Agustín F. Seguí (Saarbrücken)
Intergrapheme und andere seltsame Internationalismen
Von "Internationalismus" sprechen wir, wenn sprachliche Zeichen verschiedener
Sprachen da sind, die in Form und Inhalt große Gemeinsamkeiten aufweisen, z. B. dt.
Maschine / engl. und frz. machine / ital. macchina / span. máquina. Diese Definition
kann allerdings nicht jede mit diesem Begriff verbundene Frage zufriedenstellend beantworten: Ist nämlich jedes einzelne dieser vier Wörter ein Internationalismus, oder
bildet die gesamte Gruppe einen einzigen Internationalismus, oder aber haben wir es
hier mit einem einzigen Internationalismus zu tun, der nur aus den o. g. Gemeinsamkeiten zwischen den vier Ausdrücken besteht?
Im gleichen Zusammenhang stellt sich außerdem die Frage, ob wir Bezeichnungen
dieser sprachlichen Erscheinung akzeptieren, bei denen durch Bezugnahme auf die
Etymologie (z. B. Fremdwörter, Entlehnungen) der diachronische Aspekt in den Vordergrund gerückt wird, oder ob wir nicht lieber auf sämtliche diachronische Überlegungen verzichten wollen (z. B. beim neutralen Nebeneinanderstellung in der o. g. Gruppe
Maschine usw.).
Die erste Frage soll hier unbeantwortet bleiben; bei der zweiten halte ich beide Perspektiven – die diachronische sowie die synchronische – für berechtigt, hier genauso
wie im allgemein linguistischen Rahmen nach Saussure; wichtig ist m.E. allein, daß
die Möglichkeit einer rein synchronischen Betrachtungsweise nicht ausgeschlossen
wird.
Ein drittes Problem bei der Definition des Internationalismusbegriffes ist die Präzisierung der bereits erwähnten Gemeinsamkeiten. Die Voraussetzung einer semantischen
Gemeinsamkeit wirft schon etliche Fragen auf. Aber auch die notwendige Postulierung
formaler Gemeinsamkeiten stößt auf die Frage, ob dabei von der auditiven oder von
der visuellen Form die Rede sein soll – oder von beiden. Ich plädiere für die – allerdings getrennte – Berücksichtigung beider Fälle formaler Ähnlichkeit; bei dt. Taifun /
engl. typhoon z. B. ist die Aussprache (d. h. die auditive Form) ähnlich, bei engl. horizon / dt. Horizont dagegen die Schreibweise (d. h. die visuelle Form); in dt. adoptieren
/ span. adoptar oder dt. Kongreß / span. congreso sind wiederum beide Arten der
Formgemeinsamkeiten vorhanden.
Auf die Erwähnung vieler anderer mit diesem Thema verbundener Probleme möchte
ich hier verzichten (s. Braun/Schaeder/Volmert 1990). Durch die Beantwortung solcher Fragen wird das Forschungsfeld der Internationalismenforschung nicht nur besser abgesteckt, sondern gelegentlich auch erweitert. Letzteres ist auch im o. g. Buch
geschehen: es werden dort die Kategorien Intermorphem, Intergraphem, Interphonem
(Braun/Schaeder/Volmert 1990: 44), Intersyntagmen, Interphraseologismus,
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Intersentenz und Intertext (o.c.: 49) eingeführt (s. allerdings Seguí 1991 mit Einwänden zu einigen dieser neuen Begriffe). Somit beschränkt sich die Internationalismenforschung nicht mehr auf das lexikalische Gebiet, wie es früher vornehmlich bei der
Beschäftigung mit "Fremdwörtern" oder "mots savants" der Fall war.
Um diese und andere vorher erläuterten Schwierigkeiten beim Definieren des Untersuchungsgegenstandes zu überwinden schlage ich folgende Definition vor: Internationalismus ist jede sprachliche Erscheinung, die von Sprechern einer jeweils anderen
Sprache aufgrund eben dieser muttersprachlichen Kompetenz verstanden wird. Diese
Definition hat m.E. folgende Vorteile:
1. Sie ist – wenn nötig in umformulierter Form – kompatibel mit allen drei möglichen
Begriffsbestimmungen, die eingangs unterschieden wurden.
2. Sie läßt sich auf diachronische sowie auf rein synchronische Überlegungen anwenden.
3. Bei der näheren Bestimmung der bereits mehrmals erwähnten "formalen Ähnlichkeit" läßt meine Definition sowohl die auditive als auch die visuelle Ähnlichkeit sowie
die Kombination von beiden gelten.
4. Grapheme und Phoneme haben keine Bedeutung; Intergrapheme und Interphoneme können demnach keine Gemeinsamkeiten bei Form und Bedeutung aufweisen;
Grapheme und Phoneme erfüllen jedoch in ihren Kombinationen jeweils eine Funktion;
diese bzw. eine Funktionsähnlichkeit läßt sich nun – ähnlich wie eine Bedeutung –
verstehen.
5. Interphraseologismen wie dt. den Kopf verlieren / engl. to lose one's head / span.
perder la cabeza haben zwar dasselbe "signifié", aber nicht dasselbe "signifiant"; die
einzelnen lexematischen Bedeutungen stehen jedoch in der gleichen Beziehung zueinander, so daß man von einer identischen Strukturierung der Gesamtbedeutung reden
kann, was einer – in diesem bestimmten Sinne – formalen Gemeinsamkeit gleichkommt. Ein Spanier, der Deutsch lernt und die Wörter "verlieren" und "Kopf bereits
kennt, wird aufgrund der eben genannten struktureller Ähnlichkeit die Gesamtbedeutung des Phraseologismus "den Kopf verlieren" ohne Zuhilfenahme des Wörterbuches
erschließen können, ungeachtet der Tatsache, daß ein Nachschlagen im Wörterbuch
– wenn der Kontext, in dem der Ausdruck vorkommt, nicht eindeutig ist – empfehlenswert ist, um sicher zu gehen, daß es sich dabei nicht um einen "falschen Freund" handelt. Durch Rekurs auf das "Verstehen", also ohne einschränkende und schwer zu
präzisierende Bestimmungen der Form- und Inhaltsbegriffe, erlaubt meine Definition
viele früher unberücksichtigte oder nicht richtig eingeführte Grenzfälle in dieses Forschungsgebiet mit einzubeziehen.
6. Damit entfallt auch jede sowieso willkürliche Festsetzung einer Minimalmenge von
etwa drei Sprachen als Grundlage der Bestimmung einzelner Internationalismen: Sobald ein Verstehen im o. g. Sinne eintritt, z. B. zwischen nur zwei eventuell eng miteinander verwandten Sprachen, haben wir es mit Internationalismen zu tun. Die Menge
der in einem bestimmten Fall vertretenen Sprachen, sowie der Verwandtschaftsgrad
zwischen denselben, erlaubt aber interessanterweise verschiedene Stufen der Internationalität zu erkennen.
Auf der Basis der vorangehenden Unterscheidungen können wir nun die Grenzgebiete
der Internationalismenforschung besser auseinander halten. Dazu zählen u. a. folgende:
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A. Noch im lexikalischen Bereich haben wir den Spezialfall komplexer Ausdrücke – die
keine Phraseologismen sind – mit ähnlicher semantischer Struktur, z. B. ndl. goedkop
/ frz. bon marché; mit ähnlicher Aussprache und Schreibweise: dt Lebensgefahr / ndl.
levensgevaar.
B. Eigennamen. Ihre intersprachlichen Ähnlichkeiten sind nicht selbstverständlich, da
viele Namen regelrecht übersetzt werden müssen: dt. Köln / ndl. Keulen / span. Colonia; dt. Dürer / span. Durero.
C. Verschiedene Morpheme, z. B. Präfixe wie pre- / prä-. Im Deutschen bestehen manche Präfixe doppelt (in Begleitung von Synonymen nicht internationalen Charakters),
z. B. vor- und prä-; es ist interessant festzustellen, daß das internationalere) Präfix
normaler weise durch eine ebenfalls internationale) Komponente begleitet wird, z. B.
transluzid vs. durchsichtig oder interkonfessionell vs. zwischenkirchlich, in anderen
Fällen steht ein (internationales) Präfix einem (nicht internationalen) Suffix gegenüber,
z. B. antiklerikal vs. kirchenfeindlich, oder irrational vs. vernunftwidrig. Auch Suffixe
wie die in vielen Sprachen benutzte Pluralendung -s gehören hierher.
D. Ebenfalls im lexikalischen Gebiet befinden sich die Kurzformen bestimmter Wörter,
z. B. dt. Info (ndl. info), kilo, moto; das Warenzeichen Coca-Cola wird in verschiedenen
Sprachen anders gekürzt: coca (z. B. span. und arab.) oder cola (z. B. dt., port, ndl.,
türk.).
E. Zum Lexikon gehören auch Abkürzungen, von denen manche eine internationale
Ver breitung erfahren haben, z. B. UFO, SOS, OK, N.T., ms. (bzw. dt. Ms.), vs., etc.,
cfr. usw. Einige sehen völlig gleich aus, wie vgl., obwohl die ausgeschriebene Form
etwas differiert (dt. vergleiche, ndl. vergelijk); so auch bei p. (span. página, ndl. pagina
ohne Akzent, engl. page), St. (frz. Saint, ndl. Sint), m2 (dt. Quadratmeter, ndl. Vierkante
meter), tel. (bzw. Tel.) usw. In einzelnen Fällen ist die ausgeschriebene Form völlig
verschieden: A.E.I.O.U. = Austriae est imperare orbi universo / Alles Erdreich ist Österreich untertan. Andere wiederum lassen formale Ähnlichkeit trotz Variationen noch
erkennen: No., Nr., N°, nr., n°. Einige haben formal vor allem die Schreibweise gemeinsam, wie WC, TV, Lic, K.O. (dt. /ka'ó/, in anderen Sprachen nur /nokáut/), während andere eher die Aussprache teilen: n° und Nr. Das "vor allem" und "eher" im
vorausgehenden Satz soll Rechenschaft ablegen über die Fälle, bei denen aufgrund
der bereits erklärten "Stufen der Internationalität" keine absolute Dominanz gegeben
ist.
F. Internationale Erscheinungen nur auf einer bestimmten Sprachebene: die meisten
lexikalischen Internationalismen gehören zur geschriebenen, andere dagegen nur zur
gesprochenen Sprache, wie /niks/ (dt. nix < nichts, ndl. niks < niets).
G. Interjektionen: dt. buh! / ndl. boe!, ndl. oei! / span. uy!, dt. hoppla! / ndl. hoepla!, ndl.
hoera! / span. ¡hurra! sowie o!, hallo! usw.
H. Interphoneme lassen sich leicht finden, z. B. /ŋ/ in vielen Sprachen, vor allem aber
vokalische Laute.
I. In der Schreibweise schließlich finden wir Intergrapheme, zu denen etwa der größte
Teil des lateinischen Alphabets gehört, im Gegensatz zu Buchstaben wie ß oder ñ. Zu
den visuellen Internationalismen zählen ebenfalls viele Satzzeichen, z. T. die Benutzung von Groß- und Kleinbuchstaben, die Zahlen und die Anführungszeichen als metasprachliche Zeichen.
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Erweiterungen und Konklusionen:
a. Eine Einbeziehung des Verstehens ist in der Linguistik nicht neu: Das Sprachsystem "no existe solo concretamente, es decir, como sistema de actos lingüísticos comunes efectivamente registrados, sino tambien virtualmente, en la conciencia de los
hablantes pertenecientes a una comunidad, como memoria de actos lingüísticos precedentes y posibilidad de producir segün su modelo nuevos actos lingüísticos más o
menos "idénticos", o sea, comprensibles dentro de la misma comunidad." (Coseriu
1983: 17, Hervorhebung von mir, cfr. auch S. 16, 31, 37) Derselbe Faktor sowie weitere oben von mir in diesen Teil der Lexikographie integrierte Unterscheidungen finden sich in folgenden Zitaten: "Zu den Sprachakten gehören dabei nicht nur die
Sprechakte, sondern auch die Ver Stehensakte (und vor allem die beobachtbaren
Mißverständnisse), sowohl im hörenden Verstehen wie im lesenden Verstehen."
(Glinz 1969: 79, Hervorhebungen von mir) "Man muß in der Diachronie wie in der
Synchroronie bewußt in Rechnung stellen, daß am ganzen Systemkomplex eines
Sprachzustandes (Grammatik wie Wortschatz) verschiedene Ebenen oder Bereiche
zu unterscheiden sind: a) der Bereich der unmittelbar geltenden Einheiten und Strukturen ("Nomosphäre"); b) der Bereich der zwar funktionierenden, aber u. U. nicht unmittelbar geltenden Einheiten und Strukturen ("Morphosphäre"); c) der Bereich der
reinen klanglichen Signalisierung ("Phonomorphie"); d) der Bereich der Notierung in
Schriftzeichen ("Graphie")." (Glinz 1969: 85, Hervorhebungen von mir)
b. Mein Vorschlag ist nicht nur kognitivlinguistisch geprägt, er schlägt auch eine funktionallinguistische Richtung ein: der Funktionsbegriff wird dabei genau so ausschlaggebend wie der Bedeutungsbegriff.
c. Eine ebenfalls zentrale Stellung erhält hier der Stufenbegriff; dazu ein Vergleich:
Damit ein Flughafen "international" genannt wird, reicht es, daß Flugzeuge eines weiteren Landes dort landen, ohne daß dadurch den riesigen Unterschied zwischen internationalen Flughäfen wie Asunciön (Paraguay) und Frankfurt a.M. vergessen wird. Für
sprachliche Internationalismen postuliere ich eine ähnlich differenzierte Einstufung
nach dem jeweiligen Internationalitätsgrad. Somit werden wir in den Extremen solche
Fälle haben, die sich aus dem Vergleich von nur zwei (und dazu noch womöglich eng
verwandten) Sprachen ergeben, sowie solche, die bei vielen (womöglich ganz verschiedenen) Sprachen bestehen. Sonst wüßten wir bei international sehr verbreiteten
Bezeichnungen wie z. B. Fax eigentlich nicht, welche Sprachen wir zum Vergleich heranziehen sollen: falls nur die aus verschiedenen Sprachfamilien berücksichtigt werden,
wie werden dann die anderen eingestuft, bei denen der gleiche Ausdruck auch existiert,
aber zur gleiche Sprachfamilie wie eine der bereits berücksichtigten gehört? Und umgekehrt.
d. Traditionell wird bei der Definition unseres Gegenstandes auf die Etymologie und
auf den Wortbegriff Bezug genommen, z. B.: Internationalismus sei ein "Wort, das etymologischen den gleichen Ursprung hat und zum Grundwortschatz mehrerer genetisch verwandter Sprachen gehört (etwa: Sport, Kino, Sputnik, Astronaut, Expedition,
Kommunikation, Theater)." (Abraham 1988, wobei die gemeinsame Bedeutung außer
acht gelassen wird, so daß auch falsche Freunde wie Span, todavia und ital. tuttavia
nach dieser Definition Internationalismen bzw. Romanismen wären). Das Problem mit
dem Wortbegriff ist, daß damit u. a. internationale Präfixe sowie viele Abkürzungen –
die aber sehr wohl zum Wortschatz einer Sprache gehören – nicht berücksichtigt werden. Was den Verwandtschaftsgrad der in Frage kommenden Sprachen betrifft, so
sollte man sich auch vorsichtiger ausdrücken und von "vielen (meist genetisch
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verwandten) Sprachen" (Conrad 1985) reden, so daß die ungeheure Verbreitung von
Wörtern wie Fax und Telefon beachtet werden kann.
e. Was die gemeinsame Etymologie anbelangt, ist eigentlich nichts dagegen einzuwenden: Wörter, die in Form und Inhalt ziemlich ähnlich sind, werden ja wahrscheinlich
immer den gleichen Ursprung haben. Eine Definition wie die oben gegebene erlaubt
jedoch, vom etymologischen Aspekt abzusehen, ohne es zu negieren – sie würde nur
eine andere Stellung zugewiesen bekommen –, so wie Saussure die Diachronie auch
nicht negiert. Denselben Ansatz ist in einer ausgezeichneten Synthese zu finden, bei
der der Gegenstand dieses Forschungsbereiches folgendermaßen dargestellt wird:
"Ein erheblicher Teil des Wortschatzes vieler europäischen Sprachen ist für den Leser
mit anderer Muttersprache ohne Fremdsprachenkenntnis verständlich. [...] Ursache
der gegenseitigen Teilverstehbarkeit der Sprachen sind die Internationalismen, d.h.
Wörter, die in gleicher Bedeutung und gleicher oder ähnlicher Form in zwei oder mehr
Sprachen vorkommen. Das Phänomen [...] geht zurück auf (a) etymologisch verwandte Wörter (cognates) im Rahmen der indoeuropäischen Sprachverwandtschaft,
(b) auf lateinisches Kultursuperstrat und (c) auf Entlehnungen, namentlich aus dem
Englischen." (Hausmann/Seibicke 1990: 1179). In diesem Zitat ist zwar eigentlich nur
von Europäismen und nur von "Wörtern" die Rede, aber es wird deutlich vorgeführt,
inwiefern der Rückgriff auf die (Teil-)Verstehbarkeit die etymologische Komponente in
der Definition unnötig macht, wenngleich sie dann Teil einer weiterführenden Erklärung
wird.
f. Korrelativ zum Gebiet der Internationalismen erfahrt auch die Untersuchung von
"falschen Freunden" eine Erweiterung durch Einbeziehung etwa von Graphemen und
Satzzeichen, z. B. russ. "P" = "R", oder griech. ";" = "?". Sowie es im lexikalischen
Bereich Ausdrücke gibt, die mit anderen aus einer anderen Sprachen z. T. gemeinsamen Bedeutungen haben, z. T. aber ganz verschiedene aufweisen (z. B. ndl. monster
= dt. "Monster" so wie "Probe" etwa in water monster = "Wasserprobe"), so gibt es
auch Satzzeichen mit einem ähnlichen Formenraster, z. B. span. "!" zusammen mit der
umgekehrter Form "¡", so daß zwischen span. und dt."!" einerseits eine vollkommene
Formähnlichkeit, andererseits eine ziemlich vollkommene Funktionsentsprechung besteht, jedoch wird diese Funktion im Spanischen nicht allein durch das eine Zeichen,
sondern auch und gleichzeitig durch das umgekehrte Zeichen erfüllt.
g. Fälle wie ndl. monster zeigen übrigens, daß die Trennung zwischen Internationalismen und falschen Freunden manchmal nicht im Lexikon, sondern nur im Text vollzogen wer den kann. Sie zeigen außerdem, daß das gleiche Wort ohne Widerspruch
einmal ein Internationalismus, ein anderes mal ein falscher Freund sein kann. Dies ist
in einem anderen Sinne auch bei Wörtern wie ndl. duizend der Fall, das lautlich und
im Inhalt mit dt. tausend übereinstimmt, jedoch in geschriebener Form eher an dt. Duzend erinnert und somit im letzteren Vergleich einen falschen Freund darstellt. Bei
Satzzeichen ist es nicht anders: den sog. Gedankenstrich gibt es außer im Deutschen
auch in anderen Sprachen wie z. B. Spanisch, allerdings hier in doppelter Erscheinung
(wie Klammern oder Anführungszeichen); wenn er in einem spanischen Text also nur
in der einfachen Form verwendet wird, die im Deutschen möglich ist, handelt es sich
eventuell um einen falschen Freunden, dem ein Übersetzer erlegen ist, z. B.: "Bergson
[...] exigía [...] la superación de las categorías de las ciencias naturales en el campo
de la realidad del espíritu – un auténtico descendiente del romanticismo." (Revista de
Occidente, 48-49/1985: S. 85, Übers. eines Aufsatzes von Hans-Georg Gadamer)
h. Die oben aufgezeigten Ähnlichkeiten zwischen internationalen Wörtern und anderen
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lexikalischen oder nicht lexikalischen Einheiten zeigt, daß eine gemeinsame Behandlung möglich und sinnvoll ist, obwohl dies gegen eine bestehende Tradition der Beschränkung der Internationalismenforschung auf das Lexikon verstößt. Diese Tradition
kann trotzdem ohne weiteres dadurch aufrechterhalten bleiben, daß den nur lexikalischen Internationalismen spezielle Untersuchungen gewidmet werden. Andererseits
stellt sich die berechtigte Frage, wo das Vergleichen aufhören muß: Sollen auch gemeinsame syntaktische Strukturen Internationalismen heißen? Wir könnten unterscheiden zwischen Gemeinsamkeiten in Signifiant und Signifie (Lexikon), Form und
Funktion (Grapheme), Bedeutung und Struktur (Phraseologie), nur Struktur (Grammatik), und entsprechende Termini verteilen. Dies ist aber nicht Ziel der vorliegenden Arbeit.
Literatur
Abraham, Werner: Terminologie zur neueren Linguistik. Tübingen: Niemeyer, 1988.
Braun, Peter / Schaeder, Burkhard / Volmert, Johannes (Hg.): Internationalismen. Studien zur interlingualen Lexikologie und Lexikographie. Tübingen: Niemeyer, 1990.
Conrad, Rudi (Hg.): Lexikon sprachwissenschaftlicher Termini. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1985.
Coseriu, Eugenio: Introducciön a la lingüística. Madrid: Gredos, 1986 (¹1951 Montevideo, 21983 Mexico, D.F.).
Glinz, Hans: "Synchronie - Diachronie - Sprachgeschichte", in Sprache, Gegenwart
und Geschichte. Probleme der Synchronie und Diachronie. Hugo Moser et al.
(Hg.). Düsseldorf: Schwann, 1969: 78-91.
Hausmann, Franz Josef / Seibicke, Wilfried: "Das Internationalismen Wörterbuch", in
F. J. Hausmann / Oskar Reichmann / Herbert Ernst Wiegand / Ladislav Zgusta
(Hg.): Wörterbücher - Dictionaries - Dictionnaires. Berlin / New York: de Gruyter,
1990: 1189-84.
Seguí, Agustín: Rezension zu Braun / Schaeder / Volmert. Kritikon Litterarum, 18/1991:
110-3.
Verbesserte Version. Original erschienen in Duisburg, GAL-Bulletin, Nr. 17,
1992, S. 56-61.
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