www.fgks.org   »   [go: up one dir, main page]

Glorreiche Generation: Der Volksbühnenschauspieler Ulrich Voß ist gestorben

Er erlebte den brutalen Umbruch an der Volksbühne und den fulminanten Frank-Castorf-Flow mit. Der Schauspieler Ulrich Voß ist nun im Alter von 86 Jahren gestorben.

Ulrich Voß (1938–2024)
Ulrich Voß (1938–2024)Imago

Intendantenwechsel verursachen Stress in den Theatern. Wenn zugleich ein gesellschaftlicher Systemwechsel stattfindet, in dessen Schatten das Haus durch eine existenzielle künstlerische Krise geht, wird der Beruf des Ensemble-Schauspielers zur seelischen Tortur. Ulrich Voß, geboren 1938 in Rostock, hat einen solchen Wechsel an der Volksbühne erlebt. Seit 1986 war er dort engagiert, kam zuerst bei dem Spektakel „Preußen-Spiele“ zum Einsatz, bei dem Heiner-Müller-Szenen im ganzen Haus gespielt wurden.

In der Wendezeit erhielten die Berliner Theater noch einmal einen Bedeutungsbooster, dann aber blieben die Leute weg. 1992 übernahm dann der junge Frank Castorf das Haus und stellte es auf den Kopf. Man ahnt, wie das in der Kantine von denen, die schon da waren und dank ihrer DDR-Verträge auch nicht gekündigt werden konnten, besprochen wurde. Zu Castorfs großen künstlerischen, gemeinhin als zerstörerisch gewerteten Leistungen gehört der Umgang mit ebendiesen (damals noch gar nicht so) Alten. Neben Ulrich Voß waren das Joachim Tomaschewsky (1919–2019), Susanne Düllmann (1928–2013), Jürgen Rothert (1936–2007), Heide Kipp (1938–2022) und viele mehr, die auf die neue Generation stießen. Ein Clash der Traditionen, der die schönsten Funken schlug.

Voß spielte bei Stefan Pucher, Sebastian Hartmann, er fügte sich nahtlos in die Christoph-Marthaler-Truppe und er gehörte zum festen Inventar von Castorfs Dostojewski-Flow in den 2000er-Jahren. Wir sehen ihn melancholischen und gedankenverhangenen Blicks und mit hochgekrempelten Hosenbeinen durch Flachwasser waten und endlose Doppelmonologe mit Tomaschewsky ableisten, während hinten Kathrin Angerer und Martin Wuttke in irgendwas Kreischiges in Bert Neumanns Bungalow-Klo verwickelt waren.  

Ein Schauspieler mit gebildetem Geist

Voß hatte erst Romanistik und Philologie studiert, bevor er die Rostocker Theaterschule absolvierte und am Volkstheater engagiert wurde. Sein Geist war mit dem Theaterspielen nicht ausgeschöpft. Er schrieb, führte selbst Regie, auch für Hörspiele, trat in vielen Kino- und Fernsehfilmen auf, war ein gefragter Synchronsprecher. Sein Abschied von der Volksbühne nach Erreichen des Rentenalters war keiner vom Berufsleben. Er drehte weiter, trat im Berliner Kriminaltheater auf und schrieb drei Bücher. Wie die Volksbühne bestätigt, ist Ulrich Voß, der zuletzt in Hönow lebte, nun im Alter von 86 Jahren gestorben.