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Wolfgang Neugebauer

Widerstand in Österreich - Ein Überblick

Referat im Rahmen der Tagung "Widerstand in Österreich 1938-1945" im Parlament,
Wien, 19. Jänner 2005



Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei meiner laufenden Vorlesung über Widerstand in Österreich stehen mir ca. 24 Stunden zur Verfügung; heute muss ich die Thematik in ebenso viel Minuten abhandeln. Daher kann ich hier nicht auf die Entwicklung der Widerstandsforschung und auf die unterschiedlichen Vorstellungen und Definitionen von Widerstand in der wissenschaftlichen Literatur eingehen. Das DÖW als wichtigste österreichische Forschungseinrichtung hat jedenfalls seinen Arbeiten einen sehr breiten Widerstandsbegriff zugrunde gelegt, wobei keine Form und keine Gruppierung des Widerstandes ausgegrenzt wurde.




Zur Begriffsbestimmung

Lassen Sie mich zunächst einiges über die Anfänge, Voraussetzungen und Spezifika des Widerstandes sagen: Unmittelbar nach dem gewaltsamen Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 stieß die Organisierung des Widerstandes auf nicht geringe Schwierigkeiten. Der kampflose Untergang Österreichs, die Passivität der Westmächte, die totale nationalsozialistische Machtergreifung und die mit deutscher Gründlichkeit und Schnelligkeit durchgeführten Verfolgungsmaßnahmen sowie die erzwungene Flucht tausender potentieller NS-Gegner wirkten sich ebenso negativ aus wie die weit über die NS-Sympathisanten hinausgehende pronazistische Jubelstimmung und die verschiedenen anschlussfreundlichen Erklärungen österreichischer Institutionen und Persönlichkeiten.

Im Unterschied zu anderen besetzten Ländern, wo von vornherein ein klares Feindbild bestand und der Widerstand zur Sache aller nationalen Kräfte wurde, hatten die österreichischen WiderstandskämpferInnen in einer zum Teil feindlichen, von Denunzianten und fanatischen Regimeanhängern durchsetzten Umwelt zu wirken. Zu Recht stellt Ernst Hanisch fest, dass die „für Österreich typische tiefe parteipolitische Fragmentierung" auch den Widerstand prägte. Der politisch-gesellschaftlichen Struktur Österreichs entsprechend, fand das NS-Regime zwei annähernd gleich starke potentielle Hauptgegnergruppen vor: die organisierte Arbeiterbewegung, hauptsächlich in den Industriezentren im Osten Österreichs konzentriert, und das katholisch-konservative-bürgerliche Lager. Eine gemeinsame nationale Wurzel des Widerstandes, die - ungeachtet auch dort bestehender politischer Differenzierungen - für die anderen von Hitlerdeutschland besetzten Länder charakteristisch war, war aufgrund der besonderen "nationalen" Situation Österreichs lange Zeit kaum vorhanden, sie entwickelte sich in Ansätzen erst gegen Kriegsende. Trotzdem kann Ernst Hanischs Auffassung von einem "spezifischen österreichischen Widerstand" zugestimmt werden, nicht zuletzt weil organisatorisch eine nahezu völlige Trennung zwischen österreichischen und deutschen Widerstandsgruppen bestand.

Im Folgenden versuche ich die wichtigsten Gruppierungen und Formen des österreichischen Widerstandes zu skizzieren:




Arbeiterbewegung

Die Führung der schon seit 1934 im Untergrund wirkenden Sozialisten (RS) hatte die Weisung ausgegeben, alle Aktivitäten für drei Monate einzustellen. Dies sowie die Verhaftung vieler SozialistInnen und die erzwungene Flucht oder Auswanderung belasteter FunktionärInnen führten zu einem organisatorischen Niedergang. Die weiter aktiven RSlerInnen konzentrierten ihre Tätigkeit auf die Unterstützung von Angehörigen von Verfolgten, und die schon 1934 bestehende Unterstützungsaktion "Sozialistische Arbeiterhilfe" (SAH) - Gegenstück zur kommunistischen "Roten Hilfe" - wurde gleichsam zum Ersatz für die Parteiorganisation. Für die Organisierung des sozialistischen Widerstandes in dieser Phase war es besonders verhängnisvoll, dass ein führender Funktionär, der ehemalige Sportredakteur der Arbeiter-Zeitung Hans Pav, zum Verräter wurde und die gesamte zentrale RS-Organisation der Gestapo auslieferte.

Die Verfolgungsmaßnahmen und das Abreißen der Verbindungen zum Exil nach dem Kriegsausbruch 1939 führten dazu, dass der sozialistische Widerstand in einzelne, voneinander isolierte Gruppen zerfiel. Einzelne Funktionäre wie Felix Slavik und Alfred Migsch unternahmen Versuche zum Neuaufbau von Organisationen. Von den noch weiterexistierenden sozialistischen Widerstandsgruppen war die von dem Wiener Hauptschullehrer Dr. Johann Otto Haas geführte Gruppe der Revolutionären Sozialisten am bedeutendsten. Sie hatte bis zu ihrer Aufdeckung im Juli 1942 Stützpunkte in Wien, Salzburg, Tirol und unter den Eisenbahnern sowie Verbindungen zu sozialistischen Gruppen in Süddeutschland.

Die gesamtdeutsche Linie, "die Umwandlung des bestehenden nationalsozialistischen in ein sozialistisches Deutschland", die von den sozialistischen Exilorganisationen vertreten wurde, war lange Zeit auch für die Widerstandsgruppen im Land maßgeblich. Erst im Laufe des Krieges und besonders nach der Moskauer Deklaration, in der die Unabhängigkeit Österreichs zum alliierten Kriegsziel erklärt wurde, erfolgte ein Umdenken. Vertreter des deutschen Widerstandes versuchten mehrmals, österreichische Sozialdemokraten und Christlichsoziale zur Mitarbeit zu gewinnen, mussten aber zur Kenntnis nehmen, dass österreichischerseits der Wunsch nach Unabhängigkeit bereits stärker war als die Verbundenheit mit Deutschland.

Wenn man von den vorhandenen Polizei- und Gerichtsmaterialien ausgeht, war der Widerstand der KommunistInnen zahlenmäßig der weitaus stärkste von allen politischen Gruppen. Wie wir im Zuge unserer mit der Universität Marburg durchgeführten Projekte zur NS-Justiz herausarbeiten konnten, waren ca. 50 Prozent der vom VGH und den OLG Wien und Graz Verurteilten ÖsterreicherInnen dem kommunistischen Widerstand zuzurechnen; ca. 2/3 hatten vor 1934 der Sozialdemokratie angehört. Auch die illegalen Druckwerke dieser Zeit sind an die 90 Prozent kommunistischer Provenienz.

Diese Einflussgewinnung war möglich, weil die KPÖ von Anfang an - ohne Rücksicht auf Verluste - die Parole des aktiven Widerstandes ausgab. Schon in der ersten, am 12. März 1938 in Prag beschlossenen Erklärung des ZK trat die KPÖ für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs ein und gab ihrem Widerstand - unter Zurücksetzung klassenkämpferischer und revolutionärer Parolen - eine betont österreichisch-patriotische Orientierung. Analog zur Entwicklung in anderen von Hitlerdeutschland besetzten Ländern, wo breite, meist unter kommunistischer Führung stehende nationale Widerstandsbewegungen entstanden, propagierten die österreichischen Kommunisten allerdings weitgehend erfolglos die Bildung einer überparteilichen "Österreichischen Freiheitsfront". Im Allgemeinen blieb der KP-Einfluss auf die einst sozialdemokratische Arbeiterschaft beschränkt; viele zum Widerstand bereite Arbeiter, ehemalige Sozialisten und Gewerkschafter, wirkten infolge weitgehenden Fehlens eigener Organisationen mit Kommunisten zusammen. Etwa ab Sommer 1938 entstanden unzählige Lokal- und Betriebszellen, wurden immer wieder Bezirks-, Stadt- und zentrale Leitungen gebildet. Besonders aktiv war die von der Gestapo "Tschechische Sektion der KPÖ" genannte Widerstandsgruppe von Wiener Tschechen, die Anschläge gegen verschiedene nationalsozialistische Einrichtungen durchführten.

Die KPÖ brachte immer wieder Spitzenfunktionäre aus dem Ausland nach Österreich, die im Land den Widerstand zentral organisieren und die Parteilinie bekannt machen und durchsetzen sollten. Nahezu alle diese Emissäre wurden infolge der Zersetzung gerade der zentralen Parteikader mit Gestapospitzeln meist nach kurzer Zeit festgenommen und mit ihnen ganze Organisationen mit hunderten AktivistInnen. Zu diesen todesmutigen AktivistInnen gehörten u. a. die bei Clemens Holzmeister in der Türkei tätigen Architekten Margarethe Schütte-Lihotzky und Herbert Eichholzer. Sie halfen 1940/41 unter der Leitung des ZK-Mitglieds Erwin Puschmann eine weit verzweigte Organisation mit aufzubauen, die dem Wirken des Gestapo-"V-Mannes" "Ossi" zum Opfer fiel. Schütte-Lihotzky und Eichholzer standen für viele junge Intellektuelle, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen, die sich in den zwanziger und dreißiger Jahren in Europa der Linken, der Arbeiterbewegung, der Kommunistischen Partei zuwandten. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Demokratie, Frieden und Kultur bedrohenden Faschismus ließ viele Intellektuelle die Augen vor den damals schon sichtbaren Entartungen und Verbrechen des Stalinismus verschließen.

Gerade in diesem Milieu waren Menschen jüdischer Herkunft stark vertreten; geflüchtet, vertrieben, vielfach von der NS-Herrschaft wieder eingeholt, spielten sie im europäischen Widerstand, vor allem in Frankreich, eine wichtige, aktivistische Rolle. So baute die aus dem französischen Exil bzw. Untergrund 1943 als "Fremdarbeiter" nach Wien zurückgekehrte Gruppe kommunistischer AktivistInnen ein umfangreiches Widerstandsnetz auf, das auch französische "Fremdarbeiter" umfasste.

Im Mittelpunkt der auf Massenwiderstand zielenden kommunistischen Aktivitäten stand die Verbreitung illegaler Druckwerke, die das Meinungsmonopol des NS-Regimes durchbrechen sollten. Viele der illegalen Aktivitäten, wie Streu- oder Schmieraktionen, trug hauptsächlich der Kommunistische Jugendverband (KJV), wobei besonders die massenhaft an österreichische Frontsoldaten verschickten "zersetzenden" Briefe sowie die Unterwanderung der Hitler-Jugend durch Jungkommunisten die Aufmerksamkeit der Gestapo hervorriefen. Bis Ende 1943 konnte die Gestapo mit ihren berüchtigten brutalen Methoden die meisten bestehenden kommunistischen Gruppen aufdecken und zerschlagen; in einem Bericht der Gestapo Wien vom März 1944 wurde die Festnahme von 6.300 kommunistischen WiderstandskämpferInnen gemeldet. Kaum einer der von der Gestapo Festgenommenen wurde wieder entlassen; viele wurden hingerichtet oder kamen in Gefängnissen und Konzentrationslagern um.

Neben den sozialistischen und kommunistischen Parteiorganisationen entwickelte sich der Widerstand in den Betrieben. (Siehe das Referat von Winfried R. Garscha)

Im Unterschied zu den aktivistischen Kommunisten kapselten sich die verschiedenen Kleingruppen, die in der Tradition des russischen Revolutionärs Leo Trotzki standen, weitgehend ab, verbreiteten ihre Publikationen nur im eigenen Kreis und konnten auf diese Weise ihre Organisationen bis 1945 aufrechterhalten, blieben aber bedeutungslos. Auf die Existenz einer anarchistischen Gruppe kann nur aus dem Vorliegen illegaler Flugschriften geschlossen werden. Linke NSDAP-Absplitterungen in der Art der Schwarzen Front wurden von der Gestapo als "nationalbolschewistisch" verfolgt. Linksorientiert war auch die sehr aktive Jugendgruppe um den Gymnasiasten Josef Landgraf sowie die aus "Mischlingen" im Sinne der Nürnberger Gesetze zusammengesetzte Mischlingsliga Wien. Zu den aktivsten Widerstandsgruppen in Wien zählte die von dem slowenischen Kommunisten Karl Hudomalj 1942 initiierte Anti-Hitler-Bewegung Österreichs, die bis zu ihrer Aufrollung Anfang 1944 die illegale Zeitschrift Wahrheit herausgab.




Katholisch-konsevatives-bürgerliches Lager

Die katholische Kirche stand zwar nicht als Institution im aktiven Widerstand gegen das NS-Regime, da sie ihre legale Existenz nicht gefährden wollte; aber allein ihr Vorhandensein und ihre weltanschaulich-geistige Tätigkeit wirkten dem nationalsozialistischen Totalitätsstreben entgegen. Zahlreiche katholische Priester, Nonnen und Laien wurden zu entschiedenen Gegnern des als unchristlich empfundenen Regimes.

Antikatholische Maßnahmen, Diskriminierung und Verfolgung von Funktionären der ehemaligen Vaterländischen Front und die Unterdrückung alles Österreichisch-Patriotischen führten zur Bildung katholischer Widerstandsgruppen, die ebenso wie die nicht geringen monarchistischen Widerstandsgruppen meist großösterreichische Vorstellungen hatten. Ab Sommer/Herbst 1938 entstanden große konfessionelle und monarchistische Widerstandsgruppen, wie etwa die drei Österreichischen Freiheitsbewegungen (um Karl Roman Scholz, Jakob Kastelic und Karl Lederer) oder die Gruppe Hebra. Die wichtigsten Widerstandsorganisationen nach der Zerschlagung der großen katholischen Gruppen bis 1940 waren die Antifaschistische Freiheitsbewegung Österreichs und die Gruppe Maier-Messner-Caldonazzi. Die Bedeutung der 1942 bis 1944 operierenden Gruppe um den Währinger Kaplan Heinrich Maier und den Semperit-Generaldirektor Franz Josef Messner lag vor allem in den Kontakten zum US-Kriegsgeheimdienst OSS. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur hervorheben, dass die Grenzen zwischen Widerstandsaktivitäten und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten für die Alliierten fließend waren und dass aus heutiger Sicht der militärische und geheimdienstliche Einsatz für die Alliierten, von NS-Gerichten und Gestapo bzw. heutigen Rechtsextremen als "Hoch- oder Landesverrat" diffamiert, als integrierender Bestandteil des Kampfes der Anti-Hitler-Koalition und des europäischen Widerstandes zu werten ist.

Verbindungen bestanden zwischen früheren Funktionären der christlichen Arbeiterbewegung, namentlich Felix Hurdes und Lois Weinberger, zu deutschen christlichen Gewerkschaftern um Jakob Kaiser und damit zum Verschwörerkreis des 20. Juli 1944. Gegen Kriegsende formierten sich vielerorts neue Widerstandskreise im bürgerlichen Lager, so dass Ludwig Reichhold in seiner Geschichte der ÖVP zu Recht auf deren Entstehen im Widerstand hinweisen konnte.




Andere religiöse Gruppen

Die in Österreich schon seit 1935/36 verbotene religiöse Gruppe Internationale Bibelforschervereinigung setzte ihre Tätigkeit nach dem März 1938 unbeirrt fort. Die im NS-Jargon "Bibelforscher" genannte, sich selbst "Zeugen Jehovas" bezeichnende christliche Kleingruppe lehnte den nationalsozialistischen Staat kompromisslos ab, verweigerte den vorgeschriebenen "Deutschen Gruß" ebenso wie den Dienst in der Hitler-Jugend. Das NS-Regime verfolgte die Zeugen Jehovas vor allem wegen ihrer konsequenten Ablehnung von Kriegsdienst und Rüstungsarbeit konsequent und brutal. Nach eigenen Angaben sind von 550 Mitgliedern in Österreich 145 umgekommen, davon 54 wegen Kriegsdienstverweigerung oder Wehrkraftzersetzung.

Daran gemessen war der Widerstand der evangelischen Kirche und der altkatholischen Kirche zahlenmäßig gering, wiewohl auch sie von den antikirchlichen Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mehr als gelegentliche regimekritische Predigten oder Stellungnahmen von Vertretern der evangelischen Kirche und anderer christlichen Gruppen, wie z. B. Baptisten, fielen die Bemühungen der (Evangelischen) Schwedischen Mission in Wien ins Gewicht, die mehr als 3.000 Juden und Christen jüdischer Herkunft zur Auswanderung in das neutrale Ausland verhalfen.




Bewaffnete Widerstandsgruppen

Die österreichischen WiderstandskämpferInnen beschränkten sich in der Hauptsache auf traditionelle politische Tätigkeitsformen, wie die Bildung von Organisationen, Propaganda u. dgl., die sich als verlustreich, aber wenig effizient erwiesen. Gewaltsame Aktionen, auch Sabotage, waren eher selten. Erst etwa ab 1942 bildeten sich, meist auf Initiative von Kommunisten, bewaffnete Widerstandsgruppen. Vor allem in Südkärnten formierten sich slowenische Partisanengruppen.

Im Unterschied zu den auf die Sympathie der slowenischen Bauern sich stützenden Kärntner Partisanen fiel es den mit Fallschirmen abgesetzten Kampfgruppen wie z. B. den "Koralmpartisanen" sehr schwer, in der Bevölkerung Fuß zu fassen, da hier die NS-Propaganda mit ihren antibolschewistischen Feindbildern stark wirksam war. Von den bewaffneten Widerstandsgruppen außerhalb Kärntens trat nur die Partisanengruppe Leoben-Donawitz militärisch in Erscheinung, während andere vielfach als "Partisanen" bezeichnete Gruppen im Salzkammergut oder im Ötztal über die Aufbau- und Bewaffnungsphase nicht hinauskamen.




Überparteiliche Gruppen

Gegen Ende des Krieges formierten sich vielerorts überparteiliche Widerstandsgruppen, deren AktivistInnen aus verschiedenen politischen und sozialen Lagern stammten; die Ablehnung des Nationalsozialismus, die Abkürzung des Krieges, die Erkämpfung der Freiheit waren das einigende Band. Die größte und bekannteste dieser Widerstandsgruppen war die Gruppe O5, die von bürgerlich-konservativen Kräften initiiert und getragen wurde, aber auch Kontakte zu Sozialdemokraten und Kommunisten knüpfte. Durch die Verbindung, die Fritz Molden mit den Westalliierten, im Besonderen mit Allan W. Dulles, dem Leiter des OSS in Bern, herstellen konnte, erlangte diese Gruppe einen hohen politischen Stellenwert. Unabhängig davon hatte sich im Wehrkreiskommando XVII in Wien eine militärische Widerstandsgruppe um Major Carl Szokoll gebildet. Diese Gruppe war bereits beim Anti-Hitler-Putsch im Juli 1944 spektakulär in Aktion getreten, als im Zuge der "Operation Walküre" führende Wiener NS-Funktionäre vorübergehend festgenommen wurden. Der unentdeckt gebliebene Major Szokoll kooperierte mit der O5 und konnte im April 1945 durch den Oberfeldwebel Ferdinand Käs Kontakt mit der Roten Armee aufnehmen, doch der Aufstandsplan ("Operation Radetzky") und damit die kampflose Übergabe der Stadt Wien fielen einem Verrat zum Opfer.

In anderen Orten und Gegenden konnten Widerstandskräfte die Zusammenbruchs- und Rückzugsphase des NS-Regimes ausnützende Befreiungsaktionen durchführen. So befreite die - mit der O5 und Fritz Molden kooperierende - Tiroler Widerstandsbewegung unter der Leitung des späteren Landeshauptmanns Karl Gruber die Stadt Innsbruck am 3. Mai 1945 noch vor dem Eintreffen der ersten US-Truppen.




Widerstand in der Haft

Auch in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des "Dritten Reiches", in denen zehntausende ÖsterreicherInnen inhaftiert waren, gab es - trotz der noch größeren Gefahren und Schwierigkeiten - Widerstand. Dabei standen die Organisierung der Solidarität, die Hilfe für die anderen KameradInnen, die Sorge um das nackte Überleben im Vordergrund. Aus nahezu allen Häftlingsberichten geht hervor, dass sich die Österreicher auch als solche verstanden und die meisten in ihren politischen Zukunftvorstellungen an ein eigenständiges Österreich dachten. Die Sichtweise vom "Geist der Lagerstraße" und von der uneingeschränkten Solidarität der Häftlinge ist freilich durch neuere Forschungen zur KZ-Geschichte in Frage gestellt.




Individueller Widerstand

Andere Formen von Widerstand und Opposition - nichtorganisierter Widerstand von Einzelnen, passive Resistenz, Nonkonformismus, soziales Protestverhalten u. dgl. - sind erst spät in das Blickfeld der Widerstandsforschung gekommen, obwohl sie genauso wie der organisierte Widerstand polizeilich und gerichtlich verfolgt wurden; so bezieht sich z. B. der Großteil der rund 10.000 Verfahren vor dem Sondergericht Wien auf Delikte nach dem so genannten "Heimtückegesetz", das waren defaitistische Äußerungen, Verbreiten von Gerüchten, Witze über bzw. Beleidigungen von führenden NS-Funktionären, prokommunistische oder prokatholische Äußerungen, Singen verbotener Lieder, Verweigerung von Spenden oder des Deutschen Grußes u. v. a. Aufgrund der Quantität und Qualität dieser Fälle wird dieser "individuelle Widerstand" nicht zu Unrecht als "kollektive Systemopposition" (so Botz 1982) verstanden.

Die Ablehnung der Normen und Ansprüche des NS-Systems durch bewusst anderes Verhalten - in Kleidung, Haarschnitt, Musik u. a. - spielte besonders im Milieu der Arbeiterjugend eine Rolle; der von der HJ ausgeübte Zwang stieß auf Widerstand und schlug sich auch in zahlreichen Überfällen auf HJ-Lokale und -Funktionäre nieder. Auch für die Beurteilung der Einstellung im bäuerlich-katholischen Milieu ist die Aufarbeitung dieses diffusen "Resistenzverhaltens" von hoher Relevanz. Diesbezüglich kann ich nur auf einschlägige Arbeiten von Gerhard Botz und Ernst Hanisch verweisen.

Von diesen Formen des "kleinen Widerstandes" und des abweichenden Verhaltens von NS-Normen hebt sich die von einzelnen Personen geleistete Hilfe für rassistisch Verfolgte, insbesondere für Juden, qualitativ ab, weil sie von zutiefst humanen Motiven getragen und eine bewusst regimeablehnende Handlung war. Unterkunftgewährung für jüdische "U-Boote" oder Lebensmittelweitergabe wurden mit Gestapo- oder KZ-Haft bestraft. So wurde etwa die Wiener Ärztin Ella Lingens 1942 wegen ihrer Hilfe für jüdische Flüchtlinge nach Auschwitz gebracht, und der aus Wien stammende Feldwebel Anton Schmid wurde 1942 hingerichtet, weil er in dem - vom Österreicher Franz Murer kommandierten - Ghetto Wilna vielen Juden zur Flucht verholfen hatte. Der Staat Israel hat bislang rund 20.000 Personen, darunter 84 aus Österreich, als "Gerechte der Völker" ausgezeichnet. Es waren - so der zutreffende Titel des Buches von Erika Weinzierl - "Zu wenig Gerechte".




Zur Bedeutung des Widerstands

Der Widerstand, sein Ausmaß und seine Bedeutung, ist nur im Zusammenhang mit dem Gesamtverhalten der ÖsterreicherInnen in der NS-Zeit, also unter Berücksichtigung des österreichischen Nationalsozialismus, der partiellen oder zeitweisen Zustimmung von Bevölkerungsgruppen zum System u. a. Faktoren, zu bewerten. Eine solche Beurteilung kann freilich nicht in Form einer bloßen Gegenüberstellung von - größenordnungsmäßig geschätzten - 100.000 WiderstandskämpferInnen mit 700.000 NSDAP-Mitgliedern erfolgen; denn die einen hatten ihre gesamte Existenz zu riskieren, die anderen genossen alle Vorteile einer die alleinige Macht ausübenden Staatspartei. Im Hinblick auf ein laufendes Projekt des DÖW und des Vogelsang-Instituts zur namentlichen Erfassung der Opfer politischer Verfolgung möchte ich hier keine detaillierten Zahlenangaben zum Widerstand machen.

Gemessen an der großen Zahl der Opfer waren die praktischen Ergebnisse des Widerstandskampfes - etwa in Richtung einer Gefährdung des NS-Regimes, einer ernstlichen Schädigung der NS-Kriegsmaschinerie oder der Erringung der Hegemonie in der Bevölkerung - eher bescheiden. Die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft war nicht das Werk einer Revolution von unten oder eines nationalen Freiheitskampfes, sondern das ausschließliche Verdienst der alliierten Streitkräfte, von denen mehr als 30.000 1945 auf österreichischem Boden gefallen sind.

Der Widerstand war im Hinblick auf den 1943 in der Moskauer Deklaration der Alliierten geforderten eigenen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung von eminent politischem Wert, wie sich bei den Bemühungen um den Staatsvertrag herausstellte. Schließlich waren Männer und Frauen, die im Widerstand aktiv oder vom NS-Regime verfolgt worden waren, maßgeblich an der Bildung der provisorischen Regierung und am Neuaufbau des politischen Systems und der Verwaltung 1945 beteiligt. Die weitere politisch-gesellschaftliche Entwicklung Österreichs stand freilich nicht im Zeichen der WiderstandskämpferInnen und NS-Opfer; sie wurde von der Generation der Kriegsteilnehmer und ehemaligen Nationalsozialisten dominiert.


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