Von Erika Müller

Wir hatten am 1. Februar 1951, als wir die ausführliche Analyse seines ersten Nachkriegsfilms veröffentlichten, gehofft, daß wir von nun an endlich über die Filmwerke des Kitschregisseurs Veit Harlan würden schweigen können und daß die Mitmenschen, das Publikum, ihn richten würde. Seine nächsten beiden bombastischen Indienfilme waren von der gleichen Art und keines Wortes wert, es sei denn, man hätte sich über das unziemliche Auftreten der deutschen Filmleute in Ceylon äußern wollen.

Aber Harlan gelingt es immer wieder, traurige Berühmtheit dadurch zu erlangen, daß er auf penetrante Weise von sich reden macht. Ohne politischen Instinkt, ohne Fingerspitzengefühl und ohne Geschmack, wie er ist, hat er diesmal einen politischen Zündstoff angefaßt, der sich bei der einsetzenden schlimmen Serie der Spionagefilme in der allgemeinen Stoffarmut so verlockend anbot, den aber verantwortungsbewußtere Filmleute in der ganzen westlichen Welt in diesem Zustand des kalten Krieges anzufassen gezögert hatten. Unter dem aufs Geschäft gezielten reißerischen Titel "Verrat an Deutschland" ist in München der für eineinhalb Millionen DM zum Teil in Japan gedrehte Film um Dr. Richard Sorge und seine "Grille", den größten Spionagering dieses Krieges in Ostasien – nach den amerikanischen Veröffentlichungen des Geheimdienstes MacArthurs "ein Studienbeispiel internationaler Spionage in Fern-Ost" – in München uraufgeführt, aber nach einem Tag Laufzeit wieder abgesetzt worden. So naiv sicher in ihrem Urteil waren sich Harlan und der Gloria-Verleih gewesen, daß sie die Entscheidung der freiwilligen Selbstkontrolle nicht abgewartet hatten. Oder wollte der Verleih, der auch "08/15" herausbrachte und eben die mit der Sowjetzone geplante Co-Produktion der "Buddenbrooks" durch einen Einspruch aus Bonn auf Eis legen mußte, von sich reden machen? Jetzt liegt das Urteil der Selbstkontrolle vor. Es lautet, der Harlan-Film wird nach den Richtlinien, die die ihr angeschlossenen Filmfirmen anerkennen, in seiner jetzigen Fassung nicht freigegeben. Der Sinn der freiwilligen Selbstkontrolle sei es, die freiwillige Beschränkung auf dem Gebiet der Meinungsäußerung durch den Film zu gewährleisten, um "zu verhindern, daß der Film negative Einflüsse auf moralischem, religiösem und politischem Gebiet ausübt". Die freiwillige Selbstkontrolle hat den Film in dieser Form beanstandet, weil er den Sowjetspion Dr. Richard Sorge und die Sowjets glorifiziert. Um es auf eine kurze deutliche Formel zu bringen: weil er eher von der Defa gedreht sein könnte als von einer westdeutschen Filmfirma und einem westdeutschen Regisseur. Sorge war, nach den amtlichen Protokollen, nach der Selbstbiographie, die er in der Todeszelle, vor seiner Hinrichtung am Galgen durch die Japaner, schrieb, und nach seinem Geständnis in Wirklichkeit ein geborener politischer Spieler, der sich der Politik auf krummen Wegen näherte, voll Lebensgier und Lebensverachtung, voll Wissensdurst und Zynismus, amüsant, witzig, prahlend, von vollblütigem Temperament, aber ohne Phantasie. Er verschrieb sich als deutscher Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Ostasien, zuletzt in Tokio, dem russischen militärischen Nachrichtendienst, weil er die "Freiheit des Abenteuers suchte", die er zum Leben brauchte. Er übermittelte den Russen den Angriffstermin Hitlers und zog auf russischen Befehl an den Fäden, um den japanischen Angriff auf Pearl Harbour zu bewirken. Er hatte aus früher Jugend menschheitsbeglückende Ressentiments des doktrinären Marxisten sein Leben lang beibehalten. Aber ihn als idealistischen Spion mit edlen Motiven hinzustellen, das haben nicht einmal die obskursten Tatsachenberichte gewagt, die in allen Sprachen nach dem Krieg erschienen. Diese ärmliche Simplifizierung und eine dazugedichtete "große Liebe" (damit Kristina Söderbaum ihre Rolle hatte) blieb dem Harlan-Film vorbehalten. Man weiß, wenn man ihn gesehen hat, nicht mehr über den Spion Sorge als vorher.