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ORIGINALARBEIT Neurol Rehabil 2011; 17 (2): 71 – 79 Zielsetzungstraining im Kontext der kognitiven Rehabilitation adoleszenter SHT-Patienten – Ergebnisse einer Pilotstudie K. Kohleis1, W. Ihle², S. V. Müller1, M. Storck³ 1 Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften/Fakultät Soziale Arbeit, Wolfenbüttel; ²Department Psychologie, Universität Potsdam; ³Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften/Fakultät Handel und Soziale Arbeit, Suderburg Zusammenfassung Einleitung: In Folge eines frontalen Schädelhirntraumas (SHT) streben Patienten mit dysexekutiven Störungen häufig unrealistische Ziele an. Die angewandte Leistungsmotivationsforschung bietet Förderprogramme, welche auf Grundlage des Selbstbewertungsmodells der Leistungsmotivation von Heckhausen [16] die Komponenten Selbstbewertung der eigenen Leistung, Zielsetzung sowie die Ursachenzuschreibung nach Erfolg oder Misserfolg optimieren. Fragestellung: In dieser Pilotstudie wurde ein neues Zielsetzungstraining konzipiert, indem kognitive Aufgaben aus neuropsychologischen Funktionstrainings mit motivationalen Übungen angereichert wurden. Die Praktikabilität und Wirksamkeit dieses Trainings wurde im Rahmen der neuropsychologischen Rehabilitation von 16 SHT-Patienten mit dysexekutiven Defiziten überprüft. Methode: Im Prä-Post-Test-Design wurde untersucht, ob das Zielsetzungsverhalten und das implizite Leistungsmotiv der Teilnehmer positiv verändert werden konnte. Die Veränderungen innerhalb der Ursachenzuschreibung wurden deskriptiv ausgewertet. Ergebnisse: Das Zielsetzungsverhalten von Patienten mit unrealistischen Zielsetzungen (n = 8) konnte signifikant verbessert werden. Das implizite Leistungsmotiv der Teilnehmer konnte nicht statistisch bedeutsam in eine erfolgszuversichtlichere Richtung verändert werden. Die Ursachenzuschreibung nach Erfolg und Misserfolg wurde im Verlauf des Trainings erfolgszuversichtlicher. Schlussfolgerung: Eine gleichzeitige Förderung von Motivation und Kognition im klinischen Setting ist möglich. Schlüsselwörter: dysexekutive Störung, Zielsetzungstraining, neuropsychologische Rehabilitation, Schädelhirntrauma Goal-setting in the context of cognitive rehabilitation of adolescent TBI patients – results of a pilot study K. Kohleis, W. Ihle, S. V. Müller, M. Storck Abstract Background: A frontal traumatic brain injury (TBI) often leads to a dysexecutive syndrome with deficits in goal-setting behavior. A motivation training paradigm based on the model of Heckhausen [16] provides an important tool to improve goal-setting-behavior, causal attributions, and self-evaluation. Objective: In our pilot study we investigated the effect of a new goal-setting training on 16 TBI patients with dysexecutive deficits. Method: A pre-post test design was conducted to compare training-related changes in goal-setting behavior, causal attribution, and implicit achievement motivation. Results: The goal-setting behavior of patients with unrealistic goal-setting strategies (n = 8) improved significantly. The training has no effect on the implicit achievement motive (n = 16). The participants tend to produce more favorable causal attributions for their own action results. Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 | 71 K. Kohleis et al. ORIGINALARBEIT Conclusions: It is possible to promote motivational and cognitive aspects through a combined training procedure. Key words: dysexecutive disorder, goal-setting training, neuropsychological rehabilitation, traumatic brain injury © Hippocampus Verlag 2011 Einleitung In Deutschland erleiden jährlich ca. 273.000 Menschen eine Schädelhirnverletzung. Der Anteil der Kinder liegt dabei bei ca. 70.800 [35]. Treten die Läsionen im Bereich des Frontalhirns bzw. in den subkortikalen Bereichen auf, welche in Verbindung zu frontalen Strukturen stehen, verursachen diese insbesondere Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen [18, 24, 37, 44]. Die Patienten zeigen dann in Abhängigkeit von Lokalisation und Schwere der (frontalen) Hirnschädigung Defizite im Arbeitsgedächtnis und im Monitoring (Überwachung ablaufender Prozesse), in der kognitiven Flexibilität sowie Probleme in den Bereichen des planerischen und problemlösenden Denkens [3, 23]. Die wahrscheinlichen Konsequenzen einer Handlungsausführung werden oft ungenügend vorausgesehen [3, 13, 43]. Erschwerend kann ein fehlendes Störungsbewusstsein der Patienten vorliegen [23, 30, 42]. Im Rahmen der Rehabilitation von Patienten mit SHT werden u. a. kognitive Trainings zur Verbesserung der Leistung in den Bereichen Aufmerksamkeit und Konzentration, Gedächtnis, Reaktionsvermögen, logisches Denken/Handlungsplanung eingesetzt. Diese Arbeit kann die theoretischen und empirischen Grundlagen neuropsychologischer Interventionen nicht im Einzelnen darstellen. Einen Überblick geben z. B. die Arbeiten von Gauggel [11] oder Frommelt und Lösslein [10]. In der Therapie exekutiver Störungen kommen, abhängig vom Symptommuster der Patienten, kognitiv übende Therapieansätze, Methoden des Verhaltensmanagements oder Interventionen, welche die Umwelt modifizieren, zum Einsatz. Die Übersichtsarbeiten von Cicerone [2] und Müller [27] beurteilen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin die Bearbeitung von Arbeitsgedächtnis- oder Doppelaufgaben und die Methode des Verhaltensmanagements (z. B. Selbstinstruktionstechniken) zur Behandlung exekutiver Dysfunktionen bei Patienten mit SHT als wirksam. Spezifische Empfehlungen für Interventionen zur Verbesserung einer beeinträchtigten Defizitwahrnehmung können aufgrund widersprüchlicher Methoden und Ergebnisse der einzelnen Studien (überwiegend Klasse-III-Studien) nicht gegeben werden [2]. Generell wird ein Therapieerfolg von verschiedenen Kriterien, wie z. B. der Lokalisation und Schwere der Verletzung, den personellen und sozialen Ressourcen sowie dem motivationalen Verhalten einer Person, beeinflusst. Diese motivationalen Einflussfaktoren werden derzeit in der klinischen Praxis und auch in der Wirksamkeitsforschung noch nicht ausreichend untersucht, auch wenn ihre Bedeutung in den letzten Jahren zugenommen hat [45]. Ein Training zur Verbesserung des Ziel-Managements, in dem Ziele in Teilziele untergliedert werden, haben Levine und Kollegen entwickelt. Dieses Goal-Management-Training führte zu signifikanten Verbesserungen in der Kontrolle und Ausführung relevanter Alltagsfertigkeiten von Patienten mit exekutiven Störungen [20, 21, 22]. Im Bereich der Motivationspsychologie erklärt das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation von Heckhausen [16], wie die Komponenten Zielsetzung, Kausalattribution (Ursachenzuschreibung) und Selbstbewertung der eigenen Leistung sich wechselseitig stabilisieren und das Handeln einer Person in Leistungssituationen beeinflussen. Je nach Ausprägung der drei Prozesskomponenten entwickelt sich das Leistungsmotiv1 in Abhängigkeit zu ihnen und manifestiert sich als überwiegend erfolgszuversichtliche oder misserfolgsängstliche Erlebens- und Handlungsweise [16, 31]. Die Tabelle 1 veranschaulicht das Selbstbewertungsmodell. Im Folgenden werden die zentralen Begriffe des Modells näher erläutert. Motivausprägung 3 Komponenten erfolgszuversichtlich misserfolgsmeidend Zielsetzung/Anspruchsniveau realistisch, mittelschwere Aufgaben unrealistisch, Aufgaben zu schwer oder zu leicht bei Erfolg Ursachenzuschreibung bei Misserfolg Anstrengung, gute eigene Tüchtigkeit Glück, leichte Aufgabe mangelnde Anstrengung/Pech mangelnde eigene Fähigkeit/Begabung Selbstbewertung Erfolgs-/Misserfolgsbilanz positiv Erfolgs-/Misserfolgsbilanz negativ Tab. 1: Das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation von Heckhausen 1975 (dargestellt nach Rheinberg F. (2000), S. 86) 1 Das Leistungsmotiv beschreibt ein relativ zeitstabiles Personenmerkmal, welches mit einer situationsergreifenden »Vorliebe« für die Beschäftigung mit Gütemaßstäben einhergeht. Die Person möchte sich in leistungsthematischen Situationen als kompetent und tüchtig erleben oder Misserfolg vermeiden [vgl. 31]. 72 | Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 Zielsetzungstraining im Kontext der kognitiven Rehabilitation adoleszenter SHT-Patienten Zielsetzungsverhalten Stellt man Personen in Anforderungssituationen vor die freie Wahl, leistungsbezogene Ziele zu setzen, dann können sie einen leichten, mittelschweren oder hohen Schwierigkeitsgrad bei der zu erfüllenden Aufgabe wählen. Dieses sogenannte Anspruchsniveau ergibt sich aus der Verknüpfung von Erfolgswahrscheinlichkeit und Erfolgsanreiz [31]. Aus motivationspsychologischer Sicht entsprechen mittelschwere Aufgaben (mittleres Anspruchsniveau) einer realistischen Zielsetzung, da diese positiv auf die Leistungsmotivation wirken [31, 39]. Wenn wir in dieser Arbeit von realistischen Zielen im Leistungskontext sprechen, meinen wir Aufgaben, die die Person gerade noch »schaffen« kann. Dazu kann man sich an der zuletzt erbrachten Leistung orientieren, wenn sich die Person dabei angestrengt hat. Ist die aktuelle Leistung unbekannt (z. B. neue Übung) orientieren wir uns am mittleren Schwierigkeitsgrad der Aufgabe. Im Verlauf können dann die Zielsetzungen an die eigene aktuelle Leistung adaptiert werden. Dazu werden die Ziele erhöht oder verringert. Der erlebte Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe ist subjektiv, denn was für eine Person als eine leichte Aufgabe gilt, kann für andere als schwer lösbar erscheinen. Misserfolgs- und erfolgsmotivierte Personen unterscheiden sich in ihrer Zielsetzung. Kausalattribution Die Kausalattribution, auch Ursachenzuschreibung genannt, ist die zweite Prozesskomponente des Modells. Orientiert am Schema zur Klassifikation von Kausalfaktoren von Weiner [46], werden hauptsächlich zwei Dimensionen (Lokalität und Zeitstabilität) mit vier möglichen Klassifikationen von Ursachen nach Erfolg oder Misserfolg diskutiert: internal-stabil (z. B. Fähigkeit), internal-variabel (z. B. Anstrengung) oder external-stabil (z. B. Aufgabenschwierigkeit) sowie external-variabel (z. B. Glück/Pech) [8]. Misserfolgsängstliche und erfolgszuversichtliche Personen unterscheiden sich in ihrer Ursachenzuschreibung und den damit verbundenen affektiven Konsequenzen (vgl. Tab. 1). Selbstbewertung Leistungsmotivation resultiert aus der Auseinandersetzung mit einem verbindlichen Gütemaßstab [31, 39]. Im Regelfall stehen dabei positive Affekte wie Stolz und Zufriedenheit mit der eigenen Leistung im Vordergrund. Aber auch negative Affekte wie Scham und Ärger werden nach Misserfolg (v. a. von misserfolgsängstlichen Personen) erlebt. Das Zusammenspiel der drei Prozesskomponenten Personen, die realistische Anforderungen meiden, erfahren wenig über ihr eigentliches Leistungsvermögen und den Zusammenhang zwischen der eigenen Anstrengung und dem Handlungsergebnis. Die Chance, positive Selbstbewertungsbilanzen zu ziehen, ist auch aufgrund ungünstiger Ursachenzuschreibungen minimiert. Die drei Prozesskomponenten stabilisieren sich hier in negativer Form und führen zur »Furcht vor Misserfolg«. Um das eigene Selbstwertgefühl zu schützen, wählen misserfolgsängstliche Personen ORIGINALARBEIT häufig zu niedrige oder zu hohe Ziele. Sehr niedrige Ziele sind leicht zu erreichen, führen aber nach Erfolg zu weniger Stolz und Zufriedenheit mit der eigenen Leistung, denn diese Aufgabe hätte jeder schaffen können. Ein Misserfolg wiegt umso schwerer. Zu hohe Ziele wirken ebenfalls selbstwertschützend, da Misserfolge leichter verkraftet werden können (diese Aufgabe hätten nur sehr wenige geschafft). Ein Erfolg wird in der Regel v. a. auf externale-variable Ursachen (z. B. Glück) attribuiert. Misserfolge bestätigen das ohnehin schon schlechte Selbstbild, da sie oft auf internale-stabile Gründe, z. B. mangelnde Fähigkeit, attribuiert werden [8, 39]. Bei neuen Aufgaben werden die Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder unrealistische Ziele setzen. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, wurden auf Grundlage des Selbstbewertungsmodells von Heckhausen verschiedene Trainingsprogramme entwickelt, die v. a. im pädagogischen Kontext Anwendung finden. Ziel ist dabei eine langfristige Motivierung der Schüler durch die positive Veränderung innerhalb der drei Komponenten des Leistungsmotivs [z. B. 19, 33]. Diese Trainingsverfahren werden deshalb auch Motivfördertrainings genannt. Die Leistungsmotivationsforschung empfiehlt dabei Programme, welche kognitive und motivationale Aspekte gleichzeitig fördern, da erfolgreiches Lernen und Handeln von beiden Bereichen beeinflusst wird [8, 33] und Synergieeffekte zu erwarten sind. Die Evaluationen dieser kombinierten Trainingsverfahren sprechen durchaus für eine Überlegenheit gegenüber den Einzeltrainings [4, 5, 14, 40]. Eigene Beobachtungen in der klinischen Arbeit mit jungen SHT-Patienten mit dysexekutiven Störungen zeigten, dass die Patienten häufig Probleme in ihrer Selbsteinschätzung der eigenen Leistungen aufweisen. Bei kognitiven Trainings über- oder unterschätzen sich die Patienten häufig. Dieses ungünstige Zielsetzungsverhalten zeigen auch Personen mit der Leistungsmotivausprägung »Furcht vor Misserfolg«. So entstand die Idee, klassische Motivförderkomponenten in den Bereich der neuropsychologischen Rehabilitation von Adoleszenten mit SHT zu übertragen. Ziel dieser Pilotstudie ist es, erste Erfahrungen mit der Konzeption und Umsetzung des neu entwickelten Zielsetzungstrainings (ZT) im Rahmen der neuropsychologischen Rehabilitation zu sammeln. Es standen folgende Fragen im Mittelpunkt: 1. Führt das ZT zu einer realistischeren Zielsetzung? 2. Führt das ZT zu einer Veränderung des impliziten Leistungsmotivs? 3. Führt das ZT zu einer erfolgszuversichtlicheren Kausalattribution? 4. Welche Besonderheiten ergeben sich beim Einsatz mit Hirnverletzten mit exekutiven Defiziten? Methode Trainingskonzeption und Untersuchung im Vorfeld Das adaptierte Zielsetzungstraining (ZT) wurde in Zweiergruppen drei- bis viermal wöchentlich in einer neurologischen Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 | 73 K. Kohleis et al. ORIGINALARBEIT Zielsetzungstraining (à 30 – 45 Minuten je Sitzung) n = 16 Trainingsbausteine 1 Testverfahren Abhängige Variablen (Mediane) Pauli-Test-Zielsetzungsverhalten Zielsetzungsdifferenz Zielsetzungsdiskrepanz Hoffnung auf Erfolg Furcht vor Misserfolg aktiv Furcht vor Misserfolg passiv Leistungsmotivgitter Implizites Leistungsmotiv 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 * * * Zielsetzung Selbstbewertung Kausalattribution prä 1,50 −0,25 9,50 13,50 3,00 Trainingsbewertung post 1,20 −0,60 12,00 11,50 3,00 X Tab. 2: Trainingsbausteine und Untersuchungsablauf. *Die Teilnehmer erhalten in der 9. Sitzung eine individuelle Beratung, wie sehr es ihnen gelungen ist, die motivationalen Kompetenzen umzusetzen durchgeführt. Die Grundbausteine des Trainings sind in Tabelle 2 dargestellt. Ziel des Trainings ist die Vermittlung einer realistischen Zielsetzung, einer erfolgszuversichtlichen Kausalattribution sowie die Vermittlung einer positiven Selbstbewertung der eigenen Leistung anhand kognitiver Aufgaben. Die Aufgaben sind z. T. selbst konstruiert und orientieren sich an evaluierten Funktionstrainings [17, 36] sowie am »Integrierten Training« von Fries, bei dem das »Denktraining II für Kinder« von Klauer, 1991, mit Übungen aus validierten Motivförderprogrammen angereichert wurde [7, 9]. Alle Aufgaben werden in »Papier- und Bleistiftform« dargeboten. Die Übungen werden in einer Trainingsmappe gesammelt. Somit können die Lerninhalte und Ergebnisse erinnert und in der individuellen Beratung (9. Sitzung) rückgemeldet werden. Das Trainingsmaterial wurde in einer Voruntersuchung (n = 4) erprobt und auf seine Anwendbarkeit überprüft. Die Trainingsstunden sind durch einen wiederkehrenden Aufbau (Wiederholung des Wesentlichen, Moderierung und Demonstration neuer Lerninhalte durch den Trainer, Umsetzung der Strategien durch die Teilnehmer, Rückmeldung durch den Trainer, Festigung alter und neuer Strategien durch Wiederholung) gekennzeichnet (vgl. Tab. 3). Immer wieder werden die erfolgszuversichtlichen Verhaltensweisen bei der Bearbeitung der kognitiven Aufgaben geübt. Der Trainer dient als Modell. Er bearbeitet alle Trainingsaufgaben selbst und verbalisiert sein Handeln (Vermittlung der verbalen Selbstinstruktion nach Meichenbaum und Goodman [26]. Zur besseren Verständlichkeit wird die Erarbeitung einer realistischen Zielsetzung kurz erläutert. setzen«) bearbeiten die Teilnehmer und der Trainer zuerst kognitive Aufgaben ohne Zielsetzung, um ihre eigenen Leistungen zu erfahren. Im Anschluss setzt der Trainer vor dem Bearbeiten der kognitiven Übung (z. B. Zeichen durchstreichen) ein Ziel und verbalisiert seine Überlegungen laut: »Jetzt möchte ich herausfinden, wie viele Reihen ich schaffen kann. Es können in 20 Sekunden 20 Reihen bearbeitet werden. 20 Reihen schaffe ich wahrscheinlich nicht. Der mittlere Schwierigkeitsgrad beträgt 10 Reihen, daran orientiere ich mich zuerst. Mein Ziel sind also 10 Reihen«. Ein Teilnehmer stoppt die Zeit und der Trainer gibt sein Bestes. Im Anschluss verbalisiert er sein Ergebnis: »Sehr gut, ich habe mich richtig angestrengt und dabei sogar 15 Reihen geschafft. Jetzt versuche ich es gleich noch einmal. Diesmal möchte ich 16 Reihen schaffen, da gibt es ja auch mehr Punkte«. Nach der Bearbeitung erfolgt der Vergleich des Resultates mit dem zuvor gesetzten Ziel: »Diesmal habe ich 13 Reihen geschafft, da war mein Ziel mit 16 Reihen etwas zu hoch. Ich werde mein Ziel verringern. Jetzt möchte ich 14 Reihen schaffen …«. Nachdem der Trainer mehrere Durchgänge einer kognitiven Übung bearbeitet hat, bearbeiten die Teilnehmer der Reihe nach die Aufgaben. Der Trainer moderiert und lenkt die Sitzung, indem er die Teilnehmer auffordert, Ziele zu setzen, die erbrachten Leistungen zu vergleichen und neue Ziele an bisherige Resultate zu adaptieren. Merksätze fassen wichtige Lerninhalte zusammen und werden ebenfalls wiederholt eingesetzt. Die Abbildung 1 stellt Beispiele der motivationalen Übungen und Merksätze für alle drei Bereiche des Trainings dar, mit denen die kognitiven Aufgaben angereichert sind. Erarbeitung einer realistischen Zielsetzung Die Teilnehmer sollen lernen, realistische Ziele zu setzen. Nach Einführung der Begriffe beste Leistung (»Die beste Leistung ist das Ergebnis, das man schaffen kann, wenn man sich gut konzentriert und richtig anstrengt«) und mittlerer Schwierigkeitsgrad (»Wenn man eine Aufgabe noch nicht kennt und daher nicht weiß, wie gut man die Aufgabe lösen kann, sollte man sich an dem mittleren Schweregrad der Aufgabe orientieren und mittlere Ziele Einschlusskriterien für die Trainingsteilnahme 74 | Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 Da es sich bei Patienten mit dysexekutiven Störungen nach SHT generell um eine eher heterogene Gruppe handelt und im Rahmen dieser Pilotstudie nur begrenzte Ressourcen zur Trainingsevaluation zur Verfügung standen, erfolgte die Diagnostik im klinischen Alltag. Dies hatte zur Folge, dass unterschiedliche Verfahren zum Einsatz kamen. Eingeschlossen in die Pilotstudie wurden Patienten, die vom Zielsetzungstraining im Kontext der kognitiven Rehabilitation adoleszenter SHT-Patienten ORIGINALARBEIT Sitzung Förderschwerpunkt Ablauf und Trainingsmaterial 1 Realistische Zielsetzung I Erläuterung der allgemeinen »Spielregeln« Merkblatt – Beste Leistung Kognitive Übungen ohne Zielsetzung Zusammenfassung 2 Realistische Zielsetzung II Wiederholung – Beste Leistung Merkblatt – Mittlerer Schwierigkeitsgrad Kognitive Übungen ohne Zielsetzung Kognitive Übungen mit Zielsetzung Wiederholung – Mittlerer Schwierigkeitsgrad Kognitive Übungen ohne Zielsetzung Kognitive Übungen mit Zielsetzung Schaubild – Realistische Zielsetzung II 3 Realistische Zielsetzung III und Selbstbewertung Wiederholung – Mittlerer Schwierigkeitsgrad Kognitive Übungen ohne Zielsetzung Kognitive Übungen mit Zielsetzung und Selbstbewertung Wiederholung Schaubild – Realistische Zielsetzung II Hausaufgabe 4 Festigung realistische Zielsetzung Besprechung Hausaufgabe Kognitive Übungen mit Zielsetzung und Selbstbewertung Wiederholung – Mittlerer Schwierigkeitsgrad, realistische Zielsetzung II 5 Erfolg und Misserfolg I Einführung/Erläuterung Erfolg und Misserfolg Kognitive Übungen mit Zielsetzung und Ergebnisbeurteilung (Erfolg/Misserfolg) und Selbstbewertung Formeln – Positive Selbstbewertung 6 Erfolg und Misserfolg II und Kausalattribution I Beispiele für andere Zielsetzungen (z. B. in der Physiotherapie) Kognitive Übungen mit Zielsetzung, Ergebnisbeurteilung und Selbstbewertung Diskussion Merkblatt – Gründe für Erfolg bzw. Misserfolg – Attribution I 7 Kausalattribution II Wiederholung – Attribution I Merkblatt – Attribution II Kognitive Übungen mit Zielsetzung, Ergebnisbeurteilung, Attribution und Selbstbewertung Übertragung auf Alltagsbeispiele Hausaufgabe 8 Festigung Wiederholung bisheriger Inhalte Kognitive Übungen mit Zielsetzung, Ergebnisbeurteilung, Attribution und Selbstbewertung Quiz über bisherige Lerninhalte 9 Individuelle Beratung Individuelle Rückmeldung an die Teilnehmer bzgl. ihrer Stärken und Schwächen bei der Umsetzung erfolgszuversichtlicher Strategien Kognitive Übungen mit Zielsetzung, Ergebnisbeurteilung, Attribution und Selbstbewertung 10 Festigung Kognitive Übungen mit Zielsetzung, Ergebnisbeurteilung, Attribution und Selbstbewertung Wiederholung – Attribution I und II 11 Festigung Kognitive Übungen mit Zielsetzung, Ergebnisbeurteilung, Attribution und Selbstbewertung Verabschiedung Tab. 3: Aufbau des Zielsetzungstrainings behandelnden Neuropsychologen die Diagnose dysexekutives Syndrom bekommen hatten. Die Patienten nahmen alle regelmäßig am Therapiealltag (z. B. Physiotherapie oder Sprachtherapie) teil. Ausschlusskriterien waren das Vorhandensein einer mittel bis schwer ausgeprägten Aphasie, schwerwiegende Gedächtnisstörungen sowie andere neurologische oder psychiatrische Erkrankungen. Zwei Teilnehmer fehlten zu einer Sitzung, drei blieben zwei Sitzungen fern. Die Patienten und ggf. deren Eltern gaben nach ausführlicher Aufklärung über die Studie ihr schriftliches Einverständnis zur freiwilligen Trainingsteilnahme. Beschreibung der Stichprobe An dem ZT nahmen 16 junge Erwachsene (darunter drei Frauen) im Alter von 15 bis 30 Jahren teil (M = 21,30; SD = 3,7). Die Patienten befanden sich durchschnittlich viereinhalb Monate in der Rehabilitationsklinik (M = 4,5; SD = 2,73), bevor sie an dieser Pilotstudie teilnahmen. Die Patienten hatten alle ein schweres SHT erlitten, bei 11 Patienten lag ein bildgebender Befund einer frontalen Läsion des Gehirns vor. Die Tabelle 4 veranschaulicht den Schulabschluss und das Beschäftigungsverhältnis der Patienten zum Zeitpunkt des traumatischen Ereignisses. Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 | 75 K. Kohleis et al. ORIGINALARBEIT Zielsetzung Mein Ziel: Ich möchte __ Reihen bearbeiten. Mein Ergebnis: Ich habe __ Reihen geschafft. Vergleiche das Ergebnis mit dem Ziel, dass Du Dir gesetzt hast. Hattest Du einen Erfolg oder Misserfolg? n ––––––––––––––n Erfolg Misserfolg Überlege Dir, was Du in der nächsten Runde machen möchtest. Ich möchte n mein Ziel erhöhen n mein Ziel beibehalten n mein Ziel verringern Kausalattribution Merksatz: Erfolg hat man häufig, weil – man sich gut angestrengt und konzentriert hat – man eine Sache gut kann – man sein Ziel richtig gewählt hat Überlege Dir, warum Du einen Erfolg oder Misserfolg hattest. Ich hatte einen Erfolg/ Misserfolg weil, _______________________________ Wichtige Gründe für Erfolg sind: ______________________ Wichtige Gründe für Misserfolg sind: __________________ Selbstbewertung Merksatz: – Ziel erreicht → sich freuen/sich loben → nächstes Ziel evtl. etwas erhöhen – Ziel verfehlt → sich überlegen, was geändert werden kann → sich beim nächsten Mal mehr anstrengen oder Ziel verringern Mit dem Ergebnis bin ich: n –––––––––– n–––––––––– n –––––––––––n sehr zufrieden zufrieden nicht zufrieden überhaupt nicht zufrieden Abb. 1: Beispiele motivationaler Übungen, die die kognitiven Aufgaben bereichern Beschäftigung/Schulbildung zum Zeitpunkt des Unfalls Schulbesuch (bis 10. Klasse) Schulbesuch (Abitur) Ausbildung Studium berufstätig arbeitssuchend Anzahl der Patienten 1 2 8 1 3 1 Tab. 4: Schulabschluss/Beschäftigungsverhältnis der Teilnehmer neuen Ziel wider. Die Zielsetzungsdiskrepanz (ZSdisk) berücksichtigt das Vorzeichen der Differenzen und wird aus dem neuen Ziel minus der letzten Leistung gebildet. Hohe, negative Zielsetzungsdiskrepanzen spiegeln defensives Zielsetzungsverhalten wider, da die Person ihr Ziel, im Vergleich zum letzten Resultat, zu niedrig gewählt hat. Mit Hilfe des Trainings sollen die Teilnehmer lernen, leicht offensive Ziele zu setzen, bei denen sie sich an ihren vorherigen Leistungen orientieren (niedrige ZSdiff-Werte, d. h. Werte < 1 sowie schwach positive ZSdisk-Werte, d. h. Werte < +1). Messinstrumente Die hier vorgestellten Messinstrumente stammen aus der motivationspsychologischen Forschung oder wurden eigens konstruiert. Erfassung der Zielsetzung Das Zielsetzungsverhalten der Teilnehmer wurde vor und nach dem ZT mit einer modifizierten (nicht veröffentlichten) Variante des Pauli-Tests von Heckhausen [15] erfasst. Dabei werden einfache Additionsaufgaben bearbeitet. Der Proband legt zuvor fest, wie viele Aufgaben einer Spalte er in 20 Sekunden bearbeiten möchte. Diese Zielsetzung wiederholt sich für 10 Spalten. Ein Leistungs-Zielvergleich führt zu zwei Kennwerten: Die Zielsetzungsdifferenz (ZSdiff), gebildet aus der durchschnittlichen Differenz des letzten Resultats und dem neuen Ziel, gibt dabei an, wie sehr sich der Proband bei seiner Zielsetzung an seiner bisherigen Leistung orientiert. Hohe Werte spiegeln eine große Differenz zwischen letzten Resultat und dem 76 | Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 Erfassung des impliziten Leistungsmotivs Ob das ZT das implizite Leistungsmotiv der Probanden in eine erfolgszuversichtlichere Richtung beeinflussen konnte, wurde mit dem semi-projektiven Leistungsmotivgitter [38] erhoben. Sechs skizzierte Bildsituationen (Chor, Schwimmen, Piano, Schule, Sport und Werken) stellen leistungsthematische Tätigkeiten dar (z. B. an der Tafel etwas vorrechnen), deren Ende (Erfolg oder Misserfolg) offen bleibt. Unter jedem Bild stehen jeweils 9 Aussagen, die für eine erfolgszuversichtliche (z. B. Er/Sie denkt: »Ich bin stolz auf mich, weil ich das kann«) oder für eine misserfolgsängstliche Sichtweise stehen (z. B. Er/Sie ist unzufrieden mit dem was sie kann) sowie ein Füllitem. Die Probanden geben zu jedem Bild an, ob die Aussagen zutreffen oder nicht zutreffen. Diese Antworten sind faktorenanalytisch den drei Faktoren Hoffnung auf Erfolg (HE), Furcht vor Misserfolg aktiv (FMa) sowie Furcht vor Misserfolg passiv (FMp) zugeordnet. Zur Auswertung des Leistungsmotivgitters werden die Antworten jedes Faktors Zielsetzungstraining im Kontext der kognitiven Rehabilitation adoleszenter SHT-Patienten aufsummiert. Ein Faktorkennwert kann max. 18 betragen. Durch das ZT sollen die Werte für HE steigen, die Werte für FMa und FMp sinken. Erfolgszuversichtliche Attribution Misserfolgsängstliche Attribution keine Zuordnung 80 Veränderungen der Ursachenzuschreibung/Kausalattribution In dieser Pilotstudie wurden die Veränderungen innerhalb der Kausalattribution deskriptiv ausgewertet, um die Patienten nicht mit einem weiteren Fragebogen zu belasten. Nach Einführung des Trainingsbausteins »Kausalattribution« gaben die Teilnehmer ab der 6. Trainingssitzung Gründe für ihren Erfolg oder Misserfolg an und notierten diese auf ihren Arbeitsblättern. Diese Antworten können drei Kategorien (erfolgszuversichtliche oder misserfolgsängstliche Ursachenzuschreibung sowie keine eindeutige Zuordnung) zugeteilt werden. ORIGINALARBEIT 73,80 70 60 58,60 54,00 50 40 30 20 30,00 25,70 20,00 18,80 10,00 10 8,80 Studiendesign 0 Die Wirksamkeit des ZT auf das Zielsetzungsverhalten und das implizite Leistungsmotiv wurde im Prä-Post-Test-Design überprüft. Die quantitativen Daten wurden mit dem StatistikEDV-Programm SPSS für Windows (Version 11.5) verarbeitet. Aufgrund der geringen Probandenzahl und aufgrund z. T. nicht normalverteilter Ausgangswerte zum ersten Messzeitpunkt wurden die Hypothesen mit dem nicht parametrischen Verfahren Wilcoxon-Test überprüft. Prüfergebnisse ab p ≤ 0,05 werden als signifikante Ergebnisse akzeptiert. Ergebnisse Veränderungen innerhalb der Zielsetzung Das Zielsetzungsverhalten der Gesamtgruppe (n = 16) konnte durch das ZT nicht signifikant verändert werden. Die Tabelle 2 veranschaulicht die Mediane der Teilnehmer vor und nach dem ZT für die mit dem Pauli-Test erhobene Zielsetzungsdifferenz (Z = −1,20, p = ,23) und Zielsetzungsdiskrepanz (Z = −1,734, p = ,083). Daraufhin wurde untersucht, ob Personen mit unrealistischeren Zielsetzungen (over- und underperformer) von dem ZT profitieren konnten. Dazu wurden die Personen, deren Zielsetzungsdifferenz kleiner bzw. größer als der Median der Gesamtgruppe (Median = 1,5) ist, identifiziert. Im Prä-Post-Test-Vergleich zeigen diese acht Personen verringerte Zielsetzungsdifferenzen, das heißt, sie setzten ihre Ziele nach dem Training realistischer (Z = −1,96, p = ,05). Innerhalb der Zielsetzungsdiskrepanz zeigen Personen mit offensiver Zielsetzung (Personen, deren Median größer als −0,25 ist; n = 7) eine signifikante Abnahme ihrer Zielsetzungsdiskrepanzen (Z = −2,371, p = ,018). Personen mit defensiven Zielsetzungsdiskrepanzen (Median kleiner −0,25; n = 9) zeigten keine signifikanten Veränderungen (Z = −,711, p = ,47). Veränderungen im impliziten Leistungsmotiv Das ZT sollte das implizite Leistungsmotiv, erhoben mit dem Leistungsmotivgitter, in eine positive Richtung ver- 6. Sitzung 8. Sitzung 11. Sitzung Abb. 2: Veränderungen innerhalb der Kausalattribution stärken. Die Werte der Faktoren Hoffnung auf Erfolg (HE) sollten ansteigen und die Werte der Furchtkomponenten »Furcht vor Misserfolg aktiv« (FMa) und »Furcht vor Misserfolg passiv« (FMp) sinken. Die Veränderungen für die drei Faktoren waren im Wilcoxon-Test statistisch nicht bedeutsam (Faktor HE: Z = −1,07, p = ,29; Faktor FMa: Z = −,81, p = ,42; Faktor FMp: Z = −,54, p = ,60). Für die Skala HE zeigt sich eine hypothesenkonforme Tendenz, die Werte sind nach dem ZT leicht angestiegen (vgl. Tab. 2). Veränderungen innerhalb der Ursachenzuschreibung Die deskriptive Auswertung der angegebenen Gründe für Erfolg oder Misserfolg der Trainingsteilnehmer (ab der 6. Sitzung) zeigt positive Veränderungen. Die prozentuale Anzahl misserfolgsängstlicher Aussagen und die Aussagen, die sich keiner der motivationspsychologischen Kategorien zuordnen ließen, nahmen im Laufe des ZT ab. Erfolgszuversichtliche Ursachenzuschreibungen nahmen prozentual zu (Abb. 2). Besonderheiten bei der Übertragung klassischer Motivförderaufgaben in die neuropsychologische Rehabilitation In der Voruntersuchung zeigte sich, dass motorische Spiele, wie sie in klassischen Motivfördertrainings oft verwendet werden, aufgrund körperlicher Einschränkungen (z. B. Halbseitenlähmung) für SHT-Patienten ungeeignet sind. Im adaptierten ZT wurden deshalb ausschließlich kognitive Aufgaben verwendet. Generell sollten Schriftgröße und Abbildungen groß genug gewählt und die Bearbeitungszeiten für die Aufgaben, im Vergleich zu Gesunden, verlängert werden. Das ZT war nach Beachtung dieser Besonderheiten im Kontext der klinischen Rehabilitation gut durchführbar. Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 | 77 K. Kohleis et al. ORIGINALARBEIT Die kognitiven Übungen, wie sie in neuropsychologischen Funktionstrainings verwendet werden, eigenen sich sehr gut für eine Anreicherung mit motivationalen Aufgaben, da konkrete Zielsetzungen vor dem Bearbeiten der Aufgaben möglich sind. Mit dem Ziel-Ergebnis-Vergleich kann dem Patienten der individuelle Leistungsstand unmittelbar rückgemeldet werden. Diskussion Diese Pilotstudie stellt erste Ergebnisse zur Konzeption und Praktikabilität eines neuen Zielsetzungstrainings (ZT) im Rahmen der kognitiven Rehabilitation von SHT-Patienten mit Störungen in den Exekutivfunktionen vor. Neben dem Aufbau einer realistischen Zielsetzung sollte das Training das Attribuierungsmuster der Teilnehmer nach Erfolg oder Misserfolg sowie das implizite Leistungsmotiv in eine erfolgszuversichtlichere Richtung verändern. Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit unrealistischen Zielsetzungen (n = 8) und insbesondere sich selbst überschätzende Patienten (n = 7) von dem ZT profitieren konnten. Hier verringerten sich die Zielsetzungsdifferenzen der Teilnehmer signifikant. Dieser Befund geht mit Ergebnissen klassischer Motivfördertrainings konform. Vor allem Schüler mit unrealistischen Zielsetzungen und einer misserfolgsmeidenden Ausprägung des Leitungsmotivs konnten von einer Motivförderung profitieren [5, 19, 33]. Dass das ZT die Zielsetzungsdifferenz und Zielsetzungsdiskrepanz der Gesamtgruppe nicht bedeutsam beeinflussen konnte, hängt möglicherweise mit einem Deckeneffekt zusammen. Die Mehrheit der Patienten zeigte vor dem Training (unerwartet) gute Ausgangswerte im Pauli-Test. Im Gegensatz dazu überschätzte sich die Mehrheit der Patienten im Therapiealltag häufig bzgl. der eigenen Leistungen und insistierte auf unrealistischen und optimistischen Zukunftsperspektiven, in denen sie die eigenen Defizite noch ungenügend berücksichtigten. Exekutive Defizite zeigen sich häufig in Alltagssituationen. Eventuell ist der PauliTest aufgrund seiner klar strukturierten Anweisung und den einfachen Additionsaufgaben nicht sensitiv genug, um unrealistische Zielsetzungen im Alltags- bzw. Therapiekontext zu erfassen. Inwiefern eine gestörte Defizitwahrnehmung der Patienten das Zielsetzungsverhalten beeinflusst haben könnte, bleibt in dieser Pilotstudie ungeklärt. Die Ergebnisse der Studie von Fischer et al. [6] sprechen dafür, dass die Defizitwahrnehmung von Hirnverletzten eher die langfristige Zielsetzung im Rehabilitationsprozess sowie den Rehabilitationserfolg selbst beeinflusst als die kurzfristige Zielsetzungsfähigkeit und Leistung in einer experimentell angelegten Rechenaufgabe. Die Patienten mit beeinträchtigter Wahrnehmung der eigenen Defizite setzten in dieser Studie unrealistischere Rehabilitationsziele als Patienten mit realistischer Einschätzung ihrer Defizite. Zukünftige Arbeiten sollten mögliche Trainingseffekte mit neuropsychologischen Testverfahren absichern. 78 | Neurologie & Rehabilitation 2 · 2011 Innerhalb des impliziten Leistungsmotivs zeigten sich keine statistisch bedeutsamen Effekte. Das Leistungsmotiv ist ein relativ stabiles Persönlichkeitskonstrukt. Möglicherweise kann es im jungen Erwachsenenalter nicht durch eine kurzfristige Intervention verändert werden, wie es bei gesunden jüngeren Schülern der Fall war [4, 5, 9, 19, 33]. Vielleicht war das Training mit 11 Sitzungen zu kurz, um generalisierte Effekte zu bewirken. Schreblowski und Hasselhorn [40] empfehlen ein größeres Zeitfenster, v. a., wenn das Training kognitive und motivationale Fähigkeiten gleichzeitig fördern soll. Die Ursachenzuschreibung der Patienten nach Erfolg oder Misserfolg wurde durch das Training erfolgszuversichtlicher. Dieser deskriptive Befund sollte in weiteren Untersuchungen mit validierten Testverfahren abgesichert werden (z. B. Attributionsstilfragebogen für Erwachsene von Poppe et al. [29]). Die Bedeutung von langfristigen und kurzfristigen Zieldefinitionen für die Bewältigung von somatischen, kognitiven, emotionalen und sozialen Problemen von hirngeschädigten Patienten sowie die Bedeutung zur Überprüfung rehabilitativer Maßnahmen in Anlehnung an das ICF-Modell diskutieren Bühler, Götzbach und Frommel [1] in ihrer Arbeit. Die Arbeiten von Fischer et al. [6], Levine et al. [z. B. 22] Gauggel et al. [12] und Wade [45] verdeutlichen ebenfalls die steigende Relevanz von Zielsetzung und Zielmanagement innerhalb der Rehabilitation von Patienten mit Schädelhirnverletzungen. Schlussfolgerung Obwohl die empirischen Befunde hinter den Erwartungen zurückbleiben, zeigt diese Arbeit, wie motivfördernde Maßnahmen, wie sie bereits im pädagogischen Kontext verwendet werden, in die Rehabilitation von SHT-Patienten integriert werden können. Die neue Interventionsform wurde von den Teilnehmern akzeptiert, niemand brach das Training vorzeitig ab. Im Gegensatz zu den o. g. Arbeiten wurden in diesem Training keine Langzeitziele für die Rehabilitation erarbeitet. Zukünftig müssen die Trainingsmaterialen weiter spezifiziert und deren Wirksamkeit auch auf die kognitiven Kompetenzen der Patienten überprüft werden. Eine Übertragung der Zielsetzungsübungen auf relevante Alltagsfertigkeiten der Patienten könnte die Akzeptanz gegenüber bleibenden Fähigkeitsverlusten erhöhen. Die Grenzen dieser Pilotstudie ergeben sich aus der geringen Probandenzahl. Eine randomisierte Gruppenzuteilung, wie sie den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entspricht, hat sich für diese kleine und heterogene Stichprobe als ungünstig erwiesen, stattdessen wäre bei derartigen Gruppen eine Parallelisierung zu bevorzugen. Methodische Schwierigkeiten, die die neuropsychologische Praxis mit sich bringt (z. B. das Bilden homogener Gruppen, einschließlich optimaler Kontrollgruppe), müssen dabei überwunden werden. 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