gooptationsrecht auch späterhin in der alten Weise
ausgeübt.') Nur hat in der Kaiserzeit bei der Besetzung aller Arten von
Priesterstellen die Praerogative des Princeps eine grosse Rolle gespielt:
Rex sacrorum, Flamines und Vestalinnen werden vom Kaiser in seiner
Eigenschaft als Pontifex max. ernannt, und dasselbe gilt, wie es scheint,
auch für sämtliche ritterliche Priesterämter; ^) bei den Wahlen zu den
grossen CoUegien im Senate übt der Kaiser ein im Ergebnis dem Er-
nennungsrechte gleichkommendes Commendationsrecht^) in solchem Umfange
aus, dass der Senat sein Wahlrecht im wesentlichen nur bei Aufnahme
des Kaisers und der kaiserlichen Prinzen in die PriestercoUegien zu be-
thätigen in der Lage ist;^) in den vornehmen Sodalitäten endlich, denen
der Kaiser selbst angehört, besitzt er wie jedes andre Mitglied die Be-
fugnis der Nomination, nur dass seinem Vorschlage natürlich ein besondrer
Nachdruck innewohnt und darauf wohl stets eine nur der Form wegen
erforderliche Zustimmung durch Akklamation erfolgt.'')
') Plin. epist 11 1, 8: üh die, quo
sacerdotes solent nominare, quos dignissimos
sacerdotio iudicant, tne aemper nofninabat.
IV 8, 3 : me nomincUionis die per hos con-
tinuos annos inter sctcerdotes nominfibat.
') UnBioher bleibt die Einreihang der
Sodales Aogustales samt den übrigen Soda-
litAten des Eaiserkultes; für Wahl scheint
die Verbindung dieses Priestertums mit den
vier coüegia der Lex Domitia in der Rang-
Stellung zu sprechen, fOr Gooptation dagegen
nicht nur der Charakter als sodcUitaSf son-
dern mehr noch der Umstand, dass bei den
Sodales Antoniniani (CIL VI 2001, 3; vgl.
auch 2004, 14) Cooptationen ex litteris im-
peratoris statt&iden wie bei den Arval-
brüdem (s. unten A. 7), was doch wohl
auf kaiserliche Nomination innerhalb der
Priesterschaft (nicht Commendation im Se-
nate) hinweist; die Wendung sacerdotio Fla-'
viali TUiali iudicio imperatoris exomatus
CIL VIII 7062 braucht nicht mehr als kaiser-
liche Nomination zu bedeuten. Dagegen sind
die Salier vielleicht direkt vom Kaiser er-
nannt worden (ein ab imperatore adscttus
in numerum saliorum CIL V 3117), da er
dieser Priesterschaft nicht selbst angehörte.
') Wie die Arvalakten zeigen, erfolgt
hier die Neubesetzung der Stelle in der
Regel (doch s. Olderbebo, De sacris fratrum
Arvalium S. 7) sofort nach eingetretener
Vakanz, und die abwesenden Mitglieder, ins-
besondere der Kaiser und die kaiserlichen
Prinzen, können ihr Nominationsrecht auch
schriftlich (per tabelUM) ausüben, z. B. CIL
VI 2023 a 15. 24.
*) Belegt für die Pontifices minores
(CIL VI 1598. X 3901. XIV 2922, auch CIL
VI 2126 vgl. mit Athen. I 2 C und dazu
Dbbsau, Hermes XXV 156), die Caeninenses
(CIL VI 1598; vgl XI 3103) und die Lau-
rentes Lavinates (CIL VIII 10501 [aUeJctus
in numerum [LaurenJtiumLavinatium, n&m-
lich vom Kaiser); s. Mohxsbk, Staatsr. III
569.
') Auf Commendation weisen deutlich
hin Beispiele wie Tac. ann. III 19 (Tiberius)
auctor senatui fuit ViteüiocUque Veranio
et Servaeo sacerdotia tribt^endi und in der
Rede des Claudius II 12 f. cuius liberi fru-
antur quaeao primo sacerdotiorum gradu,
Dass daraus allerdings thatsftchlich eine Er-
nennung der Priester durch den Kaiser
geradezu tlber den Senat hinweg und ohne
Benachrichtigung des letzteren geworden war,
zeigt die Milderung dieses Uebelstandes durch
Alexander Severus, Eist. aug. Alex. 49, 2
pantificatus et quindedmviratus et augu^
ratus codiciUares fecit ita, tU in aenatu
aüegarentur.
*) Gbmoll a. a. 0. Habbl, De pontific.
condic. S. 82 ff, (der aber mit Unrecht
den Uebergang der Priesterwahlen von
den Comitien der 17 Tribus auf den Senat
in Abrede stellt) ; die von Hbivzen, Acta fratr.
Arval. S. 154 dagegen angeftihrten Gründe
treffen den Kern der Sache nicht; denn an
den von ihm angeführten Stellen handelt es
sich durchweg um Sodalitäten, in denen
Cooptation innerhalb des CoUegiums statt-
findet, nicht um die vier grossen Priester-
tümer, die der Senatswahl unterliegen. Bei-
spiele für kaiserliche Priesterbestellung zu
den grossen Collegien: Pontificat Tac. ann.
I 3; bist. I 77; Agr. 9, Augurat Tac. bist. I
77. Plin. epist. IV 8, 1 ; ad Trai. 13, Quin-
decimvirat Suet. Galba 8, Septemvirat Plin.
ad Trai. 13 u. a. m.
') [Ex litjterie imp(eratori8) . . [et om-
nium consenjsu [(actus) CIL VI 2001, 3; ex
27*
420
Religion und Knltnn der Römer, m. Knltoe.
Sowohl wenn die Wahl im Senate als wenn sie in der Priesterschaft
selbst stattgefunden hat, wird sie perfekt durch den formellen Akt der
cooptatio, den der Obmann vollzieht. 0 Es folgt darauf der Amtsantritt
des Neugewählten, der in den meisten Fällen als Einführung des neuen
Mitgliedes in seinen Wirkungskreis durch den Obmann,*) beim Rex sacrorum
und den grossen Flamines (denen in der Eaiserzeit auch die Flamines
Divorum zugezählt werden) aber, sowie bei den Augum in der feierlichen
Form der inauguratio vor sich geht:') diese Ceremonie bedeutet die Zu-
stimmungserklärung der Gottheit zu der vollzogenen Wahl oder Ernennung.*)
Die Inauguration der Augum ist wahrscheinlich pro coUegio erfolgt, die
des Rex und der grossen Flamines geschieht in Gegenwart vom Pontifex
max. einberufener und geleiteter Comitia calata (Gell. XV 27, 1), der Voll-
zieher des Aktes aber ist stets und allein der Augur, ^) der im letzt-
lüteris impercUoris . . fratrem Arvalem co-
optartmt heiast es bei den AryalbrQdem
(Hbhzen, Acta S. 152), und der Hergang wird
genau beschrieben in dem Protokolle vom
7. Febr. 120 (CIL V[ 2080, 24 ff , vgl. 2078
I 30 ff. n 39 ff.) : ibique taimlae apertae signo
signatae quod exprimit [cajput Aug(usti},
in quibtis scriptum fuit: imp(er<Uor) Cafe]-
sar Traianus HadrianiLS Augfustus) fratri-
bu8 ArvcUibus collegü sfuijs scUutem. in
locum Q. Büi Proc!üi coUegam nohis mea
sententia coopto P. Manlium Carbonem,
Ffir diese Sodalitäten (s. auch oben S. 419
A. 2) hat Hbnzen a. a. 0. S. 154 sicher Recht,
wenn er gegen Gemoll (a. a. 0. S. 17 ff.) die
kaiserliche Nomination nur fQr diejenigen
Priester annimmt, bei denen die litterae
imperatoris ausdrücklich erwähnt werden.
0 Bei den Arvalbrfldem lautet die For-
mel in den älteren Protokollen mag ister
cooptavitj in den jüngeren fratres Arvcdes
per magistrum cooptarunt; die Cooptation
geschieht habita sollemni precatione (der
Wortlaut CIL VI 2104b 21 ff.), Hbnzen a. a. 0.
S. 152.
') cooptavit et ad sacra vocavit (später
cooptarunt et ad sacra vocaverunt) heisst
es bei den Arvalen, worauf dann in der
Präsenzliste am Ende des Sitzungsprotokolles
der Neugewählte bereits als mit anwesend
aufgeführt wird.
*) Die Inauguration ist bezeugt für den
Flamen Dialis (6ai. I 130. III 114. Ulp. frg.
10,5. Liv. XXVII8, 4. XL128, 7), Flamen
Martialis (Liv. XXTX 38, 6. XLV 15, 10.
Macr. S. III 13, 11), Flamen Quirinalis (Liv.
XXXVII 47, 8), Flamen Divi lulii (Cic. Phil.
II 110), Rex sacrorum (Liv.XXVH 36, 5. XL
42, 8) und die Augurn (Liv. XXVII 36, 5.
XXX 26, 10. XXXIII 44, 3. Cic. Brut. 1.
Suet. Cal. 12), nicht für die Pontifices (bei
Liv. XXX 26, 10 geht inauguratus nur auf den
Augur; das Zeugnis des Dion. Hai. II 73, 3
nagoXa/ißäpei d^ trjy Ugarelay 6 doxifiaa^elsj
idy Bvogyi^eg ttvxt^ xvx<*iOi'y oltayoi yBvofÄSPOij
beweist, auch wenn damit die InangoratioD
gemeint sein sollte, nicht viel, da dieser Autor
II 22, 3 sicher unrichtig ganz allgemein
Ibqbi^ xal Xsitovqyol xmy ^etov dnodBiKwaO-ui
(iiy vno ttiSy g>QarQ(oyj inMVQOöü&M d^ vno
ttßy i^fiyovfAiytay ta d^eia did fiayr^xi^^,
d. h. vor Comitia calata inauguriert werden
lässt) und die Vestalinnen (ihre von Cato
bei Fest. p. 241 und Gell. VII 7, 4 bezeugte
exauguratio beweist nichts, da diese nioht
eine inauguratio voraussetzt, sondern all-
gemein eine Lösung durch augurale Spmoh-
formel ist; dass die Vestalinnen nicht in-
auguriert wurden, geht aus Gai. I 130. Ulp.
frg. 10, 5 hervor, wo der inauguratio des
Flamen Dialis die captio der Vestalin gleich-
gestellt wird), noch weniger für die Salier
(dass Hist. aug. M. AureK 4, 4 muitos m-
auguravit aique exauguravit nemme prae-
eunte nicht eine wirkliche Inauguration,
sondern nur eine ad sacra vocatio bedeutet,
ist schon deshalb sicher, weil der Ausfah-
rende nicht der Augur sondern der Magister
der Salier ist) oder gar für die Decemviri
sacris faciundis (P. Reobll, Jahrb. f. Philo].
CXXXV 1887. 781 f.).
*) Dass nicht erst die Inauguration den
Uebergang der Priesterwürde auf den Neu-
eintretenden herbeiführt, zeigt der Vorgang
des J. 574 = 180 bei Liv. XL 42, 8 ff.: der
Pontifex max. ernennt einen Rex sacronun
und befiehlt ihm vor der Inauguration die
Niederlegung eines Staatsamtes, verhängt
auch, als dieser sich weigert, eine multa über
ihn, was beides nicht möglich wäre, wenn
der Betreffende nicht durch die blosse captio
bereits Priester geworden und damit dem
Pontifex max. unterstellt worden w&re;
schliesslich wird in diesem Falle die In-
auguration gar nicht vollzogen, sondern ein
andrer ernannt und inauguriert.
») Das geht aus Cic. Brut. 1; Phil. II 110;
de leg. II 20. Macr. S. III 3, 11 sowie ana
dem Berichte des Liv. I 18, 6 ff. mit voller
Deutlichkeit hervor und ist von H. Oldkh-
66. Die PrieBterordnung.
421
genannten Falle auf Aufforderung des Pontifex max. erscheint und handelt. 0
Die Feier des Amtsantrittes wurde beschlossen durch ein von dem neuen
Mitgliede gegebenes Festmahl {ceTia aditialia);^) dass für die Aufnahme in
die Priesterschaft auch ein Eintrittsgeld gezahlt werden musste, erfahren
wir aus der Zeit des Kaisers Galigula,^) ohne zu wissen, ob diese Ein-
richtung eine dauernde gewesen ist.
Zu den Vorbedingungen für die Bekleidung der Priesterwürde gehört
zunächst allgemeine körperliche Fehlerlosigkeit^) und bürgerliche Unbe-
scholtenheit, ^) Besitz der römischen Civität^) und freie Geburt ;'') Bestim-
mungen über Altersqualifikation scheint es ausser für die Vestalinnen und
vielleicht die Salier^) nicht gegeben zu haben, jedenfalls finden wir schon
in früher Zeit Priester von sehr jugendlichem Alter. ^) Die Forderung
patrizischer Abkunft hat ursprünglich wohl für sämtliche Priestertümer
alter Ordnung — das für die Bewahrung der sibyllinischen Bücher ein-
gesetzte Priestertum war wohl niemals ausschliesslich patrizisch — ohne
Ausnahme gegolten,^®) erhalten hat sie sich nur für den Rex sacrorum,
BBBG, Gomment. Mommsen. S. 159 ff. mit
Recht gegen Moxxsbn, Staatar. 11 32 ver-
fochten worden.
*) Fest. p. 343 [cum] Metellus pant,
[max. Claudium augurem iussisjset adesae,
ut eum [, . . Suljpici Ser, f. inaugfarcUioni
ctdhiberetj. Daraus erklärt es sich, wenn
Liv. XL 42, 8. 10 ungenau die Handlung des
inaugurare selbst dem Pontifex max. oder
den Pontifices beilegt (vgl. auch XXVII 8, 4
flaminem Dialem invitutn inaugurari coegü
. . pontifex maximus).
'^) adüiali cena sacerdotii (Antritts-
scbmaus des Augurs Q. Hortensius) Plin. n. h.
X 45 ; Antrittsschmaus des Flamen Martialis
L. Cornelius Lentulus Macr. S. lll 13, 10 ff.;
adüiales cenae oder epulcke allgemein Sen.
epist. 95, 41. Plin. n. h. XXIX 58.
>) Suet. Calig. 22 ; Claud. 9. Gass. Dio
L1X28, 5.
^) fÄtj^iy fjXaTTtofiiyovg xüv negl tö atofAa
Dion. Hai. II 21, 3 ; aacerdos integer sit Seneca
contr. IV 2; Vestalin kann nicht werden
quae lingua debüi aensuve aitrium deminuta
aliave qita corporis labe inaignita aü (Gell.
I 12, 8; vgl. Fronte p. 149 Nab.); ein Augur,
der eine Wunde an sich hat, darf keinen
Dienst thun (Plut. Qu. Rom. 73).
^) Nach der Lex col. Genei c. 67 findet
eine Neubesetzung statt in demortui dam-
native loco; vgl. Plut. Qu. Rom. 99 rwv aXXiay
Ug^oiy roy xaxadtxaa&et^a xai (pvyoyra
Ttavoyxeg itSQoy algovyiai; vgl. Cic. Brut. 127
hie (C. Sulpicius Galba, 644 = 110), gut in
collegio aacerdotum esset, primua poat Bomatn
conditam iudicio publica eat condemnatus,
•) Sacra pro civibus civem facere volu-
erunt Cic. pro Balbo 55.
^) Als Vestalin war ausgeschlossen quae
ipaa aut cuius pater emancipatus sit, etiamsi
vivo patre in avi poteatate ait; item cuiua
parentes alter ambove aervitutem aervierunt
aut in negotiis sordidis versanttir (Gell. I
12, 4); doch Hess Augustus TOchter von Frei-
gelassenen zu (Cass. Die LV 22, 5). Ein
Freigelassener als lupercus Quinctial(is)
vetus (CIL VI 1933) gehört wohl der Zeit
der Verwirrung vor der augusteischen Reform
der Priestertümer an, sicher der Clesipus
Geganius mag(ister) Gapit(olinorum) ma-
g(i»ter) luperc(orum) CIL X 6488 und der
C. Julius Caesaris Iftbertus) Salvius accensus
mag(i8ter) luperc(orum) viat(or) trib(uni'
cius) Notiz, d. scavi 1898, 406. lieber Frei-
gelassene unter den Sacerdotes Laurentes
Lavinates Mommsbn, Staatsr. III 569, 1 ; vgl.
566, 3.
^) Die Vestalin muss beim Antritt höch-
stens 10, mindestens 6 Jahr alt sein (Gell.
I 12, 1; vgl. Suet. Aug. 31. Sozom. bist. eccl.
I 9. Prudent. in Symm. II 1065); dass zu
Saliern junge Männer genommen wurden,
sagt Dion. Hai. H 70, 1. 71, 2 (Beispiele CIL
VI 1439. IX 4855, namentlich aber Hist. aug.
M. Aurel. 4, 2); für Vestalinnen und Salier
bestand auch allein die Forderung; dass ihre
beiden Eltern noch am Leben sein mussten,
s. unten A. 10.
•) Liv. XXV 5, 3. XXVII 8,5. XXIX 38, 7.
XXXIII 42, 6. XL 42, 7. XLII 28, 13. Cic. de
domo 118; pro Sest. 144. CIL X 7257 u. a.
^^) Auch fQr die Vestalinnen muss man
dies, obwohl ausreichende Zeugnisse weder
nach der einen noch nach der andern Seite
hin vorliegen (Mommsbn, Rom. Forsch. I 79 f.,
vgl. JoBDAV, Tempel d. Vesta S. 84 f.), wohl
annehmen, es folgt aus ihrer ganzen Stellung
zum Pontifex max., und auch in der noch später
geltenden Forderung, dass die Vestalin pa-
trima et matrima sein müsse (Gell, l 12, 2),
liegt ein Hinweis darauf, denn patrimi et
malTimi können ursprOnglich nur aus con-
422
Religion und Kultus der Römer, m. Kultus.
die drei grossen Flamines (dazu später die Flamines Divorum) und die
Salier;^) für die Pontifices und Augum ist im J. 454 = 300 durch die Lex
Ogulnia die Bestimmung getroffen worden, dass die grössere Hälfte der
Stellen (5 von 9) in jedem Gollegium den Plebejern reserviert blieb, die
übrigen der Bewerbung beider Stände offen standen, wenn sie auch that-
sächlich bis zum Ende der Republik so gut wie regelmässig mit Patriziern
besetzt wurden.*) Für alle andern Priestertümer ist in historischer Zeit
die Standeszugehörigkeit bedeutungslos, ohne dass wir von gesetzgeberischen
Massregeln erführen, durch welche das alte Reservatrecht des Patriziats
aufgehoben worden wäre; wahrscheinlich hat die Lex Ogulnia der Plebs
ganz allgemein mit wenigen besonders motivierten Ausnahmen den Zutritt
zu den Priesterämtern eröffnet mit der Zufügung, dass im Pontificat und
Augurat bestimmte Stellen plebejisch besetzt werden mussten. Seitdem
die Pontifices und Augurn auf 15 vermehrt waren, scheinen 8 Stellen den
Plebejern vorbehalten gewesen zu sein,') in der Kaiserzeit aber hat sich
dieser Unterschied verwischt. Statt dessen tritt seit Augustus die Scheidung
in senatorische und ritterliche Priestertümer auf, wonach die vier grossen
Gollegien samt den ihnen nahestehenden Sodalitäten der Divi imperatores,
femer die alten Genossenschaften der Fetialen, Salier, Arvalbrüder und Titier
ausschliesslich aus Männern senatorischen Ranges ergänzt werden, dagegen
die aus Subaltembeamten der Pontifices bezw. Salier hervorgegangenen
sacerdotia der Pontifices minores, Flamines minores, Tubicines sacrorum p. R.
sowie das der Luperci^) und die nach Rom übernommenen Priestertümer
altlatinischer Städte (Lavinium, Alba, Caenina u. s. w.) dem Ritterstande
zufallen.^) Die einzelnen Priestertümer waren zwar unter sich an Geltung
und Ansehen verschieden, aber zu einer festen Rangfolge und etwa einer
Bindung der einzelnen an die verschiedenen Rangstufen der senatorischen
und ritterlichen Ämterlaufbahn ist es bei keiner der beiden Klassen ge-
kommen.^) Für die Zulässigkeit der Vereinigung mehrerer Priestertümer
in einer Hand haben sich feste Regeln erst nach und nach herausgebildet.
farreirten d. h. patricischen Ehen hervor-
gehen (Serv. Georg. 181; auch die stets pa-
&ici8ch gehliebenen Salier mflssen dfjKpi&aXeis
sein, Dion. Hai. II 71, 4).
^) Cic. de domo 88: ita (wenn es keine
Patricier mehr gäbe) populus Ramaniia brevi
tempore neque regem sacrorum neque flu-
minea (dass damit die drei grossen gemeint
sind, zeigt Paul. p. 151 maiorea flamines
appeüabantur patricii generis, minores ple-
hei) nee saiios Tuibebit nee ex parte dimidia
religuoa sacerdotes (vgl. Liv. VI 41, 9); für
die Salier s. ausserdem Dion. Hai. II 70, 1.
Lucan. IX 479. CIL IX 1123. üeber den Pa-
triciat der Flamines Divorum s. Dbssau,
Ephem. epigr. HI p. 223 ff.
') Liv. X 6, 6. 9, 2 und dazu Mommsen,
Rom. Forsch. I 80 ff. und Babdt, Priester der
vier grossen Gollegien 8. 32 ff.
') Dies geht aus dem Yeizeichnisse
der Pontifices Vom J. 697 = 57 bei Cic. de
bar. resp. 12 hervor; vgl. Mommbbh a. a. 0.
S. 88 ff.
«) Ausnahmen CIL XI 2106. VI 1397. BulL
arch. com. XV 1887, 176 (über die beiden
letztgenannten Fälle Momxsen, Staatsr. III
568, 3, der erste betrifft einen Angehörigen der
mit dem Dienste der Lnperci von Alters her
eng verbundenen Gens Fabia). Die Curiones
in ihrer Mittelstellung zwischen Beamten und
Priestern (s. oben S. 418 A. 2) rechne ich hier
nicht mit (s. Mommsen a. a. 0. S. 568 A. 1).
^) MoxMSEV a. a. 0. 8. 566 ff.
*) Das zeigen z. B. fOr die Pontifices die
Zusammenstellungen von Habbl, De pontif.
condic. publ. 8. 78 f., fttr die sacerdotia
equestria Moxmsbn a. a. 0. 8. 568 f. In den
ProtokoUen der Priesterschaften pflegt man
in älterer Zeit die Mitglieder nach der Rang-
folge der von ihnen bekleideten Aemter aiS*-
zufahren , vgl. E. Hula , Arch. epigr. Miti
ans Oesterr. XVII 1894, 73 f. Momxsbn, Ephem.
epigr. VIII p.243. 307 ff.
66. Die Priesterordttiing.
428
Dass niemand zugleich Bex sacrorum oder Flamen und Pontifex sein konnte,
ergab sich von selbst aus der Zugehörigkeit der erstgenannten beiden Priester-
steilen zum Pontificalcollegium,^) gleichzeitige Bekleidung zweier Priester-
iümer aus der Zahl der grossen Collegien kommt in der älteren republikani-
schen Zeit in einigen wenigen FäUen vor,*) um nach dem hannibalischen Kriege
bis auf Caesar, der zugleich Pontifex (maximus) und Augur war, ganz zu
verschwinden; in der Kaiserzeit taucht diese Cumulation, abgesehen vom
Kaiser und den kaiserlichen Prinzen, erst im 8. Jahrhundert wieder ver-
einzelt auf,^) und erst während des Todeskampfes der alten Religion am
Ausgange des 4. Jahrhunderts finden wir die höchsten priesterlichen Würden
massenhaft und ohne Einschränkung in den Händen der letzten Vertreter
des absterbenden Heidentums vereinigt (Beispiele oben S. 87 A. 3). Ver-
bindung der Mitgliedschaft eines der grossen CoUegien mit der einer
Sodalität, sei es einer der älteren^) oder einer für den Dienst der Divi
imperatores bestimmten,^) begegnet sehr häufig, ebenso die Zugehörigkeit
zu mehreren dieser Sodalitäten, so dass nicht selten eine dreifache Cumu-
lation nachweisbar ist.^) Sogar die Würde des Rex sacrorum findet sich
vereinzelt mit dem Augurat kombiniert, ^ nur die Stellung des Saliers
scheint mit der Bekleidung eines andern Priestertums unverträglich ge-
wesen zu sein, da nach Ausweis der erhaltenen Mitgliederverzeichnisse
der Salii Palatini (CIL VI 1977 ff.) aus diesem CoUegium ausschied, wer
Pontifex, Flamen (d. h. einer der Flamines maiores oder der Flamines
Divorum) oder Augur wurde, und wohl anzunehmen ist, dass das Gleiche
auch für die Übernahme eines andern Priestertumes galt, und der Austritt
nicht fakultativ, sondern notwendig erfolgte.^) Für die Vestalinnen kam.
^) F. Manilias Yopiscos (Cos. 114) pon-
tifex flamen . . . scditu Coüinus (CIL XIV
4242) war wahrscheinlich einer der Flamines
des Eaiserkultes, und dasselbe gilt von dem
regt sacfrorj flamfini . . . der Inschrift CIL
1X2847.
*) Sichere Beispiele sind nur M. Pom-
ponins Matho, Augur und Decemvir s. f.
(t 550 = 204, Liv. XXIX 38, 7), Q. Fabius
Maximus, Pontifex und Augur (f 551 = 208,
Liv. XXX 26, 10. CIL P p. 193 elog. XIII), und
C. Servilius Geminus, Pontifex (maximus) und
Decemvir s. f. (t 574 = 180, Liv. XL 42. 11);
fiber die unsicheren Fälle des T. Otacilius
Crassus (Liv. XXVII 6, 15) und Tib. Sempro-
nius Longus (Liv. XXVII 6, 16. XLI21,8) s.
Bardt a. a. 0. S. 19.
') Das älteste Beispiel ist C. Octavius
Sabiaus (Cos. 214 n. Chr.), Pontifex und Augur
(CIL X 5398), dann T. Flavius Postumius
Varus (Praef. urb. 271 n. Chr.), Augur und
Quindecimvir (CIL VI 1417). Vgl. Dbssau,
Ephem. epigr. III p. 208 f.
*) z. B. Pontifex und Fetialis CIL V 4329,
Augur und Fetialis Eph. epigr. IV 830, Quin-
decimvir und Fetialis CIL a 6658 ; Augur und
Sodalis Titius CIL VI 1343, Quindecimvir und
Sodalis Titius Suet. Galba 8; bei den Fratres
Arvales bietet der Index von Hbnzbn zahl-
reiche Beispiele fOr die Vereinigung mit Pon-
tificat, Augurat, Quindecimvirat.
^) Für die Vereinigung des Pontificates
mit der Mitgliedschaft einer dieser Sodali-
täten s. Beispiele bei Habbl a. a. 0. S. 82,
desgleichen Ült das Augurat bei Spinazzola,
Gli augures S. 69 ff., Quindecimvir und Sodalis
Flavialis CIL VI 1333 (vgl. Suet. Galba 8),
Septemvir epulonum und Sodalis Augustalis
CIL III 4013 -f XI 571. CIL VI 1511 f. u. a.
^) z. B. Poutifex, Sodalis Augustalis,
Frater Arvalis CIL III 6073; Pontifex, Sodalis
Antoninianus Verianus, Fetialis CIL VI 1497;
Augur, Sodalis Augustalis, Sodalis Titius CIL
III 2974 f. ; Augur, Sodalis Hadrianalis, Sodalis
Antoninianus CIL XI 3865 u. a.
') Rex sacrorum und Augur ist unter
Trajan Cn. Pinarius Severus (CIL XIV 3604),
vgl. auch VI 2123. Ob die grossen Flaminate
mit andern Priesterwürden vereinbar waren,
ist sehr zweifelhaft; der Flamen Dialis P.
Cornelius Sulla (Gell. I 12, 16) und der De-
cemvir s.f. P. Cornelius Rufns(SnUa) beiMacr.
S. I 17, 27 sind sicher nicht identisch mit
einander, und die Inschrift CIL VI 2152, von
der blos die Worte auguri flammt übrig sind,
lässt nicht erkennen, was für ein Flaminat
gemeint ist.
") Die Inschriften, welche denselben
424
on mid KnltiiB der BOmer. IIL Knltiu.
da sie die einzigen Staatspriesterinnen sind, die Möglichkeit einer Cuma-
lation garnicht in Frage.
Im Gegensatze zur Magistratur wird die Priesterwürde im Prinzipe
durchaus auf Lebenszeit übertragen ; nur für die Salier ist, wie soeben dar-
gelegt wurde, der Austritt aus der Genossenschaft geboten, wenn sie zu einem
anderen Priestertume gelangen, den Yestalinnen steht er nach SOjähriger
Dienstzeit frei:') in beiden Fällen vollzieht er sich in feierlicher Form.*)
Eine Amtsentsetzung gibt es im älteren Rechte nicht, nur kann der dem
Pontifex max. untergeordnete Priester, der sich grobe Verstösse gegen die
Amtspflicht hat zu Schulden kommen lassen, durch jenen zur Abdication
genötigt werden,') und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte durch
strafrechtliche Verurteilung zieht auch den Verlust der Priesterwürde nach
sich (oben S. 421 A. 5), nur für die Augum ist selbst diese Konsequenz aus-
geschlossen geblieben.*) Auch die Vorstandschaft ist in den beiden hervor-
ragendsten CoUegia, denen der Pontifices und der Augum, eine lebens-
längliche gewesen und zwar, wie es scheint, in der Weise, dass dem an
Lebensjahren ältesten Mitgliede, dem Pontifex maximus bezw. Augur maximus,
der Vorsitz zufiel;^) doch ist noch vor dem hannibalischen Kriege die Be-
stellung des Pontifex maximus aus der Zahl der Pontifices der Volkswahl
Mann als Salier und Träger einer andern
Priesterwfirde bezeichnen (z. B. CIL VI 1339.
1422. 1553. XI 5743. XIV 2501. 2803. 3604.
3609. 3713. 4237. 4240. 4242) sind so zu
deuten, dass sie nur die Bekleidung der
Salierwflrde vor Uebemahme des andern
Priestertums bezeugen; denn M. Nummius
Albinus, Cos. 206 n. Chr., der nach CIL VI
1982/83, 6 im J. 199 aus den Saliern aus-
schied, um Pontifex zu werden, nennt sich
CIL V 4347 doch sowohl salius PalatiniM
wie pontifex; vgl. Habel a. a. 0. S. 81. Auch
aus republikanischer Zeit liegt kein Beispiel
der gleichzeitigen Funktion vor, denn der
Ap. Claudius vir triumphdlis, qui saliiis
adusque senectutetn fuit (Macr. S. III 14, 14),
ist verschieden von dem Augur gleichen
Namens, dem Collagen Ciceros (s. Paült-
WissowA Real-Encycl. u. d. W. Claudius
Nr. 295 und 297), und dass M. Aemilius Scaurus
gleichzeitig Pontifex und Augur gewesen
wäre, folgt aus Cic. pro Scauro 34 nicht.
Wegen dieser Unverembarkeit des Salier-
dienstes mit anderen Priesterwürden ist
dieses das einzige senatorische Priestertum,
das die Kaiser nicht bekleidet haben (s. oben
S.415A.5).
») Gell. VII 7, 4. Dion. Hai. II 67, 2. Plut.
Numa 10 u. a. ; dass thatsAchlich die meisten
Vestalinnen von diesem Rechte keinen Ge-
brauch machten, sagen Dion. Hai. und Plut.
a. a. 00. und erläutern bekannte Beispiele
einer Amtsdauer von 57 (Tac. ann. II 86) und
64 Jahren (CIL VI 2128).
') Das Wort exaugurare wird gebraucht
von den Saliern CIL VI 1978, 13 und Hist.
aug. M. Aurel. 4, 4, von den Vestalinnen Gell.
VII 7, 4. Fest. p. 241. Darttber, dass diese
exauguratio nicht eine inaugurctHo voraus-
setzt, s. oben S. 420 A. 3.
») Val. Max. I 1, 4 f. Liv. XXVI 23, 8.
Plut. Marc. 5; s. unten S. 439 A. 5.
^) Plut. Qu. Rom. 99: tov di avyopgog
i(og Cjf xav inl rots fieyiatoig ddixtjfiact xa-
xayvoiaiVy ovx afpaiQovyiM Jtjv leQwavyijy,
Plin. epist. IV 8, 1 sacerdotium . . scurum
plane et insigne est, quod non adimitur vi-
venti. Fflr die Colonien galt diese Aus-
nahmestellung nicht, wie Lex col. Genet
c. 67 zeigt.
*) Die Lebenslänglichkeit der Wftrde des
Pontifex maximus ist vielfach bezeugt (Caas.
Dio XLIX 15, 3. LIV 15, 8. Appian. b. c. V
131 . Suet. Aug. 3 1 . Seneca de dem. 1 10, 1 ; vgl.
Cassiod. var. VI 2, 3), dass es ursprünglich
der Alterspräsident war, zeigt der Name, ver-
glichen mit dem der Vestalis maxima {quae
natu maxima virgo est Ovid. fast. IV 639,
alf>o Lebens-, nicht Dienstalter). Dass bei den
Augum der an Jahren älteste den Vorsitz
führte, wird nach der Angabe Ciceros Cato mai.
64 multa in collegio vestro praedara, sed
Jwc . . in primis, quod ut quisque aetate ante-
cedit, ita sententiae principatum tenet, neque
solum honore antecedenttbus, sed Os etiam,
qui cum imperio sunt, maiores natu augures
anteponuntur, sehr wahrscheinlich, und der
Name augur maximus ist für die numidiscfaen
Städte Cuicul (CIL VITI Suppl. 20152) und Cirta
(CIL VIII 7103) bezeugt; dass das Amt dort
ein befristetes, wahrscheinlich jährliches ist,
steht mit der Bedeutung des Titels im Wider-
spruche und bestärkt die Annahme, dass
dieser aus Rom entlehnt ist.
66. Die Priesterordniing.
425
(durch die Gomitien der 17 Tribus) überwiesen worden.') Die Sodalitäten
haben wohl durchweg unter jährlich wechselnden, von den Mitgliedern ge-
wählten mcyistri gestanden,^) bei den Quindecimviri sacris faciundis und
den Sodales Augustales Claudiales (CIL XIV 2391) finden wir einen eben-
falls auf Jahresfrist gewählten mehrgliedrigen Vorstand von 5 oder 3 magistri^),
doch ist das erstgenannte CoUegium schon in der früheren Eaiserzeit zu der
Organisation unter einem magister übergegangen.^) Sonstige Funktionäre
bestellt jede Priesterschaft je nach ihren Bedürfnissen ebenfalls durch
Wahl auf bestimmte Zeit aus ihrer Mitte, so die Arvalbrüder (und wahr-
scheinlich auch alle sonstigen Priesterschaften, denen ein Opferdienst oblag)
einen jährlich wechselnden Flamen, ^) die Salier einen Yortänzer {praesut)
und einen Vorsänger (vcUes) ; ^) für eine etwa nötig werdende Stellvertretung
des Magister oder eines andern Würdenträgers sorgt nicht die Priester-
schaft, sondern der Verhinderte selbst durch Bestellung eines Ersatzmannes
aus der Zahl der Kollegen.^) Von der ursprünglichen Einrichtung, dass
nicht nur der Priester selbst, sondern mit ihm sein ganzes Haus der Gott-
heit dient (Dion. Hai. II 22, 1), hat sich ein Rest noch in der Beteiligung
der Gattinnen des Bex sacrorum und des Flamen Dialis am Opferdienst
ihrer Männer erhalten, noch mehr aber erinnert daran der Ministranten-
dienst, den unerwachsene Kinder beiderlei Geschlechts bei den verschiedenen
Priesterschaften und Kulthandlungen ausüben. An die Stelle der eignen
Kinder der Priester, die offenbar zunächst in dieser Art verwendet wurden,
traten in dem Falle, dass jene fehlten oder nicht ausreichten, andere Kinder
noch lebender Eltern aus guter Familie {pueri et pueUae ingenui patnmi matri-
mique) für den Dienst beim Opfer, beim Mahle und bei den sonstigen Sacral-
handlungen;^) im Ritual des Flamen Dialis und der Flaminica hat sich, wie
') comüia pontificis mcunmi Cic. de leg.
agr. II 18; 8. darüber Mommsbn, Staatsr. II
25 ff., über die Form der Uebertragung des
PoDtificatas max. an den Kaiser Habbl a. a. 0.
S. 51 ff.
*) Am genauesten bekannt bei den Arval-
brüdern, die alljährlich am zweiten Tage ihres
Festes den magister wählen ex Saturnalibiis
primis ad Satumalia secunda, d. h. für das
von Satnmalien zu Saturnalien laufende Ge-
schäftsjahr der Priesterschaft; er ist eponym
für das ganze Jahr, auch wenn er innerhalb
desselben stirbt und ein auffectus gewählt
wird; Wiederwahl nach Intervall ist zu-
lässig (ÜBNZBN, Acta fratr. Arval. S. IV f.).
Sonst ist bezeugt der magister der Salier
(Val. Max. 11,9. Hist. aug. M. Aurel. 4, 4)
und der Luperci (CIL X 6488. XIV 2105.
Notiz, d. scavi 1898, 406).
') üeber die Quindecimviri s. f. Mommsbn,
Eph. epigr. VTII p. 243, über die Sodales
Augustales Claudiales Hülsbn, Eph. epigr.
IV p. 482 f. (Bruchstücke von Listen der
magisteria sodalium Äugustalium Claudia-
lium annua CIL XIV 2388—2391).
*) magistri nennt Tac. ann. VI 12 im
J. 82 n. Chr., einen magister für seine Zeit
Plin. n. h. XXVni 12.
*) Hbnzbf a. a. 0. S. V f.
^) Hist. aug. M. Aurel. 4, 4. Fest. p. 270.
Vict. vir. iU. 3, 9.
^) Das zeigt sich deutlich bei den Ar-
valbrüdem, wo zuweilen als Vertreter des
Magister in demselben Jahre zwei verschie-
dene Personen auftreten und der Titel nicht
lautet promagister fratrum Arvalium, son-
dern z. B. promag(ister) C luni Mefitani
(d. h. des Magister, CIL Vi 2060, 35. 41). Der
für den Kaiser eintretende Promagister der
Pontifices und Quindecimvim ist vielleicht
auf dieselbe Weise, d. h. hier durch kaiser-
liche Ernennung, bestellt worden.
") Beim Opfer der Decemviri s. f. werden
zugezogen decem ingenui decem virgines
patrimi omnes matrimique (Liv. XXX VII
3, 7), dieselben Priester opfern in insula
Cimolia per triginta ingenuos patrimos et
matrimos totidemque virgines (Obsequ. 40),
die Vestalinnen besprengen die Area des
Capitols cum pueris puellisque patrimis ma-
trimisque (Tac. Hist. IV 53), die rica der
Flaminica Dialis wird angefertigt von vir-
gines ingenuae pairimae matrimaeque (Paul,
p. 288), bei der Pompa führt puer ille pa-
trimus et matrimus die Rosse der die Götter-
426
Religion und KaltnB der BOmer. m. Kaltiu.
so vieles Ursprüngliche, auch der alte Name dieser Ministranten, camiUus
bezw. camiUa, erhalten.^) Im regelmässigen Opferdienste ist freilich für
die von Haus aus von diesen edelgeborenen Gehilfen verrichteten Hand-
reichungen mehr und mehr die Thätigkeit von unfreien Dienern ^) getreten,
von denen jeder Priesterschaft eine gewisse Anzahl zur Verfügung steht,
nicht als Eigentum, sondern vom Staate aus seinem Vorrate von Gemeinde-
sklaven (der familia publica) ihm zugewiesen und je nach Bedarf auch zu
anderer Beschäftigung wieder abgerufen und durch andere ersetzt. ^) Über
die Verwendung der Sklaven innerhalb der Priesterschaft entschied diese
selbst oder vielmehr der Vorsteher; ausser dem Hilfsdienste bei den
Opfern^) fällt ihnen besonders die Fürsorge für Aufzeichnung und Auf-
bewahrung der Protokolle {commentarii) zu,^) die in allen Priesterschaften
mit grösserer oder geringerer Ausführlichkeit geführt und teilweise, wie
die erhaltenen Arvalakten zeigen, auch inschriftlich aufgezeichnet wurden;^)
exuvien tragenden Tbensa (Cic. de har. resp.
23 = Arnob. IV 31), beim Festschmause der
Arvalbrttder essen, abgesondert von den
Priestern, pueri praetextati patrimi et ma-
trimi senatorum fUi nfumeroj IUI mit und
thun Handreichungen bei Mahl und Libation
(Henzbk, Acta S. 12 f.; Aehnliches thaten
nach Athen. X 425 A ol svyBviaxaxoi xtav
natdioy bei den epula piiblica); besonders
häufig singen sie das Festlied (Macr. S. I 6,
14 pueris ingenuis itemque libertinis [dies
hier als Ausnahme], sed et virginibus patrimü
matrimisque pronuntiantibus Carmen, Act.
lud. saec. 'Aug. Z. 20 [per] pueros virgines-
que patrimos mcUrimfosgue], vgl. Mommsen,
Eph. epigr. VIII p. 256. Cass. Dio LIX 7, 1
svyBviaxaxoi naiaas dfKpi&aXeis fjiexd noQ-
&iv(av ofxoitav, 16, 8 vno X(ov evyeyecxäxtoy
naldüty, ygl. Suet. Cal. 16 nobilibtis pueris ac
puellis),
0 Bofnani pueros et puellas nobües et
investes (dazu s. Paul. p. 868) camillos et ca-
mülas appeUant, flaminicarum et flaminum
praeministros Macr. 8. III 8, 7 = Serv. Aen.
XI 543, vgl. 558. Paul. p. 98 flaminius ca-
mülus puer dicebatur ingenuus (vgl. p. 43)
patrimes et matrimes (vgl. p. 126), qui fla-
mini DicUi ad sacrificia praeministrabat ; vgl
Plut. Numa 7. Auch der nuptiis camiUus
qui cumerum fert Varro de 1. 1. VII 34 ge-
hört in den Dienst des Flamen Dialis, da
es sich um die Confarreation handelt, bei der
dieser mitwirkt (Serv. Georg. I 31).
') Beim Feste der Arvalbrüder tragen die
pueri patrimi et matrimi und die publici
zusammen die Libation auf den Altar (Henzbn
a. a. 0. S. 12 f.), bei den Piacularopfem aber
wirken die ersteren gar nicht mehr mit,
sondern der Magister oder Kalator bringt
das Opfer ministranttbus publicis (Henzek
a. a. 0. S. 132 f.). Man darf daher aus der
Nichtbetheiligung der Knaben am Opfer
nicht folgern, dass sie von den camilli prin-
cipiell verschieden wären (Mommsen, Grenz-
boten 1870 1 172. Herzen a. a. 0. S. VII. 15).
Der von Mommsen herangezogene Brauch,
dass die unerwachsenen SOhne ihre Vftter
zum Gastmahle begleiteten (Tac. ann. XIII
16. Suet. Claud. 32), steht zu ihrer Verwen-
dung als Ministranten keineswegs im Gegen-
satze, sondern ist nur eine andre Aeusserong
der gleichen Grundanschauung.
*) Act. Arval. CIL VI 2086, 64: [in locum
Cajrpi publici Cameliani promoti ad tabu-
los quaestorias transscribendas suhstiJtu[tus]
est Epictetus Cuspianus publicus ex litteris
M, Fulvi Äproniani promagistri; vgl. VI
2065 n 18: dllectus Narcissus Annianus
loco Nymphi Numisiani ad fratres Arvdles.
Inschriften von publici der Priesterschaften,
die ausser für die Arvalen auch fOr die vier
grossen Collegien, die Sodalitäten des Kaiser-
kultes (Bruchstücke eines Verzeichnisses der
Publici der Sodales Augustales Claudiales
CIL XIV 2400-2404). die Fetiales, Titier
(CIL VI 3882) und Curiones nachweisbar sind
und wahrscheinlich keiner Priesterschaft ge-
fehlt haben, CIL VI 2307 ff.
*) Auf diesen weist die Bezeichnung
a sacris CIL VI 2328. Notiz, d. scavi 1883,
448 nr. 1. Henzen a. a. 0. S. 184.
^) Wir kennen einen publicus a com-
mentaris XVvir(um) s. f. CIL VI 2313,
einen publtc(us) a commentarüs (auch com^
m(entariensis) CIL VI 2105, 18) bei den Ar-
valbrüdem (CIL VI 2103, 4. 11. 2104 b 30)
und einen a comme[nt(arii8) sajcerdoti VII
virum epulonu(m) (CIL VI 2319). Zur Be-
stellung von Briefen wird ein publicus der
Pontifices benützt CIL VI 2120, ein a libris
pontifical(ibus) CIL VI 2195. Auf eine kai-
serliche Aufsicht über die Priesterarchive
scheint der kaiserliche Freigelassene pro-
x(imu8j a Ubr(is) sacerdotal(ibus) CIL VI
8878 hinzuweisen.
*) Dass die früher allgemein angenom-
mene Scheidung von libri und commentarü
pontificum, augurum u. s. w. verkehrt ist,
66. Die Prieaterordnimg.
427
auch bei der Verwaltung der priesterlichen Kassen (oben S. 343) sind die
Sklaven der GoIIegien beschäftigt.^) Ausserdem aber steht den verschie-
denen Priesterschaften noch ein mehr oder minder ausgedehntes Per-
sonal von Subalternbeamten zur Verfügung. Bei allen Priesterschaften
finden wir die Galatores, Pedellen, die der einzelne Priester aus der Zahl
seiner Freigelassenen bestellt*) und die zunächst zu seinem persönlichen
Dienste bei den Amtshandlungen bestimmt sind, aber doch dem Gesamt-
coUegium unterstehen und in dessen Kasse ein Eintrittsgeld zahlen.^)
Während sonst die Kalatoren ihre Anknüpfung an den Einzelpriester be-
wahrt zu haben scheinen,^) sind die Calatores pontificum et flaminum als
Korporation zu besonderem Ansehen gelangt und haben sogar aus sich heraus
die Priesterstellen der Pontifices minores entwickelt (s. unten S. 447). Zum
mindesten die grossen CoUegien besassen ferner eigene Amtsdiener in den
Viatores, ^) Lictoren führen nur der Flamen Dialis und die vestalischen
Jungfrauen bei jedem öffentlichen Auftreten (s. unten S. 436 A. 4), sonst
treten jene nur bei den Staatsopfern in Wirksamkeit und sind nicht den
einzelnen Priesterschaften aggregiert, sondern bilden — im Gegensatz zu
den magistratischen Lictoren — eine decuria Uctorum curiatia, quae sacris
publicis apparet.^) Das eigentliche Opferpersonal von popae,'') cuürarii
(Suet. Cal. 32) u. a. stellte für die magistratischen (und kaiserlichen) wie
für die priesterlichen Opfer ein und dieselbe Körperschaft, das coUegium
victimariorum,^) ebenso wie auch die Musikbegleitung für beide Gattungen
von Opfern dem einen coUegium tibicinum et fidicinumy qui sacria publicis
praesto sunt,^) zufiel; nur die mit den Saliern zusammenwirkenden Tubicines
haben eine Sonderstellung eingenommen und allmälig Priesterrang erworben
(s. § 70). Die pullarii gehören nicht zu den priesterlichen, sondern zu den
magistratischen Apparitoren (s. unten § 68).
Die Privilegien und Ehrenrechte, welche die Priester geniessen {sacer-
dotum commoda Suet. Aug. 31), sind zum grössten Teile rein persönlicher Natur.
haben P. Preibisoh, De libris pontificiis S. 4
und namentlich F. Kbobll, De anguram publ.
libris S. 30 ff. gezeigt. Ueber cotnmentarii
im allgemeinen s. A. y. Frehebstein bei
PAULY-Wi880WA,Real-Encycl. IV 726 ff., über
die einen Theil der Commentarien bildenden
Mitgliederverzeichnisse oben S. 417.
') Ein pontificalis arcarius Symm. epist.
I 68, ein arcarius Lawentium Lavinatium
CIL VI 2197.
') Suet. gramm. 12: Syllae dictaioris
libertua calaiarque in sacerdotio augurali,
für die Arvalbrüder Hbmzen, Acta 8. VII f.
•) CIL VI 2080, 45 ff.: Verhandlung der
AryalbrQder über die beantragte Rückzahlung
des Eintrittsgeldes eines Kalator, die ab-
gelehnt wird; dabei die bezeichnenden Worte
cum cdlator accessio sit sacerdotis.
*) Wir kennen solche bei den Augum
(CIL VI 2187. Suet. gramm. 12), Quindecim-
virn (CIL VI 3878), Epulones (CIL X 6227.
8388), den SodalitAten der Divi imperatores
(CIL VI 2188. 2190. Notiz, d. scavi 1888, 236)
und den Arvalbrttdem (s. o. A. 2).
») Bezeugt für Augum (CIL VT 1847),
Quindecimvim (CIL XIV 2940), Epulones
(CIL VI 2194) und Sodales Augustales (CIL
XIV 8647); ein apparitor pontificum CIL
VI 2196.
•) CIL XIV 296, vgl. VI 1892: lictor cu-
ria[t(ius) a] sacris publicis p. R. Quiritium,
') Serv. Aen. XII 120: limus est vestis,
qua ah umbilico %Lsque ad pedes teguntur
pudenda poparum; daher succincti popae
Prop. IV 3, 61. vgl. Suet. Cal. 32.
•) Mit vollem Namen CIL VI 971 coU
leg (tum) victimariorum qui ipsi — d. h. dem
Kaiser — et sacerdotibus et magistr(at%busj
et senatui apparent.
•) So CIL VI 2191; sonst getrennt das
coUegium tibicinum Romanorum q. s, p, p. s.
(CIL VI 240. 3696. 1054. 3877. 3877», s. oben
S. 204) und das coll(egium) fid(icinumj Ro-
m(anorum) (CIL VI 2192); verschieden wohl
das collegium sympf^oniacorum qui sacris
publicis praestu sunt (CIL VI 2193).
428
Beligion und Kaltiis der BOmer. m. Knltas.
Der magistratischen Kompetenz nahekommende Befugnisse hat im wesent-
lichen nur der Pontifex maximus, alle Priesterschaften aber besitzen das ins
contionandi et edicendi, d. h. das Recht innerhalb ihres Wirkungskreises auf
mündlichem oder schriftlichem Wege Mitteilungen an das Volk ergehen zu
lassen, >) sowie das Recht, im Senate Vortrag zu halten,^) während Sitz und
Stimme im Senate und die Sella curulis nur dem Flamen Dialis zustehen (unten
S. 436 A. 5). Die den Beamten zukommende Ehrentracht, die purpurgesäumte
Toga, tragen auch die Priester,^) sobald sie im Dienste der Götter auf-
treten und wenn sie bei den Spielen erscheinen,^) falls nicht etwa die
besondere Art ihres Dienstes nach geheiligtem Herkommen eine andere
Tracht erheischt : so tragen die Augurn und Salier das alte-Eriegsgewand,
die purpurne Trabea,^) und auch die Kleidung des Flamen Dialis und der
Flaminica war ursprünglich eine besondere. ^) Im Gegensatze zum Beamten
trägt der Priester nach alter Ritualordnung den Kopf bedeckt; wie die
Frauen die Haube {tutulus),'') so tragen die männlichen Priester beim
Opferdienste eine kegelförmige Woll- oder Fellmütze (galerus),^) die beim
*) Act. lud. saec. Aug. Z. 26 ff. edicieren
die Qaindecimvim : [de ea re] quae more
exsemploque maiorum in contione pfalam
ediocimtM . . . item in albo proposuijmus,
uti si qui a contione afuissent aut non
satps intellexissentj cognoscerent, quid quem-
que eorum quoque dpe facere oporteretj;
dadurch wird die Auffassung Mommsens,
Staatsr. I 196. 199 f. berichtigt; vgl. Paul,
p. 38 : conho significat conventum, non tatnen
alium quam eum, qui a magistratu vel
sacerdote publico per praeconem con-
vocatur; in einer contio findet die Losung
der Vestalinnen (Gell. I 12, 11) und die
Nomination der Priester für die comitia
sacerdotum (Auct. ad Her. I 20) statt.
') Act. lud. saec. Sept. Sev. (Eph. epigr.
Vlir p. 278) 15 f.; vgl. Mommsbn, Staatsr.
in 959.
•) Liv. XXXIV 7, 2 : purpura viri utemur,
praetextati in magistratibus, in sacerdotiis,
XXXIII 42, 1 (Pontifices und Epulones).
XXVII 37, 13 (Decemviri s. f.) und mehr bei
MoKMSEN, Staatsr. l 406.
*) Lex col. Genet. c. 66: eisque pontifi-
cib(u8) auguribusque ludis, quot publice
magistratus facient, et cum ei poniific(es)
augures sacra publica c(oloniae) G(enetivaeJ
I(uliae) facient, togas praetextas habendi
itis potestasq(ue) esto. Das Statut über den
Provinzialflaminat der Narbonensis (CIL XII
6038) ordnet ffir den gewesenen Flamen
an Z. 16: eisque diebua, quibus, cum flamen
esset, sacrificium fecei'it, ea veste pufblice
uti, qua in eo faciendo usus est]; daher er-
scheiut der Flamen Dialis, der stets im
Dienste ist, immer in der Praetexta (Serv.
Aen. Vni 552), und die Arvalen legen die
Praetexta an den Tagen ihres Mai festes
nur zu den eigentlichen gottesdienstlichen
Handlungen an, nach deren Beendigung
wieder ab (Hbnzbn, Acta S. 14. 28).
') Serv. Aen. VII 612: Suetonius inlibro
de genere vestium dicit tria esse genera tra-
beai'um : unum dis sacratum, quod est tan-
tum de purpura; aliud regum, quod est
purpureum, höhet tarnen album aliquid;
tertium augurale de purpura et cocco (vgl.
VII 188); in der Angabe ebd. VII 190: ancHe
et trabea communia sunt {augurt) cum Diali
vel Martiali sacerdote erregen die letzten
Worte schon durch ihre Fassung Bedenken ;
das ancile weist auf die Salier, die that-
sächlich die Trabea tragen (Dion. Hai. II 70,2).
MoKMSBNs (Staatsr. I 414) Auffassung der
Trabea als des Kriegsgewandes scheint mir
durch E. Samter, Philol. N. F. X 394 ff. nicht
widerlegt.
^) Der Flamen Dialis trägt eine Toga
aus doppeltem Wollstoff, Ictena genannt (Serv.
Aen. IV 262 f.; vgl. Suet. frg. 167 Reiff.; vom
Flamen Carmentalis Cio. Brut. 56), welcher
als Frauentracht das ricinium (Varro de 1. 1.
V 133) oder die rica der Flaminica ent-
spricht (Fest. p. 277. Paul. p. 288).
^) Fest. p. 355: tutulum vocari eUunt
flaminicarum capitis omamentum, quod fiat
vitta purpurea innexa crinibus et exstruc-^
tum in altitudinem; vgl. Varro de 1.1. VII 44
und die tutulutae {tovroXaiai) bei Dion. Hai.
II 22, 2 ; übertragen wird auch die Spitzmtttze
der Pontifices und Flamines tutulus genannt
(Fest, und Varro a. a. 0.).
^) Serv. Aen. U 683: Suetonius tria ge-
nera pilleorum dixit, quibus sacerdotes utun-
tur, apicem, tutulum, galerum: sed apicem
pilleum sutile circa medium virga eminente,
tutulum pilleum lanatum metae figura, ga-
lerum pilleum ex pelle hostiae caesae (die
Definitionen sind willkürlich). Paul. p. 10:
albogiderus a galca nominatus, est enim
jnleum capitis, quo Diales flamines, i. e.
66. Die PrieBterordnnng.
429
Flamen Dialis noch durch einen spitzen Aufsatz aus Ölbaumholz (apex)
gekrönt wird;^) nur bei diesem Priester und bei den Saliern hat sich das
Tragen der altertümlichen Kopfbedeckung erhalten,*) während sonst die
rituelle Verhüllung des Hinterhauptes durch die heraufgezogene Toga (oben
S. 333 A. 1) an ihre Stelle trat. Bei den öffentlichen Spielen steht den
Staatspriestern ein Ehrenplatz zu,^) ausserdem üben sie in weitem Um-
fange das ins publice epulandi, indem sie die Hauptfesttage ihres Gottes-
dienstes nach dem Opfer durch ausgedehnte Festmahlzeiten auf Staats-
kosten begehen.^) Endlich befinden sich sämtliche Priester im Besitze
der vacatio müitiae tnunerisque publici, ^) eine Rechtsstellung, die ursprünglich
aus der allgemein geltenden Unvereinbarkeit des Priesteramtes mit jeder
öffentlichen Thätigkeit (oben S. 410) folgte, nachher aber zu einem wert-
vollen Privilegium wurde. ^
Ob aUe Priesterschaften offizielle Insignien besassen, ist nicht mit
Sicherheit auszumachen. Der durch weisse Binden zusammengehaltene
Ährenkranz, den die Arvalbrüder führen, ^) ist das einzige direkt bezeugte
sacerdotes lovis utebantur; fiehat enim ex
hostia alba lovi caesa, cui affigebatur apex
virgula oleaginea. Gell. X 15,32: verba M.
Varronia ex sectmdo rerum divinarum super
flamine Diali haec sunt: 'is solum dlbum
habet galerum, vel quod nuiximus, vel quod
lovi immolata hostia alba id fieri oporteat*
*) Dass apex zunächst nur diesen Auf-
satz bezeichnet, ist nach Paul. p. 10. Serv.
Aen. II 683. X 270 zweifellos, das Wort ist
dann aber oft von der ganzen mit dem Apex
versehenen Kopfbedeckung gebraucht worden
(z. B. Gell. X 15, 17: sine apice sub divo esse
licitum non est, vgl. Serv. Aen. I 305)
*) Besonders deutlich ist der Apex des
Flamen Dialis zu erkennen auf der Opfer-
darstellung Brünn-Bruokmakn Taf. 269, vgl.
auch O.Jahn, Sachs. Berichte 1868 Taf. IVa
und die eindringende Erörterung aller die
priesterliche Kopfbedeckung betreffenden
Fragen von W. Hblbio, S. Ber. Akad. Mün-
chen 1880 I 487 ff.; über die Ersetzung der
Motze durch eine Wollbinde (filum, Varro de
1. 1. V 84. Serv. Aen. VIII 664; auch bei den
Fetialen, Liv. 1 82, 6) s. E. Samtbb, Philol.
N. F. VII 585 ff.
•) Lex col. Gen. c. 66: eisque pontifici-
b(us) auguribfusjqfue) ludos gladiatoresq(ue)
inter decuriones spectare tus potestasque esto.
CIL XII 6088, 5: [inter decuriones sjena-
toresve subsellio primo spectanfdi ludos ius
esto]. Amob. IV 34 und mehr bei Mommsbn,
Staatsr. I 390, 5. Den Arvalbrüdem werden
durch Kaiser Titus im neuerbauten Amphi-
theatrum Flavium Plätze angewiesen, CIL
VI 2059, 25 ff. und dazu Hülsen, Bull. arch.
com. XXII 1894, 312 ff.
*) Die Arvalbrüder erhalten für jede
Mahlzeit ihres Maifestes eine sportula von
je 100 (später 25) Denaren, Hbkzeh, Acta
iS. 16. 45. Die collegiorum cenae (Varro de re
mst. III 2, 16) als Beispiele des höchsten
Tafelluxus werden häufig erwähnt, eine
cena auguralis bei Cic. epist. VII 26, 2, die
dapes pontificum bei Martial. XII 48, 12. Hör.
carm. U 14, 28 (vgl. auch Fun. n. h. XXVIII
27) und insbesondere die sprichwörtlich ge-
wordenen epulae saliares (Cic. ad. Att. V9, 1.
Hör. carm. I 37, 2 m. Schol. Suet. Claud. 33.
Fest. p. 329. Apul. met. IV 22. VII 10. IX 22.
Auson. epist. 5, 13 p. 227 Peip. Symm. epist.
I 23. Tertull. apol. 39).
^) Lex col. Gen. c. 66: iisque pontifidbus
augurifbjusque, qui in quoque eorum collegio
eru/nt, liberisque eorum milüiae tnunerisque
publici vacatio sacro sanctius esto, uti pon-
tifici Romano est erit, [ajefrjaque militaria
ei omnia merita sunto, und dazu die Erläu-
terung von MoMMSEN, Eph. epigr. III p. 100 f.
Die vacatio militiae gilt extra tumultum
Gallicum ItaUcumque (Plut. Camill. 41 vgl.
mit Cic. Phil. V 53), über die Ausdehnung
der vaccUio muneris (Cic. Acad. pr. II 121)
konnten gelegentlich Meinungsverschieden-
heiten entstehen (z. B. Cic. Brut. 117. Digest.
IV 8, 32, 4). Dass diese Immunität alle
Priesterschaften, nicht nur die grossen Col-
legien, traf, zeigt die Thatsache, dass auch
die Sacerdotes Lanuvini (CIL IX 4206—4208.
4311) und Caeninenses (CIL X 8704) sie be-
sitzen. Vgl. Ulpian. Frg. iur. Vatic. 173a.
Cod. Theodos. VIII 5, 46.
•) Ein Versuch der Priester (ab augu-
ribus pontificibusque), ausser der Personallast
des Militärdienstes auch die Reallast des
Tributum von sich zu weisen, wurde im J.
55S = 196 vereitelt (Liv. XXXIII 42,4).
^) Plin. n. h. XVIII 6: spicea Corona,
quae vitta alba colligaretur, sacerdotio ei
pro religiosissimo insigni data. Gell. VII 7, 8 :
insigne est spicea Corona et albae infulae:
vgl. Henzbn, Acta S. 28.
430
Religion und Knltas der BOmer. m. KnltnB.
Insigne dieser Art, der Lituus der Augurn und das Ancile der Salier hängen so
eng mit ihrer Thätigkeit zusammen, dass ihre Verwendung als Wappenzeichen
leicht zu verstehen ist, und auch dass der Dreifuss im Dienste der Quin-
decimvirn eine wichtige Rolle spielte , ist bezeugt (Serv. Aen. III 332) ;
aber inwieweit die Führung solcher Embleme auf fester Satzung beruhte,
ist zweifelhaft, und die zu Ehren der Aufnahme der Kaiser und kaiser-
lichen Prinzen in die grossen Priestertümer geschlagenen Münzen ^) geben
in so fern keine unzweideutige Antwort, als sie vielfach variierende Com-
binationen von Sacralgerätschaften, oft nicht einmal unter Bewahrung der
Vierzahl, darbieten; namentlich für den Pontificat finden wir nicht nur die
seit BoBGHEsi als sein Symbol geltende Schöpfkelle (simpulum), sondern
auch Messer, Kanne, Weihwcdel, Apex und andere Gerätschaften ver-
wendet, so dass die amtliche Anerkennung eines bestimmten Emblems als
Insigne sehr unsicher erscheint.^)
Litteratar. L. Mbrcklin, Ueber die Anordnung nnd Einteilung des römischen
Priestertums, Mölanges gröco-romains I (1852) S. 305 ff. Momksen, Rom. Staatsr. II 17 ff.
Mabquabdt, Rom. Staatsverwaltmig III 218 ff. Madvio, Verfassung und Verwaltung d.
röm. Staates II 599 ff.
67. Das PontificalcoUegium. Das collegium pontificum in seiner
Gesamtheit') stellt diejenige priesterliche Behörde dar, welcher die Wahr-
nehmung der caerimonias et sacra*) im ganzen Umfange des pattius rüus
obliegt: denn während die übrigen Priesterschaften alter Ordnung durch*
weg Träger von Spezialfunktionen sind, bestellt entweder zur Wahrung
und Anwendung bestimmter priesterlicher Wissenschaften und Satzungen,
wie die Augurn und die Fetialen, oder zur Ausführung genau bezeichneter
Kulthandlungen einzelner Gottesdienste, wie die Salii, Luperci, Arval-
brüder und Sodales Titii, fallen den Pontifices alle Obliegenheiten des
regelmässigen staatlichen Gottesdienstes ältester Ordnung zu, über die nicht
durch besondere Anordnung anderweitig verfügt ist. Wenn ursprünglich
^) Übersicht bei Hasel, De pontif. condic.
publ. S. 66 ff., der die Meinung Bobohbsis,
wonach der Stierschädel {hucranium) das
Insigne der Sodales Augustales gewesen
wäre, mit Recht zurückweist; s. auch Philol.
N. F. V 351 ff.
*) Nach BoBGHBSi, Oeuvres I 348 ff. III
428 ff. sind Simpulum, Lituus, Dreifuss und
Patera die Insignien der Pontifices, Augurn,
Quindecimvim und Epulones; sie finden sich
so vereinigt auf ie 2 Münzen des August us und
des Nero und sollen dort sicher die genannten
4 Collegia repräsentieren; aber bei den zahl-
reichen Variationen auf andern Münzen der-
selben Beziehung (Habbl a. a. 0.) und der
wenig ausgeprägten Bedeutung von Simpulum
und Patera kann in diesen Fällen die Aus-
wahl dieser beiden Symbole für die Ponti-
fices und Epulones sehr wohl auf freier
Entscheidung des Münzstempelschneiders
bezw. seines Auftraggebers beruhen.
') Wo im technischen Sprachgebrauche
vom coüeffium pontificum die Rede ist, ist
dieses immer im weiteren Sinne gemeint, d. h.
mit Einschluss des Rex und der Flamines; das
zeigt Cic. de domo 135: praesertim cum ex
coUegio tanto non regem, nan flaminem, Kon
pontificem videret (vgl. auch 127) und die
Aufzählung der an der Abgabe des Ponti-
ficaldecretes über Ciceros Haus beteiligten
collegae de har. resp. 12, unter denen sich
auch der Rex und die Flamines Martialis
und Quirinalis (die Stelle des Diab's und
wohl alle kleinen Flaminate waren damals
unbesetzt, s. oben S. 64 f.) befinden und
zwar der Anciennität nach mit den Ponti-
fices in derselben Reihe rangierend, sowie
am Schlüsse die Pontifices minores (s. unten).
Da Frauen von der Beratung natürlich aus-
geschlossen sind, so fehlen hier die Vesta-
linnen; sie erscheinen aber (neben Pontifices,
Rex, Pontifices minores) bei der cena adi-
ticUis eines Flamen Martialis, Macr. S. III
18, 11 ; vgl. über beide Listen Mommsbf, Röm.
Forsch. 1 87 f. Anm. 34 f.
^) ünum {gentis sctcerdotum) quod
praesü ccierimoniis et sacriSj Cic. de leg.
ü 21 vgl. 30: gut sacris praesint soUemni-
bus; de har. resp. 18: statcu soüemnisgue
caerimonias ponttficatu {continert).
67. Das PontifloalooUegiam.
431
der König, dem als Walterin am Staatsherde seine Gattin und als Opfer-
diener und Gehilfen seine Söhne zur Seite gestanden haben mögen, die
Ausführung der sacra publica in derselben Weise gehandhabt hat, wie der
Paterfamilias den häuslichen Gottesdienst, so hat sieh beim Anwachsen der
Gemeinde und bei der Zunahme der sacralen Anforderungen für den König
die Notwendigkeit einer Entlastung herausgestellt, die teilweise durch
Heranziehung eines consilium zur Entscheidung strittiger Fragen des ins
divinum, teilweise durch Bestellung von Stellvertretern für die Ausführung
von Opferhandlungen erreicht wurde. So hat sich Schritt für Schritt eine
allmälige Loslösung des Priestertumes vom Königsamte vollzogen,^) bis
mit dem Beginne der Republik das PontificalcoUegium die Gesamtheit der
einstmals vom Könige in seiner Eigenschaft als Gemeindepriester ausge-
übten Funktionen in der Weise übernahm, dass ihm der ganze vorschrifts-
mässige Kultus der von der Gemeinde anerkannten Götter alter Ordnung
und die Bewahrung der heiligen Rechtssatzungen und Traditionen zufiel,
während den Magistraten die Vertretung der Gemeinde durch Gelübde und
Weihung, Gebet und Opfer im besonderen Falle kraft ihres imperium zu-
stand (s. oben S. 888 ff.). Eine Erinnerung daran, dass das Pontifical-
coUegium der Rechtsnachfolger des Königs ist, hat sich für alle Zeiten
darin erhalten, dass die Regia,') das alte Königshaus an der heiligen
Strasse, das Amtslokal des GoUegiums geblieben ist, in welchem dieses
seine Versammlungen abhielt,^) Opferhandlungen stattfanden,^) heilige Ge-
räte und Symbole aufbewahrt wurden,^) und wahrscheinlich auch das Archiv
der Priesterschaft seinen Platz hatte, ^) während die Dienstwohnungen der
verschiedenen zum Collegium gehörenden Priester in der nächsten Nach-
barschaft gelegen waren. ^)
*) Die Gberliefemng laset dies auf ein-
mal geschehen, indem sie dem Nama Pom-
pilius die Einsetzung der Pontifices, Flamines
und Vestalinnen (von den sonstigen Priester-
tümem abgesehen) znschreibt; das Material
bei ScHWB6LBB, Rom. Gesch. I 542 S.
') Sie ist als fanum consecriert, Fest,
p. 278; vgl. Cass. Dio XLVIIl 42, 6. Im all-
gemeinen s. Jordan, Topogr. I 2 S. 423 ff.
ÜÜU9BN, Jahrb. d. arch. Instit. IV 1889 S. 228 ff.
») Plin. epist IV 11, 6 (Domitian) pon-
tifices non in regiam sed in Albanam vülam
convocavit; auch die Arvalen treten im
J. 14 n. Chr. in der Regia zusammen, CIL
VI 2023 a 9. 18. Ein in der Regia vorge-
fallenes Prodigium wird von den Pontifices
dem Senate gemeldet. Gell. lY 6, 2.
*) So an den Opiconsivia (25. August,
CIL I ' p. 327) im sacrarium Opis Consivae
(Varro de 1. 1. VI 21, vgl. Pest. p. 186); an
allen Kalendae opfert die Regina sacrorum
porcam vel agnam in regia lunani (Macr.
S. I 15, 19), ebenso an aUen Nundinae die
Flaminica in regia lovi arietem (Macr. S. I
16, 30); ebendaselbst findet das Opfer des
Widders an Janus durch den Rex am Ago-
nium (9. Jan.) statt (Varro de 1. 1. VI 12); das
Blut aus dem Schwänze des Oktoberrosses
wird auf den Herd der Regia geträufelt, das
Haupt des Pferdes an ihrer Wand angenagelt
(Fest. p. 178, vgl. Cass. Dio XLIH 24, 4).
Endlich kennen wir auch ein sacrificium,
das die aaliae virgines zusammen mit dem
Pontifez in der Regia vollziehen (Fest. p. 329).
^) So die htutae Mortis (in sacrario
regiae Gell. IV 6, 2) und praefericulum und
secespita im sacrarium der Ops Consiva
(Fest. p. 249. 348 mit der Herstellung von
JoBDAiT, Topogr. II 274 f.).
*) Man kann das aus der Thatsache
schliessen, dass die Consularfasten auf den
marmornen Aussenw&nden der von Cn. Do-
mitius Calvinus im J. 718 = 36 prächtig
restaurierten Regia eingegraben waren ; vgl.
HÜU9BN a. a. 0. S. 247 ff.; Hermes XXIV 1889
8. 185 ff CIL Pp. 5 ff.
') Dicht dabei liegt der Tempel der
Vesta mit dem Hause der Vestalinnen {atrium
Vestae, s. unten), das deshalb auch zuweilen
atrium regium genannt wird (Liv. XXVI 27, 3.
XXVll 11, 16); an dieses stösst {ofAoxoixog
Cass. Dio LIV 27, 8, der aber die Wohnung
des Rex sacrorum mit der des Pontifex ma-
ximus verwechselt; ähnliche Confusion bei
Serv. Aen. VIII 363, der ausserdem noch die
Regia mit der Wohnung des Pontifex max.
482
Religion und Knltiui der BOmer. III. Knltiui.
Das collegium pontificum setzt sich zusammen aus einer Mehrheit nach
Namen, Alter und Bangstellung verschiedener, aber in ihrer Wirksamkeit
zu einer einheitlichen Organisation zusammengefasster Priestertümer, die
sämtlich schon in alter Zeit auch ausserhalb Roms in Latium nachweisbar
sind^) und wahrscheinlich nach Benennung und Funktion zum Gemeingut
latinischer Sacral Verfassung gehören. Es umfasst folgende sacerdotia'
1) die Pontifices,*) von Haus aus ein beratendes consüium des Königs
wie nachher des Pontifex maximus,') von ursprünglicher Dreizahl nach
und nach auf 6, 9, 15 und durch Caesar auf 16 vermehrt;^)
2) den Rex sacrorum, ^) Träger derjenigen priesterlichen Funktionen,
die der König bis zuletzt in eigener Person ausgeübt hatte und deren
Vollziehung an den Königsnamen gebunden schien;
3) die Flamines, Einzelpriester für je eine bestimmte Gottheit, deren
Namen sie auch im Titel führen/) insgesamt 15 (Fest. p. 154), nämlich
die 3 flamines maiores DibUs^ Martialis, Quirinalis^) und 12 flamines minores,
von denen wir nur noch 10 namhaft machen können;^)
identificiert) die dem Pontifex maximoe zur
Amtswohnung angewiesene domiM piiblica
(Suet. Caes. 46, vgl. Gase. Dio a. a. 0.)> und
dicht bei der Regia liegt auch die Schola
der kalatores pontificum et flaminum (s.
unten S. 447), HüL8BN,Röm.Mitt.XIV 262. Die
flaminia (sc. domus), d. h. die Amtswohnung
des Flamen Dialis (Gell. X 15, 7. Paul. p. 89.
106. Serv. Aen. II 57. VIII 368), kann nach
der Erzählung des Gass. Dio LIV 24, 4 nicht
weit vom Vestatempel entfernt gewesen sein,
und der Rex sacrorum hat sein Haus am
andern (östlichen) Ende der Sacra via (Fest.
p. 290). Die übrigen Flamines und die Ponti-
nces hatten wohl sicher keine Amtswohnung.
') Vgl. die Indices zu GIL XIV, auch
IX. X. Die Frage, ob die Benennung des
Priestertums ursprünglich oder von Rom
übernommen ist, muss für jeden Ort beson-
ders entschieden werden; von Wichtigkeit
ist namentlich die Wiederkehr der römischen
Priesterbezeichnungen in zahlreichen lati-
nischen Gottesdiensten, in denen nicht wohl
überall Übertragung von Rom her ange-
nommen werden kann; so finden wir Ponti-
fices in Praeneste (Serv. Aen. VII 678), Tibur
(GIL XIV 3650. 3674. 4258) und Ostia {pon-
tifex Volcani et aedium sacrarum^ GIL XIV
p. 5), Vestalische Jungfrauen in Tibur (GIL
XIV 3677. 3679), einen Rex sacrorum in
Tusculum (GIL XIV 2634) und in Velitrae
(GIL X 8417), einen Flamen Dialis in Tibur
(GIL XIV 8586), Flamen Martialis in Aricia
(GIL XIV 2169), alle diese Würden endlich
in den zu römischen Priestertümem gewor-
denen sacerdotia altlatinischer Städte, wie
Lavinium, Alba u. a. (die Belege s. unten
S. 448 A. 8. 5. 11).
') Der Name ist seiner Zusammensetzung
nach eben so klar (denn trotz aller alten
und neuen Versuche erweist sich jede andere
Ableitung als die von pons und facere als
unmöglich; s. die Etymologien bei Rospbb,
Lucubrationum pontificalium primitiae, Gedani
1848 S.5ff. MABQUABDT.Staatsverw. III 235 ff.)
wie seiner Bedeutung nach rätselhaft; seine
Entstehung liegt wahrscheinlich schon in vor-
römischer Zeit.
*) MoMMSBN, Staatsr. II 21.
^) Drei Pontifices hat die Golonie ürso
(Lex col. Genet. c. 67), 6 die Golonie Gapua
(Gic. de leg. agr. II 96), und auf letztere Zahl
fuhrt auch die Geschichtskonstruktion (Cic
de rep. 11, 26), die den Numa 5 Pontifices
einsehen lässt, da diesen der König als Vor-
gänger des Pontifex maximus hinzuzurechnen
ist. Dass nach der Lex Ogulnia die Zahl
der Pontifices wie die der Augum 9 betrug,
hat (gegenüber der falschen Angabe des Liv.
X 6, 6. 8, 3. 9, 2: octo pontificnm . . numerus
factus) C. Babdt, Priester der vier grossen
Gollegien S. 32 f. nachgewiesen. Über die
Erhöhung der Stellenzahl auf 15 (durch Sulla)
und 16 s. Liv. per. LXXXIX. Gass. Dio
XLU 51, 4.
') Dies ist die einzige offizielle Form des
Namens in den Inschriften und sonst im
technischen Sprachgebrauche; daneben un-
technisch rex sacrificiorum, rex aacrificulus
und rex schlechthin, s. Momxsbf, Staatsr.
II 14, 3.
•) Gic. de leg. U 20 (vgl. 29): divisgue
t aliis sacerdotes, omnibus pontifices, singulis
jflamines sunto. Varro de 1. 1. V 84: Fla-
mines quod in Lotio capüe velato erant
semper ac caput cinctum habebant filo, fla-
mines dicti (vgl. Paul. p. 87. Serv. Aen. Vm
664. X 270. Dion. Hai. n 64, 2. PlutNuma?);
homm singuli cognomina Jhobeni ab eo deo,
cui Sacra faciunt.
') Paul. p. 151. Gaius 1 112; vgl. Cic.
Phü. II 110. Liv. I 20, 2. Plut. Numa 7.
^) Paul. Gaius a. a. 0. Die 6 letzten der
Reihe (dass es diese sind, zeigt Fest. p. 154)
67. Das Pontifloaloolleginm.
483
4) die Virgines Vestalee, in historischer Zeit sechs an der Zahl,^)
Vertreterinnen der Hausfrau an der vesta publica p. R, Quir. zur Wahrung
des heiligen Herdfeuers und Bereitung der für den Opferdienst erforder-
lichen Stoffe.
All diese Priestertümer bilden seit Beginn der Republik eine recht-
liche Einheit: sie stehen alle im gleichen Abhängigkeitsverhältnisse zum
Pontifex maximus (s. unten), vertreten sich gegenseitig in ihren Amts-
funktionen'), kommen zu gemeinsamen Verhandlungen zusammen und
rangieren in einer gemeinsamen Anciennitätsliste (s. oben S. 480 A. 8), wes-
halb auch die Bekleidung zweier Würden dieses Kreises durch dieselbe Person
ausgeschlossen ist (oben S. 428). Soweit sie dem Dienste bestimmter ein-
zelner Gottheiten geweiht sind, stehen sie unter sich in einer festen Rang-
ordnung, die durch die im Kulte gegebene Reihenfolge der repräsentierten
Gottheiten bestimmt ist (s. oben S. 20), obenan der Rex sacrorum als Ver-
treter des Janus und zugleich als nomineUer Träger der Würde, von der
das ganze Gemeindepriestertum seinen Ausgang genommen hat, nach ihm
die drei grossen Flamines des Juppiter, Mars und Quirinus, dann erst der
Pontifex maximus, nicht in seiner Stellung als Leiter des ganzen Collegiums,
sondern als männlicher Vertreter der Vestalinnen; den Schluss machen die
Flamines minores in fester Abfolge bis hinunter zum letzten, dem Pomo-
nalis.') In ähnlicher Weise stuft sich auch Strenge und Kompliziertheit
der für die einzelnen Priestertümer geltenden Ceremonialvorschriften ab,
wobei es allerdings schwer zu entscheiden ist, inwieweit es sich um ur-
sprüngliche Verschiedenheit der Ritualbestimmungen oder aber um eine
spätere Abänderung auf Grund veränderter äusserer Verhältnisse handelt;
aber auch wo der letztere Fall vorliegt, weist die Thatsache, dass für
den Rex sacrorum und den Flamen Dialis oder überhaupt die drei grossen
Flamines — um von den durch ihr Geschlecht in eine Sonderstellung ver-
wiesenen Vestalinnen zunächst abzusehen — an den alten Sacralsatzungen
trotz ihrer Unverträglichkeit mit den praktischen Anforderungen späterer
Zeit viel zäher festgehalten worden ist, als für die Pontifices und die
fahrt EnnioB bei Varro de 1. 1. VII 45 an:
Yolturnalis (Paul. p. 379), Palatualis (Fest.
p. 245; die Inschriften CIL VID 10500. XI
5031 nennen ihn pontifex PcUattMilis), Forri-
nalis (Varro de 1. 1. V 84. VI 19), Floralis
(CIL IX 705), FaUcer (Varro de 1. 1. V 84),
Pomonalis (Fest. p. 154. CIL DI Sappl. 12732),
dazu kommen durch andre Zeugnisse der
Flamen Volcanalis (Varro de 1. L V 84. Macr.
S. I 12, 18. CIL VI 1628), Cerialis (CIL XI
5028), Carmentalis (Cic. Brut. 56. CIL VI
3720 = Eph. epigr. IV 759) und Portnnalis
(Fest p. 217).
>) Nach Dion. Hai. II 67, 1. HI 67, 2.
Plut. Numa 10 waren es ursprünglich vier, die
dann auf sechs vermehrt wurden (die Sechs-
zahl auch hei Fest. p. 344); ganz am Aus-
gange des Heidentums hören wir von sieben
Vestalinnen, Ambros. epist. I 18, II. Expos,
tot. mundi p. 120 Riese.
Bftndbuoli der klaM. AltertnaMwineiiBchaft. V, 4,
*) Sowohl der Rez (Fest. p. 258) wie
der Flamen Dialis (Tac. ann. III 58: aciepe
pontifices Diaiia sacra fecisse, ai flamen
väletudine aut munere publice impediretur)
kann durch einen Pontifex vertreten werden.
*) Fest p. 185: ordo scuierdotum aesti-
mcUur deorum fordine et ut] mciximus quis-
que: nuiximus videtur rex, dein Diaiis, post
hunc Martialis, quarto loco Quirinalis, quinto
pontifex mcixifnus, itaque in [convimia]
soha rex supra omnis accubat (Serv. Aen.
II 2), 8ic et Dialis supra Martiaiem et Qui-
rinaiem (Gell. X 15, 21), Martialis supra pro-
ximum, omnes item supra pontificem. Fest,
p. 154: maximae dignationis flamen Dicdis
est inter quindecim flami/nes, et cum certa
discrimina maiestcUis suae haheant, minimi
habetur Pomonalis, quod Pomona levissimo
frudui affrorum praesidei pomis.
28
434
OD und Knltui der BOmor. IIL Knltiui.
kleineren Flamines, auf höhere Ehrwürdig^eit und damit auf höheres
Alter jener Priestertümer hin.^) Der ursprünglich viel weiter greifeude
(s. oben S. 410) Grundsatz von der Unvereinbarkeit priesterlicher und magi-
stratischer Funktion ist in seiner vollen Strenge nur für den Rex sacromm
bis in die Eaiserzeit hinein aufrecht erhalten worden,*) fQr den Flamen
Dialis^) wurde er dahin eingeschränkt, dass bei ihm wenigstens die Be-
kleidung stadtischer Ämter toleriert,*) ihm dagegen eine Thatigkeit in der
Provinz mit Rücksicht auf die für ihi) geltenden Verbote, länger als eine
Nacht von der Stadt fem zu bleiben, ein Pferd zu besteigen oder ein
Heer in Waffen zu sehen, versagt wurde, ^) während den Flamines Martialis
und Quirinalis diese ihnen lange ebenfalls verschlossene kriegerische Wirk-
samkeit am Ende der Republik und in der Eaiserzeit zugestanden war;^)
die Pontifices aber unterlagen in Bezug auf die Ämterbekleidung in histo-
rischer Zeit keiner Beschränkung, wenn auch die Pontifices maximi ans
gebotener Rücksichtnahme auf die cura sacrorum es ablehnten, ein Kom-
mando ausserhalb Italiens zu übernehmen,^) ein Brauch, der zum ersten
Mal im J. 623 = 131 durchbrochen wurde.®; Nur vom Rex und den drei
grossen Flamines wird verlangt, dass sie nicht nur von patricischer Ab-
kunft sein,^) sondern aus einer confarreierten Ehe stammen und selbst in
') Die Stelle des Rex saGrorum kann
als älteste im Colleginm natürlich nur inso-
fern gelten, als ihr Inhaber die priesterliche
Thatigkeit des Königs unmittelbar fortsetzt.
Dass es einen Rex sacromm erst seit dem
Ende des Königtums gibt, ist nicht nur über-
liefert (Liv. II 2, 1. Dion. Hai. IV 74, 4. Flut.
Qu. Rom. 63. Fest. p. 318), sondern auch so
selbstverständlich, dass es bei der Diskus-
sion über die iotucmenta-lnBchnfi nicht hätte
in Zweifel gezogen werden sollen.
^) Dion. Mal. Flut. aa. 00.; ein Versuch,
diesen Grundsatz zu durchbrechen, wird im
J. 574 =180 gemacht, bleibt aber erfolglos
(Liv. XL 42, 8 ff.). In Trajans Zeit freilich
wird Cn. Finarius Severus Consul, Augur,
Rex sacrorum genannt (CIL XL V 8604; vgl.
ein andres Beispiel CIL IX 2847).
•) Liv. IV 54, 7: salii flaminesque nus-
quam alio quam ad sucrificandum pro po-
pulo sine imperüs ac potestatibus relinquan-
tur. Flut. Qu. Rom. 23.
^) Flamen Diaiis als curulischer Aedil
554 =-- 200, Liv. XXXI 50, 7 ff.; als Praetor
inter peregrinos 571 = 183, Liv. XXXIX
45, 4.
^) Gell. X 15,4: equo Dialem flaminem
vehi religio est (Paul. p. 81. Flut. Qu. Rom.
40. Plin. n. h. XXVIII 146), item religio est
classem procinctam extra pomerium id est
exercitum armatum videre (Fest. p. 249);
idcirco rarenter flamen Dialis creatus consul
est, cum bella consulibus mandabantur» Liv.
V 52, 13: flamini Diali noctem unam manere
extra urbem nefas est (drei Nächte Flut.
Qu. Rom. 40. Gell. X 15, 14). Tac. ann. III 71 :
decretum pontificum, quotiens non valehtdo
adversa flaminem Dialem incessisset, ut pon-
tificis maximi arbitrio plus quam hinodhtm
abesset, dum ne diebus publici sacrificH neu
saepius quam bis eundem in annum; quae
principe Augusto constituta satis ostende"
bant annuam absentiam et provinciarumi
administrationem Dialibus non concedi,
') Serv. Aen. VIII 552: veteri sacrorum
ritu neque Marticdis neque Quirinalis flamen
Omnibus caerimoniis tenebcUur, quibus flamen
Dialis : neque diumis sacrificiis destinabantur
et abesse eis a finibus Italiae licebat neque
semper praetextam neque apicem nisi tem-
pore sacrificii gestare soliti erant, Tac.
ann. III 58: frustra vulgatum dictitans, non
licere Dialibus egredi Italia, neque aliud
itis suum quam Martialium Quirinaliumque
flaminum ; porro si hi duxissent provindaa,
cur Dialibus id vetitum? Aber in dem J. 512
= 242 (Liv. per. XIX. Val. Max. 1 1. 2. Tac.
ann. III 71) und 628 = 131 (Cic. Fhil. XI 18)
hatten Consuln, die zugleich Flamines Mar-
tiales waren, in die Provinz nicht gehen
dürfen, ebensowenig im J. 5G5 — 189 ein
Flamen Quirinalis als Praetor (Liv. XXXVII
51, Iff.); vgl. Liv. XXIV 8, 10.
') Liv. XXVIII 38, 12. 44, 11. Cass. Die
frg. 56, 63 Melb. Diod. XXVII 3. Flut. Ti.
Gracch. 21 ; Serv. Aen. VIII 552: cum . . pon-
tifidbus non liceat equo vehi scheint auf
Verwechslung mit dem Flamen Dialis zu be-
ruhen (oben Anm. 5).
«) Liv. per. LIX, vgl. Gros. V 10, 1.
*) Gio. de domo 38. Paul. p. 151.
67, Das Pontifioaloolleginm.
435
einem solchen Ehebunde leben müssen/) und diese Vorschrift hängt damit
zusammen; dass an dem Priestertume des Rex sacrorum sowohl wie des
Flamen Dialis*) ihre Gattinnen, die Regina sacrorum 3) und die Flaminica,
einen grossen Anteil haben, weshalb sie auch mit ihren Gatten den strengen
Bestimmungen des Geremonialgesetzes unterstehen. Die komplizierte speziell
für den Flamen Dialis geltende Sacralordnung^) zeigt, wie dieser Priester
mit seinem ganzen Leben, seinem ganzen Hause, all seinen Angehörigen,
Tag und Nacht dem Dienste der Gottheit geweiht ist;^) er ist cotidie feriatus
(s. oben S. 866 A. 2) und darf an Feiertagen nicht einmal sehen, dass
jemand anderes arbeitet,^) trägt stets die priesterliche Kopfbedeckung und
Kleidung, selbst bei seinem Bette müssen allezeit Opfergaben {strues und
fertum) bereit stehen; in seinem Bett darf keine andere Person schlafen,
von seinem Herde darf Feuer nur zu sacralen Zwecken genommen werden,
sein Haar darf nur ein Freier scheren und die Ab&Ue von Haar und
Nägeln werden unter einer arbor felix vergraben;^) nichts darf an ihm
sein, was einer Fessel gliche, er darf nicht schwören,^) das für die Priester
allgemein geltende Verbot des feralia attrectare^) ist für ihn und seine
Gattin in eine Menge von Einzelvorschriften zerlegt, die so weit gehen,
dass er von Dingen wie der Ziege, der Bohne, dem Epheu nicht einmal
') Gai. I 112: quod ius etiam nostris
temporüms in usu est; nam flamines maiares,
id est Diätes Martiales Quirinales, itetn reges
sacrorum nisi ex farrecUis nati non leguntur
ac ne ipsi quidem sine ctmfarreatione sacer-
dotium habere possunt; vgl. Sery. Aen. IV
374; damit h&ngt es zusammen, dass der
Flamen Dialis sich von seiner (Vau nicht
scheiden darf {matrimanium flaminis nisi
motte dirimi ius non est Gell. X 15, 23, vgl.
Faul. p. 89. Sery. Aen. IV 29, wonach auch
die Flaminica univiria sein muss; mehr bei
Mabqüabdt, Staatsverw. III 828, 8) und, falls
sie stirbt, sein Amt niederzulegen hat (Gell,
a. a. 0. 22. Flut. Qu. Rom. 50).
') Schon der Umstand, dass flaminica
ohne Zusatz stets die Gattin des Flamen
Dialis bezeichnet, beweist, dass mindestens
in der historischen Zeit die Frauen der an-
dern Flamines keine priesterlichen Funktionen
ausübten; bei dem Antrittsschmause des
Flamen Mariialis bei Macr. III 13, 11 (s.
oben S. 430 A. 8) ist dessen Gattin nicht
amtlich, sondern (mit ihrer Mutter) als
Hausfrau anwesend.
») CIL VI 2123 f.
*) Caerimoniae impositae flamini Dicdi
mvXtae, item casttis mültiplices sagt Gell. X
15, 1; nach dem Vorbilde dieser Sacralord-
nnng, aber mit Weglassung aller Iftstigen
Bestimmungen und Beibehaltung nur der
Ehrenrechte und Privilegien ist das Statut
für den Flamen des provinzialen Eaiserkultes
an der Ära Narbonensis (CIL XII 6038) ge-
staltet.
^) Die Belege zum Folgenden stehen
meist bei Gell. X 15, die übrigen Zeugnisse
sind am besten gesammelt bei R. Peter,
Quaestionum pontificalium specimen (Diss.
Argentorati 1886) S. 42 ff. ; ich beschränke
mich auf eine Auswahl aus den Bestim-
mungen.
*) Das letztere ist ihm mit dem Rex und
den beiden andern grossen Flamines gemein-
sam, Macr. S. I 16, 9; vgl. Fest p. 249 und
oben S. 374 A. 9.
') Auch über die Beseitigung des ab-
geschnittenen Haares der Vestalinnen be-
stehen besondere Vorschriften, Plin. n. h.
XVI 235. Paul. p. 57.
^) Das gilt auch von den Vestalinnen,
denn das praetorische £dikt enthält die
Worte sacerdotem Vestalem et flaminem
Dialem in omni mea iurisdictione iurare non
cogam (vgl. CIL Xu 6038 Z. 7 neve invita
iitrato von der provinzialen Flaminica); aber
während das Verbot für den Flamen Dialis
unbedingt gilt (vgl. ausser Paul. j>. 104. Plut.
Qu. Rom. 44 namentlich Liv. XXXI 50, 7),
ist der Schwur der Vestalin in gewissen
Fällen sogar vorgeschrieben (Plut. Numa 10),
nur muss er unbedingt bei Vesta geschehen
(Sen. contr. VI 8, 1); ähnlich dürfen die Pon-
tifices nicht per liberos iurare, sed per deos
tantummodo (Serv. Aen. IX 298).
*) Tac. ann. I 62: neque imperatorem
auguratu et vetusiissimis caerimoniis prae-
ditum adtrectare feralia debuisse; vgl. Serv,
Aen. VI 176. III 64. Seneca consoL ad Marc.
15, 3 (vgl. mit Cass. Dio LIV 28, 4, s. auch
85, 4. LVI 31, 3. LX 13, 3).
28
436
Religion und Knltiui der BOmer. in. Kultiui.
sprechen und seine Gemahlin keine Schuhe aus dem Leder eines gefallenen
Tieres tragen darf; Verstösse, auch geringfügiger Art, gegen die Sacral-
Ordnung beim Opfer ziehen fttr ihn den Verlust seiner Würde nach sich. ')
Eine gewisse Entschädigung für diesen sein ganzes Leben einengenden
Ceremonialzwang bieten dem Flamen Dialis verschiedene Ehrenrechte, die
er vor den anderen Priestern voraushat: er kann einem zur körperlichen
Züchtigung geführten Delinquenten, der seinen Schutz anfleht, diesen in
so weit verleihen, als die Strafe am laufenden Tage nicht vollzogen werden
darf,') er scheidet mit Antritt seines Amtes sofort aus der väterlichen Gewalt
aus,') endlich geniesst er nicht nur die Auszeichnung der Toga praetexta,
die er allezeit trägt (oben S. 428 A. 4), und des Lictors,^) sondern hat
allein von allen Priestern auf die Sella curulis sowie insbesondere den
Sitz im Senate Anspruch.^) Ähnliche Ehrenrechte ausserordentlicher Art
gemessen auch die Vestalinnen; so teilen sie z. B. mit dem Bex und den
grossen Flamines das Vorrecht, zur Vornahme bestimmter Opferhandlungen
in der Stadt auf einem Wagen fahren zu dürfen ;<^) besonders wertvoll
aber ist das ihnen im Gegensatze zu der sonstigen Rechtsbeschränkung der
Frauen zustehende Brivilegium, Zeugnis ablegen und über ihr Vermögen
selbständig durch Testament verfügen zu dürfen,^) wie überhaupt ihre Be-
freiung von der Tutel. ») Dafür aber führen auch sie ein von schweren
Verpflichtungen beherrschtes Leben: schon im jugendlichen Alter von
6—10 Jahren in das Priestertum aufgenommen, müssen sie demselben
volle 30 Jahre angehören,^) nicht nur ihi*e Jungfräulichkeit während dieser
Zeit bewahren, sondern auch in strenger Klausur all ihre Zeit in dem
ihnen zugewiesenen Amtsgebäude, dem Atrium Vestae, verbringen, das sie
nur in Ausübung ihres Dienstes verlassen ;^^) dieser selbst ist ausserordent-
lich anstrengend, da das Feuer auf dem Herde der Vesta Tag und Nacht
Wache und Fürsorge verlangt und sie ausserdem die Reinigung des Tem-
pels und die Herbeischaffung des Wassers für den heiligen Gebrauch aus
') Val. Max I 1, 4 f. Liv. XXVI 28, 8.
Plat. Marc. 5.
«) Gell. X 15, 10. Serv. Aen. ÜI 607.
Flut. Qa. Rom. 111; es entspriolit diesem das
Vorrecht der Vestalinnen, einen zum Tode
geführten Verbrecher zu retten, wenn sie
ihm zufällig begegnen (Flut. Numa 10).
*) Ebenso bei den Vestalinnen, Gaios I
130: praeterea exeunt liheri virilis seams de
parentis potestate, si flamines Diales m-
augurentur, et feinini sexus, si virgines
Vestales capiantur; vgl. III 114. Ulpian.
frg. 10, 5. Tac. ann. IV 16. Gell. I 12, 9.
*) Faul, p 93. Flut. Qu. Rom. 113. Ovid.
fast. II 23. CIL XII 6038 Z. 2 ; einen Lictor
haben auch die Vestalinnen, Flut. Numa 10.
Gass. Dio XLVII 19, 4. Sen. contr. I 2, 3.
») Liv. XXVn 8, 8. Serv. Aen. VIII 552.
Flut. Qu. Rom 113; auch der Frovinzialfiamen
in Narbo geniesst das Recht in decurionibiM
senatuve [senientiae dicendaej, CIL XII 6038
Z. 4.
•) Lex Julia munic. (CIL I 206) Z. 62 f.
lässt den Gebranch des Wagens in der Stadt
zu quibua diehus virgines Vestales refgemj
sacrorum flamines plostreis in urbe sacrorum
publicorum p(opuli) B(omani) causa veki
oportebit; vgl. Tac. ann. XII 42. Liv. I 21, 4.
Frudent. c. Symm. 11 1088 f.
') Gell. VII 7, 2: ins quoque testimami
dicendi tribuitur testabilisque una omnium
feminarum ui sit datur. I 12, 9: ius testa-
menti faciendi adipiscitur, Flut. Numa 10.
Machen sie kein Testament, so fällt ihr Ver-
mögen nicht an ihre Familie, sondern an
den Staat (Gell. 1 12, 18).
*) Gaius I 145. Flut, a a. 0.
») Gell. I 12, 1. Vn 7, 4. Dion. Hai. II
67, 2. Flut Numa 10 u. a. Dass die angeb-
liche Eintheilung dieser Dienstzeit in drei
zehnjährige Ferioden des Lernens, Ausflbens
und Lehrens (Dion. Hai. Flut. aa. 00. Flui,
an seni ger. resp. 24. Sen. de otio sap. 2, 2}
eine Erfindung ist, hebt Jobdan, Tempel der
Vesta u. Haus d. Vestal. S. 60 f. richtig hervor.
'^) Darüber Jobdan a. a. 0. S. 56 ff.
67. Das PontificalooUeginm.
437
dem entfernten Quell der Camenae — wenigstens ursprünglich — persön-
lich zu besorgen haben ;0 strenge Strafen treffen die pflichtvergessene
Priesterin, körperliche Züchtigung die, durch deren Fahrlässigkeit das
heilige Feuer erlischt, >) grausamer Tod durch Lebendigbegraben auf dem
Campus sceleratus die, welche ihre Jungfräulichkeit preisgab.») Vergleicht
man diesen starren Priesterkanon, unter welchem Rex, Flamines maiores
und Vestalinnen stehen, mit der weltlichen üngebundenheit der Pontifices,
so findet man darin einen deutlichen Beweis dafür, dass diese den jüngsten
Bestandteil des GesamtcoUegiums bilden.
An der Spitze des GesamtcoUegiums steht der seit dem 6. Jahrhundert
d. St. auf dem Wege der Wahl durch die Comitien der 17 Tribus*) aus
der Zahl der Pontifices auf Lebenszeit ernannte Pontifex maximus; nach-
dem diese Würde seit dem J. 742 = 12 dauernd mit dem Kaisertum ver-
knüpft ist, begegnet ausserdem das Amt eines zur Wahrnehmung der lau-
fenden Geschäfte bestellten promagister, über dessen Funktionsdauer und Er-
nennungsart nichts sicheres feststeht.^) Die rechtliche Stellung des Pontifex
maximus ist eine eigenartige und komplizierte. Den übrigen Pontifices
steht er nicht als ein primus inier pares gegenüber wie etwa der Magister
der Arvalbrüder seinen GoUegen, auch nicht als College höheren Banges
wie die Flamines maiores gegenüber den minores, sondern die Ponti-
fices bilden eine einheitliche, in ihrer Unteilbarkeit durch den Pontifex
max. dargestellte und nur aus praktischen Gründen der Dienstführung zu
einer Mehrheit von Personen verstärkte Priesterwürde,«) ebenso wie die
sechs Vestalinnen zusammen sozusagen nur eine Sacralperson darstellen,
nach aussen vertreten durch die virgo Vestalis maxima; ') wie Rex sacrorum
und Regina so stehen der Pontifex maximus und die Virgo Vestalis maxima,
jedes von beiden die übrigen Angehörigen des Pries tertums rechtlich mit
in sich schliessend, neben einander,^) und wie Regina und Vestalinnen in
') Flui Nama 13 und mehr bei Jobdan
a. a. 0. S. 60 ff.
») Paul. p. 106. Dion. Hai. H 67, 3. Plut.
Numa 10. Liv. XXVIH 11. 6 (= Val. Max.
I 1, 6). Obsequ. 8; vgl. auch San. contr.
I 2, 10.
>) MoMMSBN, Strafr. S. 928 f.
*) MoxMBEK, Staatsr. II 25 ff.; das erste
Beispiel im J. 542 = 212 Liy. XXV 5, 2.
Ueber die Wahrscbeinlichkeit, dass Yorher
der an Lebensjahren älteste der Pontifices
diese Würde beLleidete, s. oben S.424 A. 5 ; ein
Zeugnis gibt es dafür ebensowenig wie für
die gewöhnlich angenommene Wahl durch
die Pontifices (über Cass. Dio XLIV 53, 7 s.
MoMMBBN, Staatsr. II 29, 7).
>) Das älteste Beispiel (CIL VI 2120)
stammt aus dem J. 155 n. Chr.; dass die
Würde auf keinen Fall eine lebenslängliche
war, zeigt CIL VI 1100 pontifici maiori, pro
magistro Herum, über die vermutliche Er-
nennung durch den Kaiser als Pontifex ma-
ximus s. oben S. 425 A. 7; vgL Habbl, De
pont. Rom. condic. publ. S. 90 ff. , und über
den Oberpontificat der Kaiser ebd. S. 45 ff.
*) Darum tritt für den verstorbenen
(Liv. XXV 5, 2) oder abwesenden Pontifex
max. (Cic. de har. resp. 21) ohne Weiteres
ein andrer Pontifex ein.
') Die Inschriften der virgines Vestcdes
maocimae aus dem Atrium Vestae CIL VI
2127 ff. Notiz, d. scavi 1883 S. 448 ff. , die
litterarischen Zeugnisse für die Würde bei
Mabquabdt, Staatsverw. in 340, 1. Dass die
Vestalis maxima nicht nur die Vorstand-
schaft unter den Jungfrauen führt, sondern
das ganze Priestertum in sich verkörpert,
zeigt besser noch als CIL VI 2143 in caeri-
moniis anttstüi deorum Terentiae Rufiüae
v(%rg%n%) V(estali) maxfimae) die Thatsache,
dass die im Atrium Vestae gesetzten Ehren-
statuen ausnahmslos Virgines Vestales maxi-
mae, nie einer einfachen Vestalin gelten;
wo von der virgo (Vestalis) in der Einzahl
die Rede ist (z. B. Philoc. z. 23. Febr. virgo
Ve8ta(lis) pturentat u. a.) ist immer die Ve-
stalis maxima gemeint.
•) Diese Zusammengehörigkeit tritt na-
438
Religion und Koitus der Römer, m. Enltna.
die sacralen Funktionen der königlichen Hausfrau/) so teilen sich Rex
und Pontifex (max.) in die priesterlichen Obliegenheiten des Königs. Aber
während dem Rex sacrorum von diesen nur die Vollziehung bestimmter
Opferhandlungen zuAllt,') liegt in den Händen des Pontifex (max.) die
ganze früher vom Könige geübte sacrale Centralgewalt. Diese bethätigt
er zunächst innerhalb des GesamtcoUegiums, nicht nur durch die Führung
des Vorsitzes bei seinen Verhandlungen,') sondern vor allem durch die Aus-
übung des Ernennungsrechtes und der Disziplinargewalt gegenüber seinen
Angehörigen. Die Pontifices freilich, die nicht sowohl unter dem Pontifex
max. stehen, als mit ihm zusammen eine Einheit bilden, werden nicht
von ihm ernannt, sondern ergänzen sich durch Gooptation (s. S. 417); im
übrigen aber „greift' sich der höchste Vertreter des Gemeindepriestertums
bei eintretender Vakanz die zur Ausfüllung der Stellen des Rex,^) der
Flamines ^) und der Vestalinnen^) geeigneten Persönlichkeiten, mit zwin-
gender Gewalt und auch gegen ihren Willen,^) und führt ihre Aufnahme
in das GoUegium (bei den erstgenannten durch den Akt der Inauguration
s. S. 420) herbei; dass später für die Bestellung des Rex und der grossen
Flamines der Pontifex max. an eine, wahrscheinlich vom GoUegium auf-
gestellte Praesentationsliste gebunden ist^) und diejenige der Vestalinnen
menüioh in der gemeinsamen Ausübung des
Vestadienstes hervor {in penum Vestae quod
»olae virgines solique pontifices adewnt Bist,
aug. Elag. 6, 6; ebenso beim sacrcvrium Opia
Consivae, das praeter virginea Vestales et
sacerdotem publicum niemand betreten darf,
Varro de 1. 1. VI 21), weshalb auch der
Pontifex max. im ordo sacerdotum an der
der Vesta zukommenden Stelle rangiert (oben
8. 433) und die Pontifices sp&ter auch pon-
tifices Vestae heissen (oben S. 144); sie zeigt
sich aber auch in der Parallelität yon In-
stitutionen, wie z. B. den fictores pontificum
und fii^tores virginum Vestalium (unten S. 446
A. 5) oder arca pontificum und arca vir-
ginum Vestalium (oben S. 843), für welch
letztere auch der Ausdruck utraeque arcae
pontificum vorkommt (CIL VI 10682).
*) Dass die Vestalin (bezw. die durch
die sechs Jungfrauen repräsentierte eine
Person) zum Pontifex (maximus) nicht im
Verhältnisse der Tochter (so noch Mommsbn,
Strafr. S. 18), sondern der Ehefrau steht, geht
aus ihrer bräutlichen Tracht und dem Oere-
moniell bei der captio (s. unten Anm. 6) her-
vor, wie dies nach Jobdan a. a. 0. S. 47 ff.
namentlich H. Dbaosndobff, Rhein. Mus. LI
1896 S. 281 ff. gut dargelegt hat.
') Dass er in älterer Zeit auch das
Ehrenrecht der Eponymität in sacralen Da-
tierungen genossen nat, zeigt Plin. n. h.
XI 186: L. Postumio L. /". Albino rege sa-
crorum post CXXVI olympiadem^ cum rex
Pyrrhus ex Itdlia decessisset, cor in extis
haruspices inspicere coeperunt.
>) Das ist zwar nicht bezeugt, aber
selbstverständb'ch, und geht auch daraus
hervor, dass der Pontifex max. pro ponH-
ficum collegio (Cic. de domo 136; de har.
resp. 21) den Beschluss verkündigt; z. B.
Liv. XXXIV 44, 2: cum P. lAcinius ponii"
fex (max.) non esse rede factum eoUegio
primum, deinde ex auctoritate coüegii pa-
tribus renuntiasset.
*) Wenn Dion. Hai. V 1, 4 Pontifices
{leQog>ayTag) und Augum {oiatpo/navTsig) als
diejenigen bezeichnet, die den Rex ernennen
(anode^ai) sollteu, so vermengt er captio
und inauguratio.
») Liv. XXVII 8, 7: C. Flaccus flamen
(Dialis) eaptus a P. Licinio pontifice ma-
ximo erat. Gell. I 12, 15 f. (die Uebertragung
des Ausdruckes capi auch auf die Pontäces
und Augum in dem Fragmente des Cato
bei Gell. a. a. 0. 17 ist untechnisoh). Obwohl
es sich in beiden Zeugnissen um den Flamen
Dialis handelt, darf man unbedenklich den
gleichen Sachverhalt für alle Flamines (auch
die kleinen) voraussetzen ; vgl auch Wissowa,
Real-Encycl. III 1509.
^) Das capere der Vestalin, nach den
Rechtsquellen ausführlich dargestellt von
Gell. I 12, vollzieht sich als Heimfühnmg
der Braut, wie insbesondere die Bin Weisung
auf den Brautraub (pontificis manu prensa
ab eo parente, in cuius potestate erat, veluH
beUo capta abducüur Gell. a. a. 0. § 13) und
die Formel ita te, amata, eapio (ebd. 14)
zeigt; vgl. Dbaobndobff a. a. 0. 8. 299.
0 Liv. XXVII 8, 2 vom Flamen Dialis;
für die Vestalinnen gibt Gell I 12, 5 f. die
Excusationsgründe an.
») Für den Rex Liv. XL 42, 11 (wo frei-
, lieh das entscheidende Wort nomincUus zu
07. Pas Pontiflcaloollegiiim.
439
auf Grund einer Lex Papia unbestimmter Zeit durch Losung aus zwanzig
vom Pontifex max. nominierten Mädchen erfolgt,*) sind Abänderungen, die
dazu bestimmt sind, die Willkür des Oberpontifex zu beschränken, aber
den ursprünglichen Bechtszustand noch immer erkennen lassen. Über
denselben Kreis von Priestern^) übt der Pontifex max. aber auch die
Disziplinaraufsicht') und eine Strafgewalt aus, die sich gegenüber dem
Rex und den Flamines in der Auferlegung einer muüa*) und gegebenen
Falles in der Nötigung zur Amtsniederlegung i^) äussert, gegenüber den
Vestalinnen aber die gesamte eheherrliche Gewalt ältester und weitester Aus-
dehnung umfasst und das Recht zu körperlicher Züchtigung und im Falle
des Incestes selbst zur Tötung in sich schliesst;^) dass die Anwendung
des Tötungsrechtes in historischer Zeit nur unter Zuziehung des Collegiums
erfolgt ist,^) ist eine wohl verständliche thatsächliche Einschränkung.
Während so der Pontifex maximus innerhalb des Collegiums weit-
gehende Machtbefugnisse ausübt, greifen diese unter gewissen Umständen
auch über diesen engeren Kreis hinaus und nehmen den Charakter einer
magistratischen Competenz an, die allerdings in feste Grenzen einge-
schlossen und in der Praxis zum guten Teile zur blossen Form erstarrt
ist. Zunächst haben wir wenigstens ein Beispiel dafür, dass der Pontifex
max. einem ausserhalb des Collegiums stehenden Priester eine Geldstrafe
auflegt, weil er die durch das Sacralgesetz erforderte Mitwirkung an einer
pontificalen Amtshandlung verweigert,^) ferner hat er, da gegen die von
ihm über einen Priester verhängte muUa die Entscheidung des Volkes
angerufen werden konnte,^) nach aller Analogie das Recht gehabt, die
dem siDnloseii mauguratus entstellt ist),
für den Flamen Dialis Tac. ann. IV 16 (pa-
tricios confarreaii» parentibus genttos tres
simul nominari, ex quis untts legeretur ve-
tugto more).
^) Qell. I 12, 11: sed Papiam legem in-
venimus, qua cavetwr ui pontificis maximi
arbitratu virgmes e poptHo viginti legantwr
sortüioque in contione ex eo numero fiat et
cuius virginis ducta erit, ut eam pontifex
maximus capiat eaque Vestae fiat (vgl. Suet.
Aug. 31. Senec. contr. I 2, 3. Cass. Dio LV
22, 5 und über Ausnahmen Gell. a. a. 0. § 12.
Tac. ann. II 86).
') Für eine Mnltierung eines Pontifex
durch den Pontifex max. nndet sich nicht
nur kein Beispiel, sondern sie war wohl
auch rechtlich ebenso ausgeschlossen, wie
die Ernennung des einen durch den andern.
') Daher gewährt er dem Flamen Dialis
Urlaub ^u kürzerer Abwesenheit von der
Stadt (Tac. ann. III 71) und Erleichterung
von gar zu lästigen Bestimmungen des Ce-
remoniells (Gell. X 15, 17: sine apice «üb
divo esse licitum non est; sub tecto uti li'
ceret non pridem a pontificibus constitutum
Maswrius Sabinus scripsit),
«) Gegenfiber dem Rex Liv. XL 42, 9,
gegenüber den grossen Flamines Liv. XXXVII
51,4, Val. Max. II, 2. Cic. Phü. XI 18.
s) In den oben S. 424 A. 3 erw&hnten Fällen,
wo Flamines Diales wegen Verstössen beim
Opferdienste gezwungen werden zu abdicieren
(flamonio ahire iussi sunt coactique etiam
Val. Max. I 1, 5; tag IsQtocvyag agiffgiStjcay
Plut. Marc. 5), wird zwar nicht ausdrücklich
angegeben, wer den Zwang ausübte, es kann
aber nur der Pontifex max. gewesen sein.
«) Dion. Hai. II 67, 3. Plut. Numa 10 und
mehr oben S. 437 A. 2.
») Liv. IV 44, 12. VIII 15, 8. Cic. bar.
resp. 13. Ascon. p. 40. Plin. epist. IV 11, 6.
*) Fest. p. 343 (in der Herstellung von
MoMXSBN, Staatsr. II 32, 3): [Saturno] sacri-
ficium fit capfite aperto, itaque cum] Me-
tellus pont. [max. Claudium augurem iussis-]
set adesse, ut eum [regis sacrorum (?) . . Sul]-
pici Ser, /. inaug[urationi adhiberet, Clau-
dius excujsaret se Sacra sibi fam[üiaria esse
SattArni, ob quae sibi supjplicandum esset
capite [aperto, itaque si ad iussum ad] esset,
futurum ut cum ap[erto capite inauguratio]
facienda esset, pont[ifex eum multavitj, Clau-
dius provocavit. [popülus negavit id ius
ponjtifici esse et Claudius fafmüiaria qucte
oportebat] ScUumo sacra fecit reilfigione
canfirmcUaJ.
") Als der Pontifex max. P. Licinins im
J. 565 = 189 dem Praetor und Flamen Qui-
rinalis Q. Fabius Pictor verbietet in die Pro-
440
Religion und Enltui der Römer, m. Eoltui.
über diese Provocation abstimmenden Tribuscomitien zu berufen and zu
leiten.^) Aber auch andre Verhandlungen des Volkes werden pro coUegio
pontificum abgehalten und von einem der Mitglieder des Gollegiums prae*
sidiert. So hat in den Gomitien der 17 Tribus, die die Wahl des Pontifex
max. vornahmen, wenigstens im 6. Jahrhundert d. St. ein Pontifex den Vor-
sitz geführt;^) insbesondere aber sind pontificale Gomitien die schon durch
ihren Namen von den andern Versammlungen des Volkes unterschiedenen
comitia calata,^) die wir in mehrfacher Anwendung kennen. In solchen Gomitia
calata werden der Rex sacrorum und die drei grossen Flamines inaugu-
riert,^) an den Nonae eines jeden Monats die bis zu den nächsten Ealendae
fälligen feriae statae sollemnes publiziert,^) Testamente errichtet*) und
endlich die Arrogation, d. h. der Übertritt eines selbständigen erwachsenen
Bürgers in ein andres Geschlecht, samt der zugehörigen detestatio sacrorum,
d. h. der Loslösung von dem bisherigen Sacralverbande, vollzogen. 0 In
dem letzgenannten Falle findet wenigstens der Form nach eine Antrag-
vinz zu gehen, t» sencUu et ad populum
magnis contentionibus certatum et itnperta
inhibüa uUro citroque et pignera capta et
mtdtae dictae et tribwni appeUati et prO'
vocatum cut populum est. religio cid poetre-
mum vicit, ut dicto audiena esset flamen
pontifici iussus, et multa iussu popuJi ei
remissa (Liy.XXXVII 51,4f.); dieselbe Ent-
scbeidnng des Volkes auch in Provocations-
faUen vom J. 574 = 180 (Liv. XL 42, 9 f.)
und 623 = 131 (Cic. Phil. XI 18); gegen
den Pontifex max. entscheidet das Volk
Fest. p. 348 (s. yorige Anm.).
■
0 MoMMSEN, Staatsr. I 192. II 57; die
Tribus werden ausdrttcklich genannt Liy. XL
42, 10.
«) Liv. XXV 5, 2 (vom J. 542 = 212);
sp&ter liegt die Leitung der comitia sacer-
dotum bei den Consuln, Mommsbn, Staatsr.
nso.
') Zeugnisse und neuere litteratur voll-
ständig bei B. EüBLBB in Pauly-Wissowas
Real-Encvcl. III 1330 ff.
*) dalata comitia esse, quae pro con-
legio pontificum hahentur aut regis aut fla-
minum inaugurandorum causa, Labeo bei
Gell. XV 27, 1.
') Varro de 1. 1. VI 28: eodem die (an
den Nonae) in wbem ab agris ad regem
conveniehat populus, fiarum rerum vestigia
in sacris noncdibus in arce, quod tunc ferias
publicas menstruas quae futurae sint eo
mense, rex edidt populo (vgl. VI 13 : rex cum
ferias menstruas nonis Fehruariis edidt,
hu/nc diem februatum appellat), Macr. S. 1
15, 12 : oportebat nonarum die populäres qui
in agris essent eonfluere in urbem accep-
turos causas feriarum a rege sacrorum sei-
turosque quid esset eo mense faciendum.
Die Anberaumung und Einberuftmg dieser
Versammlung geschieht regelmässig an den
Ealendae (so richtig Mommsen, Staator. II 39 f.
Anm. 1) und heisst technisch cdlare (Varro
de 1. 1. VI 27. Fast Praen. 2. 1. Jan. Macr. I
15, 9), also sind es comiHa calata, aacb
wenn der Ausdruck niö direkt auf sie an-
sewandt wird
•) Labeo bei GeU. XV 27, 3. Gai. U 101
(vgl. Ulp. frg. 20, 2. lust. Inst. IIIO, 1): te-
stamentorum autem genera inüio duo fu-
erunt; nam aut calcUis comüiis testamenta
faciebant, quae comitia bis in anno testa-
mentis faciendis destinata erant, awt in pro-
cinctu u. s. w. Dass diese Testaments-Comi-
tien an den beiden mit der Note Q{uando)
R(ex) Cipmitiavit) F(a«) bezeichneten Tagen
(s. oben 8. 368 A. 6 und S. 370 A. 1) statt-
gefunden hätten, vermuthet Mommsbn, Rom.
Chronol. S. 241 f.; aber dann würden diese
Gomitien in die Zeit des nefas fallen, was
ganz unmöglich ist.
') Labeo a. a. 0. : isdem eomitHs, quae
calata appellari diximus, et sacrorum de-
testatio (s. oben S. 337 A. 7) et testamewta
fieri solebant; für die adrogatio gibt Gell.
V 19, 6 an: comitia arbitris pontificibus
praebentur, quae curiata appelkmtur, und
von der Adoption lege curiata apud pon-
tifices, ut moris est, spricht Tac. bist. I 15
(vgl. auch die Bleitessere mit der Inschrift
adoptio auf der Vorderseite und coUegium
t nämlich pontificum] unter drei sitzenden
'ontifices auf der Rückseite, Hblbio, Gompt.
rend. de FAcad. d. Inscr. 1893, 350); dass
diese beiden Akte zusammen und vor die-
selben Gomitien gehören, betont jetzt richtig
Mommsbn, Staatsr. III 38 f. Wenn die Gon-
farreation, die ja auf den Rechtsstand der
Sacra ähnlich verändernd einwirkt wie die
Arrogation (oben S. 337), zwar in Gegenwart
des Pontifex max. (Serv. Georg. I 81), aber
nicht vor Gomitia calata stattfindet, so liegt
der Grund wohl in der UnfUiigkeit der Frau,
vor den Gomitien zu erscheinen.
67. Das PonüfioalooUeginm.
441
Stellung und Beschlussfassung statt, ^) in den übrigen Gomitia calata, von
denen die an den Nonen abgehaltenen seit der Publication des Kalenders
überflüssig waren und in Wegfall kamen,*) nimmt die Versammlung nur
Mitteilungen entgegen oder fungiert als Zeuge ;^) Einberuf er und Leiter
ist in allen Fällen der Pontifex maximus.^)
Damit ist aber der Kreis deijenigen Befugnisse, durch welche der
Oberpontifex in die magistratische Funktionssphäre übergreift, geschlossen ;
ein magistratisches Befehls- oder Goercitionsrecht gegenüber Beamten oder
Privaten hat er niemals besessen.^) Vielmehr beruht die hervorragende
Bedeutung, die dem colUgium pontificum für das ganze bürgerliche und
öffentliche Leben zukommt, darauf, dass in seinem Archive^) sich die Nieder-
schriften all deijenigen Satzungen und Vereinbarungen befinden, nach
denen sich der gesamte B.echtsverkehr mit der Gottheit vollzieht, und
dass ihm die Aufgabe zufällt, bei der Anwendung dieser Satzungen auf
die einzelnen Fälle des privaten und staatlichen Lebens durch Auskunft,
Unterstützung und Gutachten mitzuwirken. So bewahren die Pontifices
den Festkalender, d. h. die Urkunde über die auf alter Sacralordnung
beruhende Verteilung der Tage des Jahres an das Eigentum der Gottheit
und der Menschen (S. 367 f.)» und teilen daraus, bevor der Kalender ver-
öffentlicht ist, allmonatlich dem Volke die Lage der bevorstehenden Fest-
tage mit (oben S. 440 A. 5) ; auch publizieren sie den Eintritt der Schalt-
perioden, welche ebenfalls durch alte Satzung geregelt sind, um die auch
aus sacralen Gründen nötige Übereinstimmung zwischen dem bürgerlichen
Jahre und dem natürlichen Wechsel der Jahreszeiten zu erhalten (oben
S. 370 A. 6), und deren Ansetzung durch die Lex Acilia vom J. 563 = 191
sogar ganz ihrem Ermessen überlassen wurde.'') In ihrer Obhut stehen
femer die indigüamenta, d. h. die gegenüber den verschiedenen Gottheiten
bei den verschiedenen Festen und Anlässen gebotenen Gebetsformeln,^)
*) Gell. V 19, 9 gibt die Rogationsformel,
die mit velüis iiibeatis beginnt und mit haec
üa, uti dixi, iki vos Quirües rogo schliesst;
ygl. Gai. I 99: dicitur adrogatio quia . . .
populus rogatur an id fieri itibecU, Cic. de
domo 77.
') Darom nennt sie Labeo bei Gell. XY
27 nicht mehr.
') Sie fügen sich also nicht in die
strenge staatsrechtliche Scheidung yon co-
müia und contiones, wahrscheinlich weil sie
älter sind als diese Scheidung.
^) Das zeigt namentlich das Verhalten
der Pontifex max. Caesar in der Adoptions-
angelegenheit des P. Clodius (Mommsbk,
Staiatsr. II 85, 3); auch die Versammlung an
den Nonae wird der Pontifex max. geleitet
haben, wenn auch der Rex die Verkündigung
der fericLe vornahm.
') Wenn derjenige, der am Feiertage
beim Herrannahen des Rex sacrorum oder
der grossen Flamines bei der Arbeit bleibt
(s. oben S. 874 A. 9), einer multa verfällt
(Macr. S. I 16, 9), so muss deren Beitreibung
durch den Magistrat erfolgt sein, ebenso wie
es im Haingesetze von Spoleto (Sghksidbb,
Exempla nr. 95) nach Festsetzung von pia-
culum und mülta für böswillige Schädigung
des Haines heisst: eins piaeli moltaique di-
cator[eiJ exactio estfod],
") J. A. Ajcbbosoh, Observationum de
sacris Romanorum libris particula prima,
Vratislaviae 1840. P. Prsibisch, Quaestiones
de libris pontificiis, Diss. Vratislaviae 1874;
Fragmenta librorum pontificiorum, Gymn.
Progr. Tilsit 1878. R. Petbb, Quaestionum
pontificalium specimen, Diss. Argentorati
1886. Eine vollständige kritische Sammlung
der Fragmente, wie sie Peter für einen kleinen
Abschnitt der Pontificalschriften, die libri de
sacerdotibus publicia (Gell. X 15, 1), gibt, ist
ein dringendes Bedürfnis
0 Macr. S. 1 13, 21. 14, 1. Censorin. 20,
6. Solin. 1, 48, vgl. Amm. Marc. XXVI 1, 12.
MoMMSEN, Rom. Chronol. S. 40 ff.
") Die Ergebnisse von Ambrosch's be-
rühmter Abhandlung über die Indigitamenta
(Ueber die Religionsbücher der Römer, Bonn
1848) bedürfen dringend der Revision nnd
Korrektur; Zeugnisse und Litteratur am voll-
442
Religion und Eiilti» der Bttmer. in, Eoltas.
von deren richtiger Anwendung die Giltigkeit des betreffenden Sacralaktes
abhängt (oben S. 332 f.), und die zum wirksamen Abschlüsse sacraler
Rechtsgeschäfte, wie Yotum^ Dedication, Devotion u. s. w. , erforderlichen
Formulare (carmina), deren Wortlaut der Pontifex max. gegebenenfalls
dem vollziehenden Magistrate vorspricht (oben S. 331 A. 3). Weiter waren
im Archiv der Pontifices alle Kultsatzungen und Opferregeln nieder-
gelegt, sowohl die auf die älteste Religionsordnung zurückgehenden,') als
die im Laufe der Zeit hinzugekommenen leges templorutn, nach denen
der Gottesdienst bei jedem Heiligtume geübt wurde (s. oben S. 404 f.),
insbesondere auch die Vorschriften über die im Falle eines Verstosses
zu leistenden piacula (S. 330), über welche sie auf Befragen auch den
Privaten Auskunft erteilen (S. 336 f.), sowie die Straf bestimmungen, die
angesichts bestimmter Sacraldelikte jede Sühnung ausschliessen und den
Thäter als impius mit der Formel des sacer esto der Strafe der beleidig*
ten Gottheit ausliefern: von diesen Vorschriften und Straf bestimmungen,
die man als leges regiae den einzelnen Königen zuschrieb, ist später ein
Teil unter dem Namen des ius Papirianum veröffentlicht und von den
Juristen kommentiert worden. >) Aber nicht nur auf der Bewahrung und
Mitteilung der Urkunden des iua sacrum beruht der mächtige Einfluss
des PontificalcoUegiums, sondern noch mehr auf der neues Recht schaf-
fenden Thätigkeit, die es durch Ausdeutung und Weiterbildung der alten
Satzungen Jahrhunderte lang ausgeübt hat: allerdings ist dies stets nur
in der Form des Gutachtens {decretum, responsum) auf Anfragen der Magi-
strate oder des Senates geschehen,^) aber die gebotene Ehrfurcht vor
dem in seinem Detail nur den Pontifices bekannten und zugänglichen^)
Sacralrechte schloss eine Abweichung von der in dem Gutachten gegebenen
Weisung thatsächlich aus, während andererseits die altüberkommenen
Satzungen unmöglich für die Mannigfaltigkeit der im wirklichen Leben
sich ereignenden Fälle und Komplikationen ausreichen konnten und darum
der sinngemässen Anpassung und Interpretation durch die Pontifices weiten
Spielraum liessen."^) Zur Abfassung des decretum tritt das GesamtcoUegium
zusammen, wobei jedoch bei Einhelligkeit der Meinungen schon die An-
wesenheit von 3 Mitgliedern genügt,^) und beschliesst mit Stimmenmehrheit,
ständigsten bei R. Pbtbb in Roschebs Mythol.
Lexik. II 129 ff.
*) Liv. I 20, 6: eique (Numa dem Pon-
tifex) Sacra omnia exscripta exsignataque
attrihwtf guibus hostiü, quibtis diehus, ad
quae templa sacra fierent atque unde in eos
sumptus pecunia erogaretur. Cic. de leg.
II 29 : iam illud ex instüutis pontificum et
haruspicuni non mutandum est, quibus ko-
stiis immolandum quoique deo, cui maiori-
bus cui lactentibus, cui maribus cui fetninis.
') MoMMSBN, Staatsr. II 41 ff.; Fragmente
bei Bruns, Fontes iuris Rom. ant. ^ p. 1 ff.
') Die Ausdrücke dafür sind consulere
coUegium pontificum, referre ad c. p., ad-
hibere c. p. (Cic. de domo 130 — 132 und oft
bei Livius).
*) Liv. VI 1, 10: alia ex eis — den foe-
dera et leges — edita etiam in vulgus; quae
autem ad sacra pertinebant, a pontificibu^
maxime, ut religione obstrictos haherent
multitudinis animos, suppressa. Cic. de domo
138: nihil me de scientia vestra, nihä de
sacris, nihil de abscondito iure pontificum
dicturum (vgl. 33. 121).
*) Cic. de domo 107 : equidem sie accepi,
pontifices, in religionibus suscipiendis caput
esse interpretari, quae voluntas deorum im-
mortoUium esse videatur (vgl. g 1 religionibus
sapienter interpretandis rem pt^blicam con-
servarent. § 4 quos ab inconstantia gra-
vitas, a libtdinosa sententia certum et de-
finitum ius religionum, vetustas exemplorum,
auctoritas litterarum monumentorumque de-
terret).
*} Cic. har. resp. 12: de sacris publids.
J
67. Da« Pontifloaloollegiiim.
443
wobei auch der Pontifex maximus überstimmt werden kann.') Die Gegen-
stände der Decrete sind ausserordentlich mannigfaltig; bei Prodigien (oben
S. 328) stellen die Pontifices unter Berücksichtigung der sacralen Tradition
und der Eigenart des speziellen Falles die Lustrationsmittel und die Götter
fest, denen diese darzubringen sind,^) bei sacralen Verstössen im Staats-
gottesdienste geben sie das zur Ausgleichung nötige piactdum an,') sie
entscheiden über die Zulässigkeit eines beabsichtigten Votum ^) und die
Korrektheit seiner Ausführung,^) über die Aktivlegitimation einer conse-
crierenden Person^) und die Berechtigung einer Dedication, ^) über die
Zugehörigkeit einer örtlichkeit zu den Kategorien der loca sacra oder
religiosa,^) über den Charakter eines Tages als dies feriatus oder profestus
und über die gebotene Ausdehnung der Feiertagsruhe,®) auch ihre Ober-
aufsicht über die sacra privata (S. 337) und die iura deorum manium
(S. 192) führen sie in der Weise, dass sie durch Decret sowohl die all-
gemeinen Rechtsnormen feststellen wie Einzelfälle entscheiden J^) So
bildete sich ein umfangreiches und weitverzweigtes ins pontificium, das
bei dem engen Zusammenhange, in dem alle Seiten des römischen Lebens
mit dem Gottesdienste stehen (oben S. 323 ff.)* B^uch einen grossen Teil
des privaten und öffentlichen Rechtes mit umfasste*^) und von dem sich
das Civilrecht erst verhältnismässig spät und langsam emancipierte.
de ludis truiximis, de deorum penatium
Vestaeque matris caerimoniis, de ülo ipso
sacrifido (der Bona Dea), quod fit pro Sa-
lute populi Bomani . . . quod tres ponti-
fices statuissent, id semper populo Eomano,
setnper senatui, semper ipsis dis immorta-
libus satis sanctum, satis augustum, satis
religiosum esse visum est.
') Im J. 554 = 200 macht im Senate
der Pontifex max. gegen die Form eines
beabsichtigten Votum (s. oben S. 334 A. 4)
Bedenken geltend, darauf legt der Consul
auf Gebeiss des Senates die Frage dem Pon-
tificaloollegium vor und dieses entscheidet
gegen den Pontifex max. (Liv. XXXI 9, 7 f.).
*) Nach Liv. I 20, 7 hatte Numa be-
stimmt ut pontifex edoceret, quae prodigia
fulminibus aliove quo visu missa suspiceren-
tur atque curarentur; die Procuration ge-
schieht ex decreto pontificum Liv. XXIV
44, 9. XXVII 4. 15. 37, 4. 7. XXX 2, 13.
XXXIV 45, 8. XXXIX 22, 4. XL 37, 2. XLI
16, 6 (auch die Wendung prodigia per pon-
tifices procurari placuit Liv. XXX VII 3, 1
sagt nur, dass die Pontifices die Procuration
angaben, nicht aber, dass sie sie selbst aus-
führten; vgl. Cic. de domo 120: si . . domum
eius per pontificem dedicaverit).
') So geschieht die instauratio der Fe-
riae Latinae pontificum decreto (Liv. XXXII
1, 9), und bei Verletzung ft'emder Tempel
durch römische Feldherm geben die Pon-
tifices ihr Gutachten über die Expiation ab
(Liv. XXIX 20, 10. XXXVIII 44, 5). die Aus-
führung der von ihnen angeordneten sacra
picusularia fällt den Magistraten zu (Liv.
XXIX 21, 4); erst in der Eaiseraeit sind die
Pontifices selbst auch mit der Vollziehung
der Piacularopfer beauftragt worden, Tac.
ann. XII 8: addidit Claudit^ scura ex le-
gibus TuUi regis piactilaque apud lucum
Dianae per pontifices danda (vgl. Philarg.
zu Verg. Georg, ü 162: nuniiatum . . simu-
lacTum Avemi sudasse, propter quod ponti-
fices ibi piacularia sacra fecerunt).
*) Liv. XXII 9, 11. 10, 1. XXXI 9, 7 f.
(oben A. 1).
*) Liv. V 23, 8 ff. 25, 7. XXXHI 44, 2.
xxxrv 44, 2. xxxrx 5, 9.
«) Cic. de domo 136; ad Att. IV 2, 3.
7) Liv. XXVn 25, 7.
*) Macr. S. III, 3, 1 : inter decreta pon-
tificum hoc mtujcime quaeritur, quid scurum,
quid sanctum, quid religiosum; vgl. Cic. de
leg. II 58. Cass. Dio XLVIII 53, 6. Aehnlich
Liv. XXVI 34, 12: Signa, staiuas aeneas,
quae capta de hosttbus dicerentur, quae
eorum sacra ac profana essent, ad ponH-
ficum coUegium reiecerunt.
•) Macr. I 16, 24 (GeU. V 17, 2). 28; vgl.
Serv. Georg. I 272 : sane quae feriae, a quo
genere kominum vel quüfus diebus obser-
ventur vel quae festis diebus fieri permissa
sint (vgl. Macr. I 16, 9 ff. und oben S. 374
A..7. 8) si quis scire desiderat, libros pon-
tificales legat. Colum. 11, 22, 2. 7. Macr. S.
III 3, 11. Gell. IV 6, 10.
<<)) Cic. de leg. II 48; über die Pontifical-
decrete in Sachen des Gräberrechtes s. oben
S. 409 f.
**) Auf die civilrechtliche Th&tigkeit
der Pontifices, insbesondere ihre Stellung zu
444
Religion und Enltos der Bttmer. m. Enltna.
Stellt diese beratende und begutachtende Th&tigkeit die eine Seite
der pontificalen Wirksamkeit dar, so wird die andre gebildet durch die
Wahrnehmung des gesamten laufenden Gottesdienstes der sacra patria,^)
und zwar nehmen an diesen Opferhandlungen nicht nur die von Haus aus
als Einzelpriester je eines Gottes bestellten Flamines teil, sowie Rex und
Vestalinnen für den Dienst von Janus und Yesta,^) sondern auch die
Pontifices selbst, die das Opfermesser ebenso von Amtswegen führen wie die
Flamines und die Vestalinnen.') Als man mit der Praxis brach, für jeden
Gottesdienst einen eigenen Opferpriester zu bestellen,, mussten die durch
Erweiterung des Götterkreises neu erwachsenden Obliegenheiten auf die
bereits vorhandenen Mitglieder des PontificalcoUegiums verteilt werden;
einige dieser neuen Aufgaben haben die Flamines zu ihren ursprünglichen
Verpflichtungen^) hinzu übernommen,^) die Mehrzahl der Opfer aber fiel
den Pontifices zu, und das allmälige Anwachsen ihrer Zahl entspricht
der Vermehrung der sacralen Geschäfte.«) Was die Überlieferung von
der Bethätigung der Pontifices bei den ständigen Opferhandlungen be-
den legis actiones, kann hier ebensowenig
eingegangen werden, wie auf die auf ihren
Aufzeichnungen beruhenden armales maximi
(s. oben S. 327 A. 1) und Consularfasten.
*) respondendi iuris und conficiendarum
religianutn facultas unterscheidet Gic. de leg.
II 29; die Aufz&hlung der pontificalen Com-
petenzen bei Liv.I 20, 5—7 und Dionys. Hai.
II 73, 2 lässt diesen zweiten Abschnitt ihrer
Thfttigkeit fast ganz unberücksichtigt.
') Der Rex erscheint als Priester des
Janus beim Agonium am 9. Januar (oben
S. 91) und gemeinsam mit der Regina sa-
crorum beim Ealendenopfer (Macr. S. 1 15,
10. 19), ausserdem bei den so gut wie gänz-
lich unbekannten Ceremonien des Regifugium
und der mit Q(ando) R{ex) C(omitiavit) F{as)
bezeichneten Tage (s. oben 8. 370 AI) und
bei den sacra nonalta in arce (Varro de 1. 1.
VI 28, ygl. oben S. 440 A. 5). Zu den hausfrau-
lichen Obliegenheiten der Vestalinnen gehört
ausser dem Dienste im Tempel und Atrium
der Vesta (S. 143 f.) auch die Herrichtung
und Vertheilung der für die Parilia erforder-
lichen Sahnmittel (Ovid. fast. IV 731 ff.,
ygl. 639 f.) und die parentatio am 13. Februar
(oben S. 187).
') Fest. p. 348 (ergänzt nach Serv. Aen.
IV 262): [sjecespüam esse Antisti[us Labeo
ait cultrum] ferreum ohlongum, mani[hrio
ebumeo rottmdjo solido, vincto ad cafpu-
lum argento auroquej, fixum clavis aeneis
aefre Cyprio, quo flaminjes flaminicae vir-
gifnes pontificesque (vgl. Suet. Tib. 25) ad
sacjrificia utuntur, eafque tarn sacra est];
der Opferbecher aus Thon {culullus) gehört
wohl auch dem Gesamtcollegium, wenn er
auch nur für Pontifices und Vestalinnen be-
zeugt ist (Proph. zu Hör. c. I 31, 11), und das
Gleiche wird von den sonst als Pontifical-
abzeichen durch Zeugnisse und Münzen be-
kannten Opfergerätschaften (vgl auch oben
S. 430) gelten, dem Weihwedel, dem Opfer-
beil {scena sive sacena doldbra p<mHficaiis
Paul. p. 319, vgl. pontificum securim Hör.
carm. III 23, 12) und der Schöpfkelle (nm-
pulum Paul, p 337. Varro de 1. 1. V 124).
*) Der Flamen Dialis tritt als Priester
des Juppiter auf bei der Idusfeier (a flamine
Macr. S. I 15, 16; lovis sacerdos Ovid. fast.
I 587; s. oben S. 103) und bei den Vinaüa
(oben S. 101), sowie bei der Confarreation
(oben S. 104), die Flaminica ist Priesterin
der Juno (Plut. Qu. Rom. 86), und wenn Macr.
I 16, 30 angibt, dass sie an allen Nundinae
in der Regia dem Juppiter einen Widder
opferte, so ist damit wohl ein gemeinsames
Opfer von Flamen und Flaminica Dialis
an Juppiter und Juno gemeint. Der Flamen
Martiaiis fungiert beim Opfer des Oktober-
rosses (oben S. 131).
^) So leitet der Flamen Quirinalis die
Feier der Robigalia (Ovid. fast. IV 910) und
bringt a^i den Larentalia das Opfer am
.Grabe' der Larenta dar (Gell. VII 7, 7; o
Tov "jQ^oq hqevq falsch Plut. Rom. 4; per
flamines Macr. I 10, 15; pontifices Cic. ep. ad
Brut. I 15, 8; sacerdotes nostri Varro de L 1.
VI 23); die Consualia am 21. August feiert
er zusammen mit den Vestalinnen (Tert. de
spect. 5); dagegen finden wir auffallenderweise
den Flamen Portunalis im Dienste des Qui-
rinus thätig (Fest. p. 217: persülum voeant
saicerdotes rudusculum picatum, ex quo
unguine flamen Portunalis arma Quirini
tinguit).
^) Darum wird bei Liv. X 7, 10 als Ob-
liegenheit des Pontifex angegeben capiie
velato victimam cnedere; vgl. Ulpian. Dig.
II 4, 2 : in ius vocari non oportet . . . pon-
tificem dum sacra facit.
67. Das Pontifioalcolle^nm.
445
richtet,^) ist ausserordentlich dürftig und beruht ganz auf Zufälligkeiten;
für die grosse Mehrzahl der Opfer an den alten feriae und für die Ge-
samtheit der sacrifida publica an den natales temphrum ist überhaupt nicht
überliefert, wer die Opferhandlung voUzog, es kann aber nach der Natur
der Sache, soweit es sich nicht um Gottesdienste des graecus ritus handelt,
die ihre eignen Priester und Priesterinnen mit sich brachten, niemand
anderes in Frage kommen, als eben die Pontifices^) als sacerdotes publici
schlechthin (oben S. 340 A. 4). Mehrfach begegnet uns ein gemeinsames
Wirken zweier Priester des CoUegiums, am häufigsten von Pontifex (max.)
und Vestalin,^) aber auch in andrer Gruppierung; so finden wir den Pontifex
max. mit dem Flamen Dialis vereinigt bei der Confarreation (Serv. Georg.
I 31), mit den^ Flamen Martialis beim Opfer des Oktoberrosses (Cass. Dio
XLIII 24, 4), den Flamen Quirinalis mit der Vestalin bei den Gonsualia des
21. Aug. (Tert. de spect. 5), auch zwischen dem Rex und den Vestalinnen
bestehen amtliche Beziehungen (oben S. 141 A. 12), und zum Opfer der Fides
fuhren die drei grossen Flamines gemeinsam (Liv. I 21, 4). Eine Beteiligung
an den von andern Priestern vorgenommenen heiligen Handlungen ist
mehrfach bezeugt, und zwar nicht nur an denen altrömischer Priester, wie
der Salii^) und Luperci,^) sondern später auch an solchen des graecus
rituSj wie an der Argeerprocession wahrscheinlich das ganze GoUegium
teilnimmt^) und die Nachtfeier der Bona Dea von den Vestalinnen (zu-
') Sie ist bezeugt fOr die Carmentalia
{sacrum pontificale Ovid. fast. I 462), For-
dicidia (Ovid. fast. IV 630; aQx^BQetg Lyd. de
mens. IV 49;, Carnaria (Ovid. fast. VI 106),
ein Consusopfer am 7. Juli (Teri de spect.
5), die Vitolatio am 8. Juli (Macr. S. ni 2,
11. 14) und die Angeronalia (Macr. I 10, 7);
ihrer Bedeutung nach ganz dunkel sind das
pro coUegio pantificum qumto quoque anno
stattfindende Opfer der caviares hostiae
(Paul. p. 57) una ein nur einmal im J. 716
= 38 erwähntes Opfer der Pontifices in der
Casa Romuli (Cass Dio XLVIII 43, 4).
') Dass auch die di novensides italischer
Herkunft dem pontificalen Amtskreise zuge-
wiesen wurden, kann man daraus schliessen,
dass diesen auch die Fürsorge für die sacra
municipalia obliegt (S. 88).
*) Wie Pontifex und Vestalin die einzigen
sind, die den Penus Vestae betreten dürfen
(Dion. Hai. II 6ß, 3. Bist. aug. Elagab. 6, 6), so
haben sie auch allein zum sacrarium Opia
Consivae in der Regia Zutritt (Varro de 1. 1. VI
21); welches Opfer Hör. c. III 80, 8 dum Capi-
toUum scandet cum tacita virgine pontifex
meint, muss dahingestellt bleiben; die von
den meisten Erklärem angenommene Be-
ziehung auf die sctcra Idtdia ist dadurch
ausgeschlossen, dass dies Opfer nicht vom
Pontifex, sondern vom Flamen Dialis yoll-
zogen wird (s. oben 8. 444 A. 4). Auch an der
von den Pontifices geleiteten (Varro bei Non.
p. 547. Serv. Aen. III 175) Bittprocession des
Aquaelicium (oben S. 106) werden wie die
Matronen auch die Vestalinnen teilgenonmien
haben. In augusteischer Zeit feiern Ponti-
fices und Vestalinnen die sacrifida anni-
versaria zur Erinnerung an die Stiftung der
Ära Fortunae Reducis (15. Dez.) und der Ära
Pacis Augustae (80. Jan.), Mon. Anc. 2, 30. 40.
^) So sind bei der Feier des Armi-
lustrium (19. März) die Pontifices mit den
Saliern und den Tribuni celerum vereint
(Fast. Praen., s. oben S. 382 A. 4), und an
einer Opferhandlung der Pontifices in der
Regia sind die Saliae virgines beteiligt (Fest
p. 829); an den Kulthandlungen der mit
Q(uando) R{ex) C{omü%avit) f(a8) bezeich-
neten Tage wirken (das ist das einzige, was
die verstümmelte Stelle des Fest. p. 278
deutlich erkennen lässt) ausser dem Rex
sacrorum auch die Salier mit.
*) Vor den Lupercalia findet innerhalb
des CoUegiums eine Verteilung der fehrua
durch den Rex und die Flamines statt (Ovid.
fast. II 21 f.: pontifices ab rege petunt et
flamine lanas, quis veterum lingua februa
nomen erat, vgl. v. 27 f.: ipse ego flamini-
cam poscentem februa vidi, fehrua poscenti
pinea virga dcUast), die Vestalinnen bereiten
die mola salsa (Serv. Ed. 8,82) und an der
Luperealienfeier selbst ist der Flamen Dialis
irgendwie beteUigt (Ovid. fast. U 282).
*) Pontifices und Vestalinnen nennt Dion.
Hai. I 38, 3 (a sacerdotibus Varro de 1. 1. VII
44), die Vestalinnen allein Paul. p. 15. Ovid.
fast. V 621, die Flaminica Plut. Qu. Rom. 86
(vgl. Gell. X 15, 80 und oben S. 377 A. 6).
446
Religion ttnd Kultiu der BÖmer. TU. Kultne.
sammen mit der Gattin eines Magistrates) begangen wird (s. oben S. 178
A. 4). Vereint mit den Magistraten finden wir das Collegium bei dem
Opfer, das die Cionsnln alljährlich bald nach ihrem Amtsantritte der Yesta
und den Penaten in Lavinium zur Feier der sacra prtncipia poptdi Romani
Quiritium nominisque Latini, quae apud Laurentis coluntur (CLL X 797),
darbringen, 1) und in der Kaiserzeit wird die Feier der Votorum nuncnpatio
von allen Magistraten und Priesterschaften begangen.*)
Eine Entlastung des durch das Anwachsen der sacralen Obliegen-
heiten sehr stark in Anspruch genommenen Pontificalcollegiums erfolgte
im J. 558 = 196 durch die Abzweigung eines eigenen, zunächst 3, später
7 und zuletzt 10 Mitglieder umfassenden Priestertums für die Ausrichtung
des ludorum epulare sacrifidum^) der Ludi Romani und PIet)ei, indem das
epulum der letzteren wahrscheinlich damals zur ständigen Feier erhoben
und beide epula wohl gerade seit jener Zeit mit dem Prunk der griechi-
schen Lectistemien begangen wurden (s. darüber oben S. 357). Als aus
den Pontifices hervorgegangen sind diese Illviri bezw. Vllviri (den letz-
teren Namen haben sie auch nach der Vermehrung ihrer Zahl behalten)
epulones nach Bang, Ehrenrechten und Bestellungsform mit den drei
grossen Priesterschaften der Pontifices, Augum und Quindecimvim gleich
behandelt worden (s. oben S. 414), rechtlich aber haben sie, obwohl sie
ein eigenes collegium bilden, immer eine gewisse Abhängigkeit vom Pon-
tificalcoUegium bewahrt.^)
Beträchtlicher war die Erleichterung, welche die Pontifices auf andre
Weise in ihrer Wirksamkeit erfuhren. Bei dem grossen umfange ihres
Qeschäftskreises müssen sie zu allen Zeiten mehr als die übrigen Priester-
schaften auf die Mitwirkung von Dienern und Subalternbeamten angewiesen
gewesen sein,'^) und wir werden anzunehmen haben, dass rät grosser TeU
') Schol. Veron. Verg. Aen.I239: Äenecie
Indigeti templum dicavit, ad quod ponti-
fices quot annis cum consulibtts [ire solent
sacrificaturi], Serv. Aen. VIII 664: {fla-
min es) cum sacrificarent apud Laurola-
vinium.
') vno xiap ttQxoytOiy xttl xoSp Isgiiov
Cass. Dio UX 3, 4 (vgl. LI 19, 7 : xovg xb
IsQiag xal xdg U^eias). Tac. ann. IV 17; s.
oben S. 381 A. 1. Die Priester der vier
grossen Collegien zusammen werden genannt
bei einem Opfer, das die Fast. Praen. znm
17. Januar notieren: Pontifices afugures
X Vviri s(acris) f{aciundis) VII] mr(i) epu-
lonum victuma^ imm[ol]ant nfumini Auguati
ad aram qjuam dedicavit Ti, Caesar. Vgl.
Mon.Anc.2,15-17. Cas8.DioLlIl 1,5. LVIII
12, 5. Tac. ann. III 64.
•) Cic. de or. Hl 78: pontifices veteres
propter sacrificiorum multitudinem tresviros
epulones esse voluerunt, cum essent ipsi a
Numa, ui etiam ülud ludorum epulare sacri-
ficium faeerent, instituti (vgl. Paul. p. 78).
Das Jahr der Einsetzung durch tribunicisches
Gesetz gibt Liv. XXXÜI 42, 1, die Vermeh-
rung von 7 auf 10 durch Caesar Cass. Dio
XLlü 51, 9.
*) Sie legen innerhalb ihres Amtskreises
vorgekommene Verstösse den Pontifices zur
Entscheidung vor (Cic. har. resp. 21 : panü-
fices, ad quos epuiones lovis 0. M,, si quid
est praetermissum aut commissum, afferunt)
und werden in ihren Obliegenheiten von
diesen vertreten (Cass. Dio XLVIII 32, 4).
^) Ausser den allgemeinen priesterlichen
Apparitoren und Sklaven (s. darüber S. 426 f.)
finden wir speziell bei den Pontifices die
fictores pontificum (Varro de 1. 1. VIF 44.
Cic. de domo 139. CIL V 3352. VI 786. 1074.
10247. 2125 = XIV 2413, auch fictores vCH^-
ginum) V(estdlium) CIL VI 2134. 2136. No-
tiz, d. scavi 1883 S. 449 nr. 4; S. 452 nr. 9,
vgl ebd. S. 465 ff.), strufertarii (Paul. p. 85,
vgl. 295 und über strues und fertum oben
8. 847 A. 4), praeciae (speziell bei den gros-
sen Flamines, Fest. p. 249, wo mit Madvig
praeciae viatores statt praeciamüaUires ra
lesen ist. Paul. p. 224; in der gleichen Funk-
tion nennt Macr. S. I 16, 9 pra^conem^ Serv.
Georg. I 268 ccUatores) und den saeerdos
virginum Vestcdium (Freigelassener CIL VI
2150, 8. oben a 414j.
67. Dyi PonüficalooUeginm.
447
der Opferhandlnngen, insbesondere die Opfer an den naiales templorum^
im Namen und Auftrage der Pontifices von dem Unterpersonale ausgeführt
wurden, wie dies auch anderweitig bekannt ist. ^) Die Hauptrolle scheinen
dabei die calatores pontificum et ftaminum zu spielen, die ursprünglich an
den Einzelpriester attachierte Pedellen waren (oben S. 427), später aber
eine geschlossene Korporation bildeten,') ihr Amtslokal bei der Regia be-
sassen (s. oben S. 431 A« 7) und bestimmte Gompetenzen gegenüber dem
opfernden und weihenden Publikum ausübten.^) Aus diesen Ealatores scheint
sich auch die Würde der Pontifices minores entwickelt zu haben, ^) die
aus ursprünglichen Dienern der Pontifices^) zu ihren CoUegen geworden
sind: am Ende. der Republik wenigstens nahmen sie, drei an der Zahl und
unter sich in festem Rangverhältnisse stehend, an den Sitzungen und Be^
ratungen des OesamtcoUegiums teil,^) und in der Kaiserzeit ist das Amt
eines pontifex minor publicorum p. S. sctcrorum (CIL XI 1421, vgl. X 3901)
eines der angesehensten unter den ritterlichen Priesterämtern. 0
Nicht zum PontificalcoUegium zugehörig, aber ihm unterstellt waren
eine Reihe von Priesterschaften, denen die Pflege der sacra einiger teils
untergegangener, teils dem römischen Staate einverleibter altlatinischer Ge-
meinden übertragen war.^) Während im allgemeinen die Halbbürger-
gemeinden nach dem Verluste ihrer Selbständigkeit ihre alten Gottesdienste
behalten und sie nunmehr als römische unter der Oberaufsicht der Ponti-
fices weiter ausüben, die Götter einer zerstörten Stadt aber durch evocatio
nach Rom gezogen und dort unter die Staatsgötter eingereiht werden
(oben S. 39), haben die ehemaligen engen sacralen Beziehungen Roms
zu seinen nächsten latinischen Nachbarstädten zu einer besonderen Rechts-
stellung von deren sacra geführt. Die uralte Verbindung mit Lavinium,
das seit dem J. 416 = 338 als politische Gemeinde zu existieren aufgehört
hatte und dessen Sacra seitdem auf das benachbarte Laurentum über-
gegangen waren, findet ihren Ausdruck nicht nur in dem alljährlich von
^) Der Magister der Arvalbrüder läset
die Piacularopfer im Haine in der grossen
Mehrzahl der Fälle per calatorem et publi-
C08 darbringen, Hsnzbn, Acta S. 132 f. 1B9.
') Verzeichnisse der kalatores pontificum
et flaminum miib 36 bezw. 27 Namen (Frei-
gelassene) CIL VI 2184. 2185 (dazu Bull. arch.
com. XV 1887, 94); ein einzelner kalator
pontif(icum) CIL X 1726, kalatores pon(ti'
flcum) Notiz, d. scavi 1899, 431.
*) permissu kal(Uor(um) pon[tif(icum)J
et flaminum, cui immunitaa data est ab eis
sacrum faciendfij CIL VI 712. 2186, vgl. 2185.
*) Freilich sagt Liv. XXII 57, 3: scriba
pontificis, quos nunc minores pontifices ap-
pellant (ausgeschrieben Bist. aug. Opil. Macr.
7, 2); aber dass der Pontifex minor ursprüng-
lich ein calator war, zeigt die Thatisache,
dass seine Hauptaufgabe das calare an den
Kalendae ist (Macr. I 15, 9 f., vgl ebd. § 19.
Fast. Praen. z 1. Jan.); eine ähnliche Aufgabe
erffiUte vielleicht der tusculanisohe monitor
sacrorum (CIL XIV 2603, vgl. 2580).
') Fest. p. 165: in commentario sacro-
rum usurpatur hoc modo: ,pontifex minor
ex stramentis napwras nectito*, id est funi-
cuios facitOj quibus sues adnectantur.
") Fest. p. 161 : minorum pontificum ma-
ximus dicitur, qui primus in id collegium
renit, itetn minimus qui novissimus. An der
Beratung über Ciceros Haus nehmen die drei
Pontifices minores teil, sie stehen in der
Liste der Teilnehmer (Cic. har. resp. 12) zu-
letzt, an derselben Stelle (hinter den betei*
ligten Mitgliedern des PontificalcoUegiums
und vor dem ebenfalls eingeladenen Augur)
finden sie sich unter den Gästen beim An-
trittsessen des Flamen Martialis (Macr. S. III
13, 11) verzeichnet, hier sogar ohne Hervor-
hebung ihrer Eigenschaft als {pontifices)
minores.
^) Habbl, De pontificum Roman, condio.
publ. S. 93 ff.
^) G. WiLMAMNS, De sacerdotiorum p. p.
R. quodam genere, Berolini 1868. Mommsbn,
Staatsr. III 579 f.
448
Religion und Kaltiu der ROmnr. m. Enltne.
den Cionsuln bald nach ihrem Amtsantritte zusammen mit den Staats-
priestern in Lavinium dargebrachten Staatsopfer ^ und in der ebenfalls all-
jährlich 10 Tage nach den Feriae Latinae feierlich vollzogenen Erneuerung
des Bündnisses mit Laurentum,*) sondern auch darin, dass die gesamte
nach Art der römischen gegliederte^) Priesterschaft der vereinigten Sacral-
gemeinde Laurentum-Lavinium unter die römischen scxerdotia publica auf-
genommen wird.^) Ein ganz ähnliches römisches Staatspriestertum bestand
für die sacra des frühzeitig zerstörten Alba Longa, ^) die ebenso mit denen
von Bovillae vereinigt waren wie die lavinatischen mit denen von Lau-
rentum,^) ein drittes für die des ebenfalls in sehr früher Zeit unter-
gegangenen Caenina;^) endlich haben die sacerdotes Cabenses^) und sacerdotes
Suciniani^) in ihrem Namen noch die Erinnerung an zwei längst ver-
schollene Latinerstädte erhalten, deren sacrale Pflichten, insbesondre beim
latinischen Bundesfeste, *^) sie wahrzunehmen haben. Etwas verschieden^
artig ist die Stellung der römischen sacerdotes Lanuvini^^) und s<»cerdaies
Tusculani^*) insofern, als es sich hier um Kulte von als politische und
sacrale Gemeinden noch fortbestehenden Städten handelt; die sacra dieser
Gemeinden finden eine doppelte Pflege,^') einerseits durch die municipalen,
*) Macr. S. UI 4, 11. Serv. Aen. II 296.
III 12 (Aber die Beteiligimg der Pontifices
imd Flamines s. oben S. 446); Beispiele Val.
Max. I 6, 7. Aecon. p. 18 f.
') Liy. Vin 11» 15: cum Laurentibus
renovari foedus iussum, renovtxtwrque ex eo
quotannis post diem decimum Latinarutn;
daher der pater patratws poptdi Laurentis
foederis ex libris SibuUmis percutiendi cum
p(opulo) E{omano), CIL X 797.
*) Nachweisbar ist der Titel des ponUfex
(CIL VI 1635. Vm 9868. XII 408. XIV 171.
854), flamen (CIL m 1198; flamen lucularis
XI 5215), salius (CIL XIV 890 f. Caokat,
L'ann^e ^pigr. 1896 nr. 86), ja unter Claudius
ist ein und derselbe Mann sacrorum prin-
cipiorum p(opuli) B(oman%) Quirü(ium) no-
mifixsque Latini, quai apud Lawrentis co-
luntur, flamfen) lHalis, fiam(en) Martialfis),
8cdiu8 praesul, augur, pontifex (CIL X 797;
vgl XIV 4176).
*) Der Name ist sacerdos Laurens La-
vinas (CIL IX 4686. Notiz, d. scavi 1888,
408)^ sacerdos Laurentium Lavmatium (CIL
III 1180. 6270. V 6357. VI 2176. VÜI 1489.
7978), sacerdos aput Laurentes Lavinates
(Notiz, d. scavi 1888, 286), oft auch bloss
Laurens Lavinas; vgl. Bruzza, Iscrizioni
Vercellesi (Roma 1874) S. 68 ff. Dessau, CIL
XrV p. 187 f. MoMMSEN, Rom. Mitt. III 78 f.
*) Bezeugt pontifex (CIL VI 2161. 2168.
IX 1595. XIV 2264), salius (CIL VI 2170 f.
XIV 2947), virgo Vesialis (CIL VI 2172. XIV
2410. Ascon. p.85. Symm. epist. IX 147 f., ygl.
JuY. 4, 61. LiY. I 20, 3) und wahrscheinlich
ein rex sacrorum (CIL VI 2125 = XIV 2413
L, Manlio L. f Pal(atina) Severe regt sa-
crorum, fictori pontificum p. B., IUI viro
JBovülensium; derselbe Mann kann unmög-
lich Rex sacrorum in Rom und Fictor der
Pontifices gewesen sein; daher gehört die
Wflrde offenbar zu den nach Bovillae Aber-
tragenen siusra Älbana),
•) Dessau, CIL XIV p. 281.
"*) sacerdos Caenmensium {CIL XI 2699)
oder Caeninensis (auch Caeniniensis), CIL V
4059. 5128. VI 1598. IX 4885 f. X 8704. XI
2699. 8103. XII 671; ein vnaxog Kaireiytjring
UQüiy &ij(Aov 'Ptofiaiatr CIA 111628,7 = 624,4,
vgl. Mabquardt, Ephem. epigr. I p. 203.
^) sacerdotes Udbenses feriarum Lati-
narum montis Älbani CIL VI 2021 = 2173
= XIV 2228; sacerdotes Cabenses montis
Älhani CIL VI 2174 f. Über die Ortschaft
(Plin. n. h. III 64. Dion. Hai. V 61, 3) s. Mon-
SBN, BuU. d. Inst. 1861, 205 ff.; Hermes XVII
50. G.B.deRossi, Annali d. Inst. 1873, 168 ff.
•) CIL VI 2178-2180.
^®) Darauf weist der volle Name der
Sacerdotes Cabenses, s. oben Anm. 8.
") CIL IX 4206-4208. 4399 (hier fiberaU
zugleich j)on^t/ea;). X 4590. V 6992. 7814; der
flamen maximus in Lanuvium (CIL XIV 2092 ;
vgl. Cic. pro Mil. 27. 46. Ascon. p. 27) gehört
sicher ebenso dem municipalen Kulte au wie
der Rex sacrorum und Flamen Dialis (CHj
XIV 2689).
>*) sacerdos Tusculanus CIL V 27. IX
2565 (sacerfdos) Tuscul(anus) fanüdlis);
sodalis sacrorum Tusculanorum CIL V 5086 ;
praesul sacerdoti Tusculanorum CIL VI 2177
(ein sechsjähriges Mftdchenl); municipal da-
gegen sind die Würden des tusculanischen
augur (CIL XTV 2580. 2628), rexs sacr&rum
(ebd. 2684), monitor sacrorum (ebd. 2603,
vgl. 2580) u. a.
'') Liv. VIII 14, 2 : Lanuvinis civiUu data
sacrague sua reddita cum eo, ut aedes *lucu9^
67, Das Pontifloaloollegiam.
449
andererseits durch die römischen Priester. Wir kennen diese römischen
Priester latinischer Stadtkulte, deren Zahl vielleicht noch grösser war,0
durchweg nur aus Inschriften der Kaiserzeit, in welcher Weise in repu-
blikanischer Zeit für diesen Zweig der Sacralverwaltung gesorgt war, ist
völlig unbekannt; die uns bekannte Organisation, nach welcher all diese
Priestertümer zu den sacerdotia equestria zählen^) und vom Pontifical-
coUegium ressortieren,^) geht jedenfalls auf die Reorganisation des Sacral-
und Priesterwesens unter Augustus zurück.
In anderer Weise waren wahrscheinlich dem PontificalcoUegium die
Flamines Divorum angegliedert. Diese Einzelpriester, von denen bis
ins 3. Jahrhundert hinein (s. oben S. 288 f.) jeder Divus einen erhielt
und deren Zahl daher im ständigen Steigen begriffen war,^) bildeten kein
Gollegium und müssen mit einem der grossen Priestertümer verbunden
gewesen sein; dass es das PontificalcoUegium war,^) geht aus dem um-
stände hervor, dass für die Organisation der Flamines Divorum durchaus
die drei grossen Flamines vorbildlich gewesen sind*): wie diese waren
jene lebenslängliche Priester, die wahrscheinlich vom Kaiser als Pontifex
max. ernannt wurden, sie mussten Patrizier sein (s. oben S. 422 A. 1) und
wurden inauguriert (oben S. 420 A. 3); dass aber ihr Verhältnis zu den
Pontifices immerhin lockerer war, als das der Flamines des Juppiter,
que Sospüae lunonis communis Lanuvinis
miinicipibua cum populo Romano esset (wenn
MoMMSBN, Staatsr. UI 579« 4 das dahin aus-
legt, ,das8 die socra alle übergehen auf die
römische Bürgerschaft, das PontificalcoUe-
gium aber die Priester dafür aus den cives
Bomani Lanuvini nimmt*, so scheint mir
diese Deutung mit dem Wortlaut der Stelle
unvereinbar); hier fand wahrscheinlich das
von Cic. pro Mur. 90 erwähnte alljährliche
consularische Opfer statt; über den stadt-
römischen Kult der Juno Lanuvina s. oben
S. 117.
^) MoMMSBN a. a. 0. S. 580 A. 5 rechnet
auch den ftamen Virbialis (CIL X 1493) hier-
her, kaum mit Recht, da in der Inschrift
diese Würde dicht neben den sicherlich
municipalen des augur und aedilis ÄuffustoUis
(von Neapolis) steht.
*) MoMXSBN, Staatsr. 111567 f.; am höch-
sten im Range stand das sacerdotium Cae-
ninense, s. ebd. S. 568 A. 7.
") Darauf weist sowohl die evidente Er-
gänzung der Inschrift CIL XI 8103 Caenini-
ensis a pofntificibus factus] als auch die
gelegenüiche Bezeichnung des albanischen
Pontifex als pontifex Albanus minor (CIL
IX 1595), die doch wohl im Gegensatze zu
den römischen Pontifices gemeint ist. Dazu
stimmt die Ernennung idl dieser Priester
durch den Kaiser als Pontifex maximus (s.
oben S. 419 A. 4).
^) Bezeugt sind solche Flamines für
Caesar (Cass. Dio XLIV 6, 4. Suet. Caes. 76.
Cic. Phil. II 110. Xni 41. 47. Plut. Anton. 13;
B«ndbnoh der klaas. Altertmaswiaaeiiaoliaft. Y, 4.
flamen lulianus CIL VI 8 1 2), Augustus [flamen
AugustaXis häufig, z. B. CIL II 1517. 2198.
V 3223 c. add. VI 909. 913. 921 u. a.), Clau-
dius (ilamen Claudiaiis CIL IX 1123. X 6566),
Nerva (Plin. Paneg. 1 1), Trajan {flamen Ul-
pialü CIL VI 1383), Hadrian (Bist. aug. Hadr.
27, 3), Antoninus Pius (ebd. Anton. Pius 13, 4;
M. Aurel. 7, 11), L. Verus (ebd. 15, 4), M. Au-
relius (ebd. 18, 8), Commodus (ebd. Comm.
17, 11; flamen Commodianus CIL VI 1577),
Pertinax (Bist. aug. Pert. 15, 4; Sever. 7, 8)
und Septi'mius Severus (flamen Divi Severi
CIL V 7783); über flaminicae einzelner Divae
s. oben S. 286 A. 4.
*) Die Annahme Bobohbsis (Oeuvres in
402. V 202), dass sie Mitglieder der ent-
sprechenden Genossenschaft von Sodales Di-
vorum gewesen wären, hat Dbssau, Ephem.
epigr. III S. 221 ff. widerlegt
*) Vom Flamen Julianus sagt Cass. Dio
XLIV 6,4: tSsneg xiydJidXioy; vgl. Cic. PhiL
II 110: est ergo flamen, ut lovi, ut Marti,
ut Quirino, sie Divo lulio M. Antonius;
darum ist auch das Statut des Provinzial-
flamen der Narbonensis (CIL XII 6038) dem
des Flamen Dialis nachgebildet (oben 8. 435
A. 4) und heissen die staatiichen Flamines
Divorum nicht flamen Divi lulii, flamen Divi
Augusti (diese Bezeichnung führen die pro-
vinzialen und municipalen Eaiserpriester),
sondern flamen lulianus, Augustalts, Clau-
dialis u. s. w. (oben Anm. 4, Ausnahme erst
der flamen Divi Severi) wie flamen Diaiis
Mariialis Quirinalis,
29
450
Religion imd Enltiu der Römer. IIL Eoltas.
Mars und Quirinus zeigt die Thatsache, dass die gleichzeitige Bekleidung
des Pontificats und eines der Eaiserflaminate möglich war.^
Qehoben durch die Vornehmheit seiner Träger') und durch die Yor-
standschaft des Princeps ist der Pontificat auch während der ganzen
Kaiserzeit nicht nur das weitaus angesehenste und bedeutsamste Priester^
tum Roms geblieben, sondern hat auch in der Oberaufsicht über das ge-
samte Sacralwesen und speziell in der Gräberpolizei (oben S. 409 f.) als
Organ der kaiserlichen Verwaltung eine erheblich umfangreichere und
tiefer eingreifende Thätigkeit ausgeübt als früher.') Als Aurelian fOr die
Priester seines Sonnengottes den ehrwürdigen Namen usurpierte (oben
S. 307), nannten im Gegensatze zu diesen pontifices Solis die Vertreter des
alten Priestertums sich stolz pontifices maioresy eine Bezeichnung, die sich
neben der bescheideneren als pontifices Vesiae oder mit ihr zu dem Titel
pontifices maiores Ve8t(ie kombiniert bis zum Ausgange des Altertums be-
hauptetet) Die Ämter des Kex und der Flamines können wir, wie weitaus
die meisten römischen Priestertümer, nicht über die Mitte des 3. Jahr-
hunderts hinaus verfolgen, die Pontifices aber und die vestalischen Jung-
frauen haben noch die Niederlegung des Oberpontificates durch Gratian
überlebt und sind erst untergegangen, als im letzten Jahrzehnt des
4. Jahrhunderts auch in der Stadt Rom der heidnische Staatskult erstarb
(s. oben S. 88).
Litteratar. J. A. Ambrosch, Quaestionam pontificalium prooemium, caput I, II, ITI.
Univ.'Progr. von Breslau 1847 — 1851. A. Bouoh]£-Lbolbboq , I^s Pontifes de rancienne
Rome, Paris 1871. C. Schwede, De pontificum coliegii pontificisqae maximi in repablica
potestate, Dias. Lipsiae 1875. Mommsek, Staatsr. II 17 ff. Mabqüabdt, Siaatsverw. II l 2B5 ff.
Madyio, Verfass. u. Verwaltung d. röm. Staates II 612 ff. H. Jordan, Der Tempel der Vesta
und das Hans der Vestalinnen, Berlin 1886. P. Habbl, De pontificum Romanoram inde
ab Auguste usque ad Aurelianum condicione publica (Breslauer philol. Abhandl. in 1),
Vratislaviae 1888.
68. Die Augares. Den im PontificalcoUegium vereinigten priester-
lichen Vertretern des gesamten altrömischen Opferdienstes steht das
collegium augurum^) weder an Alter noch an Bedeutung nach; dass man
beide nebeneinander als die Grundbestandteile der ältesten römischen
Sacerdotalverfassung ansah, zeigt nicht nur die Überlieferung, die die
Einsetzung beider Priestertümer auf Numa zurückfährt,^) sondern viel
deutlicher noch die Thatsache, dass man die römischen Bürgercolonien
') Pontifez und Flamen Augustalis CIL
V 3223 c. add., Pontifex und Flamen Divi
Severi CIL V 7783, nur Pontifex und Flamen
(jedenfalls eines Divus, s. oben S. 423 A. 1)
CIL XIV 4242, ebenso Rex sacrorum und
Flamen CIL IX 2847.
*) Vollständiges Verzeichnis der bekann-
ten Pontifices maximi und Pontifices aus
republikanischer Zeit bei Bardt, Priester der
vier grossen Collegien S. 2—17, fflr die Zeit
von Augustus bis Aurelian bei Habel, De
pontific. Rom. condic. publ. S. 3 ff.
") Mommsek, Staatsr. II 70.
^) Die Belege bei Habel a. a. 0. S. 99
A. 8.
») CIL VI 1283; vgl. Pest. p. 161. Cic.
de div. I 28; Cato mai. 64; epist. III 10, 9
u. a. Dion. Hai. IH 70 {üvatfifAu); augurea
publicipopuli Ramani QuirUium CIL VI 503.
504.511. 1449. X 211. 1695 f. 1700. 4752 (vgL
augures pMici oder papuli Romani Varro
de 1. 1. V 33. Cic. epist. VI 6, 7. XÜI 14, 1);
griechisch oitoyictai (Casa. Dio XLII 21.
XLIX 16), oitovoaxonoi (Dion. Hai. III 70, 71).
oiütyonoXtn (ebd. II 64), oltayouayrets (ebd.
III 69) u. a.
•) Liv. IV 4, 2, vgl Dion. Hai. U 64, 4;
anders Cic. de rep. II 16 (vgl. Liv. I 18. 6)
und die Quelle des Dion. Hai. U 22, 3, der
aber f&r die Augum fälschlich die Hamspices
einsetzt.
68. Die Angiirea.
451
bei ihrer Gründung eben mit diesen beiden Priestertttmem, und nur mit
ihnen, ausstattete J) Dem entsprechend ist auch die äussere Geschichte
des Augurates in völliger Parallelität zu der des Pontificats verlaufen: die
Vermehrung der Stellenzahl von 3 auf 6, 9, 15 und schliesslich (durch
Caesar) auf 16,*) die Verteilung der Stellen unter Patrizier und Plebejer
durch die Lex Ogulnia (oben S. 422), die Ersetzung der Selbstergänzung
durch die Volkswahl aus einer vom Gollegium aufgestellten Praesentations-
liste (oben S. 418) sind für die Augurn in gleicher Weise und zur gleichen
Zeit eingetreten, wie für die Pontifices; als mit der Abgrenzung des Be-
griffes der quattuor amplissima coUegia (oben S. 414) die Festsetzung einer
bestimmten Rangordnung unter diesen notwendig wurde, mussten die Ponti-
fices wegen der Universalität ihrer Obliegenheiten und der magistratischen
Befugnisse des Oberpontifex den ersten Platz erhalten, aber eine dienstliche
Unterstellung der Augurn unter Aufsicht und Disziplinargewalt des Pontifex
maximus ist damit keineswegs erfolgt,^) sondern ihre Wirksamkeit hat
sich in völliger Unabhängigkeit abgespielt. Mit den caerimoniae et sacra^
auf welche sich die Thätigkeit der Pontifices erstreckt, haben die Augurn
nichts zu thun, die ihnen obliegenden selbständigen Kulthandlungen —
mit technischem Namen auguria genannt^) — tragen nicht den Charakter
von Opfern, sondern es handelt sich dabei um eine unter Beobachtung
genau vorgeschriebener Formen an die Gottheit gerichtete Fragestellung^)
und Einholung ihrer Zustimmung oder Bürgschaft für bestimmte Ange-
legenheiten im Gebiete des öffentlichen Wohls; ist mit dem augurium
eine Opferhandlung verbunden, so fällt ihre Ausführung den Pontifices
zu,^) im AugurencoUegium gibt es keinen Flamen. Da aU diese auguralen
Kultakte mit dem Schleier tiefsten Geheimnisses bedeckt gehalten wurden,^)
^) Lex col. Jnl. Qenet. o. 66. 67; ygl.
M0M1I8SN, Eph. epigr. III p. 99 ff. Libbbnam,
StAdteverwaltnng S. 342 f.
') Die Dreizahl als Grandlage steht fest
durch Liv. X 6, 7. Cic. de rep. III 6; vgl. Dion.
Hai. II 22, 3, vor allem aber durch die Drei-
zahl in den Colonien (Lex col. Gen. a. a. 0.),
die Neiinzahl seit der Lex Ogulnia durch
Liv. X 6, 6. 9, 2. Lvd. de mens. I 45 ; als
Zwischenstufe ist nicht wohl eine andre Zahl
als 6 möglich, fQr die auch die Analogie
der Pontifices spricht (s. oben S. 432). Üeber
die Erhöhung der Zahl auf 15 (durch Sulla)
und 16 s. Liy. per. LXXXIX und Cass. Dio
XLII 51, 4.
") Eine solche liegt nicht darin, dass
der Pontifex max. für die Inauguration eines
Priesters seines Ressorts den Augur requi-
riert und ihm im Weigerungsfalle eine muUa
auferlegt (Fest. p. 343, s. oben S. 439 A. 8),
denn das ist einfach einAusfluss der magi-
stratiscben Competenz des Pontifex max.;
ganz ebenso requiriert der Magistrat z. B.
fEbr die Dedication den Pontifex zur Mitwir-
kung (Cic. de domo 133).
*) Die Handlung heisst augurium agere
(Varro de 1. 1. VI 42. Cic de div. I 32; de
off. III 66. Serv. Aen. III 20) oder augurare,
inaugurare (diese beiden gleichbedeutend:
certasque res auguraniur L. Julius Caesar
bei Pnsc. VI II 15, augures ex aree profecti
soletU inaugurare Varro de 1. 1. V 47; vgl.
Liv. I 6, 4. 36, 4).
^) Varro de 1. 1. VI 42: augures augu-
rium agere dieuntur, cum in eo plura dicant
quam fäeiant, Serv. Aen III 265: invoeatio
autem est preeatio uti avertantur maia, cuius
rei causa id saerifieium auguräle peragitur.
XII 176: hoc per speciem augurii, quae pre-
eatio maxima appeüatur, dicit; preeatio autem
maxima est, cum plures deos quam in eeteris
partibus auguriorum precantur eventusque
rei bonae poscitur; Bruchstücke solcher pre-
eatUmes augurum z. B. Cic. de nat. deor.
III 52, vgL Serv. Aen. VIII 95. Fest p. 157.
') Dass das Opfer der rötlichen Hunde
beim Augurium canarium von den Pontifices
vorgenommen wurde, sagt Philarg. zu Verg.
Georg. IV 425 ausdrücklich {saeerdotespublici ;
vgl. Plin. n. h. ZVIll 14: in commentariis
pontificum); ich habe das Real-Encycl. II
2329 nicht richtig beurteilt
') Paul. p. 16: areani sermonis signifi-
catio trahitur . . . . a genere sacrifieii, quod
29*
452
Beli^on nnd Xnltiui der Römer, m. XnltiiB.
80 haben wir von ihnen nur sehr sp&rliche Kunde; doch werden wir uns
im allgemeinen den Hergang nach Analogie der einzigen einigermassen
bekannten Ceremonie dieser Art, ^) der Inauguration der Priester (s. darüber
oben S. 420), vorstellen dürfen : die Handlung findet auf der Burg statt, wo
die Augum ein eigenes für ihre Eultakte bestimmtes Lokal, das augura-
culumj*) besitzen, vollzogen wird sie durch den Augur, der mit verhülltem
Haupte (Fest. p. 343^ 6 ff., vgl. oben S. 352 A. 1) und ausgerüstet mit dem
charakteristischen Kennzeichen seiner Würde, dem Krummstabe (lituusX^)
an der linken Seite des zu inaugurierenden Priesters steht und, mit der
Rechten dessen Haupt berührend, in feierlichem Gebete an Juppiter O. M.
die Bitte richtet, falls ihm die Person des Vorgeführten genehm sei, seine
Zustimmung durch deutliche Zeichen innerhalb bestimmter Grenzen zu
erkennen zu geben.^) Die erbetenen Zeichen sind bei diesen Akten stets
auguHa caelestia (Paul. p. 64), d. h. Blitze oder andere Erscheinungen am
Himmel, ihre Bedeutung richtet sich nach dem Orte ihres Erscheinens im
Verhältnisse zur Stellung des Augurs^): daher stellt sich der Augur nicht
nur mit fester Orientierung des Blickes auf, sondern nimmt auch ver-
mittels seines Lituus eine ganz bestimmte Abgrenzung der Himmelsgegenden
(regiones caeli) in der Weise vor, dass er eine von ihnen als die pars antica
und damit die übrigen als postica, dextra, sinistra bezeichnet.*) In dem
einen uns näher bekannten Beispiele einer Priesterinauguration wendet der
Augur sein Gesicht nach Osten, so dass Norden die pars sinistra, Süden
die pars dextra bezeichnet,^) aber wir haben auch sichere Zeugnisse für
eine Südorientierung der auguralen Beobachtung (Osten sinistra, Westen
dextra),^) und wahrscheinlich war die Art der Aufstellung ganz in das
in arce fU ab auguribua adeo remotutn a
notitia vulgari, nt ne litteris quidem mande-
tur, sed per memoriam successorum eelebre-
tur; ygl. Plut. Qu. Rom. 99. Cic. de domo 39.
') Der Name dafür war nach Analogie
Yon atigurium aalutis wohl augurium aacer'
dotii, da Cic. de leg. 11 21 die auguralen
Knitakte mit den Worten charakterisiert:
saeerdotesque et vineia virgetaque (s. darüber
unten S. 458 A. 3) et salutem populi augu-
ranto.
') Paul. p. 18: auguraculum appelUt-
hant antiqui, quam no8 arcetn dicitnus, quod
ibi augures publice auspicarentur (vgl. Varro
de 1. 1. VII 8); ein anderes auguraculum lag
auf dem Quirinal (Argeerurkunde bei Varro
de 1. 1. V 52), ein auguratorium auf dem
Palatin (Notit. reg. X, vgl. CIL VI 976), ohne
dass über die Bedeutung dieser örtlichkeit
sonst etwas bekannt wäre.
') baculum sine nodo aduncum Liv. 1
18, 7, vgl. Cic. de div. 1 30. Serv. Aen. VII
187. 190.
*) Juppiter pater, si est fas hunc Nu-
mam Pompilium, cuius ego caput teneo, regem
Ramae esse, uti tu signa nobis certa adclü'
rassis inter eos fines quös fecV. tum peregit
verbis auspicia, quae mitti vellet, Liv. 1 18, 9;
vgl. Plut. Numa 7.
^) Günstig sind insbesondere die zur
Linken des Beschauers erfolgenden Himmels-
erscheinungen (Varro de 1. 1. VII 97 und bei
Fest. p. 339. Fest. p. 351. Dion. Hai. II 5,2.
6, 2. Cic. de div. II 74. Plin. n. h. n 142.
Axnob. IV 5. Serv. Aen. 11 893 u. a.), im Gegen-
satz zur griechischen Anschauung (Cic. de
divin. II 82).
") Serv. Ecl. 9, 15: augures designant
spatia lituo (vgl. Aen. VII 187 IUuub . . .
quo utebantur ad designanda eatli spatia.
VI 191; post designatas eaeli partes Serv.
Aen. IX 4. Isid. orig. XV 4, 7 ; regiones CHc
de div. I 30 f.; de leg. II 21. Liv. I 18, 7)
et eis dant nomina, ut prima pars dicatur
anterior, posterior postica, item dextra et
sinistra,
') Liv. I 18, 7: inde ubi prospedu in
urbem agrumque capto deos preeatus regiones
ab Oriente ad occasum determinavit, dextras
ad meridiem partes^ laevas ad ssptentrionem
esse dixit, Signum contra, quoad longissime
conspectum oculi ferebant, animo finivit. Die-
selbe Orientierung setzen Serv. Aen. II 693.
Isid. orig. XV 4, 7. Dion. Hai. II 5, 2 f. voraua.
8) Varro de l. L VII 7: caelum . . dic-
tum templum . . . eius templi partes quaituor
68» Die Angures.
453
Belieben der Augurs gestellt, nur dass er in seiner Spruchformel genau
bezeichnen musste, was für ihn als vom, hinten, links und rechts zu gelten
habe, damit über die Bedeutimg der Zeichen ein Zweifel nicht aufkommen
konnte.^) Ebenfalls auf der Burg fand alljährlich ein wohl in ähnlichen
Formen vor sich gehender auguraler Festakt statt, an den sich eine feier-
liche, über die sucra via ziehende Procession schloss,') andre Geremonien
dieser Art bezogen sich auf das Gedeihen der Felder und Fluren^) und
wurden teils im Frühjahr {vemisera auguria Paul. p. 379) teils zur Zeit
der grössten Sommersglut (augurium canarium, oben S. 163) gefeiert,
endlich gehört hierher das seiner ganzen Bedeutung nach wenig klare*)
augurium scUutis, das zwar als Jahresakt eingesetzt war, in späterer Zeit
aber oft eine lange Reihe von Jahren hindurch ausfallen musste, weil es
nur begangen werden durfte, wenn am Tage seiner Fälligkeit kein römisches
Heer im Felde stand^): die Geremonie fiel also jedenfalls in die Winter-
monate*) und stammt aus einer Zeit, die nur Sommerfeldzüge kannte.
Aber wie die Wirksamkeit der Pontifices ihren eigentlichen Schwer-
punkt nicht in den von ihnen oder unter ihrer Aufsicht vollzogenen Opfer-
handlungen und religiösen Geremonien hat, sondern in der Thätigkeit, die
sie, die berufenen Kenner des gesamten Ritualgesetzes und des ius ponti-
ficium^ als sachverständige Gehilfen und Berater der Staatsbehörden in ihrem
Verkehre mit der Gottheit entfalten, so gründet sich ebenso die wesentliche
Bedeutung des Augurncollegiums nicht auf die bisher besprochenen selb-
ständigen Kulthandlungen, sondern darauf, dass die durch sie vertretene,
in ihi*en Orundzügen allgemein italische^) Kunst, den Willen der Götter
mit Beziehung auf einen bevorstehenden oder eben sich vollziehenden
dicuntur, Hnisira ab Oriente, dextra ah oc-
caeu, antica ad meridiem, poetiea ad eepten-
trionem; vgl. Varro bei Fest. p. 339. Paul,
p. 220: ea caeU pars, quae sole iüuatratur
ad meridiem, antica nominatur, quae ad
septentrionem postica. Gic. de div. I 81.
') Darin besteht die legum dietio (Serv.
Aen. III 89: cum condicio ipsius augurii certa
nuncupatione verborum dicitur), die ich oben
S. 334 f&lsohlich mit Mommsbn (Staatsr. I
74, 4) u. a. auf die Einholung der auguria
impetrativa durch den Magistrat bezogen
habe.
•) Varro de 1. 1. V 47: sacra via . , ,
per qttam augures ex arce profecti solent
inattgurare; darauf bezieht sich auch das
eacrificium, quod in arce ftt ab auguribtu
Paul. p. 16 (s. oben S. 451 A. 7) und das au-
gurium ex arce capere Liv. X 1, 10 (vgl. Cic.
de off. in 66). Dass dieser Akt mit dem
Augurium salutis identisch gewesen wäre,
ist möglich, aber nicht zu erweisen.
*) Cic. de leg. II 20 f.: auguree . . .
vineta virgetaque . . . auguranto, und über
die Bedeutung dieser Worte Wissowa, Real-
Encycl. 11 2328 f.
*) Cass. Dio XXXVn 24, 1: tovro c«
(xayxelag xiq rgono^ iatl nvauy rftvn l/aiv
ei innginei atplair 6 S-eos ^yletay xta ^iuk^
airijaai, (6g ovx oatov ov ovih attipuy avr^g
ngly avyx^Q^^vM yeyia&ai,. Jedenfalls
also enthielt der Akt ebenfalls eine Be-
fragung der Gottheit {nvaxig), auf welche
damals eine ablehnende Antwort erfolgte
(Cass. Dio ebd. 25, 1. Gic. de div. I 105:
augur eonsuli nuntiapit, addubitato salutie
augurio bellum damesticum triste ac turbu-
lentum fore).
') Cass. Dio XXXVII 24, 2 bei Gelegen-
heit der Feier des J. 691 = 63; die Gere-
monie wird dann wieder erwähnt zusammen
mit der Schliessung des Janus im J. 725 =
29 (Cass. Dio LI 20,4; vgl. Suet. Aug. 31)
und im J. 47 n. Chr. (Tac. ann. XII 23: salutis
augurium quinque et septuaginta annis omis-
sum repeti ac deinde continuari plaeitum).
^) An den Jahresanfang denkt Jordan,
Topogr. I 2 S. 104 A. 103 ; eine AnfQhrung
aus der dabei zur Anwendung kommenden
Gebetsformel bei Fest. p. 161.
') Über die Übereinstimmung der rö-
mischen Auguralwiasenschaft mit dem Ritual
der Tabulae Iguvinae vgl. Bubchblbb, Um-
brioa S. 42 ff. 84 ff. Für die Institution der
Augum selbst lässt sich vorrOmischer Ur-
sprung nicht nachweisen; die augures inTibnr
454
Religion nnd KnltttB der Römer. IIL Knltos,
Vorgang zu erkunden und die erbeten oder unerbeten eintretenden Zeichen *)
richtig zu deuten, in ihrer Anwendung weit über das rein sacrale Gebiet
hinausgreift. Das reiche Archiv der Augum, in welchem einerseits die
als uralte Überlieferung der Vorzeit geltenden Grundregeln der discipUna
augurcdis,^) andererseits die im Laufe der Zeit von den Augum bei ihren
allmonatlichen Zusammenkünften') oder aus Anlass von Anfragen fest-
gestellten Entscheidungen und Gutachten {decreta, responsa) niedergelegt
sind,^) enthält nicht nur die Vorschriften über den Vollzug jener auf^uralen
Eultakte, sondern als wichtigsten Bestandteil die gesamte Lehre von den
auspicia populi Romani,^) und je bedeutsamer diese das ganze öffentliche
Leben der Römer durchzieht (oben S. 323 f.), um so wichtiger ist die
Thätigkeit, welche die Augum als ihre Bewahrer und Ausdeuter vorbe-
reitend, begutachtend und assistierend neben den Magistraten ausüben:
das ist geradezu ihre Hauptaufgabe geworden.^)
Einer Vorbereitung bedarf die magistratische Auspication insofern,
als sowohl die Einholung der auspicia impetrativa wie die Vornahme der
au8picato zu vollziehenden Staatshandlungen nur in einer nach den Vor-
schriften der Auguralwissenschaft abgegrenzten und hergerichteten Ört-
lichkeit erfolgen darf, welche technisch den Namen templum führt.'') Für
diese templa ist eine bestimmte Grundrissform vorgeschrieben, es sind aus-
nahmlos Vierecke, deren Endpunkte fixiert und deren Seitenlinien so ge-
zogen sind, dass die Umgrenzung nur an einer den Eingang bildenden
(CIL XIV 8672 f.) und Tascnlmn (ebd. 2580.
2628) können den rOmischen nachgebildet
sein.
') Die fünf Hanptgattongen solcher
Zeichen zählt Fest. p. 261 aaf : ^inque ge-
nera signorum öbservant auguret puhliei: ex
caelo, ex atnbue, ex tripudiis, ex quadripe-
dibua, ex diris; als auguria oblativa (s. dar-
über oben 8. 323 f.) können alle diese Zeichen
auftreten, als impetrativa dagegen gelten
von Haus aus nur die signa ex caelo und
ex avibuSt und zwar die ersteren nur für die
auguralen KultiÜLte, die letzteren nur fUr die
magistratische Auspication. Die auspicia ex
acuminibtu (Cic. de div. 11 77; de nat. deor.
n 9. Amob. I[ 67) nennt Festus nicht, nicht
nur darum, weil sie frflh ausser Gebrauch
kamen, sondern weil sie ausschliesslich ein
atispieium milUare waren, während die Thä-
tigkeit der Augum sich wesentlich auf die
s^dtische Auspication beschränkte (vgl. Liv.
VIII 23, 16: neque augures divinare Romae
sfdentes pciuisse, quid in eastris consuli
vitii obvenisset).
*) augures . . disciplinam tenento Cic.
de leg. n 20, vgl. 82 f. ; de div. II 74. Suet.
de gramm. 1; ius augurium Cic. Cat. mai.
12 u. a.
•) Cic. de div. I 90: magif gui eongre-
gantur in fano commentandi causa aique
inter se eonloquendi, quod etiatn idem vos
quondam faeere Nanis soUbatis; Lael. liprO'
ximis Nonis, cum in hartos D. BruH auguris
commentandi causa, ut adsolet, venissemus.
*) Cic. de nat. deor. 11 11; de domo 38.
') A. Bbausb, Libromm de disciplina
augurali ante Angusti mortem Bcriptornm
reliquiae, I. Diss. Lips. 1875. P. Rbqbll» De
augurum publicorum libris, I. Diss. Vraüal.
1878; Fragmenta auguraUa, Progr. Hirsdi-
berg 1882; Commentarii in librorum aogu-
ralium fragmenta specimen, ebd. 1893 ; Com-
ment. in honorem A. Reifferscheidii (Vmtisl.
1884) S. 61 ff.
^) Cic. de nat deor. I 122: saeris pot»'
tifices . . auspiciis augures praesunt. In der
Lex col. Genet. c. 66 wird als Obliegenheit
der Augum einzig und allein angegeben : de
auspiciis quaeque ad eas res pertinAunt,
augurum iuris dictio iudicatio esto.
') Gell. XIV 7, 7 : in loeo per augurem
constituto, quod templum appeüaretur, Varro
de 1. 1. VII 8: in terris dictum templum
locus augurii (d. h. für die selbst&ndigeii
Kulthandlungen der Augum) aut auspieU
(fUr die magistratische Auspication) causa
quibusdam conceptis verbis finitus. Man be-
zeichnet den Raum auch als tempium minus
(Fest. p. 157), da im weiteren Sinne andi
das Himmelsgewölbe, an dem die Augoni
die Signa caelestia beobachten, templum ge-
nannt wird (Varro de 1. 1. VII 7, vgl. Serr.
Aen. I 92).
68. Die Angures.
455
Stelle unterbrochen ist. ^) Die Begrenzung muss nicht unbedingt eine reale
durch Mauern oder Wände sein,') es genügt an sich, wenn durch die
Spruchformel des Augurs') die Grenzlinien und Eckpunkte klar und un-
verkennbar bezeichnet sind: darum lautet der Terminus^) für die Her-
stellung eines templum durch den Augur effare locum, im Sinne von fando
eximerej durch Anwendung bestimmter Worte die örtlichkeit von ihrer
Umgebung loslösen und gegen sie abgrenzen ;^) eine Wirkung dieser Los-
lösung ist die liberatio der Örtlichkeit, d. h. die Aufhebung aller etwa auf
ihr ruhenden älteren sacralen Verpflichtungen und Bindungen, die ihrer
Verwendung im Sinne der disciplina auguralis hinderlich sein könnten.^)
Zum Zeichen des vollzogenen auguralen Aktes wurde dann an dem templum
ein Stern aus Metallblech angebracht. '') Die Inauguration kann in gleicher
Weise an hca aticra wie profana vorgenommen werden und übt auf diesen
ihren Charakter keinerlei Einfluss, das Eigentumsrecht der Götter oder der
Menschen an der betreffenden Örtlichkeit bleibt völlig unberührt; wenn
sich auch unter der grossen Zahl der templa, die es in Ei;Om gab,^) die Mehr-
zahl der aedes sacrae befand (s. oben S. 403)^ so gehörten in diese Kategorie
doch auch eine Menge profaner, für Staatsakte bestimmter Örtlichkeiten,
wie die Curie, das Comitium, die Rostra, und selbst vom augur<iculuin der
Augurn haben wir kein Recht anzunehmen, dass es consecriert war.
Aber der Begriff des locus liberatus et effatus reicht erheblich weiter
als der des templum. Derselbe Akt der Grenzbestimmung und Lösung,
durch den der Augur bestimmte Örtlichkeiten für die Einholung der
Auspicien und die Vornahme auspicato zu vollziehender Staatshandlungen
geeignet macht, wird von ihm auch an grösseren räumlichen Bezirken
vollzogen, um die Grenzen festzulegen, innerhalb deren die verschiedenen
') Pest. p. 157 (vgl. Sery. Aen. IV 200):
minora templa fluni ab auguribus, cum loca
aliqua tahulU aut linteia saepiuntur, ne uno
ampUtu o9tio pateant, certU verbis definita,
Uaque templum est locus ita effatus aut
ita saeptus, ut ea una parte pateat angu-
losque IUI (so Valbton, MnemoB. XX 369;
angtUtu quod Hs.) adfixos kabeat ad terram,
Serv. Aen. II 512: Varro locum quattuor
angulis conclusum aedem (vielmehr templum)
docet vocari debere; daher konnte die rnnde
aedes Vestae kein templum sein (Gell. XIV
7, 7. Serv. Aen. VU 153).
') Gewöhnlich war dies natflrlich der
Fall, nicht nur in den als templa inaugn-
rierten Gebäuden, sondern auch bei den
tabernacula, von denen aus der Magistrat
die Auspication vornahm (Fest. p. 157. Serv.
Aen. IV 200).
') quibusdam conceptis verbis Varro de
1. 1. Vn 8; certis verbis definUa Fest. p. 157.
Dass die Formel bei verschiedenen Örtlich-
keiten eine verschiedene war {concipitur
verbis non isdem usque quaque) sagt Varro
a. a.O., der dann die Anfangss&tze der Formel
anfahrt, mit der die Angum ihr auguraculum
in arce abgrenzten (daza Jobdan, Krit. Beitr.
8. 89 ff.).
*) Die Wendung augurare (Liv. VTQ 5,8)
oder inaugurare locum (Cic. Vatin. 24; de
domo 137. Serv. Aen. VIl 174 u. a.) ist nicht
Specialterminus fdr die Herstellung eines
templum, sondern weist nur im allgemeinen
auf die Wirksamkeit der Augurn (s. oben
S. 451 A. 4), ohne diese näher zu bestimmen.
*) Varro de 1. 1. VI 53: effari templa
dicuntur ab auguribus; effantur qui in his
flnes sunt. Cic. ad Att. aHI 42, 3 : ad tem-
plum effandum. Serv. Aen. III 463: loca
Sacra id est ab auguribus inaugurcUa effata
dici. Fest. p. 157.
') Serv. Aen. 1 446 : itä templa faeiebant,
ut . , . . per augures locus liberaretur effa-
returque. Cic. de leg. II 21. Liv. V 54, 7:
cum augurato liberaretur Capitolium; im
Hinblick auf diese älteren Bindungen und
Verpflichtungen des Ortes stellt der Akt
eine exauguratio dar, eine Lösung durch
augurale Sprachformel, s. oben 8. 408 A. 3.
^) Fest. p. 351 : steUam quae ex lamella
aerea adsimilis steüae loeis inauguratis in-
figatur.
") Reiches Material bei Valbtoh, Mne-
mos. XXIII 24 ff.
456
Religion nnd Kultus der BOmer. IIL Knltus.
Gattungen von auspieia zur Anwendung kommen. So wird das Gebiet der
auspicia urbana im engeren Sinne beschloBsen durch die die urbs Roma
umziehende Grenzlinie des potneriunty^) und ausserhalb derselben liegt eine,
nach aussen ebenfalls durch eine feste GrenzUnie abgeschlossene Zone, der
cyer effatus^*) innerhalb dessen zwar noch zum städtischen Amtskreise
{Imperium dornt) gehörende, aber verfassungsmässig von der Innenstadt
ausgeschlossene Staatsakte (wie z. B. die Centuriatcomitien) vorgenommen
nnd fär sie die Auspicien eingeholt werden.') All diese Grenzlinien werden
von den Augum nicht nur nach den Regeln ihrer Wissenschaft abgesteckt
und durch Grenzsteine bezeichnet,^) sondern auch dauernd unter Aufeicht
gehalten, damit nicht etwa durch Yerrückung der Grenzlinie oder sonstige
Störungen die Wirkung des liberare et effare angehoben und damit die
reguläre Auspication unmöglich gemacht werde. ^) Auch in der weiteren
Rom umgebenden Landschaft scheidet die Auguraldisziplin noch mehrere
Zonen, deren jede mit Bezug auf die Auspicien eine verschiedene Rechts-
stellung einnimmt,*) doch wissen wir nicht, ob z. B. die Abgrenzung des
ager Romanus gegen die Umgebung ebenso wie die Feststellung des
Pomeriums oder der Grenzlinie des ager effcUus unter Anwendung auguraler
Spruchformeln erfolgt ist.^)
Erheblich umfangreicher und bedeutsamer gestaltet sich die Wirk-
samkeit der Augum insofern, als alle bei der Auspication sich ergebenden
Zweifel und Schwierigkeiten ihrem Gutachten unterbreitet werden. Wie
überhaupt der einzige Rechtsvertreter des Staates im Verkehre mit den
Göttern der Magistrat ist (oben S. 338), so ist die Einholung der göttlichen
Zustinmiung zu einer bevorstehenden Staatshandlung durchaus Sache des-
jenigen Magistrates, der diese Handlung selbst zu vollziehen hat; eine
Mitwirkung des Augurs findet nicht einmal in der Form der Assistenz
statt ;^) auch ist diese magistratische Einholung der auspicia impetrativa
') Gell. Xm 14, 1: pamerium est loeuB
inira agrum effatum per totius urhis eircul-
tum pone muros regionibus certeis determi-
natuSy gut faeit finem urbani auspieii, Varro
de 1. 1. V 143: quod erat po9t murum patt-
moerium dictum eoque attspicia urbana fini-
utUur, Über das tiM pomerii (Gic. de div.
II 75) vgl. MoMMSBN, Rom. Forsch. U 23 ff.
H. NissBH, Pompej. Stadien S. 466 ff. A. Nissbh,
Beitrftge zum r5m. Staatsrecht, Strassburg
1885. A. DsTLBFSBN, Hermes XXI 497 ff. I. M.
J. Valrov, Mnemos. XXm 64 ff. XXV 93 ff.
861 ff: XXVI 1 ff.
') Senr. Aen. VI 197 : ager post pameria
(vgl. 6elL a. a. 0. : pomerium est locus inira
agrum effatum), ubi captabantur auguriä,
dicebatur effatus; vgl. Varro de 1. 1. VI 53:
augures finem auspiciarum caelestium agris
sunt effati ubi esset.
*) MoMMSBH, Staatsr. I 65 ff.
*) Varro de 1. 1. V 143: eippi pomeri
Stent et eirca Ariciam et drea Bomam,
') Cic. de leg. n 21 : urbemqtu et agros
et templa Uberata et effata habento; vom cd-
legium augurum ex s(enaJtus) e(onsuito) auc-
tore imp(eratore) . . . Hadriano emeaerte
Pomeriamscippen CIL VI 1233, dam HöLsnr,
Hermes XXÜ 615 ff.
^) Varro de 1. 1. V 33: ut nostri augures
publiei disserunt, agrorum sunt genera quim^,
que: Romanus, Oabinus, peregrinus, hosiieus,
incertus . . . peregrinus ager paeatus, qui
extra Bomanum et Gabinum^ quod uno modo
in his servantur auspicia . . . quoeirca Ga-
binus quoque peregrinus, sed quod auspieia
hcibet singularia, ab reliquo diseretus; vgl.
daza EuBiTscHSK bei Fault- Wissowa, Real-
Encycl. I 780 ff.
') Ob bei der fictiven Constitatioii eines
Stfickes fremden ßodens znm ager Bomanus,
die gelegentlich vorkommt (Gass. Bio XLI
43, 2. Serv. Aen. ü 178), die Aogom zuge-
zogen worden, ist nicht sicher; aber man
kann es schliessen aus Liv. lU 20, 6 augures
iussos adesse ad RegiUum laeum famä exierat
locumque inaugurari, ütn auspieato cum po-
pulo agi posset.
*) Dass die vom Magistrate keraiigeao-
68. Die Angares.
457
von den Sacralakten der Augurn ihrer ganzen Natur nach verschieden;
wie bei diesen ausschliesslich die auguria caelestia, so kommen hier ur-
sprünglich nur die signa ex avibus in Betracht,^) daher findet eine Ein-
teilung des Himmelstemplums in Regionen nicht statt, ^) der diesem Zwecke
dienende augurale Lituus tritt nicht in Wirksamkeit. Aber die Lehre
von der Bedeutung des Yogelfluges und der Vogelstimmen ist eine ausser-
ordentlich umfangreiche und komplizierte,^) und der Schlüssel zu dieser
Rätselsprache, der sich die Oötter zur Kundgebung ihres Einverständnisses
bedienen, ist in der Verwahrung der Augurn ; dazu sind bei der Einholung
der Auspicien eine Menge von Formalitäten zu beobachten, über deren
etwaige Verletzung leicht Bedenken entstehen können,^) schwere Verwick-
lungen können sich durch gleichzeitigen Eintritt verschiedenartiger oder
sich widersprechender Zeichen^) oder durch die Kollision der von mehreren
Magistraten zu verschiedenen Zwecken eingeholten auspicia ergeben,^)
endlich führte die zeitliche und räumliche Beschränkung, welcher die
Geltung erhaltener Impetrativauspicien unterlag,^) zu mannigfachen Zweifeln,
genen Gehilfen (in auspieium adhibere Cic.
de div. II 72; äuspieio itUereste oder adesse
Liv. X 40,4. 11) nicht Augurn sind, hat Va-
LBTON, Mnemos. XVIII 406 ff. mit Recht be-
tont. Cicero freilich in seiner Vorliebe fUr
das CoUegium, dem er selbst angehört,
scheint in seiner Gesetzgebung den Augurn
sogar das Recht, an Stelle der Magis&ate
die speetio (d. h. die Einholung der Impe-
trativauspicien) auazufiben, zuschreiben zu
wollen (II 20: quique agent rem duelli quique
populärem auspieium prciemonento ollique
obtemperanto, wo praemonento deutlich auf
die Impetrativauspicien weist, vgl. II 31. Liv.
IV 18, 6) im Gegensatze zu seiner eignen
Aeusserung Phil. II 88: nos enim (die
Augurn) nuntiationem solum hdbemus, con-
8ule8 et reliqui mctgistratus etiam spectionem,
*) Das beweist sowohl das Wort auspi-
eium = avispicium, das im technischen Sinne
ebenso ausschliesslich vom Magistrate ge-
braucht wird, wie augurare, inaugurare nur
vom Augur, als auch die Wendungen ave
sinistra, lUfi aves admisissetU u. ähnl. (Momm-
SKN, Staatsr. I 75, 8).
') Dass diese Einteilung nur fttr die
auguria eaelestia in Anwendung kommt,
sagt ausdrücklich Cic. de leg. II 21 : caelique
ftUgara regionibus ratis temperanto.
*) Nur eine beschränkte Anzahl von
Vögeln kommt fUr die signa ex avibus in
Betracht (Cic. de div. II 76. Seneca nat. qu.
II 32, 5), daher enthalten die Auguralbflcher
Verzeichnisse der aves augurales (Serv. Aen.
I 398; vgl. Mart. Cap. I 26. Amm. Marc. XV
7, 8); diese zerfallen in alites und oscines,
je nachdem sie durch den Flug oder durch
die Stimme Zeichen geben (Fest. p. 197. Paul,
p. 3. Varro de 1. 1. VI 76. Plin. n. h. X 43.
Cic. nat. deor. II 160; de div. I 120), die
ersteren werden, je nachdem ihr Flug Gutes
oder Böses bedeutet, praepetes oder inferae
(inebrae Serv. Aen. III 246; vgl. Paul. p. 109)
genannt (Gell. VII 6, 3. 10. Serv. Aen. III 361) ;
diejenigen Vögel, die als alites günstige
Zeichen geben, sind als oscines ungünstig
und umgekehrt (Serv. Aen. IV 462).
*) z. B. macht jede Störung der Stille
während der Auspication die Handlung un-
wirksam, schon das Herabfallen eines Gegen-
standes, das Knarren des Sessels, das Pfeifen
einer Maus (Paul. p. 64. Fest. p. 348. Plin.
n. h. Vm 223).
^) Darum enthielt die Augurallitteratur
Angaben über die Rangordnung der ver-
schiedenen Vogelzeichen. Serv. Aen. U 374:
si parra vel picus atispieium dederit et deinde
eontrarium a^Ha dederit, auspieium <iquilae
praevalet . . . notum est esse apud augures
auspieiorum gradus plures; Ed. 9, 13: mi-
nor a enim auguria maioribus cedunt nee
uUarum sunt virium, licet priora sint.
') Hier entschied die Rangstellung des
beobachtenden Magistrates, die Beobachtung
des höheren Magis&ates turbat ac retinet au-
spieia des niederen (ausführliche Darlegung
aus des Augurs Messala de auspieiis Itberpri-
mus bei Gell. XIII 15, 4), z. B. die des Con-
suls gegenüber der des Praetors (Val. Max.
n 8, 2).
') Sie gelten nur fttr den Tag der Ein-
holung, von Mittemacht bis Mitternacht ge-
rechnet (Censor. 23, 4. Gell. III 2, 10 = Macr.
S. I 3, 7), und nur für einen bestimmten
räumlichen Bezirk, so dass z. B. extra po-
merium eingeholte Auspicien ihre Kraft
verlieren, wenn der einholende Magistrat
vor Vollziehung der Handlung die Innen-
stadt betritt (Cic. de nat. deor. II 1 1 und dazu
MoMMSBN, Staatsr. I 100, 3). Ebenso hebt die
üeberschreitung eines Flusses die Wirkung
der Auspicia auf (Serv. Aen. IX 24) und
458
Religion und Knltii« der Römer, m. KnltiiB.
und in allen diesen Fällen ist es das Augumcollegium, welchem der Senat
die Sache zur Begutachtung unterbreitet >) und auf dessen decretum hin,
falls es einen Verstoss (vitium) konstatiert,') die Annullierung der betref-
fenden Staatshandlung erfolgt.^)
Besonders reichlicher Anlass zur Anzweifelung der Rechtsgiltigkeit
staatlicher Akte ergab sich, wenn im Verlaufe einer auspicato begonnenen
Handlung auguria oblativa eintraten, d. h. unerbetene Zeichen der Gottheit,
die darauf hinzuweisen schienen, dass diese ihre bereits erteilte Zustimmung
wieder zurückziehe. War es auch Sache des leitenden Magistrates, ob er
von dem Eintritt eines solchen Zeichens Notiz nehmen wollte oder nicht, ^)
so schloss dieses Recht doch nicht aus, dass absichtliche Nichtbeachtung
eines evident eingetretenen und zweifellos ungünstigen Zeichens die nach-
trägliche Anfechtung des betreffenden Aktes zur Folge hatte, über deren
Berechtigung dann wiederum die Augurn gutachtlich zu hören waren. Um
solche Weiterungen zu vermeiden, hat man zum mindesten im letzten
Jahrhundert der Republik für die wichtigste und am häufigsten angefoch-
tene Staatshandlung, die Abhaltung der Gomitien, das augurale Outachten
gewissermassen vorweggenommen, indem man dem leitenden Magistrat einen
oder mehrere^) Augurn zur Assistenz und Eontrole beigab, die ihn einer-
seits im Zweifelsfalle über Eintritt und Bedeutung eines Zeichens beraten
sollten,*) andererseits aber auch mit dem selbständigen Rechte der nuntiatio'^)
ausgestattet wurden, d. h. der Befugnis, nach eigner oder fremder Be-
obachtung den Eintritt ungünstiger Oblativauspicien unanfechtbar zu kon-
statieren und damit Abbruch und Vertagung der Verhandlimg herbeizu-
führen.^) Damit haben die Augurn ein der magistratischen obnuntiatio^)
macht die Einholung neuer auspicia peretn-
nia nötig (Fest. p. 245, vgl. 250. Cic. de div.
II 76; de nat. deor. II 9).
^) <id augiires relatum est Liv. XLV 12,
10; ad coUegium deferre Cic. Phil. II 83;
augures vocati Liv. XXIII 31, 13; consulti
augures Liv. Vni 23. 14.
') Die Formel lautet vitio tabernacidum
captutn esse (Cic. de nat. deor. II 11; de div.
I 33 = Val. Max. 11,3. Liv. IV 7, 3. Serv.
Aen. II 178) oder je nach dem Gegenstande
der Verhandlung vitio creatum videri (z. B.
Liv. VIII 15, 6. XXin 31, 13), vitio diem die-
tarn esse (Liv. XLV 12, 10) u. s. w.
') Der Hergang ist deutlich hei Cic. de
nat. deor. II 11: der Consul trägt brieflich
aus der Provinz dem Augumcollegium Be-
denken über ein vitium vor, das bei der
Ausnication der von ihm geleiteten Gonsul-
wahlen vorgefallen sei; augures rem ad se-
natum (mit ihrem decretum, das die Ansicht
des Briefschreibers vitio creatos consules esse
bestätigt), senatus ut abdicarent consules, ab-
dicaverunt; vgl. auch Cic. epist. X 12, 3.
Dass die Augurn hätten die Abdankung von
Beamten und die Aufhebung von Gesetzen
wegen vitium verfügen kOnnen, ist also eine
Uebertreibung der Darstellung von Cic. de
leg. n 31.
*) Serv. Aen. XII 260 : in oblativia au-
guriis in potestate videntis est, utrum id ad
se pertinere velit an refutet et abominetur,
Plin. n. h. XXVIII 17: in augurum certe dis-
ciplina constat neque diras neque uüa o«-
spieia pertinere ad eos, quicumque rem in-
gredientes öbservare se ea negaverint; vgl.
Cato bei Fest. p. 234.
^) Varro de re rust. III 7, 1. Cic. ad Att
IV 18, 2.
') ut consuli, si quid usus poposeisset,
esset praesto Varro de re rast, in 2, 2 ; vgl.
in 7, 1; de 1. 1. VI 95; der technische Aus-
druck f&r die Funktion dieser dienstthuenden
Augurn ist in auspicio esse consuli (Cio. ad
Att. II 12, 1. Messala bei Gell. Xni 15, 4).
') Cic. Phil. II 81. Fest. p. 383 (mit der
Erörterung von Valbton, Mnemos. XV11I
455 f.); obnuntiare gebraucht fSllschlich von
den Augurn Donat. zu Ter. Ad. IV 2, 8: pro-
prie obnuntiare dicuntur augures, qui aU-
quid mali ominis scaevumque viderint.
*) Der Augur l5st die Versammlung auf
{dimittit comitia) mit den Worten alio die
(Cic. de leg. n 31 ; Phil. II 83 f.).
•) MoMMSBN, Staatsr. I 106 ff. Valbtof.
Mnemos. XIX 75 ff. 229 ff.
68. Die AngUTM.
459
analoges Recht gewonnen, das fQr die politische Bedeutung des Priester-
tums von grosser Wichtigkeit war; auf der anderen Seite verkümmerte
ihre Wirksamkeit in Folge des Verfalles der Auspication, die auf einfachere
Verhältnisse berechnet; für die Anforderungen eines ausgedehnten Staats-
wesens als viel zu umständlich und langwierig sich herausstellte. Zuerst
gab man im militärischen Amtskreise die dort schwer durchführbare Be-
obachtung des Vogelfluges auf und ersetzte sie durch die signa ex tripudiis,
d. h. die Beobachtung des Fressens mitgenommener Hühner, welches als gün-
stiges Vorzeichen (tripudium sinistrum solistimum^)) galt, wenn den Hühnern
dabei ein Teil der aufgenommenen Nahrung wieder aus dem Schnabel
fiel.') Das war ursprünglich ein günstiges augurium oblcUivum gewesen,
das nicht nur von Hühnern, sondern auch von andern Vögeln und ebenso
von vierfüssigen Tieren ausgehen konnte,^) zum augurium impetrativum
machte man es erst später aus Bequemlichkeitsrücksichten, weil es leicht
war, ein günstiges Zeichen herbeizuführen, indem man die Hühner erst
hungern liess und ihnen dann das Futter in Breiform (puls Paul. p. 244)
reichte, so dass es ihnen nicht wohl möglich war zu fressen, ohne etwas
herabfallen zu lassen (Cic. de div. H 73). Im städtischen Amtskreise sind
diese pullaria auguria (Serv. Aen. VI 198) höchstens ausnahmsweise^) zur
Anwendung gekommen, aber der zu ihr gehörige Subaltembeamte, der
pullarius, gehört wenigstens im letzten Jahrhundert der Republik zum
regulären Gefolge der Magistrate^) und kommt auch bei der städtischen
Auspication zur Thätigkeit. In dieser ist an die Stelle der Vogelschau die
Blitzbeobachtung getreten,^) d. h. auch hier ist ein ursprüngliches augurium
oblativum zum Impetrativzeichen gemacht worden; denn dass der Blitz in
der magistratischen Auspication ursprünglich nur ein Oblativzeichen ge-
wesen ist — und zwar wahrscheinlich durchweg ein ungünstiges, wie er
es für die Comitien zu allen Zeiten geblieben ist^) — , ist bei einer ver-
^) Dieser volle Ausdruck findet Bich nur
in dem leider sehr verstQmmelten Schol.
Veron. zu Verg. Aen. X 241 (Herstellungs-
versuch bei Mommsen, Staatsr. I 81,5), wo
eine Beschreibung der vor der Schlacht vor-
genommenen Auspication ex tripudiis ge-
geben wird; tripudium solistimum bei Fest,
p. 298. Cic. de div I 28. II 72. Liv. X 40. 4;
tripudium sonivium (a sono) Serv. Aen. III
90. Fest. p. 290. 297. Cic. epist. VI 6, 7. Plin.
n. h. XV 86.
*) Dass dies, nicht das blosse Fressen,
welches oft allein erwähnt wird (z. B. Liv.
VI 41. 8. X 40, 4 ; per. XIX. Snet. Tib. 2. Cic.
nat. deor. II 7; de div. 1 77 u. a.) das Wesent-
liche ist, sagt ausdrücklich Cic. de div. II 72:
qiuie pascantur necne, nihil ad auspicia, sed
. . cum offa cecidit ex ore puUi, tum auspi-
eanti tripudium solistimum nuntiatur, und
setzt die Etymologie tripudium = terripu^
vium, puvire enim ferire est (Paul. p. 244,
vgl. Fest. p. 863. Cic. a. a. 0.) voraus.
>) Cic. de div. II 73: quo (das Tripudium)
antiquissimos augures non esse usos argU"
mento est, quod deeretum collegii vetus habe-
mus, omnem avem tripudium faeere posse.
Plin. n. h. VIII 83 sagt vom Wolfe: eundem
in fame vesci terra, inter auguria, ad dex-
teram eammeantium praeciso itinere si pleno
id ore fecerit, nullum omnium praestantius.
Vgl. Valetoh, Mnemos. XVIII 211 ff.
*) MoMMSBN, Staatsr. I 82, 2.
^) Cic. de leg. agr. 11 32: omnia sunt
haec (nämlich die Zuweisung von scriba,
lictor, praeco, pullarius) huius modi, Qui-
rites, ut ea qui habeat sine vestris suffragiis
aut rex non ferundus aut privatus furiosus
esse videatur. Inschriften der ptälarii, die
eine deeuria pullaria (CIL VI 1008. 1897)
bilden, CIL VI 2198-2200.
•) Cic. de div. II 71 : etenim tä sint au-
spicia, quae nulla sunt, haec certe, quibus
utimur, sive tripudio sive de caelo, simulaera
sunt auspieiorum, auspicia nullo modo.
') Cic. de div. II 74: fulmen sinistrum
auspicium optimum habemus ad omnis res
praeterquam ad eomitia. Cass. Dio XXXVIU
13, 4 ; vgl. den Satz love tonante fulgurant
460
Religion and Enltas der Römer, m. Knltn«.
hältnismässig so seltenen Himmelserscheinung selbstverständlich; wenn
man daraus ein für jede auspicato stattfindende Staatshandlung erforder-
liches augurium impetrativum machte, so war das nur möglich auf dem
Wege der Fiction, und in der That ist in der Zeit des ausgehenden Frei-
staates, mag es sich um Impetrativauspicien oder um die Unterbrechung
von Comitien durch Meldung des prohibitiven Oblativzeichens handeln,
de caelo servare vollkommen gleichbedeutend mit der Eonstatierung eines
Blitzes;') für die auguria impetrativa nahmen die Magistrate sogar nicht
einmal zum Scheine mehr eine Himmelsbeobachtung vor, sondern liessen
dies durch den puUarius thun, der dann das angeblich von ihm konstatierte
Blitzzeichen meldete.') So war die alte Sacralwissenschaft der Augural-
disziplin zu einer ihres Inhaltes beraubten leeren Form erstarrt, die nur
noch als Kampfmittel im Ringen der politischen Parteien ihren Wert hatte,')
und wenn man hinzunimmt, dass im städtischen wie im militärischen Amts-
kreise die von den Haruspices geübte Kunst der Eingeweideschau (s. unten
S. 473 f.) sich mehr und mehr an die Stelle der Auspication setzte,^) so ist
es begreiflich, dass in Ciceros Zeit die Augum selbst von ihrer Kunst nichts
Rechtes mehr wussten.^^) Wahrscheinlich hat auch hier Augustus manches
Alte wiederhergestellt, da sich sonst das Priestertum kaum in so hohem
Ansehen bis zum Ende des Heidentums erhalten haben würde ;<^) davon
freilich, wie sich die Wirksamkeit der Augurn in Rom und der ihnen nach-
gebildeten AugurncoUegien in den Municipien und Oolonien^) praktisch
gestaltete, können wir uns bei dem Fehlen aller Zeugnisse^) keine klare
Vorstellung machen.
Litteratar. Mabquabdt, Staatsverw. III 897 ff. (mit Angabe der älteren Litterator).
RüBiNO, untersuch. Aber r5m. Verfass. a. Geschichte S. 34 ff. Mommsbv, Staatsr. I 73 ff.
comitia popuU habere nefas (Cic. de div. II
42, vgl. in Vatin. 20; Phil. V 7). Die Schei-
dang von fulmina sinietra und dextra {bXxb
ivaiaiov bXxb iMoioy Gass. Dio a. a. 0.) ge-
hört von Haus ans nicht in die magistratische,
sondern in die augurale Himmelsbeobachtung.
^) Cic. de div. II 74; de domo 19. 40; in
Vatin. 15. 17; ad Att. IV 3, 3; Sest. 129. Gell,
in 15. 1 u. a.
*) Cic. de div. II 74: tarn de caelo ser-
vare non ipaos censea solitos qui auapiea-
hantur? nunc imperant puUario. Dion. Hai.
II 6, 2: roiy di ntt^yrtav nyh ogvi^oaxonaty
fAUS&ov ix xov dtjfÄoalov (pego/ieyoi, (also Ap-
paritoren, nicht Priester) darguTit^y avrorg
(den Magistraten) fii^vveiy ix ttHy agiaregtöy
g)aaiy ri^y od yeyofiiytjy; vgl. auch Cic.
epist. X 12, 3.
») Dion. Hai. II 6, 2: ninavTtti^ öi iy
ToTs xa9* fjfJtäg /^Voi^, nX'^y oloy eixaiy tig
avxov Xeincrai tijg oalag avxijg iy$xa yiyo-
fiiyfj' Cic. de div. 11 70 : retinetur autetn et
ad opinionem vulgi et ad magnas tUilitatea
reipublicae mo8, religio, disciplina, ius attgu-
rium, collegii auctoritas.
*) Cic de div. I 28 : nam ut nunc extis ~
qiiamquam id ipsum aliquanto minus quam
olim - , sie tum avibua magnae res impetriri
solebant; vgl. I 95 und die von Valbtok,
Mnemos. XVII 447, 7 angeführten Stellen.
^) Auspicia, quae quidem nunc a Ro-
manis auguribus ignorantur, Cic. de div. I
25; vgl. de leg. II 28: Sed dubium non est,
quin haec disciplina et ars augurum evanu-
erit iam et vetustate et neglegeniia; de nat
deor. U 9 : sed neglegentia nobilitatis aug^rii
disciplina amissa, veritas auspiciorum spreta
est, species tantum retenta.
^) Die letzten bekannten Träger der
Würde sind Vettius Agorius Praetextatus
(t 384, CIL VI 1778 f.) und L. Ragonios
Vetustus (CIL VI 503 vom J. 503); Sammlung
der inschriftlichen Zeugnisse für die Augum
der Eaiserzeit bei Spinazzola, Gli augures
S. 75 ff.
^) Sammlung der Zeugnisse bei Spi-
nazzola a. a. 0. S. 139 ff.
') unter Hadrian erneuern die Augum
die Pomeriumscippen (CIL VI 1233, s. oben
S. 456 A. 5) und der Kaiser stellt im J. 186 ein
auguratofrium] dilaps(um) a solo wieder her
(CIL VI 976, vgl. oben S. 452 A. 2); auf ein de
caelo servare in den Municipien weist der
Stein von Apisa major CIL VIII 774 mit der
Darstellung eines Blitzes und der Beischrift
Deo loci ubi auspicium dignitatis tale.
69. Die Qniiicleoiiiiviri Baoris faciandis und die Haraspioes.
461
A. BoucbI^-Lbclbboq, Histoire de la divination IV 180 ff. und bei Dabembbbg-Saglio, Diction.
d. antiq. I 550 ff. 580 ff. V. Spikazzola, Gli Aogures, Roma 1895 und bei Ruogiero, Di-
zionario epigrafico I 778 ff. Wisbowa, Real-Enoyd. II 2313 ff. 2580 ff. I. M. J. Valbton,
De modis aaspicandi Romanorum, Mnemosyne XVII 1889, 275 ff. 418 ff. XVIII 1890, 208 ff.
406 ff.; De iure obnuntiandi comitiis et conciliis, ebd. XIX 1891, 75 ff. 229 ff.; De inaugn-
rationibus Romanis caerimoniarum et sacerdotum, ebd. XIX 1891, 405 ff.; De templis Ro-
manis, ebd. XX 1892, 338 ff. XXI 1893, 62 ff. 397 ff. XXin 1895, 15 ff. 361 ff. XXVI
1898, 1 ff.
69. Die Quindeciniyiri sacris faciundis und die Harnspices. Das
mit der Aufbewahning und Ausdeutung der sibyllinischen Bücher ^) und der
Vornahme der von diesen angeordneten Kulthandlungen des graecus ritus*)
betraute Priestertum unterscheidet sich von den andern beiden grossen
CoUegien, Pontificat und Augurat, schon rein äusserlich sowohl durch die
Stellenzahl wie durch die Benennung: gegenüber der bei den Pontifices,
Augurn und vestalischen Jungfrauen zu Grunde liegenden Dreizahl finden
wir hier ein Fortschreiten vom Duovirat zum Decemvirat, und erst die sul-
lanische Reorganisation der summa sacerdotia bringt alle drei Collegien auf
die gleiche Zahl von je fünfzehn Mitgliedern;^) in der Benennung aber
ist charakteristisch das Fehlen eines Individualnamens und dessen Er-
setzung durch die Angabe der Stellenzahl des Collegiums und seiner
Funktion, wie wir sie in der Magistratur im Gegensatze zu den ordent-
lichen Beamten bei den ausserordentlichen Trägern von Spezialaufträgen
(z. B. tresviri agris dandis assignandis u. a.) finden. Alles das weist nicht
nur darauf hin, dass die Einsetzung dieses Priestertums einer jüngeren Zeit
angehört als die übrige Sacerdotalverfassung, und dass der Überlieferung,
welche Pontifices und Augures von Numa, die Duoviri s. f. von den Tar-
quiniem eingesetzt sein lässt,^) eine richtige Vorstellung zu Grunde liegt,
sondern macht es auch wahrscheinlich, dass — entgegen der Überlieferung
— diese sacrale Würde ursprünglich keine ständige war, sondern die Be-
fragung der Sprüche und die Vornahme der von ihnen angeordneten
heiligen Handlungen einer für jeden einzelnen Fall besonders bestellten
ausserordentlichen Kommission von zwei Mitgliedern aufgegeben wurde.
Jedenfalls bestand aber seit dem J. 887 = 367 diese Priesterschaft als
ein ständiges Collegium von 10 Mitgliedern, die zu gleichen Teilen dem
Patriciatund der Plebs entnommen waren, ^) und die zunehmende Bedeutung
') Interpretes {Sibyllae) ist die geläu-
figste BezeichnuDg, z. B. Gic. de nat. deor.
III 5; de divin. I 4; de leg. U 20. Liv. X 8,2.
Gell. IV 1, 1 (= Amm. Marc. XXX 4, II),
librorum Sihyllinorum antistites Serv. Aen.
in 332; ol rd l^ßvXXeia inufxenrofieyoi d^xa
äydQes Appian. Hann. 56 (vgl. Dion. Hai. IV
62, 5. XIV 20), auch UgofÄvijfÄoyes (Phleg.
mirab. 10), meist ol ncyrexaidexa oder ol
dsxaniyje avdQsg {xviydsxBfÄOviQov Genet. in-
schriftlich Arch. epigr. Mitth. aus Oesterr.
XVI 147).
') Varro de 1. 1. VU 88 : et nas dieimus
XVviros graeco ritu non Romano facere;
vgl. Liv. XXV 12, 13; "Axaiaxi im Andro-
gynenorakel bei Phleg. a. a. 0. v. 16; Achivo
ritu Act. lud. saec. Ephem. epigr. VKI p. 230
Z. 91, graeco Achivo ritu ebd. p. 287 frg. IV 6.
*) Entstellt bei Serv. Aen. VI 73: seien-
dum sane primo duos librorum fuisse eusto-
deSf inde decem, inde ^indecim ueque ad
tempora Sulla na f postea crevit numerus;
nam et sexaginta fuerunt (dieselbe Zahl bei
Lyd. de mens. IV 34, beidemal in Verwechs-
lung mit den Haruspices), sed remansit in
his quindeeimvirorum vocahidum,
*) Dion. Hai. IV 62, 4 f. Zonar. VII 11.
*) Liv. VI 37, 12: novam rogationem pro-
mulgant, ut pro duumviris sacris faciundis
decemviri creentur ita, ut pars ex plebe, pars
ex patribus fiat, 42, 2 : de decemviris sacro-
rum ex parte de plebe creandis legem per-
tulere, creati quinque patrum, quinque plebis
(vgl. X 8, 2 f.). Listen der Decemviri bezw.
Quindecimviri republikanischer Zeit bei
MoMMSBN, Bdm. Forsch. I 84 f. und G. Bardt,
462
Religion und Knltii« der Bftmer. IIL Kvltwi.
der Sibyllenorakel und des grciecus rüua hat sie mehr und mehr dem Pbn-
tificat und Augurat nahegerückt; die vollzogene Gleichstellung gibt sich
darin kund, dass die Lex Domitia vom J. 651 = 103 (s. oben S. 418) für
die Decemviri s. f. ebenso wie für jene alten Priestertümer die Ergänzung
durch Cooptation aufhebt und die Wahl* der 17 Tribus an ihre Stelle setzt. 0
Als eines der quattuor amplissima collegia spielen die Quindecimvirn während
der ganzen Eaiserzeit bis zum Ausgange des 4. Jahrhunderts eine hervor-
ragende Bolle: ihre Zahl, schon von Caesar auf 16 erhöht,') hat durch
kaiserliche Ernennungen supra numerum (Gass. Dio LI 20, 3) in der Regel
mehr als 20 betragen,^) den Vorsitz führten jährlich wechselnde Magistri,
in der Zeit des Augustus 5 an der Zahl (darunter der Kaiser selbst^))
später einer, ^) neben den, falls der Kaiser selbst diese Würde übernahm,
ein promagister trat.^) Einzelheiten über die innere Organisation des Col-
legiums sind nicht bekannt; von den beiden griechischen Dolmetschern,
die bei der Einsetzung der Priesterschaft den Duovim zur Unterstützung
bei der Lesung und Deutung der Orakel beigegeben worden sein sollen,^)
ist später nie wieder die Rede, denn dass die den Quindecimvirn wie allen
anderen PriestercoUegien zugewiesenen Staatssklaven (publici) eine solche
Thätigkeit geübt haben sollten,^) ist bei der strengen Geheimhaltung des
Inhaltes der Orakel nicht glaubhaft.®)
Die gesamte Thätigkeit der Quindecimvirn gründet sich auf die ihrer
Obhut anvertrauten libri Sibyllini,^^) eine aus Gumae^^) am Ausgange der
Die Priester der vier grossen Gollegien S.
28 ff. Dass an ihrer Spitze zwei ma^gistri,
je einer aus jedem Stande, gestanden hätten,
wfirde sich aus der nachträglich beigefügten
Notiz der capitolinischen Consularfasten er-
geben Itidi saecülares tert(ii) M.' Äemilio M?
f. M, lAvio M, f. M, w. Salinatare m<ig{istris)
Xvir(um) (CIL I ' p. 29), wenn nicht diese
angeblich dritte Saecularfeier 518 = 236 nur
fingiert (s. oben S. 365) und damit auch die
Zuverlässigkeit der Personenangabe zweifel-
haft wäre.
*) Beweis die Wahl des P. Cornelius
Dolabella zum Quindecimvir im J. 703 "= 51,
Cael. bei Cic. epist. VIII 4, 1 (zugleich der
älteste Beleg für die 15-Zahl).
«) Cass. Dio XLII 51, 4. XLIII 51, 9.
') Die aus den Saecularakten der augu-
steischen und der seyerischen Feier sich er-
gebenden Listen stellt Momhsbn, Ephem.
epigr. VIII p. 240 f. 292 ff. zusammen.
^) Genannt im Nachtrage der capi-
tolinischen Consularfasten CIL r- p. 29;
magistri in der Mehrzahl auch unter Ti-
berius, Tac. ann. VI 12, einer bei Plin. n. h.
xxvm 12..
^) So in der Zeit des Septimius Severus,
MoMMSBN a. a. 0. p. 243 n. 1 und 292.
•) CIL X 6422 (213 n. Chr.). 3698 (289
n. Chr.).
^) Zonar. YII 11: laq di ov naw rtov ye-
yQafifÄ^yioy avyieaay, eis tfjy ^ElAacfa <rrfii-
XayxBq dvo ayögag ixei&sy f4ia&otf ^yayoy
(also keine Sklaven) xwg ayayywrofiäyov^
javra xal iQfirjyevaoytag.
«) So fasst offenbar Dion. Hai. IV 62, 4 f.
die Sache auf, der von dtjfjioaioi 9$qanoyt$g
spricht; damit steht aber im Widerspräche,
dass nach ihm diese dt^fiocKn den DuGvirn
in der Weise beigegeben sind, dass diese
ohne jene die Bflcher nicht anÜBohlagea
dürfen, eine ganz undenkbare Eontrole von
Staatspriestem durch Sklaven!
*) Mussten doch auf Anordnung des
Augustus die Quindecimvirn die unleserlich
gewordenen Sibyllensprflche eigenhändig ab-
schreiben, um kein fremdes Auge darüber
kommen zu lassen, Cass. Dio UV 17, 2; der
publicus a catnmetUaris XVvirfum) a. f. CIL
VI 2312 hat also gewiss von den Orakeln
selbst nichts zu sehen bekommen.
'<') Die Ausdrflcke libri StbyUini, libri
faialea und libri schlechthin sind fär Rom
durchweg identisch (Lutrbbaobbb, Prodigien-
glaube S. 21 A. 82); lihH fataies andrer Art
gab es natfirlich auch anderswo, z. B. in
Veji (Liv. V 15, 11. Cic. de div. 1 100). Die
spät auftauchende Meinung (Symm. ep. lY
34. Claudian. bell. Poll. 232), dass die Bttolier
auf Leinwand geschrieben gewesen seien, be-
ruht nur auf Verwechslung mit den bekann-
ten libri litUei; die Angabe Varros in foUis
palmarum Sibyllam seribere aciere (Serv.
Aen. [II 844, vgl. VI 74) bezieht sich nicht
auf die römische Sammlung.
' ') Diese einstimmige Ueberliefemng des
d9. Die QnindeoiniTiri Baoris faoiandiB nnd die HamspioeB.
463
Eönigdzeit^) nach Rom gekommene und dort offiziell recipierte griechische
Orakelsammlung, deren ursprünglicher Bestand zu Zeiten auch durch
staatliche Anerkennung und Aufnahme anderweit auftauchender Sprüche
verwandter Art ergänzt und vervollständigt wurde.') Da die Bücher in
den Eellerräumlichkeiten des capitolinischen Heiligtums aufbewahrt wurden,
gingen sie bei dem Brande des Capitols im J. 671 = 88 zu Grunde,^)
wurden aber durch eine neue Sammlung ersetzt, indem von Staatswegen
eine Kommission nach allen Orten, die durch die Wirksamkeit von
Sibyllen berühmt waren, ^) gesandt wurde und etwa 1000 Verse solcher
Orakel in Abschrift zurückbrachte, die nun, im J. 678 = 76 im neuerbauten
Gapitol deponiert, völlig an die Stelle der früheren Sammlung traten.^)
Die Thatsache, dass sich mancherlei mit bestimmter politischer Absicht
zurechtgemachte Fälschungen eingeschlichen hatten,^) veranlasste sowohl
Altertoms (daher aach die Bezeichnung der
Sprflche bei den Dichtem als Eubaicum oder
Chaleidieum earmen z. B. Ovid. fast. IV 257.
VI 210. Stat silv. V 8, 182) findet in der
Eigenart der Orakel selbst und der von ihnen
eingeführten Gottesdienste volle Bestfttigung
(DiBLS, Sibyll. Blätter S. 80 f. Rbitzknstbih,
Inedita poet. graec. fragm. II 9 ff.) ; die Zeug-
nisse bei SoHWBGLBR, Rom. Gesch. I 802. Mit
den erst verhältnismftssig späten (Disls a. a.
Ö. S. 46 A. 3) Beziehungen Roms zu Delphi
haben die Decemvim nichts zu thun.
') Die bekannte Erzählung von den dem
Könige Tarquinius Superbus (Tarquinius
Priscus Lact Lyd.) zum Kaufe angebotenen
9 Bflchem, die die Verkäuferin auf Grund
seiner Weigerung, die verlangte Summe zu
zahlen, durch zweimaliges Verbrennen bis
auf drei reduziert (ursprünglich drei Bücher,
schliesslich nur eines nennen Plin. Lyd., und
als Variante Dio, Zonar.), bis er diese fOr den
vollen Preis ersteht, geben nach Varro antiq.
rer. div. B. IV Dionys. Hai. IV 62. Lact. inst.
I 6, 10 f. Serv. Aen. VI 72, ausserdem Gell.
I 19. Cass. Dio frg. 10, 8 Melb. = Zonar. VII
11. Plin. n. h. XIII 88. Lyd. de mens. IV 34
u. a.
^) Verhandlungen vom J. 32 n. Chr. über
die von einem der Quindecimvim beantragte
Aufnahme eines liber Sibtdlae in die Samm-
lung bei Tac. ann. VI 12. Dass die lateini-
schen earmina Mareiana mit der griechi-
schen Sibyllinensammlung vereint gewesen
wären, sagt nur Serv. Aen. VI 72: hi libri
in templo Apollinis servabantur, nee ipsi
tantum sed et Marciarum et Begoea nymphae,
quae artetn scripserat fulgurüarum apud
Tu3C08f dessen Zeugnis aber wertlos ist, da
einerseits der ars der Begoe doch sicher zur
dUciplina Etru8ca gehörte und daher gewiss
nicht unter der Verwahrung der Quindecim-
vim stand, andererseits aber die earmina
Mareiana doch im J. 83 mit dem Capitol
verbrannt sein mflssten und daher nicht in
den Tempel des Apollo Palatinus gelangen
konnten. Livius sagt davon nichts, sondern
bei ihm XXV 12, 11 wird die Anordnung der
earmina Mareiana nach Einsichtnahme in
die libri Sibgüini von den Decemvim bestä-
tigt (ebenso Macr. 1 17, 25: ex paticinio Marcii
vatia carmineque Sibyllae, vgl. auch die wei-
tere Erzählung ebd. § 27 ff.). Alle Zeugen,
die sonst den Cn. Marciua vates (Fest. p. 165)
oder die Mareii frcUrea (Cic. de div. I 89.
II 113. Serv. Aen. VI 70) erwähnen (Cic. de
div. I 115. Fest. p. 326. Plin. n. h. Vü 119.
Amob. I 62. Porph. zu Hör. epist. II 1, 26.
Symm. eoist. IV 34. Isid. orig. VI 8, 12)
kennen ihn nur aus der Erzählung dieses
Vorgangs, und er ist ebenso schattenhaft wie
der nur von Cic. de div. I 115. n 113 er-
wähnte Publiciua vates. Die angebliche An-
gabe des Lact inst. I 6, 12, dass auch die
Sprüche der Albunea von Tibur mit den si-
byllinischen Orakeln vereint gewesen wären,
kommt in Fortfall, da die entscheidenden
Worte euiu$ aortes aencUus in Capitolium
abstulerit in der ältesten und besten Ueber-
lieferung fehlen.
•) Dionys. Hai. IV 62, 6. Cass. Dio frg.
102, 2 Melb.; ineenao Apollinis templo sagt
irrtümlich Serv. Aen. VI 36. 321.
*) Genannt werden insbesondere Samos,
nion, Africa, Sicilien und Italicae coloniae
(Tac. ann. VI 12), namenlich aber Ervthrae
(die Stellen in der folgenden Anmerkung),
dessen hochberühmte Sibylle von Timaeus
und Varro für identisch mit der cumanischen
erklärt wurde (Gbffokbn, Timaeus Geogra-
phie des Westens S. 145 f., vgl. Serv. Aen.
VI 36); über die verschiedenen Sibyllen und
ihre Verzeichnisse s. E Maass, De Sibyllarum
indicibus, Diss. Greifswald 1879.
*) Varro und Fenestella bei Lact. inst.
I 6, 1 1. 14; de ira dei 22, 6. Dion. HaLIV 62,
6. Tac. ann. VI 12.
") Gegenüber dem in den Verhandlungen
über die Rückführung des Königs Ptolemaios
Auletes von Aegypten im J. 697 = 57 po-
litisch verwerteten Sibyllensprache (Cass.
464
Religion und Kultna der Römer, in. KnltoB.
Augustus,^) der die Überführung der Bücher in den Tempel des Palatinischen
Apollo vornahm (oben S. 68), als auch Tiberius^ eine umfassende Sichtung
und Säuberung der vorhandenen Bestände anzuordnen und alles nicht ge-
nügend Verbürgte verbrennen zu lassen.*) Die Benützung und Befragung
der Bücher hat durch die ganze Kaiserzeit bis auf Maxentius und Julian
fortgedauert,^) bis im ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts Stilicho sie
als einen gefährlichen Rückhalt des Heidentums den Flammen übergab.^)
Wie der Senat gegenüber den in Zeiten innerer oder äusserer Krisen
oft massenhaft in den Händen von Privatleuten zirkulierenden und die
Stimmung des Volkes beunruhigenden .wilden'' Orakeln und Sibyllen-
sprüchen eine strenge Polizeiaufsicht übte,^) so hat er auch die Benützung
der staatlichen Sammlung durch weitgehende Kautelen beschränkt. Nicht
nur war sie selbstverständlich jedem unbefugten imzugänglich,^) auch die
Quindecimvim selbst durften nur auf Grund eines Senatsbeschlusses die
Befragung vornehmen.^) Ein solcher Beschluss erfolgte, wenn besonders
schwere Prodigien eine verhängnisvolle Trübung des Verhältnisses zu der
Gottheit erkennen Hessen und man für die Wiedererlangung der pax
deum mit den durch den patrius ritus gebotenen sacralen Massnahmen
Dio XXXIX 15, vgl. Appian. Syr. 51 ; b. c. 11
24. Gic. pro Rab. Post. 4) tritt der Verdacht
der Fälschung ziemlich anverhohlen hervor
(Gic. epist. I 4, 2. 7, 4); sicher steht die Fftl-
schang bei dem Orakel, auf das sich Gati-
linas Mitverschworener Lentalus berief (Sali.
Cat. 47. Gic. Gatü. III 9. 11. Plut. Gic. 17),
und bei dem, durch welches Gaesars Freunde
den Antrag auf Verleihung der Königswttrde
begründen wollten (Gic. de div. II 110. Gass.
Dio XLIV 15, 2; vgl. Plut. Gaes. 60. Appian.
b. c. II 110), doch scheinen die beiden letzt-
genannten Sprtlche gar nicht auf dem ver-
fassungsmässigen Wege den Büchern ent-
nommen worden zu sein.
») Suet. Aug. 31 ; vgl. Tac. ann. VI 12.
») Gass. Dio XLVH 18, 4.
*) Tiberius verhält sich auch ablehnend
gegen Anträge auf Befragung der Orakel,
Tac. ann. I 76; Nero aber veranstaltet nach
dem Brande Roms eine grosse Sühnfeier
auf Grund der sibyllinischen Bücher, Tac.
ann. XV 44 (vgl. S. 469).
*) Lact, de mort. persec. 44, 8. Ammian.
Marc. XXni 1, 7 (vgl. auch XXIII 3, 3). Die
Scriptores historiae augustae erwähnen Si-
byllmenorakel ziemlich häufig (Hadr. 2, 8;
Gordiani tres 26, 2 ; Gallieni dno 5, 5 ; Aure-
lian. 18, 5; Florian. 3, 6, vgl. auch Aurel.
Vict. Gaes. 34, 3), aber die bei Vopisc. Aurel.
c. 19. 20 eingelegten Dokumente der Verhand-
lungen über die Befragung der Bücher sind
Fäbchungen, wie schon daraus hervorgeht,
dass nach ihnen (c. 19, 6) die Pontifices es
sind, die die Bücher aufschlagen sollen.
*) S. oben S. 88 mit Anm. 2; zur Zeit
der Abfassung von Prudentius apoth. 439 f.:
non spumat anhelis fata SibylHnis fanaticus
edita libris ist die Sibylle bereits verskunmt.
•) Liv. XXV 1, 12: {praetor urbanus)
. . . edixit, ut ^ieumque libros vatieinos pre-
catianesve aut artem saerifieandi conMcrip^
tarn haberet, eo8 lihros amnia litUrasque ad
se ante Kai. Aprües deferret, vgl. XXXIX
16, 8. Tac. ann. VI 12: quia mülta vana sub
nomine celebri volgabantur, sanxisse Äuffw
etum, quem intra diem ad praetorem urba-
num deferrentur neve habere privatim lieeret
(vgl. Suet. Aug. 31). Solche illegitime Si-
byllensprüche (cJf xal Tjfff lißvXXrjs Syra) er-
wähnt z. B. Gass. Dio XLI 14, 4. LVn 18, 4.
LXII 18, 3 f.
7) Gic. de leg. n 30: od interpretanda
alii prctedicta vatium, neque multorum, ne
esset infinitum, neque ut ea ipsa, quae sus-
cepta publice essent, quisquam extra eoUe-
gium nosset, Lact. inst. 1 6, 18: Cymaeae
\SibyUae\ cuius libri a Romanis ocetätantur
nee eos ab uUo nisi a XVviris inspici fas
est. Hierher gehört die Erzählung von einem
der ersten Duovim, M. Atilius, der sich be-
stechen Hess, Fremden aus dem Inhalte der
Orakel Mitteilungen zu machen, und dafür
den Tod des parricida erlitt (Dion. Hai. FV
62, 4. Val. Max. I 1, 13. Zonar. VII 11).
*) Gic. de div. II 112: quam ob rem Si-
byllam quidem sepositam et eonditam habea-
mus, ut, id quod proditum est a maioribus,
iniussu senatus ne legantur quidem^ libri,
Dion. Hai. IV 62, 5 : /^wi^at o*avToTs otay
^ ßovXtj yprjfflaTjxai, üeber das Verhältnis
von Senat und Quindecimvim bei den die
Saecularfeier betreffenden Anordnungen s.
MoMMBEN, Ephem. epigr. VHI p. 242 f. 292.
295.
69. Die QnindeoiiiiYiri saoriB faoiimdiB and die HamapioeB.
465
nicht auskommen zu können glaubte.^) Die Quindecimvim suchten hierauf
aus dem Orakelvorrat den auf das gegebene Prodigium und die sonstige
Sachlage passenden Spruch aus, legten ihn mit der nötigen Erläuterung in
Form eines schriftlichen Gutachtens dem Senate vor*), und dieser traf dann
nach Prüfung des Sachverhaltes die nötigen Anordnungen,') zu denen unter
umständen auch die Veröffentlichung des Orakelspruchs selbst gehören
konnte.^) Was die Sibyllensprüche gaben, waren nicht Deutungen der
schreckhaften Vorgänge und Voraussagungen der Zukunft, sondern Auf-
klärungen über das, was geschehen müsse,^) um den drohenden Unsegen
abzuwenden und die Huld der Oötter wiederzugewinnen; da aber die
Sprüche gern, um ihre Glaubwürdigkeit zu dokumentieren, auf früher ein-
getretene Dinge Bezug nahmen und am Ende auf später bevorstehende
Verwicklungen und Lösungen hinwiesen,^) so war bei der Interpretation
') Liy. XXII 9, 8: pervieit, ut, guod non
ferme deeernitur, nisi cum taetra prodigia
nufUiata sunt, decemviri libros Sibyllinoa
adire iuberentur. Gerade diese Ausnahme
zeigt, dass der Regel nach das die Be-
fragung veranlassende Prodigium bezeichnet
sein musste. Als daher im J. 700 = 54 die
Gegner des A. Gabinius eine Befragung der
Bücher wünschen in der Hofbung, in ihnen
eine Strafandrohung wegen des Verstosses
gegen einen früheren Sibyllenspruch (oben
S. 468 A. 6) zu finden, beschliesst der Senat
demgemäss, benützt aber eine üeberschwem-
mung des Tiber zur Motivierung der Be-
fragung (Gass. Dio XXXIX 59—61).
') Liv. XLn 2, 3: Bocrifieatumque est \U
decemviri scriptum ediderunt,
') Dieser zweite Senatsbeschluss, der
erst die eigentliche Anordnung der von den
Quindecimvim vorgeschlagenen Massregeln
enthält, wird in der Berichterstattung des
Livius manchmal mit dem Gutachten der
Priester vermengt und in eins zusammen-
gezogen, am deutlichsten XXX VI 37, 4:
eorum prodigiarum causa libros StbyUinos
ex senatus consulto decemviri cum adissentf
renuntiaverunt, ieiunium instituendum Cereri
et id quinto quoque anno servandum; et ut
novemdiale sacrum fieret et unum diem
supplicatio esset, coronati supplicarent , et
consul P. Cornelius qutbus dis quibusque
hostiis edidissent decemviri sacrificaret (hier
gehört von et ut novemdiale an alles dem
Senatsbeschlusse). Dabei muss vor dem Irr-
tum gewarnt werden, als erfolgten alle in
dem letzten Senatsbeschlusse angeordneten
Sühnriten auf Vorschlag der Decemvim;
vielmehr hört der Senat oft auch die Ponti-
fices und Haruspices gutachtlich an und ver-
eint dann in seinem Beschlüsse alle von den
verschiedenen Priestern empfohlenen oder
sonst durch das Herkommen nahegelegten
(so hier das novemdiale sacrum, s. S. 328 A. 5)
piacula irae deorum.
*) Gran. Licin. p. 23 Bonn.: placuit et,
BMidbuob der kUa. Altertnmsiriwenflcliaft. V, 4.
quod numquam alias, pro coÜegio quid in
libris fatalibus scriptum esset palam recitare
(667 = 87). Cass. Dio XXXIX 15, 8 ov yctg
i^y ox6ky xiav XißvXXsiioy, ei fAtj ij ßovktj
^pfjfpiaaito, iq to nX^&os i^ayyiXUa&ai (gtio-
niam exitiosum est versus Sibyllae publice
dicere Comm. Bern. Lucan. I 564); in der
Erzählung des Cass. Dio a. a. 0. nötigt Gato
die Quindecimvim, nachdem sie auf Senats-
beschluss die Bücher eingesehen haben, den
Inhalt des gefundenen Orakels dem Volke
in einer Contio mitzuteilen, noch ehe sie
ihren Bericht im Senate erstattet haben, weil
er befürchtet, der Senat werde nicht Publi-
kation, sondern Geheimhaltung des Spruches
beschlieasen.
') Varro de re rust. I 1, 3: ad cuius
(Sibyllae) libros tot annis post publice sole-
mus redire, cum desideramus, quid faeien-
dum Sit nMs ex aliquo portento; vgl. Gell.
I 19, 11. Dion. Hai. IV 62, 5. Ganz richtig
redet daher Plin. n. h. XI 105 von Sibyllina
remedia und stellt Cicero de div. I 34 sie mit
den xa&oQfjtol des Epimenides zusammen
(vgl. DiKLs, Sitz.Ber. Akad. Berlin 1891, 400f.).
*) Die ganze Eigenart dieser Orakel
lässt sich vortrefflich erkennen an den bei
Phlegon mirab. 10 erhaltenen beiden Andro-
gynenorakeln (datiert auf 629 = 125), die
von H. DiBLS, Sibyllinisohe Blätter, Berlin
' 1890 als echte Bestandteile der auf dem
Capitol verwahrten Orakelsammlung nach-
gewiesen und ausgezeichnet erläutert worden
sind; nur seine Meinung, dass die Orakel
gegen Ende des hannibalischen Krieges ent-
standen seien und wahrscheinlich den Q.
Fabius Pictor zum Verfasser hätten, hat mit
Recht entschiedenen Widerspruch gefunden
(Rbitzbnstbik, Ined. poet. graec. fiagm. II 9 f.
MoMMSEN, Ephem. epigr. VIII p. 284). Das
ebenfalls im Wortlaut erhaltene Orakel, auf
Grund dessen die Saecularspiele des Augustus
im J. 737 =17 gefeiert wurden (Phlegon
macr.4 = Zosim. II 6. Diels a. a. 0. S. 133 ff.),
ist erst kurz vor diesem Jahre entstanden,
30
466
Religion and Knltos der BOmer. IIL Knltos.
dieser in den echten alten Sibyllensprüchen ja gamicht auf römische Yer^
hältnisse gemünzten Andeutungen dem Scharfsinn und der Willkür der
Quindecimvirn reiche Gelegenheit zur Bethätigung gegeben, zumal die
Sprüche mit aller Orakelpoesie die Dunkelheit und Zweideutigkeit des
Ausdruckes teilten^) und diese noch dadurch gesteigert wurde, dass sie
zur Sicherung gegen willkürliche Änderungen und Verkürzungen oder Er-
weiterungen in die Zwangsjacke der Akrostichis gepresst waren') in der
Weise, dass der erste Vers des Spruches (bezw. deren mehrere) die An-
fangsbuchstaben aller Verse bestimmte.') So kam es, dass man, andi
wo nicht böswillige Unterschiebung gefälschter, d. h. für den speziellen
Zweck angefertigter Sprüche vorlag, aus den griechischen Orakeln ausser
den sacralen Anweisungen allerlei Warnungen, Aufforderungen und Voraas-
sagungen herauslesen konnte und herauslas, deren nachher die Parteien als
Waffen im politischen Kampfe sich bemächtigten.^) Jedenfalls aber ge-
hören diese Hinweisungen nicht zum eigentlichen Wesen der sibyllinischen
Sprüche, die vielmehr nur die Aufgabe haben, die im bestimmten Falle
geeigneten Versöhnungsmittel für den aus den Prodigien ersichtlichen
Groll der Oötter namhaft zu machen: da man sich aber die Procuration
der Prodigien um so eifriger angelegen sein lässt, je dringender die augen-
blickliche Lage des Staates thatkräftigen Beistand der göttlichen Macht
erfordert, so erhofft man naturgemäss von einer prompten Ausführung der
durch die Orakel angeordneten sacralen Akte zugleich auch die ersehnten
äusseren Erfolge oder Lösung der augenblicklichen Schwierigkeiten, und
die Orakel sowie ihre Ausleger verfehlen auch nicht, diese Wirkung in
Aussicht zu stellen.^)
fingiert aber für die nächstvorangehenden,
angeblich im J. 628 = 126 gefeierten Saecu-
larspiele bestimmt zu sein (Momxsbn a. a. 0.
S. 2S5 f.). Es unterscheidet sich von den
Androgynenorakeln durch das Fehlen der
Akrostichis (mit Ausnahme der offenbar aus
einem echten Orakel herttbergenommenen
Verse 25 — 80, Diels a. a. 0. S. 15) ebenso
wie die im Tone ganz verschiedenen angeb-
lichen Sibyllenverse bei Pausan. VII 8, 9 =
Appian. Maced. 2 und Gass. Dio LYII 18, 5.
') Cic. de div. JI 110: callide enim, qui
illa composuit, perfecit, tU, quodcumque
accidisset, praedictum videretur hominum et
temporum definitione sublata, adhibuit etiam
latebram obscuritaiis, ut iidem versus alias
in aliam rem passe accotnmodari viderentur.
*) Dass das für alle Orakel der Samm-
lung gelten sollte, haben die Worte des
Varro bei Dion. Hai. IV 62, 6it^ ols evQia-
xovtai tiys^ ifinenoifjfji^yai toTg SißvXXsioiSf
iXiyxoytai di raig xaXov/Ä^yats ttXQocTixidi
zur Voraussetzung.
') Cic. de div. Ulli: atque in Sibyllinis
ex primo versu cuiusque sententiae primis
litteris illius sententiae carmen praetexitur,
erläutert an dem Androgynenorakel durch
PiBLs a. a. 0. S. 25 ff.
*) Daa älteste ßeispiel ist die Wamuiig
vor der Ueberschreitung des Taums (Liv.
XXXVIII 45, 3, im J. 567 = 187), dann der
von Frontin. de aqu. 7 erzählte Fall aus dem
J. 611 = 143 (decemviri, dum aliis ex causis
lihros Sibyllinos inspieiunt, invenisae dicun-
turf non esse aquam Marciam aed Anionem
in Capitolium perdueendum), die Grfindnng
der Colonie Eporedia Sibyllinis iusais (PÜn.
n. h. III 123, im J. 654 = 100, Vellei. I 15,
5), dann zahlreiche Fälle in der Revolutions-
zeit (Verbannung des Ginna mit 6 Tribunen
667 = 87, Gran. Licin. p, 23; RttckfOhrnng
des Ptolemaios Auletes s. oben S. 463 A. 6;
Hinweis, dass die Parther nur durch einen
König besiegt werden könnten, ebd.), wo der
Verdacht absichtlicher Nachhilfe nahe liegt
«) z. B. Liv. XXIX 10, 4: eivitatem eo
tempore recens religio invaserat invento ear-
mine in libris Sibyllinis propter erebrius eo
anno de caelo lapidatum inspectis, quandoque
hostis alienigena terrae Italiae bMum intU"
lissety eum pelli Italia vincique passe, si Mater
Idaea a Pessinunte Eomam advecta forei.
Im J. 611 = 143 werden die Bücher wegen
der Missgeburt eines Knaben mit 8 Fümoo
und wegen eines ßlutquelles befragt» sie
geben mit Bezugnahme auf die Kämpfe dea
69. Die QnindeoimYuri aaoriB faoiandis und die HarnBpioes.
467
In der Auswahl der angeordneten Sühnriten lässt sich deutlich einer-
seits der grossgriechische Ursprung der Sibyllinensammlung andererseits
die rasche Abnutzung der Procurationsmittel und das Bedürfnis nach
immer erneuter Steigerung der Lustrationsakte erkennen. Das Ergebnis
der ersten Befragungen der Bücher, über die uns direkte Berichte grössten-
teils fehlen, ist die Absiedlung einer Reihe griechischer Gottheiten in Born,
zuerst des Gottes, der durch den Mund der Sibylle spricht^) und dessen
Diener die Quindecimvirn in erster Linie sind,*) des Apollo samt seinen
Genossinnen Leto und Artemis (s. S. 239), femer der Trias Demeter Dionysos
und Köre (Dion. Hai. VI 17, 3, vgl. oben S. 242 f.), des Hermes (S. 248),
des Poseidon (S. 251) und einer unteritalischen Verehrungsform des Herakles
(S. 224). Diesen Göttern galten die Sühnopfer, welche die Orakel an-
ordneten,') und die Bittprocessionen (supplicationes) ad omnia pulvinaria
(S. 358), d. h. eben zu den nach griechischer Art ausgestatteten Kultstätten
(S. 356), sowie die im J. 355 = 399 zum ersten Male und dann wiederholt
angeordneten Lectisternien (S. 355 f.). Dabei ist das Verfahren im all-
gemeinen der Art, dass man eine einmal bewährte Procuration von Senats^
wegen aus gleichem Anlasse auch ohne erneute Befragimg der Bücher
wiederum anordnet;^) zuweilen verfügen die Orakel selbst auch nur die
Ckinsnls Ap. Claudius Pulcher mit den
Salassern den Bescheid qiMtiens bellum GeUlis
iUcUuri essent, sacrificari in eorum finibus
apartere (Obseq. 21), und es werden zwei der
Decemvirn behufs Anordnung dieses Opfers
zum Gonsul geschickt (Cass. Dio frg. 74, 1
Melb.). Auf eine Drohung für den FsJl nicht
gewissenhafter Vollziehung der angeordneten
Sahnhandlungen weist die bei Plin. n. h. XVII
243 gegebene Fassung: subaedit in Cumano
arbar gravi astento paula ante Pompei Magni
bella civüia paueis ramis eminentiSus, inven-
tum SibyUinis libris intemeeionem haminum
fare tantaque maiorem, quanto prapius ab
urbe f paatea facta esset; vgl. auch Cass. Dio
frg. 49, 1 : XQV^f^^^ ^*f ^V^ IißvXXrjg xovg
Ptofialovg idsiudtov (pvXd^aa&m rovg FaXd'
ras dety xeXavoty, otav xsgavyog ig ro Kant-
twXioy nXrjaioy 'JnoXXioyiov xataaxijnTii.
') Fatarum veter es praedictiones Apot-
Unis nennt Cic. de bar. resp. 18 die sibylli*
nischen Bücher, vgl. auch de div. I 115. IT
113 Apoüinis cperta; Tibull. II 5, 15 f. redet
ApoUon an: te duce Romanos numquam
frustrata SibyUa, abdita quae senis fata
canit *7edibus,
') ^legoHFvytj rov *jin6XX(oyog heisst der
Quindecimyirat bei Plut. Cato min. 4; antisti-
tes Äpollinaris sacri caerimoniarumque oZi-
arum Liv. X 8, 2; stg dexdneyt* dydgwy,
^oißov are(pttyfjq>6Qog l^evg Kaibel, Inscr.
gr. Sioil. Ital. nr. 1020. Daher liegen seit
Augustus nicht nur die sibyllinischen Bücher
im palatinischen Apollotempel, sondern die
Quindecimvirn halten dort auch ihre Sitzun-
gen ab (MoMHSEN, Ephem. epigr. Vm p. 292,
vgl. 2471 ; die apollinischen Symbole Dreifuss
und Delphin spielen eine Rolle bei ihren
Kulthandlungen (Sery. Aen. III 382 : hodieque
quindecimvirorum cortinis delphintu in summo
ponitur et pridie quam sacrifleium faciunt
veltU sf/mbolum delphinus eircumfertur ob
hoc scilicet, quia quindecimviri librorum
Sibyllinorum sunt onHstites, SibyUa autem
Apoüinis vates et delphinus Apoüini saeer
est) und dienen als Abzeichen ihrer Würde
auf Münzen (Borghbsi, Oeuvres I 845 ff.).
') Die Berichte über Prodigien und Pro-
curationen vor dem J. 505 = 249 (s. oben
S. 53 A. 3) sind sehr dürftig und vielfach
apokryph, z. B. über das angebliche Sibyllen-
orakel vom J. 293 = 461 bei Liv. III 10, 7.
Dion. Hai. X 2 (vgl. Nibbuhb, Rom. Gesch. I
562) und über die Beseitigung des Lacus
Curtius durch Befragung der sibyllinischen
Bücher 392 = 362 (Dion. Hai. XIV 20, die
übrigen Zeugen reden nur allgemein von
einem Orakel, Varro de 1. 1. V 148 von den
Haruspices).
*) So erklären sich die zahlreichen FiQle,
in denen Livius ohne Erwähnung der Sibyl-
linensprüche Procurationen durch Opfer oder
Supplicationen aufführt, z. B. XXVII 11, 6:
ea prodigia hostiis maioribus procurata et
suppliccUio circa omnia piUvinaria, obsecratio
in unum diem indicta; bei den fünf ersten,
unter sich gleichartigen Lectisternien (oben
S. 356 A. 6. 7) thut der Bericht des Livius
beim ersten und vierten der Befragung der
Bücher Erwähnung, beim dritten und fünften
(das zweite fehlt bei ihm) nicht.
80'
468
Beligion und Xnliiis der BOmer. Hl« Knltns.
Erneuerung bereits früher bei ähnlicher Gelegenheit von ihnen vor-
geschriebener CSeremonien,!) meist aber liegt schon in der erneuten Be-
fragung der Hinweis darauf, dass man neue Sühnmittel erwartet und für
erforderlich hält. Solche treten namentlich im Verlaufe des 3. und 2. Jahr-
hunderts V. Chr. in reicher Menge ein. Neu eingeführt werden die Gottes-
dienste des Asklepios (S. 253), der Damia (S. 177), der griechischen Unter-
weltsgottheiten (S. 255), einer mit der altrömischen Flora gleichgesetzten
griechischen Göttin (S. 163j, der Hebe (S. 126), der Aphrodite vem Eryx
und der Aphrodite *Anoa%QOip(a (S. 236), einer mit dem lateinischen Namen
Mens bezeichneten Göttin (S. 259) und der grossen Mutter von Pessinus
(S. 263), womit die Erstreckung des graecus rüus auch auf Kulte ein-
heimischer Ordnung und damit die Hellenisierung des alten Gottesdienstes
Hand in Hand geht (s. oben S. 55). Dazu treten dann von neuen Sühn-
riten ^) die an Vertretern feindlicher Nationen vollzogenen Menschenopfer
(S. 355), die Darbringung von Geschenken ex pecunia conlata an bestimmt
bezeichnete Götter (S. 362), die Anordnung von Spielen zu Ehren des
Apollo,') Jungfrauenprocessionen zu Ehren der Juno Regina (S. 360), Fasten/)
Feier der ihrer Art und Bestimmung nach fast unbekannten Ludi Taurii,^)
Opfer der Orakelbewahrer bei auswärtigen griechischen Kultstätten') u.a. m.
Aus der Zeit nach der Vernichtung der alten, im J. 671 = 83 verbrannten
Sammlung kennen wir ausser der augusteischen Saecularfeier, die aber
nicht auf Grund einer eigens vorgenommenen Befragung der Bücher,
sondern unter Berufung auf einen angeblich bereits bei einer früheren
Feier gleicher Art zur Ausführung gekommenen Sibyllenspruch erfolgte,^)
*) Liv. XXXI 12, 9: decemviri ex libris
res divincis easdem, quae proxime seeundum
id prodigium fctctae easent, imperarunt,
*) Die alten Mittel, Opfer and Suppli-
cation, bleiben natürlich daneben bestehen;
die Formel für den Senatsbeschluss ist con-
8ul quibus dis quibusque hostiis edidiasetU
decemviri sacrificaret (Liv. XXXVI 37, 5, vgl.
XXXVU d, 5 : supplicatio quoque earum rdi-
gionum causa fuit, quibus dis decemviri ex
libris ut fieret ediderunt).
') Liv. XXV 12, 11 f. and dazu oben
S. 468 A. 2. Auf das bei dieser Gelegenheit
gegebene Sibyllinum geht wahrscheinlich
das Verbot jedes einem andern Gotte gel-
tenden Opfers für den Haupttag der Spiele
zurück (Xoylov nyog IißvXXeiov anayoQev-
otrtog fifjdeyi Setoy iots nXtjy tt^ 'JnoXXtoyi
ioQja^ec^ai, Gass. Dio XLVII 18, 6).
«) Liv. XXXVI 87, 4 and dazu oben
S. 246.
>) Liv. XXXIX 22, 1 (s. oben S. 888 A. 2),
ex libris fatalibus gefeiert nach Serv. Aen.
II 140, nach Fest. p. 351 den di inferi
seweiht
•) So wird im J. 582 =- 172 auf Grund
der Sibyllinensprüche u. a. angeordnet victi-
mis maioribus sacrificandum et in Capitolio
Romae et in Campania ad Minervae pro-
munturium (Liv. XLII 20, 8), im J. 621 = 183
Cererem antiquissimam placari oporiere,
was durch ein Opfer der Decemvim bei der
Demeter in Enna zur Ausführung kommt
(CicVerr. IV 108 = Val. Max. I 1, 1 == Lact
II 4, 29), im J. 624 = 180 ein Opfer und Ge-
schenke an den Apollon von Cumae (Obsequ.
28; vgl. August c. d. III 11), im J. 646 = 108
ein durch je 80 Jünglinge und Jongfranen
edler Gebart darzubringendes Opfer auf der
Insel Gimolus (Obseq. 40); auch die Wieder-
herstellung der ara Circes sanctissimae n
Circeji (vgl. dazu Cic. de nat deor. III 48l
Strab. V 232) im J. 213 n. Chr. ex auctoritaU
imp(erataris) et decreto cdll(egii) XV(virum)
sac(ri$) fac(iundis) durch den Promagister
(CIL X 6422) gehört in dieses Gebiet. Da-
gegen sind die Opfer und LecUstemien in
den Rom benachbarten Heiligtümern von
Caere, Lanuvium (Juno Sospes), dem Moos
Algidus (Fortuna) und Ardea in den J. 286
= 218 und 237 = 217 (Liv. XXI 62, 8. XXU
1, 18 f.) etwas anderer Art.
^) Zosim. II 4, 2 sagt nur xot^ &6Cfi6ir
'Atfjiov Kttnirtoyog i^tjyijaaficyov, tovg dir
XQoyovg, xa^* ovg Hdei irjy S-vaiav ysyäüStu
xal tt}y &6(0Qiay (r;|r^yai, rtoy neytBxaldsMu
aVdipcJy, oV Tff JißvXXfjg &^a(pata tpvXanety
itdx^fl^tftyy dyeQSvyfjcäyxay; vgl. MonsBii,
Ephem. epigr. VIII p. 286.
69. Die Qiiiiideoimyiri saoris faoiimdis und die Harnspioes.
469
nur die nach dem neronischen Brande von der Sibylle angeordneten Sühn-
riten, die, soweit es die sehr knappe Beschreibung des Tacitus erkennen
lässt, mit dem Ceremoniell der früheren Sühnungen und der Saecularfeier
sich eng berührten. 0
Einen eigenen ständigen Opferdienst versehen die Quindecimvirn nicht
(darum befindet sich auch kein Flamen im Collegium), denn die griechischen
Gottesdienste brachten, wie es uns von dem der Ceres direkt bezeugt ist
(s. S. 243), ihre Priester und Priesterinnen aus der Heimat mit. Dagegen
ist es eine sehr wahrscheinliche Vermutung, dass die Oberaufsicht *über
alle griechischen auf Grund der libri SibyUini recipierten Kulte von den
Quindecimvirn ausgeübt wurde, wenn es auch an direkten Zeugnissen dafür
fehlt. Nur für einen der in Rom anerkannten Gottesdienste des graecus
ritus, den der Magna Mater, lässt sich die Unterstellung unter die Quin-
decimvirn als sacrale Oberbehörde klar nachweisen: die Quindecimvirn
wirken nicht nur in der ersten Eaiserzeit bei dem Feste der Lavatio an leiten-
der Stelle mit (s. S. 264), sondern üben auch im Laufe des 3. und 4. Jahr-
hunderts ein Bestätigungsrecht gegenüber den ebendarum als sacerdotes
XVvircUes bezeichneten Priestern und Priesterinnen der Grossen Mutter')
und die Aufsicht über den Tauroboliendienst (S. 269), beides nicht nur in
Rom, sondern auch in den italischen und gallischen Bürgerstädten. Welche
Bedeutung diesem Teile ihrer Thätigkeit zukommt, ergibt sich nicht nur
daraus, dass sich die Erwähnungen des Auftretens der Quindecimvirn in
der Eaiserzeit, abgesehen von ihrer Mitwirkung bei den Saecularf eiern,")
fast ausschliesslich auf diese Akte des Magna-Mater-Eultes beziehen, sondern
auch daraus, dass schon Zeugen der neronischen* und domitianischen Zeit
die Aufgabe dieses Priestertums als eine doppelte, einerseits der Grossen
Mutter, andererseits der Deutung der Sibyllensprüche gewidmete charak-
terisieren.*)
In einem ähnlichen Verhältnisse zur römischen Staatsreligion wie die
xa&aQfxoi der Sibylle steht die Divination der discipUna Etrusca, nur dass
ihr Einfluss wenigstens in älterer Zeit ein wesentlich geringerer gewesen
ist und ihre Vertreter, die Haruspices^ niemals sacerdotes publici p. R,
geworden sind. Hier wie dort werden auf Senatsbeschluss, sobald gegen-
über besonders schweren Prodigien die eigene Religion versagt, die Hilfs-
>) Tao. ann. XY 44: max petita dis pia-
cula aditique Sibyllae Jibri, ex quibus suppli-
catum Volcano et Cereri Proeerpinaeque (zu
dem Feaergotte treten Demeter und Perse-
phone, die auch in den Androgynenorakeln
obenan stehen) ac propitiata luno per ma-
troncLs (entsprechend sowohl der Androgynen-
sühnung wie der Saecolarfeier), pritnum in
Capitolio (Saecnlarf.), deinde apud proximum
mare, unde hausta aqua templum et «tmu/o-
crum deae perapereum est (vgl. dazu Cass.
Dio XLVni 48, 5, wo auf die mchricht, dass
Uget^g ayaXfia ngo nvXtoy t^viSv kmoq ineaev
int atofia die IißvXXeia htij aufgeschlagen
werden und anordnen to ayaXfjka ini re rtjv
&aXaccay xatax^ijva^ tuhI T(p vifart avrijg
xa9ttQ&^yttt); et eellietemia ac pervigüia
eelebravere feminae quibus mariti erant
(beides wie bei der Saecularfeier).
*) s. namentlich die wichtige Inschrift
aus Cumae CIL X 8698 (vgl. auch 8699) und
mehr oben S. 265.
*) Tac. ann. XI 11 und die Saecularakten.
*) Lucan. I 599 f. : qui fata deum secre-
taque carmina servant et loiam parva revo-
eant Almone Cybeben. Stat. silv. I 2, 176 f.
von dem Quindecimvir L. Ammtius Stella:
certe iam nunc Oybeleia movit limina et
Euboicae earmen legit iüe SibyUae (letzteres
allein V 8, 182 : eui ChaHeidieutn fas volvere
earmen).
470
Beligion und Knltui der ROmer. IIL Knltm.
mittel eines fremden Glaubens zur Bettung des Staates herbeigezogen;^)
aber die Ausleger der Sibyllensprüche sind römische Staatsprieeter, und
die Grundlage ihres Gutachtens bildet ausschliesslich eine vom Staate an-
erkannte, in seinem Besitze befindliche Sammlung, während die Haruspicin
nur in der Weise zur Anwendung kommt, dass man ihre Vertreter von
Fall zu Fall aus ihrer Heimat beruft und es ihnen überlässt, fQr die Ge-
staltung ihrer Aussage die reiche Litteratur ihrer Wissenschaft') nach
eigenem Ei'messen heranzuziehen und zu benützen. Denn während die
Orakel der Sibylle als auf Inspiration beruhend angesehen werden, gehört
die Haruspicin zu dem artificiosum divinandi genus (Cic. de div. 11 26), sie
verfährt nach einem komplizierten Systeme vielfach sich durchkreuzender
Lehrsätze und Begeln und gewinnt durch deren sachgemässe Anwendung
auf den vorliegenden Fall die gewünschten Aufschlüsse. Von den drei
Gebieten, auf denen diese Divinationskunst der Etrusker zur Anwendung
kommt, Eingeweideschau, Blitzlehre und Ausdeutung naturwidriger Er-
eignisse (ostenta),^) führen die beiden letzteren sie in direkte Konkurrenz
mit der Wirksamkeit der sibyllinischen libri fatales, aber das Ziel beider
ist ein verschiedenes; nicht die Sühnmittel für den durch Blitz oder
Wunderzeichen kundgegebenen göttlichen Zorn bieten die Haruspices,
sondern Aufklärung über die Bedeutung dieser Äusserungen einer höheren
Macht und über die in ihnen liegenden Vorverkündigungen zukünftiger
Geschehnisse. Die zahlreichen in der Litteratur berichteten Fälle^ in denen
von Staatswegen die Haruspices gehört werden, lassen sowohl den ge-
schäftlichen Verlauf der Sache als die Art der haruspicinen Gutachten
erkennen. Aus Anlass eines bestimmten Prodigiums beschliesst der Senat,
Haruspices aus Etrurien herbeizuziehen^) und ihnen den Fall vorzu-
>) z. B. Cic. de div. I 97: quatiens ae-
nattu deeemviros ad libro8 ire iu88U, quatUia
m rebus quamque saepe respanais Jiaruapicum
paruU; Dat. deor. III 5: »i quid praedictUmU
eatua ex portentis et monstris Sibtfllae inter-
pretea haruspieeave manuerunt; vgl. de har.
resp. 18. Arnob. Vn 38.
') Hier sind streng zn scheiden die auf
nralie Offenbaning zurückgef&hrten heiligen
Bttcher der diseipUna Etruaca in etroskischer
Sprache (s. Anm. 3) und die seit dem letzten
Jahrhundert der Repnblik auftretenden la-
teinischen litterarischen Bearbeitungen des
Gegenstandes (vgl. G. Scbmbisseb, Die etruski-
sche Disciplin S. 5 ff.) durch M. Tarquitius Pris-
cus (über inn s. Bormikn, Archaeol. epigr. Mitt
aus Oesterr. XI 94 ff. ; Jahreshefte d. österr. arch.
Instit. ni 29 ff.), A.Gaecina (Münzbb, Beitr. z.
Quellenkritik d. Naturgesch. d. Plin. S.244 ff.),
Julius Aquila u. a., auf welche — z. Th. durch
Vermittlung des Varro und Nigidius Figulus
— die erhaltenen Zeugnisse (namentlich die
Darstellung der Blitzlehre bei Seneca nat.
quaest. II 81—41. Plin. n. h. H 137 -148,
einzelner Punkte aus der Extispicin bei Plin.
a. a. 0. XI 186. 189 f. 197 und viele einzeke
Netizen bei Festus und ServiuB) zurflckgehen.
') Diese oft hervorgehobene Dreiteilimg
(Gic. de div. 1 12. 35. 93. H 26. 28. 42. 49.
109) liegt auch den heiligen Schriften der
Disziplin zu Grunde, die nach Gic. de div.
I 72 m lihri haruspicini (im engeren Sinne,
die Extispicin behandelnd), ful^rcUea und
rituaJes zerfielen {libri faUües bei Gensorin.
14, 6 scheint ebensowenig Terminus wie libri
recandUi bei Serv. Aen. 1398. n 649); die
libri rituales enthielten nicht nur Anweisungen
über die bei bestimmten Gelegenheiten zur
Anwendung kommenden Geremonien (Fest,
p. 285. Gensor. 11, 6. 17, 5), sondern auek
die Etegeln Über die Deutung der ositmta
{ostentaria Macr. III 7, 2. 20, 3), vieUeicbt
geordnet nach den verschiedenen G^bietoi
des Lebens, für die sie Bedeutung haben
(libri erercituales Amm. Marc. XXTTT 5^ lO
über die Vorzeichen beim Heere). Daneben
finden sich Bezeichnungen hergenommen von
der sagenhaften Herkunft der Bücher, nament-
lich libri Tagetici (Amm. Marc XVII 10, 2.
Macr. S. V 19, 13. Isid. orig. VHI 9, 34),
Vegonici (Amm. Marc. a. a. 0. Grom. lat I
p. 350 f., vgl. 348. Serv. Aen. VI 72), Aehe-
runtici (Arnob. U 62. Serv. Aen. VIII 398).
^) haruspices aeciendos ex JEkruHa Gic.
69. Die (JiiiiideoimYiri aaoria ÜRoimidis und die Haraspioee.
471
legen:') in mündlicher Verhandlung vor dem Senate') geben sie ihre Meinung
{responsum) ab, wobei der älteste von ihnen das Wort führt.') Dieser
Bescheid, der wohl in der Regel auch schriftlich niedergelegt wurde,^)
erstreckte sich auf vier Punkte, die aber nicht in jedem Falle sämtlich
zu erledigen waren, sondern von denen je nach der Sachlage dieser oder
jener mehr in den Vordergrund trat. Zunächst ist zu ermitteln, von welchen
Gottheiten das Zeichen ausgeht, und für die Beantwortung dieser Frage
sind bei den ostenta Art, Ort, Zeit und Nebenumstände des Vorganges
sorgfältig in Erwägung zu ziehen, bei den Blitzen aber gibt eine bis ins
Kleinste ausgebildete Theorie von den blitzwerfenden Göttern und von der
Wirksamkeit jedes einzelnen von ihnen in bestimmten Regionen des nach
etruskischer Doktrin in 16 Felder geteilten Himmels^) Auskunft über den
Urheber, wobei natürlich die Göttemamen der tuskischen libri fulgurcUes
nach einem festen Schema mit bestimmten Gottheiten der römischen
Staatsreligion gleichgesetzt werden mussten.') Sodann liegt es den Haru-
spices ob festzustellen, aus welchem Anlasse die betreffende Gottheit das
Zeichen gesandt hat, insbesondere ob sie über die Unterlassung einer ihr
geschuldeten Leistung oder einen Verstoss gegen die heiligen Satzungen zu
klagen habe.^) In diesem Falle weisen die Haruspices auf die geeigneten
har. resp. 25; vgl. de div. 11 11. Liv. I 55, 6.
XXVII 87, 6. Tac. aun. XI 15. Appian. b. c.
lY 4. Lucan. 1 584 f. Gell. VI 5, 2. In welcher
Weise die Persönlichkeiten bestimmt worden,
ist nicht überliefert, vielleicht erbat man von
einzelnen etruskischen Städten die Zuweisung
ihrer eigenen Haruspices und zwar je nach
der Wichtigkeit des Anlasses von einer
grösseren oder geringeren Zahl von Städten ;
nur so versteht man die in besonders schweren
Fällen gebrauchte Wendung, dass die Haru-
spices ex tot a Etruria berufen worden seien
(Cic. Catil. m 19. Tac. bist. IV 53).
') ad haruspices referre Varro de 1. 1.
V 148. Cic. de nat. dcor. H 10; de leg. 1121:
prodigia portenta ad Etruscos haruspices, si
senatus iussit, deferunto, Liv. XUI 2, 2, vgl.
XXXIX 16, 7. Plut. Sulla 7.
') haruspices introdueti responderunt Cic.
de nat. deor. ü 10. Liv. XXXII 1, 14.
*) Appian. b. c. IV 4. Lucan. I 585. Cic.
de div. II 52.
^) Das zeigt Ciceros im J. 698 = 56 ge-
haltene Rede de haruspicum respanso, aus
der sich das zur Verhandlung stehende Gut-
achten der Haruspices in indirekter Rede
folgendermassen wiedergewinnen lässt: quod
in agro Latiniensi auditus est strepitus cum
fremitUf postiliones esse lovi Saturno Neptuno
Telluri dis caelestibus; ludos minus diligenter
factos poüutosque, loca sacra et religiasa pro-
fana haberi, oratores contra ius fasque inter-
fectos, fidem iusque iurandum negtectum,
sacrificia vetusta occultaque minus diligenter
facta pollutaque; (videndum esse) ne per
optimatium discordiam dissensionemque pa-
tribus principibusque caedes periculaque cre-
entur auxilioque divini numinis deficiantur,
quare ad unius imperium res redeat exer-
eitusque apulsus deminutioque aceedat, ne
occultis consiliis res publica laedcUur, ne
deterioribus repulsisque honos augeatur, ne
reipublicae Status eommutetur (a. a. 0. § 20.
21. 9. 34. 86. 37. 40. 55. 56. 60).
^) üeber die blitzwerfenden Qötter s.
Seneca nat. quaest. U 41. Plin. n. h. H 138.
Serv. Aen. 142. Vm 427 (vgL dazu auch
ScHMBissBB, Comment. in honor. A. Reiffer-
scheidii S. 29 ff.), ober die Wohnungen der
Götter in den 16 (nach römischer Theorie
nur 4, Cic. de div. U 42. Plin. n. h. H 143)
Regionen des Himmels Mart. Cap. I 45 - 61
(dazu Etssenbardt in seiner Ausg. p. XXXIVff.
NissBN, Templum S. 182 ff. Dbbckb, Etrusk.
Forsch. rV 14 ff.).
^) Die Art dieser Gleichsetzungen wird
klar durch eine Vergleichung der etruskischen
Göttemamen der Bronzeleber von Piacenza
mit den in analoger Weise angeordneten
römischen Namen bei Martian. Cap. a. a. 0.,
vgl. Dbbokb a. a. 0. S. 21 ff.
') Das sind die postulatoria fulgura
(Seneca nat. quaest. VL 49, 1), quae votorum
aut sacrificiorum spretam religionem deside-
rani (Fest. p. 245); vgl. Liv. V 17, 2: inven-
tumque tandem est, ubi neglectas caerimonias
intermissumw soüemne di arguerent Die
Forderung, die durch das Schreckzeichen
zum Ausdrucke kommt, heisst postilio (Varro
de L 1. V 148: responsum — von den Haru-
spices in Betreff des Laous Curtius — deum
manium postÜionem postulare • • id est
civem fortissimum eo demitti. Cic. de har.
resp. 20. 81 [s. oben Anm. 4]. Amob. IV 81]).
472
Beligion und XaltiiB der BOmer. m. Kuli««.
sacraleD Mittel der Procuration hin ; aber abweichend von der Praxis der
Sibyllenausleger verlangen sie niemals die Reception etruskischer Gottheiten
oder die Ausführung von Kulthandlungen Etrusco ritu, sondern durchweg
nur Darbietungen an bereits anerkannte Gottheiten und in den üblichen
Formen, je nach der Eigenart der beteiligten Götter im altrömischen
oder im griechischen Ritus; ^) daher haben sie auch mit der Vollziehung
der durch ihr Gutachten empfohlenen Handlungen nichts zu thun,*) sondern
diese erfolgt durch die zuständigen Staatspriester.') Die Anordnungen
der Haruspices beziehen sich aber weiterhin auch darauf, in welcher Weise
die Spuren des Schreckzeichens zu beseitigen sind und was mit den leben-
den Wesen oder leblosen Gegenständen^ an denen es sich gezeigt hat, ge-
schehen soll: die Spuren des Blitzschlages werden gesammelt und ebenso
wie die Leiche des vom Blitze getroffenen Menschen an der Stelle selbst
begraben,^) Missgeburteu'und sonstige Naturwidrigkeiten fortgeschafft, ver-
brannt und ihre Asche ins Meer gestreut,^) auch sonst alle Massregeln
getroffen, welche geeignet erscheinen, die Nachwirkungen des unheil-
drohenden Ereignisses zu entfernen.^) Die Hauptsache aber und das, was
die Eigenart der Haruspicin als Divinationskunst ausmacht, ist die Beant-
wortung der Frage quid portendat prodigium, nicht blos die Ermittelung,
ob das Vorzeichen ein günstiges oder ungünstiges sei, sondern auch welche
') Varro de 1. 1. Vn 88: cum aruapex
praedpit, ut suo quisque ritu saerifieium
faeiat. So finden ex responso haruspieum
Sapplioationen, JongfrauenproceBsionen and
andre Akte des graecus rittu statt (z. B. Tay.
1XXU 1,14. XLI 13,3. Ob8equ.43), aber
auch die lustratio urbis (Tao. ann. XIII 24),
und für Opfervorschriften werden mehrfach
die Pontifices und die Haruspices zusammen
als Gewährsmänner angeführt (Cic. de leg.
n 29. Macr. S. m 2, 3).
*) Wenn Lucan. I 608 ff. den Haruspex
das Opfer bringen lässt, so ist das bestimmt
dichterische Willkflr.
*) Lehrreich ist auch der von Gio. de
nat. deon II 10 f. mitgetheilte Fall, wo die
Haruspices aus Anlass eines osttntum eine
innerhalb des Auspicienrechtes liegende Ver-
fehlung feststellen, deren Ausgleichung aber
auf Gutachten der Augum erfolgt.
*) Lucan. I 606 f.: disperses fulminis
ignes colHgit et terrae maesto cum murmure
e&ndit, Quintil. decl. 274: quo quis locoful-
mine ictus fuerit. eodem sepeliatur. Der Voll-
zug dieser Handlung wird bald den Pontifices
(Schol. Juv. 6, 587), bald den Haruspices zu-
geschrieben (Seneca de dem. I 7, 1. Lucan.
a. a. 0. Pers. 2, 26 und Schol. Apul. de deo
Soor. 7, 28 p. 10, 14 Lfi^. Apoll. Sidon. carm.
9, 193) ; aber dass die Blitzbestattnng römisch
ist, zeigt die in den Aufschriften der Blitz-
gräber sich findende Scheidung in füJgur
Dium und fulaur Summanium (S. 107) und
die enge Beziehung der sacerdotes hidentales
zu Semo Sancus Dius Fidius (S. 121). Vgl.
Mabquardt, StaatsYerw. IH 262 f. Wibsowa,
Real-Encycl. m 429 f.
*) z. B. Obsequ. 25 : puer ex ancüla quat'
tuor pedibus manibus oculis auribus et du-
plici obsceno natus . . aruspicum itusu cre-
matus cinisque eius in mare deiectus; ähn-
lich wird mit Hermaphroditen verfahren (liv.
XXVII 37, 6: extorre agro Romano, procui
terrae contactu aUo mergendum. vivum in
arcam condidere proieetumque in mare pro-
iecerunt; vgl. XXXIX 22, 5 [die Haruspices
erwähnt Obsequ. 3]. Obsequ. 22) oder mit
Ochsen, die auf das Dach eines Hauses ge-
stiegen sind (Liv. XXXVI 37, 2; dagegen
wird ein Ochs, der mit Menschenstimme ge-
redet hat, sorgfältig erhalten und gef&ttert,
Liv. XXXV 21, 5. XLI 13, 3) oder mit einem
auf dem Forum erschienenen Wespen-
Bchwarme (Liv. XXXV 9, 4); vgl. auch Lucan.
I 589 ff. Es gab besondere Listen der ar-
bores infelices, quibus portenta prodigiaque
mala comburi itihere oportet (Macr. HI 20, 3).
*) Dahin gebOrt die Neuaufstellung durch
Blitz oder Sturm umgestürzter Statuen an
andrer Stelle (Gell. IV 5) oder in anderer
Orientierung (Cic. Gatil. HI 19 f., vgl, de
divin. I 20. Amob. Vü 40. Cass. Dio XXXVH
9, 1 f. 34, 3 f.), femer die Aufsuchung und
Auffindung des vom Blitze abgeschlagenen
Hauptes der Statue des Summanus (Cic. de
div. I 16. Liv. per. XIV) und die Mitwirkung
der Haruspices bei dem Wiederaufbau des
niedergebrannten Oapitols unter Vespasian
(Tac. bist. IV 53).
69. Die QnindecimTiri saoris faoiimdis und die Hamspioes.
473
EreigDisse der Zukunft es ankündige. 0 Manche Zeichen sind auf alle
Fälle verhängnisvoll,*) andre können je nach den begleitenden Umständen
Gutes oder Schlimmes bedeuten,') manche treten als consüiaria auf, d. h.
sie empfehlen oder widerraten die Ausführung einer geplanten Unter-
nehmung,^) andre weisen auf bestimmte, manchmal erst in geraumer Zeit
drohende Gefahren und Verwicklungen hin.^)
Diese Art von Zukunftserkundung durch die etruskische Divinations-
kunst, die vermittels herumziehender Winkelharuspices auch in privaten
Kreisen eine nicht geringe Rolle spielte,') ist von Staatswegen seit der
Zeit etwa des hannibalischen Krieges^) in stets wachsendem Umfange
benützt worden, und der römische Senat hat sogar wahrscheinlich im
2. Jahrhundert v. Chr. Füi*sorge dafür getroffen, dass aus den einzelnen
Städten Etruriens eine hinreichende Anzahl von Söhnen vornehmer Familien
in dieser Kunst unterrichtet wurde, damit es nie an geeigneten Vertretern
derselben fehle.') Daneben begegnen uns seit der gleichen Zeit Haru-
spices unter dem Beamtenpersonal der Magistrate mit der Aufgabe, bei
gewissen Opfern,') namentlich vor dem Beginne eines Feldzuges ^<^) oder
vor einer Schlacht« ^0 ^^^ ^^^ Eingeweiden des Opfertieres (s. oben S. 353)
den glücklichen oder unglücklichen Ausgang der geplanten Unternehmung
zu verkündigen. Diese Art der Divination verdrängte namentlich im
0 Im J. 582 = 172 z. B., wo der Senat
beschlieBst et ad haruspicea referri et de-
cemviro8 adire libroa, ordnen die Sibyllini-
Bchen Bücher eine Iwftratio urbis, Suppli-
cation, Opfer n. s. w. an, die Hamspices
dagegen geben die Erklärung in bonum ver-
surum id prodigium prolalionemque finium
et interitum perduellium portendi (Liv. XLIl
2,4).
') z. B. wenn ein Maultier ein Junges
wirft (Cic. de diy. I 36), wenn die Mftuse
Eisen benagen (Cic. a. a. 0. 99), ein Bienen-
schwarm an ungewohnter Stelle sich nieder-
Iftsst (Plin. n. h. XI 55); vgl. die Aufzählung
bei Juven. 18, 62 ff.
») z. B. Liv. XLn 2, 4. Obsequ. 56. Tac.
ann. XV 47.
*) Das sind die eonsiliaria fulgura, die
geschehen ante rem, sed post eogitationem,
cum dliquid in animo versantibus aut sua-
detur fulminis ictu aut diasuadetur (Seneca
nat. quaest. II 39, 1, vgl. Amm. Marc. XXIII
5, 13).
*) Sali. Cat. 47, 2 : ab incenso Capitolio
ülum e88e vigesimum annum, quem Baepe ex
prodigiis haruspiees respondisaent bello civili
eruentum fore (vgl. Cic. Catil. III 9). Cic.
har. resp. 18: portentorum expiationes Etrua-
corum diseiplina contineri, quae quidem tanta
eet, ut nostra memoria primum Italici belli
funesta iUa principia, post SuUani Cinnani-
que tempori» extremum paene discrimen, tum
hanc recentem . . . eoniurätionem . . . prae-
dixerint. Beispiele bei Obsequ. 18. 29. Plut.
Sulla 7. App. b. c. IV 4.
') Auf solche bezieht sich Catos War-
nung haruspieem augwrem hariclum Ckal-
daeum ne quem conauluisse velit {vilieus, de
agricult. 5, 4 vgl. Colum. I 8. XI 1) und sein
Spott mirari ee quod non rideret haruspex,
haruapieem cum vidisaet (Cic. de div. U 51);
s. auch den vicanua haruapex Cic. de div.
1132.
^) Apokryph sind die Erzählungen von
der Befragung der Hamspices beim Bau des
Capitols (Liv. I 55, 6, vgl. 56, 5. 81, 4), beim
Enege gegen Veji (Liv. V 15. 17) und bei
der Selbstaufopferung des Decius (Liv. VUI
6, 12. 9, 1), auch bei Macr. 1 16, 22 und Dion.
Hai. IX 6, 2 f., der irrtümlich unter Romulus
Hamspices als Staatspriester u. zw. einen
aus jeder Tribus ansetzt (II 22, 3, s. oben
S. 450 A. 6).
") Cic. de div. I 92: bene apud maiorea
noatroa aenattu, tum cum florebiu imperium,
decrevit, ut de principum filiia X ex (die Hss.
aeXf vgl. BoBMAHV, Oesterr. Jahresh. 11 134, 5)
aingulia Etruriae populia in diaciplinam tra-
derentur, ne ara tanta propter tenuitatem ho-
minum a religionia auetoritate abdueeretur
ad mercedem atque quaeatum (schlecht wieder-
gegeben bei Val. Max. 11,1), vgl. de leg. II
21 ; epist. VI 6, 8. Tac. ann. XI 15.
*) Es sind das die hoatiae conauUatoriae
der etmskischen Lehre, s. oben S. 353 A. 4.
^^) Der gttnstige Bescheid lautet in die-
sem Falle laeta exta fuisae et prolationem
finium victoriamque et triumphum portendi
(Liv. XXXI 5, 7. XXXVI 1, 3. XLÜ 80, 9;
vgl. Amob. Vn 38).
") Liv. XXm 86, 10. XXIV 16, 13. XXVI
l 26, 14. XXVU 16, 15.
474
Religion nnd Kultus der BOmer. m. KnltiiB.
imperium müüiae^) schon wegen der grösseren Bequemlichkeit mehr und
mehr die augurale Beobachtung des Yogelfluges') und die auguria ex
tripudiis (s. oben S. 459 f.), so dass in Ciceros Zeit der Haruspex zu den stän-
digen Apparitoren der höheren Beamten gehörte.') Nur diese apparitori-
sehen Vertreter der Extispicin umfasste wahrscheinlich der seit Ende der
Republik^) nachweisbare ordo haruspicum LX, der unter einem haruspex
maximus^) steht und dessen Mitglieder Besoldung erhalten/) woraus hervor^
geht, dass es sich um ein Staatspriestertum nicht handeln kann. Sie
werden bei den kaiserlichen^) und magistratischen Opfern ihren Dienst
geübt haben, während daneben die private Haruspicin ein zwar häufig von
den Machthabern beargwöhntes und eingeschränktes,^) aber doch wohl
recht einträgliches bürgerliches Gewerbe war, das von Alexander Severus da-
durch zu Ehren gebracht wurde, dass er für Haruspices wie für Grammatiker,
Rhetoren, Ärzte u. a. besoldete Stellen errichtete.') Die Abgabe von Gut-
achten auf Aufforderung des Senates hat gewiss weder jenem Ordo noch
den in Rom ihren Erwerb suchenden Privatharuspices obgelegen, sondern
ist nach wie vor durch aus Etrurien herbeigezogene Vertreter geübt worden :
anders wäre es nicht zu verstehen, wie der Kaiser Claudius im J. 47, zu
einer Zeit, wo der Ordo längst bestand und die Privatharuspicin blühte, über
den Verfall dieser Divination klagen und einen Senatsbeschluss herbeiführen
konnte: viderent pontificesj quae retinendae firmandaeque haruspicitKie.^^)
*) Gic. de diy. I 95: omitto noatroa, qui
nihil in hello sine extis agunt, nihil aine
auapiciis domi.
') Gic. de diy. I 28 : nam ut nunc extis
(quamquam id ipaum aliqu^nto minue quam
olim) sie tum avibus magnae res impetriri
aolebant. In den ältesten Beispielen stehen
beide Arten von Divination nebeneinander,
so Liv. XXin 86| 10: oeeupatus primo auspi'
CÜ8 repeiendia, dein prodigiia, quae alia auper
alia nuntiabantur, expiantique ea haud faeile
litari haruapieea reapondebant, XXVII 16, 15:
Fabio auapicanti . . . avea aemel atque iterum
non addixerunt; hoatia quoque eaeaa con-
aulenti deoa haruapex cavendum a fraude
hoatili et ab inaidiia praedixit.
») Gic. Verr H 27. 75. III 187; auch in
den Golonien haben die Gollegien sowohl
der Dnoviri wie der Aediles je einen Ha-
ruspex unter ihren Apparitoren (Lex col.
Genet. c. 62; Inschriften solcher municipaler
Haruspices z. B. GIL IX 1540. X 8680 f. XI
2955).
*) Dieser Zeit gehOrt die von G. Gatti,
Bull. arch. com. XVIII 1890, 140 veröffent-
lichte Inschrift eines ariapex ex aexaginta
an; vgl. sonst GIL VI 2161—2166. XI 8382.
XIH 1821. XIV 164. Ephem. epigr. IV 853.
Dass sich vereinzelt Personen von Ritterrang
unter den Mitgliedern dieses Ordo befinden
(GIL VI 2164 f., vgl. 2168) beweist, dass sie
zu den vornehmen Apparitoren gehörten (wie
Scribae nnd Viatores), die Anftiahme eines
Haruspex in den römischen Senat (Gic. epist
VI 18, 1) ist nur ein Willkttrakt der Revo-
lutionszeit. Vgl. auch BoBMANV a. a. 0.
S. 184 ff.
^) GIL VI 2164. 2165; magiater pMicua
haruapicum ebd. 2161. XIV 164, vgL Lact, de
mort persec. 10, 3; primua haruapex de LX
CIL XIII lh21.
^) L. Fonteius Flavianus nennt sich CIL
VI 2161 : haruapex Aug(uatorum) (ducena-
riua); vgl. auch die Besoldungssätze der
Haruspices in der Lex col. Genet. c. 62.
^) Daher haruapicea Juguatorum GIL
VI 2161. 2163. 2168. X 4721.
") Zeugnisse bei Scbvbissbb, Die etrusk.
Discinlin S. 23 ff.
*) Hist. aug. Alex. Sev. 44, 4: rhetoribua
grammaticia medieia haruapicibua mathema-
tieia mechanicia architectia a<Uaria inatituit
et auditaria deerevit,
><») Tac. ann. XI 15: reUulU deinde ad
aenatum de coliegio haruapicum (gewiss nicht
identisch mit dem ordo), ne vetuatiaaima
Italiae diaeiplina per deaidiam exoleaceret,
aaepe adveraia reipublicae temporibua accitoa,
quorum monitu redintegrataa eaerimoniaa et
in poaterum rectiua habitaa; primoreaque
Etruriae aponte aut patrum Romanorum im-
puiau retinuiaae acientiam et in familiaa pro-
pagaaae, quod nunc aegniua fieri publica circa
bonaa artea aocordia et quia exiemae auper-
atitionea vcdeacant. et laeta quidem in prae-
aena omnia, aed benignitati deum gratiam re-
ferendam, ne ritua aacrorum inter ambigua
cuiti per proapera oblitterarentur.
70. Die priMterlioheii Sodalit&ten.
475
Welchen Erfolg diese Bemühungen hatten, wissen wir nicht, dass aber die
Heranziehung der Haruspicin durch Senatsbeschluss während der Eaiserzeit
weiter üblich blieb, beweist trotz des Fehlens spezieller Zeugnisse die
Thatsache, dass noch im 4. Jahrhundert, als die christlichen Kaiser gegen
die Haruspicin, wie überhaupt gegen alle heidnische Zukunftserkundung,
streng vorgingen, diese offizielle Befragung der Haruspices ausdrücklich
gestattet blieb. ^) ^'
Litteratar. üeber die Sibyilinen und ihre Ansdentiing s. Mabquabdt, Staatsverw.
III 350 ff. Madvio, Verfass. u. Verwalt. d. röm. Staates II 643 ff. A. Bouoh^-Lbolbroq,
Histoire de la divioation IV 286 ff. H. Disls, Sibyllinische Blfttter, Berlin 1890. Th. Momm-
SBN, Ephem. epigr. YIII p. 225 ff. E. Schultbss, Die sibylliniBchen Bücher in Rom, Ham-
burg 1895. £. HoFFMAHN, Rhein. Mas. L 1895, 90 ff. (ohne Förderung), üeber die Ettusca
discipUna E. 0. MOllbb-Dsbckb, Etmsker II 1—195. G. Scbveibsbr, Quaestionum de dis-
ciplina Etrusca particala, Dias. Vratisl. 1872; Die etruskische Disciplin vom Bnndesgenossen-
kriege bis zum Untergange des Heidentums, liegnitz 1881; Beiträge zur Technik der etru-
skischen Haruspices, Landsberg a. W. 1884. Mabquabdt a. a. 0. S. 410 ff. Madyig a. a. 0.
II 352 ff. A. BoüOHi-LEGLBBOQ a. a. 0. IV 1 ff. und bei Dabbxbebo-Saglio, Dict. des anti^u.
III 17 ff., wo die gesamte Theorie und Technik der Haruspicin, auf die hier nicht em-
gegangen werden konnte, auafllhrlich behandelt ist.
70. Die priesterlichen Sodalitäten. Von den genossenschaftlich
organisierten Priestertümem stehen nach Rang und Bedeutung den grossen
Collegien am nächsten die Fetiales (Tac. ann. HE 64), eine Priesterschaft
von 20 Mitgliedern, >) der die Wahrung und Anwendung eines besonderen
sacralen Rechtsgebietes, des ius fäiale,^) in derselben Weise obliegt, wie
den Pontifices und Augures die des itts pontificium und der discipUna
auguralis, und die fQr die religiöse Sicherung der völkerrechtlichen Be-
ziehungen des römischen Staates in ähnlicher Weise thätig sind, wie die
Pontifices z. B. bei der Gonfarreation für die Begründung sacralrechtlicher
Ehegemeinschaft und die Augurn durch ihre Vorbereitung und Unter-
stützung der magistratischen Auspication fttr die Erzielung einer dauernden
Übereinstimmung zwischen den Staatshandlungen des römischen Volkes
und dem Willen seiner Götter. Der Rechtszustand zwischen zwei von
einander unabhängigen Völkern beruht auf der freien gegenseitigen Ver-
einbarung, dem foedus; jede Verletzung dieser Abmachung erfordert ebenso
eine Sühnleistung durch den schuldigen Teil, wie der Verstoss gegen die
Vorschriften des ius scuirum ein piaculum nötig macht, und wie derjenige,
der sich der Darbringung des Piacularopfers entzieht, damit zum impius
wird, d. h. nunmehr ausserhalb des ius divinum steht, so führt im völker-
rechtlichen Verkehr die Verweigerung der Sühne die Aufhebung des
Rechtszustandes herbei und berechtigt das geschädigte Volk zur Erklärung
des Krieges. Ob und unter welchen Bedingungen ein foedus abgeschlossen
werden soll, welche Sühne zu verlangen oder zu gewähren ist, ob der
>) Cod. Theod. XVI 10, l (vom J. 321):
ai quid de Palatio nostro aut ceteria operibus
publicia degustatum fulgure esse eonstiterit,
retetUo tnore veteris obaervantiae quid par-
tendai ab haruapicibus requiratur et diligen^
tissitne ecriptura eoUecta ad noatram scien-
tiam referatur,
') Yarro bei Non. p. 529, 32; die alte
Ueberlieferung über ihre Einsetzung durch
Numa, Tullus Hostilius oder Ancus Marcius
s. bei ScHWBOLBB, Rdm. Gesch. I 545, 1. 555.
603
») z. B. Cic. de oflf. I 36. Liv. I 32, 5. IX
9,3. XXXV1II46, 12. Auct. depraen. 1. Vici
de vir. iU. 5, 4. Senr. Aen. VII 695. X 14.
Amob. II 67, namentlich CIL I * p. 202 elog.
XU: i8 preimue ius fetiaJe paravit, inde
p(op%Uu8) R(amanu8) diecipleinam exeepit.
476
Religion und KnltoB der BOmer. m. Knltns.
Krieg eröffnet und wie er geführt werden soll, darüber steht die Entp-
Scheidung allein dem römischen Volke und seinen Magistraten zu, die
formalen Akte aber des Bündnisbeschlusses, der Sühneforderung und Sühne-
leistung, endlich der Kriegserklärung i) so zu vollziehen, dass die Götter
selbst als Zeugen die Gewähr der internationalen Abmachung übernehmen
(dis arbüris foederis Liv. IX 1, 7, vgl. oben S. 325) und der aus ihrer Ver-
letzung folgende Krieg ein nach göttlicher und menschlicher Satzung ge-
rechter') ist, das ist die Sonderwissenschaft der Fetialen: der Rechtsverkehr
von Volk zu Volk voUzieht sich ursprünglich ausschliesslich durch die
Vermittelung der beiderseitigen Fetialen,») der materielle Inhalt der Ab-
machungen aber wird durch den Staat bestimmt, in dessen Auftrage sie
handeln;^) denn der Fetiale ist der publicus nutitiuspopuU Romani (Liv. 1 32, 6)
und wird dazu erst durch die ausdrückliche Autorisation von Seiten des
berufenen Magistrates.^) Die ganze Priesterschaft tritt nur zusammen zu
Beratungen, um auf Befragen den Magistraten Gutachten zu erstatten,
z. B. über die Zulässigkeit einer bestimmten Form der Kriegserklärung^) oder
über die Notwendigkeit der Auslieferung bestimmter Personen.'') Wenn
die Fetiales aber als Botschafter im völkerrechtlichen Verkehre fungieren,
treten sie in jedem Falle in Gruppen zu zweien auf,^) von denen der eine.
^) Die Dedition, deren Formular Liv. I
88, 2 gibt, steht nicht unter Fetialrecht.
') Liv. IX 8, 6 fi« quid divini humanive
obstet, quo minus iustutn piumque de integro
inecUur bellum (vgl. III 25, 3. Cic. de rep. II
31); dass von diesen beiden Worten pium
die üebereinstimmung mit dem ius fetiale
bedeutet, zeigen Varro bei Non. p. 529, 25.
Liv. I 82. 12.
*) Dass beide Völker Fetiales besitzen,
ist die Voraussetzung der Wirksamkeit dieser
Priester, und daraus noch mehr ab aus den
antiken Zeugnissen (Liv. 1 24, 4. 82, 5. 11. YIÜ
89, 14. Dion. Hai. I 21, 1. II 72, 2. CIL X
797) geht deutlich hervor, dass diese Insti-
tution in ganz Latium und ftber dessen
Grenzen hinaus in Mittelitalien heimisch war.
^) Beide Factoren sind deutlich ge-
schieden bei Ijiiy. IX 5, 1 negarunt iniussu
pojmli foedus fieri posse nee sine fetialibus
eaerimoniaque <üia sollemni. Die von Seiten
des Staates beteiligten Factoren (König, Volk,
Senat, Magistrate) scheide ich absichtlich
hier nicht, weil die Stellung der Fetialen
allen gegenüber die gleiche ist.
^) Der Fetialis fragt den König: reo?,
fcLcisne me tu regium nuntium populi Ro-
mani Quiritium, vasa comitesque meos und
erhält die Antwort quod sine fraude mea
populique Romani Quiritium fiat, facio, Liv.
I 24, 5; im J. 558 = 201 beschliesst der
Senat auf Antrag der Fetialen uti praetor
Romanus iis imperaret, ut foedus ferireni,
Liv. XXX 43, 9.
•) Liv. XXXVI 3, 7 : consul deinde AT.
Acilius ex senatus consulto ctd coUegium
fetialium rettulit, ipsine utique regi Antiocho
indieeretur bellum, an satis esset ad praesi-
dium (Uiquod eius nuntiari (dieselbe Frage
schon früher XXXI 8, 8, vgl. auch XXXVIII
46, 11), et num Äetolis quoque separatim
indici iuberent bellum, et num prius societas
et amicitia eis renuntianda esset, quam bei'
lum indicendum; fetiales responderunt u. s. w.
') Plut. Gam. 18. Varro bei Non. p. 529: si
cuius legati violati essent, qui id fecissent uti
dederentur statuerunt fetialesque viginti, qui
de his rebus cognoscerent iudiearent et statue-
rent, constituerunt; diese Stelle zeigt, dass in
den heillos corrupten Worten des Cic. de leg. II
21 foederum pacis belli indotiarum oratorum
fetiales iudices non sunto, bella disceptatio
das iudices non sunto auf alle Fälle unhalt-
bar ist; dass sich oratorum auf die Fetialen
beziehen muss, beweist dieselbe Varrostelle:
fetiales . . mittebant . ., quos oratores voeabant.
^) Sicher steht die Zweizahl bei Liv.
IX 5, 4, wo der Ausweg, dass von einer
grösseren Zahl nur zwei genannt seien,
ausgeschlossen ist; darum ist auch Liv. I
24, 6 so zu verstehen, dass nur die beiden
hier genannten Fetialen thätig waren. Wenn
Varro a. a. 0. von 4 Fetialen spricht, die
man res repetitum schickte, so möchte ich
das nicht so deuten, dass bei diesem Acte
eine andere Zahl von Fetialen mitgewirkt
hätte, als beim foedus^ auf welches sich die
beiden Liviusstellen beziehen, sondern an-
nehmen, dass später die Zahl der dienst-
thuenden Fetialen verdoppelt wurde in der
Weise, dass 2 Verbenarii und 2 Patres
patrati auszogen; darauf weist Liv. XXX
43, 9 die vom Senate gebilligte Forderung
der Fetialen ut privos (= singulos) lapides
70. Die priesterliohen Sodalitäten.
477
der verbenarius,^) die auf der Burg gepflückten heiligen Kräuter (sagmina)
trägt, die das Abzeichen ihrer Sendung sind und sie auch im fremden
Lande gegen jede Verletzung schützen,«) der andre aber, der pater patratus,^)
den eigentlichen Bevollmächtigten darstellt, im priesterlichen Gewände^)
und mit den dem Tempel des Juppiter Feretrius entnommenen Symbolen,
dem Scepter und dem heiligen Feuerstein (oben S. 103), ausgerüstet.^)
Die Thätigkeit der Fetialen beginnt damit, dass der für diesen Fall
als Verbenarius fungierende Fetiale vom Magistrat erst den allgemeinen
Auftrag zur Handlung {iubesne me, rex, cum patre patrato populi Albani
foedus ferire?), dann die Autorisation zur Übernahme der sagmina (sagmina
te, rex, posco), endlich die ausdrückliche Ernennung zum Gesandten (rex,
facisne me tu regium nuntium populi Romani Quiritium vasa comitesque meos?)
erbittet und erhält, worauf er einen andern Fetialen durch Berührung mit
den sagmina an Haupt und Haar zum Pater patratus macht. Diese vor-
bereitenden Akte (beschrieben bei Liv. I 24, 4 — 6) spielen sich offenbar
bei allen Arten des fetialischen Dienstes in gleicher Weise ab, das Weitere
vollzieht sich je nach der Verschiedenheit der Aufgabe in verschiedener
Weise. Das foedus wird in Anwesenheit der Feldherrn und Heere
beider Völker durch die beiderseitigen Patres patrati in der Weise ab-
geschlossen, dass jeder von ihnen nach Verlesung des Wortlautes des
Bündnisses in festgelegter Formel') die feierliche Erklärung abgibt, sein
Volk wolle treu daran halten, und zu Zeugen dieser Erklärung nicht nur
die Anwesenden, sondern vor allem die Götter des eigenen Staates anruft,
deren Strafe er für den Fall böswilliger Verletzung des foedus auf sein
Volk und sich selbst herabbeschwört; zum Zeichen dessen tötet er das
dafür übliche Opfertier, das Ferkel,^) durch einen Schlag mit dem heiligen
silicea privasque verhenaa secum ferrentf d. h.
dass jeder VerbeDarins und jeder Pater pa-
tratus seine eigene Ausrüstung erhalte.
^) Plin. n. h. XXII 5. Varro bei Non.
p. 528, 18.
') Dig. I 8, 8, 1 : sunt autem sagmina
quaedam herbae, quas legati populi Romani
ferre aolent (eine Bekränzung macht nur
Serv. Aen. XU 120 daraus), ne quis eos vio-
laret, 8ictU legati Graecorum ferunt ea quae
vocantur cerycia. Fest. p. 821: sagmina vo-
cantur verbenae, id est herhae purae (vgl.
Liv. I 24, 5), quia ex loco sancto arcis carpe-
bantur {saneto arcebantur Hs., dass die
sagmina ex arce genommen wurden, bezeugen
Liv. I 24, 5. Plin. n. h. XXII 5 gramen ex
arce cum sua terra evolsum; Serv. a. a. 0.
falsch de loco sacro Capitolii) a consule
praetoreve legatis proficiscentibus ad foedus
faciendum bellumque indicendum,
') Die Bedeutung des Wortes ist nicht
klar, doch spricht die Gegenüberstellung von
pater patratus dedidit und pater suus popu-
lusve vendidit bei Gic. pro Caec. 98; de erat.
I 181 für die Deutung, die in ihm eine künst-
lich geschaffene Analogie zum pater familias
sieht, also patrare als zum pater machen auf-
fasst. Plut. Qu. Rom. 62 verwechselt paier
patratus und pater patrimus (Fest. p. 234).
^) xsxoafitjudyos ia&iJTt xal g>o^ijua<Fiy
IsQots Dion. Bai. II 72, 6; die Kleider dürfen
nicht von Linnen sein (Serv. Aen. XII 120),
und er trägt wie der Flamen (oben S. 429
A. 2) Caput velatum fUo, Liv. I 82, 6.
*) Paul. p. 92: Feretrius luppiter . , . ex
cuius templo sumebant sceptrum, per quod
iurarent, et lapidem silicem, quo foedus
ferirent, Serv. Aen. XII 206.
•) Carmen Liv. I 24, 6. 9; vgl. 82, 8;
precatio IX 5, 3; vetus fetialium praefatio
Suet. Glaud. 25.
0 Varro de re rust. II 4, 9. Paul. p. 235.
Suet. Claud. 25. Verg. Aen.VHI 641. XH 170
und dazu Serv. Liv. IX 5, 3. Die Tötung
vermittels des silex ist wohl specifisch
römisch oder wenigstens latinisch, aenn auf
den oskischen Münzen mit der Darstellung
des Bündnisschwures (Fbiedlandbb, Die oski-
schen Münzen S. 81 ff. nr. 9-12; S. 86 f.
nr. 18. 19, vgl. auch S. 11 nr. 9; S. 16 nr. 2)
schwören Krieger mit gezücktem Schwerte
über dem von einem Knaben gehaltenen
(vgl. Cic. de inv. II 91) Ferkel; s. auch Job-
DAN zu Pbbllbb, Rom. Mythol. II 825, 8.
478
Religion und Kultus d«r ROmer. m. Snliiis.
süex und wirft diesen dann von sich mit der Verwünschung, im Falle des
Eidbruches möge die Gottheit sein Volk schlagen, wie er das Ferkel ge-
schlagen, und ihn selbst so verwerfen, wie er den Stein verworfen habe. ^
Die schriftliche Ausfertigung des foedus wird von den beiderseitigen
Fetialenpaaren unterzeichnet (Liv. IX 5, 4). Ist das foedus von einem der
beiden Teile gebrochen, so treten die Fetialen des geschädigten Volkes
im Auftrage des Magistrates mit der Forderung der Genugthuung {res
repetere) an die des anderen heran,') und zwar liegt auch hier der Nach-
druck darauf, dass der Pater patratus die Gerechtigkeit seiner Forderung
eidlich erhärtet {iurati repeterent res Liv. IV 30, 14) und die Götter seines
Volkes zur Zeugenschaft und zur Bestrafung des etwaigen Falscheides
aufruft:') in feierlicher Formulierung wiederholt er diese clariffatio^) mehr-
fach, beim Überschreiten der Grenze des fremden Landes, beim ersten Be-
gegnen mit einem Bürger desselben, am Thore der Stadt, endlich vor dem
Volke auf dem Markte.^) Wird seiner Forderung Folge gegeben, so voll-
zieht der Pater patratus des schuldigen Teiles die Auslieferung der für
den Vertragsbruch verantwortlichen Personen und die Bückgabe der etwa
unrechtmässig angeeigneten Sachen,') wird sie verweigert, so nimmt der
Pater patratus der Genugthuung fordernden Partei nach Ablauf einer von
ihm gestellten Überlegungsfrist') abermals in feierlicher Formel die Götter
zu Zeugen, diesmal für den begangenen Rechtsbruch, ^) und zieht nach
') Die ansfQhrliohe Darstellong des Li-
▼iuß I 24, 6—9 wird ergftnzt durch Polyb.
III 25, 6 und Paul. p. 115; aus diesen Stellen
ergibt sich die Doppelheit der exsecratio;
einerseits Schlagen des Tieres (vgl. auch
Liv. XXI 45, 8), andererseits Wegwerfen des
Steins (vgl. auch Flut. Sulla 10), aus Polyb.
a. a. 0., dass das carmen der Fetialen an
Juppiter Mars und Quirinus gerichtet ist
{audi luppiter et tu Jane Quirine Liv. I
32, 10, bloss audi luppiter I 24, 8. 32, 6;
roy ts Jia xal tovs aÜov^ &sovf fAagrvgo-
/Asvos Dien. Hai. II 72, 6).
') Dass auch hier die Verhandlung von
Pater patratus zu Pater patratus stattfindet,
zeigt die Formel, mit der nach vergeblicher
rerum repetUio die Beratung Aber die £r-
dffiiung des Krieges eingeleitet wird: quarum
rerum lUium causa (so MIdvig, cauearum Hss.)
condixit pater patratus populi Romani Quiri-
tium patri patrato Priscorum Latinorum
hominibusque Priseis Latinis, Liv. I 32, 11.
*) audi luppiter . , , si ego iniuste im-
pieque illos Jiomines illasque res dedier mihi
exposco, tum patriae compotem me numquam
siris esse Liv. I 82, 7 (als iusiurandum be-
zeichnet ebd. § 8), ebenso Dion. Hai. II 72, 6 f.
*) Livius gebraucht das Wort bei der
Beschreibung der Fetialriten nicht, mit dem
Acte des res repetere identifiziert wird es
von Plin. n. h. aXII 5. Serv. Aen. IX 52,
vgl. X 14. Arnob. 11 67; dass aber das früh
verschollene (Quintil. VII 3, 13) Wort den
auf völkerrechÜicher Grundlage beruhenden
Bussanspruoh bedeutet, zeigt Lfv. VIII 14, 6
(gegen Velitrae) ut eius, qui ds Tiberim de-
prehensus esset, usqus ad mitte assium elari-
gatio esset.
*) Liv. l 32, 6—8, vgl. Varro de 1. 1. V
86. Dion. Hai. a. a. 0. Serv. Aen. IX 52. X
14; Beispiele Liv. IV 30, 14. 58, 1. X 12, 2,
v^. auch MoMVSEK, Staatsr. H 669, 4.
*) Ein Beispiel ist die Auslieferung des
Brutulus Papius und seiner Habe an die
Römer durch die Fetialen der Samniter, Liv.
VIII 39, 13 f. (vgl. IX 1, 8). Dass man spftter,
wenn der Gonsul in kriegerischer Notlage
mit dem Feinde ohne Zuziehung der Fetialen
einen Vertrag schliesst (auf die Frage, ob
dies foedus oder sponsio ist, gehe ich hier
nicht ein, s. Mommsen, Staatsr. I 237 ff.), statt
diesen zu ratifizieren, den Gonsul durch die
Fetialen an die Gegenpartei ausliefern lässt,
wie es im J. 617 = 137 mit G. Hostilius
Mancinus geschah (s. über diesen Fall und
die ihm nachgebildete Erzählung vom cau-
dinischen Vertrage [Liv. IX 5 ff., wo IX 9, 9
auch die Deditionsformel mitgeteilt wird]
NissBN, Rhein. Mus. XXV 46 ff.), beruht nur
auf einer künstlichen und illoyalen Inter-
pretation des alten ius fetiale.
^) 30 Tage Dionys. Hai. H 72, 8 (nu't
Wiederholung der Forderung nach je 10
Tagen), vgl. Liv. I 22, 5; 33 Tage Liv. I 32, 9
(daraus Serv. Aen. IX 52).
^) audi luppiter et tu lane Quirine
diique omnes caelestes vosque terrestres POs-
que inferni audite: ego vos testor populum
70. Die prieaterlichen Sodalitäten.
479
der Heimat, wo dann auf seinen Bericht hin die Beratung Qher die Er-
öffnung des Krieges erfolgt (Liv. I 32, 11 f.): wird der Krieg beschlossen,
so tritt vor dem Beginne der Feindseligkeiten der Pater patratus noch
einmal in Thätigkeit, indem er sich an die Grenze des feindlichen Gebietes
begiebt und unter Zuziehung von mindestens 3 mannbaren Zeugen eine
in Blut getauchte Lanze ^) in das feindliche Land hinüberwirft und dabei
die Formel der Kriegserklärung ausspricht.^)
Die Wirksamkeit der Fetialen ist durch die veränderten thatsäch-
lichen Verhältnisse, als Rom entfernte und überseeische Kriege führte
und mit Völkern zu thun hatte, die ihrerseits kein entsprechendes sacrales
Rechtsinstitut besassen, mehr und mehr eingeengt worden. Insbesondere
die der etwaigen Kriegserklärung vorangehenden Verhandlungen der Sühne-
forderung sind schon frühe von den Fetialen auf politische Senatsboten
(legati) übergegangen, länger hielt sich die Thätigkeit der Fetialen beim
Abschlüsse des foedus,^) am längsten bei der formalen Kriegserklärung,^)
die freilich nunmehr zu einem symbolischen Akte zusammenschrumpft :
der Fetiale reist nicht mehr an die feindliche Grenze, sondern in der Nähe
des Tempels der Bellona beim Gircus Flaminius (oben S. 138) war durch
Rechtsfiction ein Stück Landes ein für allemal zum Feindesland erklärt
und in dieses warf der Pater patratus von der Grenzsäule aus die Lanze
hinein.^) In dieser Form hat noch Augustus im J. 722 = 32 den Krieg
gegen Kleopatra (Cass. Dio L 4, 5) und im J. 178 Marc Aurel den Marco-
manenkrieg erklärt (Cass. Dio LXXI 33, 3), während Claudius sogar Bundes-
verträge mit auswärtigen Königen zu Rom auf dem Forum nach altem
Fetialritus abschloss;®) in allen diesen Fällen handeln die Kaiser in der
Rolle des Pater patratus; denn wie das Priestertum der Fetialen über-
haupt während der ganzen Kaiserzeit durch den Rang seiner Mitglieder
seine alte vornehme Stellung bewahrt hat, so haben ihm auch die Kaiser
seit Augustus regelmässig angehört.
In viel engeren Grenzen verläuft die Thätigkeit der übrigen priester-
lichen Sodalitäten alter Ordnung, denen durchweg nur die Vornahme be-
stimmter, durch das alte Ritualgesetz nach Zeit und Art genau geregel-
ter Kulthandlungen zugewiesen ist und die darum im Laufe des Jahres
illum . . . iniustum esse neque ius persoU
vere Liv. I 32, 10.
') Liv. I 32, 12: hastam ferratam aut
praeustam sanguineam (so richtig Madvio,
aut sanguineam praeustam Hss.). GeU. XVI
4, 1. Cass. Dio LXXI 33, 3. Amm. Marc. XIX
2, 6. Serv. Aen. IX 52.
>) Die Formel bei Gell. XVI 4, 1 und
besser bei Liv. I 32, 13: quod papuU Pris-
carum Latinarum hominesqus Prisci Laiini
adversus papulum Ramanum Quiritium fece-
runt deliquerunt, quod popultis Romanus
Quiritium bellum cum Priscis Latinis iussit
esse senatusque populi Romani Quiritium
eensuit consensU conscivit, ut bellum cum
Priscis Latinis fieret, ob eam rem ego popu-
lusque Romanus populis Priscorum Latino-
rum hominibusque Priscis Latinis bellum
indico facioque; eine Annifang der Götter
zu ZeugeD findet bei diesem Akte nicht
mehr statt.
») Varro de 1. 1. V 86: fetiales, quod fidei
publicae inter populos praeerant , . . ex his
mittebantur antequam conciperetur {beU
lum), qui res repeterent, et per hos etiam
nunc ftt foedus.
*) Polyb. XIII 8, 7^ /Jp«/t' f^ uXsinetM
na^n *P(Ofjiaioig t^yog in rrj^ aQ^aiag alQe-
aeiDS nsQl td noXsfjUxd ' xal ydg TiQoXiyovct
tovg TioXifjLovg,
») Ovid. fast. VI 205 ff. Paul. p. 83. Serv.
Aen. IX 52. Placid. p. 14, 2 Deaerl.
^) Suet. Glaud 25; vgl. v. Doxaszewski,
Jahresh. d österr. arch. Instit. 11 1899 S. 188.
480
Beligion nnd Knltoa d«r BOmer. IIL Snltns.
jede nur ein oder wenige Male in Funktion zu treten Anlass haben. Die
reichste Wirksamkeit unter ihnen entfalten noch die Salier, eine uralte
Priesterschaft des Eriegsgottes, den sie alljährlich bei Anfang und Beginn
der Eriegszeit durch Waffentänze und begleitende Gesänge zu verherrlichen
und gnädig zu stimmen die Aufgabe haben. 0 Wie der Brauch des priester-
lichen Eriegstanzes in ganz Latium herrschte,') so haben auch die beiden
Gemeinden, die später zur Stadt Rom verschmolzen, die palatinische und
die quirinalische, jede ihre eigene Tanzpriesterschaft besessen, die auch nach
Vollendung des Synoikismus neben einander bestehen blieben als Salii
Palatini und Salii Collini oder Agonenses;') es sind zwei getrennte Priester-
schaften von je zwölf Mitgliedern,^) jede unter einem Magister stehend,^) mit
getrennten Dienstgebäuden <') und eigenen Ritualbüchem und Protokollen;^)
aber im Dienste treten sie in historischer Zeit stets vereint auf: wenn ur-
sprünglich die palatinischen Salier dem Mars, die collinischen dem Quirinus
Renten, ^) so steht das vereinigte Priest ertum unter dem Schutze der Götter-
trias Juppiter Mars Quirinus.^) Als Priester kriegerischer Bedeutung kenn-
zeichnet sie ihre Tracht, die für beide Elassen von Saliern die gleiche ge-
wesen sein muss: über dem blutroten Eriegsgewande, der Trabea,^^) trugen
*) /o^cvra^ uy^g sUn xal vfiytjTal xtoy
MnXtay »stuy Dion. Hai. II 70, 2 ; die Ab-
leitung a saliendo ist ganz allgemein, Varro
de 1. 1. V 85 : aalii ab salUando quod faeere
in certis sacris (Hs. in eomitiis in 8<icri8)
qiwtannis et solent et debeni. Dion. Hai. II
70, 4. Ovid fast. HI 387; Fest. p. 326. 829.
Plut. Numa 18. Serv. Aen. VIII 285. 663 (vgl.
II 825) haben daneben noch eine hellenisie-
rende Ableitung.
') Salier kennen wir ausser in Alba und
Lavinium (oben S. 448 A. 8. 5) auch in Tus-
culum (Serv. Aen. Vm 285), Aricia (CIL XTV
2171), Anagnia (CIL X 5925 f.) und besonders
in Tibur, wo sie dem Hercules dienten (Maor.
S. m 12, 7. Serv. a. a. 0. CIL XIV 3601. 3609,
18. 8612. 8673. 8674. 8689). Die Salier in
Obentalien (CIL V 1978. 2851. 4492. 6481)
und Saguntum (CIL ü 3853 f. 3859. 8864 f.
6055) beruhen sicher auf Entlehnung von
Rom oder Bomanisierung eines verwandten
einheimischen Eultbrauches.
') Die Inschriften kennen nur die beiden
Namen Salii Palatini und Salii Collini; für
die letzteren ist durch Varro de 1. 1. VI 14
auch der Name Agonenses {^AyioyaXeTs Dion.
Hai. II 70, 1) bezeugt; nach Fest. p. 254 (vgl.
Paul. p. 10) war Agonus der alte Name des
Quirinal, und für diese Ableitung von Ago-
nenses spricht das die lokale Herkunft be-
zeichnende Suffix ^enses und die Analogie
der Salii Palatini.
*) Die Zwölfzahl der älteren Salier be-
zeugen Dion. Hai. II 70, 1. Liv. I 20, 4, die
Verdoppelung der Zahl durch Hinzufügung
der zweiten Genossenschaft Dion. Hai. ]Ü82,4.
Liv. 1 27, 7 ; über die angeblichen Salii Pavorii
und Pallorii s. oben S. 135 A. 8. Eine Schei-
dung in iuniores und aenioinu, wie man sie
auf Grund von Verg. Aen. VIII 285 ff. {tum
salii . . adsunt . . hie iuvenum horus, iüe
senum) angenommen hat, ist praktisch eben-
sowenig durchführbar, wie die angebliche
Drittelung der Dienstzeit der Vestalinnen
(oben S. 436 A. 9), und wird durch Diomed.
p. 476 E. cum (Numa) salios iuniores aequis
gressibus cireulantes induceret nicht bezeugt.
') Das muss jedenfalls angenommen
werden, obwohl es nirgends bezeugt ist; ge-
nannt wird ein magister bei den Saliern
Val. Max. 1 1, 9. Hist. aug. M. Anrel. 4, 4,
auch in Alba (CIL VI 2170) und Saguntum
(CIL n 3864 f.).
A) tay iy JlaXarit^ xsttai rd Ugd DiOD.
Hai. II 70, 1 von den Palatini, aiy t6 Uqih
(pvXdxioy iifxiy int tov KoXXiyov Xotpov (thö-
rieht) von den Collini; die curia sdliorum
quae est in Palatio erwähnt Cio. de div. I 30
(sacrarium saliorum bei derselben Gelegen-
heit Val. Max. 1 8, 11, xaXuig ror "Jgeog Dion.
Hai. XIV 5. Plut. CamiU. 32).
^) in libris saliorum auorum cognomen
est Agonensium Varro de 1. 1. VI 14; Mit-
gliederverzeichnis der Salii Palatini CIL VI
1977 ff.
') Mars als Gott der älteren Salier Liv.
I 20, 4, vgl. Serv. Aen. VUI 285, Mars und
Quirinus ids Götter der ancüia Liv. V 52, 7,
Quirinus allein Stat. silv. V 2, 129 ff.
*) salios, qui sunt in tutela lovis Mortis
Quirini Serv. Aen. VIII 663.
*^) ttjßiyyas ifjmsnoQnfjfjtiyoi negMog<pv^
Qovg (poiyixonaQVfpovg, ag xaXovci toaßiag,
Dion. Hai. II 70, 2; g>oiyixo€g Msavfiiyo^
Xixtovicxovg Plut. Numa 18; tunicapicta Liv.
I 20, 4.
70. Die prieBterlichen Sodalit&ten.
481
sie einen metallenen Brustschutz, 0 zur Seite das Schwert, auf dem Haupte
eine helmartige Kopfbedeckung mit aufragender Spitze,^) insbesondere aber
führen sie bei ihren Umzügen die dem Kriegsgotte heiligen Lanzen und
Schilde,^) die für gewöhnlich in einem Räume der Regia aufbewahrt^) und
zum jedesmaligen Gebrauche unter besonderen Feierlichkeiten hervorgeholt
werden;^) die ganze Zeit, während der diese heiligen Waffen aus ihrem
Gewahrsam entfernt in den Händen der Priester sich befinden, gehört zu
den dies religiosi (oben S. 377 A. 6). Solche Zeiten, in denen die Salier die
Waffen hervorholen und ihre Umzüge mit ihnen halten {arma ancüiamovent),
sind der März und der Oktober (s. darüber oben S. 131), und insbesondre
sind die beiden einander entsprechenden Festakte der Waffenweihe vor und
nach dem Feldzuge, die Quinquatrus am 19. März und das Armilustrium
am 19. Oktober, diejenigen Tage gewesen, an denen die Salier ihre Kunst
zu zeigen hatten. In Gegenwart der ganzen Staatspriesterschaft und unter
dem Schalle der Kriegshörner treten sie zusammen mit der vom Tribunus
celerum angeführten römischen Knabenreiterei auf, um so einen doppelten
Waffenreigen, zu Fuss und zu Pferde, dem Kriegsgotte zu Ehren aufzu-
führen ; nur der Ort der Feier ist ein verschiedener, im März das Comitium,
im Oktober ein nach dem Feste benannter Platz auf der Höhe des Aventin.^)
') aeneum pectori tegumentum Liy. a. a. 0.,
j^ixtavaq noixiXovg }[aXxttt^ fjLixQaig xaieCtoa-
fiivoi Dion. Qal. Plut. aa. 00., Über zur Ver-
anschaolichung geeignete Grftberfande s.
Hblbig bei Marqüasdt, Staatsverw. III 432, 5.
') tag »aXovuivag dnixag inixeifißyoi-
ratg xefpaXaig, niXovg wjnjXoi^g Big <iXVf*^
üvyayofAäyovg xatyoBidig . . . naQ^^toatai
d*ixaütog avttoy Hfpog Dion. Hai. a. a. 0.,
XQaytj /ailxa Plnt. a. a. 0.
fj n xoiovS^ itSQoy xgaXBt, xj d^ettayv/Ato
xaräxBt n^Xxrjy Sgffxiay Dion. Hai. a. a. 0.,
iyXWidloig fiixQotg xa onXa XQOvoyxeg Plnt.
a. a. 0. Die Form des Salierschildes, ancile,
nach mehrfach erzählter Sage (Dion. Hai. Ü
71, 1 f. Plnt. Numa 13. Ovid. fast. EI 373 ff.
Paul. p. 131 ; vgl. Senr. Aen. VII 188 u. a.)
dem unter Numa vom Himmel gefallenen
Schilde nachgebildet, war sowohl nach der
ausdrücklichen Angabe des Dion. Hai. II 70,3
als nach den Beschreibungen der Alten (Varro
de 1. 1. Vn 43: aneüia dieii ab athbecisu,
quod ea arma ab tUraque parte, ut Thracum,
incisa. Paul. p. 10: quia ex utroque latere
erat reeisum, %U summum infimumque eins
latiiis tnedio pateret; vgl. Plut. Numa 13) die
des thrakischen Schildes, oval mit halbkreis-
förmigen Einschnitten an beiden Seiten, wie
ihn auch die Juno Lanuvina trägt (z. B. an
dem Münchener Eandelaberfasse Müllbb-
WiBSBLBR, Denkm. I 299 b und ähnlich auf
den Münzen, s. oben S. 117 A. 10). Die angeb-
lichen Salierdarstellungen mit runden Schil-
den auf Münzen des Domitian (Cobbn, m^d.
imp. I' 476 nr. 72) und Reliefs (Bbnndorf,
Annali d. Inst. 1869, 70 ff. E. Sohvlzb, Alte
HandbQoli der klui. AltertnmiirlneiMchaft. V, 4
Handzeichnung eines Reliefs mit Darstellung
eines Salierumzuges, St. Petersburg 1873)
haben mit den Saliern nichts zu thun; s.
MoMMSBN, Ephem. epigr. VIII S. 246 Anm. 1
und E. Pbtbbshv, Rom. Mitteil. VII 1892 S.
259 ff.
*) Dass das sacrarium Martis, in dem
die ancilia lagen (SerY. Aen. VII 603 : nam
moria fuerat indicto hello in Martis aacrario
aneüia commovere), identisch war mit dem
sacrarium regiae, das die hastae Martis barg
(Gell. IV 6, 2), zeigt Serv. Aen. Vill 3: nam
is qui heUi suseeperat curam, sacrarium
Martis ingressus primo aneüia commovebat,
post hastam simulacri ipsius dieens ,Mar8
vigüa\
^) Hierher gehört vielleicht das sacri-
fieiumf das die Saliae virgines in regia
cum pontificibus darbringen; diese Saliae
virgines wirken gegen Entgelt mit {eonduc-
ticiae), tragen also keinen priesterlichen
Charakter, doch erscheinen sie wie die Salier
in kriegerischer Ausstattung (paludatas cum
apicibus in modum saliorum)^ Fest. p. 329.
*) So wird man die Nachrichten über
beide Feste kombinieren dürfen; für die
Quinquatrus Charis. p. 81: Quinquatrus . .
o quinquando id est lustrando, quod eo die
arma ancilia lustrari sint solita und Fast.
Praen. z. 19. März: [sali] faciunt in comitio
saltu [adstantüms pojntificibus et tribunis
celerum, für das Armilustaium Varro de 1. 1.
VI 22: Armilustrium ab eo qtu>d in armi-
lustrio armati sacra faciunt, nisi locus potius
dictus ab his; sed quod de his prius, id ab
ludendo aut lustro, id est quod circumibunt
ludentes ancüibus armati. Paul. p. 19: Armi-
31
482
Beligion und Knltna der BOmer. IIL Xnlias.
Die Kriegshörner, die bei diesen Festen nur die Begleitung abgeben,
spielen die Hauptrolle an den beiden als Tubilustrium bezeichneten Tagen,
am 23. März und am 23. Mai, die, wie ihr Name zeigt, für die Weihe
und Sühnung der tubae bestimmt waren und an denen auch die Salier in
nicht mehr genauer zu ermittelnder Weise mitwirkten ;i) in erster Linie
aber waren an diesen beiden Festen die tubicines sacrorum populi Bomani
beteiligt,^) Leute, die ursprünglich gewiss ebenso zu den Apparitoren der
Priester gehörten wie die Tibicines (oben S. 427), dann aber zu Staata-
priestem erhoben wurden und in der Eaiserzeit Männer von Bitterrang
waren. 3) Vom Verlaufe der saliarischen Festlichkeiten im einzelnen haben
wir nur eine sehr unvollkommene Vorstellung: jedenfalls durchzogen die Salier
genau vorgeschriebene Strassen, um dann an bestimmten Örtlichkeiten ^)
Halt zu machen und zum Reigentanze anzutreten, der sich natürlich auch
in durch Ritual und Überlieferung streng vorgeschriebenen Formen be-
wegte und den Späteren plump genug vorkam (Seneca epist. 15,4): bald
als Ganzes, bald in Zügen und Qegenzügen bewegten sie sich in kunst-
vollen Windungen im Dreitakt, unter reichlichem Aufstampfen und lautem
Zusammenschlagen der Schilde und Lanzen.^) Dazu sangen sie ihr altes,
lustrium festum erat apud Romanos, quo res
divinas armati faciebant ac dum sacrificarent
tubis canerent. Ueber die Anffühnuig des
Ladus Troiae durch die römischen Knaben
8. oben S. 382; über die Oertlichkeit des
Armilastriom Hülsbk bei Fault -Wissowa,
Real-Encycl. U 1189 f.
') Direkt bezeagt das nur Ljd. de mens.
IV 42 far den 23. März (xa&uQiÄog aaXmyyos
xal »iyrjais rtSv Önkiov)^ es geht aber daraus
hervor, dass dabei der in der curia saliorum
auf dem Palatin (oben S. 480 A. 6) aufbewahrte
sog. Lituus des Bomulus, der thatsftchlich
vielmehr eine Tuba war (Mommsbn, Staatsr.
m 386, 6), eine Rolle spielte (Fast. Praen.
z. 23. M&rz: [feriaej Mortis, hie dies appel-
taiur ita, quod in atrio sutorio tubi lustran--
tur, quibus in sacris utuntur [ebenso Varro
de 1. 1. VI 14]. LtUatius quidem clavam eam
ait esse in ruinis P<tfa[ti ijncensi a Gallis
repertam, qua Romulus urbem inauguraverit;
auf den Palatin weist auch Fest. p. 352:
[tubüustria] quibus diebus adscriptum in
[fastis est, in atrjio sutorio agna tubae ßu-
strantur, quosj tubos appeÜant, quod genus
flustrationis exJArcadia Pallanteo trans-
[latum esse dieuntj) und dass an den mit
Q{uando) R{ex) C{omitiavit) F(as) bezeich-
neten Tagen (24. M&rz u. 24. Mai), welche
Nachtage zu den beiden Tubilustria dar-
stellen (oben S. 372), ausser dem Rex auch
die Salier in Thätigkeit sind (Fest. p. 178).
*) Fest. p. 352 : tubicines etiam hi appeU
lantur, qui sacerdotes viri speciosi publice
Sacra faciunt tubarum lustrandarum gratia,
Varro de 1.1. V 117: tubae a tubis, quos etiam
nunc ita appeUant tubicines sacrorum; nach
Gell. I 12, 7 hat tubicinis sacrorum fUia va-
catio vom Amt der Vestalin wie die sponsa
pontificis, Inschriften von Tubicines sacro-
rum p. R. CIL IX 3609. X 5393 f. 6101.
>) MoMMSEN, Staaiar. m 567 f.
*) ifiä r^g noXstog ayotfci rovc x^^f
etg te xtjv dyogdy xai ro KaniraiXioy xal
nokXotig dXXovg i^iovg xe »al dtjfjioiriovg ro«
novs Dion. Hai. II 70, 2; von letzteren
kennen wir noch das Comitium und das
Armilustrium (oben S. 481 A. 6); dass sie auch
auf dem Pens Sublicius tanzten, ist nicht
bezeugt, denn Serv. Aen. II 166: pontifiees a
ponte sublicio . . appeÜaios tradunt, sieut
saliorum carmina loquuntur, besagt nur, dass
die Etymologie aus Aelius Stilos Kommentar
zum Salierliede stammt, und Catull. 17, 5:
pons . . ., in quo vet Salisubsüi saera sus-
cipiantur bezeichnet nur den plumpen Stampf-
tanz der Salier als gute Belastungsprobe rar
eine Brücke.
^) Plut. Numa 18: «7 (f^ dx/Aij rijg oqxV'
aeiog nodwy i^you icxiv * xiyovytai ydg im-
TSQTiofg, kXiyfJLOvg jivag xal fAeraßolag iv
§v9fA(^ xd^og Bxotrn xal nvxydtfjra fjistd
^iofAtig xal xov<p6tf^Tog dnodMyrsg, Dion.
Hai. II 70, 5 xivovyxai ydg ngog avXoy (eben-
so HI 32, 4, kaum richtig, da die tubae zu
den Saliern gehören ; s. oben A. 1 und Calp.
ecl. 1, 65) iv ^vd-fAt^ rag iyonXlovg xinjcetg
rotd (jLku ofMv, xotk ^^ noQaXXd^. Fest,
p. 270 redantruare dicitur in saliorum ex-
uUationibuSf quod cum praesui amptruavU,
id est motus edidit, ei referuntur invicem
Odern motus. Lueüius ,praesul ut amptruet
hinc, ita vulgus redamptruet inde', Liv. 1 20, 4
cum tripudiis soUemnique saitatu, vgl. Serv.
Aen. Yin 663. Lact. inst. I 21, 45. Hör. carm.
IV 1, 28 ffi morem salium ter quatient humum
70. Die prieBterliohen Sodalitäten.
483
ihnen selbst nicht mehr verständliches (Quintil. I 6, 40) Lied,^) eine Art
von Litanei, bestehend aus Anrufungen teils der römischen Staatsgötter
im allgemeinen^) teils jedes einzelnen von ihnen, vielfach unter uralten,
von den späteren Erklärem missverstandenen Indigitationsformen.^) Opfer-
handlungen waren mit diesen Salierumzügen wohl kaum verbunden,^) be-
schlossen aber wurde jeder Festtag durch ein Festmahl, das die Priester
in irgend einem dem Orte ihres jeweiligen Auftretens nahe gelegenen
Tempel abzuhalten pflegten.^) In der Kaiserzeit ist der Dienst der Salier,
wie der aller Priestertümer, zum Kaiserkulte in Beziehung gesetzt worden,
und zwar in der Weise, dass unter die Anrufungsformeln des Salierliedes
auch solche an die Divi imperatores und den Genius des regierenden Kaisers,
vereinzelt auch an nicht consecrierte verstorbene Angehörige des Kaiser-
hauses aufgenommen wurden (s. oben S. 285 Anm. 8).
Den Saliern steht nach Alter und Organisation sehr nahe die dem
Dienste des Gottes Faunus geweihte Wolfsgilde^) der Luper ci, auch sie
ein Doppelpriestertum, bestehend aus zwei gleichartigen Genossenschaften,
von denen von Haus aus die eine zur palatinischen, die andere zur quiri-
nalischen Gemeinde gehörte. Diese Genossenschaften waren aber ursprüng-
lich nicht nur jede an ihre Gemeinde, sondern auch an ein bestimmtes
Geschlecht derselben gebunden, und die Erinnerung daran hat sich für
alle Zeiten in den Namen der beiden Sodalitäten, Luperci Quinctiales und
*) Die Brachstacke bei G. M. Zandbb,
CarmiDis Saliaris reliquiae, Land. 1880. B.
Maübbnbbechbb, Jahrb. f. Philol. Sappl. XXI
(1894) 315 ff.; vgl. namentlich Jobdan, Krit.
Beiträge z. Gesch. d. lat. Sprache S. 21 1 ff.
') Paal. p. 3: axamenta dicebantur car-
mina aaliaria, quae a saliis eanebantur (so
Dacibb, eomponebantur Hss.) in omnea deoa
(so 0. MüLLEB, hominea Hss.) eomposita;
nam in deos singulos veraua fctcti a nomini-
bus eorum appeUahcmtur , ut lanii lovii
{lanii lovii Pbbllkb, lanvii Hss.) lunanii
Minervii; s. aach Wissowa, Real-Encvcl.
II 2624.
*) z. B. Janas als duonus eerus (Varro
de 1. 1. VII 26, vgl. Paal. p. 122), Jappiter als
Lucetiu8 (Macr. S. I 15, 14, vgl. Ter. Scaor.
p. 28 K. and oben S. 100 A. 3), Jano als Lueia
Volumnia (so wohl zn lesen, Varro de 1. 1. IX
61), Mars mit der Anrafting Matnuri Veturi
(Varro de 1. 1. VI 49, vgl. Paal. p. 131), aas
der dann die Geschichte vom Verfertiger der
falschen Ancilia Mamarios Vetarios and der
Aafnahme seines Namens ins Salierlied so-
wie die entsprechende Benennang der beim
Branche des Winteraastreibens geprflgelten
Figor (s. über die Mamnralia oben S. 134 A. 2)
abgeleitet sind.
^) Das Vorkommen des Wortes inaieia
im Sfdierliede (Varro de 1. 1. V 1 10) beweist
dafür nichts, noch weniger die Erwähnang
des Wortes moVuerum in Aelins Stiles Kom-
mentar (Fest p. 141).
^) Im Tempel des Mars Ultor speisen
sie in dem von Säet. Claad. 33 erwähnten
Falle; vgl. Fest. p. 329: salios, quibus per
omnis dies ubicumque manent . . amplae po-
nuntur eenae; die von den Pontifices Vestae
im 4. Jahrhnndert wiederhergestellten man^
siones aaliorum PaUUinorum (CIL VI 2158)
waren wohl kanm Stationshänser, sondern
ein Ersatz für die alte curia ScUiorutn in
Palatio (oben S. 480 A. 6). Ueber die cenae
saliares s. oben S. 429 A. 4.
^) Lupercus = lupus fasst Cicero
pro Cael. 26, wenn er die Loperci bezeich-
net als fera quaedam sodcuüas et plane
pastaricia atque agreetis germanorum luper-
corum (d. h. echter Wölfe) ; das Wort kann
aach etymologisch nichts andres bedenten,
wie Jobdan, Krit. Beitr. S. 164 f. gegenüber
den bei Mabqüabdt, Staatsverw. in 439, 4
zusammengestellten anderweitigen Deatangs-
versucben richtig aasführt. Was daza fQhrte,
die Priester des Gottes als Wölfe za be-
zeichnen, wird sich kanm mehr ermitteln
lassen; davor, die Ursache in der Bedea-
tnng des von ihnen verehrten Gottes zn
Sachen, warnt der Umstand, dass die gleiche
Bezeichnang, nar in der samnitischen Form
Mrpi (Paal. p. 106. Strabo V 250), für die
Priester des Gottes vom Berge Soracte vor-
kommt (Plin. n. h. VII 19 = Solin. 2. 26.
Serv. Aen. XI 785), der seinem Wesen nach
von Faanas sehr verschieden ist (s. oben
3. 191). Die aQxroif tavQoi, Vnnoi, fiäXiaaai
griechischer Gottesdienste helfen, so nahe die
Vergleichang liegt, nicht weiter.
81*
484
Religion and KoltoB der SOmer. IIL KoltuB.
Luperci Fabiani, erhalten;^) eine dritte zu Ehren Caesars im J. 710 = 44
errichtete Genossenschaft, die der Luperci Julii, ist bald wieder aufgehoben^)
und auch von Augustus nicht erneuert worden, da sich der Eaiserkult
andere Formen schuf. Wie stark jede Genossenschaft war, ist nicht über-
liefert, doch wird die Zwölfzahl durch die Analogie der Salier und Arval-
brüder nahegelegt;') ob der mehrfach erwähnte Magister der Luperci^) der
Gesamtpriesterschaft oder nur einer der beiden Abteilungen vorstand, ist
nicht mit Sicherheit zu sagen, doch ist das erstere deshalb wahrscheinlich,
weil bei den Luperci die Verschmelzung der beiden ursprünglich selb-
ständigen Priestertümer oder vielmehr das Aufgehen des quirinalischen
in dem palatinischen sehr viel vollständiger erfolgt ist, als bei den Saliern.
Während in den Inschriften die Salier regelmässig als Salii Palatini oder
Collini bezeichnet sind, finden wir nur ganz ausnahmsweise dem Worte
lupercus die Sonderbezeichnung hinzugefügt,^) von getrennten Diensträumen
oder Bitualbüchem haben wir keine Kunde, vor allem aber konzentriert
sich der ganze Dienst der Gesamtpriesterschaft auf das eine untrennbar
mit dem Palatin verbundene Fest der Lupercalia : es hat also wohl nicht,
wie bei den Saliern, eine Vereinigung ursprünglich selbständig neben-
einander bestehender Priestersodalitäten stattgefunden, sondern mit dem
Dienste des Faunus am Lupercal ist bei Abschluss des Synoikismos ausser
den palatinischen Quinctiern auch ein Geschlecht der Hügelgemeinde, das
der Fabier, betraut worden, und daraus ist die Zweiteiligkeit der nur
einem Dienste gewidmeten Priesterschaft erwachsen.*) Die Luperealien-
feier (s. oben S. 172 f.) wird nicht allein von den Luperci vollzogen, die
ganze im PontificalcoUegium vereinigte Staatspriesterschaft ist an ihr
beteiligt (oben S. 445 A. 8), aber das Opfer eines Bockes und eines Hundes
vollziehen die Luperci selbst,^) und ihre spezielle Aufgabe ist der vom
') Ftibiani und Quintüiani nennt Paal.
p. 87 (bei Fest. p. 257 \ 15 ist im Farnesi-
nus nur Quincti, nicht wie 0. MOllbb gibt,
Quinctili erhalten), Fabier und Quintilier
Ovid. fast. II 377 ff. Vict. orijgo 22, 1, nur die
ersteren Prep. IV 1, 26; die Zugehörigkeit
der Fabier zur Quirinalgemeinde steht durch
Liv. V 46, 2. 52, 3 fest. Dass aber die an-
deren Luperci nicht zu den Quintilii, sondern
zu den Quinctii gehörten und Quincticdes
hiessen, beweist die Inschrift eines lupercus
Quinctial(i8) vetus CIL VI 1933 und die
glänzende Entdeckung Mommsbn's (Rom.
Forsch. I 17, vgl. Rom. Gesch. I 51 Anm.),
dass das nur bei den Quinctiern und Fabiem
vorkommende Praenomen Kaeso auf das
februü caedere der Luperoalien hinweist.
•) Gass. Dio XLIV «, 2. XLV 30, 2. Suet.
Gaes. 76; schon vor dem April 7il = 43
ist die Aufhebung erfolgt, Cic. Phil. XIII 31
und bei Non. p. 273, 5.
') Vgl. auch P&BLLKB, Rom. Mythol. I
388 3
' *) Mag(%8ter) luperc(orum) GIL X 6488.
Notiz, d. scavi 1898, 406; mag(ister) colleg(ii)
lupercor(um) CIL XIV 2105.
^) Nur CIL VI 1933 lupercus Qumctia-
l(i8} vetus und XI 3205 lupercus Fabianus.
'^) Die sogenannte Ueberliefemng Ober
die Einsetzung der Luperci und Gründung der
Lupercalia s. bei Sobwbglsb, Rom. Ghasch. I
351 f. 386; vor dem wüsten Aufsätze von
G. F. Ungbb, Rhein. Mus. XXXVI 1881 S. 50 ffl,
dem auch Cbüsiüs ebd. XXXIX 1884 S. 164 ff.
zu viel vertraut, ist eindringlich zu warnen.
') Die Annahme, dass der von Ovid.
fast. II 282 als beteiligt erwähnte Flamen
Dialis das Opfer dargebracht habe, ist un-
haltbar, weil dieser Priester weder Ziege
noch Hund berflhren darf (GelL X 15, 12.
Plut. Qu. Rom. 111); das Hundeopfer be-
zeichnet Plut. Rom. 21; Qu. Rom. 68 (vgl
111) direkt als von Luperci dargebracht,
bei dem des caper (Serv. Aen. VIU 843.
Val Max. U 2, 9. Ovid. fast. H 445, fälsch-
lich capella ebd. 361; alyeg Plut. Rom. 21)
wird der Opfernde nicht ausdrQcklioh ge-
nannt Vgl. Varro de 1. 1. V 85 : luperci quod
Lupercalibus in lupercaU scicra faciuiU.
VI 13: Lupercalia dicta quod in LupercaU
luperci sacra faciunt.
70. Die prieBterliohen Bodalitäten.
485
Lupercal ausgehende und bei ihm endende, über die Sacra via führende
Umlauf um den Fuss des Palatin, bei welchem sie gesalbt und nackt bis
auf ein um die Hüften geschlagenes Ziegenfell auftreten und mit den aus
der Haut des geopferten Bockes geschnittenen Biemen (februa) die ihnen
entgegentretenden Frauen in die hohle Hand schlagen, was diesen Frucht-
barkeit und leichte Entbindung verleihen soll.^) Dieser für den Geschmack
späterer Zeiten ans Burleske streifende Aufzug, von dem die Luperci
selbst den Namen Böcke {creppi, Paul. p. 57) erhielten,') hat schon, ehe er
den Spott und die Entrüstung der christlichen Schriftsteller hervorrief,^)
für das römische Schicklichkeitsgefühl etwas Anstössiges gehabt, und dies
hat wohl dazu beigetragen, dass das Priestertum der Luperci am Ende
der Republik zwar nicht wie andere einging, aber Leuten niederen Standes,
sogar Freigelassenen, anheimfiel (oben S. 421 A. 7) und auch bei der Beform
der Priesterordnung durch Augustus^) nicht wie die übrigen alten Sodali-
täten dem senatorischen Stande vorbehalten, sondern zu den ritterlichen
Priestertümern geschlagen wurde (oben S. 422). Für diesen Stand aber
hat es eine derartige Bedeutung gewonnen, dass es für solche Leute,
denen der Kaiser das Bitterpferd verliehen hatte, eine besondere Auszeich-
nung war, als Ehrenmitglied in die Luperkersodalität aufgenommen zu
werden^) und als solches einmal den Festumlauf mitzumachen,^) und die
Lupercalia geradezu, wie die Transvectio equitum am 15. Juli, zu einem
Spezialfeste des Bitterstandes wurden.^)
Wie die Luperci für den Sühnumlauf um die Stadt, so sind die
Fratres Arvales eingesetzt zur Feier des Flurumganges im Frühlinge,
der die Saaten vor aller Gefahr schützen soll:®) es war eine Genossen-
0 Dion. Hai. I 80. Plnt. Rom. 21 ; Gaes.
61 ; Qa. Rom. 68. Paul. p. 57. Justin. XUII
1, 7. Nicol. Dam. vita Gaes- 21; aetiologische
Versuche zur Deutung der Nacktheit und
des Schiagens mit den Riemen bei Ovid.
fast, n 267 ff. Val. Max. II 2, 9. Serv. Aen.
VIII 343. 668 n. a.; dass die Schläge in die
hohle Hand erfolgten, zeigen Juven. 2, 142
und Flut. Gaes. 61; die Sacra via erwähnt
Augustin. de civ. dei XVIU 12 (vgl. über die
Linie des Umlaufes auch Tac. ann. XH 24).
*) Auf dieses halbtierische Auftreten
geht wohl (trotz MomsBii, Rom. Forsch. II
38 A. 33) der etwas gesuchte Ausdruck
Varros de 1. 1. VI 34 : lupercis nudis lustra-
tur antiquum oppidutn Palatinum gregihus
humania cinctum (a regihus Romanis
moenibu8 cmctum Mommsbn).
*) Lact. inst. I 21, 45. Prud. peristeph.
X 161 ff.; contra Symm. U 862 f.
^) Einen Versuch zur Hebung des Prie-
stertums stellt es jedenfalls dar, wenn ÄU'
gu8tu8 LuperccUibus vetuit currere imherbes,
Snet. Aug. 31.
^) Die Ergänzung des ürsinus bei Fest,
p. 257^ 16 f. quarum numferum postea auc-
tum esse, quia hojnoris grcAia [muUi m lu-
percis adscribehantur] erhält durch die in
Anm. 6 erwähnten Inschriften ihre Bestä-
tigung und Erläuterung.
^) So verstehe ich den eques Romanu^,
qui ei lupercus cucwrrü GIL VI 2160 und
die in Gaesarea Mauret. zweimal (GILVIÜ
9405 f. und Ephem. epigr. V 1011) vorkom-
mende Bezeichnung equo püblico exortuUo
sacrisque lupercalibus functo, auch der
lupercus desig(natus) CIL XIV 3442 weist
auf ein solches Verhältnis hin; dass die
ausserhalb Roms zerstreut vorkommenden
Luperci (GIL IH 1868. X 1712. XII 3183.
3184. Obelli-Hbnzbn 6008) nicht dem muni-
cipalen, sondern dem römischen Gottes-
dienste angehören, hat Hbnzbn, Annali d.
Inst. 1863 S. 279 f. mit Recht hervorgehoben.
^) Val, Max. H 2, 9: equestris vero or-
dinis iuventus omnibus annis bis 'urbem
spedaculo sui sub magnis auctoribus cele-
brabat LuperccUium enim mos a Romülo
et Bemo incohatus est , , , trabeatos vero
equites idtbus luliis Q, Fabius transvehi
instituit. Daher erklärt es sich auch, dass
die römische Ritterschaft die Statue des
Drusus, Sohnes des Tiberius, beim Lupercal
aufstellt (GIL VI 912 b 9, wo nach p. 841 zu
lesen ist in Lupercali pfositaj),
•) Varro de 1. 1. V 85: fratres Arvdles
486
Beligion nnd KnltiuB der BOmer. in. Kultiu.
Schaft von 12 Mitgliedern, uralten Ursprunges, aber am Ende der repu-
blikanischen Zeit so vollständig verfallen, dass die durch Augustus in der
Zeit zwischen 718 = 36 und 733 = 21 herbeigeführte 0 Neugründung dets
Dienstes nicht überall mehr das alte Ritual vollständig herstellen konnte.^)
Das alte Marsfest der Ambarvalia (oben S. 130), bei dem die Opfertiere,
Stier, Schafbock und Schwein, um die ganze römische Feldmark herum-
geführt wurden (Serv. Ecl. 3, 77, vgl. 5, 75. Macr. S. III 5, 7), war seit der
grösseren Ausdehnung der letzteren in dieser Form nicht mehr durchführ-
bar und, ähnlich wie es bei den Terminalia (S. 125) und Robigalia (S. 162)
geschah, aufgelöst worden in eine Reihe von Opfern an bestimmten Ört-
lichkeiten der Grenze des ager Somanus antiquus, wobei seit dem Erlöschen
des Priestertums der Arvalbrüder in der späteren republikanischen Zeit
die Pontifices fungierten.^) An einem dieser Grenzpunkte, beim fünften
Meilenstein der Via Campana, lag seit Augustus das Heiligtum und der
Hain, an den sich der Dienst der von neuem ins Leben gerufenen Arval-
brüderschaft knüpfte;^) mit der Vollziehung des Grenzumganges ist das
Opfer der Suovetaurilia und die Beziehung des Kultes auf Mars weg-
gefallen,^) der Götterdienst der Arvalen gilt der als eine Indigitation der
Ceres anzusehenden Dea Dia (oben S. 161), und ihr feiern sie alljährlich
im Mai, wo die Saaten der Ernte entgegenreifen, das Fest der Fürbitte
für das Gedeihen der Felder und Fluren, das an die Stelle der alten Amb-
arvalia getreten ist.^) Wie diese ist es ein Wandelfest, das der Magister
dicH, qui sacra publica faciunt propterea,
ut fruges ferant arva, a ferendo et arvis
fratres arvales dicH (folgt eine zweite Ety-
mologie von fratria). Paul. p. 5: ambarvales
hoatiae dicehantwr, quae pro arvis a duo-
decim (so Augüstikub, a duohus Hss.) fra-
tribus sacrificabantur,
*) Ueber die Zeit s. £. Hula, Arch.
epigr. Mitt. aus Oesterr. XV 1892, 23 ff. nnd
JB). BoBMANN, Benndorf- Festschrift (1898)
S. 283 ff.
') Erst an diese Arvalbrüder der Kaiser-
zeit knflpft die znr Erklärung des Bruder-
namens und der Zwölfzahl aufgestellte Hy-
pothese des Masurius Sabinus über die Ent-
stehung der Priesterschaft an (Gell. VII 7, 8.
Plin. n. h. XVIII 6; vgl. Fulg. de abstrus,
serm. p. 560 Merc); die auf diese Hypothese
gegründeten Kombinationen vouE. Hoffmann,
Die Arvalbrüder, Breslau 1858 (die durch
die Wiederholung Jahrb. f. Philol. CLV 1897,
55 ff. nicht besser geworden sind) und E.
Baehbens, Jahrb. f. Philol. GXXXI 1885,
785 ff. sind in die Luft gebaut.
*) Strabo V 230: fieia^v yovv tov nifin-
tov xai rov ixrov Xi^ov rdiiy td f^iha dia-
ffrjfÄaiyorrety Ttjg 'P(6f4tjs »aXeitai rono^ 4^-
aroi. toitoy di oQor dnotpaivovct trjg tote
'PtofÄaia)y yfs, oV &*UQOuy^'fioy$g ^vaiay
initeXotaiy irrav^d re xai iy dXXois toteois
nXeloaiy (Js oqIois av&fjfxsQoyy rjy xaXovffiy
'jifÄßaQoviay,
*) Die bei den Ausgrabungen an dieser
Stelle gemachten reichen Funde, namentlich
von Protokollen über die Sitzungen und Kult-
handlungen der Arvalen, sind veröffentlicht
und kommentiert von G Mabini, Gli Atti e
Monumenti dei Fratelli Arvali, Roma 1795.
W. Hbnzen, Acta fratrum Arvalium quae
supersunt, Berolini 1874, auch CIL VI
p. 159 ff. nr. 2023—2119; Nachtrüge bis 1892
von HtJLSEN, Ephem. epigr. VIÜ p. 316 ff.,
neuere Funde Notiz, d. scavi 1894,362. 1897,
453. 1898, 120 ff. 1899, 267 f. ; zur Ergänzung
und Anordnung s. E. Hüla, Archaeol. epigr.
Mitteil, aus Oesterr. XVU 1894, 67 ff. D. Vag-
LiBBi, Notiz, d. scavi 1892, 267 ff. 1897, 309 ff.
^) Nur bei dem aussergewOhnlicher Pro-
digien wegen abgehaltenen lustrum misawn
(oben S. 328) hat sich der alte Ritus er-
halten: obenan steht das Opfer von Suo-
vetaurilia, das nur dem Mars gelten kann
(vgl. Oldbnbbbo, De sacris fratrum Arvalium
quaestiones, Diss. Berolini 1875 S. 42 ff. und
oben S. 349 A. 6j, dann erst folgt ein Opfer an
Dea Dia, die also auch beim Hauptfeste der
Arvalen aus ursprünglich zweiter Stelle erst
nachträglich an die erste gerückt ist; darum
wendet sich auch der uralte Kultgesang der
Arvalen nicht an Dea Dia sondern an Mars.
") Die Identität des Arvalenfestes mit
den Ambarvalia ist von Mommsbn (Rom.
Tribus S. 17 A. 99"; Grenzboten 1870 1 166),
Henzen (Acta S. 46 ff.), Jobdan (Krit. Beitr.
S. 200 ff.), Db Rossi (Roma sotterranea III
690 f.), UsENBB (Religionsgesch. Untersuch.
70. Die priMierliohen Bodalitäien.
487
der Arvalen alljährlich im ersten Monate des von einer Aussaat bis zur
anderen laufenden ^ Amtsjahres der Brüderschaft in feierlicher Form ')
auf drei bestimmte Tage des Maimonats ^) ansetzt, von denen der
mittlere der eigentliche Festtag ist und allein im Haine und Heiligtume
der Göttin begangen wird, während der durch einen festfreien Tag von
ihm getrennte (oben S. 370) erste den Vorbereitungen dient und der un-
mittelbar auf den Haupttag folgende dritte nur eine Schlussfeier bildet,
beides in Rom im Hause des Obmannes der Brüderschaft veranstaltet.^)
Das Opfer, das der Magister und der Flamen der Brüderschaft am Haupt-
tage der Dea Dia darbringen, besteht aus einem gemästeten Schafe {agna
opima) samt den einleitenden Opfern von porcae piaculares duae (wegen
der verschiedenen im Haine vorzunehmenden Arbeiten, lud coinquetidi et
operis faciundi) und einer vacca honoraria alba (oben S. 349); umgeben aber
ist dies Opfer von einer langen Reihe zum guten Teile den amtierenden
Brüdern nicht minder als uns dunkler Ceremonien;*) nur die Rolle, welche
dabei voijährige und diesjährige Kornähren spielen, die am ersten Tage
von den Brüdern durch Berühren geweiht, am zweiten im Kreise der
Brüder von Hand zu Hand gereicht, am dritten endlich auf den Altar der
Göttin gesetzt werden, ist leicht verständlich als Dank für die voigahrige
und Fürbitte für die diesjährige Ernte ; den Abschluss der Feier im Tempel
bildet die bei geschlossenen Thüren von den Brüdern vorgenommene Ab-
singung ihres alten, an die Lares und Mars gerichteten Kultgesanges, ^)
die sie mit einem altertümlichen Tanze im Dreischritt begleiten {carmen
descindentes tripodaverunt). Auch Spiele werden am Spätnachmittage dieses
Tages abgehalten, die ganz den Typus der alten sacerdotalen Spiele (oben
S. 383) wiedergeben; das gemeinsame Festmahl fehlt an keinem der drei
Tage, am Haupttage werden sogar gustatio, prandium und cena von den
Brüdern gemeinsam und auf Kosten der Kasse des CoUegiums (s. oben
I 298) mit Recht verfochten worden gegen
Marini, Atti pref. p. XXIX. Hüscbke, Rom.
Jahr S. 63. 0. Hibschfbld, Götting. gel. Anz.
1869, 1501 f. Oldknbebo a. a. 0. S. 20 ff.
') Dass ursprünglich die Saturnalien das
Amtsneujahr der Arvalen waren, zeigt die
Wahl des Magisters für die Zeit ex Satur-
nalibua primis ad Satumalia secunda (vgl.
Mabiki a. a. 0. S. 275 ff.).
') Henzbn, Acta S. 4 ff., dazu Oldek-
BEBO a. a 0. 8. 4 ff. und über die Worte sub
divo columine F. Leo, Archiv f. Lexikogr.
X 1897, 278 ff.
') Seit der Zeit Vespasians fftUt das
Fest (mit einer Ausnahme CIL VI 2067,
46 ff. vom J. 90) abwechselnd auf den 17.,
19., 20. und 27., 29., 30. Mai, vorher finden
wir ein starkes Schwanken; vgl. Hüla, Arch.
epigr. Mitteil, aus Oesterr. XV 26. Hülsen,
ifphem. epigr. VIII p. 321.
*) Das ganze Detail der Festfeier nach
den Protokollen erläutert von Hbnzek, Acta
S. 10 ff., dazu Oldbkbbbg a. a. 0. S. 7 ff.
^) Dazu gehört besonders die rätselhafte
Rolle, welche irdene Töpfe {ollae; solche
von sehr roher Technik^ nur mit der Hand
geformt, sind im Arvalenhaiue gefunden
worden, vgl. M. St. De Rossi, Giomale arca
dico LVni 1868 S. 136 Taf. IV) als Objekt
der Verehrung (sacrum fecerunt oüis und
ollas precati sunt heisst es) spielen, um
schliesslich aus der geöffneten Thür des
Tempels den Weg hinuntergeworfen zu
werden; unverständlich sind auch die lume-
muJia cum rapinis (Büeoheleb, Archiv, f.
Lexikogr. I 1 09 ff.), welche die Brüder em>
pfangen, und die Bedeutuog der am Schlüsse
des Festmahles des dritten Tages wieder-
kehrenden Notiz, dass die Brüder tuscanicos
contigeruntf die sie durch ihre Kalatoren
nach Hause schicken (Hbnzbk, Acta S. 44).
>j Der Text u. a. CIL I 28. Bübcheleb,
Anthol. epigr. nr. 1 . Schnbideb, £xempla nr.
392 mit Litteraturangaben ; neueste Behand-
lung von BiBT. Archiv f. Lexikogr. XI 149 ff.
R. RosELLi, II Carmen fratrum Arvalium,
Acireale 1901.
488
Religion und Kultus der SOmer. m. KnltaB.
S. 429 A. 4) eingenommen, die beiden ersten in ihrem Amtslokale beim
Heiligtume der Dea Dia, die letztere in Rom im Hause des Magisters.
Dieses Fest ist die einzige regelmässige Kulthandlung alter Satzung, die
die Arvalen im Laufe des Jahres vornehmen; was die Protokolle (abgesehen
von geschäftlichen Verhandlungen, z. B. über Cooptation neuer Mitglieder)
sonst noch verzeichnen, sind entweder ausserordentliche Akte, wie die Dar-
bringung von Piacularopf ern 0 und die Abhaltung von Lustrationen wegen
vorgefallener Prodigien*), oder in die sacrale Form von Gelübde und Opfer
eingekleidete Loyalitätskundgebungen gegen den Kaiser und sein Haus,')
die in ähnlicher Art und Fülle auch in allen übrigen Priesterschaften der
Kaiserzeit üblich gewesen sein müssen (s. oben S. 73 f.)
Der glückliche Zufall, der uns die Protokolle der Arvalbrüder in
grossen Bruchstücken erhalten hat, hat uns einen tiefen Einblick nicht
nur in Bestimmung und Thätigkeit dieser Priesterschaft, sondern über-
haupt in das ganze Leben der Priestertümer in der Kaiserzeit und zum
Teil auch in die Grundlagen der. römischen Priesterverfassung gewährt.
Wie wenig wir ohne jenen aussergewöhnlichen Glücksfall von den Arval-
brüdem wissen würden, zeigt das Beispiel der Sodales Titii, deren Ge-
schichte der der Arvalen sehr ähnlich ist: ebenfalls zur ältesten Religions-
ordnung gehörig, waren sie lange vor Augustus eingegangen, um von
diesem wieder erneuert^) und unter die vornehmen Priestertümer sena-
torischen Ranges eingereiht zu werden, denen auch die Kaiser selbst
regelmässig als Mitglieder angehörten. Aber wiewohl wir eine ganze
Beihe von Trägern dieses Priestertums aus Inschriften kennen,^) so wissen
wir doch weder, welche Ceremonien ihnen zur Ausübung übertragen waren,
noch welchem Gotte sie dienten; der Name, das einzige, was geblieben
ist, ist nicht so durchsichtig wie der der Arvalbrüder.^) Die seit Augustus
herrschende Meinung brachte ihn mit weiland König Titus Tatius zu-
sammen und Hess die Sodales Titii entweder von diesem selbst oder nach
seinem Tode von Romulus zur Pflege der durch diesen König vertretenen
sabinischen Gottesdienste eingesetzt sein.'') Auf Grund dieser Auffassung
wurde die im J. 14 n. Chr. nach dem Tode des Augustus für die Ver-
ehrung der beiden Divi der gens lulia neu geschaffene Priesterschaft (s. oben
S. 287) nach ihrem Vorbilde organisiert und benannt;®) es sind die Sodales
1) Hbnzeh, Acta S. 128 ff.
2) Henzbn a. a. 0. S. 140 ff. mit den
wichtigen Aasfühmngen von Oldenbbbo
a. a. 0. S. 41 ff. (s. auch oben S. 328).
>) Henzbn a. a. 0. S. 49 ff. 89 ff., dazu
Oldbnbbro a. a. 0. S. 30 ff.
*) Für die Arvalbrüder wie für die Titier
wird die Thataache, dass sie lange vor
Augustus zu bestehen aufgehört hatten, be-
wiesen durch das Fehlen jeder Erwähnung
aus republikanischer Zeit mit Ausnahme von
Varro de 1. 1. V 85, die Wiederherstellung
durch Augustus folgt aus dem Umstände,
dass dieser Kaiser beiden Priestertümem
angehört (Monum. Anc. 1, 46).
») CIL III 174 {sodalis TUiensis), 2974 f.
3419. VI 1343. Vm 7050. 12442. XIV 3518,
vgl. auch VI 934 (Weihung der aodales Tut
zu Ehren Vespasians).
•) Varro de 1. 1. V 85 : sodales Titii dicti
<a tüiis avihusy (die Ergänzung von Labtus),
quas in auguriis certis observare solent
(dazu Bukcbblbb, Archiv f. Lezikogr. II
118 f.).
^) Tac. ann. I 54: addüo sodcdium Au-
gustalium aacerdotio, ut quondam Titus Ta-
tius retinendis Säbinorum sacris sodales
Titios instituerat; bist II 95: AugustaUs . .,
q}wd sacerdotium, ut Botuülus Tatio regt,
ita Caesar Tiberius luliae genti sacravit.
») Tac. aa. 00. ; Cass. Dio LVI 46, 1 gibt
das Wort sodales mit ^utif^xai, wieder.
70. Die priMterliohen Bodalitäten.
489
Augustales, eine vornehme Genossenschaft von zunächst 21 ordentlichen
Mitgliedern, zu denen der Kaiser Tiberius mit den Prinzen Drusus, Clau-
dius und Oermanicus supra numerum hinzutrat ;0 die Mitgliederzahl ist
später bis auf 28 gestiegen, indem sowohl die eben erwähnten 4 über-
zähligen Stellen als mehrere andere später eingerichtete dauernd bestehen
blieben,^) der Dienst erfuhr insofern eine Erweiterung, als nach der Gon-
secration des Claudius die Verehrung auch dieses neuen Divus derselben
Genossenschaft zugewiesen wurde, die nunmehr sowohl die scicra des
julischen Geschlechtes bei Bovillae, als die des claudisch-domitischen bei
Antium wahrnahm ;^) seitdem heissen sie mit vollem Namen sodales Augustales
Claudiales,^) wenn sich daneben auch der kürzere Name sodales Augustales
noch im Übergewichte erhält.^) In derselben Weise ist dann eine neue
Genossenschaft, die Sodales Flaviales, für den Kult des Divus Vespasi-
anus eingesetzt worden, die sich nach der Consecration des Titus zu sodales
Flaviales Titiales erweiterte.^) Für das Bestehen einer gleichen Priester-
schaft zum Dienste der Divi Nerva und Trajan besitzen wir keine Beweise,
da aber nach Hadrians Tode Sodales Hadrianales geschaffen wurden,^)
so ist es, da Nerva, Trajan und Hadrian durch die Reihe der Adoptionen
ge Wissermassen eine Familie bilden, nach Analogie der älteren Priester-
schaften dieser Art wahrscheinlich, dass bei der Consecration Nervas eine
neue dritte Genossenschaft eingesetzt worden war, die nachher dazu den
Kult erst des Trajan und dann auch des Hadrian übernahm und mit vollem
Namen sodales Cocceiani Ulpiales Hadrianales geheissen haben müsste;
dass sich diese Priesterschaft weiterhin abgekürzt nur sodales Hadrianales
nannte, ist ein Vorgang, für den die Bezeichnungsweise der übrigen So-
dalitäten des Kaiserkultes mehrfache Parallelen bietet, und dass uns keine
inschriftlichen Belege für die sodales Cocceiani und sodales Cocceiani Ulpiales
erhalten sind, kann Zufall sein.^) Beschlossen wurde die Reihe dieser
') Dass nicht die Normalzahl 25 war
und davon 4 Stellen für den Kaiser und die
Prinzen reserviert wurden, sondern dass
diese Stellen zur stiftungsmässigen Zahl
hinzutraten, zeigt sowohl Tac. ann. I 54
Sorte ducti e primoribus civitatis unus et
viginti, Tiberius DnMusque et Claudius et
Germanicus adiciuntur als besonders Suet.
Claud. 6 senatus quoque ut ad numerum so-
dalium Augustalium sorte ductorum extra
ordinem adiceretttr censuit. Die Frage,
wie man zu der Zahl 21 kam, ist noch offen,
dass es die der Sodales Titii gewesen wäre,
ist schwer zu glauben, man möchte für
diese eher nach Analogie der Fetialen 20
Mitglieder annehmen.
*) Das zeigt das erhaltene grosse Bruch-
stück eines Mitgliederverzeichnisses der So-
dalität CIL VI 1984 (andere kleinere Bruch-
stücke von Protokollen über die Cooptatio-
nen CIL XIV 2392^2399), vgl. Dessau,
Ephem. epigr. III S. 206 f. und oben S.416 A. 7.
») Tac. ann. II 41. III 64. XV 23.
*) CIL V 6977-6981. VI 332. 1357.
1509. 1987. XI 3367.
&) Dbssau a. a. 0. S. 211.
°) collegium ]*lavialium Suet. Dom. 4,
sodalis Flavicdis CIL III Suppl. 6813. VI
1333. XI 1430. XIV 2501. Momxseit, Inscr.
Helv. 175, sacerdotium Titicdium FlavicUium
CIL VI 2189, sodalis Flavialis Titialia CIL
VIII 597. 7062, sacerdos Tiiialis Flavialis
VI 1523 (die Ergänzung der Inschrift Rom.
Mitt. XI 252 ist unsicher), sodalis Titialis
CIL XI 5670. Rom. Mitt. V 800.
n Hist. aug. Hadr. 27, 3, vgl. Anton.
Pius 5, 2. Die Inschriften sind sehr zahl-
reich: CIL III 1071 f. 6154. V 1969. 2112.
7783. VI 1332. 1408 f. 1415. 1429. 1502 f.
1518. 1575. 1577. X 408. 1123. 3724. XI
1432. 33t'5. XIV 2607. 2942. 3609 f. CIGr.
1327. Obblli 3174. Buambach CIRh. 463.
Cagkat, L'annöe 4pigr. 1899 nr. 125.
^) Aus dem Schweigen der litterarischen
Zeugen, namentlich des jüngeren Plinius, das
Dbssau a. a. 0. S. 213 betont, müchte ich
keine Schlüsse ziehen.
490 Beligion nnd Kalins der BOmer. m. Eni tos. 70. Die priesterL Sodalitäton.
Sodalitäten durch die im J. 161 zu Ehren des Antoninus Pius erfolgte
Schaffung von Sodales Antoniniani/) auf die dann auch der Kult aller
weiter noch folgenden Divi bis auf Alexander Severus überging*) und die dem-
gemäss auch ihren Namen nach dem jeweiligen Umfange ihres Dienstes ab-
änderten und verlängerten. >) Über Mitgliederzahl und Organisation der drei
jüngeren Sodalitäten der Divi fehlt jede Nachricht, doch ist anzunehmen,
dass sie in allen wesentlichen Punkten der ältesten, den Sodales Augustales,
nachgebildet waren, ihr Dienst wird vorwiegend in der sacralen Feier be-
stimmter Gedenktage bestanden und sich an die stadtrömischen Tempel
der betreffenden Divi (oben S. 286) angeschlossen haben.
Litteratur. Im allgemeinen Mabquabdt, Rom. Staatsvennr. III 415 ff. Madvio,
Verfassung und Verwaltung d. röm. Staates II 659 ff. 721 ff. Im besonderen tlber die
Fetialen F. C. Conbadi, De fecialibus et iure feciali populi Romani (1784), Scripta minora
I 259 ff. 0. FüsiNATo, Dei Feziali e del Diritto feziale [Atti d. Accad. dei Lincei ser. H
vol. Xni], Roma 1884; über die Arvalbrflder Hbnzen, Acta fratrum Arvalium, Berolini 1874.
G. Gatti in Rügoiebos Dizionario epigrafico I 682 ff. Wissowa, Real-Encyd. II 1463 ff.;
über die Sodales Divorum H. Dessau, Ephem. epigr. IN S. 205 ff. E. Bbüblibb, Le culte
imperial S. 81 ff.
0 Hist. aug. Anton. Pius 13, 4 ; M. Aurel
7, 11; sodales Antoniniani in Inschriften
CIL VI 1401. 1540. 1546. X 8724. 4750. XI
3365. Gaobat, L'ann^e ^pigr. 1899 nr. 125.
') Hist. aug. M. Aurel. 15, 4 (von L. Ve-
rusK 18,8 (Marc Aurel); SepiSev. 7, 8; Pertin.
15, 4 (Pertinax); Carac. 11, 6 (Caracalla);
Alex. Sev. 63, 4 (Alexander Severus). Die
Quellen haben entweder den Ausdruck, der
betreffende Divus erhalte sodales Antoninia-
no8 (Hist. aug. M. Aurel. 15, 4 von L. Verus;
18, 8 von Marc Aurel; Garac. 11,6 von Ga-
racalla) oder sie berichten ausdrücklich die
ümnennung (ebd. Pert. 15, 4: Marciani so-
dales, qui Divi Mord sacra cwrabant, Hel-
viani sunt dicti propter Helvium PerHna-
cem, vgl. Sept. Sev. 7, 8), und auch die An-
gabe Alex. Sev. 63, 4: doit sunt et sodales y
qui Alexandriani appellati sunt, ist nicht
anders gemeint.
') Inschriftlich begegnen die Kombina-
tionen Antoninianus Verianus (GIL VI 1497.
XI 1433. XIV 3609), Antoninianus Verianus
Mareianus (GIL X 408), Marcianus Antoni-
nianus (GIL VIII 7030. Notiz, d. scavi 1888,
236), Aurelianus Antoninianus (GIL V 8223.
Villi 222), Aurelianus Antoninianus Veria-
nus (GIL V 2324), Mareianus AurelianuA
Commodianus Helvianus Severianus (GIL VI
1365).
Anhang L
Der römische Festkalender.
Vorbemerkung.
In Sp. 1 ist den von Caesar zngef>en Tagen ein * vorgesetzt
In Sp. 2 wird der Tagescharakter der vorcaesarischen Zeit gegeben; die Abftndernngen der
caesarisch-angnsteischen Epoche sind in [ ] beigesetzt; wo der eine oder andere
Tagescharakter nicht flberliefert, sondern nur durch Yermuthong erschlossen ist,
ist er in ( ) eingeschlossen; Varianten, wie die Bezeichnung F*P (obenS. 871 A. 2),
sind nicht berftcksichtigt.
fn Sp. 4 sind nicht nur die Tempelstiftungstage der renublikanischen Zelt, sondern auch
die wenigen bekannten Daten dieser Art aus der Kaiserzeit aufgenommen.
Sp. 5 gibt die Liste der Spieltage etwa in der Zeit der julisch-claudischen Kaiser; den
Circustagen ist ein * beigefügt
Sp. 6 enthJÜt nur solche Gedenktage, die nachweislich oder wahrscheinlich den Charakter
von fericte publicae getragen haben; der Bestand solcher Feiern, die meist nach
kurzer Zeit wieder verschwanden, ist ein sehr wechselnder gewesen und unsere
Kenntnis von ihnen eine ganz Iflckenhafte und zufällige.
Sp. 7 reproduziert die Tafel der Fest- und Spieltage aus dem Kalender des Philocalus
und Iftsst erkennen, wieviel von den in Sp. 3—6 aufgeführten Feiern noch im
4. Jahrhundert bestand ; Weglassungen, die nur dem Abschreiber zur Last fallen,
sind mit dem Zeichen [ ] ergänzt.
Die allgemeine Erläuterung geben die Darlegungen oben S. 365 ff. ; die den einzelnen
Festen und Spielen beigesetzten Seitenzahlen verweisen auf die Stellen des Textes, an denen
ausführlicher über sie gehandelt ist.
492
Januar
Anhang I.
1
Datam
Tagescharakter
Feriae pnblicae
ältester Ordnung
Natales templomm
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
U
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
*29
*80
31
C [(tP)]
c
F
F
C
c
EN
^p
c
^p
EN
c [(w>)]
c
c
c
c
c
c
c
c
c
F [(NP)]
F[NP]
C [(NP)]
Agoninm S. 91.
Garmentalia S.181
Feriae Jovi S. 101
Garmentalia S. 181
Aesculapios in insula S. 254.
Vediovis in insula S. 191.
Fortuna S. 211 A. 5.
Jutuma in campo S. 183
Juppiter Stator in Palatio (?)
S. 108 A. 1
Concordia od forum (Rest.).
S. 272
Castor ad foi-um S. 217
Der rOmisohe Festkalender.
493
5
Spiele
6
Qedenkiage der
früheren Eaiserzeit
Ferlae und Spiele
dee 4 Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia publica
^Gircus privatus S. 390
Ludi Palatini S. 390
A. 3>).
Ludi „
Ludi
[eircus privatus]
Votorum nuncupatio
S. 381 A. 1.
lud{i) [compUale8]S,H9
ludi
ludi
lano pcUri eiircensea)
m(i88us) XXIIIl
8. 380 A. 4. 391.
Justitia aug. S. 276.
Geburtstag desL. Aelius
Caesar
Gkburtetag des Nero
S. 379 A. 5.
Consecration der Livia
S. 379 A. 5.
Die8 Carmentariorum
loviStatori ciireenaes)
fn{issu8) XXIIIl 8.^91
Cartnentalia
Ludi Palatini S. 391. Felicitas S. 215
ludi
ludi
niatalis) Gordiani
ciireensea) m{is8us)
XXIIIl S. 392 A. 5.
ludi
ludi
niatalia) D{iv%) Ha-
driani e{ircen8e8)
m(i88U8) XXIIIl
n(aialis) ehartis S. 405
A.8.
Feriae unbekannter Be-
deutung S. 378 A. 4.
Dedication der Ära
Pacis S. 277. 379.
Geburtstag der Livia
S. 379 A. 5.
Geburtstag der Antonie
S. 879 A. 5.
[ludi AdiabeniciS. 991
A.4.]
[lud(\
[ludi]
[Ädi€ibeniei c{ireeH8es)
fn(i88us) XXIIIl
Gastorfest in Ostia
8. 219.
>) Ueber die uisprOnglichen Tage der Ludi Palatini s. Mommsen GlLp.P 3 08.
494
Anbang I.
Februar
1
Datam
Tagescharakter
3
Feriae pnblicae]
ältester Ordnung
Natales templomm
1
28
N
N
3
N
4
N
5
(N)[W>]
6
N
7
N
8
N
9
N
10
N
11
N
12
N
18
^p
14
N
15
^p
16
EN
17
^p
18
c
19
c
20
c
21
^p
22
c
23
^p
24
N
25
C
26
EN
27
^p
Feriae Jovi S. 101
Lnpercalia S. 172
Qnirinaiia S. 140
Feralia 8. 187
Terminalia 8. 125
Regifagium 8. 370 A. 1
Eqnirria 8. 131
Juno Sospita ad forum holUo-
Hum 8. 117.
Concordia in arce 8. 272
Fannus in insula 8. 174
Quirinns in coIU (Rest) 8. 140.
Der römisehe Festkalender.
495
5
Spiele
6
Gedenktage der
früheren Kaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. Jahrhunderte
8
Sonstige
Sacrificia publica
n{atalis) Herculis
c{ircen8e8) m{i88us)
XXIIII S. 224 A. 3.
Amburbium S. 130 369
A.3.
Augustus Pater patriae
S. 379.
ludiGottiei S.391A.4.
Ittdi „
ludi „
ludi „
ludi „
Gottici {circenses)
m(i88l48) XXIIII
Genialici e{ircen8e8)
m{i88U8) XXIIII
S. 157. 392 A. 2.
ludi Genialiei
virgo Ve8ta{li8)paren'
mt
....
Lupercalia
. . • .
Quirinalia
Diesparentales S.187.
Feralia
Cari8tia S. 187.
Terminalia
Regifugium
Lorio c{ircen8e8) m(«-
«iM)X//S.391 A.3.
n{atali8) D{ivi) Con-
stantini c{ircen8e8)
m(i88U8) XXIIII
ludi votivi S. 391.
II
y, Stultorum
feriae
S. 142.
496
März
Anhang L
1
Datum
Tagescharakter
Feriae publicae
ältester Ordnong
Natales templomm
31
^P
2
F
3
C
4
C
5
c
6
(C) [NP]
7
F
8
F
9
C
10
C lihP)]
11
c
12
c
13
EN
14
^p
15
^p
16
F
17
^p
18
c
19
^p
20
c
21
c
22
N
23
^p
24
QRCF
25
C
26
C
27
F[W>]
28
C
29
c
30
c
Feriae Marti S. 131
Juno Lucina Eaquüiis S. 116
Vediovis inter duos lucos' S. 191
Eqairria S. 131 .
Feriae Jovi S. 101
Feriae Annae Perennae S. 194.
Agonium Martiale S. 131
Liberalia S. 126. 243 f.
Quinquatrus S. 131.481
Tubüustrinm S. 131. 482
Minerva in Aventino S. 203
Luua in Aventino S. 262
Der rOmiBohe Festkalender.
497
5
Spiele
6
Gedenktage der
froheren Kaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia publica
• •
Augustus Pontifez
maz. S. 144. 379.
TiberiusPontifez maz.
S. 379.
Sieg beiMunda S. 378.
Fall von Alezandria
S. 378.
n{(UaIis) Mortis c{ir-
eenses) m{i88U8)
XXVIII (vielmehr
XX////)S.391A.l.
Isidis navigium S. 296.
lunonalia S. 380 A. 5.
arm[a] ancilia mavent
S. 131.
lovi eiiUori c(ireen8e3)
m(i88U8) XXIIII
S.391.
Mamuralia SJ84.380
A.3. 483 A. 3.
Canna intrat S. 266.
LiberaHci eiircenses)
m{i88U8) XXIIII
S. 380 A. 4. 391.
Quinquatria
Pelu8ia S. 296.
n(cUali8) Minerves
S. 405 A. 8.
Arbar intrat S. 266.
Tubilwftrium
Sanguem S. 266.
Hilaria S. 266.
Requetio S. 266.
Lavatio S. 264.
Initium Caiani S. 267.
n{atali8) Divi Con-
8tant[i] c{ircen8e8)
m(i88U8) XXIIII
SacraArgeomm S. 355.
Janns Concordia Salus
Paz S. 273. 406 A. 1.
Handbuch der kUat. AltartiinwwiaMnsoluift. V, 4.
32
498
Anhang L
April
1
Datum
Tagescharakier
Feriae publicae
ältester Ordnung
Natales templomm
2
8
F
C
4
C
5
N
6
7
8
(N) [N>]
N
N
9
10
N
N
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
28
24
25
♦26
27
28
29
80
N
N
tP
N
hP
N
N
N
tP
N
tP
N
fP
C
tP
F
C
C[tP]
c
c
Feriae Jovi S. 101
Gerialia S. 159
Parilia S. 165
Vinalia (priora) S. 102
Robigalia S. 162
VeniiB Verticordia S. 236 f.
Fortana Publica Citerior in coile
8. 210.
Magna Mater in PaloHo 8. 263.
JuppiterVictor {in eoUe ?) 8. 108.
Libertas in Aventino S. 126 A.5.
Ceres Liber läbera ad circum
maximum 8. 244.
Pales (?) S. 165 .
Venus undRoma ad 8€icram tfiam
8.283.
Venus Erncina ad partam Cd-
linam 8. 236.
Flora ad circum maximum
8. 163.
Der rOmiaohe Festkalender.
499
5
Spiele
6
Gedenktage der
früheren Kaiserzeit
Feriae and Spiele
des 4. Jahrhonderts
8
Sonstige
Sacrificia pnbHca
Lndi Megalenses 8.
263 f. 387.
Lndi
Lndi
Lud!
Lndi
Sieg bei ThapsusS. 378.
Ludi
*Ludi
Lndi Ceriales S. 246.
887.
Ludi
Lndi
Ludi
Ludi
Ludi
Ludi
♦Ludi
ff
ff
Ludi Florales S. 168.
387.
Ludi y,
Ludi
Weihung der aedicula
Vestae auf demPa-
latin S. 144. 378.
Veneralia ludi S. 237.
380 A. 5. 391.
niatalia) dei Quirini
ciircenses) m{i88U8)
XX////S. 391.
ludi Megalesiaci
ludi
ludi
n(atalis) C<i8tor{is) et
FoUu[c{is)] dircen-
8es)m{is8us)XXIIII
S. 391.
ludi
Megalesiari c{ircen8e8)
m(i88U8) XXIIII
fi{atali8) Divi Severi
e{ircen8e8) in(i88U8)
XXIIII
ludi Cerealici c(ireen-
8e8) m{i88U8)XXIIII
ludi
ludi
ludi
ludi
ludi
ludi
Cerealici c{ircen8e8)
m{is8U8) XXIIII
natali8 urbi8 c(ircenaeft)
tn{i88U8) XXIIII S.
380 A. 4.
Fortuna Yirilia S. 208.
Hercules Victor S. 224
A. 3.
Serapia S. 296.
n{atali8) M. Antonini
c{ircen8e8) in{i88U8)
XXIIII
ludi Fhrale8
32
500
Mai
Anhang I.
1
Datum
Tagescharakter
Feriae publicae
ftltester Ordnung
Natales templomm
1
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
81
2
F
3
C
4
C
5
c
6
c
7
F
8
F
9
N
N
C[hP]
N
C
hP
F
C
C
c
tp
N
QRCF
C
C[hP]
c
C [(hP)]
c
c
Lemuria S. 189
Lemuria S. 189.
Lemuria S. 189
Feriae Jovi S. 101
Agonium S. 190.
TubiluBtrium S. 186. 482.
Lares in aaera via S. 151
Bona Dea 8ub saxo S. 178.
Mars Invictus (fast. Venus.)
Mercurius ad circum maximum
S. 249.
Fortuna p. p. R. Q. Primigeni«
in coUe S. 210.
Der rOmiiohe Festkalender.
501
5
Spiele
6
Gedenktage der
früheren Eaiserzeit
Feriae and Spiele
des 4. Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia puhlica
Ludi Florales.
Ludl ,
♦Ludi
^Ludi Martiales S. 389.
Weihung der aedicüla
Mortis in Capitolio
S. 133. 378.
• •
Geburtstag des Ger-
manicus S. 379 A. 5.
Triumph des Germani-
cus S. 379.
Triumph des Drusus
S. 379.
ludi
Floralici c(ircense8)
m(is8U8) XXIIII
ludi Maximati S. 391
A.4.
ludi
ludi
ludi
ludi
Maximati c{ircensf8)
m(is8us} XXIIII
n{atali8) Claudi c(»r-
censes) miissus)
XXIIII
Martialici c{ircen8e8)
m{i88us) XXIIII
ludiPersiciS.SdlAA.
ludi ....
ludi n^atalis) Mercuri
S. 405 A. 8.
ludi
Persici c(ircen8e8)
m{i88U8) XXIIII
n{atali8) Annones
S. 405 A. 8.
ludi Hanor et Virtua
Zinza.
ludi
ludi
Maja S. 185.
Sacra Argeorum S. 355.
502
Juni
Anhang L
1
Datum
Tagescharakter
Feriae poblicae
ftitester Ordniing
Naialea templomiii
1
27
28
♦29
30
N
Carnaria S. 190.
2
F
3
c KhP)]
4
c
Ä
N
6
N
7
N
8
N
9
N
10
N
11
N
VestaUa S. 142
Matralia S. 98
12
N
13
tP
14
N
15
Q-8TDF
16
C
17
C
18
C
19
C
20
C
21
C
22
C
23
C
24
C
25
C
26
C[hP]
Feriae JoW S. 101
C
F
C
Man extra portam Capenam
S. 133.
Juno Moneta in arce S. 116.
Tempestates cuf portam Cape^
nam 8. 252.
Bellona in eirco Flaminio S. 137.
Hercules Magnus Cnstoe m eirco
Flaminio 8. 224.
Dius Fidius in eoOe S. 120.
Mens in CapUolio 8. 259.
Mater Matata in foro boario
8.98.
Fqrtnna in foro boario 8. 207.
Concordia in portieu Liviat
8. 272.
Juppiter Invictns (Victor?) in
Paiatio (?) 8. 108.
Minerya in Aventino (Rest)
8.203.
Siunmanas ad circum maximum
8. 124.
Fora Fortuna trans IHberim ad
miliarium 1 et VIS. 206.
Juppiter SUtortnPa{d<to(Re8t ?)
S. 107.
Lares in sacra via (Rest.) 8. 151.
Quirinus in coUe S. 140.
Hercules Musarum in eirco
Flaminio S. 224.
Der römische Festkalender.
503
5
Spiele
6
Gedenktage der
früheren Eaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia pablica
fdbarici c{ircense8)
m{i88us) XIIB, 391.
Greburtetag der Galeria
S. 879 A. 5.
Lndi piscatorii S. 184.
ludi in Minicia S. 892
A.3.
Vesta aperit S. 143.
Vestalia
Matralia
Adoption des Tiberins
S. 379.
n{<Uali8) Muaarum S.
405 A. 8.
Vesta cluditur S. 143.
Annae saerutn S. 880
A.5.
Forlis Fortunae
Quinquatnis minns-
colae S. 204.
504
Jtüi
Anhang I.
1
Datum
1
2
3
5
6
81
Tagescharakter
N
N
N
(N)[hP]
N
7
N
8
N
9
N
10
C
11
C
12
CM
13
c
14
c
15
hp
16
F
17
c
18
c
19
hp
20
c
21
hp
22
c
23
tp
24
N
25
hP
26
c
27
c
28
c
29
c
30
c
Feriae publicae
ältester Ordnung
Poplifugia S. 102
Nonae Caprotinae S. 118
Feriae Jovi S. 101
Lncaria S. 250
Lncaria S. 250
• • • •
Neptunalia S. 250
Furrinaiia S. 193
Natales templönun
Felicitas in CapUolio S. 215 A. 3.
Fortuna Mnliebris viaLatina ad
miliariumirS, 208
Apollo ad theatrum MareeUi (?)
S. 241 A. 1.
Honos und Yirtus ante portam
Capenam 8. 136.
Neptnnus ad eireum Flami
nium (?) S. 251
Fortuna hniusce diei in eampo
S. 211.
Der rOmisohe Festkalender.
505
5
Spiele
6
Gedenktage der
froheren Kaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia publica
Rückkehr desAugustus
aus Spanien und Gal
lien (Constitution der
Ära Pacis Augustae)
S. 277. 378.
FugatoLicinio eitreen-
ses) m(i88U8)XXini
S. 391 A. 3.
Ludi ApoUinares
S. 241. 387.
Ludi ,
Ludi „
Ludi ,
Ludi ,
Ludi ^
Ludi
'Ludi
Geburtstagsfeier Cae-
sars S. 285. 378.
Ludi Victoriae Cae-
sarisS. 128.238.388.
Ludi
Ludi
Ludi
Ludi
Ludi
Ludi
♦Ludi
♦Ludi
♦Ludi
♦Ludi
II
II
II
II
II
I»
ludi ApoUinares
ludi
ludi
ludi
ludi
ludi
ludi
ludi
ApoUinares-ciircenses)
m{is8U8) XXIIII
ludiFraneieiB.^nAA.
ludi
ludi
adventus D(ivi) eiir-
censes) tn(is8U8)
XX////S.391 A. 3.
ludi votivi S. 391.
Franeici ciircenses)
m(is8U8) XXIIII
adventus Divi ciircen-
ses) m(U8Us)XXIIII
ludi
Neptunalici
n(atali8) D{itfi) Can-
stantini e{ircefi8e8)
m{i88U8) XXIIII
ludi votivi S. 391.
vietiorias) Sarmaticas
ciircenses) m{issus)
XXIIII S. 891 A. 8.
vict{orias) Marcoman-
nas e(ireenses) m{iS'
sus) XXIIII S. 391
A. 3.
Consus S. 167.
Vitnlatio S. 371 A. 5.
Transvectio
equitum
S. 216 f.
32
*«
506
Anhang I.
August
1
Datam
Tagescharakter
Feriae pnblicae
ftltester Ordnung
Natales templorum
3
4
6
7
8
9
10
11
12
13
14
F
15
C
16
C
17
N>
18
C
19
hP
20
c
21
hp
22
EN
23
hP
F[hP]
(F) [hP]
C
C
F[hP]
F[hP]
C
C
F[hP]
C[hP]
C
c
hp
Feriae Jovi S. 101
rortunalia S. 99
• •
VinalJa (rustica) S. 101
Consualia S. 167
Volcanalia 8. 184
Victoria in Palatio S. 128.
Victoria Virgo tu Po/a^ioS. 128.^
Spes in foro holitorio S. 274.
Mar8Ultorti»/broiltf^iMftS.133.
Salos tu eolle Quirinali S. 122.
Sol Indiges in coüe Quirinaii
S. 262.
Hercules Invictus ad eircum
mcucimum S. 223.
Venus Victrix, Honos und Virtoa,
Felicitas in theatro marmoreo
8. 186. 215 A. 2. 237.
Diana in Aventino S. 201
Vortumnus in Aventino S. 233.
Hercules Invictus ad portam
Trigeminam 8. 223.
Gastor und PoUux in circa
FlaminioS. 218.
Flora ad cireutn maximum
(Rest.) 8. 168.
Portunus ad ponUm Aemilium
S.99.
Janus ad theatrumMar€elli8.94,
Divus Julius ad forum 8. 285.
Venus in luco Libitinae 8. 235.
Venus ad cireutn maximun^
8. 235.
Consus in Aventino 8. 167.
Volcanus in cireo Flaminio S. 1 85
') Bezeugt durch das neu gefundene Bruchstück der Fasti Praenestini Notiz, d. scavi
1897,41 Victoriae, Vietoriae Virgini in Palatio, Spei in foro holitorio u.8.w.
Dor rOmlBoho Festkalender.
507
5
Spiele
6
Gedenktage der
früheren Kaiserzeit
7 8
Feriae und Spiele Sonstige
des 4. Jahrhunderts Sacrificia publica
*Ludi Martiales S. 889.
od de8AntoniasS.878.
Qeburtstag des Clau-
dius S. 379 A. 5.
Siege Caesars in Spa-
nien u. bei ZelaS.878.
Feriae unbekannterBe
deutung S. 878 A. 4.
Schlacht bei Pharsalus
S. 878.
Constitution der arae
Opis et Cereris in
vico iugario S. 169.
247. 379.
n(atal%8) Divi Perti-
naeis e{ircenses)
m{i88ua) XXIIII
vict(<>ria) aenati e{ir-
censes) m{is8U3)
XXJ///8.891A.8.
nißtdlis) SalutU
e{ircense8) m{is8us)
XXIIII
n{€Ualis) Constantii
e(ireenses) m{i88ua)
XXIIII
ludi votivi S. 891.
Lychnüpsia S. 380.
n{qtalis) Dianes S. 405
A. 8.
Tibei'inalia S. 880 A.4.
Vufeanaliei c(ireense8)
m{is8U8) XXIIII
Volcanus, Nymphae,
Ops Opifera, Quirinus
S. 185.
508
Anhang I.
1
Datum
2
Tagescharakter
8
Feriae publicae
iütester Ordnimg
4
Natales templomm
24
25
26
27
28
*29
♦30
31
C
hP
c
hp
C[hP]
F
C[hPl
OpicoDsivia S. 168
Voltumalia S. 184.
Opa in Capüolio S. 168.
Sol und Luna in cireo maanmo
S. 261.
September
1
18
19
20
21
22
23
2
F[hPl
3
F[hp]
4
C
5
6
7
8
9
F
F
C
C
c
10
11
12
13
c
c
N
hP
14
F
15
C
16
17
C
C[hP]
c
c
c
F[NP]
Feriae Jovi S. 101
Juppiter Liber in Aventino 8. 1 06.
Juno Regina in Aventino S. 1 16 f.
Juppiter Tonans in CapitoHo
S. 107.
• • • • • •
Juppiter 0. M. in CapUoIioS. 1 10.
• • • ji • .
• ••«••
• ••*«.
Apollo (td theatrum Marcetii
(Reat?) S. 240.
Mars in campo S. 138.
Neptunus in campo S. 251.
Der rttmisohe Pestkalender.
50d
5
Spiele
6
Qedenktage der
froheren Kaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia publica
Weihung der ara Vic-
toriae in curia S. 1 29.
378.
Geburtstag des G. Gae-
sar S. 379.
Solis et Lunae c{»r-
eenaes) m(i8sus)
XXIIII
Mundus patet S. 189.
Luna in Oraeeostasi
S. 262. 406 A. 1.
Ludi Romani S. 112.
385.
Ludi „
Ludi n
Ludi „
Ludi j,
Ludi .
Ludi ,
Ludi „
Ludi ,
Ludi „ (Epulnm
8. 112)
Ludi y, (Equorum
probatio S. 385).
*Ludi Romani.
♦Ludi
•Ludi
♦Ludi
Tod des Libo S. 379.
Xudi
♦Ludi (Augustales)
S. 389.
Schlacht bei Actium
S. 378.
Sieg aber S. Pompejus
S. 378. 359.
Gonsecration des Au-
gustus S. 379.
Geburtstag des Aogu^
stus S. 878 A. 5.
niaialia) Aureliani
c{ircen8es) m^issus)
XXIIII
n(at(üis) Asclepi S. 255 .
ludi Bomanarum
ludi
ludi
Ramaniani e{ireense8)
m{is8U8) XXIIII
n(atali8) Traiani, tri-
umphale8 c{ircen8e8)
m(i88U8) XLVIII
S. 392 A. 1.4.
(n(Uali8) Pii Antonini
e{ireen8e8) m(i88U8)
XXIIII
ludi triumphale8
ludi
ludi
n(alali8) Divi Augusti
c(ircen8e8) w{i88U8)
XXIIII
StÖ
Atahang I.
1
Datum
2
Tagescharakier
3
Feriae pnblicae
mtesier Ordnung
4
Natales temploram
24
25
26
27
28
♦29
80
C[N>]
C
c
c
c
F
c
Venas Genitrix tu faro Caesaris
8. 288.
Oktober
1
N
2
3
F
C
4
5
C
c
6
7
c
F
8
9
F
C
10
11
12
13
hP
C[hP]
hP
14
EN
15
hP
16
F
17
C
18
C
19
hP
20
c
21
c
22
c
23
c
24
c
25
c
Tigillum Bororium S. 92
Meditrinalia S. 101
FoDtinalia S. 182
Feriae Jovi S. 101
Equus October S. 131 .
ArmilaBtrium S. 131. 481
Fides in CapUolio S. 123
Juppiter Fulgnr in campo 8. 107.
Juno OnritiB tu eampo S. 117.
Apollo in Palatio 8. 242.
Föns extra partam Fontinalem
8. 182.
Janua ad theatrum Mareelti
(Rest.) 8. 94.
Der rOmisoiie Festkalender.
511
5
Spiele
6
Qedenktage der
frAheren Kaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. Jahrhunderts
8
Sonstige
Sacrificia publica
Geburtstag des Augu-
stns 8. 878 A 5.
profeetio Divi ciircen-
ses) m(U9us) XXHII
S. 391 A. 3.
ludi fatale8B.2lS AA.
ludi
Ludi Divi Augusti et
Fortunae Reducis
S. 212. 388.
Ludi ,
Ludi .
Ludi y,
Ludi ,
Ludi j,
Ludi .
»
Ludi
Ludi
♦Ludi
*
9
II
Ludi Capitolini S. 1 12.
Augustalia (Rückkehr
des Augustus aus
dem Orient, Con-
stitutionder Ära For-
tunaeReducis)S.2 1 2.
378.
n(atalis) AJtxandri
e(ircense8) m{is8u$)
XXIIII
ludi AlamanniciS,Z9l
A. 4.
ludi
ludi
ludi
ludi
Jejunium Cereris S.246.
Mundus patet S. 189.
Älaman nici c{ircense8)
m(iS8us) XXIIII
Augu8tale8 c{ircen8e8)
ni(i88U8) XXIIII
ludi lovi Liberatari
S. 891.
ludi
ludi equus adnixa8fit
ludi
ludi
lovi lAberatori ciircen-
8e8) m{i88U8) XXIIII
ludi 8oli8 S. 307 A. 8.
ludi
ludi
Soli8 c{ireen8e8) fft(i«-
8U8) XXXVI
Qenius publicus, Fau-
sta Felicitas, Venus
VictrixS.157.215A.
3. 236A.6.406A.1.
512
Ashftng I.
1
Datum
2
Tageschar ak her
3
Feriae pablicae
ftliester Ordnung
4
Natales templorom
26
27
28
29
30
31
C
C
c
c
c
c
November
1
17
2
.3
4
F
C
C
5
6
F [(hP)]
7
8
C
C
9
10
11
12
13
c
c
c
c
hp
14
F
15
16
C [(hP)]
18
C
19
C
20
c
21
c
22
c
23
c
24
c
25
c
26
c
27
c
28
c
♦29
F
30
c
Feriae Jovi 8. 101
Feronia in eampo S. 231 .
Fortuna Primigenia in coU€S,2 10
Der rttmiaohe Featkaleader.
513
5
6
7
8
Spiele
Gedenktage der
Feriae und Spiele
Sonstige
froheren Kaiserzeit
des 4. Jahrhundert»
Sacrificia publica
Ludi Victoriae Snlla-
nae S. 128. 388.
Ludi , ,
^
Ludi , a
• • • •
Isia S. 294.
Ludi Victoriae Snl-
■ • • •
cidventus Divi cUrcen-
lanae.
8es)fn{is8us)XXlIII
S. 391 A. 3. I»ia
Ludi , ,
• • • •
ludi votivi B,S9l. Isia
Ludi , ,
• • • • •
ludi Isia
Ludi
Ludi plebei S. 112.
386.
Ludi ,
Ludi
Ludi
Ludi
Ludi ,
Ludi ,
Ludi ,
Ludi ,
Ludi , (Epulum
S. 112.386).
Ludi , (Equorum
probatio S. 386).
*Ludi plebei
♦Ludi ,
♦Ludi .
Geburtstag der jün-
geren Agrippina S.
379 A. 5.
Geburtstag des Tibe-
rius S. 379 A 5.
ex 8e ncUo c{ireense8)
tn{i8SU8) XXIIII
S. 294. Isia
ter novena S. 294.
Hüaria S. 294.
n{<Ualis)Nervas et Con-
stantii c{ircen8e8)
m{is8U8) XLVIII
S. 392 A. 4.
ludi votivi S. 391.
ludi plebei
lovis epulum c{ircen8es)
miissus) XXX
ludi
ludi
plebei ciircenses) miis-
sus) XXUIl
n(atalis) Vespasiani
e{ircen8es) m(i88us)
XXIIII
Bruma S. 875 A. 6.
ludi Sarmatici S. 891
A.4.
ludi
ludi
ludi
ludi
ludi
Mundus patet S. 189.
Handbuch der Umb. AltertmnBWteenMhaft. Y, 4.
38
514
Dezember
Anhang I.
1
Datum
1
Tagescharakter
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
18
U
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
♦23
♦29
30
N
N
N
C
F
F
C
C
c
c
EN
hP
F
C
C
rp
c
C
rp
c
c
c
c
F
F
c
8
Feriae pnblicae
ältester Ordnung
Agoniiun S. 372 .
Feriae Jovi S. 101
Consualia S. 167 .
Satamaiia S. 169
• • • •
Opalia S. 168.
Divalia 8. 193
Feriae Jovi S. 101
Larentalia S. 188.
Natales temploram
Neptonus ad cireum FUtminium
^ S. 251.
Pietas ad cireum Flaminium
S. 274.
Tiberinas in insuHa 8. 184
Gonsns in Aventino{BAei.) S. 167.
Tellns in CaHnia 8. 162 .
Satamos ad forum 8. 169.
Ops (Opifera?) ad forum S. 168.
Lares Permarini in porticu
Minueia S. 150.
Sol Invictus in campo A^rip-
pae 8. 806.
31
Der rOmisohe Festkalender.
515
5
Spiele
6
Gedenktage der
froheren Eaiserzeit
Feriae und Spiele
des 4. JahrhundertB
8
Sonstige
Sacrificia publica
• •
Weihung der Ära For-
tuna Reducis S. 212.
878.
Sarmatiei e{ircen8e8)
m(is8us) XXIIII
initium munerisB.SdS.
munu8 area
munus arca
munus arca
munu8 kandida
Septimontiä S. 872.
ludi Lancioniei S. 391
A. 4.
ludi
ludi
n{atalis) Divi Veri
c{ireen8es) m{i88U8)
XXIIII
ludi
Itidi Saturnalia
Lancioniei c(ircen8es)
m{is8us) XXIIII
munus arca
munua kandida
munus arca .
munus arca
munus c<msummat(ur)
n(atälis) Invicti edr-
censes) m{is8U8) XXX
S. 807.
n{atalis) Divi TUi
c{ircense8) m{issu8)
XXIIII
Lectisteminm Cereris
S. 246.*)
Hercules und Geres
S. 229. 246.
*) Oben S. 246 ist zu lesen ,am 18. Dezember* statt «am 18. September*.
83*
Anhang n.
Die römischen Staatstempel.
Vorbemerkang. Aufgenommen sind unier Ausschluss der fana ftltester Ordnung
und der privaten Eultstätten nur solche Tempel, deren Charakter als aedea publica mit
Sicherheit oder doch grosser Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte. Die Grenze
war oft schwer zu ziehen, nameDtlich in der Eaiserzeit, wo es für ein Hauptbeweismittel,
die Aufnidime des Stiftungstages in den Kalender, an Ueberlieferung fehlt; insbesondere
ist nicht mit Sicherheit zu cDtscheiden, inwieweit die von den Kaisern in solo prioato er-
richteten Heiligtümer als Staatstempel zu gelten haben.
Die Anordnung ist eine chronologische nach den Stiftungsjahren; war das Jahr der
Dedication nicht tiberliefert, so ist dafiir das der Gelobung unter Beifügung eines * ein-
gesetzt. Diejenigen Tempel, deren Grflndungsjahr nicht bekannt ist, die aber bei Liv. y^T
bis XLV beiläufig erwähnt werden, sind mit Ausnahme einiger nachweislich älteren als
Gründungen der in Livius zweiter Dekade behandelten Zeit zugewiesen worden, ebenso
einige andere Tempel unbekannten Stiftungsjahres, bei denen der Charakter der yerehrten
Gottheit eine Ansetzung in dieser Periode zu empfehlen schien.
Das Datum des Stiftungstages ist in Klammern gesetzt, wenn es nicht das der ur-
sprünglichen Dedication ist; auf die späteren Restaurationen der Tempel ist keine Rück-
sicht genommen. Im allgemeinen s. zur Erläuterung der Tafel die Darlegungen oben § 65.
- 1 J
§,•§-3
245 =
257 =
259 =
261 =
270 =
288 =
823 =
358 =
362 =
366 =
379 =
♦387 =
410 =
00
g I
9 'S
g s
03
= 509
= 497
= 495
: 493
= 484
= 466
: 431
= 396
= 392
■ 388
= 375
367
= 344
13. Aug., Diana in Aventino, S. 201.
11. Juni, Fortuna in foro boario, S. 207.
6. Juli, Fortuna Muliebris viaLatinä ad tniliarium IV, S. 208.
24. Juni, Fors Fortuna trans Tiberim ad müiarium /, S. 206.
19. März, Minerva in Aventino, S. 203.
13. Sept., Juppiter 0. M. in Capitolio, S. 110.
17. Dez., Saturnus ad forum, S. 169.
15. Mai, Mercurius ad circum maximum, S. 248 f.
19. April, Ceres Liber Libera ad circum maximum, S.243f. 247.
27. Jan., Castor ad forum, S. 216 f.
5. Juni, Dius Fidius in colle, S. 120.
13. Juli (?), Apollo ad theatrum Marcdli, S. 240 f.
11. Juni, Mater Matuta in foro boario, S. 98.
1. Sept., Juno Regina in Aventino, S. 116 f.
1. Juni, Mars extra portam Capenam, S. 133 f.
1. März, Juno Lucina Esquiliis, S. 116.
(16. Jan.), Concordia ad forum, S. 272.
1. Juni, Juno Moneta in arce, S. 116.
Anhang ü. Die rOmisohen Staatstempel.
517
302, 5. Aug., Salus in colle Quirinali, S. 122.
296, 8. Juni, Bellona in circo Flaminio, S. 137.
295, 13. Aprü (?), Juppiter Victor {in coUe ?), S. 108.
295, 19. Aug., Venus ad circum mctximum, S. 235.
294, 1. Aug., Victoria in Palatio, S. 128.
294, 13. Jan. (?), Juppiter Stator in Palatio, S. 107 f.
293, 29. Juni, Quirinus in coUe, S. 140.
293, 24. Juni, Fors Fortuna trans Tiberim ad miliarium VI, S. 206.
291, 1. Jan., Aesculapius in insula, S. 254.
278, 20. Juni, Summanus ad circum maximum, S. 124.
272, 21. Aug., Consus in Aventino, S. 167.
268, 13. Dez., Tellus in Carinis, S. 162.
267, 21. April (?), Pales (Lage unbekannt), S. 165.
264, 13. Aug., Vortumnus in Aventino, S. 233.
260, 17. Aug., Janus ad theatrutn MarceUi, S. 94.
259, 1. Juni, Tempestates ad portam Capenam^ S. 252.
258, 1. Aug., Spes in foro holitorio, S. 274.
254 (oder 504 = 250), 1. Okt., Fides in Capitolio, S. 123.
241 (?), 7. Okt., Juno Curitis in campo, S. 117.
241, 11. Jan., Jutuma in campo, S. 183.
238, 28. April, Flora ad circum maximum, S. 163.
233, . . . Honos ante portam Capenam, S. 135.
231, 13. Okt., Föns extra portam Fontinalem, S. 182.
13. April, Libertas in Aventino, S. 126.
4. Juni, Hercules Magnus Gustos in circo Flaminio, S. 224.
13. Nov., Feronia in campo, S. 231.
23. Aug., Volcanus in circo Flaminio, S. 185.
23. Juli (?), Neptunus ad circum Flaminium, S. 251.
25. Aug., Ops in Capitolio, S. 168.
31. März, Luna in Aventino, S. 262.
Di penates in Velia, S. 147.
1. Mai, Lares in sacra via, S. 151.
19. Aug., Venus in luco Libitinae, S. 235.
12. Aug., Hercules Invictus ad circum maximum, S. 223.
13. Aug., Hercules Invictus ad portam Trigeminam, S. 223.
12. Aug., Castor et PoUux in circo Flaminio, S. 218.
28. Aug., Sol et Luna ad circum maximum, S. 261.
(1. Sept.), Juppiter Liber in Aventino, S. 106.
7. Okt., Juppiter Fulgur in campo, S. 107.
17. Aug., Portunus ad pontem Aemilium, S. 99.
8. Dez., Tiberinus in insula, S. 184.
13. Juni, Juppiter Invictus (Victor ?) in Palatio (?), S. 108.
538 = 216, 5. Febr., Concordia in arce, S. 272.
539 = 215*) 8. Juni, Mens in Capüolio, S. 259.
539 = 215, . . . Venus Erucina in Capitolio, S. 236.
452
*458
♦459-
♦459
460
♦460
461
*461
463
*476
*482
*486
♦487
*490
*494
*495
*496
500
513
♦513
516
*521
*523
CO
(M
II
CX)
(M
II
CO
N
c
CO
N
O
OD
CD
(M
II
CO
CO
CO
<M
II
CO
*) Oben S. 259 ist zu lesen «zwei Jahre später ** statt «im folgenden Jahre*.
518
Anhang II.
560 = 194
560 = 194
560 = 194
560 = 194
561 = 193
562 = 192
563 = 191
563 = 191
*565 = 189
573 = 181
573 = 181
575 = 179
575 = 179
575 = 179
581 = 173
*586 = 168
♦603 = 151
608 = 146
616 = 138
549 = 205, (15. Juli), Honos et Virtus ante portam Capenam (vgl. oben
zum J. 521 = 233), S. 135 f.
1. Jan., Vediovis in insula, S. 191.
1. Febr., Juno Sospita ad forum holüorium, S. 117.
13. Febr., Faunus in insula, S. 174.
25. Mai, Fortuna p. p. B. Q. Primigenia in coüe, S. 210.
1. Aug., Victoria Virgo in Palatio, S. 128, vgl. S. 506.
7. März, Vediovis inter duos lucos, S. 191.
10. April, Magna Mater in Palätio, S. 263.
. . . Juventas ad circum nuucimum, S. 126.
30. Juni, Hercules Musarum in circo Flaminio, S. 224.
23. AprU, Venus Erucina ad portam Coüinam, S. 236.
. . . Pietas in foro holitorio, S. 274.
22. Dez., Lares Permarini in porticu Minucia, S. 150.
. Diana ad circum Flaminium, S. 202.
. Inno Regina ad circum Flaminium, S. 116.
Fortuna Equestris ad theatrum lapideum, S. 211.
Fortuna huiusee diei in Palatio, S. 211.
. Pelicitas in Velabro, S. 215.
Juppiter Stator in circo Flaminio, S. 108.
23. Sept., Mars in campo, S. 133.
vor 631 = 123, 1. Mai, Bona Dea sub saxo, S. 178.
zwischen 631 = 123 und 640 = 114 (?), 19. Dez., Ops (Opifera ?) ad forum,
S. 168.
640 = 114, 1. April, Venus Verticordia (Lage unbekannt), S. 236 f.
653 = 101, 30. Juli, Fortuna huiusee diei in campo, S. 211.
kurz nach 653 = 101, . . . Honos et Virtus (Lage unbekannt), S. 136.
vor 663 = 91, 1. Dez., Pietas ad circum Flaminium, S. 275.
vor 696 = 58 . . . Nymphae in campo, S. 182 A. 12.*)
699 = 55, 12. Aug., Venus Victrix, Honos et Virtus, Felicitas in theatro
marmoreo, S. 237. 136. 215.
708 = 46, 26. Sept., Venus Genitrix in foro Caeaaris, S. 238.
725 = 29, 18. Aug., Divus Julius ad forum, S. 285.
726 = 28, 9. Okt., Apollo in Palatio, S. 242.
729 = 25, 23. Sept., Neptunus in campo, S. 251.
732 = 22, 1. Sept., Juppiter Tonans in Capüolio, S. 107.
747 == 7, 11. Juni, Concordia in porticu Liviae, S. 272.
752 = 2, 1. Aug., Mars ültor in foro Äugusti, S. 133.
5. April, Fortuna Publica Giterior in coUe, S. 210.
13. Nov., Fortuna Primigenia in coUe, S. 210.
9. Aug., Sol Indiges in colle Quirinali, S. 262.
1. Juli, Felicitas in Capiiolio, S. 215 A. 3.
14. Mai, Mars Invictus (Lage unbekannt), S. 500.
Bonus Eventus in campo, S. 216.
Sog
'S»
*) Erw&hnt Fast. Arval. z. 23. August (S. 185), von Clodius in seinem Tribunat nieder-
gebrannt, Cic. parad. IV 31; pro Mil. 73, vgl. de bar. resp. 57; pro Gael. 78; von Moioisbn
CIL I ' p. 826 fOr identisch gebalten mit der aedes lutumcLe in campo (S. 188).
Die rOmisohen Staatstempel. 519
37 n. Chr., Divus Augustus in Palatio, S. 286 A. 5.
unter Caligula, Isis in campo, S. 294 f.
unter Vespasian, .... Divus Claudius in Caelio, S. 286 A. 5.
75 n. Chr., Pax in foro Pacis, S. 278.
unter Domitian, Divi Vespasianus et Titus (ul forum,
S. 286 A. 5.
9 9 Minerva in Palatio, S. 205.
98 n. Chr., Minerva in foro transüorio, S. 205.
unter Trajan, 1. Jan., Fortuna (Lage unbekannt), S. 211 A. 5.
unter Hadrian, Divus Trajanus in foro Traiani, S. 286
128 n. Chr., 21. April, Venus et Roma ad sacram viam, S. 283.
vor 145 n. Chr., Divi in Palatio, S. 288.
unter Pius, Divus Hadrianus in campo, S. 286 A. 5.
unter Marcus, Divus Antoninus (et Diva Faustina) ad
sacram viam, S. 286 A. 5.
vor 180 n.Chr., Juppiter Propugnator »n Po^to^ S. 108.
unter Commodus, .... Divus Marcus in campo, S. 286 A. 5.
unter Septimius Severus, . . . Bellona Pulvinensis (Lage unbekannt),
S. 291.
» „ , ... Juppiter Dolichenus in Aventino, S. 302.
unter Caracalla, .... Serapis in coUe Quirinali, S. 296.
unter Elagabal, Sol Invictus Elagabal in Palatio (und
ad Spem veterem), S. 306.
unter Alexander Severus, . . . Dea Suria trans Tiberim, S. 301.
vor 259, Dea Caelestis in arce, S. 313.
274, 25. Dez., Sol Invictus in campo Agrippae, S. 306.
Register.
I. Namen- und Sachregister.
Abstrakta 48 f. 241 ff.
AbuDdaDtia 276.
Acca Larentina 188. 280.
Acta fratram Aryalinm 6. 78 f.
?85. 288. 827. 828. 849.
379 f. 486 f.
ctditicUea cenae 421.
Adolenda 832 A. 2.
Adonis 300.
Adoption 387. 440 A. 7.
Aeoetia 275 f.
aedes aacra 401.
aedicüla 402.
Aedüen 340 f. 885 f. 388. 407
A. 7.
Aedituus 407.
Aegina 816.
Aegyptische Kulte 292 ff.
Aehrenkranz der Arvalbrflder
429.
Aequitas 275 f.
Aeracora 258 f.
Aerarium Satumi 169.
Aescolanus 22 A. 2.
Aesculapius 258 ff. 314.
Aetemitas (imperii) 278.
Aetemus (deus) 304 A. 8.
aetemua 278 A. 5. 305.
ager effatus 456.
, Gabmus 456 A. 6.
„ hostictM 456 A. 6.
^ incertus 456 A. 6.
, Italicus 344.
, peregrinti^ 456 A. 6.
, Romanus 456.
Aglibolus 308.
Agon Albanus 897 A. 4.
, Capitolinus 118 A. 6.
396.
, Minervae 205. 397.
, Solis 307. 397.
Agones 396 f.
Agonium 26. 91. 190. 872.
Agonium Martiale 131.
(Die Zahlen bedenten die Seitenzahlen.)
Agonus 480 A. 8.
Abtue 129.
Aion 311.
Aithex 95.
Ajus Locutius 49.
ALrostichis 465 A. 6. 466.
"Jxiia 396 A. 8.
Alba longa 35. 109. 129. 142
A. 1. 146. 448. 480 A. 2
und 5.
Albanus mons 35. 109 f. 116
A. 3. 448 A. 8.
Albionae 197.
albogalerus 428 A. 8.
Albsis pater 183 A. 10.
Albula 184.
Albunea 468 A. 2.
Albumus 40 A. 2.
Alexander Severus 82. 898.
474.
Alexandrini di 293 A. 6.
Algidus 199 A. 1. 209. 468
A. 6.
alienatio sacrorum 337 A. 7.
alio die 458 A. 8.
alites 457 A. 3.
Almo 264.
Altäre 400. 401.
Altor 159 A. 4.
Alna 171 A. 5.
Ambarvalia 130. 486.
J. A. Ambrosch 11.
Amburbium 130. 369 A. 8.
Amicitia 280.
amiculum lunonis 119.
Ammon 314.
Ammudates 305 A. 10.
Amphitheater 398 A. 7.
Amtsantritt der Priester 420.
Amtsniederlegung der Priester
424. 439.
Anagnia 199 A. 1. 480 A. 2.
Anagtia 44 A. 2.
Anahlta 268.
Ancharia 44 A. 5.
ancilia 181. 430. 481.
andUarum feriae 118.
ancües 44 A. 2.
anctdi, anculae 19.
Angerona 193 f. 281.
Angeronalia 193 f. 445 A. 1.
Angitia 44.
animales hostiae 353 A. 4.
Anna Perenna 134. 194.
Annales maximi 326 f.
Annona 247.
Antevorta 181.
Antinous 299.
antistes 309 A. 8. 414.
Antium 209. 211 A. 8. 287.
489.
Antrittsgelder 348. 421. 427.
Anubiaci 298.
Anubis 297. 299.
Apex 429. 481.
Apollo 45. 289 ff. 467.
, Belenus 242.
, Grannus 242.
, Medicus 240.
. Palatinus 67 f. 242.
Soranus 191. 232.
und Diana 201. 240.
242.
, Vejovis 191. 241 !
Apotheke 178.
Apparitores der Priester 427.
459. 474.
Aprilis 235.
aqua iugis 179.
Aquae Sulis 206.
Aquaelicium 106. 445 A. 8.
aquatües di 252 A. 10.
aquatores 183.
Aquileja 233. 242.
Ära maxima 221 ff.
, Pacis 277.
arae 401. 406.
Arbor intrat 266.
I. Namen* und Sachregister.
521
arca pantificum 348, 410.
„ virgmumVeatalium^S,
arcariua 427 A. 1.
Archibucolos dei Liberi 816.
ArchigaUuB 265. 269.
Ardea 43. 114. 235. 468. A. 6.
Arduinna 202.
Argei 54. 230. 341. 355. 445.
Argentinas 22 A. 2.
Arioia34. 114. 129. 199.480
A. 2.
Arimanius 311 A. 4.
arma ancilia movent 481.
armatura 393 A 5.
Armilostriam 131. 382. 445
A. 4. 481.
Arrogation 337. 440.
artificum dies 204.
Arvalbrflder 130. 161. 340 A. 3.
485 ff.
Arx 453 A. 2. 477 A. 2.
Asclepios Zimidrenus 815.
dffxtoJuaafÄOs 112. 382.
Asylrecht 245. 405.
Atargatis 300 f.
Atellana 394.
ater dies 377.
Athleten 893. 396.
atrium regium 481 A. 7.
Atrium Vestae 436.
Attis 266. 270 f.
augtnenta 852.
augur mcucimus 424 A. 6.
Augaraculum 105. 452. 455.
Auguratorium 452 A. 2. 460
A.8.
Augures 450 ff.
Auguria 451 ff.
auguria ex ambus 457.
, caelestia 452. 457 A .2.
,, impetrativa 323.
454 ff.
ohlativa 324. 458 ff.
^ puüaria 459.
augurium agere 451 A. 4.
Augurium canarium 163. 451
A. 6.
, salutis 123. 453.
Augostalia 212. 388.
Augustas 66 ff. 79. 83. 284.
464. 485. 486. 488.
augustiM 76.
Aurelia gens 261. 340 A. 2.
Aorelian 80. 83. 306 f.
Auslieferung durch die Fe-
tiaien 478.
Auspicia 323 f. 454 ff.
auspicia ex acuminihua 454
A. 1.
, peremnia 457 A. 7.
^ privata 324 A. 1.
, urbana 456.
in auspido esse 458 A. 6.
aaspicio interesse (adesse) 456
A. 8.
auxüia 297 A. 5.
aves augurales 457 A. 3.
^ sanquaies 131.
axamenta 483 A. 2.
Azizos 303.
Ba'al und Ba alath 302 ff.
Baalbek 304.
Ba'alchammftn 171. 314.
Bacchanalienprocess 58. 248.
Baiana (dea) 265 A. 8.
Baltis 301 A. 2.
Balmarcodes 303.
Bambyke 300.
Barbarengötter 76 f.
Bauemkalender 375.
Beamteneid 84 A. 1. 71. 146.
156. 285.
Beellefarus 303.
Begoe 463 A. 2.
Belenus 242.
Bellona 1 37. 289 ff.
Bellona Pedisequa 291.
, Pulvinensis 291.
, und Magna Mater 29 1 .
, und Virtus 291.
hellonarii 290.
bellum iustum piumque 476
A. 2
Belus 303. 306.
Berecynthia 206. 270 A. 1
und 3.
Berytos 303. 304.
Bidental 107. 121. 409.
Bigae 261. 392.
Bittprocessionen 360.
Blitzbeschwörung 106. 174.
Blitzdeutung 471.
Blitzgräber 107. 409. 472.
Blitzsflhne 107. 121. 472.
Blitzzeichen 459 f.
Bohnen 189. 346. 435.
bona consecrata 361.
Bona dea 54. 177 ff. 341. 445.
Bona dea caelestis 313 A. 7.
Bona Mens 259 f.
Bona Spes 273.
Bonus Eventus 215 f.
B. Borghesi 11.
bo8 arator 132.
Bovianum 132.
Bovillae 191. 287. 448. 489.
B. Brisson 10.
Bronton 315.
Bruma 375 A. 6.
Brundisium 301.
H. Brunn 11.
Bubastiacae 298.
Bubastis 299 A. 6.
bubetii ludi 165 A. 5.
Bucranium 430 A. 1.
Bücher des Numa 62.
Byblos 300.
Gabenses 448.
Gacus, Gaca 24 A. 1. 144 f.
229 f.
A. Gaecina 470 A. 2.
Gaeculus 186.
Gaele^tis 268. 306. 312 ff.
Gaelestis und Dea Suria 302
A. 2.
de caelo servare 460.
Gaelus 304 A. 9.
Gaeninenses 448 f.
Gaere 468 A. 6.
Gaesar 66. 284. 378. 416.
ccdare 440 A. 5. 447 A. 4.
Galata comitia 440 f.
Galatores 427.
Galatores pontificum et flami-
num 431 A. 7. 447.
Gamasene 184.
Gamenae 180.
Gamese 95.
camilliis, camilla 426.
Gampanien 243.
Gampestres 77 A. 4.
Gampus Martins 130.
, sceleratus 437.
canarium sacrum 163.
Ganens 95. 165 A. 4. 251.
Ganistrariae 314 A. 2.
Ganna intrat 266.
Gannophori 266. 267.
Gapena 43. 232.
Gapetus 184.
Gapitolia 36. 113.
Gapitolini 112. 340 A. 5.
Gapitolinus agon 113A. 6. 396.
Gapitolium 33 ff. 110 ff.
Capitolium ascendere 1 13 A. 3.
336 A. 2. 445 A. 3.
Gapitolium vetus 36 A. 2. 110.
captio 438.
Gapua 3. 89. 209 A. 8.
Gara cognatio 187.
Garacalla 89. 296.
Gardea 95.
Garistia 187.
Garraen fratrum Anralium 487.
Garmen Saliare 73. 74. 285.
483.
Garmentalia 181. 445 A. 1.
Garmentis 99. 180 ff.
carmina 32. 333 A. 2. 360.
442.
Garmina Marciana 463 A. 2.
Garna 190.
Gamaria 190. 445 A. 1.
carnem petere 109.
carpenta 181.
Gasa Romuli 445 A. 1.
Gastor und Pollux 216 ff. 321
A. 3.
Castores 217 A. 7.
castus 53. 246 A. 6.
Gatularia porta 163.
Gautes, Gautop ates 310.
77
522
L Namen- und Sachregister.
caviarea hostiae 445 A. 1.
Gela 162 A. 1.
cena aditicUis 421.
Cereres 247.
Geres 159 ff. 242 ff.
Ceres und Heroales 229. 246.
Ceres über labera 45. 243.
Ceres und Magna Mater 270
A. 3.
Cerfus Martius 134. 158.
Cerialia 159. 245.
cema 269.
Cerns 159.
Chaldaei 58.
Christentum 82 ff.
Cimolus 468 A. 6.
einctfM Gabmus 352 A. 1.
Cinxia 119.
Circe 165. 468 A. 6.
CircusFlaminius 386. 388. 392.
, maximus 383. 388. 892.
, privatus 390 A. 3.
Cistophori 291.
Civitas 127 A. 2.
Clarigatio 325 A. 2. 478.
Claudia gens 287. 489.
Claudius 266. 474.
dementia 278.
ClitumnuB 183.
Cloacina 197.
Clusivius 96.
Coinquenda 332 A. 2.
coUegia 340.
, compitalieia 151. 340
A. 5.
, actcerdotum 412.
, , quattuoT
amplissima 414.
collegium augurum 450.
. Capitolinorum 112.
340 A. 5.
. mercatorum 249.
339 A. 7. 340 A. 5.
, Minervae 390 A. 3.
. l^on^t^m 340. 430.
, tihidnum 204. 427.
Coloniae 113. 319. 450 f.
Columna bellica 137. 479.
Comitia calata 440 f.
, pon tificis maximi 437 .
440.
, sacerdotum 417.
Commendation 419.
Commentarii sacerdotum 5.
426 A. 5 und 6
a commentarüs 426 A. 5.
Commodus 83. 308.
Commolenda 332 A. 2.
Compita, Compitalia 148 f.
335 A 2. 375.
conceptivae feriae 373.
Concordia 272 f.
condere aaeculum 364 A. 5.
Confarreation 104. 119. 324.
337. 434 f. 440 A. 7. 445.
consecratio capitis et bonorum
325 f. 330 A. 7. 361.
Consecration 323. 341. 354
A. 6. 399. 404. 408.
Consentes 55.
consüiaria fulgura 473 A. 4.
Constantia 279.
Constantin d. Gr. 88. 289.
Constantius 86.
Constitution eines Altars 406.
Consualia 167. 340 A. 6. 382.
444 A. 5. 445.
Consuln 389.
consultatoriaehostiae 353 A.4.
473 A. 9.
Consus 166 f.
Contio 428 A. 1.
Cooptation 417 ff.
Copia 276.
corcLx 309.
Comiscae 115 A. 4.
Coronice 115 A. 4.
Cotyttia 315 A. 7.
creppi 172 A. IL 485.
Criobolium 268 A. 7.
ctdtores Äugusti 72.
ctUtrarii 427.
culuUus 444 A. 2.
Cnmae 3. 37. 45. 220. 239.
462. 468 A. 6.
Cumulation der Priesterämter
422 f.
Cupra 117 A. 5.
Cura ludorum 341.
Curator munerum ac yenatio-
num 397 A. 7.
, sacellorum publico-
rum 402 A. 3.
, templi 407 A. 6.
Cures 129.
Curia Calabra 116.
, Saliorum Palatinorum
480 A. 6. 482 A. 1. 488
A. 5.
curialis Herculis 229 A. 6.
Curien 119. 142. 159.
Curio 838 A. 3. 413 A. 2.
cursores 393 A. 3.
custos otedis 407 A. 6.
Cyria 259.
Dalmatien 176 A. 11. 202 f.
DamascenuB 303 f.
Damia 177.
damiatrix 177.
daps 345 A. 10. 357.
Dea Caelestis 268. 306. 312 ff.
Dea Caelestis und Dea Suria
302 A. 2.
Dea Dia 130. 161 f. 486.
Dea Roma 72. 281 ff.
Dea Roma und Augustus 284.
Dea Sul Minerva 206 A. 3.
Dea Suria 300 ff.
Dea Suria und Isis 299.
Dea Tacita 189.
Deana 198 A. 6.
Decemviri sacris faciundis s.
Quindecimviri sacris faci-
undis.
Decennalia 321.
Decima (Göttin) 180. 213 A. 3.
Decreta der Priester 331.
442 f. 454. 458. 471. 474.
Decuma (Zehnte) 220. 225 f.
363.
Decuriae 417. 427.
Dedication 823. 331 A. 3. 404.
Dedition 476 A. 1.
Deferunda 332 A. 2.
Delos 292. 301 A. 3.
DelpM 462 A. 11.
delubrum 400.
Deluentinus 44 A. 5.
Dendrophori 265 A. 8. 267.
Denicales feriae 367.
Deposits bei den Tempeln
407 A. 5.
Desultores 393.
Detestatio sacrorum 337 A. 7.
440.
Dens Bronton 315.
deus invictus 305.
Dens patrius 183 A. 10.
Deyerra 196
Devotion 161. 190 f. 257. 322.
330 A. 7.
Di aquatiles 252 A. 10.
, certi, incerti, selecti 61.
65.
, consentes 55.
, indigetes 15 f. 37 f.
, inferi 187 ff.
j, magni 148.
, manes 153. 188. 190 A. 7.
192 f.
, mediozimi33A.5. 188A.8.
, novensides 15 f. 38.
a parentum 187.
, penates 145 ff.
Diana 34. 198 ff.
Diana Caelestis 313 A. 7.
. Nemorensis 199 f.
, Tifatina 200. 202.
Diana und Apollo 201. 240.
242.
. , Silvanus 202.
Dictator davi figendi causa
864 A. 3.
dies Älliensis 376.
, ater 877.
„ comitiedes 368.
, fasti 368.
, festi 366 A. 1 und 2.
, fissi 368. 372.
y, imperii 389 f.
, intercisi 368. 372.
, lustricus 329 A. 1.
. nefasti 368 f. 876.
I. Namen- und Sachregister.
523
dies parenicUes 187.
, postriduani 369 A. 3.
876 f.
, profesti 866 A. 1.
. rtliffiosi 131. 376 f.
, sanguinis 266. 291 A. 10.
, tintarum ac miMrium 162
A. 6.
, violae 367 A. 5.
, vitiosi 876.
Diespiter 100 A. 2.
Diocletian 83.
Dioskuren 216 ff.
Diovis und lovis 100 A. 1.
Dis pater 161. 255 ff.
Dia pater und Satomos 169.
256.
Disciplina 279.
Disciplina auguralis 454.
Etruaca 469 ff.
Dius = Diovis 100 A. 2.
Diua Fidios 48. 120 f. 227 f.
Diutuma 183.
Diva ADgerona 193.
Diva Rnmina 115. 195.
Divalia 193.
Divi imperatores 70 ff. 284 ff.
483. 489 f.
divinus 305.
Divorum templum 288.
Diyus Julias 284 f.
Doliche 302 f. 304. 305 A. 2.
Doliola 409 A 2.
A. y. Domaszewaki 11.
Domiduca 119.
Dreifoss 430.
Duelona 137.
Duodecimviri urbis Romae
283.
duonus cerus 91. 159. 483
A. 3.
Duoviri aedi dedicandae 339.
Duoviri sacris faciundia s.
Quindecimviri sacris faci-
undis.
ecastor, edepol 219.
effare 403 A. 8. 455.
Egeria 144. 180. 200 f.
Ehrenrechte der Priester
427 ff.
Eichenkranz 397.
Eid 103. 121. 219. 227. 325.
435 A. 8.
Eüeithyia 98.
Eingeweideschau 353. 460.
473 f.
Einseitigkeit der sacralen
Rechtsgeschäfte 331.
Eintrittsgelder 343. 421. 427.
Eisen im Gottesdienst 30.
Elagabal 80. 305 f.
Eleusinische Mysterien 78
A. 4.
Enna 243. 468 A. 6.
Ennius 62.
Enthaltsamkeit (geschlecht-
liche) 246. 297.
Epheu 435.
Epidauroa 254.
Epikur 62.
Epona 77. 315.
Epulones 357. 446.
Epulum Jovis 111 f. 357. 385 f.
Equirria 131. 340 A. 6. 370
A. 2. 382 f.
Equites singularee 77.
Equomm probatio 885 f.
equus belleUor 132.
Equus October 131 f. 355 A. 8.
382 f. 445.
Era 259.
Erbfähigkeit der Götter 342
A. 7.
Erine patre 164 A. 11.
Erulus 231 A. 3.
Erythrae 463 A. 4.
Eryx 236.
Eschmun 314.
Esel 142.
Etrusker 36. 94. 129. 171. 203.
233. 384. 397. 469 ff.
Euander 181. 221. 230.
Eugenius 88.
Evocation 39. 821 f.
Ezauguration 403 A. 3. 455
A. 6.
Ezsecratio 325.
exta reddere 352.
Eztispicin 352 f. 460. 473 f.
Fabariae Ealendae 190.
Fabia gens 422 A. 4. 484.
fabulae 394.
facere 344 A. 8.
Falacer 183 A. 10. 198.
Falerii43f. 94. 114. 117.118.
129. 208.
famuli divi 19.
fana sisiere 356 A. 1. 899
A. 10.
fanatums 291. 299 A. 8. 399
A. 10.
fanum 399 f.
fascinum 195. 244.
Fasten 246. 297. 363. 468.
fasti dies 368.
Fasti feriarum Latinanun 110.
, sacerdotum 6. 417.
Fata 218 f.
Fata scribunda 214.
Fati, Fatae 214 f.
Fatum 213
Fatuus 173 A. 8.
Fauna 177.
Faunus 172 ff. 483 f.
Faunus und Juno 118 f.
. . Picus 174.
Faustkampf 893.
Febris 197 f.
februa 119. 178. 445 A. 5.
485.
Februus 187. 258.
Fecunditas 279.
Feiertagsruhe 330 A. 4. 874.
443.
Feige' 118.
Felicitas 214 f.
Felicitas und Salus 122 A. 9.
215.
, , Venus 215. 237.
Feralia 187.
fercUia attreeture 435.
Feriae 17. 50 f. 56. 358. 866 f.,
s. auch Festkalender.
feriae conceptivae 873 f.
denicales 367.
famüiarutH 867.
gentüiciae 367.
imperativae 878 f.
Latinae 85. 109 f.
novemdiales 328. 373.
praecidaneae 355 A. 3.
378.
privatae 366.
puölicae 366. 868 ff.
sementivae 160.
singuhrum 867.
stativae 373.
Ferkelopfer (beim foedus)
477 ^^ 7,
Feronia 231 ff.
ferium 31. 847 A. 4. 485. 446
A 5.
festi dies 366 A. 1.
Festkalender 2 f. 17 ff. 344.
867 ff. 441. 491 ff.
Festnamen 26.
Fetiales 104. 825. 415. 475 ff.
Feuer zur Lustration 166.
, der Vesta 148. 144.
436 f.
Fictores 446 A. 5.
Ficus Ruminalis 195.
Fides 48. 103 f. 128 f. 445.
Fidicines 427.
ßum 429 A. 2. 432 A. 6.
Firmicus Matemus 84.
Fischopfer 185.
fieica 198. 237 A. 6.
Fisius, Fisovius 120.
fissi dies 868. 872.
flamen 418. 425.
Flamen Augustalis 449 A. 4.
, Garmentalis 180. 482
A. 8.
, Gerialisl60. 482.A.8.
. Claudiaiis 449 A. 4.
, Commodianus449A.4.
, DialislOlf. 104. 189.
191. 428 f. 483 ff. 449
A. 6. 484 A. 7.
. Divi Seyeri 449 A. 4.
524
L Namen- und Sachregister.
Flamen Falacer 188 A. 10. 432
A. 8.
, Floralis 164. 432 A. 8.
, Forrinalis 193. 432
A. 8.
y, Jnlianas 285. 449 A. 4.
, Martiaüs 131. 434.
, Palatualis 165. 432
A. 8.
, Pomonalis 164. 432
A. 8.
, Portunalis 99. 432
A. 8. 444 A. 5.
. Quirinalis 140. 162.
434. 444 A. 5.
, Ulpialis 449 A. 4.
„ y]rbialis200A.4. 449
A. 1.
« Voloanalis 184. 185.
432 A. 8.
, Voltumalis 184. 432
Flamines 64 f. 123. 432 ff.
« Divomm 286. 288 f.
449 f.
« maiores und minores
432.
Flaminia (domus) 431 A. 7.
Flaminica 114. 119. 435. 444
A. 4.
Flavia gens 287. 289.
Flötenspieler beim Opfer 352.
Flora, Floralia 163 l
Florifertum 164.
Ifluaare (Monat) 164.
fo<M8, f acutus 351. 406.
foedus 325. 475 ff.
Fonio 178 A. 13.
Föns 182 f.
Föns Belenus 242 A. 6.
Fontauus 182 A. 2.
FoDtinalia 182.
Fontus 95. 182 A. 2.
Fordicidia 159.
Forinae 193.
Fomacalia 142. 335.
Fors Fortuna 206 f.
Fortuna 206 ff.
, Augusta 213.
Barbata 212.
Bona 212.
Brevis 212.
Gaelestis 318 A. 7.
Dubia 212.
, Dax 212.
„ Equestris 211.
, huiusce diei 211.
Mala 212.
Muliebris 207 f. 406
A. 5.
y, Obsequens 212.
Panthea 213.
„ Primigenia 209 ff.
Privata 212.
Publica 210. 212.
Fortuna Reduz 212.
, Respiciens 212.
Stabilis 212.
Virgo 207.
Virilis 208.
Viscata 212.
, und Isis 218.
„ , Mater Matuta
207.
, , Mercurius 249.
„ , Nemesis 31 6A.7.
, , Spes 273 A. 8.
FratresArvales 130. 161. 340
A. 8. 485 ff.
Frauen ausgeschlossen vom
O^fer 176. 227.
Freigelassene als Priester
421 A. 7. 485.
Frutis 236.
Fuchshetze 163. 246.
Fucinus 44 A. 5.
Füllhorn 158. 213.
Fulgur conditnm 107.
Fulgura (Juno) 115.
fulgwra consütaria 473 A. 4.
, postulatoria 471
A. 7.
fülmina dextra, sinistra 459
A. 7.
Furrina, Furrinalia 193.
Gabü 114.
Gaia Caecilia 120.
Gaianum 267.
Qalerius 83.
galerus 428.
Galli (Verschnittene) 264 A. 8.
265.
Gallia Narbonensis 344 A. 2.
Gallus et Galla, Graecus et
Graeca 54. 355.
Garanus 230.
Gebet 333.
Gebetsformeln 333 f.
Geburtstag 155. 367.
• „ desAugustus 378
A. 5. uo«7.
, „ Caesar 379.
Geburtstage der Kaiser 286.
335 A. 8. 379 A. 5. 380.
389. 391.
Gedenktage als Feriae 378 f.
Geldopfer 362.
generalis invocatio 33.
yeyiaia und yeyi&Xia 389.
geniaJis 154.
Genii 153. 156 ff. 192.
Genii deorum 158.
Genita Mana 196.
Genius 22. 154 ff.
Genius Augusti 70. 72. 73.
152. 156.
Genius des Hausherrn 152.
155.
Genius Jovis 158. 227 f.
, publicus (populi Ro-
mani) 157. 282. 307.
« urbis Romae 157.
« und Hercules 227 L
Gentes als Trftger von seura
publica 840. 411.
Gerichtsferien 376.
Gladiatoren 388. 397 ff.
Götterbilder 28 f. 50. 54. 402.
Göttemamen und -Beinamen
25 f. 41. 45 ff.
Gotterpaare 19.
Goldenes Zeitalter 170.
Gotteshaus 29. 42. 50. 401 ff.
Grabovius 20 A. 1. 129.
Gradivus 132.
Grftberbussen 348. 410.
Gräberrecht 409 f. 443.
graecus ritus 461.
Grammateus 299.
Grannus 242.
grattUcUio 359.
Grenzstein 125.
Gründungssagen 59 f.
Gutachten der Priester 381 f.
442 f. 454. 458. 471. 474.
Hadad 301.
Hadrian 79.
Haine, heilige 401.
Hammon 314.
Handbewegungen beim Gebet
332 A. 6.
Harpokrates 299.
J. A. Härtung 10.
Haruspex maximus 474.
haruspicatio 353 A. 7.
Haruspices 460. 469 ff.
fMstae Martis 131. 431 A. 5.
481 A. 4.
Hekate 202. 316 f.
Hekate und Liber 316 f.
ijXioSQofÄos 309.
Heliopolitanus 304.
Hemesa 305 f.
W. Henzen 11.
Hera, Haera 259.
Hercules 219 ff. 341. 357 A. 1.
Hercules Consenrator 229.
Defensor 229.
„ Domesticus 228.
Inviotus 220 f. 223.
280.
„ Magnus Gustos 224.
, Magusanus 231.
, Musarum 224.
, Rusticus 228 A. 4.
Salutaris 229.
, Saxanus 231.
Tutor 229.
Victor 220 f.
Hercules und Acca Larentina
188. 230.
L Namen» und Sachregister.
525
Hercules und Ceres 229. 246.
, Genius 227 f.
, Juno 227 f.
, , Juventas 223.
, , Liber 247.
, Mars Mercurius 77.
231.
j, und Mercurius 227.
, . Silvanus 228.
Hercfdius 83.
Here Martea 135.
Herentas 236.
Herie Junonis 119.
Herillus 231 A. 3.
Heros 315.
Hersilia 141.
Heuresis 294.
Hierapolis 202. 300 f.
Hierobolus 303. A. 9. 305 A. 1.
hierocoracica 309 A. 5.
Hierophanta 316.
HUaria 266. 295.
HUantas 278 A. 3.
Hippolytos 200.
hirpi Sorani 172. 483 A. 6.
Hirpiner 132.
holitores 235.
holocausta 352 A. 6.
Honig 346.
Äonorartus 349 A. 5. 387 A. 2.
Honos und Virtus 135 ff.
Hora Quirini 141.
Horatia gens 340 A. 2.
Horaz 9.
Hostia 44 A. 5.
hostiae 347 A. 6.
hostiae animales 353 A. 4
und 9.
, eonsuUatorwe 853
A. 4. 473 A. 9.
, maiores, lactentes 350.
, prodigivae 354 A. 2.
a sticcidaneae 350 A. 6.
humanum sacrificium 354
A. 5.
Hund i51. 176.
Hundeopfer 162 f. 173. 196.
330 A. 4. 484 A. 7.
Hygia 254.
lana 198 A. 6.
Janus 91 ff. 182. 184. 251.
273 A. 1.
Janus Ciusi( vi)u8 Patulcius 96.
a Gonsevius 97.
, Curiatius 92.
, Geminus 92 f.
a Junonius 92.
, Matutinus 96.
a Quadrifrons 94.
a Quirinus 96.
Janus und Gardea 95.
, , Juno 91 f. 115.
, , Satumus 95.
Janus und Venilia 95.
, , Yesta 20. 91.
laribolus 303.
Idus 100 f. 103. 444 A. 4.
Jejunium Gereris 246.
Iguvium 13. 20 A. 1. 26. 120.
129. 180. 134. 158. 453
A. 7.
imago prmcipis 73.
immolaiio 352.
immunüas 429.
imperatwae feriae 373.
itnpius 330.
maugurare 451 A. 4. 455 A. 4.
Inauguration 420 f. 440. 452.
Incubo 173.
indicere ferias 373 A. 8.
Indigetes 15 f. 87 f.
Indigitamenta 22. 33. 833.
441.
Indulgentia 278 f.
inebrae, inferae aves 457 A. 3.
inferiae 345.
Ino 99.
Insignien der Priesterscbaften
429 f.
Instauration der Feriae La-
tinae 109. 329 A. 7. 387.
443 A. 3.
Instauration der Spiele 357.
386 f.
insirumentum 407.
Intercalation 370 A. 6. 441.
Intercidona 196.
intercisi dies 368. 372.
interpretatio JRomana 76 f.
Inuus 173.
H. Jordan 11.
lovia 114.
lovino 113.
lavis epulum 112. 357.
lovius 83.
Iseum et Serapeum 296. 299
A. 7.
Isia 294 f.
Isiaci 293 A. 6. 298 A. 8.
Isidis navigium 296.
Isis 79. 292 ff.
Isis Gampensis 294. 299 A. 7.
. Pelagia 295 A. 6.
Isis und Dea Suria 299. 300.
, , Fortuna 213. 299.
, , Magna Mater 299.
, , Nemesis 316 A. 9.
Isityche 299.
*lrahxd 'Piofiaia leßaatä
(Neapel) 284 A. 3. 396 A. 8.
Iterduca 119.
Julia gens 191. 238. 241. 287.
340 A. 2. 489.
Julian 83. 307.
Julius Aquila 470 A. 2.
Jungfrauencbor 360.
Junius (Monat) 114.
Juno 118 ff. 220 A. 8.
Juno Argeia 220 A. 8.
, Caelestis 313 A. 7.
„ Caprotina 118.
, Cinxia 119.
, Covella 116.
, Curitis 114. 115 A. 5.
117. 119.
, Deae Diae 158.
, Domiduca 119.
, Februa (Februlis) 119.
, Fluonia 118 A. 6.
. Iterduca 119.
, Juga 119.
, Lanuvina 117. 119. 448
A. 13. 481 A. 3.
, Lucina 52. 114. 115. 116.
118. 119.228. 357 A.I.
, Mena 118 A. 6.
, Moneta 116.
, Ossipago 118.
. Populona 114. 115 A. 3.
117.
, Pronuba 119.
, Quintis 114. 115.
, Regina 114. 115. 116 f.
360.
, Sispes Mater Regina 117.
, Sororia 92.
, Sospita 114. 117.
, ünxia 119.
Juno und Faunus 118 f.
, , Hercules 227 f.
, , Janus 91 f. 115.
, Mars 120. 133 f.
Junonalia 880 A. 5.
Junones 154 f 158.
Juppiter 100 ff.
Alm US 105 A. 4.
Anxurus 109. 232.
Appeninus 102 A. 6.
Arcanus 108. 210.
Beellefarus 303.
Bronton 315.
Gaelius 102 A. 6.
Giminius 102 A. 6.
Glitumnus 183 A. 8.
Gonservator 1 13 A. 6.
Guiminalis 102 A. 6.
Cultor 399.
Gustos 113 A. 6.
Dapalis 105. 142. 345.
Dianus 100 A. 2.
Elicius 106.
Epulo 105.
Fagutalis 102 A. 6.
Farreus 104.
Feretrius 103. 105.
112. 477.
Frugifer 105 A. 4.
Fulgur 107.
Fulgurator Fulmina-
tor 106 A. 4. 107.
Herceus 104 A. 8.
Imbricitor 106 A. 4.
Indiges 108. 183.
526
I. Hamen- und Saohregister.
Jnppiter Inventor 221. 230.
, Invictos 108.
, Jurarias 103 A. 5.
, Juventus 113. 124
A. 5.
, Lapis 103 f.
Latiaris 34 f. 110.
Liber 105 f. 126 f.
Liberaior 106 A. 3.
391.
Liberias 106. 126 f!
Lucetius 100. 483
A. 3.
Malus 108.
. Optimus Mazimus
110 ff.
, 0. M. Balmarcodes
303.
, 0. M. Damascenus
303 f.
M 0. M. Dolichenus
303. 304. 305 A. 2.
, 0. M. Hammon 314.
, 0. M. Heliopolitanus
304.
, Pecunia 105 A. 4.
Pluvialis 106 A. 4.
, Poeoinus 102 A. 6.
Praestes 108. 220.
, Propugnator 108.
, Puer 209.
, Quirinus 139.
„ Ruminas 105 A. 4.
195.
, Sabazius 315.
y, Serenator, Serenus
106 A. 4.
Stator 107 f.
, Summanus 124 A. 4.
Terminus 104. 124
A. 4.
, Tonans 107.
, Versor 107 A. 11.
, Vesuvius 102 A. 6.
Victor 108. 127 f.
Viminus 102 A. 6.
Juppiter Juno Minerva 34.
86. 75. 110.
Jnppiter Mars Quirinus 19 f.
103 f. 478 A. 1. 480.
iu8 civüe 324.
, contionandi et edicendt
428.
, divinum 318.
^ eptUandi 429.
, fetiale 475.
, Papirianum 442.
, pontifunum 443.
Justitia 276.
iustum beüum 476 A. 2.
Jutuma 43. 95. 182. 183.
Juturnalia 183.
Juvenalia 390 A. 3.
Jnventas 52. 125 f.
Juventas undHerculesl 26.223.
Käse 346.
Eaeso 484 A. 1.
Kaiser als Priester 415.
Eaiserkult 71 ff. 82 f. 284 ff.
488 ff.
Ealatores s. Galatorea.
Ealendae9L 114 f. 116. 442
A. 2.
Ealendae fabariae 190.
Ealencler2f. 344 A. 5. 367 ff.
440 f. 491 ff.
Eanopos 296.
Earthago 312 f.
Eassen der Priester 843.
kernioa 159. 228.
R. H. Elausen 10.
Eönig als Gemeindepriester
430 f.
Eollekten 362.
Eomana 290.
Eommagene 302. 811.
Eopfbedeckung der Priester
428 f.
Eosten des Staatskultes 342 f.
Eotvto 315.
Erähe 115.
L. Erahner 11.
Eranz als Siegespreis 393.
396.
Eriegserklärung 479.
Eronos 170.
xQvfpiog 309.
Euchenopfer 31. 98. 244.
Eyparissos 176 A. 14.
lactentes 347.
Lacus Gurtius 189 A. 4. 467
A. 3.
Lacus Jutumae 183.
laena 428 A. 6.
Laetitia 278 A. 3.
Lanuvini sacerdotes 117. 448.
Lanuvium 43. 114. 117. 118.
201 A. 1. 220. 448. 468
A. 6.
Lapis manalis 106.
Lar familiaris 149 f. 154. 186.
326. 345.
Lara 189 A. 6.
Laralia 149. 385 A. 2.
Larenta 188.
Larentalia 188. 444 A. 5.
Lares 148 ff. 192.
Lares Augusti 152.
, Casanici 150 A. 6.
, Gompitales 148 f. 150
A. 6. 151 f.
, Domestici 150 A. 6.
, Grundules 153 A. 6.
, Hostilii 150.
„ Militares 150.
, Permarini 150.
, Praestites 151.
. Privati 150 A. 10.
Lares Public! 15a A. 10.
, Semitales 150 A. 6.
. Viales 150.
Larunda 188.
Larvas 153. 189. 192.
Latiar 109 f. 339 A. 1.
Latiner 35. 39. 42 f. 109 f.
199.
Latinische PriestertQmer 418.
Latinus 174.
Latona 240.
Laurenterkönige 60. 174.
Laurentes Lovinates 448.
Laurentum 114. 115. 129.
447 f.
Lavatio 264. 266. 469.
Lavema 190.
Lavinium 108. 114. 142 A. 1.
146. 183. 235. 244. 446.
447 f 480 A. 2.
Lebenslftnglichkeit der Prie-
sterwürde 424.
Lectistemia 52 f. 55. 218.
223 f. 246. 257. 260. 355 ff.
862.
Lectistemium Gereria 246.
355 A. 2.
lectm 228. 857 A. 1.
Leges regiae 442.
, templorum 6. 404 f. 442.
legum dictio 834. 453 A. 1.
Leichenspiele 888. 397.
Lemures 153. 189. 192.
Lemuria 189.
leo 309.
Leucesie 100 A. 8.
Leukothea 98 f.
Lex Acilia 441.
„ arae Dianae in Aventino
34. 404 f.
n dedicationis 404 f. 408.
« Domitia 417.
, Ogulnia 422.
, Papia 439.
liba 244.
Liber 106. 126 f. 248 f. 247 f.
316.
Liber und Hekate 816 f.
, , Hercules 247.
H , Mercurius 247.
a „ Silvanus 247.
Libera 248 f. 248. 256.
Liberalia 243 f.
Liberalitas 280.
liberare et effäre 403 A. 3.
455 f.
Libertas 126 f.
Libitina 52. 197. 235.
Libri Acheruntici 470 A. 3.
K augurales 454.
, exercituales 470 A. 3.
, fatales 462 A. 10. 470
A. 8.
, fulgurales 470 A. 3. 471.
„ haruspicini 470 A. 3.
I. Hamen- and Sachregister.
527
Libri pontificii 441.
, reconditi 470 A. 3.
, ritoales 470 A. 3.
« sacerdotum 5. 426 A. 5.
und 6.
, Tagetici 470 A. 3.
, Vegonioi 470 A. 3.
a libris pontificalibu8A26 A. 5.
Lictores 341 A. 2. 427. 436.
litatio 353.
Lituus 430. 452.
Lituos des Romulos 482 A. 1.
loca publica 399.
, religiosa 344. 408 ff.
443.
, Sacra 344. 399. 443.
loctM liberatus et effatus 455.
Lorio 391 A. 3.
Losung der Vestalinnen 418.
439.
Lua mater 171 f.
Lubentia 197.
lucar 383 A. 6.
Lucaria 250.
lud sacri 401.
Luoia Yolumnia 483 A. 3.
ludere 381. 382 A. 1 und 2.
Ludi Adiabenici 391 A. 4.
, Alamannici 391 A. 4.
^ Apollinares 240 f. 341.
362. 387.
, astici 396.
, Bubetii 165 A. 5.
, Capitolini 112. 340 A. 5
und6.382A.6.384A.l.
, Gastoris in Ostia 219.
, Geriales 244 f. 246. 387.
, circonses 386. 387 f.
392 f.
f, eompitalicii 149. 151.
383. 392.
, Divi Augusti et Fortunae
Reducis 388.
, fabarici 190 A. 1.
y, fatales 213 A. 4.
. Florales 163. 387.
, Francici 391 A. 4.
, funebres 388. 397.
a Genialici 157.
, Gottici 391 A. 4.
, graeci 394 f.
, honorarii 387.
, Joyi Liberatori 391.
, Juvenales 390 A. 3.
„ Lancionici 391 A. 4.
, latini 394 f.
, magmU1.384.389A.12.
r, Martiales 389.
, Maximati 391 A. 4.
, maximi 385 A. 3.
, Megalenses 263. 387.
, in Minicia H92 A. 3.
, Palatini 390 A. 3.
, Parthici 390 A. 2 und 4.
. Persici 391 A. 4.
Ludi piscatorü 184. 341 A. 3.
383 A. 4.
, plebei 112. 357. 386.
. Romani 37. 52f. Ulf.
340 A. 8. 357. 385 f.
, sacri 386 A. 3.
, saeoulares 364 f.
a Sarmatici 391 A. 4.
, scaenici 387 f. 393 ff.
, Solls 307 A. 3.
a sollemnes 387.
, Tarentini 255. 364.
, Taurii 388 468.
„ thymelici 396.
a triumphales 391 A. 4.
392 A. 1.
a Victoriae Gaesaris 128.
288. 340 A. 5. 388.
, Victoriae Sullanae 128.
388.
, votivi 384 A. 6. 385.
889. 391.
LuduB talarius 394.
, Troiae 382. 393. 481
A. 6.
E. Lflbbert 11.
lumemulia 487 A. 5.
Lumpae 182 A. 10.
Luna 260 ff. 281.
Lupercal 172.
Lupercalia 172 ff. 445 A. 5.
484 f
Luperci 172 f. 415. 445.
483 ff.
Luperci Julii 484.
, Quinctiales und Fa-
biani 340 A. 3. 483 f.
lustratio agri 180. 329 A. 3
und 4.
, classis 327.
, exercitua 130 A. 4.
327.
a pagi 130.
, urbi8 328.
Lustration 327 f. 349 f.
lustricus dies 329 A. 1.
Lustrum 130. 320. 327. 389
A. 1.
lustrum missum 328. 486 A. 5.
Lutatius Daphnis 61.
Lychnapsia 380.
Lymphae 182.
M& 290.
Mftnner vom Opfer ausge-
schlossen 177. 178.
magister 338 A. 3. 418 A. 2.
425. 461 A. 5. 462. 474
A. 5. 480 A. 4. 484. 487.
magistrae 97. 179.
Magistratur und Priestertum
388 f. 410 f. 431.
magistri ad fana templa de-
lubra 407 A. 3.
magistri Mentis bonae 259.
a mcorum 151 f. 185.
338 A. 3.
magtnenta 352.
Magna Mater 57. 79. 263 ff.
469.
Magna Mater und Bellona 291.
, , Geres 270
A. 3.
, , 9 Dea Suria
300. 302
A. 2.
, , ^ Isis 299.
, , Mithras312.
„ ^ „ Nemesis 316
A. 9.
Maja (MajesU) 185. 249 f.
Maiachbelus 303. 305 A. 1.
Mamers 129.
Mamuialia 134 A. 2. 380
A. 3 4. 483 A. 3.
Mamurius Veturius 134. 483
A. 3.
Manalis lapis 106.
Manes 153. 188. 192 f.
Mania 158. 193.
maniae 149. 193.
W. Mannhardt 12.
mansianes scUiorum Palati'
norum 483 A. 5.
Mantus 258.
manübiae 342 A. 3. 361.
Marc Aurel 82. 380.
Marcins vates 463 A. 2.
Marica 44.
G. Marini 10.
Marmar 129 A. 7.
J. Marquardt 11.
Mars 129 ff. 349 A. 1 und 4.
480. 486 f.
Mars Gyprius 129 A. 6.
. Gradivus 132.
, Invictus 500. 518.
, Thingsus 138 A. 8.
, Toutates 138.
, Ultor 70. 133.
Mars und Anna Perenna 134.
, , Juno 120. 133 f.
, Mercurius Hercules 77.
231.
, und Nerio 134.
, , SilvanuB 132 A. 8.
176.
, . Venus 133. 238.
Martins (Monat) 129.
Maspiter 129.
nuUer (als Kultbeiname) 28.
mater dea Baiana 265 A. 8.
Mater Lamm 151. 153. 189.
192.
Mater Magna s. Magna Mater.
Mater Matuta 97 ff.
Mater Matuta und Fortuna 207 .
mtUer sacrorum 298 A. 5;
Matidiae templum 287 A. 3.
528
L Hamen- und Sachregister.
Matralia 98.
Matronalia 116.
Mavors 129 A. 7.
meccator 219.
medio3cmidi%'^lL,h. 188 A. 8.
Meditrinalia 101 f.
me DifM Fidiua 121.
Mefitis 198.
Megalesia 264.
mehercU 227.
Memmia gens 288.
Memoria 260.
Men, Menotyrannua 270 f.
Menologia nistica 375.
Mens 259 fi
mensa 228. 357 A. 1. 363. 406.
Menschenopfer 81. 54. 109
A. 3. 171. 230. 309. 354 f.
397.
L. Mercklin 11.
Mercurialea 249.
Mercarius 45. 248 ff.
Mercurius und Fortuna 249.
, , Hercules 227.
, Liber 247.
, Mars Hercules 77.
231.
« und Minerva 249.
meretricutn dies 237.
merkattta 386.
R. Merkel 11.
Messia 195.
MUch 346.
miles 309.
Minerva 203 ff.
Minerva Berecynthia 206. 270
A. 1 und 3.
, Capta 203.
, Ghalcidica 205.
Medica 205.
« Memor Gabardiacen-
sis 205.
Minerva und Mercurius 249.
, , Neptunus 252.
ministri Äug. Mercwrii Maiae
72.
Minutus 196 A. 10.
Mitgliederlisten der Priester-
schaften 6. 417.
Mithras 80 f. 306. 307 ff.
Mithras und Magna Mater 312.
Moderatio 278 A. 7.
mola Salsa 30. 143. 346. 352.
Moles Martis 135.
Th. Mommsen 11.
monitor sacrorum 447 A. 4.
montani und pagani 385. 338
A. 3.
moretum 264.
Morta 59. 213 A. 3.
Mttnzbilder 7 A. 2. 50. 98. 95.
128. 218. 261.
Mulciber 186.
mi4to374A.9. 439. 441 A. 5.
Mundus 188 f. 258. 845. 862.
mundus Ceretis 161.
muntM gladiatoriutn 897 f.
Murcia 194 f. 261 A. 8.
muries 30. 143.
Muta dea 189.
miUüationes 264.
Muttergottheit von Capua 209
A. 8.
Mutunus Tutunus 195.
myrionyma (Isis) 81. 297 A. 8.
N und YP 371 f.
Nabarzes 310 A. 1.
Naenia 197.
Nageleinschlagung 111. 234.
339 A. 1. 364.
naina cundis 311.
Natales deorum 391 A. 1. 405
A. 8.
Natales imperatorum 286. 835
A. 8. 379 A. 5. 380. 389.
391.
Natales templorum 51. 405 f.
408.
Natalis urbis Romas 166.
Natio 44 A. 5.
Nautia gens 340 A. 2.
navis salvia 263 A. 5.
Neapel 284 A. 3. 396 A. 8.
nefasti dies 368 f. 376.
Nemesis 315 f.
Nemus 199 f.
Neptunalia 250. 253.
Neptunus 250 ff.
Neptunus und Minerva 252.
Nerio 134. 292.
Nero 301. 469.
Neronia 205. 896.
Neujahr 111. 143. 194. 339
A. 1. 375 A. 6.
B. G. Niebuhr 9 f.
Nikostrate 181.
H. Nissen 11.
Nixi di 200 A. 3.
Noctiluca 262.
Nomination 417 ff.
Nona 180. 213 A. 3.
Nonae Gaprotinae 118.
Nonalia sacra 440 A. 5. 444
A. 2.
Nortia"44A. 5. 234.
novemdiale sacrum 328 f. 373.
Novensides 15 f. 38.
Numa 25. 28. 62. 867. 884.
431 A. 1.
Numicus 183. 184 A. 4.
Numisius Martins 184.
Numitemus 44 A. 5. 134 A. 7.
Nundina 329 A. 1.
Nundinae 378 A. 2. 375 A. 6.
nuntiatio 458.
Nymphae 182 f. 185. 258.
518.
ohnimHatio 458.
obsecratio 331 A. 8. 857 A. 6.
359.
Odeum 397.
Oktoberross 131 f. 855 A. 3.
882 f. 445.
Olistene 95.
ollae 487 A. 5.
Opalia 168.
operari 344 A. 8.
Opfer 30 f. 344 ff.
Opferkuchen 31. 98 A. 5. di6.
Opfermahlzeit 358 f.
Opfertiere 348. 354 A. 4.
Opiconsivia 168.
Ops 168 f. 281.
Ops Augusta 169.
, Gonsiva 168. 445 A. 3.
, Opifera 168.
. Toitetia (?) 168 A. 5.
Ops und Satumua 168.
Orbona 196.
Orci nuptiae 246.
Orcus 192.
Ordo haruspicum LX 474.
ordo saceraotum 20. 433.
Orientalische Kulte 78 ff. 84.
263.
Orientierung der Tempel 408.
omamentum 407.
oscüla 256 A. 8.
oscines 457 A. 3.
Osiris 294 f. 298. 299 A. 6.
ostenta 470 f.
ostentaria 470 A. 3.
Ostia 185. 219. 296.
ova im Gircus 218.
Ovid 3. 9.
Ovis Idfdis 101.
Padus pater 188.
paelices 118.
Paganalia 335 A. 1. 872.
pagani 89 A. 8.
pagani und montani .335. 388
A. 3.
pagi 173. 335 A. 1.
Palaimon 99.
Palatua, Palatuar 165 f.
Pales 165 f.
Palladium 143.
Pallor und Pavor 135.
Palma 393.
Palmyra 306 f.
Panda Gela 162 A. 1.
Pantheus 82. 177. 213.
Pantomimus 396 A. 4.
parasiti Apollinis 241.
Parca, Parcae 213 f.
Parentalia 187 f. 372 A. 4.
Parilia 165 f. 335. 444 A. 2.
pars antica, posHca, dextra,
sinistra 452 f.
Pastophori 298.
I. Hamen- und Saohregistor.
529
pcUer (als Eultbeiname) 23.
Pater patratas 477 ff.
pater patrimua 482 A. 4.
, patrum 809.
, sacrorum 298 A. 5. 809.
patera 480 A. 2.
Patlentia 279.
Patrici8chePrie8tertümer421 f.
434.
pcitrimi et matritni 421 A. 10.
425 f.
patriua deus 183 A. 10.
Patulcius 96.
pausarii 299.
Pavor und Pallor 135.
Pax 273. 277 f.
pcLX et venia deum 327.
pectmia 345 A. 10.
pecunia conlata 862.
, multoHcia 341 A. 8.
361.
pedisequa 291.
Pelusia 296.
Penates 145 ff.
Penns Vestae 143. 445 A. 8.
peremnia auspida 457 A. 7.
Persa 309.
PersonificaÜonen 41. 48 f. 74 f.
255. 271 flf.
Perasia 114. 186.
Pessinus 263.
petra genetrix 310 A. 2.
Phallus 195. 244.
Phana 296 A. 3.
Philocalu8 3. 85 f. 380 f. 390 f.
398. 405 A. 8.
Philosophie 61 f.
Piacularopfer 329 f. 847. 350.
443 A. 8. 488.
piaculum 329 A. 2. 830 A. 5.
443.
Picentes 132.
Picumnus, PilamnnB 196. 357
A. 1.
Picus 165.
Picus und Faunus 174.
picus Feronius 233.
Pietas 274 f.
püae 149.
püetM libertatis 127.
Pilamnus, Picumnus 196. 857
A. 1.
Pinarii and Potitii 221 ff.
340 A. 2.
Pisanrum il4. 122. 198. 239
A. 8.
Piscatorii lud! 184.
PistriDum 142.
pium bellum 476 A. 2.
Plebs 45. 245.
Poemana 165 A. 3.
Paimunis 165.
Polemins SUyins 8. 89. 881
A. 4.
pollucere 226.
poUuere ferias 874 A. 6.
PoUnx 217 A. 5. 219.
Pomerium 37. 40. 55. 79 f.
183. 185. 217 f. 221. 254.
298 f. 408. 456. 457 A. 7.
460 A. 8.
Pomonal 164.
Pomonus, Pomona 165. 234.
Pompa circensis 112. 884.
Pens subliciuB 482 A. 4.
pontifex 413 A. 8. 432 A. 2.
Pontifex Albanns minor 449
A. 3.
Flavialifl 289 A. 2.
413 A. 8.
, Herculis 229 A. 6.
413 A. 8.
, mazimns 417. 424.
433. 437 ff.
Palatualis 165 A. 9.
413 A. 3. 432 A. 8.
pontificalia verha 82.
Pontificatus maximns der
Kaiser 69. 86. 415. 437.
Pontifices 324. 840. 409 f.
430 ff.
Pontifices maiores 450.
, minores 447.
, Solis 307.
Vestae 144. 807.
450.
Popae 427.
Poplifugia 102.
popularia 8<icra 385 A. 2.
Populonia 115 A. 3.
Porca praecidanea 160. 335
A. 3.
, praesentanea 161.
Portanns, Portnnalia 99. 184.
Portas 296. 299 A. 7.
postem tenere 881 A. 8. 382
A. 6. 404 A. 3.
poatüio 471 A. 7.
postriduani dies 369 A. 8.
376 f.
postulatoria fvlgura 471 A. 7.
Postverta 180. 181.
Potitii and Pinarii 221 ff. 840
A. 2.
praeciae 446 A. 5.
Praecidanea porca 160. 385
A. 3.
praecidaneae feriae 372.
praeire {verha) 331.
praemetium 160. 247. 845 A. 1 .
Praeneste 43. 108. 114. 122.
129. 186. 209 f. 220. 281
A. 8. 289 A. 8.
praepetes {aves) Abi Al. 3.
Praesentanea porca 161.
Praestana 221 A. 2.
Praestita, Praestitia, Praestota
184. v;21 A. 2.
praesul 425.
Praetezta 428.
Praetor nrbanos 841. 884 A. 4.
888.
precationes augurum 451 A. 5.
L. Preller 10.
A. Preuner 12.
Priesterbestellong 417 ff.
Priesterlisten 6. 417.
Priesterschmäose 429 A. 4.
487.
Priestertümer 16. 30. 63 ff.
66 f. 69. 339 f. 410 ff.
primitiae 345.
Privatkult 29 f. 65 f. 884 f.
336 ff. 443.
Procuration der Prodigien 328.
331 f. 350. 443. 464 ff.
467 ff. 488.
Prodigia 53 f. 328. 408. 443.
464 ff. 470 ff.
proeliares dies 374 A. 5. 876
A. 3.
profanum 399.
profesti dies 366 A. 1.
profeta 298.
Promagister 425 A. 7. 437.
462.
propter viam 226.
propudianus porcus 847 A. 1.
Prorsa 180.
Proserpina 255 ff.
prosiciae 352.
Providentia 279.
proximus a libris sacerdota"
libus 426 A. 5.
publici 426 f. 462.
Publicius vates 468 A. 2.
Pudicitia 207. 276 f.
Puemunus 164.
pugiles 898 A. 3 und 4.
Pullarii 427. 459 f.
puls 846. 459.
Pulvinar 260. 262. 291. 356.
407. •
pulvinaria {ad amnia jp.) 335.
858.
pwrus 351 A. 3. 376 A. 8. 477
A. 2.
Puteal 107.
Puteoli 292. 801. 804.
Pjrgensis pater 188 A. 10.
Pyrrhicha 393 A. 5. 89& A. 4.
Pythagoreismus 62.
Quadrigae 111. 261. 892.
Quaestoren 398.
Q(uando) R(ex) C(omitavit)
F(a8) 368 A. 6. 870 A. 1.
872. 440 A. 6. 444 A. 2.
445 A. 4. 482 A. 1.
Q(uando) ST(ercas) D(elatam)
F(as) 148. 368 A. 6. 372.
Quartana (febris) 198.
Quellenkult 182 f. 862.
Quies 276.
Eradbaoh der UaM. AltertnimwlMeiMdhaft. T, 4
34
530
I. Namen« nnd Sachregister.
Quinctia gens 484.
Quindecimviri sacris faciundis
264. 265. 269. 340. 358.
360. 416. 461 ff.
Quinqaatrus 131. 203 f. 375.
382. 397 A. 8. 481.
Qainquatrus mimisciilae 204.
Quirinalia 140.
Quirinos 27. 139 ff. 480.
Radscheiben 121. 124.
Reatinus pater 183 A. 10.
Redicolos 49.
Regia 431.
Regifugiam 370. 444 A. 2.
Regina sacronim 435.
regiones caeli 452. 471.
A. Reifferscheid 11.
religio 318.
religiosi 270 A. 1.
religiosutn 323. 344. 376 f.
400 A. 2. 408 f. 443.
rem divinam facere 344.
Reqaietio 266.
res religiosae 323.
, sacrae 323.
res repetere 478.
responsa 442. 454.
reus voti 320 A. 3.
Rex Nemorensis 199.
Rex sacrorum 91. 432 ff.
rica, riciniutn 428 A. 6.
Ritter 51. 218. 485.
Ritterliche PriestertUmer 419.
422. 447. 449. 482. 485.
Robigus, Robigalia 162 f. 444
A. 5.
Rom, Geheimname 193.
Roma (dea) 72. 281 ff.
Roma aeterna 283.
Roma und Augnstas 284.
, , Venufl 282 f.
'PtüfÄaTa 166. 282 A 1. 284
A. 3.
Romulas-Quirinas 141.
Romulus (Sohn des Maxentius]
289
Rosaria 367 A. 5.
W. H. Röscher 12.
Rosmerta 250.
G. B. de Rossi 11.
J. Rabino 10.
Ramina 115. 195.
Rumon 195 A. 7.
Rundtempel 402.
Rusor 159 A. 4.
Sabaoth 315.
Sabazius 315.
saeellum 400 f. 402.
sacena 440 A. 3.
tacer esto 825.
sacerdos 413 f.
saeerdos confarreationum et
diffareationum 337 A. 5.
sacerdos virginum Vestalium
414. 446 A. 5.
sacerdotes Albani 448.
bideniales 121. 472
A. 4.
, Banae deae 179.
, Cabenses 448.
, Caeninenses 448 f.
, Cereris publicae
244.
, dei Solis invicti
MUhrae 309 A. 3.
j9f(;t«298A.9. 299
A. 1.
, LanMinmll7.448f.
, Laurentes Lavinct-
tes 448.
Matris deum mag-
nae Idaeae 265.
publici^AOAÄAlQ.
XVvirales 265.
, sacrae urbis 414.
„ Suciniani 448.
Tusculani 448 f.
a urbis Romae 283
A.4.
sacerdotia equestria 419. 422.
447. 449. 482. 485.
scLcra externa 79 A. 4. 80 A. 5.
, getUilicia^ZbkA. 337
A.10.
, Idulia 101. 103. 444
A. 4. 445 A. 3.
, mensa 363. 406.
, Nonalia 440 A. 5. 444
A. 2.
, peregrina 40 A. 3. 79.
289 ff. 380.
„ popularia 335 A. 2.
a populi Romani 319.
, pHvata 29 f. 65 f. 234 f.
336 ff 443.
, pro curiis, tnontibus,
pagis, sacellis 335 A. 1.
a pro populo 335 A. 1.
. publica 334 f.
, Savadia 315.
a sollemnia 349.
, suppellex 406.
sacramentum 343.
sacrarium 400 A. 7.
sacratae leges 325 A. 8.
sacrati, sacratae 309. 314 A. 2.
316 A. 12.
Sacrilegium 323. 330 A. 2.
sacrima 247. 345 A. 3.
a sacris 426 A. 4.
sacrorum 298 A. 5.
sacrorum detestatio 337 A. 7.
440.
sacrum 323. 344.
sacrum anniversarium Cere-
ris 245.
sacrum Phariae 296.
Saecularfeier 68. 257. 368 ff.
465 A. 6. 468. 469.
saecvlum 363 f.
sagmina 104. 477.
Saguntum 480 A. 2 und 5.
Salacia 250 f.
Saliae virgines 445 A. 4. 481
A. 5.
saliares epulae 429 A. 4. 4Sd.
SaUer 131. 139. 220. 382. 411
A.1.415.417A.4. 419A.2.
421 A. 8. 423. 428 A. 5.
445. 480 ff.
SaHerUed 73. 74. 285. 483.
Salii Agonenses 480.
a Pfdatini und Collini 480.
a Pavorii et Pallorii 135
A. 3. 480 A. 4.
Salus 122 f. 254 f.
Salus Augnsta 123.
a Publica 122. 273.
a Semonia 122.
Salus und Felidtas 122 A. 9.
215.
Sancus, Sancius 120.
Sanguen 266.
sanquales aves 121.
Sarapia 296.
Sarapis 292 ff.
Sardus pater 1»3A.10.
Satumaüa 169 ff. 335 A. 5.
375.
Saturnalieius princeps 171.
Satumia 170.
Satumus 55. 169 ff. 398 A. 9.
Satumus und Dia pater 169.
256.
a a Janus 95.
a , Ops 168.
Savazios 314 f.
Saxum sacrum 178.
scalae Caciae 230.
scena ( = sacena) 440 A. 3.
Schaukeln 109 A. S.
Schlange 155. 178. 179.
Schlauchhapfen 112. 382.
Schlüssel 94. 99.
Schulfeste 375 f.
A. Schwegler 10.
Schwein als Opfertier 31. 346.
477 A. 7.
Schwur der Priester 435 A. 8.
scortea 181.
scribae et histriones 204.
Sebethus 183.
secespita 440 A. 3.
Securitas 278.
Segetia 195.
Seia 195.
Sella curulis 428. 436.
Sellistemia 257 A. 8. 357.
Sementivae 160.
Semo Sancus 120 f. 227.
semones 120 A. 4.
I. Namen- nnd Sachregister.
531
Senat 40. 341 f. 418 f. 428.
486. 464 f. 471 f. 473.
Senatorische Priestertümer
422.
Septemyiri epulones 357. 446.
Septimontiiun 27. 385 A. 2.
ö72.
Serapis 292 ff.
Serviua Tullius 186.
servorum dies 201.
Sessia 195 A. 4.
Sihylünische Bücher 37. 68.
88. 239. 462 ff.
SigUlaria 170.
aigna ex avibus 457.
sUex 30. 103 f. 325. 477 f.
Silvanae und Silvani 176
A.n.
Silvanas 175 ff.
Silvanns und Diana 202.
, K Hercules 228.
, , Liber 247.
, Mars 132 A. 3.
176.
simpulum 430. 444 A. 8.
sine sacris hereditas 66. 337
A. 10.
Sistrum 297.
sive deus sive dea 33.
8yaven51. 98. 170. 199.201.
333 A. 6.
Sodales Antoniniani (Veriani
Marciani u.8.w.) 287.
490.
AugusUles 287. 414.
419 A. 2. 489.
„ Augustales Claudiales
287. 489.
y, Gocceiani 489.
FlayialesTitiales287.
489.
Hadrianales 287. 489.
, Titii 340 A. 3. 488 f.
, Ulpiales 287. 489.
sodalitates 264. 340. 411.
Sol 260 ff. 803. 304 ff.
Sol Divinus 301. 305.
. Indiges 262.
, Invictus 805 f.
, Invictus Elagabal 305 f.
, Invictus Mithras 308. 311.
solUaurilia 350 A. 1.
solUmnis 373 A. 3.
solum ItcUicum 344.
Sonnenkulte^orientalische 263.
304 ff.
Soracte 172. 191. 258. 483
A. 6.
sortes 210.
Specht 132.
spectio 456 A. 8.
Speiseopfer 345 f.
spelaeum 308.
Spes 273 f.
Spes und Fortuna 273 A. 8.
Spiele 31. 86 f. 52 f. 65.
111 f. 340 f. 381 ff. 429.
487; s. auch Ludi.
Spiele, kaiserliche 390.
« , sacerdotale und magi-
stratische 340. 383. .
Spielgelder 343 A. 2. 383.
spira 202 A. 9. 248 A. 6.
sponsio 324. 478 A. 6.
Sportein 343.
sportula 429 A. 4.
Stadium 397.
Stampfen der SpeltkOmer 30.
142.
Stata mater 185.
stcUivae (statae) feriae 373.
Stein der Magna Mater 263.
264.
Stellvertretende Opfer 355.
Steuerruder 213.
Stier des Mithras 310.
Stiftungstage 51. 208 A. 8.
405 f. 408.
Stilicho 88. 464.
Stimula 197.
stipetn eogere 265 A. 2. 363.
, iacere 362 A. 7.
stips 362 f.
Störung der Sacralhandlung
333. 457 A. 4.
Stoiker 62.
Storch 275.
Strafgelder 343.
strenae 375 A. 6.
Strenia 196.
strues und fertum 31. 347
A. 4. 435. 446 A. 5.
strufertarii 446 A. 5.
Stultoram feriae 140. 142.
succidanea hostia 350 A. 6.
Suciniani 448.
suffimenta 327. 335.
Sul (dea) 206.
Suleviae 77 A. 4.
Sulla 237. 290. 416.
summanalia 124.
Summanus 124.
Summanus und Dis pater 124
A. 6 und 9. 257.
Suovetaurilia 31. 130. 849 f.
486.
Supplicationen 52 f. 357 ff.
supra numerum 416.
Symmachus 87.
symphoniaci 427 A. 9.
Syrische Gottheiten 299 ff.
tabernaculum 455 A. 2. 458
A. 2.
Tacita'(dea) 189.
Talarius Indus 394.
Tanith 312.
Tanz 360. 382. 480. 482. 487.
Tarent 177. 251. 257.
tarentum 256.
Tarpeja 187 f.
Tarquinier 28. 33 ff. 110. 384.
463 A. 1.
Tarquitius Priscus 470 A. 2.
Tarracina 232.
Taurii ludi 388. 468.
Taurobolium 81. 267 ff. 469.
taurus 348 A. 1.
Tellumo 159 A. 4.
Tellus 159 ff.
Tempelorientierung 403 A. 2.
Tempeh-aub 330 A. 7.
Tempestates 252.
templutn 403 f. 454 f.
templum minus 454 A. 7.
Ter novena 295.
ter navenae virgines 360.
Terminus, Terminalia 124 f.
Terra mater 162.
Tertiana (febris) 198.
Testament 337. 440.
Testierrecht der Vestalinnen
436.
testuaHum 98.
theatrum 395.
Themis 181.
Theodosins 88.
Theokrasie 81 f.
thesaurus 363.
Thingsus 188 A. 8.
Thongefftsse 30. 144. 487 A. 5.
Thrakisch - phrjgische Qott*
heiten 314 ff.
thymelici 396 A. 2.
Tiberinus 95. 184.
Tiberius 73. 79. 464.
Tibicines 204. 352. 427.
Tibur42. 108. 114. 142 A.l.
174. 220 f. 480 A. 2.
Tiere, heilige 23 f.
Tierhetzen 387 A. 5.
Tieropfer 81. 345 ff.
Tifata 198.
Tigillum sororium 92. 840 A. 2.
Titus Tatius 25. 488.
Tiu 138.
Todesstrafe 326 A.4.
toga libera 244.
Toga virilis 113. 244. 336 A.2.
Totenfeiern 187 f.
Toutates 138.
Trabea 428. 480.
Tranquülitas 252. 278 A. 3.
translatio cadaveris 380 A. 4.
409 A. 10.
Trans vectio equitum 138.
135 f. 217. 485.
Traum 331 A. 5.
Tresviri epulones s. Septem-
viri epulones.
Tria Fata 213.
Tribuni celerum 882. 481.
tripodare 360 A. 4. 482 A. 5.
487.
84*
532
I. Hamen- nnd Sachregister.
Tripudiiim 859 f.
Triumph 36. 111. 884.
Triumph in monte Albano 110.
Trivia 202.
Troiae Indus 882. 393. 481
A. 6.
Tubicines sacrorum 427. 482.
Tnbilustrium 181. 186. 482.
Tuder 129.
Turnus 251.
Turpenus pater 183.
Tursa 134.
tu8 ac vintm 835 A. 6. 347
A. 3 nnd 4. 852. 358.
tuscanicae 487 A. 5.
Tnsculani sacerdotes 448.
Tusculum 42. 108. 114. 199
A. 1. 217 f. 220. 448. 480
A. 2.
Tntanus Redicnlns 49.
Tutela 156 f.
Tutilina 195.
tiUulu8 428.
Ubertas 276.
ültio 280.
umbrae 250.
Unblutige Opfer 845 f.
univiriae 98. 208. 277. 435
A. 1.
Unterwelt 187 ff.
Unxia 119.
Urbis templutn 282.
Usener H. 12.
vctciUio tnilüicie et m%Meri»
429 A. 5.
Vacuna 44. 128.
Yalentia 44 A. 5.
Yaletndo 255 A. 2.
Varro 4. 25. 61 ff.
vates 425.
Yaticannm 267. 291.
Yediovis, Yedius 190 A. 6.
Yen 48. 116.
Vejovis 190 f. 258.
Yejoyis und Apollo 191. 241.
ven<Uione8 397 f.
Veneralia 287. 880 A. 5.
Yenilia 95. 250 f.
Yenti 252.
Yenus 284 ff.
YenuB Gaelestis 813 A. 7.
, Emcina 236.
. Felix 237. 380 A. 5.
391.
Yenus Fisica 287 A. 6.
. Genitrix 288.
, Heliopolitana 804.
„ hortomm Sallnstiano-
mm 285 A. 6.
, Jovia 287 A. 6.
, Pompejana 237.
. Yerticordia 236 f.
, Yictrix 237 f.
, Yirgo 313 A. 7.
Yenus und Felicitas 215. 237.
. , Mars 133. 238.
. , Roma 239. 282 f.
, Yictoria 238.
, „ Yolcanus 186.
Yer sacrum 54. 132. 339 A. 5.
345. 354.
verha certa, sollemnia 383 A. 8.
Yerbenarius 477.
Yererbung der aacra privata
65 f. 337 f.
Yergü 9.
Yerhfillung des Hauptes beim
Opfer 338 A. 1. 852. 429.
Yerkleidungen 881 A. 7.
Yerminus 49 A. 4.
vemisera auguria 453.
Yersprechen 334.
Yesta 26. 29. 69. 141 ff.
402.
Yesta deorum deammque 148.
, publica pop. Rom. Quir.
143.
Yesta und Janus 20. 91. 141 f.
a , Penaten 146 f.
, , Yolcanus 186.
YestaUa 142.
Yestalinnen 143 f. 417. 418.
421 A. 8 und 10. 433 ff.
Yesuna 164.
Yiatores 427.
Yica Pota 128. 196.
Yicomagistri 151 f.
vicHmae 347 A. 6.
Yictimarii 352. 427.
Yictoria 127 f. 263. 282.
Yictoria, ihr Altar in der Curie
87 129
Yictoria Yirgo 128. 506.
Yictoria und Yenus 288.
Yictoriati 128.
Yiduus 196.
Yinalia priora 102. 236.
, mstica 101. 235.
vineta virgetaque 453 A. 8.
Vintius 219.
Yiolae dies 367 A. 5.
Yirbius 200.
Yires (Virae) 141. 200 A. 6.
252 A. 10. 269 A. 2.
Yir^es divae 141 A. 10.
Yirgines Yestales s. Yesta-
linnen.
Yurgo Gaelestis 813 A. 7.
Yirgo Yestalis maxima 437.
Yiriplaca 195.
Yirites Quirini 141.
Yirtus 135 ff.
Yirtus und Bellona 292.
viscera 353 A. 8.
Yisidianus 44 A. 5.
vUiosi dies 376.
Vitium 458.
Yitulatio 871 A. 5. 877 A. 10.
445 A. 1.
Yolcanus, Yolcanalia 184 iL
Yolcanus Quietus 185.
Yolcanus und Yenus 186.
, . Yesta 186.
Yolksbewirtnngen 226. 354.
Yolsinü 43. 233. 234.
Yolsker 108.
Yoltnmna 233 A. 3.
Yoltumus, Yoltumalia 184.
Yortumnus 165. 233 f.
Yota decennalia, quinquen-
nalia, vicennalia 320 f.
Yota publica 320 f.
Yotorum nuncupatio 320 A. 2.
381. 446.
Yotum 319 ff. 448.
Waffenverbrennung 134 A. 4.
171. 185.
Wagenfahren der Priester 486.
Wagenrennen 392 f.
Weibgeschenke 361 f.
Weihrauch 335 A. 6. 347.
352. 358.
Wein beim Opfer 109 A. 3.
178. 335 A. 6. 346. 347.
352. 858.
Wendung nach dem Grebet
332 A. 6.
Wettfahren 382. 392 f.
Wettlauf 382. 393.
Wiederherstellung der Tempel
67. 75. 406.
Wolf 131. 488.
Zbelthiurdos 315.
Ziege 118. 119. 191.241.435.
Zimidrenus 315.
ZwOlfgGtterkreis 55.
II. Stellenregister.
Aufgenommen Bind nur dl€)}enigen Stellen, deren Bmendation oder Erklirung berührt worden Ist
Seite
Amob. mSO 115 A. 3.
, m 88 340 , 1.
Atignst. c. d. IV 16
276
Caas. Dio XXXVIH 6, 1 .... 338
, LI 1, 2 386
, LIIl 2, 4 79
, LIV27, 3 431
, LXXI 34, 3 . 276 A. 3. 279
, LXXIX 21, 2 ... . 306
Catall. 17, 5 482
Censorin. 14, 6 470
Cic. ad Att. II 17, 2 293
, de div. I 92 473
„ de har. resp. 32 . . . . . 408
, de leg. n 19 41.
. . . n20 456
... II 21 476
Diod. XXXVn 17 Bekk.
Dion. Hai. ant. 11 70, 5 .
m 32, 4 .
IV 27, 7 .
VI, 4 .
VII 73, 3
vni 56, 4
ff II
II B
• ff
ff
ff
ff
ff
Fest p. 157 455
. , 165b 17 371
237 40
238 160
242 207
245 .... 335 A. 2. 402
249 446
250 854
253 335
257b 15 ff. . . 484A. 1. 485
278 445
321 ... . 408 A. 7. 477
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
Gaios II 4 400
, U 7* 344
Gell. I 12, 17 438
, V 12, 12 354
, X15, 30 377
6.
8.
3.
3.
7.
1.
4.
4.
3.
1.
8.
9.
8.
7.
15.
482 , 5.
482 , 5.
206 . 7.
438 , 4.
393 , 1.
208 . 1.
1.
2.
3.
7.
5.
3.
5.
2.
3.
5.
4.
2.
2.
7.
5.
5.
6.
Hieron. vita S. Hilarion. 20 .
Hist. ang. Anton, philos. 13, 2
ff ff ff ff 23, 8
, , Glaud. 4, 2
, , Aurelian. 19. 20
Horat. carm. III 30, 8
ff IV 15, 9 .
, epist. I 1, 49 . .
Inschriffcen: GIL H 3820
ff V775
, VI 912b 9
, VI 2125
, VI 2160
, IX 2633
, X 1493
. X 3812
ff XIV 4.
, XIV 2418
, XIV 2852
, XIV 3556
ScHNBiDBB, Ezempla
nr. 19
ZvsTAiBFF, Inscr. Ital.
inf. nr. 108
luvenal. 11, 194 f.
Seite
844 . 5.
356 A. 7.
296 . 6.
Liv. I 5, 2 . .
124,6 . .
I 32, 11 .
I 32, 12 .
V 41, 3
vm 9, 6 .
Vni 14, 2 .
epit. XIV .
XXV 1, 12
XXV 12, 14
XXXI 21, 12
XXXV 41, 8
XXXVI 37, 4
XXXIX 22, 1
XL 42, 8 ff.
XL 42, 11 .
XL 59, 7 .
XLV 33, 2 .
266
464
445
96
882
349
214.
485
448
485
169
449
218
202
448
211
220
168
98
884
173
476
478
479
338
15.
448
124
41.
395
191
191
465
388
420
438
356
134
8.
4.
3.
5.
6.
6.
7.
5.
6.
2.
1.
4.
9.
5.
3.
8.
5.
L
4.
10.
8.
2.
1.
7.
13.
5.
3.
2.
8.
3.
2.
4.
8.
5.
4.
534
n. Stelleiiregister.
Seite
Lyd. de mens. IV 42 291 A. 10.
. « « IV 49 159 , 8.
, , , frg. Caseol.
p. 117 Bekk. 251 ,11.
Macr. S. I 10, 21 168 , 6.
, , I 16, 3 366 , 2.
, , m 9, 7 313 . 3.
, , III 9, 10 f. 322 , 5.
Mart. Gap. II 149 59 , 2.
Moniim. Anc. 2, 42 96 , 5.
.4,4 262 , 5.
Obeeqa. 46 363 , 1.
Ovid. fast, m 837 203 . 9.
, III 881 f. 273 , 1.
, IV 623 f. 12« , 5.
, IV 863 ff. 236 , 8.
, V 148 ff. 178 , 10.
Paulin. Nol. c. 32, 137 f. ... 187 , 2.
Paul. p. 3 483 , 2.
9 „5 485 , 8.
, ,91 164.
, ,101 104 , 8.
, ,200 59 , 2.
, ,264 101 , 5.
Plaut, eist. 512 33 , 5.
Plin. n. h. XXIX 16 254 , 6.
, , XXXII 20 357 , 1.
, , XXXIV 19 .... 180 , 4.
Plut Mar. 26 211 , 6.
, de fort. Rom. 10 .... 208 , 6.
Polyb. XXI 13, 11 415 , 2.
Ruta. Namat. I 232 173 , 10.
Schol. Bern. Verg. ecl. 4, 62 . . 228.
, Bob. Cic. p. 209. 305 Or. . 136 , 2.
, Veron. Verg. Aen. II 714 . 294 , 2.
Serv. Aen. I 17 115,5.
, I 398 470 , 3.
. . I 720 235 , 4.
Serv. Aen. II 166 .. .
, , II 227 . . .
, II 512 . . .
, U 649 . . .
„ , III 139 .. .
. , III 231. . .
. , IV58 . . .
, . VI73 . . .
. , VI 860. . .
, , Vn 190 . .
, VIII 190 . .
, VUI 285 . .
, Vni 363 . .
, VJII 552 . .
, Vni 636 . .
, IX 624 . . .
, XII 841 . .
Stat. sUv. I 3, 80 . . .
Suet. Gaes. 39; Aug. 43 .
Seite
482 A. 4.
167 A. 2.
283
455
470
172
353
161
461
20
428
145
135
431
434
236
349
313
209
395
Tac. ann. III 64 389
, , XV 41 147
Tertull. apol. 15 258
,24 300
de idol. 10 246
ad nat. I 10 258
, , II 9 16.
de spect. 5 167
Varro de lingua lat. V 52 ... 240
, V85 480A.1.488
V158
VI 16
VI 26
VI 28
VI 34
VI 54
VII 8
IX 61
395
101
338
369
485
399
454
483
476
bei Non. p. 529 ....
Verg. Aen. I 704 146
, Vm 269 f. . . . . 221
Vitruv. IV 5 403
1.
1.
3.
1.
9.
2.
3.
1.
5.
1.
3.
7.
7.
12.
6.
3.
2.
1.
12.
5.
6.
3.
10.
6.
1.
3.
6.
3.
8.
8.
5.
2.
10.
7.
3.
8.
1.
8.
2.
r
^U6
15199^»
3 2044 023 400 633
^
Wisscfira, Georg
PA
Religion und Kultus
25
der R5mer.
.H25
Bd. 5
Abt.H
• - ^ '