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ESC-Sieg für Nemo Queer gewinnt

Von Biel über Berlin in die Welt: Zum dritten Mal gewinnt die Schweiz beim Eurovision Song Contest – dank des akrobatischen Paradiesvogels Nemo und eines Siegessongs über die Suche nach dem Glück im Nicht-Binären.
ESC-Sieg für die Schweiz: Nemo mit (noch intakter) Siegestrophäe

ESC-Sieg für die Schweiz: Nemo mit (noch intakter) Siegestrophäe

Foto:

Leonhard Foeger / REUTERS

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Am Ende einer Woche, in der der Eurovision Song Contest bei seiner 68. Austragung im Chaos zu versinken drohte, konnte es keine bessere Siegerin, keinen besseren Sieger geben als Nemo. Auf dem Podium, neben der gläsernen Siegestrophäe, sprach Nemo eine Eloge auf den ESC: »Es gibt so viele Blasen, aber er ist ein Ort, wo man wirklich man selbst sein kann. Und solche Orte brauchen wir auf der Welt.« Da war er wieder, der mühsam hochgehaltene Mythos vom Eurovision Song Contest als Hort der Kreativität, der Offenheit, der Diversität.

Nemo hat gewonnen in einem Jahr, in dem es »so viele queere Verkörperungen gab wie nie zuvor«. Da war die schwule Boxgym-Umkleidenshow des Engländers Olly Alexander. Die selbst stilisierte »Witch« Bambie Thug aus Irland, die sich in ein transflaggenfarbiges Zauberwesen verwandelte. Und natürlich Nemos »The Code«.

Am 11. November 2023 postete Nemo auf Instagram, fortan möge man auf Englisch »They/them« sagen – und auf Deutsch eben Nemo. Als non-binäre Person »denke ich an Gender als eine Galaxie und stelle mir mich selbst darin als kleinen Stern vor, der irgendwo darin umherschwebt«. Nun macht ein Lied über just diese Erfahrung Nemo potenziell zum großen internationalen Star.

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Es war Céline Dion, damals eine noch wenig bekannte Quebecerin, die zum letzten Mal für die Schweiz beim Eurovision Song Contest siegte. 1988 war das und sie beendete mit »Ne partez pas sans moi« ein langes Warten – seit dem allerersten Grand Prix Eurovision, den 1956 Lys Assia aus Rupperswil gewonnen hatte. Während diese immer wieder im ESC-Umfeld auftrat, ging Céline Dions Karriere weit darüber hinaus. Und nun also Nemo.

Höchstpersönliches Gemeinschaftswerk

Dass die Schweiz stolz auf die Person sein wird, die diesen Triumph errungen hat, ist klar. Nemo will es ausnutzen, ein Gespräch mit Bundesrat Beat Jans ist schon fest eingeplant über die Einführung eines dritten Geschlechts in der eidgenössischen Gesetzgebung. Wo der ESC 2025 ausgetragen werden solle? Am liebsten in Biel, findet Nemo. Bloß die Zahl der geforderten Hotelzimmer könnte ein Problem darstellen, »da gibt’s vielleicht 500«.

1999 wurde Nemo Mettler im zweisprachigen Biel/Bienne geboren, lernte Geige, Klavier, Schlagzeug. DJ Bobo durfte sich als Jurypräsident einer TV-Castingshow vom Talent des 15-jährigen Kindes überzeugen. Doch beim Rap-Wettbewerb »Bounce Cypher« nahm die Schweizer Öffentlichkeit 2016 erstmals Notiz von Nemo. Es folgten einige schwyzerdütsche Rap- und Pop-Hits in den helvetischen Charts. Aber für den nächsten Schritt brauchte es Berlin.

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In der deutschen Hauptstadt bildete sich in Nemo das Selbstbewusstsein heraus, die nicht-binäre Identität für sich anzunehmen. Wie um zu zeigen, dass die alte eingeengte Schweizer Persona zurückgelassen sei, singt Nemo nun auf Englisch. Doch in der Schweiz ist Nemo im Gedächtnis geblieben.

Pele Loriano ist der Mann, der für die Wiedergeburt der Schweiz als ESC-Nation hauptverantwortlich ist. Zwischen 2015 und 2019 kam viermal hintereinander das Aus im Halbfinale. Dann organisierte Loriano Songwritingcamps, um gezielt ESC-Titel für die Schweiz zu entwickeln. Es folgte ein vierter Platz für Luca Hänni und ein dritter für Gjon’s Tears. Und in Nemo sah Loriano die Persönlichkeit, die es ganz nach oben schaffen könnte.

In einem Songwritingcamp in Spanien entstand also »The Code«. Vier Musikerinnen und Musiker aus Norwegen, Schweden und der Schweiz schrieben daran. Man hört das einerseits – am wilden Stilmix zwischen Operngesang und Rap, Drum’n’Bass-Beats, Filmmusikstreichern und einem knalligen Pop-Refrain. Doch das Verblüffende ist, wie dieses Gemeinschaftswerk die so persönliche Geschichte von Nemo auf den Punkt bringt: »Somewhere between the 0s and 1s, that’s where I found my kingdom come« heißt es darin, der binäre Code ist gebrochen.

Eingeschmuggelte Flagge

Zur Illustration wählte man eine Bühneninszenierung, bei der Nemo auf einer Rundwippe mal auf der einen, mal auf der anderen Seite auftaucht, um zum Schluss auf ihr herumzukreisen. Man hätte vielleicht Magnete benutzen können, sinnierte Nemo nach dem Sieg, das wäre weniger gefährlich gewesen. Doch es sei wichtig gewesen, jedes einzelne Mal voll fokussiert zu sein, »jedes Mal ganz ich selbst zu sein«.

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Beim Flaggeneinlauf trug Nemo neben dem Schweizerkreuz auch die gelb-weiß-lila-schwarze Flagge der nicht-binären Community. »Ich musste sie reinschmuggeln«, denn die Eurovision habe Nein dazu gesagt. Eigentlich ist neben den Flaggen der teilnehmenden Länder nur die Regenbogenflagge erlaubt bisher. »Ich bin unglaublich stolz – für die Community«, sagte Nemo weiter. Es gehe um Empathie, darum, nicht nur übereinander, sondern auch miteinander zu sprechen.

Nach den Voten der Fachjurys aus 37 Ländern lag die Schweiz mit 365 klar vorn. Jede Zwölf-Punkte-Verkündung feierte Nemo mit großer Euphorie. Doch der Sieg war noch lange nicht perfekt, zumal das Publikum den offensiv homosexuell codierten Auftritt aus Großbritannien mit zero points quittierte. Eden Golan aus Israel und Baby Lasagna aus Kroatien erhielten weit über 300 Publikumspunkte. Doch am Ende war klar: Immerhin 234 Punkte hatten die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer für Nemo vergeben.

Die Siegestrophäe fiel Nemo dann gleich aus der Hand: »Ich habe den Code zerbrochen – und den Pokal gleich auch«.

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